Kurt Allgeier
Niemand stirbt für ewig
Tod, Reinkarnation und Wiedergeburt
Copyright der E-Book-Ausgabe © 2013 bei hey! publishing, München
Originalausgabe © 1988 by Diana Verlag AG. Zürich
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Umschlaggestalltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-942822-23-7
Von Kurt Allgeier zuletzt bei hey! erschienen:
Du hast schon einmal gelebt
www.heypublishing.com
Einleitung
Der kleine Gregor
I. Kapitel
Erstickt unter der Asche von Pompeji
Jeder dritte Mensch glaubt an die Wiedergeburt
Im Hades gab es keine Geistseelen
Wiedergebeburt ja – aber keine Reinkarnation
Wiedergeburt – wenn der Verstorbene versagt
Die alte Bibel: kein Jenseits, keine Wiedergeburt
Johannes – der wiedergeborene Elias?
Gleiches Schicksal – als Zeichen der Wiedergeburt?
Wiedergeburt aus »Wasser und Geist«
Von den Griechen kam die Vorstellung von der Seele im »leiblichen Kerker«
Von der »Maske« zur »Lebensrolle«
Origenes und die Kaiserin Theodora
Wiedergeburt – durch Jahrhunderte kein Thema
Unsere Vorfahren dachten und glaubten ganz anders
Ihr Herz war bei den Ahnen
Die Renaissance der Wiedergeburt
Voltaire und Friedrich der Große
Kant, Lessing, Goehte, Schopenhauer
Nietzsche und Wagner
Rudolf Steiner und die Anthroposophie
II. KAPITEL
Die Wiedergeburt des Oberlama
Religion – ohne Glaubenssätze
Es gibt keinen Schöpfungstag
Es gibt nichts hinter dem Universum
Es gibt keine »Erbsünde« oder Urschuld
Wie kam das »Böse« in die Welt?
Die »Evolution« der Inkarnationen
Egoisimus – und das Band der Liebe
Karma – das Wirken, die Tat
Nirwana – ist nicht weniger als unser »Himmel«
Gottes »Du« – oder sein Teil?
Ewigkeit – von jetzt an oder schon seit immer?
Der Widerspruch der Wirklichkeit
Den Weg weisen kann nur – wer ihn kennt
Wiedergeboren als Tier?
Heute als ein Mann – morgen als eine Frau?
III. KAPITEL
Edgar Cayce – Amerikas »schlafender Prophet«
20 000 Jahre zurück – nach Atlantis
Bumerang-Karma, Organismus-Karma, Symbolisches Karma
Wiedergeburt – in der Zukunft
»Ich bin wieder da – im Jahre 2100«
Der versponnene Amerikaner und das irische Mädchen
Thorwald Dethlefsen: Heilung durch Reinkarnation
Es gibt nur ein »nicht-erinnern-wollen«!
Es gibt »drüben« kein Wiedersehen
Und wo bleibt die Liebe?
Alles nur ein »Alptraum«?
Nachforschungen bleiben erfolglos
Es gibt auch eine »künstliche Reinkarnation«
Es geht auch ohne Hypnose
Geburt und Tod – Schlüsselmomente des Lebens
Die »Gallup-Umfrage« Hypnotisierter Gruppen
Freiwillig – aber widerstrebend
Es gibt doch Helfer
Rückkehr ohne Jubel
Warum gerade jetzt?
Warum als Frau oder als Mann?
Warum überhaupt wiedergeboren?
Wiedersehen mit Bekannten
Im Fötus oder Draußen?
Klischeevorstellungen oder nicht?
Fünfmal als Zeuge bei einer Kreuzigung
Shirley MacLaine – Wiedergeburt und »out-of-body-Reisen«
Informationen von »drüben«?
Die Spiritisten und das Leben nach dem Tode
Spiritismus und Wiedergeburt
Die Esoterik heute
Tonbandstimmen und Videobilder aus dem Jenseits
IV. KAPITEL
Gestorben – und dann ein anderer
Professor Stevenson – auf der Jagd nach »Beweisen«
Physis, Bios, Psyche, Pneuma
Computer und Programmierer
Vom Lebewesen zum Technowesen
Das wichtigste Argument gegen die Wiedergeburt
Andere Erklärungsmöglichkeiten
Übermächtige Phantasie und Betrug
Kryptomnesie
»Genetisches Gedächtnis«
Aufgedrängte Identifizierung
Übersinnliche Fähigkeiten
Erklärungsversuch: out-of-body-Reisen
Zurückgekehrt – in einem falschen Leib
Erinnerungen von »drüben«
V. KAPITEL
Das nächste Mal werde ich desertieren!
Die Berichte der Wiederbelebten
Abgeholt von Verstorbenen
Der Blick auf den toten Körper
Höllenerfahrungen – Schrecken im Jenseits
Zweimal als Soldat in Russland
Ludovica, die Träumerin und das Jenseits
Pro und Kontra – zur Diskussion gestellt
Anhang
Begriffserklärungen
Literaturverzeichnis
Der kleine Gregor
Zweifellos ergeht es uns allen so: Die Vorstellung einer Wiedergeburt übt eine starke Faszination auf uns aus. Doch gleichzeitig erschreckt sie uns auch.
Doch mit dem Gedanken, schon einmal oder mehrmals gelebt zu haben, können sich immer mehr Menschen auch in unserer Heimat anfreunden. Wenn der Hypnosearzt oder der Psychotherapeut uns in ein früheres Leben zurückführt und wenn wir erfahren, dass wir damals als angesehene Kurtisane am französischen Hof, als Priesterin im alten Rom oder als Minister im Ägypten der Pharaonen gelebt haben, dann mag das einen gewissen Glanz in den grauen Alltag des jetzigen Daseins bringen, eine nicht eben geringfügige Wertsteigerung: »Das war ich! Also bin ich doch jemand!« Wenn es sich herausstellen sollte, dass wir in einer früheren Inkarnation schwere Schuld auf uns geladen haben oder auch schmählich versagten, dann kann ein gegenwärtig schweres Schicksal plötzlich einsichtig werden – und wird vielleicht von da an sogar leichter zu tragen. Die Zahl der Menschen, die etwas über eine mögliche frühere Existenz erfahren möchten, wächst heute, kurz vor der Wende zum dritten Jahrtausend, sprunghaft an – nicht zuletzt deswegen, weil sich viele davon ein wichtiges Stück Selbsterkenntnis erhoffen: »Ich möchte mich selbst besser kennenlernen.« So begründen sie ihren Wunsch, frühere Leben ins Gedächtnis zu rufen. Und dieses Vorgehen ist nicht völlig abwegig. Sigmund Freud hat uns gelehrt, dass viele unserer Lebenskonflikte in frühkindlichen Erlebnissen begründet liegen. Und er hat auch behauptet, dass mit der Rückerinnerung an solche Erlebnisse die Lösung der Konflikte möglich ist.
War es da nicht logisch, dass moderne Wissenschaftler den Versuch wagten, über das frühkindliche Stadium hinauszugehen, immer noch weiter zurück; bis zum Leben im Mutterleib vor der Geburt, und noch weiter, bis in ein früheres Leben?
