Klaus W. Vopel

DAS ROTE
BUCH DER
GRUPPEN

für eine positive Gruppenkultur

iskopress

Vorwort

Seit etwa zehn Jahren zieht die Positive Psychologie immer mehr Menschen an, vor allem in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien. Mittlerweile wird diese psychologische Richtung aber auch in Europa stärker beachtet. Es scheint, dass die Positive Psychologie zu einer der folgenreichsten Innovationen im Bereich der Psychologie geworden ist, denn wir erkennen immer deutlicher, dass positives Denken und positive Gefühle das Potenzial haben, uns kreativer zu machen, unsere sozialen Beziehungen zu beleben und unsere Gesundheit zu stabilisieren.

Die Psychologie hatte sich nach Sigmund Freud in einem hohen Maß mit negativen Phänomenen beschäftigt: Mit Traumatisierungen, mit Trauer und Depression, mit Ärger und Aggressivität. Für diese schwierigen Emotionen wurden beachtliche Theorien und wirksame Behandlungskonzepte entwickelt. Weniger Beachtung fanden bisher die positiven Gefühle wie Freude, Dankbarkeit, Heiterkeit, Interesse, Hoffnung, Stolz, Humor, Inspiration, Staunen, Liebe etc.

Welche Rolle spielen die positiven Gefühle in der Entwicklungsgeschichte des Menschen? Während Ärger oder Rachewünsche erstaunlich langlebig sind, können sich Gefühle wie Freude oder Stolz innerhalb von Sekunden auflösen. Warum haben diese einen so flüchtigen Charakter? In den letzten Jahren brachten eine Reihe von Forschungsarbeiten mehr Licht in das Geheimnis unserer positiven Emotionen: Wenn die positiven Gefühle nicht störbar wären, könnten wir auf Bedrohungen von außen nicht angemessen reagieren. Wir wären heitere Narren, nicht in der Lage, einen feindlichen Angriff zu erkennen und abzuwehren.

Während die negativen Emotionen also vor allem unserer Verteidigung dienen – mit ihnen versuchen wir sozusagen einen Schutzwall um uns zu bauen –, haben die positiven Emotionen ein ganz anderes Ziel. Sie sind die Basis für kreatives Denken. Indem sie uns die Angst nehmen, geben sie uns eine breitere Perspektive, sie bilden die Grundlage für Offenheit, Neugier und Kreativität.

Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass wir die Erkenntnisse der positiven Psychologie heranziehen, wenn wir unsere Theorien über das Lernen in Gruppen entwickeln und über Interventionen, Übungen, Rituale und Spiele nachdenken. Manches, was wir in früheren Jahren vielleicht intuitiv richtig gemacht haben, bekommt nun seine theoretische Rechtfertigung. Manche Modelle und Dogmen werden wir dagegen aus heutiger Sicht kritischer betrachten müssen.

Der Begriff Positive Psychologie hat in der Vergangenheit immer wieder zu Missverständnissen geführt. Dieser Zweig der Psychologie beschäftigt sich vor allem mit positiven Gefühlen und positiven Gedanken. Damit ist jedoch nicht die Illusion verbunden, dass es möglich wäre, negative Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu eliminieren oder die Welt in ein Paradies zu verwandeln. Das Negative bleibt auch für die Verfechter dieser Richtung eine Lebenstatsache, mit der wir rechnen müssen. Die Positive Psychologie möchte jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass es weniger Depressionen gibt, weniger Gewalt und weniger psychosomatische Erkrankungen.

Eine positive Einstellung kann nicht verhindern, dass uns Schlimmes geschieht, aber sie kann uns vor einigen negativen Entwicklungen bewahren. Sie bringt uns folgende Vorteile:

1. Sie schenkt uns ein gutes Gefühl. Dies bietet uns wiederum Schutz vor einem Übermaß an negativen Gefühlen. Sie lässt uns den Augenblick genießen und bestärkt uns in der Hoffnung, dass wir unser Leben zum Besseren hin entwickeln können.

2. Sie verändert die Arbeitsweise unseres Geistes. Da sie uns die Angst vor dem Leben nimmt, sehen wir mehr und damit erweitert sich auch das Spektrum unserer Handlungsmöglichkeiten.

