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Kurt Allgeier

Du hast schon einmal gelebt

Wiedergeburt? Erinnerungen in der Hypnose

Copyright der E-Book-Ausgabe © 2013 bei hey! publishing, München

Originalausgabe © 1979 bei Wilhelm Goldmann Verlag, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Umschlaggestalltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-942822-24-4

Von Kurt Allgeier zuletzt bei hey! erschienen:

Niemand stirbt für ewig

www.heypublishing.com

Statt eines Vorwortes

1. Kapitel: Zeuge der eigenen Geburt

2. Kapitel: Der Fall Bridey Murphy

3. Kapitel: Das Strafgericht am Himmelfahrtstag

4. Kapitel: Eine Maschine spürt acht Leben auf

5. Kapitel: Das letzte Mal war ich ein Mann

6. Kapitel: Die wilden Leben der Katharina B.

7. Kapitel: »Ich muss wieder zurück«

8. Kapitel: Die Begegnung in Orly

9. Kapitel: Ein Talent meldet sich

10. Kapitel: Auf den Spuren der Wiedergeburt

11. Kapitel: Ich komme wieder – in 155 Jahren

Die Summe der Vergangenheiten

Quellenangaben

Literaturhinweise

Statt eines Vorwortes

Schon immer und zu allen Zeiten haben Menschen von sich behauptet: »Ich habe schon einmal gelebt. Ich kann mich an ein früheres Leben erinnern.« Viele von ihnen konnten tatsächlich zahlreiche und präzise Einzelheiten nennen, in längst vergessenen Sprachen reden oder sich durch Muttermale am Ort früherer Verletzungen »ausweisen«.

Einige Menschen haben kurz vor ihrem Tod angekündigt: »Ich komme wieder. Ihr werdet mich wiedererkennen.« Und sie nannten Zeichen, die ihre Wiedergeburt beweisen sollten. Hinterher gab es dann wirklich auch die Behauptung: »Es hat alles gestimmt. Er ist zurückgekehrt. Wir haben ihn, wie vereinbart, ›wiedererkannt‹.«

Eine Reihe solcher »Reinkarnationen« ist wissenschaftlich exakt überprüft worden.

Geblieben ist stets die uralte, ungelöste Frage: Was steckt wirklich dahinter?

Geblieben ist in den christlichen Ländern unserer Erde die entschiedene Ablehnung: »Die Wiedergeburt gibt es nicht. Also muss sich für alles eine andere Erklärung finden lassen.«

In unseren Tagen nun passiert etwas Ungeheuerliches. Eine stets wachsende Zahl von Ärzten, Psychiatern, Psychotherapeuten und Parapsychologen behauptet: »Jeder Mensch kann die Reise in seine Vergangenheit antreten. Das Gedächtnis geht über den Augenblick der Geburt, ja sogar über den Moment der Zeugung hinaus. Und dann tauchen frühere Leben aus dem dunklen auf. Leben mit Fleisch und Blut. Genau abgegrenzte Schicksale.«

Viele hundert Menschen haben inzwischen diese Rückführung in ein früheres Leben mitgemacht. Sie fanden nicht nur eine Inkarnation, sondern manchmal sieben, acht oder gar 15 Leben.

15mal geboren werden. 15mal wachsen und welken.

15mal lieben und hassen, bangen und zagen.

Das Aufregende an diesen Geschichten: Mit dem erneuten Erleben der einstigen Freuden und Leiden können angeblich gegenwärtig psychische Probleme und Erkrankungen geheilt werden. Neuerdings ist sogar die Behauptung aufgestellt worden: Alle psychischen Erkrankungen hätten ihre Ursache in einem früheren Leben.

Die Psychoanalyse Sigmund Freuds blieb nicht länger auf Erlebnisse in der Jugend und Kindheit beschränkt – sie wird ausgeweitet auf das ganze Leben. Auf Empfindungen, Erfahrungen, Erlebnisse im Mutterleib, auf Ängste, Komplexe, Verstrickungen, Leiden und Versagen in früheren Inkarnationen.

Sollte es tatsächlich möglich sein, dass wir heute leiden müssen, weil wir früher einmal versagten?

Damit ist die Frage nach dem Leben vor dem Leben in ein ganz neues Stadium getreten. Und sie stellt sich drängender als jemals zuvor: Sind wir alle miteinander mehr als dieses gegenwärtige Leben? Können wir uns selbst finden, indem wir das tief in unserer Seele verborgene »Gedächtnis« aufwecken?

Dieses Buch ist kein Versuch, die Wiedergeburt zu beweisen.

Noch scheint dies mit letzter Sicherheit nicht möglich zu sein. Hier wird aber wohl zum ersten Mal aus allen Richtungen zusammengetragen, was sich heute zur Frage der Wiedergeburt sagen lässt. Was von den verschiedensten Seiten unternommen wird im Bemühen, sich einen Schritt näher an das Problem heranzutasten.

Zeugen und Zeugnisse sollen für sich sprechen und Anregungen zu eigenen Überlegungen geben. Ihre Gesamtschau ist sicher deutlicher als der Einzelfall.

Mit Rücksicht auf Patienten und Versuchspersonen sind deren Namen in fast allen Fällen verändert worden. In drei Fällen versagten auch Ärzte, die sich mit der Reinkarnation befassen und uns ihr Material zur Verfügung stellten, die Erlaubnis, ihren Namen zu nennen. In Verbindung mit Reinkarnation, so fürchteten sie, könnte ihr guter Ruf Schaden leiden. Noch sind wir nicht soweit, dass die Beschäftigung mit der Frage der Wiedergeburt etwas Selbstverständliches wäre.

