Claudia Müller-Ebeling und Christian Rätsch
Zauberpflanze Alraune
Die magische Mandragora
Aus der Reihe:
Die Nachtschattengewächse – Eine faszinierende Pflanzenfamilie
Hrsg. von Roger Liggenstorfer und Christian Rätsch
Bereits veröffentlichte Titel:
Wolf-Dieter Storl: Götterpflanze Bilsenkraut
(Überarbeitete Neuauflage, 2004)
Christian Rätsch: Schamanenpflanze Tabak Band I (2002)
Christian Rätsch: Schamanenpflanze Tabak Band II (2003)
Markus Berger: Stechapfel und Engelstrompete (2003)
Patrizia F. Ochsner: Hexensalben und Nachtschattengewächse (2003)
Weitere geplante Titel:
Die Tollkirsche – Königin der dunklen Wälder
Chillifeuer und Knollengenuss – Die essbaren Nachtschattengewächse
u. a. m.
Die Alraune ist zum Symbol des Kräuterbuchs, also des gesamten Kräuterwissens, geworden. (Innentitelseite von Otto BRUNFELS, Anderer Teil des deutschen, bebilderten Kräuterbuches, zu Straßburg gedruckt im Jahre 1532)
Zauberpflanze Alraune
Die magische Mandragora
Impressum
Verlegt durch
NACHTSCHATTEN VERLAG AG
Kronengasse 11
CH - 4502 Solothurn
www.nachtschatten.ch
info@nachtschatten.ch
© 2004 Nachtschatten Verlag AG
© 2004 Claudia Müller-Ebeling und Christian Rätsch
Layout: Janine Warmbier
Umschlaggestaltung: Janine Warmbier
Lektorat: Conny Schönfeld, Freiburg
Herstellung: Druckerei und Verlag Steinmeier, Nördlingen
Printed in Germany
ISBN 3-907080-98-X
eISBN (ePUB) 978-3-03788-351-8
eISBN (mobi) 978-3-03788-352-5
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweisen Nachdruck sind vorbehalten und unterliegen der ausdrücklichen Genehmigung seitens des Verlages und der Autoren!
Warnung und Hinweise
Nachtschattengewächse und viele andere Pflanzen können bei unsachgemäßem Gebrauch negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben! Die hier zitierten Angaben und rekonstruierten Rezepte aus alten Quellen enthalten Dosierungs- und Mengenangaben, deren Wirkung - je nach der regionalen Herkunft der genannten Pflanzen, deren Verarbeitung wie auch der individuellen Akzeptanz - unvorhersehbar variieren kann. Daher sind alle hier publizierten Angaben lediglich als historische Belege oder Rekonstruktionen zu werten und sollen in keinster Weise zu unbedachten Selbstversuchen animieren!
Danksagung
Nebst unserer Familie danken wir unserem immer wieder erstaunlichen Archivar az; unseren treuen Kollegen und Geschäftspartnern Urs Hunziker, Michael Günther, Christine Gottschalk-Batschkus von ETHNOMED, Margret Madejsky und Olaf Rippe von NATURA NATURANS, München, Markus Berger und Hartwin Rohde sowie Sven »Meyermann«; unseren Amsterdamer Freunden von »Conscious Dreams« und »Psychoactivity«.
Ferner wertschätzen wir die »grünen Daumen« der »Blumenschule Schongau« und von »Artemisia« im Allgäu.
Des Weiteren bedanken wir uns bei unseren wunderbaren und bewährten Übersetzern John Baker und Annabel Lee; den langjährigen Freunden der »Dienstagsrunde«; bei Wolfram Oehler, Alex Choinka und Patrizia Ochsner für segensreiche Unterstützung; bei Mark Nauseef, Christopher Johnsson (»Therion«) und der Band »Mandra Gora Light Show Society« für musikalische Inspirationen.