3. Sie kann unsere Zukunft verändern. Gute Gefühle fördern unser Potenzial und unsere besten Qualitäten zutage. Sie helfen uns, Ressourcen zu entwickeln, auf die wir jederzeit zurückgreifen können. Besonders wenn wir großen Herausforderungen und Belastungen gegenüberstehen, sind vielfältige Ressourcen unser größtes Kapital.

4. Sie wirkt gegen negative Emotionen und Gedanken. Wir wissen, dass eine kritsche Bemerkung des Chefs unseren Blutdruck von einer Sekunde zur anderen in die Höhe treiben kann, doch wer meditiert, weiß auch, dass liebevolle Gedanken uns im Handumdrehen beruhigen können. Eine positive Perspektive wirkt wie der Reset-Knopf an unserem PC. Sie macht unseren Geist frei von trüben Gedanken. Sie schenkt uns Widerstandskraft und ein starkes Ich.

5. Sie arbeitet nicht linear. Das heißt, hier gilt nicht der Satz: Viel bewirkt viel, sondern schon kleine Veränderungen können große positive Auswirkungen haben.

6. Sie hilft uns, unsere Bilanz an positiven Gefühlen und Gedanken zu verbessern. Dazu müssen wir uns allerdings um das Verständnis der Zusammenhänge genauso bemühen wie um eine positive Interpretation der Welt.

Die Positive Psychologie wird die berufliche und die private Existenz von Gruppenleitern in allen Bereichen verändern. Sie kann Leitern und Teilnehmern helfen, neue Möglichkeiten zu sehen, Krisen zu überstehen, soziale Kontakte zu intensivieren und das eigene Potenzial zu realisieren. Wenn wir uns auf die Positive Psychologie einlassen, werden wir in der Lage sein, die Pfade der Routine zu verlassen, zu improvisieren, ein lebendiges Weltbild und lebendige Beziehungen zu entwickeln. Und wir können uns als Pioniere auf einem Feld fühlen, auf dem es immer noch Neues zu entdecken gibt und wo die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass wir interessanten und liebenswerten Kollegen begegnen.

Klaus W. Vopel

Einleitung

In allen Gruppen, von der Schulklasse bis zur Therapiegruppe, geht es um Veränderung, um Lernen und um Verbesserung der Lebensumstände im weitesten Sinne. Teilnehmer und Leiter wünschen sich Kreativität und Widerstandskraft. Sie wünschen sich in der Regel ein glückliches Leben mit emotionalen und materiellen Entwicklungschancen. Wir alle tragen die Voraussetzungen für eine positive Entwicklung in uns. Leider ist uns dies oft nicht bewusst. Darum suchen wir für gewöhnlich am falschen Ort nach dem Glück. Wir wünschen uns Geld und andere Lebensumstände, und wenn wir mit leeren Händen dastehen, suchen wir die Gründe irgendwo außerhalb. Doch unsere eigene Einstellung enthält den Schlüssel zur Veränderung.

Die Natur hat uns mit der Fähigkeit zu subtilen und erfreulichen Gefühlen ausgestattet, die uns erfüllen

Wenn wir positive Gefühle erleben, wie Liebe, Freude, Dankbarkeit, Heiterkeit und Inspiration, und bereit sind, unser Herz zu öffnen, dann empfinden wir unser Leben als positiv. Jeder von uns weiß allerdings, dass diese wunderbaren Gefühle leider nicht von Dauer sind. Gute Gefühle kommen und gehen wie Sonnenschein und schönes Wetter. Die Natur hat das so eingerichtet. Wenn unsere positiven Gefühle nicht störbar wären, dann könnten wir nicht auf Gefahren reagieren, dann könnten wir nicht den Unterschied zwischen echten und falschen Freunden bemerken, zwischen guten und schlechten Nachrichten, zwischen einem Kompliment und einer Beleidigung.

