Alte Linde bei der heiligen Klamm,
Ehrfurchtsvoll betast' ich deinen Stamm,
Karl den Großen hast du schon gesehn,
Wenn der Größte kommt, wirst du noch stehn.
Dreißig Ellen mißt dein grauer Saum,
Aller deutschen Lande ält'ster Baum,
Kriege, Hunger schautest, Seuchennot,
Neues Leben wieder, neuen Tod.
Schon seit langer Zeit dein Stamm ist hohl,
Roß und Reiter bargest einst du wohl,
Bis die Kluft dir sacht mit milder Hand
Breiten Reif um deine Stirne wand.
Bild und Buch nicht schildern deine Kron',
Alle Äste hast verloren schon
Bis zum letzten Paar, das mächtig zweigt,
Blätter freudig in die Lüfte steigt.
Alte Linde, die du alles weißt,
Teil uns gütig mit von deinem Geist,
Send ins Werden deinen Seherblick,
Künde Deutschlands und der Welt Geschick!
…
Das ist der Anfang eines prophetischen Gedichtes, das insgesamt 23 Vierzeiler umfaßt. Es wird nachweislich seit rund 130 Jahren in der ursprünglichen Handschrift in einer Passauer Familie von Generation zu Generation weitergereicht. Die zitierte Linde steht am Friedhof der Stadt Staffelstein am Main. (Aus Wolfgang Johannes Bekh, Das dritte Weltgeschehen, W. Ludwig Verlag, Pfaffenhofen.)
Einleitung
Zwei Bäume – das Schicksal der Menschheit
1
Die Früchte der Bäume
Der Feigenbaum
Die Dattelpalme
Der Olivenbaum
Der Mandelbaum
Der Apfelbaum
Der Nußbaum
Der Quittenbaum
Der Holunderbaum
Der Melonenbaum
Der Zitronenbaum
Der Rizinus-Wunderbaum
2
Die Blüten der Bäume
Die Linde
Der Weißdorn
Der Roßkastanienbaum
Die Eberesche
3
Die Blätter der Bäume
Fichten, Kiefern, Tannen
Der Eukalyptusbaum
Der Ginkgobaum
Die Esche
Die Eibe
Der Lorbeerbaum
Der Sennabaum
4
Die Säfte der Bäume
Die Birke
Der Lebensbaum
Der Kirschbaum
5
Die Rinde der Bäume
Der Weidenbaum
Die Eiche
Der Chinarindenbaum
Der Faulbaum
Die Lärche
6
Die Wurzeln der Bäume
Der Krallendorn
Das Panamaholz
Das Potenzholz
Yohimbe
Register
»Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse…« (Genesis 2/7)
Das Paradies – der Ort auf Erden, an dem es keine Not, keine Entbehrung, keine Mühsal, keinen Tod gegeben hat, die ursprüngliche Heimat des Menschen – war ein wunderschöner Baumgarten. In seiner Mitte stand nicht nur ein ganz besonderer Baum, der mit dem strikten Verbot belegt war: »Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen. Sobald du davon ißt, wirst du sterben.« (Genesis 2/16)
Neben diesem Baum gab es noch einen zweiten herausragenden Baum: den Baum des Lebens. Für seine Früchte existierte kein Verbot. Doch die ersten Menschen haben sich offensichtlich nicht für das interessiert, was ihnen Unsterblichkeit vermitteln und das ungetrübte Glück hätte erhalten können – sondern für die Erkenntnis, für das Bewußtsein, wie wir heute wohl sagen würden.
Die beiden Bäume in der Mitte des Paradieses sind die Schicksalsbäume der Menschheit geworden.