Außerdem: Wird mit dem Glauben an die Wiedergeburt nicht die Ungerechtigkeit des Lebens aufgehoben, die Frage beantwortet, die so viele Menschen quält: »Warum hat der eine immer nur Glück und Segen, darf in Saus und Braus leben, während andere ihr Leben lang von einem Schicksalsschlag nach dem anderen heimgesucht werden?«
Das eine und einzige irdische Leben ohne Davor und Danach kann auf diese drängende Frage keine Antwort geben. Und da es heute immer schwerer wird, an eine ewige Hölle zu glauben, in der die Frevler nach dem Tod büßen müssen, an ein zeitlich begrenztes Fegefeuer, das die Gerechtigkeit wiederherstellen könnte, stellt der Glaube an die Wiedergeburt den wohl einzig denkbaren Ausweg dar: Du hast dir dein Schicksal in deinen früheren Inkarnationen selbst eingebrockt! Und: Beneide den Reichen, den Satten, den Mächtigen nicht. Entweder hat er sich sein Glück redlich verdient – oder, falls er auf Kosten anderer glücklich ist, wird er in seinem nächsten Leben dafür büßen müssen! Diese mögliche nächste Wiedergeburt flößt uns jedoch großes Missbehagen ein. So schön ein Rückblick sein mag: Was wird mir das nächste Mal blühen? Wer möchte tatsächlich noch einmal von vorne anfangen müssen, seiner Fehler wegen möglicherweise unter schwierigeren Voraussetzungen? Ist diese Wiedergeburt tatsächlich eine Chance – oder muss ich nicht viel mehr in der Wiederholung eine erbarmungslose Strafe sehen? Soll ich mich freuen auf ein neues Leben in einer Welt, die möglicherweise von Atombomben zerstört wurde, die radioaktiv verstrahlt ist, in ihrer Entwicklung um Jahrhunderte zurückgeworfen? Soll das eine Vorstellung sein, die mich befreit und beglückt?
Faszination im Blick zurück – Schrecken vor dem, was vor uns liegen könnte. Dies empfinden wir, wenn wir uns ernsthaft mit der Idee der Reinkarnation befassen.
Denn schließlich handelt es sich dabei nicht um eine mehr oder weniger nebensächliche Gedankenspielerei, nicht um eines unter vielen Alltagsproblemen – sondern tatsächlich um die Existenzfrage schlechthin: Wer bin ich? Welchen Sinn und welches Ziel hat mein Leben? Gibt es nur dieses eine gegenwärtige irdische Leben, oder stellt mein diesmaliger »Auftritt« nur eine flüchtige Episode meiner wirklichen Existenz dar?
Solche Fragen stellen sich heute aus drei Gründen immer dringlicher:
Zum einen ist der Glaube von Millionen Christen an das, was ihnen einst im Religionsunterricht beigebracht wurde, stark ins Wanken geraten. In einer Zeit, in der selbst Theologen an der Unsterblichkeit zweifeln und die Unvergänglichkeit der Seele leugnen, in der so viele Moralbegriffe, Dogmen, Traditionen in Frage gestellt werden, ist es tatsächlich schwer zu erkennen, was man noch glauben kann und was nicht. Verständlich, dass vor allem junge Menschen ihren Blick über den eigenen Kirchturm hinaus richteten, um zu erfahren, ob andere Kulturen, andere Religionen einsichtigere Lösungen anzubieten und mehr Sicherheit zu spenden vermögen.
Zweitens kam hinzu, dass die angebliche Erinnerung an ein früheres Leben nicht mehr dem Zufall und vereinzelten Sonderfällen vorbehalten blieb. Hypnose und andere Techniken der »Rückführung« machten es möglich, die Erinnerung beliebig oft und bei immer mehr Menschen zu wecken. Die spektakulärsten Erfolge wurden weltweit veröffentlicht und weckten das Interesse von Millionen an diesem Thema. Wissenschaftler von Rang befassten sich mit der Wiedergeburt, untersuchten die interessantesten Fälle anhand strengster, nachprüfbarer Methoden und kamen dabei zu Ergebnissen, die man beinahe schon als Beweise für die Reinkarnation bezeichnen könnte. Eigentlich fehlt nur noch das allerletzte Glied in der Kette.
Drittens erweckte die Beschäftigung mit dem Glauben an die Reinkarnation in fernöstlichen Ländern, im Vorderen Orient und bei den Indianern, mit Berichten von Kindern, die von sich behaupteten, erst kürzlich schon einmal gelebt zu haben, das Gespür dafür, dass ähnliche Erfahrungen mitten unter uns gemacht werden. Und vor allem diese Berichte von Kindern machten für viele überraschend deutlich, dass das Thema Wiedergeburt keineswegs auf ferne Länder beschränkt ist, wo Menschen anders denken und anders glauben, sondern ganz offensichtlich auch bei uns Aktualität besitzt. Bisher wurde dieses Thema aber wahrscheinlich durch die voreingenommene Haltung, die der christliche Glaube uns vorschreibt, unterdrückt. Plötzlich bekennen sich Leute zur Wiedergeburt und erzählen die erstaunlichsten Fakten aus der eigenen Familie.
Damit aber ist die Reinkarnation, die Wiedergeburt, die Seelenwanderung, wie man früher auch sagte, nichts Exotisches mehr, das angenehm prickelndes Gruseln hervorruft, interessant allenfalls für Völkerkundler und Religionsforscher – sondern ein Thema, das uns ganz unmittelbar anspricht, bewegt und im Innersten beunruhigt. Wir alle kommen nicht mehr umhin, sondern werden zu einer Stellungnahme gezwungen, weil wir ständig mit den Ereignissen, die für eine Wiedergeburt sprechen, direkt konfrontiert werden. Eine solche Konfrontation war etwa folgendes Erlebnis: Im Jahre 1980 schrieb ich eine große Illustrierten-Serie über ärztliche Kunstfehler. Bei meinen Recherchen stieß ich in Merklingen bei Stuttgart auf die Familie Klaus-Jürgen und Barbara Lang. Er ist Abteilungsleiter in einem großen Elektronikwerk, ein sehr realistisch eingestellter, moderner Mann, alles andere als ein Träumer oder Spinner. Früher hatte er sich nie für Themen wie Wiedergeburt, Weiterleben nach dem Tod und dergleichen mehr interessiert. Ja, er hätte es entschieden abgelehnt, überhaupt darüber zu diskutieren. Frau Barbara ist Lehrerin, ebenfalls eine sehr vernünftige, kluge Frau. Aber der Glaube an eine Wiedergeburt war für sie ein »Altweiberzeitvertreib«, und sie wäre niemals auf die Idee gekommen, dieses Thema ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Dann wurde die Familie von einem schlimmen Schicksalsschlag heimgesucht, der alles schlagartig veränderte. Der kleine Gregor, am 18. Juni 1975 geboren, ein ungewöhnlich gesundes, kräftiges Kind – der Hausarzt nannte den Jungen nur »meinen Prachtkerl« –, musste völlig sinnlos sterben. Eine Ärztin im Heimatort der Mutter unterschätzte einen vermeintlich harmlosen Durchfall, gab falsche Medikamente und reagierte nicht auf den wiederholten Alarmanruf der besorgten Mutter – bis es zu spät war. Obwohl man Gregor noch mit dem Hubschrauber in die Kinderklinik nach Stuttgart flog, war er nicht mehr zu retten. Der kleine Junge war buchstäblich vertrocknet. Er durfte nur genau 18 Monate, 18 Tage und 18 Stunden alt werden. Leicht vorzustellen, wie erschüttert seine Eltern waren. Zumal sich beim Sterben des Kindes seltsame Dinge ereigneten.
