Eine Reihe von wunderbaren Menschen hat mir bei meiner Recherche für dieses Buch geholfen. Ganz besonderer Dank gilt meiner Mutter Lou Titus, die so hart am Hintergrundmaterial gearbeitet hat. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei den freundlichen Angestellten der Nichols Library, die mir immer hilfreich zur Seite standen, ebenso wie Linda Barlow. Weiterer Dank gilt Kacy Frazier, dem Personal des Brookfield-Zoos, David Morgan und dem World Circus Museum für die Beantwortung meiner zahllosen Fragen.
Mein ganz spezieller Dank geht an Jill Barnett, deren umsichtige Kritikfähigkeit mich davor bewahrt hat, verrückt zu werden. Und meiner Lektorin Carrie Feron, die mir das beste Geschenk gemacht hat, das sich eine Schriftstellerin wünschen kann: die nötige innere Ruhe, um zu schreiben.
Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland, England und den USA. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von chicago.
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Daisy und Alex heirateten zehn Tage später zum zweiten Mal. Sie standen auf einer Wiese nördlich von Tampa. Die Zeremonie fand bei Morgengrauen statt, weil die Braut auf die Anwesenheit eines Gastes bestanden hatte, auf den die anderen gut und gerne verzichtet hätten.
Sinjun lag zu Füßen von Daisy, und die beiden waren mit einem langen silbernen Band miteinander verbunden. Das eine Ende war um seinen Nacken geschlungen und das andere um ihr Handgelenk. Aufgrund seiner Anwesenheit war das Grüppchen, das der Zeremonie um sechs Uhr morgens beiwohnte, relativ klein. Und verständlicherweise nervös.
»Ich weiß wirklich nicht, warum sie ihn nicht in seinem Käfig lassen konnte«, fuhr Sheba ihren Mann an, den Mann, den sie vor ein paar Tagen bei einer feierlichen Zeremonie im Ring geheiratet hatte, komplett mit einer Vorstellung der Flying Toleas.
»Erzähl mir ja nichts über dickköpfige Frauen«, sagte er. »Ich bin mit einer verheiratet.«
Sie bedachte ihn mit einem wissenden Blick. »Wie gut für dich.«
»Ja«, sagte er lächelnd. »Gut für mich.«
Heather stand links und streichelte Taters Rüssel, während sie Daisy kritisch beäugte. Wenn das ihre Hochzeit wäre, entschied sie, würde sie etwas Hübscheres angezogen haben als alte Jeans, besonders, wo sie genau wußte, daß Daisy sie gar nicht mehr zubekam. Und obendrein trug sie auch noch eins von Alex blauen Anzughemden, um die verräterischen Anzeichen zu kaschieren.
Nun, sie sah trotzdem richtig süß aus. Ihre Wangen waren ganz rosig, ihre Augen glänzten, und sie hatte einen Brautkranz aus Gänseblümchen auf. Alex hatte ihn ihr als Überraschung überreicht, zusammen mit einem so dicken Diamantring, daß sie sich glücklich schätzen konnten, daß die Sonne noch nicht ganz aufgegangen war, denn sonst wären sie möglicherweise alle erblindet.
So viel hatte sich in diesem Sommer in Heathers Leben verändert, daß sie’s immer noch nicht ganz fassen konnte. Sheba behielt Quest Brothers nun doch, und Heather war sich ziemlich sicher, daß sie und ihr Dad an einem Baby arbeiteten. Sheba war die coolste Stiefmutter, die man sich vorstellen konnte. Sie hatte gesagt, Heather könne dieses Jahr mit Verabredungen anfangen, obwohl ihr Dad gemeint hatte, nur über seine Leiche. Und Sheba umarmte die Leute jetzt ebenso gern wie Daisy.
Daisy hatte Heather erzählt, daß sie auf Alex’ College Kurse belegen würde, sobald das Baby auf der Welt war, um Erzieherin werden zu können, und die beiden hatten vor, im Dezember nach Rußland zu gehen, um irgendwas für dieses Riesenmuseum einzukaufen, das Alex repräsentierte. Aber am besten war, daß sie nächsten Sommer einen Monat lang mit Quest Brothers unterwegs sein würden, und Daisy hatte sogar gesagt, daß sie wieder mit Alex in den Ring steigen würde. Sie hatte gemeint, sie hätte keine Angst mehr, weil ihr das Schlimmste ja bereits passiert wäre.
Alex sprach seine Gelübde mit tiefer, ein wenig wackliger Stimme, und sein Gesicht, als er nun zu Daisy hinunterblickte, war so weich, daß jeder sehen konnte, wie sehr er sie liebte. Daisy fing natürlich an zu heulen, und Jill mußte ihr ein Tempo reichen.
Daisy schnüffelte und schneuzte sich, dann war die Reihe an ihr. »Ich, Daisy Devereaux Markov, nehme dich …« Sie hielt inne.
Alex blickte sie an und zog die Augenbrauen hoch. »Sag nichts. Du hast schon wieder meinen Namen vergessen.« Er wirkte ein wenig irritiert, aber Heather konnte sehen, daß er am liebsten gelacht hätte.
»Natürlich nicht. Aber du hast deinen Mittelnamen nicht gesagt, und ich hab gerade gemerkt, daß ich ihn gar nicht weiß.«
»Ach so.« Er beugte sich zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
»Perfekt.« Sie lächelte unter Tränen und blickte ihm nochmal tief in die Augen. »Ich, Daisy Devereaux Markov, nehme dich, Alexander Romanov Markov …«
Wahrend sie weitersprach, hielt Alex ihre Hand richtig fest, und Heather hätte schwören können, daß auch in seinen Augen Tränen standen.
Sinjun erhob sich und reckte sich, bis er mindestens fünfzig Meter lang war. Sheba wurde ganz nervös und klammerte sich an den Arm von Heathers Dad, was etwas ganz Neues war. Heather war auch nicht gerade wild auf den Tiger, aber sie benahm sich jedenfalls nicht so feige wie Sheba.
Sheba hatte alle überrascht, als sie Daisy den Tiger zum Hochzeitsgeschenk machte, und Alex hatte sofort jemanden mit dem Bau eines richtig coolen Tigergeheges hinter seinem Haus in Connecticut beauftragt. Es mußte toll sein, wenn man so reich war. Es hatte zwar noch niemand was gesagt, aber Heather hatte das Gefühl, daß auch Tater den Winter in Alex’ Scheune in Connecticut verbringen würde, anstatt in Tampa mit den anderen Elefanten.