Verführt von der Schlange – aber wohl mehr noch von der lockenden Köstlichkeit der Früchte, von der Ahnung, daß es noch mehr geben muß, als Unbekümmertheit – übertraten die Stammeltern das Verbot – vielleicht müßte man auch hier eher formulieren: die Warnung. Eva »nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz…« (Genesis 3/6)
Das heißt doch: Die ›Unschuld‹ des rein animalischen Daseins war mit dem Genuß der verbotenen Früchte dahin. Im Menschen ist das Bewußtsein aufgeblitzt – und damit wurde er belastet mit all dem, was ihn seither unglücklich, leidend, krank macht: mit der Angst vor der Zukunft; mit dem Wissen um die eigene Unzulänglichkeit, der Allgegenwart und ständigen Verfügbarkeit der Sexualität (»Sie erkannten, daß sie nackt waren…«); mit der Freiheit, fortan nicht mehr nur natürlichen Regungen und Instinkten zu folgen, sondern ›widernatürlich‹ und sogar gegen die eigene Einsicht und Überzeugung handeln zu können – was Scham und das Gefühl der Schande, Bedauern und verzehrende Reue nach sich ziehen mußte; mit dem Erleben mächtiger Gefühlsregungen wie Haß und Neid, Lüge und Mißtrauen…
Damit aber war alles verloren, was das Paradies ausgemacht hatte: der innere Friede, die Geborgenheit in der natürlichen Schöpfung, das Freisein von Leid und Krankheit – und auch der Zugang zum Baum des Lebens, der nur im Paradies zu finden ist und nur dem in Glück und Harmonie lebenden Geschöpf seinen Segen, nämlich Gesundheit und ewiges Lebens, schenkt.
Der Baum der Erkenntnis hat das Gottesgeschöpf zum Menschen gemacht – mit der Fähigkeit, über sich und die Welt nachzudenken, zum Techniker, zum Wissenschaftler, zum gottähnlichen Wesen zu werden, wie es die Schlange versprochen hatte. Der riesige Verlust brachte einen noch größeren Gewinn: die Chance nämlich, ein wesentlich größeres Glück zu finden, ein Glück, das bewußt erlebt werden kann. Doch der Weg dahin führt durch die Zerrissenheit, durch Not und Leid.
Die Bibel schildert das so: Weil Adam und Eva gegen das Verbot im Paradies verstießen, wird die Natur vom Schöpfer verflucht. Zur Frau sagt er: »Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach dem Mann, er aber wird über dich herrschen.« Zum Manne sagt er: »So ist verflucht deinetwegen der Ackerboden. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln läßt er dir wachsen, und die Pflanzen des Feldes mußt du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, von dem du genommen bist. Denn Staub bist du, zum Staub mußt du zurück.«
Der Zugang zum Baum des Lebens wird damit vorerst blockiert: Dann sprach Gott der Herr: »Seht, der Mensch ist geworden wie wir. Er erkennt Gut und Böse. Daß er jetzt nur nicht auch noch die Hand ausstreckt und auch vom Baum des Lebens nimmt, davon ißt und ewig lebt!« Damit dies nicht geschehen kann, vertreibt der Schöpfer die Menschen aus dem Paradies und läßt den Zugang zum Baum des Lebens mit Schwert und Feuer bewachen.
Ist der Weg zurück damit für immer verbaut?
Nein. In den letzten Zeilen der Heiligen Schrift, in der Apokalypse des Johannes, taucht der Baum des Lebens wieder auf. Er steht in der heiligen Stadt Jerusalem, wo nach dem Jüngsten Tag die Seligen leben, zu beiden Seiten des kristallklaren Stroms mit dem Wasser des Lebens, der vom Thron Gottes und vom Thron des Lammes ausgeht: »Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, stehen Bäume des Lebens.
Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal. Und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Denn: der alte Fluch, bei der Vertreibung aus dem Paradies ausgesprochen, ist aufgehoben: »Es wird nichts mehr geben, was der Fluch Gottes trifft… Selig, wer sein Gewand wäscht. Er hat Anteil am Baum des Lebens« (Apokalypse 22/3; 22/14)
Das heißt: Wir Menschen sind unterwegs zum Baum des Lebens. Er ist uns nicht verloren. Wir werden ihn finden, wenn wir unsere mit dem Genuß der Früchte vom Baum der Erkenntnis erworbene Zerrissenheit überwunden haben.
