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JACK KORNFIELD UND PAUL BREITER (HRSG.)

Ein stiller Waldteich

Die Erkenntnismeditation von Ajahn Chah

Mit einem Vorwort von Seung Sahn

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Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch

Jack Kornfield / Paul Breiter (Hrsg.):

Lektorat: U. Richard

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe

ISBN Print 978-3-89901-728-1
ISBN E-Book 978-3-89901-729-8

In tiefster Dankbarkeit dem Ehrenwerten
Ajahn Chah Subato gewidmet,
unserem Lehrer, geistigen Führer und Freund,
seinen vielen treuen Studenten und Schülern,
insbesondere Ajahn Sumedho,
seinen Lehrern Ajahn Tong Rath und Ajahn Mun
und den Lehrern vor ihnen,
der Jahrhunderte alten Tradition derer im Walde,
die durch ihre Einfachheit und unverfälschte Praxis
die Freiheit und Freude
in den Lehren des Buddha verwirklichten.
Und unseren Eltern,
gewidmet für ihre Fürsorge
und Unterstützung auf dem Weg.

Danksagung

Wir möchten uns für die Hilfe vieler Freunde und Lehrer bedanken, insbesondere bei dem Ehrwürdigen Ajahn Sumedho (gegenwärtig Abt des Waldklosters in Amaravati, Chithurst, England) und bei dem Ehrwürdigen Pabhakaro Bhikkhu von der Bhikkhu Sangha in Wat Pah Nanachat in Ubon, Thailand, der dieses Manuskript durchlas und Verbesserungsvorschläge machte; bei Andy Taido Cooper und Steve Ikko Bodian vom Zen Center in Los Angeles; und vor allem bei Shirley Nicholson und dem Theosophical Publishing House für ihre wertvolle Unterstützung und editorische Hilfe.

Teile aus den ›Fragen an den Lehrer‹ und dem ›Glossar‹ sind Living Buddhist Masters von Jack Kornfield entnommen und wurden mit Erlaubnis der Prajna Press von Shambhala Publications, Boston, Massachusetts, nachgedruckt. ›Das Leben eines Mönches‹ und ›Nicht-Selbst‹ stammen aus dem Film The Mindful Way, produziert und ausgestrahlt von der British Broadcasting Corp. in London, England, und werden mit deren Genehmigung benutzt.

Inhalt

Vorwort

Einführung

I

Die Lehren des Buddha verstehen

II

Unsere Ansichten korrigieren

III

Unser Leben ist unsere Praxis

IV

Meditation und formale Praxis

V

Lektionen im Wald

VI

Fragen an den Lehrer

VII

Erkenntnis

Nachwort zur deutschen Ausgabe

Glossar

Versuche, achtsam zu sein,
und laß die Dinge
ihren natürlichen Lauf nehmen.
Dann wird dein Geist in jeder Umgebung
still werden wie ein klarer Waldteich.
Alle Arten wunderbarer und seltener Tiere
werden zu dem Teich kommen,
um zu trinken,
und du wirst die Natur aller Dinge
klar erkennen.
Du wirst viele eigenartige
und wunderbare Dinge kommen
und gehen sehen, doch du wirst unbewegt sein.
Dies ist die Glückseligkeit des Buddha.

Ajahn Chah

Vorwort

Es ist mir eine Freude, dieses Vorwort zum Buch meines Dharmafreundes Ajahn Chah zu schreiben.

Wir leben heute in einem sehr interessanten Zeitalter. Im Westen studieren Menschen Yoga, Karate, Meditation – Dinge aus dem Osten. Im Osten studieren Menschen Wissenschaft, Handel, westliche Kunst und Philosophie – Dinge aus dem Westen. Wir leben in einer Zeit, wo Yin und Yang sehr schnell wechseln. Wenn du also an irgendeiner Vorstellung festhältst – was östlich, was westlich ist, wie die Dinge sind, wie die Dinge sein sollten –, wenn du überhaupt irgendeine Vorstellung oder Meinung hast, dann wirst du ein Problem haben: du kannst mit dieser Welt nicht in Verbindung sein. Wenn du jedoch alles aufgibst, all deine Vorstellungen, alle Meinungen, dann befindet sich die Wahrheit direkt vor deinen Augen – der Himmel ist blau, der Baum ist grün, Zucker ist süß, Salz ist salzig. Der Hund bellt: wau, wau! Der Hahn kräht: kikeriki! Wenn du hungrig bist, iß; wenn du müde bist, schlaf. Ein hungriger Mensch kommt – du kannst ihm Essen geben. Ein durstiger Mensch kommt – du kannst ihm etwas zu trinken geben. Das ist alles! Das ist genug! Das ist Buddhismus – sonst gar nichts.