Es ist gerade dieser flüchtige Charakter der positiven Gefühle, der sie so kostbar macht. Wenn wir unser privates Leben und unsere Gruppenpraxis verbessern möchten, müssen wir diese Tatsache berücksichtigen. Wir können die positiven Gefühle nicht festhalten, wir können aber darauf hinarbeiten, Gefühle von Verbundenheit, Leichtigkeit und kreativer Energie immer öfter und immer intensiver zu empfinden. Die buddhistische Philosophie warnt uns davor, uns allzu sehr an die Dinge zu binden. Statt uns anzuklammern, sollen wir häufiger uns selbst und anderen Gutes tun, sodass wir immer mehr positive Erfahrungen machen. Es gibt nämlich so etwas wie einen Positivitätsquotienten. Damit bezeichnen wir das Verhältnis zwischen positiven Erlebnissen und leidvoll erlebter Negativität.

Unser Positivitätsquotient spiegelt das Verhältnis zwischen positiven und negativen Erlebnissen im selben Zeitraum (P:N). Wenn wir mehr negative Erfahrungen machen als positive, beginnt eine Abwärtsspirale. Wir erleben dann die Welt als immer enger, rigider und negativer. Unsere Kreativität nimmt ab, was sich lähmend auf unser Leben, privat wie in der Gruppe, auswirkt. Wenn wir dagegen mehr positive Erfahrungen machen als negative, dann beginnt in der Regel eine Aufwärtsspirale. Entwicklung wird möglich, wir fühlen uns lebendig und kreativ, wir öffnen uns dem Leben und der Welt.

Wir müssen also in unseren Gruppen sehr darauf achten, in welche Richtung die Entwicklung geht. Denn keine Gruppe ist statisch. Wir haben oft die Illusion, dass wir die Dinge in einer permanenten Balance halten können, doch das ist nicht möglich, da alles ständig in Bewegung ist. Der Positivitätsquotient ist ein Indiz dafür, ob eine Gruppe lernt, sich entwickelt und kreativ ist oder ob sie stagniert und Feindseligkeit und Depression ihr Klima bestimmen.

Wenn eine Gruppe sich positiv entwickelt, dann fühlen die Teilnehmer sich nicht nur bei der gemeinsamen Arbeit wohl, sie verhalten sich auch außerhalb anders. Sie engagieren sich in ihren Familien, bei der Arbeit, in der Politik und in Vereinen. Das Gefühl, dass ihr Leben einen Sinn hat, inspiriert sie, mehr zu tun als nur ihrem privaten Egoismus zu dienen. Sie sind den anderen Menschen zugewandt und verhalten sich altruistisch.

Ende der 90er Jahre entwickelte die amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson eine neue Theorie zur Funktion positiver Gefühle und Gedanken im menschlichen Leben. Ihr war aufgefallen, dass negative Emotionen unser Verhalten stark einschränken, während positive Emotionen das Gegenteil bewirken: Sie vergrößern unser kognitives Feld, verbreitern unsere Perspektive und öffnen unser Bewusstsein für neue Ideen. (Freude z. B. weckt unsere Spiellust und Kreativität; Neugier beflügelt unseren Forschergeist und unsere Lust am Lernen; das Gefühl der Verbundenheit regt uns an, den Augenblick zu genießen und unsere Einheit mit der Welt zu spüren.)

Positive Gefühle schließen unseren Geist auf. Aber sie öffnen nicht nur unseren Intellekt, sondern auch unser Herz und unsere Kreativität; sie machen uns empfänglich und in einem gewissen Maß sogar weise.

Barbara Fredrickson entdeckte, dass sich positive und negative Gefühle auf verschiedenen Zeitebenen auswirken. Während negative Emotionen dem Schutz unseres Lebens, also kurzfristigen Zielen dienen, geht es bei den positiven Emotionen um langfristige Ziele: Sie helfen uns, Ressourcen, Fähigkeiten und Charakterstärken zu entwickeln, auf die wir zurückgreifen können, wenn wir vor Schwierigkeiten oder Herausforderungen stehen.

Für unsere Gruppenpraxis ergibt sich aus diesen Erkenntnissen Folgendes: Wenn wir dafür sorgen, dass unsere Teilnehmer häufiger positive Emotionen und Gedanken erleben, dann werden sie angeregt, eine offene Geisteshaltung einzunehmen, sie werden neugieriger und risikobereiter. Dadurch versetzen wir sie in die Lage, ein genaueres Bild von der Welt zu entwickeln.

