Ein muslimischer Bekannter von mir beklagte sich darüber, dass die meisten Muslime den Koran kaum oder gar nicht lesen. Er war umso mehr erfreut, dass ich als Nichtmuslim und Europäer das heilige Buch des Islams studiere, und dies erst noch in Arabisch. Wir mussten über diese eigenartige Situation lachen: Er, der stellvertretende Leiter einer Moschee, spricht nur behelfsmäßig arabisch.
Tatsächlich lernte auch ich mein erstes arabisches Wort erst nach meinem zwanzigsten Lebensjahr. Ein Ägypter, den ich damals in London kennenlernte, weil er am gleichen College studierte, sagte jedes Mal, wenn er mich sah, zu mir: „Ya uäläd.“ Ich fand schließlich heraus, dass dies etwa so viel wie „Oh (mein) Junge“ bedeutet. Er war so ziemlich die fröhlichste Figur der ganzen Ausbildungsstätte. Vom Morgen bis am Abend machte er alles anders als die Engländer und trug sehr zur Stärkung meiner Lachmuskeln bei. Zu jener Zeit fasste ich den festen Entschluss, nach Ägypten zu gehen, um diese Kultur und Sprache zu lernen. Ich war mir allerdings zu wenig bewusst, dass ich damit eine der schwierigsten Sprachen ausgewählt hatte, die es auf dieser Welt gibt. In der Zwischenzeit sind viele Jahre vergangen. Ich habe Ägypten vom ersten Moment an ins Herz geschlossen und habe dort auch meine liebe Frau gefunden. Für unsere Kinder ist also die arabische Sprache zur Muttersprache geworden. Und ich lese inzwischen – mit Hilfsmitteln natürlich – sogar den Koran auf Arabisch. Darüber freue ich mich sehr, denn dieses Buch ist ganz besonders schwierig zu lesen. Sogar die meisten Araber haben Mühe, zu verstehen, was darin steht.
Schon allein wegen der sprachlichen Barriere ist es selten, dass ein Christ den Koran liest. Und wenn er es trotzdem tut, dann meistens mit dem Ziel, Fehler zu finden. Doch in dem Buch, das Sie in Ihren Händen halten, gehe ich ganz genau den umgekehrten Weg. Ich suche die Perlen im Koran, das heißt die Verse, die mir am besten gefallen. Viele Menschen glauben, dass alle Religionen die gleiche Botschaft enthalten. Eine solche Behauptung ist zwar schnell gesagt. Wenn man dann aber die heiligen Bücher im Detail studiert, erscheint es einem integren Menschen mit jeder Seite zunehmend schwieriger, alles unter einen Hut zu bringen. Hier ist nun trotzdem ein praktischer Versuch, die Unterschiede zu überwinden, und eine Brücke zu schlagen. Das Ziel dieses Buches ist es, die üblichen Mauern zu umgehen. Ich beginne mit möglichst vielen Gemeinsamkeiten. Jedes unnötige Konfliktpotential soll liebevoll aus dem Weg geräumt werden, sodass am Schluss nur noch die unvermeidlichen Schranken übrig bleiben. Es handelt sich hiermit also um einen Blick über den eigenen Gartenzaun, der für viele Leser neuartig sein mag. Ich hoffe damit, auf beiden Seiten Feindbilder abzubauen.[1] Es gibt nur einen Gott – so sagen Muslime und Christen immerhin gemeinsam – auch wenn viel darüber diskutiert wird, ob dieser Gott derselbe sei oder nicht. Dieses Bekenntnis könnte doch eigentlich eine gute Grundlage für ein friedliches Zusammenleben sein. Ich glaube, dass wir es nach 1400-jähriger Auseinandersetzung der Menschheit schuldig sind, endlich einen ernsthaften Versuch zur Versöhnung zu unternehmen. Durch die gegenseitigen Kriege erreichen wir doch nichts, als den Glauben an den einen Gott für zukünftige Generationen madigzumachen.
Mit diesen Worten sind wir also mehr als motiviert, den Dialog zu eröffnen.
Hinweis für muslimische Leser:
Manche Muslime sind es gewöhnt, bei jeder Erwähnung eines Prophetennamens Höflichkeitsformeln wie „Gottes Gruß und Segen sei auf ihm“ („salla Allah aleihi ua sallem) beizufügen. In diesem Buch wird darauf verzichtet, nicht aus fehlendem Respekt, sondern weil weder Koran noch Bibel selbst derartige Formeln benutzen.
[1] Vergleiche in dieser Hinsicht Raouf Ghattas, A Christian Guide to the Quran, Grand Rapids, Kregel Publications 2009