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Die Weiten der Milchstraße: Ein Hort der Gefahren

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Epilog

Nachwort

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Planetenroman

 

Band 25

 

Sechs flammende Sonnen

 

Mit der STARLIGHT im Dschungel der Sterne – auf den Spuren der Todesdroge

 

Hubert Haensel

 

 

 

Im Jahr 2103 n. Chr. breitet sich das Solare Imperium in der Milchstraße aus, die Terraner besiedeln zahlreiche Planeten. Dabei stellen sich den Menschen viele Hindernisse in den Weg. Eines davon ist die Bedrohung durch die Todesdroge Liquitiv. Milliarden von Menschen und anderen Humanoiden sind davon abhängig.

Die Solare Abwehr führt einen verzweifelten Kampf gegen den Handel mit dieser Droge. Als Solarmarschall Allan D. Mercant einen entscheidenden Hinweis auf einen Agenten erhält, geht er an Bord der neu entwickelten STARLIGHT.

Doch nach einer Serie von Katastrophen strandet das Schiff im Sternendschungel: ganz in der Nähe von sechs Sonnen, die zu einem riesigen Sechseck angeordnet sind. Mercant und seine Begleiter kommen auf die Spur eines intergalaktischen Geheimnisses – und sie müssen auf einem abgelegenen Planeten um ihr Überleben kämpfen ...

Die Weiten der Milchstraße:

Ein Hort der Gefahren

 

Im späten 21. Jahrhundert griff das Solare Imperium endgültig in die Weiten der Milchstraße hinaus. Die Arkoniden waren bekannt und galten als »gezähmt«, seit der unsterbliche Arkonide Atlan die Kontrolle über das Reich übernommen hatte. Vereint mit der Macht der drei Arkonwelten sollte man den Rest der Galaxis nicht zu fürchten brauchen. So war zumindest die verbreitete Meinung. Erst die zufällige Entdeckung des Blauen Systems der Akonen, der Stammväter der Arkoniden, sowie die Ränke der Aras, Báalols und Mehandor ab dem Jahr 2102 führten zu einem Umdenken.

Von Anfang an agierte man mit großer Vorsicht. Zivile und militärische Raumfahrt gingen praktisch Hand in Hand, und von einem Passagierraumschiff oder einem Frachter wurde erwartet, sich im Falle eines Angriffes durchaus zur Wehr setzen zu können. Dies führte zu rechtlich durchaus interessanten Konstruktionen: Die Solare Flotte übergab privaten Unternehmen ausgediente Raumschiffe, entkernte diese aber nicht vollständig, sondern beließ einen Teil der Bewaffnung an Bord. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen hoch spezialisiertes Kriegsgerät wie Kampfroboter oder gar Einmannjäger den Besitzer wechselten – offiziell »dauergeleast«, aber zwischen den Zeilen der Verträge wurde durchaus klar, wie letztlich das Militär seine Interessen sowie die des Imperiums schützte.

Und trotzdem kam es immer wieder zu Problemen und Katastrophen. Schiffe gingen verloren und wurden vernichtet. Oft fehlten die Ressourcen, jedem dieser Fälle nachzugehen, und die Liste der vermissten Raumschiffe aus diesem Zeitraum muss rückblickend als erstaunlich hoch eingestuft werden. Der gute Wille war sicherlich da, doch trotz der Unterstützung durch die über Atlan zur Verfügung gestellten immensen Ressourcen des arkonidischen Reiches blieben viele – zu viele – ungeklärte Fälle.

Von einigen würde man später wieder hören, manche Raumschiffe aber blieben für immer verschollen. Selbst mit dem heutigen Wissen ausgestattet, muss man sagen, dass die Zahl der unbekannten Kolonien der Menschheit in der Galaxis mindestens im hohen zweistelligen Bereich liegt. Dabei sind die Gründe, warum es Menschen ohne Rückkehrmöglichkeit an einen abgeschiedenen Ort verschlagen hat, vielfältig. Nicht immer lag es nur daran, dass das Raumschiff spurlos verschollen war. Manchmal spielten auch andere Umstände hinein, die den Terranern von ihren Gegnern aufgezwungen wurden.

(aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des Solaren Imperiums; Abschnitt II.5.6, Gewollte und ungewollte Koloniebildung des frühen Imperiums)

Kapitel 1

 

Erst überzog der Himmel sich mit dem schwefligen Gelb eines nahenden Gewittersturms – dann, innerhalb weniger Minuten, brach ein Unwetter herein, wie man es selten erlebt hatte. Mit orkanartiger Wucht fegte der Sturm über das zum Teil nur provisorisch befestigte Gelände des Raumhafens hinweg, peitschte rötlichen Staub vor sich her und wirbelte das langsam verfaulende Laub des vergangenen Herbstes auf.

Garden II war eine Welt der Gegensätze – eine Welt, die während der kurzen Sommermonate in drückender Hitze erstickte, sich zu den anderen Jahreszeiten aber von ihrer kältesten Seite zeigte. Schnee und Eis konnten trotz modernster technischer Hilfsmittel zur Plage werden, wenn tagelang nicht ein Sonnenstrahl die dichten Wolkendecke durchdrang.

Dennoch war hier schon vor über einem Jahrzehnt eine terranische Siedlung entstanden, die mittlerweile fünf Millionen Einwohner zählte. Vielleicht, weil die Schönheit von Garden II sprichwörtlich war. Zur Blütezeit ein Meer aus Farben und Düften, erfüllt von den Gesängen exotischer Vögel – und selbst im Winter ein Paradies für den, dessen Augen sich an den Schönheiten der Natur erfreuen konnten. Dann verschwanden Bäume und Sträucher unter einer weißen Last, die sie praktisch über Nacht in Skulpturen verwandelte, deren Aussehen in ständiger, unbegreiflicher Veränderung begriffen war.

Aber von alldem zeigte sich gerade nichts. Selbst die nahen Hafengebäude blieben hinter einer undurchdringlich scheinenden gelben Wand verborgen. Die Außenmikrofone übertrugen das Heulen des Sturmes, der um die Landestützen des Schweren Kreuzers der TERRA-Klasse strich und um die kuppelförmigen Verwaltungsgebäude.

Bis auf die beiden Space-Jets auf den benachbarten Landefeldern war der Raumhafen leer. Es handelte sich um Zubringerschiffe, die Passagiere nach Garden II gebracht hatten. Ein drittes galt seit Stunden als überfällig.

An Bord des zweihundert Meter durchmessenden Kreuzers herrschte die angespannte Hektik der Startvorbereitungen. Der Flug war bisher reibungslos verlaufen; die neu installierten Lineartriebwerke hielten, was man sich von ihnen versprach.

Der Sturm trug ersten Schnee mit sich. Allerdings schmolzen die fast handflächengroßen Flocken, sobald sie den Boden berührten. Das Erdreich war nach den kurzen Herbsttagen noch zu warm; zum Teil hatten die Siedler ihre Ernte auch noch nicht eingebracht.

Erst in zwei oder drei Wochen würde der Winter mit voller Stärke hereinbrechen.

Es war kurz vor Mitternacht Bordzeit, die keineswegs mit den planetaren Gegebenheiten übereinstimmte. Die meisten Passagiere schliefen schon; es gab nichts, was sie hätte wach halten können. Garden II war für sie lediglich eine unbedeutende Zwischenstation, und der Aufenthalt dauerte inzwischen länger als vorgesehen.

Trotzdem gab es jemanden, der vor seinem Monitor für die Außenbeobachtung saß. Er wartete. Hin und wieder erhob er sich und machte ein paar Schritte, um den Kreislauf anzuregen.

Neben ihm, auf einem kleinen Tischchen, stand ein halb geleertes Glas, und da lag auch ein Stapel bedruckter Folien. Auf manchen befanden sich handschriftliche Notizen.

Der Mann wirkte entspannt, aber in seinen Augen lebte ständige Wachsamkeit. Nichts schien ihm entgehen zu können. Und jeder, der ihn kannte, wusste, dass er nie früh zu Bett ging. Meist ließ seine Arbeit ihm auch keine Zeit dazu.