»Ich erkläre euch nun zu Mann und Frau.«
Daisy und Alex blickten einander an, und einen Augenblick lang sah es so aus, als hätten sie alles um sich herum vergessen. Schließlich fiel Alex wieder ein, daß jetzt der Teil mit dem Kuß dran war, und er knutschte ihr so richtig einen auf. Heather konnte nicht sagen, ob’s ein Zungenkuß war, aber es hätte sie nicht überrascht. Während sie sich küßten, wurden sie von Tater mit Heu besprenkelt, wie wenn es Reis wäre.
Alle fingen an zu lachen, außer Sheba, die Sinjun nicht aus den Augen ließ.
Daisy ließ Sinjuns silbernes Halsband los. Dann stieß sie einen Jubelschrei aus und warf sich Alex in die Arme. Der nahm sie hoch und wirbelte sie herum, aber er hielt sie dabei ganz vorsichtig, um dem Baby nicht weh zu tun und so.
Als er mit Rumwirbeln fertig war, küßte er sie noch mal. »Ich hab die beste Markov von allen.«
Daisy bekam diesen richtig weichen Ausdruck im Gesicht, den selbst Heather süß fand. »Und ich hab den besten Markov auf der Welt.«
Sie benahmen sich so albern, daß sich Heather ein bißchen für sie schämte, bloß daß sie selbst irgendwie heulte, weil sie Happy Ends so cool fand.
Dann merkte sie auf einmal, daß es überhaupt nicht zu Ende war. Sie ließ den Blick über all die Menschen schweifen, die sie so sehr liebte, und wußte auf einmal, daß alle hier gerade erst anfingen.
Daisy Devereaux war der Name ihres Bräutigams entfallen. »Ich, Theodosia, nehme dich, …«
Sie biß sich auf die Unterlippe. Sie war ihm vor ein paar Tagen von ihrem Vater vorgestellt worden, an jenem schrecklichen Vormittag, als sie zu dritt beim Standesamt die Heiratslizenz beantragt hatten, und dort hatte sie auch seinen Namen gehört. Der Mann war gleich danach wieder verschwunden, und sie hatte ihn erst vor ein paar Minuten wiedergesehen, als sie die Treppe des am Central Park West gelegenen Duplex-Apartments ihres Vaters herunterkam, in dem an diesem Vormittag die überhastete Zeremonie stattfinden sollte.
Ihr Vater stand hinter ihr, und Daisy fühlte ihn förmlich vor Mißbilligung vibrieren, doch das war nichts Neues für sie. Er war schon von ihr enttäuscht gewesen, bevor sie überhaupt auf der Welt war, und egal, wie sehr sie sich auch bemühte, es war ihr nie gelungen, seine Meinung über sie zu ändern. Sie riskierte einen verstohlenen Seitenblick auf diesen Bräutigam, den ihr Vater ihr mit seinem Geld gekauft hatte. Der typische Hengst. Ein ziemlich furchteinflößender Hengst, so groß wie er war, so hart, ja fast hager, und so muskulös, und mit diesen unheimlichen, bernsteinfarbenen Augen. Ihre Mutter wäre entzückt gewesen.
Lani Devereaux war letztes Jahr auf einer brennenden Jacht ums Leben gekommen – in den Armen eines vierundzwanzigjährigen Rockstars. Daisy war inzwischen soweit, ohne übergroßen Kummer an ihre Mutter denken zu können, und sie mußte lächeln, als ihr der Gedanke kam, daß der Mann neben ihr in den Augen ihrer Mutter zu alt gewesen wäre. Er sah aus wie Mitte Dreißig, und Lanis Obergrenze hatte bei neunundzwanzig gelegen.
Sein Haar war so dunkel, daß es fast schwarz wirkte, und mit seinen feingemeißelten Gesichtszügen hätte er beinahe zu schön ausgesehen, wenn da nicht das energische Kinn gewesen wäre, ganz zu schweigen von dem finster-bedrohlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Der brutal-attraktive Typ war eigentlich mehr Lanis Sache, sie selbst bevorzugte seit jeher den eher konservativen, väterlichen Typ. Nicht zum ersten Mal, seit die Zeremonie begonnen hatte, wünschte sie, ihr Vater hätte einen weniger einschüchternden Kerl für sie ausgesucht.
Sie versuchte, ihre flatternden Nerven mit dem Gedanken zu beruhigen, daß sie ja nicht mehr als ein paar Stunden in der Gesellschaft ihres frisch angetrauten Gatten würde verbringen müssen. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würde sie ihm von ihrem Plan erzählen, und dann wäre die ganze leidige Angelegenheit vergessen. Unglücklicherweise beinhaltete ihr Plan leider auch den Bruch der heiligen Ehegelübde, die sie soeben dabei war abzulegen, und da sie nicht zu jenen Menschen gehörte, die Gelübde auf die leichte Schulter nehmen – ganz besonders nicht Ehegelübde –, fürchtete sie zu Recht, daß ihr schlechtes Gewissen für diese Denkblockade verantwortlich war.
In der Hoffnung, daß ihr der Name auf wundersame Weise ins Gedächtnis hüpfen würde, fing sie noch mal von vorne an. »Ich, Theodosia, nehme dich …« Wieder verlief sich ihre Stimme.
Ihr Bräutigam hatte nicht mal einen Blick für sie übrig, ganz zu schweigen von dem ersehnten Zauberwort. Er blickte starr nach vorn, und sein kompromißloses Profil jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Er hatte sein Ehegelübde gerade abgelegt, also mußte er seinen Namen ja wohl erwähnt haben, doch in dem kalten Monoton seiner Stimme, das ihre Panik noch erhöht hatte, war er ihr vollkommen entgangen.
»Alexander«, fauchte ihr Vater von rückwärts, und so wie das klang, war Daisy sicher, daß er mal wieder die Zähne zusammenbiß. Für einen der bedeutendsten Diplomaten der Vereinigten Staaten besaß er beklagenswert wenig Geduld, wenn es um sie ging.
Sie grub die Fingernagel in die Handflächen und sagte sich, daß sie ja schließlich keine Wahl hatte. »Ich, Theodosia …« Sie rang nach Luft. »… nehme dich, Alexander …« Erneut ein Luftringen. »… zu meinem schlechtmäßig angetrauten Ehemann …«
Erst als sie ihre Stiefmutter Amelia aufkeuchen hörte, wurde Daisy klar, was sie gerade gesagt hatte.
Der Hengst drehte den Kopf und blickte auf sie herab. Er zog eine dunkle Augenbraue ein wenig in die Höhe, als ob er nicht glauben könne, was er gerade gehört hatte. Mein schlechtmäßig angetrauter Ehemann. Auf einmal meldete sich ihr Sinn für Humor wieder, und sie fühlte ihre Mundwinkel zucken.
Seine Brauen fuhren zusammen wie zwei Gewitterwolken, und seine unheimlichen, tiefliegenden Augen betrachteten sie ohne einen Funken von Belustigung. Offenbar litt der Hengst nicht unter demselben Problem wie sie, nämlich unangebrachtem Humor.