Ajahn Chah sagt: »Leute sind wie Wasserbüffel – wenn sie nicht mit allen vier Beinen festgebunden sind, werden sie es nicht zulassen, daß man ihnen Arznei verabreicht ... In gleicher Weise müssen die meisten von uns sehr starken Leidensdruck empfinden, bevor sie loslassen und ihre Verblendung aufgeben. Solange wir uns noch irgendwie herauswinden können, werden wir nicht nachgeben. Einige wenige Menschen können das Dharma verstehen, wenn ein Lehrer es sie lehrt und ihnen erklärt. Doch das Leben muß die meisten von uns den gesamten Weg bis zum Ende lehren.« Das ist eine wundervolle Äußerung, vollkommen richtig!

Ajahn Chah ging einmal im »Insight Meditation Center« an einigen Studenten vorbei, die auf dem Rasen langsame Gehmeditation übten. Er bemerkte, das Meditationszentrum gleiche einer Nervenheilanstalt für die Krankheiten des weltlichen Geistes. Während des gesamten Nachmittags rief er ihnen beim Vorbeigehen immer wieder zu: »Gute Besserung, ich hoffe, ihr werdet bald gesund.« Auch das ist eine sehr wundervolle Äußerung.

Er sagt: »He, hört mal zu. Es gibt niemanden hier, nur dies. Kein Eigentümer; keiner, der alt, jung, gut oder schlecht ist, schwach oder stark... Keiner, der geboren wird, und keiner, der stirbt... Wenn wir eine Last tragen, ist sie schwer. Wenn es niemanden gibt, der sie trägt, gibt es kein einziges Problem auf der Welt.« Das ist der Wahre Weg.

Ajahn Chah erzählte einmal eine gute Zengeschichte: »Im Zen-Koan über die Fahne im Wind beobachten zwei Leute eine Fahne: Der eine meint, es sei der Wind, der sich bewegt; der andere meint, es sei die Fahne. Sie können sich ewig streiten, Stöcke nehmen und es ausfechten – ohne Ergebnis. Denn es ist der Geist, der sich bewegt.« Das ist richtig. Wichtig ist: Wenn es keinen Geist gibt, gibt es auch kein Problem. Wo kommt also der Geist her? Wer hat ihn gemacht?

Der große Meister Ajahn Chah ist ein lebendiges Beispiel für den großen Weg, für wahrhaftiges, rechtes Leben. Ich hoffe, durch dieses Buch findest du deinen wahren Weg, findest Erleuchtung und hilfst damit allen Wesen, ihr Leiden zu beenden.

Zen Meister Seung Sahn
Providence Zen Center

Einleitung

Nimm einmal an, du reist in das moderne Asien von heute, auf der Suche nach den lebendigen Lehren des Buddha, um herauszufinden, ob sich dort noch Mönche und Nonnen in einem Leben der Einfachheit und der Meditation üben, unterstützt von Almosen und im Wald lebend. Vielleicht hast du Beschreibungen über den Buddha gelesen, wie er mit seinen Mönchen die Wälder Indiens durchstreifte, wie er Männer und Frauen aus guten Familien dazu bewegte, sich ihm anzuschließen, um Weisheit und universales Mitgefühl zu entwickeln, und wie er sie einlud, das einfache Leben eines Almosengängers zu leben und sich der Praxis der inneren Ruhe und Aufmerksamkeit zu widmen. Wirst du diesen Lebensstil heute, zweieinhalb Jahrtausende später, noch vorfinden? Und sind diese Lehren noch anwendbar und relevant für unsere moderne Gesellschaft, unseren modernen Geist?

