MATHIAS ÉNARD

Strasse der Diebe

Roman

Aus dem Französischen von
Holger Fock und Sabine Müller

Hanser Berlin

Die französische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Rue des Voleurs bei Éditions Actes Sud in Arles.

ISBN 978-3-446-24409-2

© Actes Sud 2012

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© Carl Hanser Verlag München 2013

Satz: Greiner & Reichel, Köln

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»Doch wenn man jung ist, muss man etwas sehen,
Erfahrungen sammeln, Ideen, seinen geistigen Horizont erweitern.« »Ausgerechnet hier!« unterbrach ich ihn.
»Man kann nie wissen! Hier begegnete ich Herrn Kurtz.«

Joseph Conrad, Herz der Finsternis

Inhalt

I
Meerengen

II
Barzach

III
Straße der Diebe

I MEERENGEN

Die Menschen sind Hunde, in ihrem Elend reiben sie sich aneinander, wälzen sich im Schmutz, ohne wieder herauskommen zu können, sie lecken sich den ganzen Tag das Fell und ihr Geschlechtsteil, fläzen sich im Staub, zu allem bereit für einen Brocken Fleisch oder einen vergammelten Knochen, den man ihnen vielleicht hinwirft, und ich bin, ganz wie sie, ein menschliches Wesen, also ein verdorbenes Miststück, Sklave meiner Instinkte, ein Hund, ein Hund, der beißt, wenn er sich fürchtet, und der gestreichelt werden will. Ich weiß Bescheid über meine Kindheit, mein Welpenleben in Tanger; mein Herumstreunen als junger Köter, mein Ächzen als geprügelter Hund; ich verstehe meine Erregung bei den Weibchen, die ich für Liebe hielt, und ich verstehe vor allem die Herrenlosigkeit, denn daran liegt es, dass wir alle verloren und ziellos im Dunkeln tappen auf der Suche nach einem Herrn und uns dabei gegenseitig beschnuppern. In Tanger legte ich zweimal am Tag fünf Kilometer zu Fuß zurück, um das Meer zu sehen, den Hafen und die Meerenge, heute laufe ich noch immer viel, ich lese auch, und immer mehr, das ist eine angenehme Art, der Langeweile und dem Tod zu entgehen, ja durch Zerstreuung selbst dem Denken etwas vorzugaukeln, indem man es von der Wahrheit ablenkt, der einzigen, die so aussieht: Wir sind Tiere in Gefangenschaft, die nur für ihre Befriedigung und in der Dunkelheit leben. Ich bin nie mehr nach Tanger zurückgekehrt, obwohl ich Leute getroffen habe, die davon träumten, als Touristen dorthin zu gehen, eine schöne Villa mit Blick aufs Meer zu mieten, Tee im Café Hafa zu trinken, Haschisch zu rauchen und Einheimische zu vögeln, männliche Einheimische meist, aber nicht ausschließlich, es gibt welche, da können Sie sicher sein, die darauf hoffen, es mit Prinzessinnen aus Tausendundeiner Nacht zu treiben, wie viele haben mich gefragt, ob ich nicht einen kleinen Erholungsaufenthalt in Tanger für sie arrangieren könnte, mit Haschisch und einheimischen Mädchen, und hätten sie gewusst, dass der einzige Hintern, den ich vor meinem achtzehnten Lebensjahr zu Gesicht bekommen habe, der meiner Cousine Meryem war, hätten sie sich auf dem Boden gekrümmt oder hätten mir einfach nicht geglaubt, so sehr verbinden sie