Draußen brach die Dämmerung herein. Das Tosen des Sturmes flaute ab, nur hin und wieder peitschten noch heftige Böen über die Landefelder. Es schneite jetzt dichter, der Schnee blieb liegen. Wahrscheinlich zog der erste Nachtfrost auf.

Über die Außenhülle der STARLIGHT, des zu einem Passagierschiff umgebauten Schweren Kreuzers, schoss das Tauwasser in Strömen.

Eine der beiden Space-Jets startete. Mit flammenden Impulstriebwerken zog sie in die Schwärze der Nacht.

Der heimliche Beobachter in seiner Kabine fuhr sich mit den Fingern durch den schütteren, strohblonden Haarkranz. Er wusste nicht, was vorgefallen war, hatte auch vom Kommandanten keine Auskunft erhalten können. Hoffentlich war nicht alles umsonst. Das Ausbleiben des dritten Zubringerschiffs sorgte ihn mehr, als er sich einzugestehen bereit war.

Solarmarschall Allan D. Mercant, Chef der Solaren Abwehr, ließ sich seufzend in seinem Sessel zurücksinken. Nach einem tiefen Schluck aus dem Glas griff er wieder nach den Folien, die er zur Seite gelegt hatte.

Drei Passagiere fehlten noch. Zwei von ihnen musste er dem Kreis der Verdächtigen hinzurechnen.

Ein Zug von Verbitterung grub sich um Mercants Mundwinkel ein, als er die ausgedruckten Daten überflog. Jedem Blatt war ein Foto beigeheftet, ein Ausdruck aus den Flugunterlagen.

Da war Frederik Johannes Dudzig, ein schwerreicher Geschäftsmann. Die von Terra unterstützten Kolonialwelten galten als seine Domäne. Er war viel unterwegs, machte Geschäfte sogar mit den Regierungen und war es gewohnt, alles zu erreichen, was er sich vornahm. Er galt als hart und konsequent, wenn es darum ging, Verhandlungen zu führen und die Ergebnisse zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Auch gab es manchen Punkt in seinem Leben, der sich im Nebel der Vergangenheit verlor.

Die Zeit war zu kurz gewesen, um weitergehende Nachforschungen anzustellen. Keiner bedauerte dies mehr als Allan D. Mercant selbst.

Eingehend betrachtete er das Foto.

Dudzig war ein Mann in den besten Jahren. Sein kantig vorstehendes Kinn, die Wangenknochen und der stechende Blick seiner Augen ließen ihn unnachgiebig erscheinen. Das gewellte, von grauen Strähnen durchzogene Haar machte ihn wohl auch für Frauen interessant.

Der Zweite, mit dem Mercant sich befasste, war kein Terraner. Seine hochgewachsene, dürre Gestalt wies ihn als Ara aus, als Angehörigen der Galaktischen Mediziner. Zugegeben, es kam selten vor, dass Menschen wie er sich einer irdischen Fluglinie anvertrauten, doch für Tari Nango war dies keineswegs das erste Mal. Die Solare Abwehr hatte seine Spur mehrere Jahre weit zurückverfolgen können. Auf sieben von neun Welten war es während seiner Anwesenheit zu einem vermehrten schwunghaften Handel mit Liquitiv gekommen, jenem Likör, von dem es hieß, er wäre vorzüglich geeignet, den natürlichen Alterungsprozess des Organismus hinauszuschieben und jedem, der ihn genoss, neue Spannkraft zu verleihen.

Der verhängnisvolle Irrtum war zwar längst erkannt, und alle Anstrengungen wurden unternommen, um die weitere Verbreitung dieses gefährlichen Rauschmittels zu unterbinden und die Süchtigen zu heilen, aber solange die Hintermänner und Marionetten der Antis nicht gefasst waren, musste mit neuen Problemen gerechnet werden. Deshalb nahm Allan D. Mercant den ihm zugespielten Hinweis ernst, und darum befand er sich an Bord der STARLIGHT.