Tapfer kämpfte sie ihre aufblubbernde Hysterie herunter und stammelte weiter, ohne sich zu korrigieren. Wenigstens dieser Teil ihres Gelübdes stimmte, denn er war ganz sicher ein denkbar schlechter Ehemann für sie. In diesem Augenblick löste sich ihre Denkblockade in Luft auf, und sein Nachname ploppte in ihr Gehirn. Markov. Alexander Markov . Noch einer von diesen Russen, mit denen sich ihr Vater so gerne umgab.
Als ehemaliger amerikanischer Botschafter für die Sowjetunion besaß ihr Vater, Max Petroff, enge Verbindungen zu den Russen, sowohl hier in Amerika als auch im Ausland. Selbst in diesem Raum, in dem die Trauung stattfand, war seine Leidenschaft für die Heimat seiner Ahnen nicht zu übersehen: blauer Wandanstrich, so typisch für Rußland, ein gelbgekachelter Kamin und ein bunter Kelim-Teppich. Links von ihr standen eine Kommode aus Walnuß mit Vasen aus russischem Kobalt sowie erlesene Stücke aus Porzellan und Glas aus den Manufakturen in Sankt Petersburg. Die Möblierung war eine Mischung aus Art Deco und achtzehntem Jahrhundert, die dennoch nicht unharmonisch wirkte.
Die große Hand ihres Bräutigams ergriff ihre kleine und streifte ihr brüsk einen einfachen Goldring über.
»Mit diesem Ring nehme ich dich zur Frau«, sagte eine schroffe, unnachgiebige Stimme.
Verwirrt blickte sie den schlichten Ring an. So lange sie denken konnte, schwelgte sie in »bourgeoisen Hirngespinsten über Liebe und Ehe«, wie ihre Mutter Lani es immer genannt hatte, und so etwas wie das hier hätte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können.
»… kraft meines Amtes erkläre ich Sie nun zu Mann und Frau.«
Sie erstarrte, während sie darauf wartete, daß Friedensrichter Rhinsetler den Bräutigam dazu aufforderte, die Braut zu küssen. Als das nicht geschah, wußte sie, daß ihr Vater ihn gebeten hatte, es zu unterlassen, um ihr die Peinlichkeit zu ersparen. Sie war froh, diesen harten, verkniffenen Mund nicht küssen zu müssen. Typisch Vater, an ein Detail zu denken, das jeder andere außer acht gelassen hätte. Obwohl sie das nie und nimmer zugegeben hätte, wünschte sie, ein wenig mehr wie er zu sein, aber sie war ja noch nicht mal in der Lage, ihr Leben in großen Zügen in den Griff zu kriegen, geschweige denn die unwichtigeren Einzelheiten.
Selbstmitleid lag ihr nicht, also schüttelte sie die Anwandlung ab und reckte ihrem Vater gehorsam die Wange hin, als dieser vortrat, um ihr den obligatorischen Gratulationskuß zu geben. Sie ertappte sich dabei, wie sie auf ein Wort der Zuneigung hoffte, war jedoch nicht überrascht, als nichts kam. Ja, sie brachte es sogar fertig, sich nichts anmerken zu lassen, als er sich wieder von ihr zurückzog.
Er zog ihren mysteriösen Bräutigam an die Fensterfront, die auf den Central Park zeigte, wo sich ihnen Richter Rhinsetler anschloß. Die beiden anderen Zeugen der Trauung waren der Chauffeur, der sich taktvoll zurückzog, um sich seinen Pflichten zu widmen, und die Frau ihres Vaters, Amelia, mit ihrem kühlen, hellblonden Haar und dem nasalen Südstaatenakzent.
»Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe. Was für ein wunderschönes Paar ihr doch seid, du und Alexander. Sehen sie nicht wundervoll aus, Max?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zog Amelia Daisy an ihre stark parfümierte Brust.
Amelia tat, als würde sie die uneheliche Tochter ihres Mannes wirklich mögen, und obwohl Daisy ihre wahren Gefühle kannte, mußte sie Amelia zugute halten, daß sie es immerhin versuchte. Sicher war es nicht leicht für sie, mit dem lebenden Beweis für die einzige unverantwortliche Handlung, die ihrem Gatten je unterlaufen war, konfrontiert zu sein, selbst wenn ihm diese Handlung schon vor gut sechsundzwanzig Jahren unterlaufen war.
»Ich weiß wirklich nicht, warum du unbedingt auf diesem Kleid bestanden hast, meine Liebe. Es mag ja recht nett für einen Tanzabend sein, aber wohl kaum für eine Hochzeit.« Amelias kritischer Blick glitt vernichtend über Daisys sündteures Trägerkleidchen mit dem kurzen Rüschenrock aus Goldmetallic-Tüll, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.
»Es ist fast weiß.«
»Gold ist nicht weiß, meine Liebe. Und es ist außerdem viel zu kurz«
»Der Blazer ist aber ganz konservativ«, entgegnete Daisy und strich mit den Händen über ihren voluminösen goldenen Satinblazer, der ihr bis zum Ansatz ihrer Oberschenkel reichte.
»Was den Rest auch nicht besser macht. Warum konntest du nicht das traditionelle Weiß tragen? Oder zumindest etwas weniger Auffälliges.«
Weil das hier keine echte Ehe ist, dachte Daisy, und je mehr sie sich der Tradition beugte, desto stärker wurde sie daran erinnert, daß sie im Begriff stand, einen Eid zu brechen, der heilig sein sollte. Sie hatte sogar die Gardenie aus dem Haar genommen, die ihr Amelia dorthin gesteckt hatte, nur leider hatte ihre Stiefmutter es sofort bemerkt, als sie herunterkam, und sie ihr wieder hineingesteckt.
Sie wußte, daß Amelia auch ihre goldenen Schuhe mißfielen. Sie sahen aus wie die Sandalen von römischen Gladiatoren, mit dicken, zehn Zentimeter hohen, goldenen Plateausohlen. Sie waren schrecklich unbequem, aber zumindest bestand nicht die Gefahr, sie mit den traditionellen weißen Pumps zu verwechseln.