Und vor allem bei der Crew vom Nachtschattenverlag: Roger Liggenstorfer, Agnes Tschudin und Cornelia Schoenfeld, wie auch unserer Layouterin Janine Warmbier - deren unermüdlichem Engagement dieses Buch zu verdanken ist!
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Ein echtes Nachtschattengewächs
Botanik und Pharmakologie
Anbau
Systematik
Synonyme
Volkstümliche Namen
Inhaltsstoffe
Wirkungen
Erfahrungsberichte
Germanische Wurzeln
Alruna, die »Allwissende«
Wotan – Entdecker der Runen
Runen und Alraunen
Christian Rätsch: Die Alraune in der Antike
Die Menschenwurzel der Parsen
Die Alraune im alten Orient
Duftende Liebesäpfel
Rumänischer Alraunenkult
Die Zauberwurzel
Die Entstehung des Menschengeschlechts
Die Alraune im pharaonischen Ägypten
Die Vernichtung des Menschengeschlechts
Alraunenbier: Ein Brauexperiment
Die Wurzel der dunklen Göttin
Rezept für Mandragorenwein
Die goldenen Äpfel der Aphrodite
Eine Pflanze der Blitzgötter
Die Alraune als Medizin im antiken Griechenland
Morion und Tollkirschen
Der Mandragorenwein
Die Alraune in der römischen Literatur
Claudia Müller-Ebeling: Die Alraune in christlicher Zeit
Daimon und Dämonen
Magie und Mysterium
Die Alraune in der Kunst
Die gekrönte Wurzel
Der süße Wohlgeruch der Kirche
Gekrönt vom Glauben
Magische Praktiken
Entstehungsfabeln
Rituale zur Bergung
Magische Verwendungen
Belebung als Homunculus
Alraunen in der Trivialkultur
Galgenmännlein und Glückspuppen
Das Galgenmännchen auf okkulten Abwegen
Alraunen, Wichtel und andere »Heinis«
Feste und Rituale zu Ehren der Erdgeister
Anhänge
Falsche Alraunen
Kulturelle Konzepte
Medizinische Anwendungen
Räuchern mit Alraunen
Discographie
Bibliographie
Zu den Autoren
Vorwort
»Die zauberkräftigste wurzel ist die alrune.«
(GRIMM 1875: 352)
In einer Reihe über Nachtschattengewächse darf die sagenumwobene menschengestaltige Wurzel nicht fehlen. Seit der Antike befruchtete sie unter dem Namen Alraune oder Mandragora unzählige Legenden und Spekulationen. Wer die weitläufige Literatur zu diesem Nachtschattengewächs kennt, mag sich fragen: »Noch ein Buch über die Alraune! Gibt es davon nicht schon genug?« Wer tiefer in die Materie eindrang weiß, dass es bislang (dem aktuellen Forschungsstand entsprechend) kaum umfassende botanische, pharmakologische, medizinische, mythologische und kunsthistorische Darstellung über diese sagenumwobene Pflanze gibt.
Ihre medizinische und magische Verwendung, ihre aphrodisische und psychoaktive Wirkungen sowie ihre Mythologie und der sie umgebende Sagenkreis heben sie aus der Fülle der Zauberkräuter heraus (SCHLOSSER 1987, SCHÖPF 1986, STARCK 1986). Es gibt kaum eine andere Pflanze, die ein derart reiches Schrifttum hervorgebracht hat (vgl. HANSEN 1981). Ihre Bedeutung in der Antike ist zwar schon häufiger angesprochen worden, doch ist das Thema niemals erschöpfend behandelt worden. Archäologische Entdeckungen, die Erschließung obskurer Quellen, linguistische Vergleiche sowie neue Hypothesen und Theorien haben es erforderlich gemacht, dieses faszinierende Kapitel der Ethnobotanik neu zu schreiben.
In diesem Buch werden alle wesentlichen Themenkreise der Zauberpflanze berührt, die auch auf neuen Forschungen beruhen. Somit entsteht ein neues Bild des magischen Nachtschattengewächses, das seiner herausragenden Stellung in der Kulturgeschichte und Zauberbotanik gerecht wird.
