klenk
Schmelzpunkt
ein Krimi für die Tasche
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Szene 4
Szene 5
Szene 6
Szene 7
Szene 8
Szene 9
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 13
Szene 14
Szene 15
Szene 16
Szene 17
Szene 18
Szene 19
Szene 20
Szene 21
Szene 22
Szene 23
Szene 24
Szene 25
Szene 26
Szene 27
Szene 28
Szene 29
Szene 30
Szene 31
Szene 32
Szene 33
Szene 34
Szene 35
Impressum neobooks
Das graue Regal aus Eisen hatte drei Etagen, jeweils mehr als einen Meter hoch. Hohle Formenquader aus Gips stapelten sich, abgelegt, gebraucht, zur Entsorgung bereit. In jedem Teil eines dieser Quader lag der Silikonabdruck einer Skulptur, mal genau eingepasst, mal schlappte er hellblau über den Rand des Gipsmantels hinaus. Negativformen für den Bronzeguss.
Ruhig war es hier im Hinterhof der Kunstgießerei. Nur hin und wieder konnte man Hammerschläge hören, die, eingesperrt in einer Werkstatthalle, mit ihrem Lärm hinaus drängten. Mal quietschte ein eisernes Rad, sich drehend auf ungeölter Achse.
Doch der Tote hörte nichts mehr, keinen Hammer, kein Eisenrad, auch nicht den Gesang eines Vogels. Er lag, wie schlafend, in der Silikonmulde einer großen Gussform. Steif, abgeknickt, mit seltsam starren Gliedern wie eine Puppe. Farbiges Herbstlaub lag auf den geöffneten Augen, die wie blaue Glaskugeln den Himmel spiegelten. Aus ihnen waren einmal Rinnsale leicht pulsierenden Blutes gesuppt, jetzt bereits verkrustet. Im zerfurchten Gesicht hatten sie einen Weg gesucht und gefunden bis in den leicht geöffneten Mund, dort erstarrt, ohne von einer Bewegung gestört zu werden. Tot ist tot, bewegungslos.
Nur das Regenwasser, das nasse Bett des wie unbeteiligt liegenden Körpers, umspielte ihn. Es hatte sich in den letzten Tagen in allen Vertiefungen der dortigen Formenlandschaft gesammelt. Auch in seinem Mund, seiner Nase und den nach oben gerichteten Händen. Dort bedeckte es die Schwielen seiner Handflächen, die Zeugen handwerklicher Arbeiten. Der leichte Herbstwind sorgte für Unruhe.
Den Aufgebahrten hatte noch niemand entdeckt. Vielleicht vermisste man ihn. Seit Tagen hatte er sich nicht gemeldet, Er, der so überzeugt war von seiner Wichtigkeit und Pünktlichkeit, auf den sich alle verlassen konnten. Darauf hatte er immer Wert gelegt, denn auch ein Künstler sollte sich in die Gemeinschaft einfügen. Nun gut, nicht immer war es ihm gelungen. Die Aufträge wurden manchmal nicht rechtzeitig fertig. Einmal hatte er sein Haus verkaufen müssen, zu wenig Arbeit.
Damals war auch seine Familie zerbrochen. Aber die Trennung von Charlotte war ruhig und sachlich gewesen, die Tochter hatte man der Mutter zugesprochen. Es war nicht leicht gewesen, aber besser so. Für alle. So war es heute auch schon gesellschaftsfähig. Und seinem Handwerk hatte es irgendwie gut getan. Er fühlte sich unabhängiger.
Jetzt lag er hier. Nicht gesucht, nicht gefunden, Wind und Regen, Kälte und Nachtdunkel ausgesetzt, die Morgensonne nicht spürend. Süßlicher Geruch umgab ihn.
Die Stadt ist aufgewacht. Eigentlich schläft sie niemals, rastet vielleicht, atmet durch, aber jetzt pulsiert das Blut in ihr. Stadtblut? Das sind die flitzenden und stauenden Autos, die Kolosse der Busse, die Ameisen auf Fahrrädern. Stadtblut sind noch träumende Kinderaugen auf dem Weg zum Krippenplatz, fröstelnde Obdachlose, ihre Schlafsäcke aufrollend. In Bahnen, schläfrig murmelnde Arbeitskollegen, Studentinnen und Studenten beim ersten Kaffee in der Mensa.