Überaus eindrucksvoll skizziert die Heilige Schrift knapp aber unübertrefflich das Schicksal der Menschheit: Adam und Eva haben sich nicht für das ungetrübte Wohlergehen entschieden, sondern für das Wissen und Denken, für die Gottähnlichkeit, für das Menschsein. Sie sind nicht schuldig geworden im herkömmlichen Sinn, sondern haben die Tür aufgestoßen, einen ganz wichtigen Schritt der Evolution vollzogen – einen Schritt, der gefährlich war, viel Not, Entbehrung, Gefahren, Fehler ermöglichte, ohne den Menschsein aber nicht möglich gewesen wäre. Wir müssen mit Zerrissenheit und Anfälligkeiten leben, mit der Chance, alles zu erreichen, und dem Risiko, alles zu zerstören. Bis zu jenem Tag, an dem wir die Zerrissenheit durch einen neuen gewaltigen Schritt überwunden haben, weil wir hineingewachsen sind in eine größere Menschlichkeit, die in ihren Naturanlagen nichts ›Tierisches‹, nichts Verwerfliches, nichts Sündhaftes mehr sieht, das es zu überwinden gälte. Erst dann, wenn wir die beiden Zentralbäume des Paradieses gekostet haben, wird die Unrast unseres Herzens gestillt sein.
Anders gesagt: Krankheit, Leid, Not und Tod sind nicht das Ergebnis einer verwerflichen Schuld, die wir abzubüßen hätten, sondern die Folge des Heraustretens aus der reinen Animalität, des Wachsens in eine höhere Daseinsform, des Ringens um unsere Selbstverständlichkeit. Wir werden gesund, glücklich, ja auch unsterblich geworden sein, wenn wir die vollkommene Harmonie mit dem Mitmenschen und der gesamten Schöpfung zurückgewonnen haben.
Im Augenblick, so scheint es, stehen wir an einer bedeutsamen Schwelle dieses Weges. Und wieder spielen die Bäume eine ganz entscheidende Rolle: In ihrem Dahinsiechen und Sterben zeigen sie uns unsere eigene Not, machen sie uns deutlich, daß wir vom rechten Weg abgekommen und im Begriff sind, die Natur insgesamt zu vernichten und damit unser Ziel zu verfehlen. Bäume sind nicht irgend eine unter vielen Arten der Pflanzenwelt. Sie haben die Existenzgrundlagen für uns Menschen geschaffen. Sie waren in ersten Formen vermutlich schon vor rund 400 Millionen Jahren da – lange vor den Sauriern. Was sind schon, gemessen an diesen unvorstellbar langen Zeiträumen, die letzten vier oder fünf Millionen Jahre, in denen es Geschöpfe gibt, die man zunächst als menschenähnliche Wesen, dann als Menschen bezeichnen kann? Wie winzig, wie vergänglich ist die Menschheit, verglichen mit dem Baum?
Viele Baumarten sind untergegangen. Wir plündern ihre Fossilien: Kohle, Erdöl – und haben es in nur wenigen Jahrzehnten schon beinahe geschafft, diesen kostbaren Reichtum unserer Erde auszuplündern, obwohl wir sehr genau wissen, daß er nicht wieder neu zusammengetragen werden kann. Nie wieder. Wir verbrennen das Wertvollste, was unsere Erde besitzt, als wäre es Gerümpel, etwas, das sonst zu nichts nütze ist. Wer wird unseren Enkeln erklären, was Kohle und Erdöl gewesen sind? Wer könnte ihnen einsichtig machen, daß wir ihnen nichts davon übrig gelassen haben?
Wir Menschen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend können Bäumen begegnen, lebendigen Bäumen, die zur Zeit Christi schon zweitausend Jahre alt waren. Sie blühten schon und trugen Früchte, als die Pyramiden in Ägypten gebaut wurden. Sie sahen mehr als einhundertfünfzig Menschengenerationen kommen und gehen. Sie haben alles verkraftet: Stürme, Katastrophen, Kriege, Seuchen, Winterfrost und glühende Hitze.
Doch jetzt scheint ihr Ende gekommen – nicht weil sie zu alt wären, um noch weiterzuleben, sondern weil sie die Giftstoffe, die wir in die Luft blasen und in das Wasser schütten, nicht mehr aushalten. Die viertausendsechshundert Jahre alten Borstenkiefern (Pinus aristata), die in der kalifornischen Sierra Nevada in dreitausend Metern Höhe wachsen, scheitern an unserem moderen Lebensstil. Werden unsere Enkel diesem Stückchen Ewigkeit noch begegnen, den Hauch der Beständigkeit verspüren können?