In neuster Zeit verschaffte die Engländerin JOANNE K. ROWLING (Jahrgang 1967), die als Schöpferin der Harry-Potter-Bücher als erfolgreichste Kinderbuchautorin aller Zeiten gilt, der Zauberpflanze Alraune weltweite Berühmtheit. Mit großer Spannung erwarten Kinder und Erwachsene die Verfilmung jedes weiteren Harry-Potter-Bandes.1
In dem im November 2002 angelaufenen zweiten Film Harry Potter und die Kammer des Schreckens lernen die Zweitklässler in Hogwarts-Schule für Zauberer und Hexen das Umtopfen der noch jungen, aber widerspenstigen und garstig kreischenden Wurzeln. »Die Alraune, oder Mandragora, ist eine mächtige Rückverwandlerin (...). Sie wird verwendet, um Verwandelte oder Verfluchte in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. (...) Die Alraune bildet einen wesentlichen Bestandteil der meisten Gegengifte. Freilich ist sie auch gefährlich (...). Der Schrei der Alraune ist tödlich für jeden, der ihn hört«, ist im zweiten Band zu lesen (ROWLING 1999: 96). Weitere magische Hinweise und Erläuterungen ihrer psychoaktiven Wirkung bleiben den Harry-Potter-Fans freilich verborgen. Mehr darüber ist in unserem Buch zu erfahren. »Das eigentliche Herausziehen mußte bei Sonnenuntergang erfolgen. Nur, wenn sie nicht zu heftig gezogen wird, stößt sie auch nicht den fürchterlichen Schrei aus, der Menschen zu Stein erstarren läßt.« (BOLAND 1983: 98) Nach der Ausstrahlung des zweiten Harry-Potter-Filmes waren in England sämtliche Alraunen schlagartig ausverkauft. Aufgrund des vom Golfstrom begünstigten milden Klimas ist dort die Mandragora als beliebte Gartenpflanze geschätzt. Sie gedeiht in erstaunlich vielen Gärten prächtig und treibt sogar Früchte aus, die so genannten »Goldenen Äpfel der Aphrodite«. Fragt sich nur, wann die Harry-Potterianer beginnen, die magische Wurzel selbst zu verspeisen ...
Immerhin zeugt die Bandbreite der hier versammelten Themen rund um die sagenumwobene Menschenwurzel davon, dass nicht nur mit der materiellen Verwertung einer Pflanze, sondern auch mit ihrem Mythos eine Menge Geld zu verdienen ist. Im Mittelalter ebenso wie in der angeblich entzauberten Welt von heute!
1 Im Frühjahr 2004 kam die Verfilmung des dritten Bandes Harry Potter und der Gefangene von Askaban in die Kinos.
Einleitung
»Die Wurzel grab aus, laß fließen den Saft,
schon tanzen die Geister der Ahnen am Dach ...«
SERGIO ARNEODO, Dàncen lou sabbo
(in HAID 1992: 66)
Die Alraune ist die wohl berühmteste Pflanze der abendländischen Kultur und wird zurecht als »berühmteste Zauberpflanze der Geschichte« bezeichnet (HEISER 1987). Als Mandragora, Mandrake oder Menschenwurzel ist sie eine wundertätige, anthropomorphe Wurzel der Rhizotomen oder Wurzelschneider, ein bewusstes Wesen der magoi oder Magier, zu denen auch die Heiligen Drei Könige gehörten.
Die goldgelben Früchte der Alraune können etwas bewirken, das ganz im Sinne der Aphrodite ist: Sie erzeugen eine rauschhafte erotische Lust. Die Früchte werden sogar in der Bibel als »Liebesäpfel« bezeichnet; dieser Name hat sich bis in die Kräuterbücher der frühen Neuzeit gehalten. Die Früchte haben ein durchaus fruchtiges Aroma, schmecken aber eher wie Tomaten, die gleichermaßen zu den Nachtschattengewächsen (Solanaceae) zählen. Die Blätter riechen etwas nach Tabak. Wenn die Früchte gereift sind, vertrocknen die Blätter. Bald bleibt keine sichtbare Spur der Pflanze zurück. Nur die oft meterlange, fleischige, unterirdische Wurzel birgt noch Leben in sich. Sie wird erst im folgenden Jahr wieder Blätter und Blüten austreiben.