Im letzten Moment, bevor Gregor ohnmächtig wurde, blickte er seine Mutter an und sagte klar und deutlich und in der Art, als wäre er ein erwachsener, verständiger Mensch: »Danke, Mama.« Dann schloss er die Augen und verlor für immer das Bewusstsein. Von den dramatischen Rettungsversuchen bekam er nichts mehr mit. Er starb schließlich nach einem entsetzlichen Todeskampf.
Frau Lang war in unsagbarem Schmerz bewusstlos zusammengebrochen. Als sie nach drei Stunden wieder zu sich kam und danach verlangte, Gregor noch einmal sehen zu dürfen, sagte die Ärztin: »Tun Sie das nicht. Ihr Kind hat zuletzt viel durchmachen müssen. Es sieht schrecklich aus. Behalten Sie es doch so im Gedächtnis, wie Sie es gekannt haben: Froh und glücklich. Sie müssen jetzt an ihr zweites Kind denken, das bald zur Welt kommen wird.« Frau Barbara Lang war im neunten Monat schwanger und nach dem Schock, den sie soeben durch den Tod des kleinen Gregor erlitten hatte, unfähig, der Ärztin zu widersprechen.
»Dann holen Sie mir wenigstens eine Locke meines Kindes, damit ich etwas von ihm zurückbehalte«, bat sie mit leiser, müder Stimme. Die Ärztin nickte und ging, dem gestorbenen Kind eine Haarsträhne abzuschneiden. Doch kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, rannte sie auch schon völlig atemlos und mit fliegenden Mantelschößen zurück. »Kommen Sie. Das müssen Sie sehen. Ihr Kind sieht aus, als ob es Sie erwarten würde. Keine Spur mehr von seinem Todeskampf. Es ist wie ein Wunder.« Frau Lang ging zu ihrem Kind. Und da lag es tatsächlich, rosig, ein nie gesehenes glückliches Lächeln auf seinem Gesicht. Die Mutter legte ihre Hand auf sein Köpfchen und sagte: »Gregor, wenn du willst, dann kehre zu uns zurück. Aber du musst nicht unseretwegen kommen, nur wenn auch du es wirklich willst. Wir würden uns ganz schrecklich freuen, wenn wir dich wieder bei uns haben dürften. Doch wichtig ist nur, dass du es willst. Wenn du wieder bei uns bist, dann lass es mich wissen, damit ich ganz sicher sein kann. Zeige mir, dass du es bist. Du darfst dann auch wieder deinen Namen haben und Gregor heißen.«
Das war nicht viel mehr als ein plötzlicher Einfall, eingegeben vom unerträglichen Abschiedsschmerz. Ein verzweifelter Versuch, den Tod rückgängig zu machen.
Allerdings hatte Frau Lang von diesem Augenblick an den Eindruck, Gregor wäre unsichtbar, aber deutlich spürbar bei ihr. Sie konnte sich mit ihm unterhalten und bekam von ihm, ohne dass sie ihn gehört hätte, deutliche Antworten.
Dieser lebhafte Kontakt dauerte vier Wochen lang und war für Barbara Lang der eigentliche Halt, ohne den sie diese bittere Zeit wohl nicht durchgestanden hätte. Am 6. Februar waren die unsichtbaren Bande plötzlich gerissen. Frau Lang spürte: Gregor ist nicht mehr neben mir.
Drei Tage später, am 9. Februar, 9 Tage zu früh, wurde sie von ihrem zweiten Kind entbunden. Es war wiederum ein Sohn. Mit dem verstorbenen Gregor hatte er nicht die geringste Ähnlichkeit. Statt blauer Augen hatte er dunkelbraune. Im Gegensatz zu Gregor hatte er kein sehr ausgeprägtes, vorspringendes Kinn. Nein, das konnte unmöglich der wiedergeborene Gregor sein. Klaus-Jürgen Lang und seine Frau waren auch keineswegs darüber verwundert. Denn, so sagten sie sich, dieses eben geborene Kind war ja schon unterwegs gewesen, als Gregor starb. Also konnte nicht einmal einer, der von der Wiedergeburt felsenfest überzeugt ist, davon ausgehen, dies könnte Gregor sein.
In den ersten Wochen seines Lebens allerdings ist nicht nur den Eltern aufgefallen, dass sich das Kind sehr rasch und sehr deutlich veränderte und Gregor immer ähnlicher wurde. Diese Veränderung war so erstaunlich, dass beim Standesbeamten vorsichtshalber drei Vornamen angegeben wurden: Markus, Gregor, Stefan. Und Frau Lang erinnerte sich an ihr Versprechen, das sie dem eben verstorbenen Gregor gegeben hatte: »Du darfst auch wieder Gregor heißen.« Deshalb bat sie den Standesbeamten: »Unterstreichen Sie noch keinen Rufnamen. Wir möchten das später nachholen.« Zu Hause nannten sie den zweiten Sohn Markus. Bis zu jenem Tag, an dem Markus sich dann als Gregor zu erkennen gab: Er war erst drei dreiviertel Monate alt, eigentlich also viel zu klein, sich bereits kontrolliert zu äußern. Und doch tat er es. Und zwar unmissverständlich. Er benützte sein »Codewort«, um seiner Mutter zu verstehen zu geben: »Begreife doch, ich bin es!«
Dieses Codewort stammte aus Gregors Lieblingsspiel: »Ich-erschrecke-dich!« Seitdem er von einem Hund erschreckt worden war, der plötzlich und völlig unerwartet laut kläffend hinter einer Ecke hervorgeschossen kam, spielte er das mit seiner Mutter – und das nicht nur mit ihr: »Er lauerte mit geballten Fäustchen hinter einer Türe, und wenn sie dann das Zimmer betrat, stürzte er hervor und rief: »Ha-W!« Unnachahmlich, unverwechselbar, ein langgezogenes Haaa – das ganz plötzlich mit einem stark betonten »W« ausklang.
»Ha-W«! Wenn die Mutter darauf erschreckt reagierte, jauchzte Gregor.