Stadtblut?
Ach ja, Blut läuft an der mittleren Betonkugel des Bildhauers Claes Oldenburg herab. Drei große Kugeln liegen da, am Ufer des Aa-Sees, viele Jahre schon. Doch heute Morgen läuft Blut an einer herunter. Frisches Blut. Jede Menge. Auf der Kugel liegt bäuchlings ein Mann mit Brille. Den hat`s erwischt.
Was macht der da? Wer half ihm hinauf? Wer legte ihn dort ab? Ist er tot? Davon kannst du ausgehen.
Die Betonkugel ist nicht mehr zu sehen. Es scheint, dass der Blutige auf einem Polster von Menschen liegt. Sein Hinterteil überragt alle, die ihn umstehen. Und das ist eine ganze Menge. Eine bunte Menschentraube hat sich gebildet. Alle haben jetzt Zeit. Verwirrt, staunend, angewidert, interessiert. Ich war dabei.
Aber Schluss damit. Die Polizei riegelt ab, wirft eine Decke
über den Mann. Sein Maßanzug war sicher nicht billig. Aber wer ist es?
Langsam, langsam. Die Nachforschungen haben schon begonnen. Zunächst in den Taschen des Jacketts, dann in der sich spannenden Gesäßtasche. Nichts. Kein Papier, kein Handy. Nur in der linken Hosentasche der Korken einer Weinflasche. Noch feucht, Alkohol ausschwitzend.
Das ist eine Spur. Vielleicht. Schauen wir zunächst einmal, ob jemand vermisst wird. Doch in der Datei nichts Neues. Der Tote bei der Gießerei ist ja noch nicht gemeldet. Der interessiert nicht 4
im Moment.
Doch die junge Polizeimeisterin, nettes Ding übrigens, hat eine Idee. Sie kennt da einen Weinliebhaber, einen Sommelier, denn Wein trinkt sie ganz gern. Interessant, so`n junges Ding und Wein. Vielleicht hat sie ja einen feinen Pinkel im Bett. Den Sommelier selbst? Egal, jedenfalls könnte der möglicherweise riechen, welcher Wein das war. Das meint sie.
Bei diesem Toten, tot ist er, das ist sicher, also bei diesem Toten im Maßanzug ist anzunehmen, dass der keinen billigen Fusel getrunken hat. Versuchen wir es. Sie kann ja selbst mit dem Korken los, hier ist sie nicht so wichtig.
Obwohl schon lange das Rauchverbot an öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Räumen bestand, hing der kalte Nikotingestank immer noch in den Vorhängen, an den Tapeten und in den Polstern. Hinzu kam der Gärgeruch des Bieres. Trotzdem sagte man der Gaststätte “ Zum Absacker “ eine gewisse gemütliche Atmosphäre nach. Vielleicht war es der riesige Wirt, der mit seiner Körperfülle und seiner ruhigen Stimme, aber auch mit unendlicher Langsamkeit beim Zapfen, für diese Gemütlichkeit sorgte. Die knochenharten Frikadellen, die er mit Löwensenf im Angebot hatte, waren es jedenfalls nicht.
Alle Tage, sogar Karfreitag und Heiligabend war seine Kneipe immer gut besucht. So auch heute, und sogar das große
Gastzimmer war reserviert. Heiß ging es dort her, denn das Komitee zum Gedenken an die Wiedervereinigung, hatte sich auf ein bleibendes Denkmal in der Stadt geeinigt. Der Mauerfall sollte dargestellt werden. Die Finanzierung war gesichert, ein Bildhauer beauftragt, man war dem Ziel sehr nahe Aber über die Ausführung war man sich immer noch nicht einig. Sollte nicht besser eine stürzende Mauer dargestellt werden? Sollte etwas Abstraktes zu sehen sein? Aber diese Darstellung, ein Vorschlag des Künstlers? Da würden sich viele aufregen in der Stadt. Aber ein Kunstwerk versteht sowieso kaum jemand. Der einfache Mann schon gar nicht. Und übrigens war das Denkmal fast fertig. Aber trotzdem…..