»Dein Bräutigam sieht nicht gerade glücklich aus«, flüsterte Amelia. »Nicht, daß mich das überrascht. Versuch also, nichts Dummes zu sagen, wenigstens eine Zeitlang, ja? Du solltest wirklich etwas gegen diese ärgerliche Angewohnheit von dir unternehmen, einfach, ohne zu überlegen, alles herauszuplappern.«
Daisy unterdrückte mühsam einen Seufzer. Amelia sagte nie, was sie wirklich dachte, während Daisy das immer tat, und ihre entwaffnende Ehrlichkeit löste beständiges Entsetzen bei ihrer Stiefmutter aus. Aber Daisy war nicht gut im Verstellen. Vielleicht daher, weil ihre Eltern so gut darin waren.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihren Gatten und fragte sich, wieviel ihm ihr Vater wohl für die Heirat mit ihr bezahlt hatte. So verrückt der Gedanke auch war, sie hätte gerne gewußt, wie die eigentliche Transaktion stattgefunden hatte. In bar? Per Scheck? Verzeihen Sie, Mr. Markov, aber nehmen Sie auch American Express? Sie sah, wie ihr Bräutigam einen auf einem Tablett angebotenen Cocktail zurückwies, und versuchte sich vorzustellen, was wohl in ihm vorgehen mochte.
Wie lange noch, bevor er den kleinen Fratz rausbugsieren konnte? Alex Markov warf einen ungehaltenen Blick auf seine Armbanduhr. Fünf Minuten sollten genügen, entschied er. Er sah, wie der Steward mit seinem Tablett mit Erfrischungen um sie herumscharwenzelte. Genieß es, Süße, so lange es noch geht. Passiert dir so schnell nicht wieder, darauf kannst du dich verlassen.
Wahrend Max dem Richter einen antiken Samowar zeigte, beäugte Alex die Beine seiner Frischangetrauten, die gut sichtbar unter diesem absolut unmöglichen Ding, das sie wohl für ein Hochzeitskleid hielt, hervorlugten. Sie waren schlank und wohlgeformt, und er fragte sich, ob der Rest ihrer Figur, die sie unter einem haarsträubenden Goldblazer mit enormen Schulterpolstern verbarg, wohl ebenso wohlgeformt und verlockend war. Doch nicht einmal der Körper einer Sirene hätte ihn für diese Zwangsehe entschädigen können.
Er mußte an sein letztes Gespräch mit Daisys Vater denken. »Sie ist vollkommen verzogen, oberflächlich und unzuverlässig«, war Max Petroffs Urteil. »Ihre Mutter hat einen schlimmen Einfluß auf sie gehabt. Ich glaube nicht, daß Daisy je etwas Nützliches und Sinnvolles getan hat. Zugegeben, es ist nicht allein ihre Schuld. Lani hat sie immer ausgehalten und bis zu ihrem Tod überall mit sich herumgeschleppt. Es ist das reine Wunder, daß Daisy sich nicht auch auf dem Boot befand, als das Feuer ausbrach. Meine Tochter braucht eine starke Hand, Alex, oder sie treibt dich in den Wahnsinn.«
Nach dem, was Alex bis jetzt von Daisy gesehen hatte, war er nicht gerade geneigt, Max’ Urteil in Frage zu stellen. Ihre Mutter war Lani Devereaux, ein englisches Fotomodell, das vor dreißig Jahren äußerst populär gewesen war. Lani und Max Petroff hatten damals – er fing gerade an, seinen Weg als außenpolitischer Experte zu gehen – eine stürmische Liebesaffäre gehabt, die er sich heute nur noch mit der abgedroschenen Phrase der berühmten Gegensätze, die sich anzogen, erklären konnte, und das Resultat war Daisy.
Max machte Alex auf seine steife Art deutlich, daß er Lani damals die Ehe angeboten hatte, als sie so unerwartet schwanger geworden war, aber Lani war nicht bereit gewesen, das Hausmütterchen zu spielen. Dennoch, so beharrte Max, hatte er seiner unehelichen Tochter gegenüber, so peinlich ihm die ganze Angelegenheit auch sein mochte, immer seine Pflicht getan.
Die Tatsachen deuteten jedoch auf das Gegenteil hin. Als es mit Lanis Karriere allmählich bergab ging, entwickelte sie sich zu einem professionellen Partygirl, das bei den Reichen und Schönen unentwegt die Runde machte. Und wo Lani hinging, da mußte auch Daisy hin. Zumindest hatte Lani früher einmal eine glänzende Karriere gehabt, dachte Alex, Daisy dagegen hatte es anscheinend bis jetzt noch nicht mal ansatzweise zu etwas gebracht.
Als Alex seine junge Braut nun etwas genauer unter die Lupe nahm, entdeckte er tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Beide besaßen dasselbe blauschwarze Haar und jene blasse, ja weiße Haut, die nur Frauen zu eigen ist, die sich hauptsächlich drinnen aufhalten. Ihre Augen waren von einem ganz ungewöhnlichen Blau, einem tiefen, leuchtenden Veilchenblau, das beinahe lila wirkte. Aber sie war viel kleiner als ihre Mutter – für seinen Geschmack viel zu zierlich –, und ihre Gesichtszüge waren nicht annähernd so kühn wie die ihrer Mutter. Soweit er sich an alte Bilder in Zeitschriften erinnern konnte, war Lanis Profil beinahe maskulin gewesen, während Daisys eine verwischte Qualität besaß, die besonders stark in ihrer lächerlichen kleinen Stubsnase und dem albernen kleinen Kindermund hervortrat.
Laut Max hatte Lani zwar blendend ausgesehen, war jedoch, was Hirn betraf, nicht gerade üppig ausgestattet gewesen, eine Eigenschaft, die der kleine Hohlkopf dort hinten offenbar ebenfalls geerbt hatte. Man konnte sie nicht gerade als Dummchen bezeichnen, dafür war sie zu gebildet, doch er konnte sie sich ohne Schwierigkeiten als Betthäschen irgendeines reichen Mannes vorstellen.
Er war immer ziemlich wählerisch gewesen, was seine Bettpartnerinnen betraf, und so verlockend ihre süße kleine Figur auch aussehen mochte, er bevorzugte eine andere Art Frau, eine, die mehr zu bieten hatte als ein Paar wohlgeformter Beine. Er mochte intelligente und unabhängige Frauen, Frauen mit Ehrgeiz und der Fähigkeit, ebensogut auszuteilen wie einzustecken. Er respektierte Frauen, die ihm ordentlich ihre Meinung sagten, aber er haßte Schmollen und Geheule. Er wurde schon gereizt, wenn er die kleine Spitzmaus dort hinten nur ansah.
Nun, zumindest war’s kein Problem, sie kleinzukriegen, und kleinkriegen würde er sie. Sein Mundwinkel verzog sich zu einem sardonischen Lächeln, während er sie ansah. Verwöhnte kleine Mädchen müssen am Ende immer bezahlen, so ist nun mal das Leben. Baby, Baby, sei froh, daß du nicht weißt, was dir bevorsteht.