Information über das Thema Wiedergeburt – das hat nichts mit Neugierde, auch nichts mit Frevel, schon gar nichts mit Ketzerei zu tun. Es geht letztlich um die drängendste Frage unserer Existenz: Wer sind wir?

1. Kapitel

Zeuge der eigenen Geburt

»Nein. Ich will nicht. Ich will nicht hinaus. Mama, lass mich doch bei dir bleiben. Warum drückst du mich nach draußen? Oh, das tut weh. Nein – Nein – Ich kriege keine Luft mehr. Mama – Nein. Hilf mir doch. Ich ersticke – Ich ersticke –«

Eine junge Frau, 23 Jahre alt, benimmt sich wie ein Baby, das gerade geboren wird. Friederike Häussermann windet sich auf der großen schwarzen Liege. Sie kauert sich zusammen, zieht die Knie zum Bauch und verschränkt die Arme auf der Brust. Ihre Stimme ist dünn und zerbrechlich wie die eines kleinen Kindes. Friederike ringt nach Luft, als wäre sie in diesem Augenblick wirklich am Ersticken. Das Gesicht verfärbt sich blau, der Mund ist weit aufgerissen, die Lippen beben in maßloser Angst.

Dann geht es plötzlich wie ein Ruck durch den verkrampften Körper. Friederike streckt sich. Sie lässt die Arme fallen. Ihr Hilferuf wird zu einem leisen, kläglichen Wimmern. »Es ist so kalt. Bitter kalt. Ich will hier nicht sein. Oh, dieses grelle Licht! Sie heben mich in die Höhe – Ich schreie – Mama, warum hast du mich hergegeben? – Papa schaut mich nicht einmal an. Er mag mich nicht – Er hat nie gewollt, dass ich sein Kind werde – Und du auch nicht. Ich weiß es, Mama. Du hast mich nicht lieb – Du wolltest kein Kind mehr haben – Jetzt bin ich aber da. Du musst mich lieb haben –«

Friederike stammelt. Die Sätze kommen stockend, fast lallend, aber so flehentlich, als hinge das Leben davon ab. Die junge Frau wirft den Kopf von einer Seite auf die andere. Tränen rinnen über die Wangen, die vor Aufregung glühen.

In diesem Augenblick greift der Hypnosearzt ein, der neben der Liege sitzt. Mit ruhiger, fast sanfter Stimme spricht er zu Friederike Häussermann.

»Wir verlassen jetzt den Augenblick der Geburt. Wir gehen noch weiter zurück. Die Zeit spielt für uns keine Rolle. Alles, was wir sehen und erleben, ist von Bedeutung. Deshalb versuchen wir, uns daran zu erinnern. Aber wir lassen uns nicht erschrecken. Wir gehen einfach weiter. Denn wir wollen herausfinden, warum Sie glauben, von Vater und Mutter nicht geliebt und erwünscht zu sein. Suchen wir einen Augenblick, der uns einen Einblick gestattet. Gehen wir zurück, bis das Gedächtnis etwas findet. Was sehen Sie?«

»Es ist schön. Warm. Ich fühle mich wohl – Ein bisschen eng. Aber gut. Es rauscht. Und gluckst. (Friederike lacht, ihr Gesicht ist glücklich.) Mutters Herz klopft ganz ruhig. Es ist wirklich gut – Aber jetzt –« Ihre Miene verändert sich schlagartig.

»Was ist jetzt?«

»Mama ist aufgeregt. Ihr Herz klopft ganz wild. Mama hat Angst. Furchtbare Angst–«

»Wovor hat sie Angst?«

»Ich weiß es nicht – Vor mir. Sie will mich nicht –«

»Gehen wir noch weiter zurück. Was ist jetzt?«

»Ich bin winzig klein. So klein, dass ich in einer Hand Platz habe.«

»Und noch weiter. Erzählen Sie, was Sie sehen.«

Friederike Häussermann richtet sich in der Liege auf und umklammert die Lehnen. Ihr Atem geht heftig. »Ich bin da – Ich bin wieder da –«

»Wo bist du?«

»In einem … in einem neuen Körper. Bei meiner neuen Mutter.«

»Warum sagst du ›neue‹ Mutter? Gibt es denn auch eine alte?«

»Das weiß ich nicht. Aber ich musste zu diesen Eltern. Und sie mögen mich nicht. Mama sagt: ›Hoffentlich ist nichts passiert. Wir haben nicht aufgepasst.‹ Und Vater meint: ›Mach dir keine Sorgen. Nach so langer Pause ist das Risiko nicht mehr so groß. Und wenn schon, dann haben wir eben drei Kinder.‹ Mama schüttelt den Kopf: ›Aber wir sind schon zu alt für ein Kind. Und die Wohnung ist auch zu klein. Was sollten nur Britt und Lotti von uns denken? Die beiden sind bald erwachsen!‹ Papa macht sich jetzt auch große Sorgen, dass ›etwas passiert‹ sein könnte. Er blickt zur Decke, die Hände unter dem Kopf verschränkt. ›Warten wir’s ab‹, sagt er. ›Wenn es eben passiert ist, dann sehen wir weiter. Vielleicht ist es ja auch ein Junge, dann wäre alles halb so schlimm.‹«

Friederike weint. »Ich bin kein Junge. Ich bin ein Mädchen. Aber ich kann doch nichts dafür. Mama, du musst mich lieb haben, sonst kann ich nicht leben –«

So hört sich die Tonbandaufzeichnung einer Hypnosesitzung an. Friederike Häussermann lässt die Sitzungen über sich ergehen, weil sie nicht mehr weiter wusste. Die Medizinstudentin im vierten Semester, hochaufgeschossen, bildschön, langes blondes Haar, rätselhaft eindrucksvolle, graue Augen, wird umschwärmt. Die Verehrer drängen sich in ihre Nähe. Doch nach zwei, drei Begegnungen wenden sie sich ebenso rasch entschlossen wieder von ihr ab. Einer wie der andere.