Die getrocknete Wurzel wurde in der Antike in Wein eingelegt und als Liebestrank genossen. Im Land der Aphrodite ist die Alraune seit dem Altertum als Aphrodisiakum bekannt und wurde unfruchtbaren Frauen als Fruchtbarkeitsspender eingeflößt. Darauf bezieht sich letztlich auch der Brauch, die »Goldenen Äpfel« als Schmuck in den Weihnachtsbaum zu hängen, allerdings in Form von rotbackigen Äpfeln oder schimmernden Glaskugeln. Um die aufkeimende Fruchtbarkeit im Frühling zu beschwören, werden auch in der Osterzeit Bäume und Sträucher mit farbigen Eiern verziert – insbesondere Birken, Weiden, Apfel- und Mandelbäumchen sowie gelb blühende Gartenforsythien beziehungsweise Goldglöckchen (Forsythia x intermedia ZAB., Oleaceae).
Ein echtes Nachtschattengewächs
Die Alraune gehört zu den berühmtesten Nachtschattengewächsen, die mit der Aura von Hexenkräutern behaftet sind. Wenn es um Hexensalben, magische Trünke und Liebeszauber geht, wird die Mandragora meist in einem Atemzug zusammen mit Stechapfel, Tollkirsche und Bilsenkraut genannt, die ebenfalls zur Familie der Solanaceae gehören. Diese botanische Familie liefert viele ethnobotanisch und ernährungstechnisch bedeutsame Arten wie Kartoffel und Tomate, Chili und Paprika, Aubergine oder Eierfrucht, Pituri und Korkbaum, Physalis und Kängurubaum, Tabak und Petunie, Veilchenstrauch und Engelstrompeten. Die Nachtschattengewächse werden weltweit als Heilmittel und Medikamente, Aphrodisiaka und Entheogene, Nahrungsmittel und Gewürze, Drogenund Alkaloidlieferanten, Genussmittel und Räucherstoffe, Zierpflanzen und Dekoration, Amulette/ Talismane und Zauberpflanzen genutzt.
Die Alraune birgt viele dieser Nutzanwendungen. Sie wird als Aphrodisiakum und Liebeszauber geschätzt, als rituelles Rauschmittel, Tabakersatz oder -zusatz und magischer Räucherstoff, als Amulett und Zauber«puppe«. Vor diesem mannigfaltigen Hintergrund wurde sie desgleichen zum beliebten literarischen Sujet, zur Märchenfigur, zum Comic-Charakter und zum vielfach thematisierten Gegenstand von Filmen.
Botanik und Pharmakologie
Viele halten die geheimnisvolle Alraune oder Mandragora – die »Königin aller Zauberkräuter« – lediglich für ein Fabelwesen und sind erstaunt, dass es sich dabei um eine echte Pflanze handelt. Kein Wunder. Da sie in nördlichen Breitengraden nicht heimisch ist, sondern nur in heißen Gefilden, wie dem östlichen Mittelmeerraum oder im Nahen Osten, wurden die meisten auf sie lediglich durch Mythen und Sagen aufmerksam.
Alle Alraunenarten sind mehrjährige, stengellose Pflanzen und sehen sehr ähnlich aus. Sie haben lange fleischige Wurzeln, die mitunter bizarre oder anthropomorphe Formen annehmen. Die Wurzel (das Rhizom) kann bis zu einem Meter werden. Einmal im Jahr treibt sie aus der Wurzel lange und breite Blätter aus, die eine charakteristische Rosette bilden. Aus ihrer Mitte wachsen die bläulichen oder violetten glockenförmigen fünflappigen Blüten an kurzen Stielen hervor. Wenn die Früchte reifen, verwelken die Blätter. Die meiste Zeit des Jahres bleibt die Pflanze »unsichtbar« im Erdreich verborgen.