Daisy blieb am anderen Ende des großen Raums vor einem antiken Wandspiegel stehen, um sich zu betrachten. Sie tat das nicht aus Eitelkeit, sondern aus reiner Gewohnheit. Für ihre Mutter war die äußere Erscheinung alles gewesen. Verschmierte Wimperntusche war in ihren Augen eine größere Katastrophe als ein nuklearer Holocaust.
Daisys neuer Haarschnitt war vorne kinnlang und hinten ein wenig länger; er war frisch, duftig und jugendlich, mit einigen leichten Wellen und Locken. Sie liebte ihre neue Frisur, und erst recht, seit Amelia heute vormittag mißbilligend mit der Zunge geschnalzt und gemeint hatte, wie unordentlich sie doch aussehe für eine Hochzeit.
Daisy, die immer noch in den Spiegel blickte, sah auf einmal ihren Bräutigam hinter sich auftauchen. Sie beeilte sich, ein höfliches Lächeln aufzusetzen, wobei sie sich versicherte, daß schon alles gut werden würde. Es mußte einfach.
»Pack deine Sachen, Engelchen. Wir gehen.«
Sein Ton gefiel ihr nicht, aber sie hatte gelernt, mit schwierigen Menschen umzugehen, und überhörte ihn. »Maria hat ihr spezielles Grand-Marnier-Soufflé als Nachspeise geplant, aber es ist noch nicht ganz fertig, also müssen wir noch ein wenig warten.«
»Ich fürchte, daraus wird nichts. Wir müssen unser Flugzeug kriegen. Dein Gepäck ist bereits im Wagen.«
Sie brauchte noch etwas Zeit. Sie war noch nicht bereit, schon mit ihm allein zu sein. »Könnten wir nicht einen späteren Flug nehmen, Alexander? Ich möchte Maria nicht gerne enttäuschen. Sie ist Amelias Augapfel, und ihre Brunches sind einfach himmlisch.«
Sein Mund verzog sich zwar zu einem verständnisvollen Lächeln, doch seine Augen durchbohrten sie messerscharf. Sie besaßen eine ungewöhnliche Farbe, seine Augen, ein heller Bernsteinton, der sie an etwas Unheimliches erinnerte. Sie konnte sich zwar nicht genau erinnern, an was, doch fühlte sie sich zunehmend unbehaglich.
»Der Name ist Alex, und du hast ’ne Minute, um deinen süßen kleinen Hintern hier rauszubewegen.«
Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz, und ihr Puls fing an zu hämmern, doch bevor sie etwas sagen konnte, drehte er sich um und verkündete den drei anderen Anwesenden in ruhigem, aber nichtsdestoweniger respekteinflößendem Ton: »Ich hoffe, ihr entschuldigt uns. Wir müssen unseren Flug noch kriegen.«
Amelia trat vor und schenkte Daisy ein wissendes Lächeln. »Ach du liebe Güte. Da kann’s jemand kaum abwarten, daß die Hochzeitsnacht anbricht. Unsere Daisy ist aber auch ein kleiner Leckerbissen, nicht wahr?«
Daisy verlor mit einem Mal jeden Appetit auf Marias Soufflé. »Ich zieh mich rasch um«, sagte sie.
»Dafür haben wir keine Zeit mehr. Du bist völlig in Ordnung, so wie du bist.«
»Aber …«
Eine feste Hand legte sich auf ihr Hinterteil und bugsierte sie hinaus ins Foyer. »Das ist sicher deine Handtasche.« Als sie nickte, nahm er die kleine Chanel-Handtasche von der vergoldeten Konsole und reichte sie ihr.
Da erschienen auch schon ihr Vater und Amelia, um sie zu verabschieden.
Obwohl sie nicht vorhatte, weiter als bis zum Flughafen mit ihm zu fahren, wäre sie am liebsten vor ihm zurückgezuckt, als er sie nun mit fester Hand zur Haustür steuerte. Sie drehte sich zu ihrem Vater um und haßte sich wegen der leisen Panik, die aus ihrer Stimme klang und die sich beim besten Willen nicht unterdrücken ließ. »Vielleicht könntest du Alex dazu überreden, noch ein wenig länger zu bleiben, Dad. Wir sind doch kaum richtig hiergewesen.«
»Tu, was er sagt, Theodosia. Und denke daran – das hier ist deine letzte Chance. Wenn du auch diesmal versagst, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Bemühe dich, wenigstens einmal in deinem Leben, etwas richtig zu tun.«
Eigentlich hätte sie inzwischen daran gewöhnt sein sollen, daß ihr Vater sie in aller Öffentlichkeit bloßstellte, aber daß er es nun vor ihrem frischangetrauten Ehemann tat, war ihr so peinlich, daß sie es kaum schaffte, sich aufzurichten und das Kinn zu recken. Mit hocherhobenem Kopf trat sie vor Alex und marschierte aus der Tür.
Sie weigerte sich, ihn anzusehen, als sie stumm vor dem Aufzug warteten, der sie in die Lobby hinunterbringen würde. Sie traten ein. Die Türen schlossen sich hinter ihnen und öffneten sich erneut einen Stock tiefer und ließen eine ältere Frau mit einem braunen Pekinesen ein.
Daisy drückte sich sofort erschrocken an die mit Teakholzpaneelen gedeckte Wand des Aufzugs, aber der Hund erspähte sie dennoch. Er legte die Ohren zurück, japste wildwütend los und sprang sie an. Sie kreischte, als er an ihren Beinen hochsprang und ihr die Seidenstrümpfe zerriß. »Los, weg mit dir!«
Der Hund sprang weiter an ihr hoch und zerkratzte ihr die Beine. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und krallte sich an das Messinggeländer. Alex blickte sie verblüfft an, dann stubste er das Tier mit der Schuhspitze weg.
»Unartige Mitzi!« Die Frau raffte das Hündchen an sich und bedachte Daisy mit einem bösen Blick. »Also das verstehe ich einfach nicht. Mitzi liebt wirklich jeden.«
Daisy fing an zu schwitzen. Sie umklammerte das Messinggeländer wie einen Rettungsring und ließ das bösartige kleine Biest, das sie weiterhin wütend ankläffte und nach ihr schnappte, nicht aus den Augen. Da öffnete sich zum Glück die Aufzugtür zur Lobby.
»Ihr beiden scheint euch zu kennen«, sagte Alex, während sie den Lift verließen.