»Mit der ist nichts anzufangen. Friederike ist verklemmt. Sie steckt voller Probleme und Komplexe«, sagen sie bedauernd.

Die Eltern halten ihre Tochter für ungewöhnlich verschlossen und scheu und tun alles, sie glücklich zu sehen. In den 23 Jahren fiel nicht ein einziges böses Wort. Es gab niemals eine Zurechtweisung. Keine Bitte des Kindes blieb unerfüllt. Friederike wurde jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Mit beispielloser Geduld. Doch alles Bemühen schien das Kind nur verstockter zu machen. Zwischen den Eltern und Friederike stand eine unüberwindliche Mauer. Beide Seiten wussten das – und alle litten darunter.

»Mit mir stimmt etwas nicht. Ich fürchte, ich bin seelisch krank. Und ich will endlich wissen, was dahintersteckt«, sagte Friederike eines Tages und vertraute sich einem erfahrenen Psychoanalytiker an.

»Ich liebe meine Eltern über alles. Was hindert mich nur daran, es ihnen zu zeigen? Warum laufen alle jungen Männer vor mir davon?« fragte sie den Arzt und bat um Hilfe.

Schon in der dritten Sitzung erlitt sie einen Schock. »Ich hasse meine Mutter«, brach es heftig aus ihr hervor. »Ja, jetzt weiß ich es ganz klar: Ich hasse sie. Und meinen Vater kann ich auch nicht ausstehen. Aber warum nur? Sie sind doch so wunderbar zu mir. Bin ich undankbar? Oder gar böse?«

Der Arzt gab ihr zu verstehen: »In der Kindheit muss irgend etwas vorgefallen sein, das diesen Hass – oder was immer es sein mag – ausgelöst hat. Wir müssen dieses Ereignis finden. Versuchen Sie sich zu erinnern.«

Tatsächlich fielen Friederike nach und nach einige längst vergessene Zwischenfälle ein. Bedeutungslose ›Bagatellen‹, die sich jetzt aber wie Meilensteine aneinanderreihten. Merkwürdigerweise passten sie auch alle zusammen:

Da war plötzlich jener Tag wieder lebendig, an dem der Vater mit ihr und einem Jungen aus der Nachbarschaft Fußball spielte. Ganz deutlich hörte sie ihren Vater sagen: »Eigentlich schade, dass du nur ein Mädchen bist«, wobei er sie einfach stehen ließ, um dem fremden Jungen über den Wuschelkopf zu streichen.

Oder jener Augenblick, als die Mutter mit ihrer Schwester über die Abtreibung diskutierte und mit erhobener Stimme ausrief: »Ich kann junge Frauen verstehen, die nach Holland reisen. Lieber kein Kind als eines, das man nicht liebt und nur als Last empfindet.«

Und schließlich ein Gespräch der Mutter mit der Nachbarin, in dem die Sätze fielen: »Manchmal gehen die Kinder einem doch ganz schön auf die Nerven. Keine Minute hat man mehr für sich. Man ist schrecklich angebunden.«

Waren das die gesuchten Ereignisse, die – ohne dass Friederike so recht darum wusste – den Hass gegen die Eltern in ihr Herz gepflanzt hatten? Zuerst sah es ganz danach aus. Doch dann wurde Friederike noch eigenartiger. Sie bekam Kopfschmerzen, vernachlässigte ihr Studium und brach die Sitzungen beim Psychiater ab. Das alles, so empfand sie, hatte irgendwie an etwas ganz Wichtiges gerührt, dabei aber die ganze Sache nur noch schlimmer gemacht. Sollte sie niemals das Rätsel ihrer Bedrückung lösen können?

In dieser recht verzweifelten Situation hörte Friederike von sehr merkwürdigen umstrittenen Hypnoseexperimenten. Bei manchen Ärzten und Psychotherapeuten, so sagte man ihr, könne man nicht nur erfahren, was in frühester Kindheit passierte, dank der Hypnose wäre es sogar möglich, über die Schwelle der Geburt hinauszugehen und sich ganz deutlich an das zu erinnern, was man als Baby im Mutterleib erlebte und empfand.

»Einfach lächerlich«, sagte Friederike spontan. »Ein Embryo kann weder denken noch empfinden.« Doch dann siegte die Neugierde in der angehenden Ärztin. Sie ging zum Hypnosearzt und erzählte ihm von ihrer Bedrängnis und von den bisherigen Bemühungen, sie loszuwerden.

Der Arzt erklärte ihr: »Was Sie bisher an Zwischenfällen in Ihrer Kindheit gefunden haben, das sind tatsächlich nur kleine Begebenheiten, die jedes unbelastete Kind sehr wohl verkraften könnte. Bei Ihnen war offensichtlich schon ein Schock vorhanden. Und an diesen haben sich die Bemerkungen von Mutter und Vater angeheftet wie eine neue, zusätzliche Bekräftigung: ›Also stimmt es doch, dass sie mich nicht mögen.‹ Nun müssen wir diesen allerersten Schock finden. Vermutlich liegt er sehr weit zurück.«

So kam es also zu den Hypnosesitzungen – zu jener Sitzung schließlich, in der Friederike ihre eigene Geburt und zuletzt sogar die eigene Zeugung schilderte.