Die Blätter riechen etwas nach Tabak. Die goldgelben Früchte haben ein durchaus fruchtiges Aroma (ähnlich wie Physalis-Früchte), schmecken aber eher wie Tomaten.
Die Alraune gedeiht an trockenen, sonnigen Orten, meist an Wegen und in alten Tempelbezirken und kommt in ihren Verbreitungsgebieten nur selten vor.
Anbau
Die Vermehrung geschieht durch Samen (die denen von Datura innoxia ähneln). Die Samen werden am besten vorgekeimt (wie bei Datura discolor). Die Keimlinge sollten in sehr große Töpfe umgepflanzt werden, da die Pflanze über Jahre hinweg eine sehr große Wurzel ausbildet. Nach vier Jahren treibt sie erstmals Blüten aus. Die Pflanze kann gut in Muttererde mit einem leichten Sandanteil gezogen werden. Sie darf auf keinen Fall zu stark gewässert werden, vor allem nicht in der Ruhephase, in der keine Blätter zu sehen sind.
Obwohl die Pflanze eigentlich keinen Frost verträgt, kann sie doch in Mitteleuropa als winterfeste Pflanze gehalten werden. Vor allem auf der vom Golfstrom klimatisch begünstigten Insel Großbritannien gedeiht sie in unzähligen Gärten prächtig und treibt zuverlässig Blätter, Blüten und sogar große Früchte aus. Um sie vor den Frösten auf dem europäischen Festland zu schützen, muss der Standort der Pflanze im Herbst mit einem Haufen Laub bedeckt werden. Wer sie im Topf auf dem Balkon über den Winter bringen möchte, sollte das Gefäß mit geeignetem Isoliermaterial (Zeitungspapier oder ähnliches – nicht aber Plastik, da sich darunter Staunässe bildet) gegen Kälte schützen. Im Frühjahr wird das alte Laub und sonstige Isoliermaterial entfernt.
Systematik
Abteilung: Spermatophyta (Samenpflanzen)
Klasse: Dicotyledonae (= Magnoliatae; Zweikeimblättrige Pflanzen)
Unterklasse: Asteridae
Ordnung(sgruppe): Tubiflorae s.l.
Familie: Solanaceae (Nachtschattengewächse) – 90 Gattungen, zirka 2.000 Species
Tribe: Solaneae
Subtribe: Mandragorinae
Chemotaxonomische Untergruppe bestehend aus den Gattungen Mandragora und Scopalia (JACKSON und BERRY 1979:511)
Gattung: Mandragora (Typ: M. officinarum L.)
Botanisch wird die so genannte Frühlingsalraune (Mandragora officinarum) von der Herbstalraune (Mandragora autumnalis) unterschieden, da sie ihre Blattkrone zur entsprechenden Jahreszeit austreiben und blühen. M. officinarum blüht im Mai, M. autumnalis im September, Oktober, November.2 Die botanische Identität dieser beiden europäischen Arten blieb lange Zeit ungeklärt. Zu ihnen sind nur zwei gültige Taxa bekannt (vgl. JACKSON und BERRY 1979, TERCINET 1950: 118-121).
Synonyme
Mandragora officinarum LINNÉ 1753 - »Der männliche Alraun«
Atropa acaulis LINNÉ 1762
Atropa Mandragora (L.) WOODVILLE 17943
Mandragora officinalis BERTOLONI 1824
Mandragora haussknechtii HELDREICH 1886
Mandragora hybrida HAUSSKN. et HELDR.