Unsere Vorfahren hatten eine ganz besondere Beziehung zu Bäumen. Die Germanen und Kelten verehrten sie, wie alle Urvölker, als etwas Heiliges, als Wohnstätte oder Sitz der Götter. Sie versammelten sich unter den Zweigen der mächtigen, uralten Baumriesen und wußten sich dort mit ihren Eltern, Großeltern, Urgroßeltern verbunden. Denn wie sie selbst hatten jene sich schon an diesem Ort eingefunden, dem Rauschen der Zweige gelauscht und darin die Stimmen der Verstorbenen vernommen. Waren ihre Seelen noch da? Konnte nicht zumindest eine Spur von ihnen zurückgeblieben sein an diesem Ort der Zeitlosigkeit?
Unsere Großeltern noch pflanzten, wenn sie ein Stückchen Boden ihr Eigen nennen konnten, bei der Geburt ihrer Kinder ein Bäumchen. Meistens war es eine Linde oder eine Tanne. Und es gibt zahllose verbürgte Geschichten, die uns versichern, daß Kind und Baum im selben Lebensrhythmus heranwuchsen und dasselbe Schicksal hatten. Ging es dem Baum gut, blühte er, bekam er Früchte, dann strotzte auch das Kind vor Gesundheit. Begann der Baum zu leiden, wußte die Mutter, daß ihr Kind in der Ferne von Sorgen, Leid, Schwierigkeiten heimgesucht wurde. Und starb das Kind, stand der Baum alsbald dürr und tot da.
In Lindegard, so wird glaubhaft berichtet, stand einst eine mächtige alte Linde mit drei in der Wurzel zusammengewachsenen Stämmen. Jeder Stamm war der Familienbaum eines Geschlechts. Die Familien Tiliander, Lindelius und Linne waren miteinander verwandt wie die Stämme des Baumes. Als die erste dieser Familien ausstarb, verdorrte der erste Stamm. Nach dem Tod des letzten Sprosses der Familie Linné, der Tochter des berühmten Naturforschers, starb der zweite Stamm ab. Der dritte blieb grün und saftig – genau bis zu dem Zeitpunkt Jahrzehnte später, in dem die Familie Tiliander ausstarb.
Alles nur Zufall?
Wir modernen Menschen haben uns so weit vom Baum entfernt, daß wir viel Mühe haben, solche Verbundenheit mit einem Stück Natur noch zu begreifen. Es kommt uns absonderlich, unsinnig, ja als Teil eines unvernünftigen Aberglaubens vor. Wie sollte ein Baumleben synchron mit einem Menschenleben heranwachsen und welken? Hieß das nicht, die Natur vergöttern, sie auf eine Ebene zu heben, die ihr nicht zukommt?
Genauso müssen die ersten Missionare gedacht haben, die sich darum mühten, den Germanen und Kelten den christlichen Glauben zu bringen. Wie Bonifatius (675-754) fällten sie die Donareichen, um den Heidenvölkern zu zeigen, daß nichts Heiliges an und in ihnen war. Durch Jahrtausende blieb die christliche Kirche der Naturverehrung gegenüber streng ablehnend – aus Furcht, die Menschen könnten zu einer Vergötterung zurückkehren.
Der moderne Mensch in einer zubetonierten, asphaltierten Welt hat sich selbstherrlich, überheblich über die Natur – nicht zuletzt über die Bäume – erhoben, in der Natur nur noch ein Stück Eigentum gesehen, soweit es sich nutzen ließ. Haben die Holzfäller vor hundert Jahren noch vor einem Baum, den sie fällen mußten, den Hut gezogen und ihn um Verzeihung gebeten, so rasen heute die Motorsägen durch die Stämme, als wären sie etwas Totes.
Wir Europäer nördlich der Alpen haben wohl schon immer den Baum eher gefürchtet als geliebt. Wir lebten früher zwischen einer Überfülle an Bäumen, zwischen dunklen, unheimlichen Wäldern, die in ihrer Größe und Unwegsamkeit etwas Bedrohliches an sich hatten. Wer leben und den Boden beackern wollte, mußte zuerst ein Stück des Waldes roden, in ihm eine Lichtung schaffen und ständig dafür sorgen, daß der Wildwuchs des Waldes den so geschaffenen Lebensraum nicht wieder überwucherte.