Wirklich schilderte, so wie es damals gewesen ist – oder nur zusammenphantasierte?

Es war mehr, viel mehr als Phantasie. Denn Friederike erlebte in der Hypnose die schlimmen Augenblicke so intensiv wieder, dass der Arzt an ihrer Seite um ihren Zustand besorgt war.

Doch etwas anderes ist noch wesentlich interessanter: Nach dieser Sitzung war Friederike gesund. Die junge Frau, bleich, angegriffen von dem soeben Erlebten, lächelte und sagte zu dem Arzt: »Wenn ich jetzt nach Hause komme, werde ich zum ersten Mal in meinem Leben meine Mutter ohne jeden Vorbehalt in die Arme schließen können. Jetzt weiß ich, woher mein Hass stammte. Jetzt bin ich frei davon.«

Doch an dieser Stelle begann erst das eigentliche Abenteuer. Friederike wurde zwei Sätze aus der Hypnosesitzung nicht mehr los. Sie hießen: »Ich bin wieder da.« Und: »Ich muss zu meiner neuen Mutter.«

Wieso wieder? War sie schon zuvor dagewesen? Wieso neue Mutter? Hatte sie früher, zu einer anderen Zeit, schon einmal eine Mutter gehabt? Hatte sie schon einmal gelebt? Gibt es die Wiedergeburt?

Friederike besaß vielleicht einen »Beweis«: Sie konnte ihre Mutter fragen, ob sich damals wirklich alles so abgespielt hat, wie es in der Hypnose zutage trat.

Die Mutter wurde verlegen. Sie versuchte auszuweichen. Aber Friederike schilderte ihr den Zauber von Florenz in der Blütenpracht. Sie erzählte ihr, wie das verstaubte, aber märchenhaft prächtige Hotelzimmer ausgesehen hat: »Erinnerst du dich an den fast blinden Spiegel in der Ecke? An die schweren blauen Brokatvorhänge? An die Lampe aus buntem venezianischen Glas, das ständig wie ein Dutzend silberner Glöckchen klingelte? Und die vielen, betäubend süß duftenden Blumen, die überall aufgestellt waren und die Papa noch spät in der Nacht vor die Tür transportierte? Weißt du noch, wie lästig der dicke alte Kellner war, der alle paar Minuten an die Tür klopfte? Und das Marmormosaik über dem Bett, das so nahtlos zusammengefügt war, dass beinahe ein Streit darüber ausgebrochen wäre, ob es wirklich echte Steine sind oder ob es sich um ein Gemälde handelt?« Friederike wurde eindringlich: »Mama, ist es wahr, dass du damals zu Papa gesagt hast: ›Hoffentlich ist nichts passiert?‹ Hat er nicht geantwortet: ›Wenn es ein Junge wird, ist alles halb so schlimm?‹ Sag mir, ist es so gewesen?«

Sprachlos starrte Frau Häussermann ihre Tochter an. Dann nickte sie. »Es stimmt. Ich wollte damals kein Kind haben. Ich fühlte mich zu alt. Und es ging uns finanziell auch nicht gerade gut. Ich machte mir Sorgen. Vater tat das auch. Aber Kind, woher weißt du das alles? Wie kommst du nur darauf?«

»Ich bin dabei gewesen. Ich habe euch zugehört«, sagte Friederike wie geistesabwesend.

Im selben Augenblick wurde ihr aber bewusst, was sie da gesagt hatte: Wenn sie dabei gewesen ist und alles sehen und hören konnte, dann war sie ja schon im Augenblick der Zeugung als fertiger, empfindender, denkender Mensch gegenwärtig.

Ein Mensch, der Wissen besaß? Erfahrungen? Erinnerungen?

Ist die Hypnoseerfahrung und die darauffolgende spontane Heilung von Friederike Häussermann ein Beweis dafür, dass ein Mensch mehrfach zur Welt kommen kann?

Nein. So einfach ist das nicht. Doch dieser und viele hundert ähnliche Fälle, die in diesen Tagen bekannt werden, zwingen uns, über die Frage der Wiedergeburt ganz anders als bisher nachzudenken.

»Sie nimmt mir den ganzen Platz weg«

Der Münchner Psychotherapeut Thorwald Dethlefsen (1) schildert zwei Hypnoseexperimente, bei denen sich zwei Frauen ebenfalls an Erlebnisse im Mutterleib erinnern konnten:

Frau Inge S., 28 Jahre alt, aus Nürnberg, hasste alle schwangeren Frauen. Sobald sie einer werdenden Mutter begegnete, verspürte sie den heftigen Drang, sie schlagen zu müssen, weil, wie sie dem Therapeuten sagte, »jede Schwangere eine Mörderin« sei.

Thorwald Dethlefsen führte Frau Inge in Hypnose zurück in die Kindheit, ins Säuglingsalter – und schließlich in die Zeit vor der Geburt. Und plötzlich erlebte Frau Inge den Augenblick, in dem ihre Mutter beschloss, das Kind abzutreiben. Die ganze Todesangst wurde jetzt, fast 29 Jahre später, noch einmal lebendig. Die Gefühle der ohnmächtigen Angst und der Verzweiflung regten sich wieder. Frau Inge bettelte ihre Mutter: »Lass mich am Leben. Bring mich nicht um. Ich will leben.« Nach diesem Hypnoseerlebnis war Frau Inge gesund. Jetzt konnte sie Schwangeren ohne Aggression und feindliche Gefühle begegnen.