»Ich – ich hab den Hund noch nie im Leben gesehen.«
»Das glaube ich nicht. Dieser Hund haßt dich.«
»Ich bin nicht« – sie rang mühsam nach Luft – »ich hab da dieses Problem mit Tieren.«
»Du hast ein Problem mit Tieren? Sag bitte nicht, das heißt, du fürchtest dich vor ihnen.«
Sie nickte und bemühte sich, ihren rasenden Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Na herrlich«, brummte er und schritt mit langen Schritten durch die Lobby. »Einfach herrlich.«
Es war inzwischen beinahe Mittag. Der Apriltag war trüb und regnerisch. Keine Papierschlangen zierten die Limousine, die vor dem Gebäude auf sie wartete, keine Blechdosen oder »Just Married«-Schilder wie bei gewöhnlichen Paaren, die einander in Liebe verbunden waren. Daisy warf sich vor, übersentimental zu sein. Lani hatte sie jahrelang damit aufgezogen, hoffnungslos altmodisch zu sein, doch alles, was Daisy sich je gewünscht hatte, war, ein ganz normales, alltägliches Leben zu führen. Was gar nicht so ungewöhnlich war für jemanden, der eine derart unnormale Kindheit gehabt hatte.
Als sie in den Wagen einstieg, sah sie, daß die getönte Trennscheibe, die den Chauffeur von den Passagieren separierte, heruntergelassen war. Nun, wenigstens besaßen sie auf diese Weise die Ungestörtheit, die sie brauchte, um Alex Markov von ihren Plänen in Kenntnis zu setzen, bevor sie am Flughafen ankamen.
Du hast ein Gelöbnis abgelegt, Daisy. Ein heiliges Gelöbnis . Sie schüttelte diesen beunruhigenden Gedanken ab, indem sie sich sagte, daß sie ja keine andere Wahl gehabt hatte.
Er stieg ebenfalls ein, und auf einmal erschien ihr das geräumige Wageninnere viel zu eng. Sie dachte, wenn er nicht so kraftvoll wirken würde, wäre sie gewiß nicht so nervös, was die nächsten Minuten betraf. Auch wenn er kein Muskelpaket war, wie die Bodybuilder, die es wirklich übertrieben, so besaß er dennoch den harten, sehnigen Körper eines Mannes in Topform. Seine Schultern waren breit, die Hüften schmal. Die Hände, die auf seiner schwarzen Anzughose lagen, waren langfingrig, kräftig und tief gebräunt. Etwas durchzuckte sie blitzschnell bei diesem Anblick.
Der Wagen hatte sich kaum vom Straßenrand gelöst, da begann er auch schon, an seiner Krawatte zu zerren. Er riß sie herunter, stopfte sie in die Tasche seines Jacketts und öffnete dann mit einer raschen Handbewegung den obersten Knopf seines Hemds. Sie erstarrte und hoffte, daß er nicht noch mehr ausziehen würde. In einer ihrer liebsten erotischen Phantasien malte sie sich immer eine leidenschaftliche Liebesszene auf dem Rücksitz einer weißen Limousine aus, die im Verkehr von Manhattan festhing, während Michael Bolton »When a Man Loves a Woman« sang, doch zwischen Traum und Realität bestand nun mal ein himmelweiter Unterschied.
Die Limousine setzte sich in Bewegung. In dem Bemühen, sich ein wenig zu beruhigen, holte sie tief Luft und atmete dabei den schweren Duft der Gardenie ein, die immer noch in ihrem Haar steckte. Erleichtert stellte sie fest, daß Alex aufgehört hatte, sich auszuziehen, doch als er seine Beine ausstreckte und ihr den Kopf zuwandte und sie zu studieren begann, rutschte sie nervös auf dem Sitz hin und her. Egal, wie sehr sie sich auch mühte, sie würde nie so schön sein wie ihre Mutter, und wenn sie zu lange angestarrt wurde, fühlte sie sich immer wie ein häßliches Entlein. Das Loch in ihren goldschimmernden Seidenstrümpfen, das sie von ihrer Begegnung mit dem zornigen kleinen Pekinesen davongetragen hatte, trug auch nicht gerade dazu bei, ihr Selbstbewußtsein aufzupolstern.
Sie öffnete ihre Handtasche und fischte eine dringend benötigte Zigarette heraus. Es war eine schreckliche Angewohnheit, das wußte sie, und sie war beileibe nicht stolz darauf. Lani selbst war seit jeher Raucherin gewesen, doch Daisy hatte sich nie mehr geleistet als eine gelegentliche Zigarette nach dem Abendessen zu einem guten Glas Wein. Doch in jenen ersten Monaten nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie festgestellt, daß Zigaretten sie beruhigten, und war daraufhin wirklich süchtig danach geworden. Nach einem tiefen Zug entschied sie, endlich ruhig genug zu sein, um Mr. Markov von ihrem Plan erzählen zu können.
»Mach sie aus, Engelchen.«
Sie warf ihm einen schuldbewußten Blick zu. »Ich weiß, es ist eine schreckliche Angewohnheit, und ich verspreche auch, den Rauch ganz bestimmt nicht in Ihre Richtung zu blasen, aber im Moment brauche ich die Zigarette wirklich dringend.«
Er griff über sie hinweg, um das Seitenfenster herunterzulassen. Ohne Vorwarnung ging die Zigarette in Flammen auf.
Sie stieß einen schrillen Schrei aus und ließ sie fallen. Funken stoben in alle Richtungen. Er zog rasch ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und schaffte es irgendwie, die glühenden Reste auszutupfen.
Keuchend blickte sie auf ihren Schoß nieder und sah die winzigen Brandlöcher auf ihrem goldenen Spitzenkleid und dem Seidenblazer. »Wie konnte das nur passieren?« stieß sie atemlos hervor.
»Muß wohl ’ne fehlerhafte Zigarette gewesen sein.«
»Eine fehlerhafte Zigarette? So was hab ich noch nie gehört.«
»Es ist wohl besser, ich werfe den Rest der Packung weg, falls die anderen ebenfalls nicht in Ordnung sind.«
»Ja, sicher. Sie haben recht.«
Sie händigte ihm eilig das Päckchen aus, und er schob es in seine Hosentasche. Sie war total aus dem Gleichgewicht geraten, doch er schien vollkommen ruhig zu sein. Er lehnte sich in eine Ecke des Wagens zurück, verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und schloß die Augen.
Sie mußten dringend miteinander reden – sie mußte ihm erklären, wie sie dieser peinlichen Farce ein Ende zu machen gedachte –, doch er schien nicht in der Stimmung für ein Gespräch zu sein, und sie hatte Angst, alles zu vermasseln, wenn sie nicht vorsichtig war. Dieses letzte Jahr war eine solche Katastrophe gewesen, daß sie sich angewöhnt hatte, sich mit stummen Selbstgesprächen aufzumuntern, damit sie sich nicht gar so sehr wie ein Versager vorkam.