Mandragora hispanica VIERHAPPER 1915
Mandragora mas GERSAULT
Mandragora neglecta G. DON
Mandragora praecox SWEET
Mandragora vernalis BERTOLINI 1824
Atropa belladonna L., Solanaceae (Nachtschattengewächse)
[syn. Mandragora belladonna nom. nud., Atropa lethalis SALISB., Belladonna baccifera LAM., Belladonna trichotoma SCOP.] = Mandragora Theophrasti
Mandragora autumnalis SPRENG. – »Die weibliche Alraune«
Mandragora microcarpa BERTOLINI 1835
Mandragora foemina GERSAULT
Mandragora officinalis MORIS ex MILLER 1768
Mandragora officinarum BERTOL. non LINNAEUS
Beide europäische Arten sind anatomisch sehr ähnlich. Das Rhizom von M. officinarum wird jedoch größer als das von M. autumnalis (BERRY und JACKSON 1976). Beide Arten sind in Südeuropa von Portugal bis Griechenland verbreitet. Häufig sind sie in Griechenland und Italien (FESTI und ALIOTTA 1990; VIOLA 1979: 175). Nördlich der Alpen kommen sie niemals wild vor (BECKMANN 1990: 129). Allerdings ist die Wurzel winterfest und kann auch in Mittel- und Nordeuropa gezogen werden. Beide Arten kommen auch in Nordafrika (Marokko), in Kleinasien und im vorderen Orient vor (STRASSER 1993: 106). Sie sind auf den meisten Mittelmeerinseln (Zypern, Kreta, Sizilien) gut vertreten (GEORGIADES 1987: 50; IATRIDIS 1986: 27; SFIKAS 1990: 246).
Botanisch werden heute vier bis sechs Arten der Gattung Mandragora akzeptiert, die auf Eurasien und Nordafrika beschränkt sind (D’ARCY 1991: 78f., SYMON 1991: 147).
Es gibt noch einige asiatische Arten oder Varietäten, deren Taxonomie jedoch lange Zeit nicht revidiert wurde.4 Obwohl nicht geklärt werden kann, ob diese Arten in der Antike schon bekannt waren (aber gewesen sein können – bereits Alexander der Große erreichte das Himalaya!), sollen sie hier angeführt werden:
Mandragora turcomanica MIZGIREVA 1942 (1955) – Turkmenische Alraune
Diese seltene nur in Turkmenien wachsende, violett blühende Art wurde von der Bevölkerung des Sumbartales seit alters her als Heilmittel verwendet. Offensichtlich wurde diese asiatische Art schon im Mittelalter von asiatischen Autoren wie ABU-REICHAN BERUNI (973-1048) mit der europäischen Mandragora der antiken Literatur identifiziert. Nach KHLOPIN (1980: 227) ist sie mit der männlichen Mandragora des DIOSKURIDES identisch. Ihre großen, saftigen goldgelben Früchte gelten in Maßen genossen als essbar. Die turkmenische Alraune gedeiht nur auf lehmigen Böden in 600 Metern Höhe (KHLOPIN 1980).
Die Parsen hatten aber auch eine heilige Pflanze mit berauschenden oder entheogenen Qualitäten, die Haoma hieß und im Awesta oft genannt wird. Nun ist die botanische Identität von haoma genauso unsicher wie vom indischen Soma oder griechischen Ambrosia. Möglicherweise wurden auch mehrere Pflanzen mit dem Wort haoma bezeichnet (vgl. RÄTSCH 1995). Schon früher wurde die Vermutung geäußert, dass das haoma mit der Alraune identisch sein könnte (SCHLOSSER 1987). Mit der Entdeckung und Beschreibung der turkmenischen Alraune wurde diese Hypothese wieder aufgegriffen:
»Wenn man die Beschreibung der Haoma der Awesta mit der weißen männlichen Mandragora der antiken und mittelalterlichen Gelehrten vergleicht, so kann man sehen, dass es sich wahrscheinlich um dieselbe Pflanze handelt. Andrerseits, muss man dieselbe weiße männliche Mandragora mit der turkmenischen Mandragora identifizieren. Also benutzten die awestischen Arier [die alten Parsen] für die Anfertigung des Göttergetränks die turkmenische Art der Mandragora und nannten sie Haoma ... Als die indischen Arier nach dem Zerfall der indisch-iranischen Einheit nach Nordindien vom Westen eingedrungen waren, haben sie dort die himalaische Art der Mandragora gefunden, welche den Namen Soma bekommen hat.« (KHLOPIN 1980: 230f.) Leider sehe ich mich wegen mangelnder Daten außerstande, diese Hypothese zu be- oder widerlegen (vgl. RÄTSCH 1992).