Fräulein Α., 32 Jahre alt, kam als winzig kleines Baby zur Welt, das kaum Überlebenschancen besaß. Sofort nach der Geburt musste das Mädchen in die Klinik gebracht werden. Sechs Wochen lang blieb es dort im Brutkasten, schwankend zwischen Leben und Tod. Unerklärliche Angstzustände führten Fräulein A. 32 Jahre später zu Thorwald Dethlefsen. In der Hypnose lässt er seine Patientin die Zeit vor der Geburt erleben. Als der siebente Monat der Schwangerschaft erreicht ist, stößt man auf den Augenblick, als die Mutter von Fräulein A. von ihrem Arzt erfuhr, sie werde Zwillinge bekommen.

In diesem Augenblick gerät Fräulein A. in große Aufregung: »Mutter will nicht, dass ich da bin. Aber ich bin da. Sie will überhaupt kein Kind, aber wir sind zwei. Sie will keine zwei.« (Fräulein A. beginnt zu weinen.) »Mutter ist verzweifelt, weil wir zwei sind. Ich könnte schreien.« (Sie weint heftiger.) »Mami, ich bin da. Ich bin trotzdem da.« (Sie schlägt mit den Fäusten um sich.) »Ich bin bös, ich bin ganz bös. Mami, ich könnte dich umbringen. Du hast mich nicht lieb. Ich brauche dich doch. Ich hasse dich.«

Schließlich sagt sie unter Schluchzen: »Ich will nichts mehr essen. Ich will nichts mehr von dir.«

Thorwald Dethlefsen fragt: »Warum?«

»Weil sie mich auch nicht will. Meine Schwester kann ja alles haben. Ich will nichts mehr.«

Als sie das sagt, krümmt sich die Patientin auf der Liege ganz klein zusammen und dreht sich zur Seite. Sie presst ihr Gesicht fest auf die Liege. »Ich möchte weg. Ich will nicht mehr. Meine Schwester nimmt mir den ganzen Platz weg.« Doch dann, nach einer Weile, sagt sie: »Ich muss auf die Welt kommen. Ich will leben. Ich muss. Ich muss durchkommen. Ich will nicht sterben.«

Fräulein A. kam nach ihrer Schwester zur Welt. Jene war kräftig und gesund, sie selbst kaum lebensfähig.

Was ist von solchen Tonbandprotokollen zu halten?

Spiel mit unbekannten Kräften?

Eines ist sicher: Sie sind echt. Betrug, Taschenspielertricks, Gaukeleien können ausgeschaltet werden. Die Experimente wurden inzwischen von einigen hundert Ärzten und Psychotherapeuten wiederholt und wissenschaftlich exakt überprüft. Keiner, der jemals unmittelbar als Zeuge bei einer Hypnosesitzung dabei war, ein Tonband darüber hörte oder eine Filmaufzeichnung sah, kann sich den überzeugenden Aussagen entziehen: Weder der Hypnotiseur noch der Hypnotisierte spielen Theater. Eine bewusste Täuschung liegt gewiss nicht vor.

Die Frage ist nur: Lassen sich vielleicht die beteiligten Akteure selbst täuschen? Spielen sie mit Kräften, die der Mensch noch nicht kennt und schon gar nicht beherrscht?

Wir wissen in der Tat noch zuwenig über die Hypnose und über das, was in ihr passiert. Bekommt der Hypnotiseur über sein »Opfer« möglicherweise so viel Einfluss, dass dieses willenlose Geschöpf Dinge erzählen muss, die er hören will – möglicherweise sogar suggeriert?

Könnte es sein, dass Friederike Häussermann in der Hypnose die Fähigkeit bekam, Sorgen, Erinnerungen der Eltern telepathisch »anzuzapfen«? Wurde sie in der Hypnose zur Hellseherin?

Wäre es möglich, dass alle jemals gedachten Gedanken auf alle Ewigkeit wie Radiowellen die Welt erfüllen – und dass der sie empfangen kann, der es schafft, seine »Antenne« richtig auf diese »Gedankenwellen« einzustellen?

Haben Friederike, Frau Inge und Fräulein A. also nicht ihre eigenen, sondern fremde Erinnerungen wiedergegeben – und bilden sie sich nur ein, es wären ihre eigenen? Aber wieso wurden sie dann dabei geheilt?

Sind die »Erinnerungen« nichts anderes als ein böser Alptraum, den man im Augenblick, da er abläuft, ja auch für ein wahres Geschehen hält? Wie könnte ein solcher Traum genau mit den Tatsachen übereinstimmen?

Fragen über Fragen, die in den folgenden Kapiteln von allen Seiten beleuchtet und immer mehr eingekreist werden sollen.

Für Millionen ist es selbstverständlich

Für rund ein Fünftel der Weltbevölkerung ist die Wiedergeburt eine Selbstverständlichkeit. Buddhisten, Hindus, Jainisten, Taoisten und einige nordamerikanische Indianerstämme sind davon überzeugt, dass sich ihre Seelen nach dem Tod des Körpers eine neue Verkörperung suchen. Der Leib ist für sie nichts anderes als eine Wohnung auf Zeit, die eben mit dem Tod verlassen und gegen ein neues Heim eingetauscht wird.

Auch unsere Vorfahren – Germanen und Kelten – haben ähnlich wie altgriechische Philosophen an die Seelenwanderung geglaubt. In vielen Gegenden unserer Heimat ist es heute noch Sitte, den Kindern die Vornamen der verstorbenen Großeltern zu geben. Einst steckte dahinter nicht nur der Versuch, die Erinnerung an die Alten möglichst lebendig zu halten, sondern die feste Überzeugung, dass die Verstorbenen in der Familie wiedergeboren werden: In meinem Sohn lebt mein Vater wieder, in meiner Tochter die Mutter oder die Tante.