Tanger mit Sinnlichkeit, Begehren und einer Freizügigkeit, die die Stadt für uns nie gehabt hat, die man aber Touristen gegen klingende Münze bietet, die in der Geldkatze des Elends verschwindet. In unser Viertel hat sich keiner von den Touristen verlaufen. Das Haus, in dem ich heranwuchs, war weder reich noch arm, ebenso wenig wie meine Familie, mein alter Herr war ein frommer Mensch, das, was man einen rechtschaffenen Mann nennt, ein Ehrenmann, der seine Frau und seine Kinder nicht schlecht behandelte – abgesehen von ein paar Fußtritten hin und wieder auf den Allerwertesten, was noch nie jemandem geschadet hat. Ein Mann, der ein einziges Buch besaß, aber ein gutes: den Koran. Mehr brauchte er nicht, um zu wissen, was er in diesem Leben tun sollte und was ihn im Jenseits erwartete, fünfmal am Tag beten, fasten, Almosen geben, sein einziger Traum war eine Pilgerreise nach Mekka, damit man ihn mit Haddsch anredete, Haddsch Mohsen, das war sein einziger Ehrgeiz, es interessierte ihn nicht, seinen Lebensmittelladen durch harte Arbeit in einen Supermarkt zu verwandeln, es interessierte ihn nicht, Millionen von Dirham zu verdienen, er hatte das BUCH das Gebet die Pilgerfahrt und Punkt; meine Mutter verehrte ihn und verband quasi den Gehorsam einer Tochter mit der Dienstbarkeit einer Hausangestellten: So bin ich dann aufgewachsen, mit den Suren, der Moral, den Geschichten über den Propheten und das glorreiche Zeitalter der Araber, ich habe eine ganz und gar mittelmäßige Schule besucht, wo ich ein wenig Französisch und Spanisch lernte, und mit meinem Kumpel Bassam ging ich jeden Tag zum Hafen hinunter, in den unteren Teil der Medina und zum Grand Socco nach den Touristinnen schielen, und sobald uns das erste Haar an den Eiern spross, wurde das Begaffen von Ausländerinnen zu meiner Hauptbeschäftigung mit Bassam, besonders im Sommer, wenn sie Shorts und kurze Röcke trugen. Im Sommer gab es jedenfalls nichts groß zu tun, außer den Mädchen hinterherzulaufen, an den Strand zu gehen und Joints zu rauchen, wenn uns jemand ein Piece zum Kiffen gab. Ich las dutzendweise alte französische Krimis, die ich für ein paar Münzen aus der Ramschkiste eines Trödlers kaufte, Krimis, weil darin häufig Ärsche, Blondinen, schnelle Schlitten, Whisky und Knete vorkamen, alles Dinge, die uns so sehr fehlten, wie wir von ihnen träumten, da wir eingezwängt waren zwischen den Gebeten, dem Koran und Gott, der ein wenig wie unser zweiter Vater war, bis auf die Arschtritte. Wir setzten uns oben auf die Felsklippen über der Straße von Gibraltar, umgeben von phönizischen Gräbern, die einfach nur Löcher im Fels waren, vollgefüllt nicht mit antiken Gebeinen, sondern mit Chips-Tüten und Cola-Dosen, jeder mit Walkman und Ohrhörer, und schauten stundenlang dem Hin und Her der Fähren zwischen Tanger und Tarifa zu. Es war stinklangweilig. Bassam träumte davon, wegzugehen, sein Glück auf der anderen Seite zu versuchen, wie er sagte; sein Vater war Kellner in einem Restaurant für Geldsäcke