Gewiß, dieser Wald bot Brennholz und damit Wärme in klirrenden Wintertagen. Seine Undurch-dringlichkeit war auch ein natürlicher Schutzwall gegen feindliche Überfälle. Und in ihm konnte man sich in kriegerischen Zeiten verstecken. Doch als Lebensgrundlage, als Voraussetzung für die eigene Existenz konnten die Vorfahren den Baum nicht begreifen. Denn Bäume, nämlich Tannen, Fichten, Eichen, Eschen, Linden, trugen keine eßbaren Früchte. Auf ihnen fand man weder das Brot noch ursprünglich die Medizin. Obstbäume, wie wir sie heute kennen, dürfte es vor tausendfünfhundert, zweitausend Jahren in unserer Heimat kaum gegeben haben. Auch keine Nußbäume, allenfalls Haselnußsträucher und Holunderbüsche.
Völlig anders die Situation südlich der Alpen, im Mittelmeerraum und vor allem im Orient. Dort galt seit jeher: Ohne Baum kein Leben. Dort konnte nur etwas gedeihen, wo zuvor schon ein Baum stand. Denn dieser Baum zeigte an, daß es hier, zumindest in einiger Tiefe, Wasser gab. Der Baum hielt es fest. Inmitten von Öden und Wüsten bildeten Bäume die Oasen des Lebens. Und diese Bäume reichten den Menschen ihre Nahrung: Datteln, Feigen, Nüsse, Oliven. Nur im Schatten von Bäumen konnten Pflanzen gedeihen, die Tierzucht und damit Fleischnahrung ermöglichen.
Aus solchen Gründen hatten die Menschen im Süden und in heißen Zonen seit jeher ein ganz anderes Verhältnis zum Baum als wir Menschen in Mittel- und Nordeuropa. Es kann keineswegs verwundern, daß schon der große Gesetzgeber der Juden, Moses, seinen Landsleuten verbot, während der Belagerung feindlicher Städte die Bäume zu vernichten. Alles durften die Soldaten zerstören, verbrennen, dem Erdboden gleichmachen – nur an die Bäume durften sie nicht Hand anlegen.
Im Umfeld der Zehn Gebote gibt es auch sehr strikte Anweisungen über die Anpflanzung und Pflege der Bäume. Drei Jahre lang, so heißt es, darf keine Frucht geerntet werden. Die Früchte des vierten Jahres sind Gott geweiht und müssen ihm geopfert werden, als Dankopfer. Im fünften Jahr erst ist die Baumernte für den eigenen Gebrauch erlaubt.
Bei solchen Geboten ging es nicht nur um den Schutz der Natur, nicht nur um die Voraussetzungen für das eigene Überleben, sondern um die Harmonie mit der Natur und der gesamten Schöpfung. Die Alten wußten noch, daß im Kosmos einer für den anderen da, einer vom anderen abhängig ist.
So ist der Baum immer auch als Sinnbild der Zuversicht und des rechtschaffenen Lebens verstanden worden: Festgefügt in fruchtbarer Erde ist er fähig, die Schätze des Bodens in sich aufzunehmen und zu veredeln. Doch bleibt er keineswegs dem Boden verhaftet. Er kriecht nicht auf der Erde entlang, sondern wächst empor, dem Himmel entgegen, unbeugsam, stark, fruchtbar. Und wenn die Krone dem Blitz oder dem Beil zum Opfer fällt, sprießen alsbald neue grüne Zweige aus dem Stumpf, um einen neuen Baum zu bilden.
Wer sich nicht an Falschheit und Verlogenheit verliert, wer unbeirrt und frohen Herzens seinen Weg geht, der, so beginnen die Psalmen des Alten Testamentes, »grünt wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken«.