Noch hundert Jahre nach Christi Geburt schreibt der römische Geschichtsschreiber Appian, die »Hoffnung auf die Wiedergeburt« sei »in den Herzen der Germanen fest verwurzelt«. Und schon Cäsar berichtete seinen erstaunten Landsleuten, die Germanen seien wohl deshalb so tugendhaft und so todesmutig, weil sie an die Wiedergeburt glaubten und deshalb keinerlei Angst vor dem Sterben hätten. Eine Parallele dazu findet sich in den Berichten der Eroberer Amerikas über die Indianer. Sie gingen, so schrieb ein englischer Offizier seiner Regierung, geradezu mit Freuden in den Tod, weil sie damit das jetzige Leben beenden und ein möglicherweise besseres beginnen könnten.

Die christlichen Religionen waren ursprünglich der Reinkarnation gegenüber keineswegs ablehnend eingestellt. Zur Zeit, als Jesus von Nazareth auftrat, war der Glaube an die Wiedergeburt unter den Juden weit verbreitet. Selbst im Neuen Testament finden sich Stellen, denen man entnehmen kann, dass die Autoren mit dem Wiedergeburtsgedanken vertraut waren.

So erzählt der Evangelist Matthäus völlig unbefangen, Jesus habe den Täufer für eine Wiedergeburt des Propheten Elias gehalten: »Wenn ihr es glauben wollt: Er ist Elias, der da kommen soll. Wer Ohren hat zu hören, der höre.«

Auf dem Konzil zu Konstantinopel im Jahre 553 allerdings wurde unumstößlich der Glaubenssatz verkündet:

Wer daran glaubt, die Seele existiere schon vorher (vor dem Körper) und erfahre später eine neue Verleiblichung, der sei verflucht.

Damit war der Glaube an die Wiedergeburt im christlichen Abendland ausgelöscht. Einige namhafte Leute, die gegen das Verbot aufstanden, haben im Mittelalter wegen ihres Glaubens an die Wiedergeburt ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen müssen.

Erst die Zeit der Aufklärung brachte das Thema Seelenwanderung wieder hoch. Der französische Philosoph Voltaire verblüffte seine Zeit mit der Aussage:

Zweimal geboren zu werden, ist nicht wunderbarer als einmal. Auferstehung ist das ein und alles der Natur.

Johann Wolfgang von Goethe glaubte in vielen Menschen, die ihm begegneten, Bekannte oder gar Verwandte aus früheren Inkarnationen zu erkennen. In einem Gespräch meinte er sogar einmal, er habe wohl schon tausendmal existiert und hoffe, noch tausendmal wiederzukommen.

Und heute? Der amerikanische Psychiater Professor Jan Stevenson, Direktor der parapsychologischen Abteilung der Virginia-Universität, hat 1623 Fälle von Inkarnation untersucht. 226 stammen aus Burma, 208 aus Indien, 813 aus dem übrigen Asien. In Europa fand der Wissenschaftler 241 Fälle. Allein 36 in Frankreich.

Professor Stevenson sagt: »Jeder fünfte Westeuropäer glaubt an eine Seelenwanderung.«

Nach einer Umfrage halten drei von zehn Frauen und zwei von zehn Männern eine Wiedergeburt zumindest für möglich. Die meisten Befragten gaben allerdings an, dass sie sich über dieses Thema bisher keine Gedanken gemacht haben.

Und was sagt die Wissenschaft?

Der Physiker und Psychologe, Professor für Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität in München, Rainer Fuchs – früher Mitarbeiter von Wernher von Braun –, erklärte kürzlich die Haltung des Wissenschaftlers, der es gewohnt ist, nur auf bewiesene Erfahrungen aufzubauen. Er meinte in etwa:

Der Wissenschaftler geht davon aus, dass ein Gedanke, also auch eine Erinnerung, nur entstehen kann, wenn die körperlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind. Das heißt: Nur wenn im Gehirn von Zelle zu Zelle Ströme fließen, kann ein Mensch denken. Eine vom Körper losgelöste Seele wäre dazu also ebenso wenig fähig wie ein Baby oder ein Embryo, bei dem die Gehirnzellen noch nicht entwickelt sind.

Seele und Geist wären demnach das Ergebnis biologischer Vorgänge. Ohne Körper einfach undenkbar.

Der Kölner Psychologe Professor Dr. Udo Undeutsch vom Psychologischen Institut der Universität Köln meint:

Für die Vermutung, dass die Seele eines Menschen in früheren Zeiten mit einem anderen Körper verbunden war, gibt es keinerlei Belege. Die Psychologie geht immer noch von der untrennbaren Einheit von Seele und Körper aus.

Professor Fuchs geht einen Schritt weiter:

Sollte bewiesen werden, dass unsere Erfahrungen nur ein Teil der Wahrheit sind, müssten wir allerdings umdenken. Als Wissenschaftler bin ich offen, neue Tatsachen anzuerkennen. In der Wissenschaft darf es keine unumstößlichen »Glaubenssätze« geben.

Seiner Meinung nach fand man bisher eine ganze Reihe von Zeugnissen, die ganz nahe an einen wissenschaftlichen Beweis der Reinkarnation heranführen. Ein letzter Rest aber sei noch offen.

Professor Dr. G. Hutchinson von der amerikanischen Yale-Universität und Mitglied der Akademie der Wissenschaften schimpft gar:

Der Grund dafür, dass so viele Wissenschaftler die Resultate der Reinkarnationsforschung nicht anerkennen, ist einfach der, dass sie diese nicht wahrhaben wollen und dass sie der Anerkennung ausweichen, indem sie die Berichte über die betreffenden Versuche nicht einmal prüfen.