Eine positive Perspektive öffnet unser Herz und unseren Geist. Sie macht uns neugierig auf neue Beziehungen und neues Wissen. Negative Gefühle und Gedanken schränken dagegen unser Erleben ein. Wenn wir uns schlecht fühlen, haben wir keine Lust zu lernen, wir verschließen uns und geben uns mit dem Status quo zufrieden.

Im Rückblick können wir die Weisheit der Evolution erkennen: Gute Gefühle gaben unseren Vorfahren eine breite Perspektive und weckten ihr Interesse an der Umwelt. Das half ihnen, Ressourcen für die Zukunft zu entwickeln, physische, soziale, intellektuelle und psychologische. Gute Gefühle versetzten unsere Vorfahren außerdem in eine kontemplative und lernbereite Stimmung; weil sie sich sicher und zufrieden fühlten, konnten sie auch komplizierte Gefühle herausbilden wie Staunen, Inspiration und Dankbarkeit. Sie schufen die ganze Skala positiver Gefühle, von denen wir heute profitieren. So waren sie in der Lage, die Kultur zu entwickeln.

Damit die positiven Gefühle in unserem Leben und unseren Gruppen Raum gewinnen, müssen wir also darauf achten, dass die Mischung stimmt, das Verhältnis zwischen freudigen, herzerwärmenden Erlebnissen auf der einen und den bedrückenden, negativen auf der anderen Seite. Barbara Fredrickson ist zu der Überzeugung gelangt, dass dieses Verhältnis mindestens 3:1 sein sollte. Das bedeutet: Für jedes traurige oder ärgerliche Erlebnis benötigen wir drei positive emotionale Erfahrungen, die uns wieder aufrichten. Diese Mischung erlaubt es uns zu wachsen, zu lernen und produktive soziale Bindungen einzugehen.

Positive Gefühle in Gruppen
und im privaten Leben

Eine positive Lebensperspektive entwickelt sich nur auf der Grundlage von positiven Gefühlen und Gedanken. Im Folgenden soll eine Reihe positiver Gefühle skizziert werden, die wir im Alltag und auch in unseren Gruppen besonders häufig erleben.

Positive Emotionen werden von verschiedenen Menschen sehr individuell erlebt und interpretiert, da sie nur zum Teil von äußeren Ereignissen abhängen. Sie beziehen ihre geheimnisvolle Energie aus der biologischen und emotionalen Lebensgeschichte des Einzelnen. Dieser individuelle Charakter der Gefühle macht unsere Arbeit als Gruppenleiter interessant aber auch kompliziert: Was den einen Teilnehmer inspiriert, langweilt vielleicht den anderen. Darum müssen wir darauf achten, dass unsere Spiele und Übungen vielfältig und variationsreich sind. In der konkreten Situation müssen wir oft schnell entscheiden. Dann ist unsere Intuition unser bester Berater.

Wenn wir im Folgenden zehn verschiedene Typen positiver Gefühle vorstellen, dann sollten Sie an Ihr eigenes Leben denken und sich fragen:

Beim Umgang mit positiven Gefühlen ist Folgendes zu beachten: Wir sollten die Begriffe flexibel und behutsam gebrauchen, sozusagen mit leichter Hand, denn ihre Bedeutung ist eher unscharf. Sie haben eine poetische Qualität und entziehen sich daher einer strengen Analyse. Ihr Zauber liegt gerade in ihrer Flüchtigkeit, in ihrer Fragilität. Während Ärger zum Beispiel ein sehr robustes Gefühl ist, so ist Freude eine zarte und störbare Empfindung. Sie fordert den Dichter in uns heraus. Dies gilt es auch in der Gruppenarbeit zu beachten. Wenn das geschieht, dann können alle diese zarten, positiven Emotionen eine erstaunliche Kraft entfalten.