Erst wenige Tage lag es zurück, dass Perry Rhodan verwundet und seelisch schwer erschüttert von Okúl heimgekehrt war. Er hatte sich verändert, schien innerlich mehr und mehr ein anderer zu werden.

Eigentlich wäre es Aufgabe des Chefs der Solaren Abwehr gewesen, in dieser unüberschaubaren Situation auf der Erde zu bleiben. Die Nachricht eines seiner Agenten hatte aber so vielversprechend geklungen, dass er selbst entgegen Rhodans ausdrücklichem Wunsch mit der STARLIGHT aufgebrochen war.

»Eine unmittelbar den Anti-Priestern des Báalol-Kultes unterstehende Person soll über Garden II auf Okúl eingeschleust werden.« So weit der genaue Wortlaut.

Seitdem besaß die SolAb keine Verbindung mehr zu ihrem Agenten. Gerade die Erwähnung der Urwelt, auf der die Antis einen ihrer wichtigsten Geheimstützpunkte unterhielten, hatte Mercant hellhörig werden lassen. Und die STARLIGHT war das einzige Schiff, das im Lauf der nächsten Monate von Garden II aus zwar nicht Okúl, aber immerhin ein nahes Sonnensystem anflog.

Der Solarmarschall blickte auf die Uhr, deren Digitalanzeige unbarmherzig den Lauf der Zeit zählte. Inzwischen war es kurz vor eins.

Auf dem Monitor der Außenbeobachtung zeichneten sich die Lichter der Verwaltungsgebäude ab. Es schneite nicht mehr. Mercant war überzeugt davon, dass diese Welt sich am nächsten Morgen wieder von ihrer besten Seite zeigen würde. Noch war es zu früh für einen endgültigen Wintereinbruch.

Er hoffte allerdings auch, dann wieder im All zu sein. Denn falls die angekündigte Space-Jet nicht kam, musste er seine Mission als gescheitert betrachten.

Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, streckte Allan D. Mercant sich aus. Er lag noch lange wach und starrte die Decke seiner Kabine an. Es wurde ein unruhiger, von Träumen bedrückter Schlaf. Als der Chef der Solaren Abwehr schließlich schweißgebadet erwachte, fühlte er sich matt und abgeschlagen. Sein erster Blick galt dem Chronometer.

Es war 7:30:02 Bordzeit.

Allan D. Mercant lauschte den vielfältigen Geräuschen, die von außen her in seine Kabine drangen. Sie und die leichten Vibrationen der Schiffszelle verrieten ihm, dass die STARLIGHT inzwischen ihren Flug fortsetzte.

Mercant schaltete sich in die Bildübertragung der Außenbeobachtung ein. Die endlose Schwärze des interstellaren Raumes sprang ihm entgegen. Kaum größer als eine Faust stand die gelbe Sonne von Garden im Zentrum des Monitors. Schräg unterhalb, die abnehmende Sichel, musste die Siedlungswelt sein.

Der Solarmarschall tippte eine Verbindung zur Zentrale. Das mürrische Gesicht des Ersten Offiziers Wilm van Kojhen zeichnete sich ab.

»Verbinden sie mich bitte mit dem Kommandanten«, sagte der SolAb-Chef.

»Tut mir leid«, erwiderte der I.O. ablehnend. »Steve McLinland ist für Passagiere derzeit nicht zu sprechen. Mit Wünschen oder Fragen wenden Sie sich an den für Ihr Deck zuständigen Steward. Andernfalls werden Sie den Käpt'n zur Mittagszeit in der Messe antreffen, wo er Sie und alle anderen im Namen der Schifffahrtsgesellschaft zu einem Begrüßungstrunk empfangen wird.« Er stockte und kniff überlegend die Augen zusammen. »Wenn ich nicht irre, sind Sie bereits seit Terra an Bord. Für Sie gilt das Gesagte natürlich nicht mehr, nur für die Neuen. Also, was wollen Sie? In einer halben Stunde geht die STARLIGHT in den Linearraum, ich habe keine Zeit.«

Mercant nickte verständnisvoll. Aus Sicherheitsgründen wusste nur der Kommandant um seine Identität. Alle anderen kannten ihn als Allan Mortens, einen leicht exzentrischen Geschäftsmann.