Daran kann es keinen Zweifel geben: Wenn sich ein Mensch wirklich an das Befinden im Mutterleib erinnern kann, wenn es sich bei den Hypnoseprotokollen also um echte, eigene, unverfälschte Erinnerungen handelt, dann ist der Beweis dafür gefunden, dass Gedanken und Empfindungen eben nicht nur das Ergebnis von biochemischen und elektrischen Vorgängen in einem intakt funktionierenden Gehirn sind, sondern dass im Körper eine Seele existiert, die von Anfang an »wahrnehmen« kann.

Dann müssten vor allem auch die Eltern umdenken. Sie könnten das heranwachsende Leben nicht länger als unfertig, unverständig, embryonal betrachten, sondern hätten plötzlich die Chance, sich von Anfang an mit ihrem Kind zu unterhalten, ihm Mut zu machen, ihm Zuneigung und Liebe zu erklären. Das Baby könnte zwar nicht antworten, aber alles sehr wohl verstehen. Welch eine Möglichkeit, die Menschheit glücklicher zu machen, Angst und psychische Erkrankungen auszuräumen!

Draußen und drinnen zugleich

Recht interessant ist bei vielen Erlebnissen der Geburt in Hypnose die immer wieder beobachtete zweifache Schilderung der Vorgänge: Der Hypnotisierte berichtet einmal, als befände er sich irgendwo im Zimmer oder im Kreißsaal als mehr oder weniger unbeteiligter Zuschauer. Er sieht den Arzt, die Hebamme, den Vater. Er riecht die Arzneien und hört, was gesprochen wird.

Schon im nächsten Augenblick befindet er sich aber im Mutterleib, um den ganzen Schrecken der »Austreibung« noch einmal mitzumachen. Er ist also sowohl »draußen« als auch »drinnen«.

Ein Phänomen, das haargenau gleich noch einmal auftaucht. Dann nämlich, wenn ein Mensch im Sterben liegt.

Auch in diesem Augenblick, so berichten übereinstimmend Männer und Frauen, die bereits klinisch tot waren, durch die Kunst der Ärzte aber wieder ins Leben zurückgerufen wurden, verlässt das »Ich« die nicht mehr funktionierende Hülle wie durch einen langen, dunklen Gang, um frei im Raum zu schweben und zuzusehen, was unten mit dem zerschundenen, toten Körper passiert.

Es tut nichts mehr weh. Die befreite Seele fühlt sich rundum wohl – und ist alles andere als glücklich, wenn da unten das Herz wieder zu schlagen anfängt und sie somit zur Rückkehr in die bereits verlassene Wohnung gezwungen wird. In diesem Fall ist wohl auszuschließen, dass die Erinnerung eines anderen Menschen »angezapft« wird. Man mag darüber denken, wie man will. Die naheliegendste und einleuchtendste Erklärung bleibt auf jeden Fall: Die Seele hat den Körper verlassen.

Der Hypnosearzt Dr. Claus Bick aus Dahn in der Pfalz – er besitzt eine eigene Privatklinik, in der mit Hilfe der Hypnose vor allem psychische und psychosomatische Leiden behandelt werden – hat seine Patienten in 165 Hypnoanalysen 76mal den Augenblick der Geburt in die Erinnerung zurückgerufen. Er fand immer wieder bestätigt, dass viele Beschwerden und Belastungen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Angstzustände tatsächlich auf Erlebnisse im Mutterleib zurückgehen und oftmals spontan verschwunden sind, sobald der Schock von damals bewusst wurde.

»Ein Baby im Mutterleib«, so sagt der Arzt, »kann offensichtlich auch die Angst oder einen Schock seiner Mutter miterleben und später darunter leiden.«

Ein Thema, das ungeheure Perspektiven im Hinblick auf unsere Gesundheit eröffnet.

Die amerikanischen Psychotherapeuten Dr. Morris Netherton aus Los Angeles und Dr. Nancy Shiffrin von der Neuropsychiatrischen Klinik der Universität von Kalifornien, ebenfalls in Los Angeles, berichten über ihre jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Reinkarnationstherapie (2):

Die pränatale Phase ist mehr als in einer Hinsicht einzigartig. Aber vielleicht am entscheidendsten ist, dass nur in diesen Monaten das Unbewusste längere Zeit allein funktioniert, ohne Unterstützung beziehungsweise Bevormundung durch das Bewusstsein. An anderer Stelle habe ich das Unbewusste mit einem Tonbandgerät verglichen, das alles unterschiedslos aufzeichnet und Informationen speichert, ohne sie zu analysieren. Tatsächlich registriert der Fötus alle Gedanken der Mutter, alles, was zur Mutter und von ihr und in ihrer Gegenwart gesagt wird, als ob es an ihn gerichtet wäre.