an der Uferpromenade. Ich hatte nicht so viel mit der anderen Seite am Hut, mit Spanien oder Europa, mir gefiel, was ich in den Krimis las, das war alles. Mit meinen Romanen eignete ich mir eine Sprache an, lernte Länder kennen; ich war stolz darauf, sie zu kennen, sie für mich allein zu haben, ich hatte keinen Bock darauf, sie mir von einem Tölpel wie Bassam mit seinen Ambitionen vermiesen zu lassen. Was mir damals vor allen Dingen verlockend schien, war meine Cousine Meryem, die Tochter meines Onkels Ahmed; sie lebte allein mit ihrer Mutter, auf demselben Treppenflur wie wir, ihr Vater und ihre Brüder arbeiteten in Almería in der Landwirtschaft. Sie war nicht besonders schön, aber sie hatte große Brüste und einen prallen Hintern; zu Hause trug sie häufig hautenge Jeans oder halb durchsichtige Hauskleider, oh mein Gott, sie erregte mich furchtbar, ich fragte mich, ob sie es absichtlich tat, und in meinen erotischen Schwärmereien vor dem Einschlafen stellte ich mir vor, wie ich sie auszog, sie streichelte, mein Gesicht zwischen ihre riesigen Brüste legte, doch ich wäre nicht imstande gewesen, den ersten Schritt zu tun. Sie war meine Cousine, ich hätte sie heiraten können, aber sie zu befummeln war nicht drin. Ich begnügte mich damit, zu träumen und an den Nachmittagen, wenn wir dem Kielwasser der Schiffe hinterherschauten, mit Bassam darüber zu sprechen. Heute hat sie mir zugelächelt, heute trug sie dies und das, ich glaube, sie hatte einen roten Büstenhalter an und so weiter. Bassam schüttelte nur den Kopf, sie will dich, sagte er, so viel ist sicher, bagger sie an, sonst würde sie diese Nummer nicht abziehen, welche Nummer, fragte ich zurück, ist doch normal, dass sie einen Büstenhalter trägt, oder? Aber einen roten, Junge, weißt du, was das heißt? Rot soll scharf machen, und so weiter, stundenlang. Bassam war ein Einfaltspinsel, er hatte einen runden Kopf und kleine Augen, jeden Tag ging er mit seinem Alten in die Moschee. Er verbrachte seine Zeit damit, unglaubliche Pläne zu schmieden, um heimlich zu emigrieren, verkleidet als Zollbeamter, als Bulle; er träumte davon, einem Touristen die Papiere zu klauen und gut gekleidet, mit einem hübschen Koffer, in aller Ruhe das Schiff zu nehmen, als ob nichts wäre – ich fragte ihn, was willst du denn ohne Kohle in Spanien machen? Ich würde ein wenig jobben, bis ich mir etwas zusammengespart hätte, dann würde ich nach Frankreich gehen, antwortete er, nach Frankreich und dann nach Deutschland und von dort nach Amerika. Ich weiß nicht, warum er dachte, es sei leichter, von Deutschland aus nach Amerika zu gelangen. In Deutschland ist es sehr kalt, sagte ich. Und außerdem haben sie dort für Araber nichts übrig. Das stimmt nicht, sagte Bassam, sie mögen die Marokkaner, mein Cousin ist Schlosser in Düsseldorf, er ist superglücklich. Es genügt, Deutsch zu lernen, und schon respektieren sie dich anscheinend, so merkwürdig es ist. Und von ihnen bekommt man seine Papiere leichter als von den Franzosen.