»Ich möchte wissen, ob der Zubringer eingetroffen ist.«

»Natürlich, Mann. Glauben Sie, sonst wären wir gestartet? Wir erfüllen unsere Verträge peinlich genau. Noch was?« Ehe sein Gesprächspartner Zeit zu einer Erwiderung finden konnte, unterbrach der Raumfahrer die Verbindung von sich aus.

Mercant seufzte. Er ließ sich Zeit mit der morgendlichen Toilette und genoss die eiskalten pulsierenden Strahlen der Körperdusche. Die prickelnde Frische verscheuchte alle düsteren Gedanken.

Dann machte der Chef der Solaren Abwehr sich auf den Weg zum Speisesaal. Er musste eingestehen, dass die Reederei beim Umbau des Schweren Kreuzers recht großzügig verfahren war. Die unteren Hangars der Dreimannzerstörer, die Roboterunterkünfte und Ersatzteillager waren entkernt und mit den Mannschaftsräumen verbunden worden, sodass zwei Hauptdecks umfassende, den Passagieren jederzeit frei zugängliche Zimmerfluchten entstanden waren. Schwere Teppiche dämpften das Geräusch der Schritte, Laufbänder und Antigravschächte sorgten für die nötige Bequemlichkeit.

Alles in allem konnte dieses Schiff sich mit den besten Hotels von Terrania City messen. Die Besatzungsstärke von 400 Mann war um ein Drittel reduziert worden, was rein den militärischen Bereich betraf. Das hieß aber nicht, dass die STARLIGHT völlig unbewaffnet war. Mit Zwischenfällen musste in der angespannten galaktopolitischen Lage immer gerechnet werden. Entsprechend waren Sondergenehmigungen für eine leichte Bewaffnung erteilt worden; selbst einige Raumjäger waren an Bord. Die Beziehungen der Eigner der STARLIGHT zur Administration in Terra waren gut – deshalb auch der Einbau des noch nicht im freien Handel verfügbaren Lineartriebwerks.

Gemessenen Schrittes durchquerte Mercant die große Empfangshalle. An den Wänden hingen 3-D-Aufnahmen der Welten, auf denen die STARLIGHT Landeerlaubnis besaß. Es waren nicht wenige.

In der Mitte der Halle, zwischen scheinbar wahllos angeordneten, hochlehnigen Sesseln, stand ein riesiger Rosenstrauß. Die Blumen waren frisch und in ihrer Leuchtkraft ungebrochen – und das, obwohl der Kreuzer seit beinahe drei Tagen im Raum war.

Mercant konnte nicht anders, als eine der Blüten anzufassen.

»Lassen Sie sich nicht täuschen«, sagte plötzlich eine wohlklingende weibliche Stimme hinter ihm. »Die Blumen sind so falsch wie kaum etwas anderes an Bord dieses Luxusschiffs.«

Er wandte sich um und blickte in ein Paar blauer Augen, die tiefgründig schienen wie ein kristallklarer Bergsee. Das Zweite, was ihm an der Frau auffiel, waren ihre Haare. Auf der Stirn zu einem Schlangenkopf geformt und seitlich eng anliegend, fielen sie ihr wie ein gewundener Natternleib bis weit in den Nacken. Ein kleines Meisterwerk, wenn man so wollte, das in den verschiedensten Farben schimmerte.

Die Frau musste Dana Jankuhr sein, eine attraktive junge Dame von erst achtundzwanzig Jahren. Der Solarmarschall wusste, dass sie sich nicht scheute, ihr Geld mit vollen Händen auszugeben. Sie liebte Reisen zwischen den Sternen, war heute hier und morgen dort und vielleicht aus diesem Grund bislang keine feste Bindung eingegangen.

Sie bemerkte Mercants Blick und lächelte. Selbst er, der von sich behaupten durfte, gegen weibliche Reize einigermaßen gefeit zu sein, fühlte seinen Pulsschlag steigen.

»Sie sind auf dem Weg zum Speisesaal?«, fragte die Frau geradeheraus.

Mercant nickte.