Und genau dieses Spiel wiederholte nun der kleine, erst 15 Wochen alte Markus. Seine Großmutter hatte ihn gerade im Arm, um ihm das Fläschchen zu geben. Da kam die Mutter durch die Tür. In diesem Augenblick kauerte Markus sich zusammen, ballte die Fäustchen – Fertigkeiten, die er sonst längst noch nicht beherrschte. Dann schnellte er wie eine Feder auseinander, streckte sich, warf die Händchen in die Höhe und rief laut und deutlich: »Ha-W!« Frau Barbara Lang ließ die Tasse fallen, die sie in den Händen gehalten hatte, und fragte vollkommen verblüfft: »Gregor? Willst du mir sagen, dass du Gregor bist?« Und das Kind wiederholte noch einmal, diesmal eher vorwurfsvoll, so als wollte es tadelnd mahnen: Hast du es immer noch nicht kapiert: »Ha-W!« Dann, so schilderte Frau Lang, überzog sein Gesichtchen ein fast spitzbübisches, heiteres Lachen. Frau Lang ging zum Standesbeamten und gab die Anweisung: »Jetzt können Sie den Rufnamen unterstreichen. Unser Kind heißt wieder Gregor!«
Frau Barbara war nun fest davon überzeugt: Unser Gregor ist zurückgekehrt. Und von dieser Stunde an bekam sie dafür einen »Beweis« nach dem anderen. Man kann sie alle demnächst in einem Buch nachlesen, das Frau Lang schreibt und in dem sie ihre Erfahrungen und Erlebnisse darlegt. Hier nur noch ein besonders verblüffendes Beispiel: Gregor hatte eine Lieblingspuppe besessen, ein beinahe unansehnliches Stoffding, gefüllt mit Styropor, rothaarig, mit einem Jeansanzug ausstaffiert. Diese Puppe mit Namen Hansi nannte er, weil er das »S« nicht aussprechen konnte, »Handi«.
In der Stunde seines Todes sind die Großeltern in die Wohnung geeilt, um ganz rasch alles wegzuräumen, was an das verstorbene Kind erinnern konnte. Sie nahmen die Bilder von der Wand und stopften die Spielsachen kreuz und quer in den Bettkasten im Gästezimmer. Den heimkehrenden Eltern sollte der schmerzliche Anblick erspart bleiben.
Als der zweite Gregor gerade ein Jahr alt geworden war, kam die Großmutter zu Besuch. Und im Gespräch sagte sie so ganz nebenbei zu ihrer Tochter: »Ich glaube, es wäre an der Zeit, dem Kind zu den Bausteinen und Tieren endlich eine Puppe zu geben. Willst du ihm nicht Hansi holen?«
Im selben Augenblick spitzte Gregor die Ohren, blickte auf und sagte verzückt: »Handi? Wo Handi?« Und, als müsste er überlegen, wo die Puppe sein könnte, blickte er sich um, schüttelte den Kopf, wiederholte noch einmal: »Handi? Wo Handi?« Das Kind war völlig aufgeregt. Genau wie der verstorbene Gregor sagte es Handi statt Hansi.
Dann krabbelte es, als wäre es ihm eingefallen, zur Treppe und die Treppe hinauf. Vorbei am Kinderzimmer, am Elternschlafzimmer, weiter in das zweite Stockwerk – hin zum Gästezimmer. Als man ihm dort, neugierig geworden, die Türe öffnete, um zu erfahren, was das Kind hier wollte, ging es schnurstracks auf den Bettkasten zu. »Da Handi! Da Handi!« Gregors Mutter wusste nicht, wo Hansi abgeblieben war und ob die Puppe überhaupt noch existierte. Die Großmutter konnte sich auch nicht mehr erinnern, wo sie versteckt worden war. Doch als man den Bettkasten hervorzog, stürzte sich Gregor auf die rotschöpfige Puppe, die er mit einem Blick erkannt hatte, obwohl sie auf dem Gesicht lag. Er schloss sie in die Arme und stammelte gerührt nur immer wieder: »Handi, mein Handi.« Weder die Affen noch die Teddys noch sonst ein Spielzeug interessierten ihn. Er hatte nur Augen und Ohren für seinen »Handi«.
Es ist ganz bestimmt nicht einfach, für solche »Zufälle« eine plausible Erklärung zu finden, schließt man die Möglichkeit der Wiedergeburt von vornherein aus.
Es muss noch erwähnt werden, dass Gregor, als er mit zwei Jahren ein kleines Schwesterchen bekam, es mit der trockenen Bemerkung begrüßte: »Na, da ist sie ja!« Die Mutter fragte verwundert: »Was soll das denn heißen, da ist sie ja? Freust du dich denn gar nicht?« Gregor gab zur Antwort: »Die hab ich mir schon beim lieben Gott ausgesucht!« Und lachend setzte das Kind hinzu: »Komisch, da war sie noch eine große Tante!«
Mit vier Jahren geriet Gregor in eine ganz schlimme Krise. Er versuchte mehrfach, sich die Treppe hinunterzustürzen. Er wollte sich umbringen. Und wenn ihn die bestürzte Mutter fragte: »Was ist denn mit dir los? Warum tust du das?« dann gab er, sichtlich von einem gewissen Heimweh geplagt, zur Antwort: »Ich will wieder zum lieben Gott. Dort ist es viel schöner als bei euch …!«
Diese Geschichte, davon konnte ich mich persönlich mehrfach überzeugen, ist wahr. Und zwar in allen Details. Ich habe lediglich die Namen der betroffenen Familie und den Ortsnamen verändert, weil ich verhindern möchte, dass der kleine Gregor seiner »Wiedergeburt« wegen Nachteile oder Verletzendes hinnehmen muss; auch weil sein Vater aufgrund seiner beruflichen Position gewisse Rücksicht zu nehmen hat. Noch sind wir leider nicht soweit, dass man persönliche Erfahrungen, die für eine Wiedergeburt sprechen, unvoreingenommen und ohne Emotionen diskutieren könnte.
Gregor ist im Augenblick, da dieses Buch geschrieben wird, gerade zehn Jahre alt, ein sehr heiterer, unbekümmerter Junge. Fragt man ihn, ob er der wiedergeborene Gregor ist, ob er sich noch an den Himmel erinnern kann, dann antwortet er, als wäre es die überflüssigste Frage der Welt, mit großem Gleichmut: »Von solchen Sachen weiß ich nichts mehr.« Und er wendet sich seiner kleinen Schwester zu, die sich an kein vorheriges Leben erinnern kann, um mit ihr zu spielen. Ein ganz normales, völlig unauffälliges, gesundes Kind. Glücklicherweise, möchte man hinzufügen.
Aber dürfen auch wir so leicht und selbstverständlich über die Ereignisse hinweggehen? Oder ergeben sich für uns aus dem Erfahrenen nicht ganz ernste Fragen, ja eventuell Konsequenzen? Um nur zwei Punkte vorwegzunehmen:
Wenn alles das stimmt, was hier über das Schicksal des kleinen Gregor erzählt wurde, dann stellt sich unbedingt die Frage: Wer oder was lebte unter dem Herzen von Frau Barbara, bevor Gregor darin wiedergeboren wurde? Etwa ein seelenloses Geschöpf?