Wir tauschten uns über unsere Luftschlösser aus, die Brüste von Meryem gegen die Emigration; so sannen wir stundenlang nach, immer mit Blick auf die Meerenge, dann gingen wir zu Fuß nach Hause, er zum Abendgebet, ich in der Hoffnung, einmal mehr einen Blick auf meine Cousine zu erhaschen. Wir waren siebzehn, aber in unseren Köpfen waren wir eher wie Zwölfjährige. Wir waren nicht besonders schlau.

Ein paar Monate später erhielt ich meine erste Tracht Prügel, einen Schwall Ohrfeigen, wie ich sie noch nie erhalten hatte, danach war ich halb betäubt und in Tränen aufgelöst, vor Schmerz und wegen der Demütigung, auch mein Vater weinte, er aus Scham, und betete die ganze Litanei der Beschwörungsformeln herunter, Gott behüte uns, Gott schütze uns vor dem Unheil, Es gibt keinen Gott außer Gott und so weiter, dabei würzte er jede Formel mit Backpfeifen und Gürtelhieben, während meine Mutter in einer Ecke des Zimmers jammerte, auch sie weinte und sah mich an, als wäre ich der Teufel in Person, und als mein Vater erschöpft von mir abließ, nicht mehr in der Lage war, mich weiter zu schlagen, trat eine große Stille ein, eine gewaltige Stille, und alle beide starrten mich unverwandt an. Ich war ein Fremder, ich spürte, dass diese Blicke mich vertreiben sollten, ich war gedemütigt und zu Tode erschrocken, die Augen meines Vaters waren voller Hass, ich rannte davon. Ich schlug die Tür hinter mir zu, auf dem Treppenflur hörte ich durch die Tür Meryem weinen und schreien, Schläge knallten, man hörte Beschimpfungen, Hündin, Schlampe, ich rannte die Treppen hinunter, als ich schließlich draußen war, merkte ich, dass ich aus der Nase blutete, dass ich im Hemd dastand, gerade mal zehn Dirham in der Tasche hatte und nirgendwohin konnte. Zum Glück hatte der Sommer gerade begonnen, der Abend war mild, die Luft schmeckte salzig. Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an den Stamm eines Eukalyptusbaums, ich nahm meinen Kopf in beide Hände und flennte wie ein Kind, bis die Nacht anbrach und zum Gebet gerufen wurde. Ich stand auf, ich hatte Angst; ich wusste, dass ich nicht zurück nach Hause gehen würde, ich würde nie mehr nach Hause gehen, es war unmöglich. Was sollte ich tun? Ich ging zur Moschee in unserem Stadtviertel, um vielleicht Bassam am Ausgang abzufangen. Er sah mich, riss die Augen auf, ich machte ihm ein Zeichen, seinen alten Herrn stehenzulassen und mit mir zu kommen. Mensch, weißt du, wie du aussiehst? Was ist passiert? Mein Alter hat mich nackt mit Meryem erwischt, sagte ich, und allein bei der Erinnerung an diesen Augenblick biss ich die Zähne zusammen, füllten sich meine Augen mit Tränen der Wut. Die Scham, die schreckliche Schande, dass man uns nackt entdeckt hatte, dass unsere Körper den Blicken preisgegeben waren, diese verzehrende Scham lähmt mich sogar heute noch – Bassam zischte, Scheiße, das hätte dir echt nicht passieren dürfen, du sagst es, antwortete ich, ohne mich in Einzelheiten zu verlieren. Und was willst du jetzt machen? Keine Ahnung. Aber nach Hause kann ich nicht. Wo willst du denn schlafen, fragte Bassam. Wenn ich das wüsste. Hast du Geld? Zwanzig Dirham und ein Pfund, mehr nicht. Er kramte in seinen Taschen und steckte mir ein paar Münzen zu. Ich muss gehen. Sehen wir uns morgen? Wie immer? In Ordnung, sagte ich, und er ging. Ein wenig verloren streifte ich durch die Stadt. Ich ging wieder die Avenue Pasteur hinauf, dann durch die kleinen abschüssigen Gassen hinunter zum Meer; in den Animierbars brannten rote Lichter, vor den Schaufensterfronten saßen dunkle Typen. Auf der Uferstraße gingen in aller Ruhe Pärchen Arm in Arm spazieren, und dabei musste ich an Meryem denken. Ich kehrte zum Hafen zurück und stieg wieder die Stadt hinauf bis zu den Gräbern: Ich setzte mich so, dass ich die Meerenge im Blick hatte, in Spanien brannten helle Lichter; ich stellte mir vor, wie die Leute an den Stränden tanzten, malte mir die Freiheit aus, die Frauen, die Autos; was würde ich noch tun können, ohne Dach über dem Kopf, ohne Geld? Den Hut hinhalten? Arbeiten? Ich musste nach Hause gehen. Diese Aussicht war von vornherein vernichtend. Unmöglich. Ich legte mich hin, betrachtete die Sterne, lange Zeit. Ich döste, bis die Kühle des heraufziehenden Morgens mich zwang, aufzustehen und herumzulaufen, um mich aufzuwärmen. Alles schmerzte von den Schlägen, aber auch die Glieder von der Nacht auf dem Fels. Hätte ich Ahnung gehabt, wäre ich brav nach Hause gegangen, hätte meinen Vater um Verzeihung angefleht. Wenn ich bloß nicht so stolz gewesen wäre, ich hätte es tun sollen, viele Demütigungen und Verletzungen wären mir erspart geblieben, vielleicht wäre ich selbst Lebensmittelhändler geworden, vielleicht hätte ich Meryem geheiratet, vielleicht wäre ich jetzt, zu dieser Uhrzeit, in Tanger, säße in einem schönen Restaurant mit Meerblick beim Abendessen oder würde meine Kinder verdreschen, eine ganze Horde brüllender und hungriger Welpen.