Bei deiner Reise landest du auf einem modernen Flughafen in der Nähe von Bangkok, Colombo oder Rangun. In einem Taxi fährst du durch die Straßen asiatischer Städte, an Autos vorbei, an überfüllten Bussen und Straßenverkäufern, die mit tropischen Früchten handeln. Alle paar Häuserblocks siehst du die Goldene Pagode oder die Spitze eines buddhistischen Stadttempels. Aber dies sind nicht die Tempel, nach denen du suchst. Sie beherbergen Mönche und Nonnen, die die alten Texte studieren, sie rezitieren und predigen können und sie schließlich lehren. Aber um das einfache Waldleben zu finden, das meditative Leben mit Gewand und Schale, so alt wie der Buddha selbst, mußt du das Stadtleben und seine Tempel weit hinter dir lassen. Nimm an, du bist in Thailand, dem Land mit der größten Anzahl von Klöstern und Mönchen, so besteigst du einen Zug auf dem geschäftigen Bahnhof Hualampong und fährst früh am Morgen in Richtung der Provinzen des abgelegenen Südens oder Nordostens.

Die erste Stunde der Reise führt dich allmählich außerhalb des Stadtgebietes, weg von den Häusern, den Geschäften und den Hütten entlang der Bahnlinie. Die weite Ebene von Zentralthailand zieht an dir vorbei, die grüne Reisschüssel Südostasiens. Kilometer um Kilometer Reisfelder, schachbrettartig durch kleine Dämme zwischen den Feldern in Parzellen unterteilt und rhythmisch durch Kanäle und Wasserwege getrennt. Am Horizont dieses Reismeeres siehst du alle paar Kilometer an vier oder fünf Stellen inselartige Gebilde – dichte Gruppierungen von Palmen und Bananenstauden. Falls dein Zug nahe genug an diesen Palmeninseln vorbeirollt, siehst du den Lichtschein eines Klosters mit orangefarbigem Dach und eine Ansammlung von Holzhäusern auf Stelzen – ein typisch südostasiatisches Dorf.

Jedes bewohnte Dorf, ob nun mit 500 oder 2000 Einwohnern, hat wenigstens ein Kloster. Es dient als Ort für Gebete, Zeremonien, Versammlungen, und viele Jahre lang diente es auch als Dorfschule. Hier ist der Ort, wo sich die meisten jungen Männer des Dorfes im Alter von zwanzig Jahren für ein Jahr oder drei Monate ordinieren lassen, um so viel über die Wege des Buddha zu lernen, daß sie zu vollwertigen Mitgliedern ihrer Gesellschaft heranreifen. Das Kloster wird wahrscheinlich von älteren, einfachen und gutmütigen Mönchen geleitet, die einige der klassischen Texte studiert haben und genug über die Zeremonien und grundlegenden Lehren wissen, um als Dorfpriester fungieren zu können. Dieses Kloster ist ein integraler und schöner Teil des Dorflebens; aber es ist nicht das Kloster, nach dem du Ausschau hältst.

Dein Zug bewegt sich gen Norden, der alten Hauptstadt Ayutthaya zu, die reich an Ruinen großartiger Tempel und zusammengefallener Paläste ist, die vor Jahrhunderten während der periodischen Kriege mit benachbarten Königreichen geplündert wurden. Der Geist dieser großartigen Ruinen ist in den enormen Steinbuddhas erhalten geblieben, die unerschütterlich den Jahrhunderten widerstanden haben.

Jetzt begibt sich dein Zug nach Osten auf die lange Fahrt zur laotischen Grenze über das Plateau von Korat. Stunde um Stunde zieht das Land an dir vorbei. Du siehst immer noch Reisfelder und Dörfer, aber diese werden allmählich spärlicher und ärmer. Die Kanäle und die üppigen Gärten zentralthailändischer Dörfer, die Mangobäume und das tropische Grün verwandeln sich in eine einfachere Landschaft. Die Häuser sind kleiner, die Dorfklöster schimmern immer noch hervor, aber auch sie sind kleiner und einfacher. Hier ist eine ältere, selbstgenügsamere Lebensart erhalten geblieben. Man kann sehen, wie Frauen in ihren überdachten Hauseingängen an Handwebstühlen sitzen und Decken weben, während Bauern auf ihren Reisfeldern arbeiten und Kinder Wasserbüffel in nassen Gräben entlang den Eisenbahnschienen hüten.