Und Job, geschlagen von Unheil und Krankheit, klagt: »Für den Baum gibt es immer noch eine Hoffnung. Ist er gefällt, so treibt er wieder. Sein Sprößling bleibt nicht aus. Wenn in der Erde seine Wurzel altert, und sein Stumpf im Boden stirbt, vom Dunst des Wassers sproßt er wieder, und wie ein Setzling treibt er Zweige. Doch stirbt ein Mann, so bleibt er kraftlos, verscheidet ein Mensch, wo ist er dann? Die Wasser schwinden aus dem Meer, der Strom vertrocknet und versiegt. So legt der Mensch sich hin und steht nie mehr auf...« (Job 14/7)
In früheren Zeiten hat man kranke Menschen in diesem Geist hinausgetragen, an Quellen und in den Schatten von Bäumen gebettet, weil man überzeugt davon war, daß in der Natur neue Kraft, natürliche Energien auf ihn übergehen.
Die Heiler von Naturvölkern klettern noch heute auf Bäume, um in ihren Zweigen Zugang zur Quelle des Lebens zu finden.
In unserer Heimat hat man in manchen Gegenden die eigenen Leiden einem Baum anvertraut. Man schrieb seine Not auf einen Zettel, bohrte ein kleines Loch in den Stamm des Baumes und steckte den Zettel hinein.
Aberglaube – oder ein besonderes Wissen um eine ganz enge Verbundenheit mit diesem außergewöhnlichen Geschöpf Baum?
In dem kleinen Dorf in der Wüste Rajasthan in Indien starben einst 300 Menschen – für ihre Bäume. Ihre Heimat war nämlich mit wunderschönen, alten Khejadi-Bäumen bewachsen. Sie waren die Garantie des Lebens zwischen Sanddünen und Felsenöden. Jeder Dorfbewohner fühlte sich seinem Baum verbunden und für ihn verantwortlich. Er war sein zweites Ich.
Eines Tages schickte der Maharadscha von Jodphur seine Holzfäller in dieses Gebiet. Für den Bau eines neuen Palastes benötigte er viel Holz. Doch die Leute von Rajasthan klammerten sich an ihre Bäume, bereit, eher mit ihnen zu sterben als sie fällen zu lassen. Allen voran Amrita Devi. Die Holzfäller wollten sie fortreißen. Doch Amrita kehrte zu ihrem Baum zurück – und nahm es hin, daß man mit dem Stamm ihres Baumes ihre Beine zerhackte. So wie sie starben ihre Tochter und die übrigen Dorfbewohner.
An dieser Tragödie ist eine Bewegung zur Rettung des Baumes hervorgegangen, die Chipko-Bewegung: Umarmt die Bäume.
Dieses kleine Buch will im Augenblick des Waldsterbens nicht nur aufzeigen, wie notwendig wir die Bäume brauchen und was wir ihnen verdanken, sondern darüber hinaus uns zum Baum und seinem Segen, zu seiner unermeßlichen Heilkraft zurückführen.
Der ›Baum der Erkenntnis von Gut und Böse‹, von dessen verbotenen Früchten Adam und Eva gegessen haben, so sagen viele, war kein Apfelbaum. Der Mann ist nicht mit einem Apfel von der Frau verführt worden, sondern mit einer Feige. Denn, so heißt es in der Schilderung des ›Sündenfalls‹: »Sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.« (Genesis 3/7)
Es gibt viele Baumblätter, die größer sind als das Laub eines Feigenbaumes, und mehr als genug, die sich weit besser flechten lassen als die zerfranzten, haarigen Feigenblätter. Doch offensichtlich, so wird die Bibelstelle gerne interpretiert, griffen die Stammeltern in ihrer Not nach dem Nächstliegenden, nach dem Laub des Baumes, von dessen Frucht sie gerade gekostet hatten. Das Feigenblatt, mit dem man schamhaft verhüllt, was einem Schande bereiten könnte, ist zum Symbol der Verlogenheit, des verzweifelten Versuchs, etwas zu vertuschen, geworden.
Die Feige selbst gilt in vielen Kulturkreisen seit altersher und bis auf den heutigen Tag als Sexualsymbol. Das hängt einmal mit der Fruchtbarkeit des Baumes, vor allem aber mit der Form der reifen Früchte zusammen, die an die Gebärmutter erinnern – und die deshalb, ähnlich wie die , in vielen Kunstwerken