Ich hatte Hunger, ich futterte verdorbene Früchte, die die Gemüsehändler den Bettlern überließen, ich musste mich um zermatschte Äpfel prügeln, dann um schimmelige Orangen, Backpfeifen an Missgestalten aller Art austeilen, an Einbeinige, Mongoloide, eine Horde Hungerleider, die wie ich um den Markt herumlungerten; ich fror, im Herbst, wenn die Stürme über die Stadt fegten und das Bettelvolk unter den Arkaden, in den Schlupfwinkeln der Medina, in Rohbauten Zuflucht suchte, wo man den Wächter bestechen musste, damit man ins Trockene durfte, war ich nächtelang durchnässt; im Winter ging ich in den Süden, wo ich auch nur auf Polizisten traf, die mich am Ende auf einer Polizeiwache mit fleckigen Wänden in Casablanca windelweich prügelten, um mich zu ermuntern, zu meinen Eltern zurückzukehren; ich ergatterte einen Platz in einem Lastwagen nach Tanger, ein wackerer Kerl, der mir erst die Hälfte seines belegten Brotes gab und dann eine Ohrfeige verpasste, weil ich mich weigerte, für ihn das Mädchen zu machen, und als ich bei Bassam vorbeischaute, als ich es wagte, wieder einen Fuß ins Viertel zu setzen, hatte ich Gott weiß wie viele Kilos abgenommen, meine Kleider waren zerlumpt, ich hatte seit Monaten kein einziges Buch mehr gelesen und war gerade achtzehn geworden. Es bestand wenig Aussicht darauf, wiedererkannt zu werden. Ich war erschöpft. Ich zitterte. Ich hielt mich sauber, so gut es ging, ich wusch mich im Hof von Moscheen unter dem vorwurfsvollen Blick der Hausmeisterinnen und Imamen, danach war ich gezwungen, so zu tun, als betete ich, nur um mich ein wenig auf den behaglichen Teppichen aufwärmen zu können, ich nahm einen Koran mit in eine Ecke und schlief im Sitzen, das Buch auf meinen Knien, und sah dabei aus wie inspiriert, bis ein wirklich Gläubiger sich darüber aufregte, dass ich über dem Heiligen Buch schnarchte, und mich mit einem Fußtritt und manchmal zehn Dirham hinausbeförderte, damit ich mich zum Henker scherte. Ich wollte Bassam treffen, er sollte zu meinen Eltern gehen und ihnen sagen, dass es mir leidtut, dass ich viel gelitten hatte und gerne wieder nach Hause zurückkehren würde. Ich erinnere mich, ich dachte oft an meine Mutter. Und auch an Meryem. In den härtesten, den grauenvollsten Momenten, wenn ich mich vor einem Parkhauswächter oder einem Polizisten demütigen musste, wenn der abscheuliche Geruch meiner Schande aus den Falten ihrer Kleider dampfte, schloss ich die Augen und dachte an den Duft von Meryems Haut, an jene wenigen Stunden, die ich mit ihr verbracht hatte. Es machte mich fertig, dass die Welt so schnell aus den Fugen geraten war.

Man wird zum menschlichen Gegenstück einer Taube oder einer Möwe. Die Leute sehen uns, ohne uns zu sehen, manchmal traktieren sie uns mit Fußtritten, damit wir verschwinden, und wenige, sehr wenige machen sich Gedanken darüber, auf welcher Reling, auf welchem Balkon wir in der Nacht schlafen. Ich frage mich, was ich mir damals vorgestellt habe. Wie ich durchhielt. Warum ich nicht einfach nach zwei Tagen zu meinem Vater zurückgekehrt und auf das Sofa im Wohnzimmer niedergesunken bin; warum habe ich nicht bei der Stadtverwaltung oder wer weiß wo um Hilfe gebeten, vielleicht, weil in der Jugend eine unendliche Kraft steckt, eine Kraft, die alles an einem abgleiten lässt, sodass uns nichts wirklich erreicht. Zumindest während der ersten Zeit. Doch jetzt, nach zehn Monaten auf der Trebe, nach dreihundert Tagen der Schande, war ich am Ende. Ich hatte gebüßt, vielleicht. Und dabei waren mir keine Gedichte gekommen, keine philosophischen Gedanken über das Dasein, keine ernsthafte Reue, nur ein dumpfer Hass und ein verschärftes Misstrauen gegenüber allem, was »menschlich« hieß.