Die Luft im Saal wurde stickig, einige Köpfe rot, Herzkranke hielten sich bewusst zurück. Pause wurde verlangt und eine neue Runde Bier.
Das konnte nun bei diesem Wirt lange dauern. Man erhob sich, Fenster wurden geöffnet, die Toiletten besucht, man sprach über die Prostata, Künstlernamen, das Examen des Sohnes. Dann saßen alle wieder, aber das kühle Bier ließ auf sich warten. Und es ließ und ließ auf sich warten. Unwilliges Gemurmel. Dann erhob sich der Schriftführer um “ mal auf den Busch zu klopfen”. Später, viel später kam er mit dem Wirt zurück, der gar nicht mehr gemütlich wirkte. Bier würde es heute nicht mehr geben, die Schläuche der Bierleitung seien im Keller mehrmals zerschnitten worden. So eine Sauerei. Im Keller selbst stehe das Hochwasser, besser gesagt, das Hochbier. Zerquetschen werde er die Kerle, sollte er sie kriegen.
Im Komitee fand der Antrag auf Verlegung der Debatte breite Zustimmung. Das Gastzimmer leerte sich ziemlich schnell, denn mancher war ungern gekommen, da Dortmund spielte. So konnte man am Fernseher noch die zweite Halbzeit genießen. Bier hatte man auch im eigenen Keller. Leider nur in Flaschen. Aber wer hatte wohl diese Sitzung sabotiert?
Die eigentliche Gaststätte im vorderen Bereich des Hauses
war schon verlassen und das Licht etwas abgedunkelt. Nur an einem runden Tisch in der Ecke saßen noch drei junge Männer und zwei etwa gleichaltrige junge Frauen. Gedämpft unterhielten sie sich weiter, schienen sich vom allgemeinen Aufbruch nicht gestört zu fühlen. Doch als ihre Gläser leer getrunken waren und leer blieben, schlenderten sie durch die Eingangstür ins Freie.
Der Wirt hatte noch viel zu tun. Er wischte das Bier im Keller auf. Ab und zu biss er in eine harte Frikadelle. Löwensenf brauchte er jetzt nicht. Es roch wie in einer Brauerei.
Also doch. Begeistert hob die Polizeimeisterin den Weinflaschenkorken in die Höhe. Der Sommelier! Der Sommelier! Ihr Sommelier, wohl doch ihr Bettgenosse? Er hatte den Wein erkannt, am Geruch. Und er hatte ihn auch benennen können. Welcher war es denn? Es sei ein ganz seltener Wein gewesen. Ihr Sommelier würde ihn immer erkennen. Ja, zum Teufel, Mädchen, welcher Wein war es denn? Der Sommelier wusste auch, in welchem Restaurant der Stadt dieser Wein im Keller gelegen habe. Bedrohlich näherten sich ihr nun die Polizeikollegen. Wenn sie nicht sofort den Namen des Weines…. Es war ein Petruswein.
Die Spannung wich. Na und? Dann war es eben ein Petruswein. Den würde es wohl häufiger geben.
Nein, eben nicht. Der sei sehr teuer, habe der Sommelier gesagt, eine Flasche koste über tausend Euro, und trotzdem sei er schon völlig ausverkauft, wenn er noch als Weintraube am Weinstock wachse. Das glaube ich nicht. So bescheuert kann keiner sein. Aber egal, wo ist der Wein getrunken worden? Der Wirt kann uns bestimmt den Namen des Ermordeten sagen. Holt den jetzt endlich von dieser blöden Kugel runter und schafft ihn in die Pathologie.
Abgeschirmtes Licht ließ das Durcheinander im Atelier des Bildhauers erkennen. Schmale Zwischenräume nur bildeten ein Labyrinth von Gehflächen, die aber zu keinem Ziel zu führen schienen. Gipsmodelle, hoch und niedrig, schlank und kompakt benachbarten sich mit Stahlskeletten und Tonklumpen. Skizzenblätter und Bruchstücke von Zeichenkohle zerstreuten sich auf den Tischen.