»Dann werde ich Sie begleiten. Es ist Ihnen doch recht, oder?«

»Selbstverständlich, äh ...«

»Dana«, sagte sie. »Nennen Sie mich einfach nur Dana. Das genügt. Immerhin werden wir fast eine Woche lang miteinander auskommen müssen. Ach, ich finde es jedes Mal herrlich, an Bord eines Raumschiffs sein zu können. Sind Sie schon öfter geflogen, Mister?«

»Mortens«, stellte Mercant sich vor. »Allan Mortens. Aber wollen wir hier stehen bleiben?«

»Sie haben recht.« Dana lachte. »Kommen Sie.«

Der Speisesaal bot gut zweihundert Personen Platz. Er war in verschiedene Ebenen unterteilt, von denen aus jeweils ein hervorragender Rundblick möglich war. Großflächige Bildschirme an den Wänden vermittelten den Eindruck, man schwebe schwerelos im All. Im Augenblick waren jedoch nur wenige Sterne zu sehen, unter denen die gelbe Sonne Garden einer war.

Blumen standen auf den Tischen – auch sie künstlich.

Bis auf zwei Plätze am anderen Ende war der Saal leer. Allan D. Mercant wusste, dass die STARLIGHT nur achtzehn Passagiere beförderte. Erst für ihren Rückflug nach Terra war sie ausgebucht.

»Nichts los, wenn es in die Randgebiete unserer Einflusssphäre geht«, bemerkte Dana Jankuhr gelangweilt. »Hoffentlich ist das in einigen Jahrzehnten anders.«

»Ich denke schon.« Ihr Gegenüber nickte. »Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten.«

»Na ja«, machte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit dem geschäftig heraneilenden Ober zu. Ihre Bestellung fiel nicht sehr umfangreich aus, beinhaltete dafür aber einige ausgefallene Leckerbissen. Mercants Frühstück war dagegen richtig bescheiden.

»Das können Sie auf der Erde ebenfalls haben«, sagte Dana. »Aber ich finde diese altmodische Art der Bedienung schön. Keine Knöpfe, die man drückt, keine Klappen im Tisch, aus denen die fertigen Tabletts kommen. Die STARLIGHT ist eben ein Luxusschiff ... Sie haben vorhin meine Frage nicht beantwortet, Allan. Sind Sie schon öfter geflogen?«

»Wie man es nimmt«, antwortete er ausweichend. »Venus, Mars und Wega ...«

Ein Roboter servierte.

Dana Jankuhr nippte an ihrem Fruchtsaft. »Eisgekühlt«, stellte sie fest. »Wirklich hervorragend.«

Die Unterhaltung drohte einzuschlafen, was dem Solarmarschall keineswegs recht sein konnte. Dana stand ebenfalls auf der Liste der Verdächtigen. Sie war zudem erst auf Garden II an Bord gekommen.

»Ihr ›Na ja‹ ...«, begann er. »Was wollten Sie damit sagen?«

Verwirrt blickte sie ihn an. Dann kam es ihr in den Sinn. »Ach so. Es ging um die weitere Entwicklung. Ich befürchte einen ziemlichen Rückschlag für die Menschheit, solange man weiterhin über alle möglichen Kanäle Liquitiv erwerben kann. Ist es nicht so, dass man davon süchtig wird?« Sie schüttelte sich.

Allan D. Mercant war ganz Ohr. Dass ausgerechnet die Frau dieses Thema anschnitt ...

»Ich habe davon gehört. Es muss ein Teufelszeug sein.«

»Sie haben davon gehört!« Dana lachte. »Ich habe sogar davon gekostet. War aber zum Glück nicht mein Geschmack.« Sie unterbrach sich, als ein Mann mittleren Alters den Speisesaal betrat.

Aufmerksam sah er sich um. Sekundenlang blieb sein Blick an der Frau hängen, schien sie förmlich durchbohren zu wollen, dann musterte er ihren Tischnachbarn geringschätzig und verzog die Mundwinkel. Er steuerte den nächsten Platz an und setzte sich so, dass er Dana nicht aus den Augen verlor. Sie stierte nur auf ihre grün lackierten Fingernägel.