FREUDE – Dieses Gefühl hat etwas Tänzerisches und Leichtes. Wenn wir uns freuen, leuchten die Farben in unserer Umgebung intensiver und auch Klänge und Düfte bekommen eine größere Intensität. Wir bewegen uns leichtfüßig, wir sind kontaktfreudig und neugierig.

Unsere GruppenteilnehmerInnen freuen sich, wenn sie zueinander Kontakt finden, miteinander spielen, sich gegenseitig anregen und unterstützen. Wir sollten uns daher darum bemühen, in unseren Gruppen eine Kultur der Freude ins Leben zu rufen. Die dadurch ausgelösten Impulse lassen den Einzelnen und die Gruppe insgesamt wachsen und kreativ werden. Freude weckt unsere Lust am Leben, unsere Vitalität und Genussfähigkeit.

DANKBARKEIT – Dieses Gefühl stellt sich ein, wenn wir etwas Schönes erleben und dies als wertvolles Geschenk empfinden. Manchmal entdecken wir die Schönheit unserer alltäglichen Umgebung, die wir bisher für selbstverständlich gehalten haben und uns wird bewusst, dass es sich auch dabei um ein Geschenk handelt. Dankbarkeit öffnet unser Herz und weckt in uns die Bereitschaft, etwas zurückzugeben, unseren Beitrag zu leisten, dass die Welt besser und schöner wird. Besonders intensiv erleben wir Dankbarkeit gegenüber Personen, die uns etwas Gutes getan haben. Echte Dankbarkeit wird spontan und frei empfunden. Sie ist ein warmes Gefühl, in dem sich Freude und Wertschätzung mischen.

Dankbarkeit ist eine Emotion, die auch für die Gruppenarbeit große Bedeutung hat. Im Alltag unserer stark individualistischen Kultur kommt dieses Gefühl meist zu kurz. Wenn wir den Teilnehmern Gelegenheit geben, einander Dankbarkeit auszudrücken, dann stärken wir damit den Zusammenhalt der Gruppe. Außerdem ist Dankbarkeit ein gutes Mittel gegen Depressionen und sie bringt uns dazu, uns freundlich und hilfsbereit zu verhalten. Wenn wir uns also Gruppen wünschen, die von Freundlichkeit, Kooperation und Hilfsbereitschaft geprägt sind, dann sollten wir den Teilnehmern Gelegenheit geben, das Gefühl der Dankbarkeit zu kultivieren.

HEITERKEIT – Dieses Gefühl entsteht, wenn wir uns sicher und geborgen fühlen und etwas tun, was uns inspiriert. Heiterkeit ist ein meditativer Zustand, der es uns gestattet, den Augenblick zu genießen. Oft steht dieses Gefühl mit anderen positiven Gefühlen in Verbindung, mit Freude, Stolz und Staunen. Heiterkeit ist ein typisches «buddhistisches» Gefühl. Wir brauchen nicht viel, um zufrieden und dankbar den Augenblick zu genießen. Wenn wir heiter gestimmt sind, regenerieren wir uns physisch und emotional. Heiterkeit und Glück liegen dicht beieinander. Nur die Gegenwart zählt. Vergangenheit und Zukunft treten in den Hintergrund. Wenn wir unseren Teilnehmern zu diesem Gefühl verhelfen wollen, dann können wir auf die Meditation zurückgreifen. Wenn wir meditieren, öffnet sich unser Herz und unsere Gedanken kommen zur Ruhe.

INTERESSE – Wir empfinden Interesse, wenn unsere Neugier geweckt und unsere Aufmerksamkeit angelockt wird. Dann möchten wir den Dingen auf den Grund gehen. Unser Interesse wird wach, wenn wir die Chance auf Veränderung erkennen. Wenn dieses Gefühl stark ist, dann erleben wir sogar Faszination. Dann lockt uns unser Forschergeist in unbekannte Regionen. Das kann ein schmaler Pfad im Wald sein, dem wir nachgehen wollen, das kann eine handwerkliche Tätigkeit sein, die wir erlernen möchten oder ein Buch zu einem Thema, das uns fesselt.

Interesse ist ein wichtiger Motor für Lern-, Arbeits- und Therapiegruppen. Die Voraussetzung dafür ist, dass sich die Teilnehmer in der Gemeinschaft der Gruppe geborgen fühlen können. Dann sind sie bereit, sich auf geistiges und emotionales Neuland zu begeben, zu lernen und zu wachsen.