Und dann – und das verlangt noch drängender nach einer Antwort: Wenn es die Wiedergeburt gibt, muss dann nicht von Anfang an, vielleicht schon vom Augenblick der Zeugung an, die Seele des Wiedergeborenen zugegen sein – möglicherweise fähig, alles, was um sie herum geschieht, wahrzunehmen? Fähig auch, zu erkennen, ob sie geliebt wird – oder ob sie das neue Leben nur einem »Unfall« zu verdanken hat? Fähig vielleicht, selbst Gedanken zu erraten? Oder hat der Wiedergeborene seine Eltern sogar schon vor der Zeugung gekannt, sie sich »ausgesucht«?
Ist es möglich – wir werden uns eingehend mit solchen Fragen zu befassen haben –, dass ein Kind im Mutterleib mithört und in der ganzen Tragweite erfassen kann, wenn seine Eltern sich darüber unterhalten, ob sie es annehmen oder abtreiben wollen? Wie viele seelische Leiden könnten damit erklärt werden!
Denn, daran gibt es keinen Zweifel und es gehört zu den eigentlichen Überraschungen für jeden, der sich mit der Wiedergeburt befasst und der sich daranmacht, in seiner Umgebung überzeugende »Fälle« zu finden: Die Geschichte des kleinen Gregor ist kein Einzelfall. Hat man erst einmal einen solchen Fall ausgegraben – und das ist nicht ganz einfach, weil sich viele Leute noch scheuen, etwas über ihre Erfahrungen verlauten zu lassen –, dann löst man eine Lawine von Fällen aus. Denn jeder, mit dem man spricht, erinnert sich dann meistens noch an einen anderen Fall.
Es ist an der Zeit, das Thema aufzugreifen und so sachlich wie nur möglich darzulegen, alle Für und Wider frei von weltanschaulichen, religiösen Einschränkungen und Voreingenommenheiten zu diskutieren; um damit möglicherweise ein bisschen mehr über den Sinn unseres Lebens zu erfahren; um unnötige Ängste und Befürchtungen loszuwerden – auch wenn es letztlich nicht möglich ist (noch nicht?), den endgültigen Beweis für oder gegen die Idee der Wiedergeburt vorzulegen.
Wer wissen will, wozu er lebt, der kommt an der Frage der Wiedergeburt nicht vorbei, gleichgültig, auf welcher geistigen, spirituellen Ebene er auch stehen mag. Wenn es stimmen sollte, dass unser gegenwärtiges Leben das Ergebnis früherer Verdienste und früherer Fehler sein sollte, dann könnten wir die Welt verändern, indem wir uns selbst verändern – um in der nächsten Inkarnation selbst glücklicher zu werden und mehr Glück schenken zu können. Wenn es richtig ist, dass Menschen geheilt werden können, sobald sie Einsicht in frühere Leben erlangen, dann ist das Thema Wiedergeburt eines der aufregendsten und interessantesten überhaupt. Ein Thema, das unser Leben schlagartig verändern könnte.
»Wer kann wissen, in welchem Schneider jetzt die Seele eines Cäsar wohnt? … Die Seele Dschingis-Khans wohnt jetzt vielleicht in einem Rezensenten, der täglich, ohne es zu wissen, die Seelen seiner treuesten Baschkiren und Kalmücken in einem kritischen Journal niedermäht?« Hinter den humorvollen Fragen Heinrich Heines steckt tiefer Ernst.
Immer mehr Menschen glauben in unseren Tagen, die Antwort auf die Frage nach der Wiedergeburt zu kennen. Haben sie recht – oder haben sie irgendeinen ganz wichtigen Punkt übersehen?
Und fast noch wichtiger: Hilft es überhaupt etwas bei der Lebensgestaltung, die Antwort zu kennen?
Versuchen wir gemeinsam, einen Schritt zur weiteren Klärung beizutragen: Was kommt nach dem Tod?
Oder besser gefragt: Gibt es den Tod überhaupt – oder ist er tatsächlich, wie die berühmte Sterbensforscherin Frau Professor Elisabeth Kübler-Ross behauptet, »nur ein Heraustreten aus dem physischen Körper, und zwar in gleicher Weise, wie ein Schmetterling aus seinem Kokon heraustritt«?
Weil ich dieses Thema für ungeheuer brisant halte, wage ich es, neun Jahre nach meinem ersten Versuch (Du hast schon einmal gelebt, München 1979) ein neues Buch vorzulegen, das der rasanten Entwicklung, den neuesten Einsichten auf diesem Gebiet Rechnung tragen soll. Ein Buch, in dem Sie alles finden, was bei der Frage nach der Wiedergeburt von Bedeutung ist.
Am Anfang die Katastrophe – am Ende die ewige Seligkeit
Das Abendland zwischen Schuld und Erlösung
Erstickt unter der Asche von Pompeji
»Was ist mit unserer kleinen Vera nicht in Ordnung?« rätselten ihre Eltern. Immer, wenn sie von Italien erzählten, geriet das Mädchen in eine merkwürdige, heftige Erregung. Es begann zu zittern, vergaß seine Spielsachen und lauschte mit großen, erschreckten Augen.
Veras Eltern, wohlhabende Bürger in Prag, reisten viel – und besonders gerne nach Italien. Eines Tages sprachen sie über frühere Urlaubstage in Neapel, da passierte es. Vera, gerade sieben Jahre alt geworden, bekam plötzlich schwere Erstickungsanfälle. Das Kind wurde von Krämpfen geschüttelt. Seine Augen glühten vor Fieber. Die erschrockenen Eltern riefen den Hausarzt. Er kam noch mitten in der Nacht und stand gleich vor zwei Rätseln: Was Vera fehlte, konnte er nicht erkennen, doch zu seiner Verblüffung hörte er das Kind im Fieber lateinisch reden. Und er notierte in aller Eile ein paar Brocken, die er aufschnappte: »pedes, detergeat … undos … lintea … cave …«
Am nächsten Morgen war Vera wieder völlig gesund. Sie konnte sich an die Vorfälle der vergangenen Nacht nicht erinnern, aber das Wort Vesuv brachte sie erneut aus der Fassung. Und als man ihr ein Bild vom Golf von Neapel zeigte, geriet Vera beinahe wieder in Panik.
Für die Eltern war das alles geradezu unheimlich. Denn solche Zwischenfälle wiederholten sich regelmäßig – aber immer nur dann, wenn vom Vesuv, dem unruhigen italienischen Vulkan, und seiner Gegend die Rede war.
Als Vera 15 Jahre alt war, nahm ihre Mutter sie mit zu einer berühmten Wahrsagerin. Vera hatte sich zu einem sehr schönen Mädchen entwickelt, und die Eltern hätten zu gerne gewusst, welche glänzende Zukunft ihrem Kind bevorstand. Die Wahrsagerin sagte voraus, was sich genauso erfüllen sollte: »Du wirst Schauspielerin. Ich sehe zwei Männer, viele Reisen. Aber auch sehr viel Leid.« Doch dann erzählte die Wahrsagerin plötzlich etwas aus längst vergangenen Zeiten. Und das war für Vera und ihre Mutter mehr als verwirrend: »Du musst in diesem Leben viel büßen für das, was du in früheren Leben Böses und Schlechtes getan hast. Du warst einmal eine Prinzessin in Ägypten, launisch, unvorstellbar herrschsüchtig und grausam. Und du bist auch dabei gewesen, als Pompeji unter der Lava begraben wurde.«
Da war es wieder, das mysteriöse Pompeji und der feuerspeiende Vulkan! Sollten die unerklärlichen Aufregungen etwas mit einer echten Erinnerung zu tun haben?