Sie erinnerte sich daran, daß ihre Schulbildung zwar unorthodox, aber umfassend gewesen war. Und auch wenn ihr Vater anderer Ansicht war, sie wußte, daß sie seinen Verstand und nicht den ihrer Mutter geerbt hatte. Sie besaß außerdem einen guten Sinn für Humor und war von Natur aus ein optimistischer Mensch, was nicht einmal das katastrophale letzte Jahr hatte ändern können. Nicht ganz zumindest. Sie sprach vier Fremdsprachen und konnte zu jedem beliebigen Couturierkleid den Modedesigner nennen. Außerdem war sie eine Expertin, wenn’s um das Beruhigen von hysterischen Frauen ging. Unglücklicherweise besaß sie jedoch nicht ein Quentchen gesunden Menschenverstand.
Warum hatte sie nicht zugehört, als ihr der Pariser Anwalt ihrer Mutter erklärte, daß nichts mehr übrig wäre, wenn Lanis Schulden beglichen waren? Sie war mittlerweile zu dem Schluß gekommen, daß ihre Schuldgefühle sie in jenen monatelangen Kaufrausch getrieben hatten, der einer Zeit emotionaler Betäubung unmittelbar nach der Beerdigung gefolgt war. Seit Jahren sehnte sie sich danach, den emotionalen Erpressungsversuchen ihrer endlos vergnügungssüchtigen Mutter zu entrinnen. Aber sie hatte sich nicht Lanis Tod gewünscht. Wirklich nicht.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte ihre Mutter verzweifelt geliebt, und trotz Lanis Egoismus, trotz ihrer endlosen Forderungen nach Liebe, nach der Versicherung, daß sie ihre Schönheit nicht verloren hatte, wußte Daisy, daß Lani sie ebenfalls geliebt hatte.
Je größer Daisys Schuldgefühle über die unerwartete Freiheit, die sie durch Lanis Tod gewonnen hatte, wurden, desto mehr Geld gab sie aus, nicht nur für sich, sondern auch für alle alten Freunde von Lani, die gerade Pech hatten. Als ihre Schuldner langsam ungeduldig wurden, schrieb sie einfach noch mehr Schecks aus, um sie sich vom Leib zu halten. Weder wußte sie, noch bekümmerte es sie, daß sie nicht genug Geld hatte, um alles bezahlen zu können.
Max erfuhr von ihrer Verschwendungssucht, als schließlich ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt wurde. Mit einem Knall fand sie sich in der Realität wieder und erkannte mit Entsetzen, was sie getan hatte. Sie flehte ihren Vater daraufhin an, ihr das Geld zu leihen, um ihre Schuldner beruhigen zu können, und versprach ihm, alles zurückzuzahlen, sobald sie wieder auf die Beine gekommen war.
Doch der verlegte sich auf Erpressung. Es wäre höchste Zeit, daß sie erwachsen wurde, meinte er, und wenn sie nicht im Gefängnis landen wolle, müßte sie ihrem ausschweifenden Leben ein Ende machen und tun, was er von ihr verlangte.
In barschem, mitleidlosem Ton hatte er ihr seine Wünsche diktiert. Sie würde den Mann heiraten, den er für sie aussuchte, sobald er es arrangieren könne. Außerdem müsse sie ihm versprechen, sechs Monaten lang mit ihm verheiratet zu bleiben, wobei sie sich wie eine gehorsame, pflichtbewußte Ehefrau zu benehmen habe. Erst am Ende dieser sechs Monate könne sie sich von ihm scheiden lassen, wenn sie wollte, und er wolle danach einen Trustfonds für sie einrichten – den natürlich er kontrollieren würde. Falls sie ein Kind erwartete, würde sie von den Zinsen aus diesem Fonds bis ans Ende ihres Lebens bequem leben können.
»Das meinst du doch nicht im Ernst!« rief sie, als sie ihren anfänglichen Schock schließlich überwunden hatte. »Heutzutage gibt es keine arrangierten Ehen mehr.«
»Es war mir nie im Leben ernster. Wenn du dieser Ehe nicht zustimmst, wanderst du ins Gefängnis. Und wenn du es nicht schaffst, sechs Monate lang verheiratet zu bleiben, siehst du keinen Penny mehr von mir.«
Drei Tage später hatte er ihr ihren künftigen Gatten vorgestellt, ohne auch nur ein Wort über sein Leben oder seinen Beruf fallen zu lassen. Das einzige, was er sagte, war: »Er wird dir etwas über das Leben beibringen. Mehr brauchst du im Augenblick nicht zu wissen.«
Sie überquerten die Triborough Bridge, und sie erkannte, daß sie schon bald am La Guardia-Flughafen sein würden, was bedeutete, daß sie ihr Gespräch nicht länger hinauszögern durfte. Aus alter Gewohnheit zog sie eine zierliche goldene Puderdose aus ihrer Handtasche und überprüfte ihr Make-up. Beruhigt, daß alles an seinem Platz war, klappte sie die Dose mit einem Schnappen zu und steckte sie weg.
»Entschuldigen Sie, Mr. Markov.«
Er reagierte nicht.
Sie räusperte sich. »Mr. Markov? Alex? Ich glaube, wir müssen miteinander reden.«
Die Lider über den hellen, bernsteinfarbenen Augen hoben sich langsam. »Worüber?«
Trotz ihrer Nervosität mußte sie lächeln. »Wir kennen uns überhaupt nicht, sind aber trotzdem miteinander verheiratet. Ich glaube, da gibt es wirklich ein paar Dinge zu besprechen.«
»Falls du Namen für unsere Kinder aussuchen willst, Engelchen, muß ich passen.«
Also besaß er doch Sinn für Humor, wenn auch einen eher zynischen. »Ich finde, wir sollten darüber reden, wie wir die nächsten sechs Monate überstehen sollen, bis wir die Scheidung einreichen können.«
»Ich finde, wir sollten einen Tag nach dem anderen nehmen.« Er hielt inne. »Eine Nacht nach der anderen.«
Ihre Haut kribbelte, und sie sagte sich, daß sie nicht albern sein sollte. Er hatte eine vollkommen unschuldige Bemerkung gemacht, und den sinnlich-rauchigen Unterton, den sie gehört zu haben glaubte, gab es nur in ihrer Phantasie. Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf.