Bevor ich Bassam aufsuchte, daran erinnere ich mich, habe ich gebadet. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, ich hatte ein paar Kilometer außerhalb vom Stadtzentrum von Tanger Richtung Kap Spartel in einer Mulde am Fuß der Klippe geschlafen, nachdem ich eine Dose Thunfisch und ein Stück über einem Feuer aus Karton- und Zeitungsschnipseln geröstetes Brot verschlungen hatte. Ich hatte mich in den langen, auf einem Markt stibitzten Wollmantel gehüllt, der den ganzen Winter über mein Begleiter gewesen war, und war dann, gewiegt von der Brandung, eingeschlafen. Am Morgen lag das Mittelmeer ruhig da, ruhig und tiefblau, die aufgehende Sonne streichelte zart die Sandflecken zwischen den Felsen. Was soll’s, wenn ich mir einen abfror, ich hatte einfach große Lust auf diese Schönheit, auf diese Erholung im Wasser. Es war entsetzlich kalt. Ich wärmte mich ein wenig auf, indem ich schnell Richtung Norden schwamm, hundert Meter vielleicht, die Strömung war stark, ich hatte zu kämpfen, um wieder an die Küste zurückzukommen. Ich ließ mich auf eine Sandinsel in der Sonne fallen; es war windstill, ich spürte nur den lauwarmen Quarz, und erschöpft und fast glücklich schlief ich wieder ein. Als ich zwei oder drei Stunden später aufwachte, brannte die Aprilsonne vom Himmel, und ich war hungrig. Ich aß den Rest des Brots vom Vorabend, trank viel Wasser; ich faltete den Mantel und verstaute ihn in meiner Tasche, brachte ein bisschen Ordnung in meine Kleider – mein Hemd war unter der Achsel gerissen, auf dem Rücken hatte es Flecken von Schmieröl; der Saum meiner Hose war völlig abgewetzt; die Streifen auf meiner grauen Jacke, die ich in einem islamischen Zentrum für Bedürftige erhalten hatte, waren nicht mehr zu erkennen. Ich fühlte mich fit, trotz allem. Bassam würde mir schon ein sauberes Hemd und Beinkleider geben. Ich hatte ihn seit Ende Dezember, seit meinem Fortgang nach Casablanca, nicht mehr gesehen; er hatte mir geholfen, soviel er konnte, indem er mir ein wenig Geld, etwas zu essen und einmal sogar Nachrichten von Meryem brachte: Ihre Mutter hatte sie zu ihrer Schwester geschickt, ins tiefste Rif. Ins Gefängnis sozusagen. Bassam entwarf weiter Luftschlösser, wie man nach Spanien gelangen könnte, und das letzte Mal, als wir uns gesehen hatten, wie immer am selben Platz über der Meerenge, gegenüber dem unerreichbaren Tarifa, hatte er gesagt, mach dir keine Sorgen. Geh nach Casa, und bis du zurück bist, habe ich einen Weg gefunden, wie wir rüberkommen. Ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, was wir in Spanien ohne Papiere und ohne Geld anstellen sollten, abgesehen von herumreisen, um am Ende festgenommen und rausgeworfen zu werden, aber gut, es war ein schöner Traum.

Gegen Mittag ging ich bei ihm vorbei; ich wusste, dass sein Vater auf Arbeit sein würde. Die Straßen des Viertels wiederzusehen ist mir sehr ans Herz gegangen. Ich ging sehr schnell, vermied es sorgfältig, am Lebensmittelgeschäft meiner Eltern vorbeizukommen, ich kam zu dem Gebäude, in dem Bassam wohnte, blitzschnell rannte ich die Treppe hinauf und klopfte wie ein Irrer an seine Tür, als würde ich verfolgt werden. Er war zu Hause. Er erkannte mich sofort, was mich über mein Aussehen beruhigte. Er bat mich herein. Er schnüffelte an mir und sagte, ich würde nicht übermäßig stinken für einen Landstreicher. Ich musste lachen. Schon möglich, ja, aber ich würde trotzdem gerne duschen und einen Happen essen, sagte ich. Ich hatte das Gefühl, endlich irgendwo angekommen zu sein. Er gab mir saubere Kleider, ich blieb vielleicht eine Stunde im Badezimmer. Ich hätte nie gedacht, dass ein Wasseranschluss ein solch göttlicher Luxus sein könnte. In der Zwischenzeit hatte er ein Frühstück für mich vorbereitet, Eier, Brot, Käse. Er lächelte die ganze Zeit über, tat verschwörerisch. Er fragte kaum, was ich in den letzten drei Monaten getrieben hatte, nur: War’s gut in Casa? – aber er bedrängte mich nicht. Er war aufgeregt, stand ständig auf und setzte sich wieder hin, immer mit diesem Lächeln auf den Lippen. Komm, rück schon raus, sagte ich schließlich. Er zog ein Gesicht, als hätte er ein Huhn gestohlen. Rausrücken womit? Was meinst du damit? Gut, okay, ich erzähle es dir, ich glaube, ich habe etwas für dich gefunden, einen Platz, wo du in Ruhe bleiben kannst, wo man sich um dich kümmern wird. Er setzte wieder seinen lächelnden, verschwörerischen Gesichtsausdruck auf. Was für einen Platz denn, ein Heim? Ich vermutete hinter alledem ein verrücktes Reiseprojekt, eine der typischen Bassam-Geschichten. Nein, Mann, kein Heim, nicht mal ein Krankenhaus, es ist noch besser: eine Moschee.