Für unsere Gruppenpraxis bedeutet das, dass wir bereit sein müssen zu improvisieren. Wenn wir allzu schematisch vorgehen, dann stirbt die Neugier und mit ihr das Interesse. Von uns als Gruppenleiter erfordert dies eine gewisse Risikobereitschaft. Auch wir müssen etwas wagen und nicht nur unserer Erfahrung folgen, sondern auch unserer Intuition. Interessierte und neugierige Teilnehmer haben wir vor allem dann, wenn wir auch als Leiter neugierig und interessiert sind.

HOFFNUNG – Die meisten positiven Gefühle gedeihen am besten in einem sicheren und harmonischen Kontext, nicht so die Hoffnung. Wenn alles wie gewünscht verliefe, dann wäre dieses Gefühl ja überflüssig. Hoffnung ist vor allem dann wichtig, wenn nicht alles glatt geht, wenn unser Leben von Unsicherheit überschattet wird. Hoffnung brauchen wir vor allem in jenen Augenblicken, wenn wir in Versuchung sind aufzugeben. Krankheit, Arbeitslosigkeit und der Verlust des Partners gehören heute zu den häufigsten Bedrohungen, für die wir Hoffnung brauchen.

Wer hofft, vertraut darauf, dass eine Veränderung zum Besseren möglich ist. Hoffnung hilft uns nach Lösungen zu suchen, kreativ zu sein und unsere emotionalen Reserven zu nutzen. Als einziges Lebewesen wissen wir, dass unser Leben endlich ist und dass wir sterben müssen. Daher ist Hoffnung für uns so wichtig.

Auch in unseren Gruppen ist Hoffnung ein bedeutsames Gefühl. Besonders wenn einzelne Teilnehmer oder die ganze Gruppe eine Krise zu bewältigen haben, brauchen alle Beteiligten die Kraft der Hoffnung, um das Bild einer besseren Zukunft entwerfen zu können. Und nicht zuletzt ist Hoffnung wichtig für die Motivation von Leitern und Teilnehmern. Wenn wir hoffen, sagen wir uns:

STOLZ – Stolz ist ein Gefühl, das uns weit tragen kann. Es steht in enger Verbindung mit unserer Selbstachtung. Wenn ich mir dieses mächtige Gefühl gönne, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch schwierige Aufgaben bewältigen kann. Wenn wir wissen, dass wir etwas gelernt oder etwas erreicht haben, dann sind wir stolz darauf. In der Regel sind wir auf solche Dinge stolz, die auch von anderen geschätzt werden. Wenn wir erfolgreich waren, dann haben wir das Bedürfnis, andere darüber zu informieren und sie an unserer Freude teilhaben zu lassen. Stolz ist der Brennstoff für unsere Leistungsmotivation. Stolz ist oft an die tatsächliche oder vorgestellte Zustimmung unserer Eltern gebunden. Wir können unsere Erfolge besser genießen, wenn wir uns sicher sind, dass auch die Eltern auf uns stolz sind.

Als Gruppenleiter werden wir alles tun, damit unsere Teilnehmer stolz auf sich sein können. In vielen Gruppen erwarten die Teilnehmer von uns Unterstützung in schwierigen Situationen. Wer in der Klemme steckt, dessen Selbstachtung ist fragil. Gerade dann ist es entscheidend, den Selbstrespekt des Betreffenden nicht noch weiter zu beschädigen. Als Gruppenleiter werden wir uns bemühen, dieses wertvolle Gefühl zu beschützen und mit frischer Energie zu versorgen. Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an Stolz, um eine Krise zu überstehen.

In allen therapeutischen Lern- und Arbeitsgruppen sollten die Teilnehmer auf ihre Gruppe stolz sein können. Sie müssen spüren, dass ihre Gruppe etwas Besonderes ist, attraktiv und liebenswert. Von Zeit zu Zeit sollte Stolz daher «inszeniert» werden. Wir werden also nach Möglichkeiten suchen, den Stolz des Einzelnen bzw. den Stolz auf die Gruppe mit unseren TeilnehmerInnen zu feiern.