Die ländliche Gegend in diesen wenig entwickelten Provinzen enthält viel von dem, was von der Tradition der Waldmönche und -nonnen erhalten geblieben ist. Hier gibt es noch Waldgebiete und Dschungel, kleine, dicht bewachsene Berge und unbewohnte Grenzregionen. Und viele Jahrhunderte lang haben die hier lebenden Menschen jene Waldmönche und Klöster unterstützt, die sich der Erhaltung und Verwirklichung der Lehren Buddhas gewidmet haben. Zum überwiegenden Teil sind diese Mönche nicht als Dorfpriester tätig, sie lehren auch nicht in der Schule, weder studieren sie, noch bewahren sie die Sprache der alten aufgezeichneten Schriften. Ihre Absicht ist, ihr Leben voll auszuschöpfen und in ihrem eigenen Herzen die Erkenntnis und den inneren Frieden zu verwirklichen, so wie es der Buddha gelehrt hat.

Wenn du den Zug verläßt und dich mit dem Bus oder Mietwagen auf einer holprigen Straße zu solch einem Kloster auf den Weg begibst – einem von Dutzenden in Nordostthailand, was findest du? Sind die Lehren und die Art der Praxis für unsere heutige Zeit noch von Bedeutung? Entspricht das Erkenntnis- und Achtsamkeitstraining den Bedürfnissen derjenigen, die aus einer modernen und komplexen Gesellschaft kommen? Du wirst entdecken, daß viele Besucher aus dem Westen bereits vor dir da waren. Seit 1965 sind Hunderte von Europäern und Amerikanern wie du zu Besuch gekommen, um im Wald zu lernen. Einige kamen, um für einen kurzen Zeitraum zu studieren, und kehrten dann nach Hause zurück, um das Gelernte in ihr tägliches Leben zu integrieren. Andere kamen, um sich eingehender als Mönche für ein, zwei oder mehr Jahre zu schulen, und kehrten danach nach Hause zurück. Eine dritte Gruppe von Menschen betrachtete das Waldleben als eine fruchtbare und notwendige Lebensweise, und sie leben noch heute in den Klöstern.

All diese Menschen sind von den Lehren, die eine weise und bewußte Art zu leben aufzeigen, direkt im Herzen angesprochen worden. Zuerst mag der Weg fast leicht erscheinen, trügerisch einfach. Wenn man jedoch versucht, den Weg des Buddha in die Tat umzusetzen, entdeckt man, daß es nicht so leicht ist. Trotz der Anstrengung, die nötig ist, fühlen diese Menschen dennoch, daß nichts wertvoller ist, als im eigenen Leben das Dharmal oder die Wahrheit zu entdekken.

Von dem Moment an, da du ein Waldkloster wie Wat Pah Pong betrittst, spürst du den Geist der Übung. Da ist die Stille der raschelnden Bäume, und da sind die ruhigen Bewegungen der Mönche, die ihre täglichen Arbeiten verrichten oder achtsam Gehmeditation üben. Das gesamte Kloster erstreckt sich über vierzig Hektar, unterteilt in Sektionen für Mönche und Nonnen. Die einfachen, schmucklosen Hütten schmiegen sich in großem Abstand voneinander in kleine Waldlichtungen, so daß es zwischen ihnen Bäume und ruhige Pfade gibt. Im Zentrum des Wats befinden sich das Hauptlehrgebäude, der Speisesaal und eine kleinere Halle für Ordinationen. Die ganze Waldlage verstärkt die Atmosphäre von Einfachheit und Entsagung. Du fühlst, daß du endlich angekommen bist.