Vom ersten Augenblick an spürte Mercant die Spannung, die zwischen Dudzig und der Frau entstanden war. Dabei vermochte er nicht zu sagen, ob beide sich kannten.

Endlich betrat auch der Ara den Saal. Tari Nango wirkte selbstsicher, als befinde er sich nicht auf einem terranischen Kreuzer, sondern auf einem arkonidischen Schiff oder einem Walzenraumer der Springer. Zielstrebig hielt er auf den Tisch neben Dudzig zu. Der allerdings erhob sich so abrupt, dass sein Stuhl polternd umstürzte.

Ein Roboter kam heran.

»Wo sind wir hier?«, schimpfte Dudzig. »Trage mein Essen dort hinüber!« Er zeigte auf das entgegengesetzte Ende des Raumes. Ein um Verständnis heischender Blick traf Dana, doch sie schlug sofort die Augen nieder.

»Eine Unverschämtheit«, flüsterte sie. »Mich wundert, dass der Ara so gelassen bleibt. Wir Terraner wollen eines Tages bei den Völkern der Milchstraße mitreden und zeigen trotzdem ein solches Verhalten anderen gegenüber.«

Sie hat recht, dachte Mercant betroffen. Aber manche Menschen lassen sich eben nur schwer ändern. Dabei haben wir in den nicht einmal eineinhalb Jahrhunderten seit Rhodans erster Landung auf dem Mond sehr viel geschafft.

Die Spannung löste sich ein wenig. Um Danas Mundwinkel zuckte es verächtlich.

»Wir sehen uns wieder?«, fragte sie, als Mercant aufstand.

»Bestimmt«, erwiderte er. »An Bord eines Raumschiffs geht niemand verloren.«

War seine erste spontane Vermutung falsch gewesen? Der Solarmarschall glaubte plötzlich nicht mehr, dass Dana Jankuhr und Frederik Dudzig gemeinsame Sache machten.

Im Vorübergehen warf er dem Ara forschende Blicke zu. Tari Nango gab sich alle Mühe, sie zu übersehen.

Kapitel 2

 

Seit Stunden bewegte die STARLIGHT sich mit mehrtausendfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Linearraum, jene vorerst nur mathematisch zu definierende Zone zwischen vierter und fünfter Dimension. Die Kalup'schen Kompensatoren arbeiteten einwandfrei. Sie erzeugten ein den ehemaligen Kreuzer einhüllendes Kugelfeld, innerhalb dessen weder die Gesetze des Hyperraums noch die des Einsteinuniversums Gültigkeit besaßen.

Die STARLIGHT war als eines der ersten Passagierschiffe mit diesem neuartigen Überlichtantrieb ausgerüstet worden. Sämtliche Systeme arbeiteten einwandfrei. Niemand hatte einen Entmaterialisierungsschmerz verspürt, wie er bei Transitionsschiffen infolge der totalen Entstofflichung auftrat.

Die Sicht in das Normaluniversum war getrübt. Mehr als schattenhafte, linienförmige Lichterscheinungen zeigten sich nicht auf den Bildschirmen. Nur das Zielgebiet vor dem Schiff konnte optisch einwandfrei dargestellt werden.

Allein mit sich und seinen Gedanken, wanderte der Solarmarschall durch die Korridore des Schiffes. Wie mochte es Rhodan gehen? In nächster Zeit standen Entscheidungen bevor, die sich mit seinem angegriffenen Gesundheitszustand kaum würden bewältigen lassen.

Ein Schott versperrte Mercant den Weg.

SIE VERLASSEN DEN GESONDERTEN BEREICH, stand da in großen roten Lettern. BETRETEN DER TECHNISCHEN ANLAGEN NUR MIT AUSDRÜCKLICHER GENEHMIGUNG DER SCHIFFSFÜHRUNG ODER ANLÄSSLICH DER JEWEILIGEN BESICHTIGUNGSTERMINE.