VERGNÜGEN – Die mit diesem Begriff verbundenen Gefühle sind für uns als Gruppenleiter nicht leicht zu handhaben. Was können wir tun, um das Bedürfnis unserer Teilnehmer nach Komik, Humor und Lachen zu befriedigen? Humor kann blitzschnell eine emotionale Verbindung zwischen den Teilnehmern herstellen. Er hat die Kraft, Anstrengungen und Spannungen aufzulösen und eine tiefe physische und emotionale Entspannung herbeizuführen. Als Gruppenleiter müssen wir beachten, dass heilsames Lachen immer ein Lachen über uns selbst ist, über Freudsche Versprecher, über chronische Fehler oder über regressives Verhalten. Über sich selbst lachen zu können, hat etwas Beruhigendes, denn es bekräftigt unser Recht, nicht perfekt sein zu müssen. Und diese Haltung grenzt an eine Charakterstärke, die in der buddhistischen Tradition hoch geschätzt wird, nämlich Weisheit. Als Gruppenleiter werden wir daher nicht künstlich Situationen schaffen, in denen gelacht werden kann, sondern darauf achten, dass die Komik einer Situation erkannt wird. Außerdem werden wir versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem wir hin und wieder über uns selbst lachen.

INSPIRATION – Wenn wir Inspiration erleben, dann empfinden wir Begeisterung, Achtung, Staunen oder Verehrung. Das ist immer der Fall, wenn wir eine besondere Leistung erleben, eine Tat, mit der ein Mensch seine besten Möglichkeiten ausschöpft. Inspiriert werden können wir, wenn wir sehen, wie ein anderer selbstlos hilft, wie jemand ein Leben rettet, wie ein Künstler eine Klaviersonate auf ungewöhnliche Weise spielt, wie ein Tennischampion elegant ein Turnier gewinnt oder wie ein Fußballspieler mit äußerster Konzentration durch ein goldenes Tor den Sieg seiner Mannschaft sichert. Wenn wir außergewöhnliche Aktionen beobachten, dann wärmt das unser Herz. Es stärkt unseren Glauben an die Menschheit und wir werden sogar dazu angeregt, unser eigenes Potenzial stärker zu nutzen, selbstlos zu handeln, unsere Talente in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und die Grenzen des Alltäglichen zu überschreiten. Zusammen mit Dankbarkeit und Ehrfurcht gehört Inspiration zu den Gefühlen, bei denen wir über uns selbst hinauswachsen.

In unseren Gruppen erleben wir Augenblicke der Inspiration, wenn wir erleben, dass ein Teilnehmer ein großes Risiko eingeht und sich z. B. dazu durchringt, einem Widersacher zu verzeihen. In solchen Augenblicken empfinden fast alle Gruppenmitglieder Rührung.

EHRFURCHT – Dieses Gefühl ist der Inspiration verwandt. Wir erleben es, wenn wir überwältigt sind von einer Leistung, von Schönheit, von der Natur oder vom ungewöhnlichen Verhalten eines Menschen wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa. Im Vergleich fühlen wir uns dann klein und demütig. Wir halten sozusagen die Luft an und sind einen Augenblick stumm. Ehrfurcht kann auch negative Empfindungen wie Angst auslösen – nicht zufällig steckt ja das Wort Furcht darin. Militärparaden und die Reden von Diktatoren wollen dieses Gefühl in uns hervorrufen, eine Mischung aus Respekt und ängstlichem Gehorsam. Doch die Ehrfurcht, von der wir hier sprechen, ist eine Bewunderung, die frei ist von Angst.

Ehrfurcht können wir auch erleben, wenn wir z. B. Biografien bedeutender Menschen oder Bücher über historische Leistungen lesen.

LIEBE – Alle Gefühle, die wir vorher genannt haben, wecken positive Assoziationen und Gedanken in uns. Sie alle können Bestandteil des großen Gefühls der Liebe sein.