Die Mönche, die in solchen Klöstern leben, wollen dieser unkomplizierten und disziplinierten Art der Praxis, die Dhutanga heißt, folgen. Die Tradition der Waldmönche, die sich freiwillig dazu entschließen, einem ganz einfachen Lebensstil zu folgen, geht auf den Buddha selbst zurück, der für diese Mönche zusätzlich einen Kodex von dreizehn besonderen Regeln einführte, der Roben, Essen und Behausung der Mönche einschränkt. Wenig Besitz, viel Meditation und der Almosengang einmal am Tag sind das Herz dieses Lebensstils. Diese Art des Lebens verbreitete sich mit dem übrigen Buddhismus und erreichte auch die dichten Wälder Burmas, Thailands und Laos’, Orte voller Höhlen und unwegsamen Geländes, ideal für solch intensive Praxis. Diese asketischen Mönche waren traditionellerweise Wanderer, die allein oder in kleinen Gruppen lebten und von einem ländlichen Gebiet zum nächsten zogen und handgefertigte schirmähnliche Zelte aus Stoff benutzten, die, an Bäumen aufgehängt, als vorübergehende Bleibe dienten. Die an praktischer Umsetzung orientierten Dharmalehren aus einem der größten Waldklöster, Wat Pah Pong, und ihres Meisters Ajahn Chah sind für dieses Buch übersetzt und zusammengestellt worden, um sie dem Westen anzubieten.

Ajahn Chah und seine Lehrer, Ajahn Tong Rath und Ajahn Mun, verbrachten selbst viele Jahre des Wanderns und Meditierens in diesen Wäldern, um ihre Praxis zu entwickeln. Von ihnen und anderen Waldlehrern kommt ein Vermächtnis unmittelbarer und kraftvoller Dharmalehren, die nicht auf ritualisierten Buddhismus oder scholastisches Lernen ausgerichtet sind, sondern sich an die wenden, die ihre Herzen und ihr Verständnis läutern möchten, indem sie die Lehren Buddhas tatsächlich leben.

Als aus dieser Waldtradition große Meister hervorgingen, wurden sie von Laien und Mönchen zum Zweck der Belehrung aufgesucht. Oftmals gaben diese Lehrer ihre Wanderschaft auf, um sich verfügbar zu machen, und ließen sich in bestimmten Waldgebieten nieder, wo um sie herum ein Dhutangakloster entstand. Da das Bevölkerungswachstum in diesem Jahrhundert zugenommen hat, sind immer weniger Waldgebiete für solche Wanderer übriggeblieben, und so werden diese von vergangenen und gegenwärtigen Meistern bewahrten Waldklöster zu Wohnstätten für die meisten asketischen und praxisorientierten Mönche.

Das Kloster Wat Pah Pong entstand, als Ajahn Chah nach Jahren des Reisens und der Meditationsstudien in die Nähe seines Geburtsortes zurückkehrte, um sich dort in einem dichten Waldhain niederzulassen. Dieser Hain, von Menschen unbewohnt, war als ein Ort voller Kobras, Tiger und Geister bekannt – Ajahn Chah zufolge ein perfekter Ort für einen Waldmönch.

Aus den anfangs wenigen strohbedeckten Hütten im Wald hat sich Wat Pah Pong zu einem der größten und bestgeleiteten Klöster in Thailand entwickelt. Als immer mehr Menschen von Ajahn Chahs Geschick und Ruhm als Lehrer hörten, erhöhte sich die Anzahl der Besucher und Anhänger schnell. Auf Bitten seiner Anhänger in ganz Thailand sind über fünfzig Zweigklöster eröffnet worden, geleitet von Äbten, die von Ajahn Chah geschult worden sind (inzwischen ist die Zahl auf über hundert gestiegen, Anm. d. Ü.], einschließlich einem Kloster in der Nähe von Wat Pah Pong, das speziell für die vielen westlichen Studenten konzipiert ist, die Ajahn Chahs Lehranleitung suchen. In den letzten Jahren sind zudem mehrere Zweigklöster und assoziierte Zentren in westlichen Ländern eröffnet worden; zu erwähnen ist hier besonders das große Waldkloster von Chithurst in England, das von Ajahn Chahs ältestem westlichen Schüler, Ajahn Sumedho, geleitet wird.