Was habe ich denn deiner Meinung nach in einer Moschee verloren, fragte ich.

Das ist kein Platz wie die anderen, antwortete Bassam, du wirst sehen, die Leute sind anders.

In der Tat, das konnte man sagen, sie waren anders. Sie trugen Bart und strenge, dunkle Anzüge. Abgesehen davon waren diese Islamisten, das stimmte, eher nett und großzügig. Cheikh Nouredine (er ließ sich Cheikh nennen, war aber kaum älter als vierzig Jahre) bat mich, ihm meine Geschichte zu erzählen, nachdem mich Bassam vorgestellt hatte: Hier ist der, von dem ich erzählt habe, Cheikh, er ist ein echter Gläubiger, aber er ist in Not. Dann wird Gott sich seiner annehmen, antwortete der Cheikh. Die Moschee war eigentlich keine Moschee, sie befand sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses, auf dem Boden lagen Teppiche, und an der Tür hing ein kupfernes Schild, auf dem stand »Muslimische Gruppe zur Verbreitung des koranischen Gedankenguts«. Bassam schien stolz darauf zu sein, ihnen ein verirrtes Schäfchen zuzuführen. Ich erzählte alles bis in die Einzelheiten, oder nahezu alles. Cheikh Nouredine hörte mir aufmerksam zu und blickte mir dabei in die Augen, ohne ein Anzeichen der Überraschung, als ob er die ganze Geschichte bereits kannte. Als ich fertig war, verharrte er einen Augenblick schweigend, ohne mich aus dem Blick zu lassen, dann fragte er mich: Bist du gläubig? Es gelang mir, mit »Ja« zu antworten, ohne zögerlich zu wirken. Du hast keinen Fehltritt begangen, mein junger Freund. Du hast dich von diesem Mädchen in eine Falle locken lassen. Sie ist die Verantwortliche, und dein Vater war nicht im Recht. Du warst schwach, gewiss, aber es ist deine Jugend, die dich gedrängt hat. Dein Vater ist der Schuldige, er hätte die Frauen in der Familie besser beaufsichtigen, ihnen Anstand einschärfen sollen. Wäre deine Cousine anständig gewesen, wäre nichts von alledem geschehen. Bassam unterbrach ihn: Cheikh, sein Vater verbreitet im ganzen Viertel, dass er keinen Sohn mehr hat, dass er ihn enterbt hat.

Nouredine lächelte traurig. Solche Dinge lassen sich vielleicht mit der Zeit wieder einrenken. Jetzt geht es um dich. Bassam sagt, du seist fromm, ernsthaft, arbeitsam und dass du Bücher magst, stimmt das? Ja, klar. Äh, also für die Bücher, stammelte ich.

Innerhalb von fünf Minuten war ich eingestellt als Buchhändler der »Gruppe zur Verbreitung des koranischen Gedankenguts«; man gab mir ein winziges Zimmer, das auf den Hinterhof hinausging, und einen Lohn. Keine goldene Brücke, aber trotzdem ein wenig Taschengeld. Ich konnte es nicht fassen. Ich dankte Cheikh Nouredine überschwänglich, war aber darauf gefasst, dass irgendetwas Unvorhergesehenes die Sache kippen ließe. Aber nein. Es war ein echtes Wunder. Sie gaben mir ein paar Dirham Vorschuss, damit ich mir Kleidung und Schuhe kaufen konnte; Bassam begleitete mich. Er war sehr stolz und lächelte die ganze Zeit über. Hab ich es nicht gesagt, sagte er, hab ich dir nicht gesagt, dass ich eine Lösung gefunden habe. Du wirst sehen, dass es etwas nützt, in die Moschee zu gehen, meinte er.

Er hatte diese »Gruppe des koranischen Gedankenguts« beim Freitagsgebet mit seinem Vater kennengelernt. Man sah sich, wurde warm miteinander und so weiter. Solche Leute braucht es, sagte Bassam. Sie kommen aus Arabien zurück und sind stinkreich.