Allan D. Mercant wusste, dass hinter diesem Schott ein Zugang zu den Schirmfeldgeneratoren lag. Gleichzeitig befanden sich auf diesem Deck die Reaktoren zur Stromversorgung der Schutzschirme sowie einige kleinkalibrige Impulsgeschütze.

Einige Augenblicke lang zögerte er, dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Um sein Vorhaben erfolgreich ausführen zu können, durfte er nicht auffallen. Dazu gehörte auch, dass die Besatzung über seine wahre Identität im Unklaren blieb.

Als er das Geräusch leiser Schritte vernahm, huschte Mercant in einen Seitengang und verbarg sich in der Nische eines Interkomanschlusses. Die Schritte kamen näher – vorsichtig, wie es schien, und immer wieder verhaltend.

Nach einer Weile, als der Mann oder die Frau weitergegangen war, verließ er das Versteck. Er sah den Schatten einer hochgewachsenen Gestalt um die nächste Biegung verschwinden.

Tari Nango ...?

Wer immer es war, ließ sich von dem geschlossenen Schott nicht aufhalten. Etliche Minuten vergingen. Mercant hörte, dass der Betreffende sich an dem Impulsschloss zu schaffen machte.

Er wartete, bis die Gefahr der Entdeckung vorüber war. Nango hatte das Schloss fachmännisch geöffnet und die Leitung zur Zentrale so überbrückt, dass eine entsprechende Anzeige unterblieb.

Allan D. Mercant lächelte zufrieden. Schon die Art und Weise, wie der Ara seinem Blick ausgewichen war, hatte ihm zu denken gegeben. Nun wusste er, dass er sich noch immer auf seine Instinkte verlassen durfte.

Nur – was beabsichtigte Tari Nango?

Der Korridor, in dem Mercant stand, verzweigte sich mehrfach. Keine zwanzig Meter entfernt führte ein Antigravschacht nach oben. Möglich, dass der Ara diesen Weg genommen hatte.

Auf den nächsten Decks lagen die Hangars mit den Einmannjägern, dann folgten die Kalup'schen Konverter und Maschinenräume. Dort hielten sich aber auch die meisten Besatzungsmitglieder auf. Und noch höher, praktisch über den Ringwulst hinaus, befanden sich die Zentrale und die Mannschaftsräume.

»Mach, was du willst«, murmelte Mercant vor sich hin. »Ich weiß jetzt wenigstens, dass ich dich im Auge behalten muss.«

Ungesehen gelangte er in den unteren Teil des Schiffes zurück.

 

Dana Jankuhr bedachte ihn mit einem bitterbösen Augenaufschlag, als er zum Abendessen nicht ihr gegenüber Platz nahm, sondern sich an den Tisch von Tari Nango setzte. Der Ara sah nur flüchtig auf und widmete sich dann wieder dem Studium seines Handlesegerätes.

»Sie sind Wissenschaftler?«, begann Mercant schließlich, um dennoch eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

»Was sonst?«, brummte der Ara missgelaunt. »Arzt. Oder ist das nicht allgemein bekannt?«

»Doch, doch«, beeilte der Solarmarschall sich zu versichern. »Ich wollte nur fragen, wie Ihnen das Schiff gefällt ...«

»Weil es ein terranisches ist? Trotzdem ganz gut. Der Komfort ist zumindest angemessen.«

»Das freut mich«, lächelte Mercant. »Eigentlich verstehen wir uns immer noch nicht richtig.« Der Ausdruck seiner Augen nahm jene Wachsamkeit an, die jeden Gegner warnen sollte.

Tari Nango achtete nicht darauf. Unvermittelt nahm er das Lesegerät hoch und starrte Mercant über die Oberkante hinweg an.

»Was wollen Sie von mir?«

Der Solarmarschall behielt sein Lächeln bei. »Ich meine, es muss interessant sein, die Maschinen der STARLIGHT zu besichtigen.«

Tari Nango rückte näher und stützte seine Ellbogen auf die Tischplatte. »Sie haben mir nachspioniert?«

»Gibt es etwas zu spionieren?«, erwiderte Mercant leichthin. »Ich wurde zufällig Zeuge, wie Sie das Schott geöffnet haben.«