Ajahn Chahs Lehren enthalten das, was ›das Herz buddhistischer Meditation‹ genannt wird, direkte und einfache Übungen, die das Herz ruhig werden lassen und den Geist für wahre Einsicht öffnen. Dieser Weg der Achtsamkeit oder der Erkenntnismeditation ist zu einer weit verbreiteten Form buddhistischer Praxis im Westen geworden. Von Mönchen und Laienanhängern gelehrt, die selbst in Waldklöstern oder Retreatzentren gelernt haben, ist er ein universaler und direkter Weg, unseren Körper, unser Herz und unseren Geist zu schulen. Er kann uns lehren, wie wir mit Gier, Furcht und Leid umgehen und den Pfad der Geduld, der Weisheit und des selbstlosen Mitgefühls erlernen können. Dieses Buch ist als Führer und Ratgeber für jene gedacht, die sich darin üben möchten.

Ajahn Chah begann seinen Übungsweg bereits in jungen Jahren und entwickelte ihn durch Jahre der Wanderschaft und der Entsagung hindurch unter der Anleitung verschiedener großer Meister der Waldtradition. Lachend erinnert er sich, wie er schon als Kind Mönch spielen wollte, während die anderen Kinder Familie spielten, und wie er mit einer vorgeblichen Almosenschale zu ihnen kam und um Bonbons und Süßigkeiten bat.

Aber sein Übungsweg war, wie er erzählte, schwierig, und die Qualitäten der Geduld und der Ausdauer, die er entwickelte, nehmen einen zentralen Platz in den Lehren ein, die er seinen eigenen Schülern gibt. Für Ajahn Chah war es als junger Mönch eine große Inspiration, daß er die letzten Tage und Wochen im Leben seines Vaters an dessen Krankenbett zubrachte, die Tatsachen von Verfall und Tod direkt vor Augen. »Wenn wir den Tod nicht verstehen«, lehrt Ajahn Chah, »kann das Leben sehr verwirrend sein.«

Aufgrund dieser Erfahrung war Ajahn Chah sehr motiviert, die Ursachen für unser weltliches Leiden zu entdecken sowie die Quelle von Frieden und Freiheit, wie sie der Buddha lehrte. Wie er selbst schilderte, hielt er nichts zurück, gab alles für das Dharma, die Wahrheit auf. Er durchlebte viel Mühsal und Leid, Zweifel aller Art als auch körperliche Krankheit und Schmerz. Dennoch blieb er im Wald und saß – saß und beobachtete –, und auch wenn es Tage gab, an denen er nichts als weinen konnte, brachte er das in seine Praxis, was er die ›Qualität der Unerschrockenheit‹ nennt. Aus dieser Verwegenheit erwuchsen schließlich Weisheit, ein freudiger Geist und eine geradezu unheimliche Fähigkeit, anderen zu helfen.

Die Lehren in diesem Buch, spontan in Thai und Laotisch gegeben, reflektieren diesen freudigen Geist der Praxis. Ihr Geschmack ist zweifellos monastisch, an die Gemeinschaft jener Männer gerichtet, die dem weltlichen Leben entsagt haben, um sich Ajahn Chah und einem Leben im Wald anzuschließen. Daher wird zumeist von ›er‹ statt von ›er oder sie‹ gesprochen, und die Betonung liegt eher auf den Mönchen (eine aktive Gemeinschaft von Waldnonnen existiert aber auch) als auf den Laienanhängern. Dennoch ist die hier ausgedrückte Qualität des Dharmas unmittelbar und universell, passend für jeden und jede von uns. Ajahn Chah spricht die grundlegenden menschlichen Probleme von Gier, Furcht, Haß und Verblendung an, und dringt darauf, daß wir uns dieser Geisteszustände und des realen Leids, das sie in unserem Leben und in unserer Welt verursachen, bewußt werden. Diese Lehre, die Vier Edlen Wahrheiten, ist die erste, die der Buddha gab, und sie beschreibt das Leiden, seinen Ursprung und den Weg, das Leiden zu beenden.