»Ich habe einen Plan. Er ist wirklich ganz einfach.«
»Ach wirklich?«
»Wenn Sie mir einen Scheck über die Hälfte der Summe geben, die mein Vater Ihnen dafür bezahlt hat, mich zu heiraten – und ich finde, Sie müssen mir zustimmen, daß das nur fair wäre –, dann können wir beide unserer eigenen Wege gehen und dieser Peinlichkeit ein Ende bereiten.«
Ein Ausdruck von Belustigung huschte über seine steinernen Züge. »Welche Peinlichkeit meinst du?«
Sie hätte wissen müssen, aus den Erfahrungen, die sie mit den jungen Liebhabern ihrer Mutter gemacht hatte, daß ein so gutaussehender Mann nicht mit einem Übermaß an Verstand gesegnet sein würde. »Die Peinlichkeit, mit einem vollkommen Fremden verheiratet zu sein.«
»Wir werden uns noch gut genug kennenlernen, kann ich mir vorstellen.« Da war er wieder, dieser heiser-sinnliche Unterton. »Und ich glaube nicht, daß getrennte Wege zu gehen das war, was Max im Sinn hatte. Soweit ich mich erinnere, sollen wir zusammenleben und schön brav Mann und Frau spielen.«
»Das ist typisch mein Vater. Er ist ein kleiner Diktator, wenn es darum geht, das Leben anderer zu bestimmen. Das Herrliche an meinem Plan ist aber, daß er nie erfahren wird, daß wir nicht zusammengelebt haben. Solange wir uns keinen Haushalt in Manhattan einrichten, wo er unerwartet hereinplatzen kann, hat er nicht den leisesten Schimmer über das, was wir tun.«
»Wir werden ganz bestimmt keinen Haushalt in Manhattan einrichten.«
Er war nicht so kooperativ, wie sie gehofft hatte, aber sie war Optimistin genug, um anzunehmen, daß er nur ein wenig mehr Überredung brauchte. »Ich weiß, mein Plan wird funktionieren.«
»Wollen sehen, ob ich dich richtig verstanden habe. Du erwartest von mir, daß ich dir die Hälfte von dem abtrete, was Max mir für die Heirat mit dir bezahlt hat?«
»Wieviel ist das eigentlich?«
»Nicht annähernd genug«, murmelte er.
Sie hatte es nie nötig gehabt zu schachern, und es jetzt tun zu müssen, ging ihr gewaltig gegen den Strich, aber sie hatte keine Wahl. »Wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie sicher feststellen, daß das nur gerecht ist. Immerhin, wenn ich nicht wäre, hätten Sie keinen Penny.«
»Das heißt wohl, daß du vorhast, mir die Hälfte des Gelds aus dem Trustfonds zu geben, den er für dich einrichten will.«
»O nein, das habe ich ganz und gar nicht vor.«
Er stieß ein kurzes, bellendes Gelächter aus. »Hatte ich irgendwie auch nicht angenommen.«
»Sie mißverstehen mich. Ich zahle Ihnen das Geld zurück, sobald ich Zugang zu meinem Trust habe. Ich will das Geld bloß geliehen haben.«
»Und ich leih’s dir nicht.«
Da wußte sie, daß sie es vermasselt hatte. Sie besaß die schlechte Angewohnheit, von sich auf andere Leute zu schließen. Wenn sie zum Beispiel Alex Markov gewesen wäre, dann hätte sie sich ganz sicher das Geld geliehen, nur um sich loszuwerden.
Sie brauchte eine Zigarette. Ganz dringend. »Könnte ich meine Zigaretten wiederhaben? Ich bin sicher, daß nur die eine fehlerhaft war.«
Er holte die zerknitterte Packung aus seiner Hosentasche und gab sie ihr zurück. Sie zündete sich rasch eine an, schloß die Augen und inhalierte tief.
Da hörte sie ein Zischen, und als ihre Augen wieder aufflogen, stand die Zigarette auch schon in Flammen. Mit einem verzweifelten Keuchen ließ sie sie fallen. Wieder raffte Alex den Stummel und die brennenden Reste mit seinem Taschentuch zusammen.
»Vielleicht solltest du die Firma verklagen«, erklärte er milde.
Sie preßte die Hand an ihre Kehle. Vor Entsetzen und Überraschung brachte sie kein Wort heraus.
Er streckte den Arm aus und faßte ihr an den Busen. Sie fühlte seinen Daumen kurz über die innere Schwellung einer Brust streicheln und zuckte zurück. Gegen ihren Willen erhärtete sich die Brust unter dem Seidenblazer. Ihr Blick flog hilflos zu seinen unergründlichen goldenen Augen.
»Ein Funke«, sagte er.
Sie legte die Hand auf die Brust und spürte ihr Herz hämmern. Wie lange war es her, seit eine andere Hand als die ihre sie dort berührt hatte? Zwei Jahre, fiel ihr ein, seit ihrem letzten Besuch beim Frauenarzt.
Sie sah, daß sie am Flughafen angekommen waren, und raffte all ihren Mut zusammen. »Mr. Markov, Sie müssen einsehen, daß wir nicht wie Mann und Frau zusammenleben können. Wir sind einander vollkommen fremd. Die ganze Idee ist einfach lächerlich, und ich fürchte, ich muß darauf bestehen, daß Sie etwas kooperativer in der Sache sind.«
»Darauf bestehen?« sagte er milde. »Ich glaube nicht, daß du ein Recht hast, auf irgendwas zu bestehen.«
Sie richtete sich entrüstet auf. »Ich lasse mich nicht von Ihnen zu etwas zwingen, Mr. Markov.«
Er seufzte kopfschüttelnd und betrachtete sie mit einem mitleidigen Ausdruck, den sie keine Sekunde lang für aufrichtig hielt. »Ich hab gehofft, das nicht tun zu müssen, Engelchen, aber ich nehme an, ich hätte wissen müssen, daß es nicht so leicht sein würde mit dir. Vielleicht sollte ich dir am besten gleich sagen, wie der Hase läuft, damit du weißt, was du zu erwarten hast. Ob wir wollen oder nicht, wir sind für ein halbes Jahr miteinander verheiratet. Du kannst dich jederzeit aus dem Staub machen, wenn du willst, aber ohne meine Hilfe. Und falls du’s noch nicht gespannt hast, das hier wird keine dieser modernen Ehen, in denen alles besprochen und überall Kompromisse geschlossen werden, wie du’s aus all den Frauenzeitschriften kennst. Das hier wird eine altmodische Ehe.« Seine Stimme wurde noch sanfter, noch mitleidiger. »Und das heißt, Engelchen, daß ich der Boß bin und du tust, was ich dir sage. Wenn nicht, dann wirst du schon sehen, was passiert. Das Gute an der Sache ist, daß du nach den sechs Monaten tun kannst, was du willst. Mir ist das scheißegal.«
Ein Gefühl von Panik überfiel sie, und sie versuchte sie niederzukämpfen. »Drohungen mag ich nicht. Sie sagen mir besser gleich, was passiert, wenn ich nicht tue, was Sie wollen, anstatt vage Andeutungen zu machen.«
Er lehnte sich wieder zurück, und bei dem kleinen, dämonischen Lächeln, das um seinen Mund spielte, lief ihr ein eiskalter Schauder über den Rücken.
»Ach, Engelchen, das brauche ich gar nicht. Bis heute abend bist du ganz von selbst draufgekommen.«