Mandragora caulescens C. B. CLARKE 1883 – Himalaya-Alraune [Synomym: Anisodus humilis (HOOK. F.)]
Es wurden bisher vier Unterarten der Himalaya-Alraune beschrieben (MECHLER 1993: 765):
Mandragora caulescens ssp. brevicalyx GRIERSON et LONG
Mandragora caulescens ssp. caulescens
Mandragora caulescens ssp. flavida GRIERSON et LONG
Mandragora caulescens ssp. purpurascens GRIERSON et LONG
Diese gelb blühende, kattuchooti oder Chi’ieh Shen genannte Art kommt nur im Himalaya-Raum im Hochgebirge zwischen 3.000 und 4.000 Metern Höhe vor (POLUNIN und STAINTON 1985: 287, plate 93). Sie ist häufig in Sikkhim und Darjeeling. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über Tibet bis nach West China (DEB 1979: 94). Sie wächst im westlichen Sichuan, nordwestlichen Yunnan und östlichen Xizang zwischen 2.200 und 4.200 Metern Höhe (LU 1986: 81f.). In Sikkhim werden mit dieser Alraunenart magische Rituale vollzogen (MEHRA 1979: 162). Sie wird in der traditionellen chinesischen und tibetischen Medizin bei Magenbeschwerden verwendet (MECHLER 1993: 765). In Sikkim wird sie manchmal als Alternative zu Withania somnifera verwendet und auch als das vedische jangida gedeutet. Die Wurzel enthält 0,13 Prozent Hyoscyamin, möglicherweise auch Mandragorin. Scopolamin und Cuscohygrin konnten nicht nachgewiesen werden (MECHLER 1993: 765).
Mandragora Shebbearei FISCHER 1934 – Tibetische Alraune
Diese Art oder Varietät der Alraune soll nur in Tibet vorkommen (vgl. TERCINET 1950: 122). Möglicherweise ist sie mit M. caulescens identisch.
Mandragora chinghaiensis KUANG et A. M. LU 1978 – Chinesische Alraune
Diese erst jüngst beschriebene, auch Chinghai Chi’eh Shen genannte Alraunenart ist in dem Qinghai-Xizang Plateau im westlichen China endemisch. Ihre Wurzel wird in der dortigen Volksmedizin verwendet (LU 1986: 82), in Tibet gegen Schmerzen und als Ersatz für Mandragora caulescens. In der ganzen Pflanze sind 0,19 Prozent Hyoscyamin und 0,12 Prozent Scopolamin enthalten, in der Wurzel 0,21 Prozent Hyoscyamin und 0,48 Prozent Scopolamin (MECHLER 1993: 765).
Mandragora Morion nom. nud.