Erkenne, wie Anhaftung Leiden erzeugt, erklärt Ajahn Chah immer und immer wieder. Untersuche dies aufgrund deiner eigenen Erfahrung. Sieh die sich unaufhörlich ändernde Natur des Sehvermögens, des Klangs, der Wahrnehmung, des Gefühls und der Gedanken. Ajahn Chahs Anliegen ist es, daß wir die unbeständige, leidhafte und selbstlose Natur des Lebens verstehen, denn nur, wenn wir alle drei Merkmale sehen und akzeptieren, können wir in Frieden leben. Die Waldtradition arbeitet direkt mit unserem Verstehen dieser Wahrheiten und unserem Widerstand gegen sie, mit unseren Ängsten, unserem Ärger und Begehren. Ajahn Chah fordert uns auf, uns unseren geistigen Trübungen direkt zu stellen und die Werkzeuge der Entsagung, der Beharrlichkeit und des Gewahrseins zu benutzen, um sie zu überwinden. Er dringt darauf, daß wir lernen, uns nicht in unseren Stimmungen und Ängsten zu verlieren, sondern uns statt dessen selbst zu schulen, klar und direkt die wahre Natur des Geistes und der Welt zu erkennen.

Ajahn Chahs Klarheit und Freude, die Direktheit seiner Übungsweise im Wald bewirken Inspiration bei denen, die um ihn sind. In seiner Nähe zu sein erweckt den Geist des Untersuchens, des Humors, des Staunens, des Verstehens und ein tiefes Gefühl inneren Friedens. Sollte dieses Buch ein wenig von diesem Geist eingefangen haben, dann hat es seinen Zweck auf gute Weise erfüllt.

Hör also Ajahn Chah aufmerksam zu, und nimm das ernst, was er sagt, denn er lehrt Praxis, nicht Theorie, und es geht ihm um menschliches Glück und Freiheit. In den Anfangsjahren, als Wat Pah Pong viele Besucher anzuziehen begann, wurde eine Reihe von Schildern entlang des Eingangsweges aufgestellt. »Du da, der du zu Besuch kommst«, stand auf dem ersten, »sei still! Wir versuchen zu meditieren.« Auf einem anderen stand bloß: »Das Dharma zu praktizieren und die Wahrheit zu verwirklichen ist das einzig Wertvolle in diesem Leben. Ist es nicht an der Zeit, damit zu beginnen?« In diesem Sinn spricht Ajahn Chah direkt zu uns, er lädt uns dazu ein, unser Herz zur Ruhe kommen zu lassen und die Wahrheit des Lebens zu erforschen. Ist es nicht Zeit, daß wir beginnen?

ERSTER TEIL

Die Lehren des Buddha verstehen

Ajahn Chah fordert uns auf, unsere Praxis einfach und direkt mit dem Verständnis zu beginnen, daß die Wahrheiten des Buddha vom Leiden und der Befreiung vom Leiden genau hier, innerhalb unseres eigenen Körpers, Herzens und Geistes, erkannt und erfahren werden können. Der Achtfache Pfad, so sagt er uns, ist nicht in Büchern oder Schriften zu finden, sondern kann in der Funktionsweise unserer eigenen Sinneswahrnehmungen entdeckt werden, unserer Augen, Ohren, Nase, Zunge, unseres Körpers und Geistes. Diese auf eine unmittelbare und wachsame Art zu studieren und unsere Achtsamkeit immer mehr zu verfeinern bildet den Pfad der Erkenntnis, den der Buddha vorgeschrieben hat. Er ist von jenen Mönchen, Nonnen und Laienanhängern all die Jahrhunderte hindurch am Leben gehalten und befolgt worden, die sich inspiriert fühlten, sich ganz der Praxis hinzugeben. Ajahn Chah spricht als ein zeitgenössischer Repräsentant dieser alten Lehren. Seine Weisheit und Meisterschaft sind nicht durch Studium oder Tradition entstanden, sondern aus Jahren der Praxis, und sie sind aus seinem unermüdlichen Bemühen heraus geboren, durch Meditation das Herz ruhig werden zu lassen und den Geist zu erwecken. Seine eigene Praxis wurde durch die Weisheit verschiedener großer Meister der Waldtradition, die eine Generation vor ihm lebten, inspiriert und geleitet. Und er lädt uns ein, ihrem und seinem Beispiel zu folgen.