Am Anfang einer Liebesbeziehung sind wir fasziniert und interessiert an allem, was der geliebte Mensch sagt oder tut. Es fällt uns leicht, in der Gegenwart der/des Geliebten Vergnügen zu empfinden und gemeinsam mit ihr/ihm zu lachen. Wenn die Beziehung sich entwickelt und wir die Klippen der Fremdheit überwinden, dann empfinden wir Freude und Glück. Oft schmieden wir Pläne für die Zukunft und teilen mit dem anderen unsere Hoffnungen und Träume. Wenn die Beziehung reifer und stabiler wird, dann genießen wir das Gefühl der Heiterkeit, das im Schutz liebevoller Stabilität gedeihen kann. Wir empfinden Dankbarkeit für die Freuden der Liebe, und wir sind stolz auf die eigenen Erfolge und die Erfolge des Partners. Von Zeit zu Zeit fühlen wir uns durch die Qualitäten des Partners inspiriert, und manchmal empfinden wir sogar Ehrfurcht vor der Großzügigkeit des Universums, die uns das Geschenk der Liebe gemacht hat.

Dieser kurze Überblick zeigt, dass positive Gefühle in ganz verschiedenen Spielarten auftreten. Alles, was uns im Leben anspricht, was uns gefällt, was uns erstrebenswert scheint, ist von positiven Gefühlen imprägniert. Gleichwohl ist das Positive empfindlich und störbar. Freude, Heiterkeit oder Inspiration – all das kann im Handumdrehen zerstört werden. Ob wir etwas als positiv empfinden oder nicht, das hängt entscheidend davon ab, wie wir denken, wie wir Ereignisse, Worte und Ideen interpretieren. Wenn wir uns die Zeit nehmen, das Erfreuliche, Schöne. Lebendige und Gute zu sehen, dann kann ein positives Gefühl entstehen. Und damit diese zarte Pflanze kräftiger wird, müssen wir den positiven Gefühlsimpuls wachsen lassen.

Entscheidend ist, wie wir unsere Aufmerksamkeit lenken und welche Fragen wir uns stellen. Durch die Art unserer Fragen können wir positive Gefühle sozusagen an- und abstellen. Gute Gefühle können in uns wachsen, wenn wir positive Fragen stellen:

Wenn wir uns in Ruhe mit diesen Fragen auseinandersetzen, können wir Dankbarkeit spüren und Freude, die sich vielleicht in einem Lächeln ausdrückt. Aber wir können auch ganz leicht das Positive ausschalten. Fragen, mit denen wir positive Gefühle vertreiben, sind rasch bei der Hand: Was gefällt mir im Augenblick nicht? – Was stört mich? – Was könnte anders und besser sein? – Wer hat Schuld daran? – Wo möchte ich lieber sein? – Was möchte ich lieber tun? – Worum muss ich mir Sorgen machen? Etc. Solche Fragen vertreiben die positive Stimmung mit Sicherheit. Sie sind an sich weder dumm noch unzulässig. Sie haben allein den Nachteil, dass sie Zweifel, Unsicherheit und Pessimismus erzeugen und damit negative Gefühle.

Wir benötigen eine gewisse Selbstdisziplin, um unseren Verstand nicht all das zerreden zu lassen, was unser Leben schön macht. Der Verstand hat zu Recht eine Wächterfunktion, um uns auf Gefahren aufmerksam zu machen, aber oft hat er Schwierigkeiten, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Angesichts dieser Situation kann uns die geistige Tugend der Achtsamkeit helfen. Sie kann uns darüber informieren, was in unserem Bewusstsein gerade geschieht. Dann stellen wir fest, dass unsere pessimistischen Gedanken in unserem Kopf sind und dass sie nicht die Wirklichkeit widerspiegeln.

Wir stehen also vor der paradoxen Situation, dass unsere positiven Gefühle empfindlich sind und in gewisser Weise schwächer als die robusten negativen Gefühle. Doch nur die positiven haben das Potenzial, unsere Entwicklung anzustoßen. Sie sind es, die uns geistig und emotional wachsen lassen. Darum ist die Pflege der positiven Gefühle für alle Gruppen, in denen es um Veränderung, um Wachstum und Kreativität geht, von so großer Bedeutung.

Literatur

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