Oftmals identifiziert sich das Kind im Mutterleib mit der Mutter demnach so sehr, dass ihre Empfindungen und Gedanken zu seinen eigenen werden. Eine Frau, die Psychiater nennen sie Ann Boyd, 34 Jahre alt, wurde von dem einen beherrschenden Gedanken gequält: »Kein Mann wird mich jemals lieben.«

Während der Rückführung in die Zeit vor der Geburt erzählte sie bald so, als würde ihre Mutter sprechen, um dann, im selben Augenblick, aber das eigene Empfinden wiederzugeben. Mutter und Tochter gehen unmittelbar ineinander über: »Sie ist traurig. Es ist meine Mutter. Sie liegt im Bett. Sie liegt auf dem Rücken. Aber das Baby ist so schwer. Sie hat das Gefühl, erdrückt zu werden. Sie denkt: ›Ich bin schwanger. Wie sinnlos. Von einem Mann, den ich nicht liebe. Wir sind beide groß und schwerfällig. Das Baby wird auch so sein. Niemand wird es je lieben – Meine Rippen werden gequetscht. Ich werde erdrückt.‹ Eine Stimme sagt: ›Große, wunderschöne Augen.‹ Aber alles, was ich fühle, ist dieser Druck. Ich kann nicht atmen – Es wird jetzt leichter. Es geht sehr schnell. Ich habe Angst. Es ist der Kreißsaal. Ich bin gerade geboren.«

Dr. Netherton deutet das so:

Der Fötus ist während seiner Entwicklung völlig von den Empfindungen seiner Mutter beherrscht, die ihn trägt. Er hält die Gefühle der Mutter für seine eigenen. Als Anns Mutter glaubte, sie würde von dem Gewicht des wachsenden Babys erdrückt, hatte dieses das Gefühl, es würde selber erdrückt.

Und ein anderer Fall, der beinahe noch deutlicher ist. Auch über ihn berichtet Dr. Netherton:

Chuck, 11 Jahre alt, war die personifizierte Unruhe. Er konnte keine Sekunde ruhig auf einem Fleck sitzen. Die Eltern wussten sich nicht mehr zu helfen und gingen mit ihm zum Psychotherapeuten.

Als Chuck in der Sitzung in die Zeit vor seiner Geburt zurückgeführt wurde, wiederholte er plötzlich immer nur den einen Satz: »Lasst mich bloß in Ruhe.« Und dann geriet er in Panik, begann zu weinen und stammelte: »Meine Mutter sagt es – Ich bin ein ganz kleines Baby. Ich bin noch nicht wirklich ein Baby – Ich sehe nur Grau um mich herum. Ich bin drei Monate da – Mutter weint. Großmutter sagt: ›Du musst etwas tun –‹ Ich glaube, sie haben gerade herausgefunden, dass ich da bin. Alle sind sehr aufgebracht.«

Dann erzählt Chuck, wie die Großmutter versucht, seine Mutter zu einer Abtreibung zu bewegen. Wie die Mutter, seinerzeit noch Schülerin, von ihren Mitschülern ausgelacht wird, »weil ich in ihr bin«. Schließlich sagt das Kind – wohlbemerkt ein elfjähriger Junge! – außer sich vor Aufregung: »Ich bin immer noch in meiner Mutter – Mein Vater ist da. Er kitzelt Mutter. Er hält sie fest und kitzelt sie überall. Sie hasst das. Sie schreit: ›Aufhören! Aufhören!‹ – Ich kann das nicht aushalten – wir, es ist das gleiche, sie und ich, werfen uns herum. Ganz verrückt. Völlig hysterisch und zitternd –«

Während Chuck diese Szene beschreibt, eine Szene, die wirklich so stattgefunden hat, wie die Mutter bestätigt, zieht und zerrt er am Bezug des Sofas. Er hat die Knie bis zum Kinn hochgezogen und schlägt mit den Füßen krampfartig aus.

Über den Augenblick der Geburt sagt Dr. Netherton:

Die Geburt prägt vor allem die spätere Belastbarkeit des einzelnen, stellt sie doch die erste »bewusste« Situation dar, in der wir Belastung erfahren – Wenn die Mutter die Situation mit Disziplin und Liebe zu dem Kind, das zur Welt kommen soll, bewältigt und die Ärzte, Krankenschwestern und der Vater (falls er dabei ist) sich ruhig und zuversichtlich verhalten, wird das Kind aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich positiv eingestellt sein, wenn es eines Tages gilt, mit Belastungen, welcher Art auch immer, fertig zu werden. Wenn dagegen die Entbindung schwierig verläuft und die Mutter das Kind innerlich ablehnt, wird Stress ein lebenslanges Problem für das Kind darstellen.

Wenn das tatsächlich auch nur in etwa stimmen sollte …!

Auf der Suche nach der Wahrheit zum Thema Wiedergeburt ist mit der Erforschung des Lebens im Mutterleib nur ein erster zaghafter Schritt getan. Die eigentlichen, aufregenden Abenteuer stehen uns noch bevor. Die Grenze der Geburt ist überschritten. Wie ist es mit dem Augenblick der Zeugung? Kann die Erinnerung auch über diesen ersten Anfang hinausgehen?

2. Kapitel

Der Fall Bridey Murphy

Die aufregende Geschichte der modernen Reinkarnationsforschung beginnt mit einem Partyspaß. Die Hauptrolle spielen nicht Wissenschaftler, sondern ein cleverer Geschäftsmann und eine einfache, biedere Hausfrau, die eigentlich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben möchte.

Morey Bernstein, vielbeschäftigter Besitzer einer großen Warenhauskette in Pueblo in Colorado, ist zufällig dabei, als ein junger Mann der gelangweilten Gesellschaft sein »Hobby« vorführt: Hypnose. Für Mister Bernstein ist es die erste Begegnung mit der Hypnose, und er ist so stark beeindruckt, dass er nie mehr davon loskommen wird. »Ich muss wissen, was dahintersteckt«, sagt er spontan. In den folgenden Tagen, Wochen, Monaten, Jahren studiert er in jeder freien Minute Bücher und Schriften, die sich mit der Hypnose befassen. Zehn Jahre lang gibt es für ihn kein anderes wichtiges Thema mehr. Bernstein reist kreuz und quer durch Amerika, spricht mit jedem, der etwas von Hypnose versteht – und macht schließlich selbst die ersten praktischen Erfahrungen.