Schau, was deine Welt ausmacht – die sechs Sinne, die Prozesse des Körpers und Geistes. Diese Vorgänge werden durch Prüfung und fortlaufende Schulung der Aufmerksamkeit deutlich werden. Nimm beim Beobachten wahr, wie flüchtig und unbeständig jedes der in Erscheinung tretenden Sinnesobjekte ist. Du wirst deine konditionierte Neigung sehen, diese wechselnden Objekte zu ergreifen oder ihnen Widerstand zu leisten. Hier, lehrt Ajahn Chah, ist der Punkt, einen neuen Weg zu erlernen, den Pfad der Balance, den Mittleren Weg.

Ajahn Chah drängt uns, unsere Praxis nicht als abgehobenes Ideal zu begreifen, sondern mit ihr in Situationen des alltäglichen Lebens zu arbeiten. Hier entwickeln wir nämlich die Stärke, unsere Schwierigkeiten zu überwinden, hier entwickeln wir Beständigkeit und Größe des Herzens. Genau hier können wir zu jeder Zeit aus dem Kampf mit dem Leben heraustreten, sagt er, und die innere Bedeutung von rechtem Verstehen finden– und damit den Frieden des Buddha.

Der einfache Pfad

Traditionell wird der Achtfache Pfad in acht Schritten gelehrt, wie zum Beispiel Rechtes Verständnis, Rechte Rede, Rechte Sammlung und so weiter. Aber der wahre Achtfache Pfad ist in uns – zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, eine Zunge und ein Körper. Diese acht Pforten sind unser ganzer Pfad, und der Geist ist derjenige, der diesen Pfad beschreitet. Kenne diese Pforten, untersuche sie, und alle Dharmas werden enthüllt.

Das Herz des Pfades ist so einfach. Lange Erklärungen sind da nicht notwendig. Gib das Festhalten an Liebe und Haß auf, ruhe einfach mit den Dingen, so wie sie sind. Das ist alles, was ich in meiner eigenen Übung tue.

Versuche nicht, irgend etwas zu werden. Mach dich nicht zu irgend etwas. Sei kein Meditierender, werde nicht erleuchtet. Wenn du sitzt, laß es geschehen. Wenn du gehst, laß es geschehen. Greife nach nichts. Widerstehe nichts.

Natürlich gibt es Dutzende von Meditationstechniken, um Samadhi und viele Arten von Vipassana zu entwickeln. Aber es kommt alles immer wieder hierauf zurück – laß alles einfach geschehen. Mach einen Schritt hier herüber, wo es kühl ist, heraus aus der Schlacht.

Warum es nicht einfach mal versuchen? Traust du dich?

Der Mittlere Weg

Der Buddha will nicht, daß wir einem zweifachen Pfad folgen – Verlangen und Zügellosigkeit auf der einen und Furcht und Abneigung auf der anderen Seite. Er lehrt: Sei dir einfach der Freude bewußt. Ärger, Furcht und Unzufriedenheit sind nicht der Pfad des Yogis, sondern der Pfad der weltlichen Leute. Ein Mensch, der gelassen ist, geht auf dem Mittleren Pfad der rechten Praxis; er läßt das Greifen nach den Dingen links und Furcht und Abneigung rechts liegen.

Diejenigen, die den Pfad der Praxis beschreiten, müssen diesem Mittleren Weg folgen: »Ich werde mich weder für Vergnügen noch für Schmerz interessieren. Ich werde dies alles aufgeben.« Zuerst ist es natürlich schwierig. Es ist so, als ob du von beiden Seiten getreten würdest. Wie eine Kuhglocke oder ein Pendel werden wir hin- und hergeschlagen.

Als der Buddha seine erste Lehrrede hielt, sprach er über diese zwei Extreme, weil hier nämlich unsere Anhaftung liegt. Der Wunsch nach Glück tritt uns von der einen Seite, Leid und Unzufriedenheit von der anderen. Stets belagern uns diese zwei. Wenn du jedoch den Mittleren Pfad beschreitest, gibst du sie beide auf.