Die in der alten Literatur unter dem Namen Mandragora morion angeführte Pflanze ist entweder mit einer Mandragora-Art, mit der Atropa belladonna oder einem anderen Nachtschattengewächs (Solanum spp., Withania somnifera) identisch. In der antiken Literatur heißt es von Mandragora Morion:
»Man berichtet, es gäbe noch eine andere, Morion [von moria = ›Stumpfheit der Sinne‹ oder morion = ›männliches Glied‹] genannte Art [vielleicht die Mandragora turcomanica oder M. caulescens], die an schattigen Plätzen und um Felsenhöhlen wächst. Sie hat Blätter wie die weiße Mandragora, aber kleiner und etwa spannenlang, weiß, kreisförmig um die Wurzel gestellt, welche zart, weiß, etwas größer wie eine Spanne und daumendick ist. Diese, in der Gabe von einer Drachme [zirka 3,8 Gramm] getrunken oder mit Graupen im Brot oder in der Zukost genossen, soll tiefen Schlaf bewirken; es schläft nämlich der Mensch in derselben Stellung, in welcher er sie genossen hat, ohne jede Empfindung drei bis vier Stunden von da ab, wo sie eingenommen ist. Auch diese gebrauchen die Ärzte, wenn sie schneiden oder brennen wollen. Die Wurzel soll auch ein Gegenmittel [antidoton] sein, wenn sie mit dem sogenannten Strychnos manikos5 genommen wird.« (DIOSKURIDES IV, 76)
Volkstümliche Namen der Alranue
Deutsche Namen
Alrun, Alrüneken, Araunl, Armesünderblume, Dollwurz, Drachenpuppe, Folterknechtwurzel, Galgenmännlein, Geldmännlein, Hausväterchen, Henkerswurzel, Liebeswurzel, Mann-Trägerin, Menschen-Wurzel, Zauberwurzel
Indogermanische Namen
alrune (Schwedisch); andrvpomorfoß, »menschengestaltig« (Altgriechisch, nach PYTHAGORAS); dame herbe (Französisch); dukkeurt, »Dollwurz« (Dänisch); Main de gloire (Französisch); mala canina, »Hundeapfel«, ciceron, »Pflanze der Kirke« (Römisch); mandegloire (Französisch); mandragora, mela canina, Hundeapfel« (Italienisch); Mandragoraß (Altgriechisch); kalanuropoß, »guter Mann« (Zypriotisch); mandrake, womandrake (Englisch); mannikin, »Männchen« (Belgisch); mardom ghiah, »Manneskraut« (Persisch); mardum-gia, »Menschenkraut« (Altpersisch); matraguna, »Hexentrank« (Rumänisch)6; matryguna (Galizisch); mehr-egiah, »Liebeskraut« (Persisch); thjo-farót, »Diebswurzel« (Isländisch); pisdiefje (Holländisch)
Semitische Namen
abu’l-ruh, »Meister des Lebensatems« (Altarabisch); baaras, »der Brand« (Hebräisch); Bayd al-jinn, »Hoden des Dämon« (Neu-Arabisch); dûdâ’îm (Hebräisch); jebrûah, »menschenähnliches Kraut« (Aramäisch, Syrien), loschtak (Armenisch); luffah manganin, »Tolläpfel« (Arabisch); Manrakor (Armenisch); Namtar Ira, »die männliche [Pflanze] des Gottes der Plagen« (Assyrisch); rrm.t oder mcntrcgwrw (Ägyptisch); Sirag el-Kotrub, »Teufels-Lampe« (Arabisch, Palästina); Siradsch Elkutrhrub, »Wurzel des Dämon Elscherif« (Arabisch, Andalusien); Tufah al-jinn, »Apfel des Dämon« (Neu-Arabisch); Tufah al-Majnun, »Die [Liebes]-Äpfel des Majnun7« (Arabisch); tufhac el sheitan, »Teufelsäpfel« (Arabisch); yabrough, »Lebenspender« (Arabisch, Syrien); yavruchin (Aramäisch)
Andere Namen
Adamova golowa, »Adamshaupt« (Russisch); Adam-kökü, »Menschen-Wurzel« (Türkisch); mandragóra oder natragulya (Ungarisch); pevenka trava, »das Kraut, das schreit« (Russisch); ya pu lu (Chinesisch, offensichtlich ein aramäisches Lehnwort)
Inhaltsstoffe
Die Alraune enthält besonders in der Wurzel (0,3 bis 0,4 Prozent), aber auch in den Blättern die psychoaktiven und anticholinergen Tropan-Alkaloide Scopolamin, Atropin, Apotropin, Hyoscyamin, Hyoscin, Mandragorin, Cuskhygrin8, Solandrin und andere (siehe Tafel; vgl. auch MAUGINI 1959; STAUB9HRENSESSEOTHERMER