Vera M'Pessa erzählt die Geschichte selbst weiter: »Ich habe das alles damals nicht so ganz ernst genommen. Die Zwischenfälle aus meiner Kindheit waren beinahe vergessen, als ich 1957 auf dem Flug nach Griechenland plötzlich den Vesuv unter mir liegen sah. In diesem Augenblick packte mich ein fürchterlicher Schüttelfrost. Ich bäumte mich in meinem Sitz auf und murmelte wie geistesabwesend die Sätze: ›Der Diener soll die Füße des Gastes waschen und trocknen. Ein Tuch soll die Kissen schützen. Man nehme Rücksicht auf unsere Wäsche …‹
In diesem Augenblick sah ich es vor mir, als säße ich in einem Film über mein früheres Leben: Ich lebte da unten in Pompeji als junges Mädchen. Einer unserer Nachbarn hieß Epidius Immeneus. Er wohnte in der Via dell'Abbondanza. Ein seltsamer Mann. Seine Hausordnung hatte er fein säuberlich so an die Hauswand geschrieben, dass sie keiner übersehen konnte. Es waren jene Sätze, die ich als Kind schon im Fiebertraum lateinisch zitiert hatte und die mir beim Überfliegen von Pompeji spontan eingefallen waren.«
Dieses Erlebnis ließ der Schauspielerin keine Ruhe mehr. Jetzt wollte, ja musste sie Gewissheit finden: »Ein paar Monate nach dem Flug über den Vesuv, im Jahre 1958, reiste ich mit meinem Mann nach Pompeji. Als wir durch die Ruinenstadt geführt wurden, die im Jahre 79 nach Christi Geburt durch einen Ausbruch des Vesuvs zerstört wurde, hatte ich mit einemmal das Gefühl: Hier bist du zu Hause. Und tatsächlich: Ich kannte jeden Winkel, konnte genau angeben, was wir hinter der nächsten Ecke antreffen würden. Es war mir alles vertraut. In der Via dell'Abbondanza sagte ich zu meinem Mann: ›Siehst du, hier haben wir unser Obst gekauft. Und dort drüben wohnte ein Weber. Da suchten wir uns die Stoffe aus.‹ Der Fremdenführer tadelte mich verärgert: ›Warum lassen Sie sich überhaupt von mir herumführen, wenn Sie alles schon kennen?‹ Ich sagte nur: ›Ich habe hier gelebt. Vor der Katastrophe.‹ Für mich gab es jetzt keinen Zweifel mehr. Ohne die geringste Unsicherheit führte ich meinen Mann zum Haus des früheren Nachbarn Epidius Immeneus – und da stand die Inschrift groß auf der Mauer: ›Abluat unda pedes …‹ Der Diener soll die Füße des Gastes waschen …
Für mich war das ein Schock. In diesem Augenblick fand ich auch die Erklärung für mein furchtbares Erschrecken, sobald der Name Pompeji erwähnt wurde: Ich erlebte, als geschähe es gerade jetzt, mein qualvolles Sterben im Aschenregen noch einmal. Ich sah und fühlte mich als kleines Mädchen. Plötzlich, am helllichten Tag, wurde es über Pompeji Nacht. Dichter als Schneeflocken fiel Asche vom Himmel. Meine Eltern versuchten, mit mir an die Küste zu fliehen. Ich saß auf einem Holzkarren zwischen den überstürzt geretteten Habseligkeiten, presste ein Tuch vor Mund und Nase und erstickte fast. Die Asche klebte in den Haaren, auf der Haut, brannte schrecklich in den Augen. Da stürzte der Karren um. Ich fiel auf die Straße, versuchte aufzustehen und den Eltern nachzueilen. Ich hörte sie noch rufen. Ich schrie nach der Mutter, aber dann bekam ich keine Luft mehr. Die giftige Luft schnürte mir den Hals zu. Ich erstickte …«
Vera M'Pessa bekannte später: »Die Einsicht in frühere Schicksale hat mir geholfen, mein jetziges Leben einigermaßen zu begreifen. Ohne dieses Wissen müsste mir alles, was ich erlebe und durchmache, sinnlos vorkommen.«
Die Schauspielerin hat in vier europäischen Ländern in mehreren hundert Filmen mitgespielt – aber immer nur neben den großen Stars. Sie durfte niemals die Prinzessin selbst spielen, obwohl es ihr an Schönheit und Talent nicht gefehlt hat. »Es war wie ein Fluch«, sagt sie, »ich wurde immer wieder, oftmals in letzter Sekunde, zurückgesetzt.« So war sie unter anderem Double von Martine Carroll. Und sie durfte viele »Große« synchronisieren. Mehr nicht. Vera M'Pessa spricht perfekt sechs Sprachen, darunter Russisch und Französisch.
Zuletzt lebte die Schauspielerin fast vergessen, arbeitslos, ohne eigene Wohnung in München von 330 Mark Sozialhilfe. »Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich wahrscheinlich schon längst aufgegeben. Aber so stehe ich es durch. Das alles hat seinen Sinn – aus den früheren Leben.« Das war ihre Überzeugung, obwohl ihr Leben eine einzige Misere gewesen war:
Zwei zerbrochene Ehen; ein einziges vergebliches, verzweifeltes Streben nach Ruhm und Karriere; zuletzt nicht einmal mehr ein eigenes Zuhause. Alle Habseligkeiten lagerten in Kisten verpackt in einer Lagerhalle, die Bücher, die Wäsche, die Kostüme, Kleider, Bilder und Andenken aus Zeiten, die noch von Hoffnung geprägt waren …
Soll ein solches Leben einen Sinn ergeben?
Deutlicher gefragt: Lässt sich eher ein Sinn erkennen, wenn man an die Wiedergeburt glaubt?
Solche Fragen aber lösen gleich eine ganze Fragenlawine aus: Wie ließe sich denn das »Erinnern« des kleinen Mädchens, sein so heftiges Reagieren beim Hören der Namen Pompeji und Vesuv anders, plausibler erklären als mit einer Wiedergeburt? Woher konnte später die junge Frau wissen, an welchem Haus die merkwürdigen »Hausregeln« des »Nachbarn« standen – Sätze, die das Kind im Fiebertraum gesprochen hatte. Sollte es wirklich solche Zusammenhänge über Jahrtausende hinweg geben, wie sie hier dargestellt wurden: einstmals hochmütig, herrschsüchtig – heute deswegen dazu verdammt, immer hintanzustehen?
Oder lässt sich vieles nicht ganz einfach damit erklären: Das Leben der unglücklichen Schauspielerin musste so verlaufen, weil die Wahrsagerin es so vorhergesagt hatte – und weil daraufhin alles in nahezu mechanischem Erfüllungszwang abrollen musste: Das ständig gegenwärtige Wissen, hätte die Frau auch noch so energisch versucht, es zu verdrängen: »Du wirst es nie schaffen, weil du abbüßen musst!« – dieses Wissen blockierte jeden Erfolg schon im Ansatz. Sie hatte keine Chance.