Ein Kegel Sonnenlicht, durch ein Dachfenster geschüttet, reflektierte einen fliegenden Teppich von Staubteilchen, die in der Luft schwebten. Auf einem abgebissenen Wurstbrot bildeten grün schimmernde Fliegen einen lebendigen Belag. Leise dudelte ein Radio. Seit Tagen schon, denn niemand war da, um es abzuschalten.
Sonst aber war es ruhig hier. Ruhig, wie auf dem Hof der Kunstgießerei, die jetzt auch im Sonnenlicht lag, und wo langsam das Regenwasser verdunstete und die Blutkrusten härter wurden.
Jetzt splitterte eine Atelierscheibe. Eine behandschuhte Faust drang durch die erzwungene Öffnung, und lockerte sich gelenkig. Die Hand drehte sich nach unten und drückte auf die von Gips- und Tonresten verschmierte Klinke der Tür. Offen lag die Werkstatt nun, irgendwie verletzt. Aber das kümmerte den Eindringling nicht. Er schloss leise die Tür, und nun war der Räuber bereit.
Jetzt musste er die Beute aufspüren und sie stehlen oder vernichten. Erste Skizzenblätter taumelten zerrissen zu Boden, andere wurden mit Kohle geschwärzt, Gips zerbrach. Achtlos, wie ein lästiges Nichts, schob die maskierte Hand einen Holzkasten mit einigen Geldscheinen und Münzen beiseite. Nach einer kleinen Ewigkeit der Vernichtung und des Untergangs hielt die Frau inne. Es war eine zierliche Frau. Sie sah sich um, ihre Blicke erfassten sezierend jedes Teil. Dann ging sie plötzlich direkt auf ein kleines Gipsmodell zu, stieß auf dem kurzen Weg einen Sockel um. Ihre Hand griff die Figur, erstickte sie fast, hob sie hoch hinauf und schmetterte sie auf den Fußboden. Die größer gebliebenen Gipsteile zertrat sie und verschwand, geschmeidig wie eine Katze.
Es sollte mal wieder aufgeräumt werden auf dem Hof der Kunstgießerei. Metallreste waren in Container einzupacken, und diese sollten dann einen Platz hinter der Halle finden. Einerseits der Ordnung wegen, andrerseits sollten keine Diebe angelockt werden. Die Metallpreise hatten angezogen, und außerdem berichtete der Nachbar, er habe mehrmals fremde Gestalten gesehen. Sie seien um die Gebäude gestrichen, als ob sie etwas suchten. Leider habe er nichts Genaueres zu erkennen vermocht.
Der Chef der Gießerei wollte auch einige der Negativformen entsorgen lassen, Platz schaffen für folgende. Wenn alles so vollgepackt sei, könnten sich auch Ratten angezogen fühlen, dort, im Schutze der vielen herumliegenden Materialien ihre zahlreichen Familienmitglieder aufzuziehen. Ein Geselle hatte gestern eine gesehen, die auf einem Formenregal herumgeturnt sei. Also, angepackt und weg mit dem Zeug.
Wenig später waren einige Arbeitskräfte damit beschäftigt. Der Gabelstapler flitzte hin und her, Metallstücke krachten in die Container, die danach hinter die Halle gerollt wurden.
Jetzt gingen drei Mann die Negativformen an. Die Silikonmatten wurden herausgerissen und in einen speziellen Behälter geworfen, da dieses Zeug in den Sondermüll sollte. Der Gabelstapler griff sich nun die sperrigen Gipsformen. Schnell war der Container gefüllt. Eine hohe Stellage mit Formen blieb aber noch stehen, war bisher unangetastet.
Gerade wollten die Arme des Staplers die oberste Form abheben, da dröhnte das Zeichen zum Ende des Arbeitstages. Lassen wir das mal. Morgen ist auch noch ein Tag.
Der Stapler entfernte sich surrend zum Ladegerät fü