Noch drängender aber schließlich die Frage: Und wozu sollte nun dieses schwere Schicksal gut gewesen sein? Was konnte die Schauspielerin für sich selbst »abtragen«? Hat sie trotz aller Ergebenheit in das schwere Geschick – oder nicht gerade damit – nicht neue Schuld auf sich geladen, so dass, gibt es dann eine Wiedergeburt, die nächste Inkarnation möglicherweise noch düsterer ausfallen müsste?
Jeder dritte Mensch glaubt an die Wiedergeburt
Tatsache ist: Wer an die Wiedergeburt glaubt, ist kurz vor der Wende zum dritten Jahrtausend auch im Abendland längst kein Einzelgänger mehr. Professor Jan Stevenson, Psychiater und Direktor der parapsychologischen Abteilung an der Universität von Virginia, der namhafteste Wissenschaftler, der sich bislang der Erforschung der Wiedergeburt widmete, stellte bereits 1976 fest: »Jeder fünfte Westeuropäer glaubt an eine Seelenwanderung!« Inzwischen sind die Zahlen sprunghaft angestiegen, so dass man etwa von folgenden Verhältnissen ausgehen darf: Nimmt man die Menschen aller Religionen und aller Ideologien zusammen, ergibt sich eine ziemlich gleichmäßige Dreiteilung: Ein Drittel aller Menschen glaubt nicht an ein Weiterleben nach dem Tod, sondern geht davon aus, dass mit dem Tod, ebenso wie beim Tier, das ganze Leben zu Ende ist.
Ein Drittel erwartet nach dem Tod die Aufnahme in den Himmel oder in das Paradies. Nicht alle von ihnen sind aber bereit, zugleich auch an eine ewige Verdammnis, an die Hölle, zu glauben. Doch für fast alle ist es selbstverständlich, dass das irdische Leben ein einmaliges, unwiederholbares Ereignis darstellt.
Das letzte Drittel glaubt an die Wiedergeburt, wobei dieser Begriff eine Fülle sehr unterschiedlicher Vorstellungen umfasst. Wiedergeburt, das kann ebenso eine ganz persönliche Wiederkehr bedeuten, wie auch das erneute Leben-Müssen in einem Tier oder in einer Pflanze. Die Unterschiede zwischen der Auffassung in westlichen Kulturkreisen und fernöstlichen Religionen und Philosophien sind so groß, dass man eigentlich schon nicht mehr von ein- und derselben Sache sprechen kann.
War noch bis vor kurzem in christlichen und islamischen Glaubensgemeinschaften die Diskussion über eine mögliche Wiedergeburt tabu, so versuchen heute immer mehr Christen und Mohammedaner, die Wiedergeburt mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen. Viele Zeitgenossen glauben nicht unbedingt an die Wiedergeburt, halten sie aber immerhin für möglich. Um an die Wiedergeburt zu glauben, muss man kein Buddhist, kein Hindu sein. Man kann an einen Gott glauben – oder auch ihn leugnen. Die Wiedergeburt ist gewissermaßen der Glaube an eine natürliche, rein diesseitige Ewigkeit, die zunächst keinen Schöpfergott und auch keinen Erlösergott braucht. Im Glauben an die Wiedergeburt können sich deshalb selbst Christen und Materialisten treffen, ohne dass sich beide allzu weit aus ihrer Glaubensheimat entfernen müssten. Die Vorstellung der Wiedergeburt scheint sich tatsächlich auch weit besser als alle anderen religiösen Glaubenswahrheiten mit modernster Wissenschaft in Einklang bringen zu lassen: Wiedergeburt ist nicht nur das irdische Lebensprinzip: Alles, was existiert und lebt, hat sich entfaltet, wird heranreifen, verwelken und neu erstehen. Alles, was ist, war schon einmal. Dieses Gesetz gilt auch für das große kosmische Geschehen: Jede Welt wurde aus dem Tod einer alten Welt »geboren«. Nichts geht auf ewig verloren, nichts ist letztlich zerstörbar. Geboren werden, sterben, wiedererstehen – so dreht sich unentwegt das Rad des Universums. Der Glaube an die Unzerstörbarkeit ist tatsächlich einleuchtender als der an das Verlöschen für immer.
Die Frage ist nur – und hier scheiden sich die Geister: Was bleibt unzerstörbar – und in welcher Form?
Ohne Zweifel überdauern die Atome und selbst manche Moleküle meiner Körpersubstanzen meinen Tod. Wenn sich der Körper auflöst, bilden sich chemisch neue Substanzen. Und irgendwann werden diese »Teile« von mir auch wieder neuem Leben angehören. Der biologische Kreislauf setzt sich fort.
Doch das ist nicht die Wiedergeburt, von der wir sprechen. Die Wiedergeburt setzt voraus, dass dann, wenn der Körper stirbt, das, was ihn bis dahin am Leben hielt, wie immer man dieses Lebensprinzip bezeichnen mag, ob »Energiebündel«, ob Seele, ob Geist, mit Bewusstsein weiterlebt. Das, was nach dem Tod noch existiert, muss also von sich sagen können: »Ich bin noch da.« Und: »Ich werde zurückkehren und erneut einen Körper beseelen.« Ob dieser unsterbliche Teil von mir nur ein Lebensfunke ist, der beliebige persönliche Färbungen annehmen kann – oder ob es sich um meine ganze Persönlichkeit handelt, die nur das sterbliche »Kleid«, den Körper, ausgezogen hat, nach wie vor aber einen andersartigen, identischen Körper besitzt, das ist eine zweitrangige, im Moment unwichtige Frage.
In diesem Sinn sprach man früher von der Seelenwanderung: Das, was von mir bleibt, das sich als »Ich« begreift, wandert von einem Dasein in einem Körper aus Fleisch und Blut zum nächsten. Diese Wanderung führt möglicherweise einem Ziel, der Vollendung im Nirwana, entgegen. Oder sie ist die ewig gleichbleibende Wiederholung, das Spiel von Werden und Vergehen, dem nichts in der Natur entfliehen kann.
Reinkarnation – Rückkehr in ein körperhaftes Leben, setzt ein anderes Leben, ein rein geistiges Leben, voraus, das unsterblich und unzerstörbar ist. Das, was von sich »Ich« sagen kann, wäre also zeitweise lebendig im »Fleisch« und zeitweise frei existierend außerhalb eines biologischen Organismus, wahrscheinlich auch außerhalb unserer dreidimensionalen, von Raum und Zeit begrenzten Welt. Statt von der geistigen »Seele« könnte man heute auch von einem »energetischen Prinzip« sprechen. Da Energie unzerstörbar ist, da so hoch entwickelte Energien wie das Denken sicher auch nicht leicht wandelbar sind, könnte tatsächlich auch der reine Materialist unter diesen Voraussetzungen an eine Unsterblichkeit glauben. Er dürfte sich nur nicht länger durch das Wort »Seele« und den Begriff »Geist« als Gegenpol des Körpers irritieren lassen.
Das ist ein wesentlicher Teil der Faszination, die von der Idee der Wiedergeburt ausgeht: Sie macht so vieles einsichtig, plausibel, verstehbar. Sie vermag selbst tiefste Glaubensgräben scheinbar mühelos zu überbrücken, so als gäbe es plötzlich zwischen den einzelnen Glaubensvorstellungen überhaupt keine gravierenden Unterschiede mehr. Es sieht so aus, als müsste man sich nur mit der Tatsache der Wiedergeburt vertraut machen, und schon wären alle Welträtsel einigermaßen zufriedenstellend gelöst. Ganz so einfach ist es selbstverständlich nicht. Und es stimmt auch nicht, was immer wieder als Tatsache hingestellt wird, dass das Wissen um die Wiedergeburt die ursprüngliche, natürliche Urreligion gewesen sei, die im Abendland nur unter dem Druck der Kirchen verlorenging.
Im Hades gab es keine Geistseelen
Richtig ist wohl, dass es in vielen alten Religionen die Vorstellung eines Weiterexistierens nach dem Tod gegeben hat. Doch dieses Dahinvegetieren im Hades der alten Griechen oder im Scheol der Juden war eben kein Weiterleben. Genau das, was auf Erden das Leben ausgemacht hatte, fehlte: Die Seele, das »energetische Prinzip«. Die leblosen, blutleeren Gestalten, die den Tod überdauert hatten, waren bewusstlos. Sie konnten sich nicht mehr äußern. Man könnte also sagen: Ähnlich wie in modernen Intensivstationen war bei Menschen, die nur noch durch Maschinen am Leben erhalten werden, in der vorchristlichen Unterwelt die Seele des Verstorbenen nicht mehr vorhanden.
Unklar ist, ob die Verstorbenen darauf warteten, zu neuem Leben erweckt zu werden. Wenn, dann wäre das eine ganz andere Wiedergeburt, nämlich die Rückkehr des schon einmal verstorbenen Körpers ins Leben, nicht die Rückkehr der Seele in einen neuen Mutterschoß, um in einem neuen »Gewand« zu leben. Homer hat diese Vorstellung in Verse gefasst: Als Odysseus auf seiner Irrfahrt in den Hades gelangt, begegnet er dort seiner verstorbenen Mutter. Um sich mit ihr, der Leblosen, unterhalten zu können, muss er erst ein Schaf schlachten und ihr dessen Blut zu trinken geben. Nach Genuss des Blutes beginnt sie zu leben, wird sie fähig, zu sprechen, ihre Gefühle zu äußern, zu denken, sich mit ihrem Sohn über Künftiges und Vergangenes zu unterhalten.
Anders gesagt: Da es keine intakten überlebenden Seelen dieser Verstorbenen gab, konnte es auch keine Wiedergeburt geben – bestenfalls eine Wiederbelebung.
Ein Beispiel, das deutlich macht, wie unerlässlich der Rückblick in die Geschichte ist. Einmal gilt es Missverständnisse auszuräumen, die immer weitergegeben werden. Zum anderen können wir unsere heutige Situation nur dann verstehen, wenn wir die Tradition kennen, die uns prägt.
Wiedergebeburt ja – aber keine Reinkarnation
Eine der wichtigsten Quellen, der unser christlicher Glaube entstammt, ist die ägyptische Religion.
Weil ein griechischer Schriftsteller fälschlicherweise behauptete, die Ägypter hätten an eine Reinkarnation geglaubt, liest man immer wieder davon. Diese Annahme ist aber unsinnig. Wozu hätten die Ägypter dann ihre leblosen Körper einbalsamieren, über ihnen gigantische Grabmäler errichten sollen – über leeren Hüllen, die nicht mehr bedeuten als ein altes, untauglich gewordenes Kleid, das man wegwirft?
Nein. Für die Ägypter vor 4000, 5000 Jahren war das irdische Leben eine einzige Vorbereitung auf den Augenblick des Todes, dem Anfang des eigentlichen Lebens. Sterben war gleichbedeutend mit dem Hinaustreten in das »volle Licht des Tages«, ein Bild, das an das Leben vor und nach der Geburt erinnert: Mit der Geburt wird der Mensch frei, das Licht zu sehen, sich in Raum und Zeit zu bewegen. Mit dem Tod tritt er aus jeder zeitlichen und räumlichen Begrenzung hinaus in das wahre Licht, das keine Sonne und keine Sterne mehr braucht, keine Zeit und keinen Raum mehr kennt. Doch dieses neue, unbegrenzte, lichterfüllte Leben ist noch nicht der Himmel, nicht die Befreiung von Kampf und Bewährung. Die Bewährungsprobe beginnt nun erst.
Der Gestorbene kommt zunächst vor ein Gericht, dem 42 Richter Vorsitzen. Über dem Gericht thront Maat, die Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Herz des Verstorbenen wird gewogen. Kann der Verstorbene vor dem strengen Gericht nicht bestehen, wird er in die Duat, die Unterwelt, verbannt, wo er bis in alle Ewigkeit in der Finsternis verbleiben muss.
Wird er dagegen vom göttlichen Gericht akzeptiert, dann mischt sich die irdische Natur mit göttlicher Natur. Noch ist er kein unsterblicher Gott, aber doch von göttlichem Wesen. Er besitzt wieder einen Körper, der dem Aussehen nach seinem irdischen Körper völlig identisch ist, ein exaktes Abbild. Dieser Körper ist, wie sein irdischer, sterblich und behaftet mit den einstigen »Schatten«, nämlich mit den speziellen Leidenschaften, Lastern, Schwächen – und mit ganz natürlichen Bedürfnissen. Deshalb braucht der Verstorbene die Opfer der Hinterbliebenen als Nahrung. Bleibt sie aus, muss er sterben – diesmal endgültig, ohne Hoffnung auf Auferstehung oder Wiedergeburt.
Der immaterielle, aber doch aus irgendeiner Substanz bestehende Körper im Jenseits ist nicht die Seele, sondern wiederum nur eine Hülle, in der gleich mehrere Seelen wohnen. Nur die drei höchsten von ihnen sind unsterblich.
Doch auch der Körper kennt keine räumlichen und zeitlichen Grenzen mehr, ist keinen physikalischen Gesetzen mehr unterworfen. Er kann sich frei zwischen Himmel und Erde bewegen, gedankenschnell an jedem gewünschten Ort auftauchen und wieder verschwinden, jede gewünschte Gestalt annehmen und augenblicklich gegen eine andere eintauschen.
Gerade die neu gewonnene Freiheit und Wandelbarkeit aber bilden für den Verstorbenen hüben wie drüben das eigentliche Risiko: Er muss höllisch aufpassen, dass er niemals vergisst, wer er wirklich ist. Sobald er nämlich seinen Namen vergisst, nicht mehr weiß, wie er in seiner ursprünglichen Gestalt aussieht, löscht er sich selbst aus. Deshalb – und nicht etwa aus dem Glauben an die Auferstehung des Fleisches heraus –