Wir streiften durch die Innenstadt wie Nabobs, um drei Hemden, zwei Hosen, Unterhosen und schwarze Schuhe zu kaufen, die ein bisschen eng zuliefen, ein bisschen spitz waren, die Stil hatten. Ich erwarb zudem einen Kamm, Haarwasser und Schuhcreme, ich war wieder blank, oder beinahe, aber glücklich, und Bassam ebenso, für mich. Er war so froh, dass ich aus der Patsche war, es war eine Freude, es zu sehen. Das wärmte mir das Herz mindestens ebenso sehr wie die glänzenden Treter. Ich umarmte ihn und zerzauste seine frisierte Mähne. Jetzt ziehen wir uns um, und dann drehen wir eine Runde, sagte ich. Wir baggern Mädchen an, angeln uns zwei hübsche Touristinnen und zeigen ihnen Allahs Paradies. Und vielleicht zahlen sie uns hinterher zum Dank zwei Bier. Bassam brummte irgendetwas, das ich nicht verstand, und dann, ja, ja, gute Idee, warum nicht. Er wusste genau, dass es mindestens eines zweiten Wunders am selben Tag bedurfte, um zwei freundliche Miniröcke zu finden, aber er spielte mit. Als wir ins Haus der »Verbreitung des koranischen Gedankenguts« zurückkehrten, um meine neuen Klamotten einzuweihen, war dort viel los; es war die Zeit des Nachmittaggebets, und es wurde nicht abgekürzt. Ich machte vier Verneigungen hinter Cheikh Nouredine, es kam mir sehr lange vor.

Ich war es einfach nicht gewohnt. In den folgenden zwei Jahren hatte ich alle Zeit der Welt, mich anzupassen. Meine Arbeit fürs »Koranische Gedankengut« war mehr als ruhig, was mir viel Muße zum Studium und zum Gebet ließ. Meine Buchhändlerarbeit bestand darin, Bücherpakete in Empfang zu nehmen, sie zu öffnen, die Kunststoffverschweißungen zu entfernen, die Bücher auf Regale zu stapeln und einmal pro Woche, am Freitag, einen Büchertisch am Ausgang der Moschee aufzubauen und sie zu verkaufen. Sie zu verkaufen ist eigentlich zu viel gesagt. Die meisten (kleine Broschüren, die billigen Lehrbüchern ähnelten) kosteten 4,90 Dirham. Die Hölle, denn man brauchte kistenweise Kleingeld zum Herausgeben, fast ebenso viele Münzen wie Bücher. Bei dem Preis könnte man sie doch gleich verschenken, sagte ich zum Cheikh. Keinesfalls, unmöglich, die Leute müssen sich bewusst sein, dass dieses Druckwerk einen Wert hat, sonst werfen sie es in den Müll oder zünden den Grill damit an. Und wenn wir fünf Dirham dafür nähmen, dann wäre das Problem mit dem Kleingeld gelöst. Zu teuer, antwortete der Cheikh. Jeder muss es sich leisten können.

Diese Handreichungen waren der Renner. Unser Bestseller: Die Sexualität im Islam, ich habe Hunderte davon verkauft, bestimmt weil alle dachten, sie fänden was Geiles darin, Ratschläge zu Stellungen oder gewichtige religiöse Argumente dafür, dass Frauen bestimmte Praktiken akzeptierten, aber weit gefehlt, der Geschlechtsakt wurde darin »Koitus«, »Liebesspiel« oder »Beischlaf« genannt, und das Ganze war eine alles andere als spannende kommentierte Zusammenstellung von Sätzen großer mittelalterlicher Rechtsgelehrter – meiner Meinung nach ein Betrug, der nicht mal seine fünf Dirham wert war. Neunzig Prozent der Käufer waren Männer. Bei den Leserinnen verkauften sich Die Heldinnen des Islam am besten, ein eher simples und zugkräftiges Pamphlet über die moderne Welt, das herrschende Unrecht und darüber, wie allein die Hinwendung der Frauen zur Religion die Welt retten konnte, gestützt auf das Vorbild der großen Frauen des Islam, vor allem auf Khadidja, Fatima und Zaynab.

Der andere Teil unseres Sortiments war teurer, 9,90 pro Band. Es handelte sich um gebundene Bücher, in der Regel mehrbändige Werke, die schwer waren wie Mühlsteine. Die Sammlung hieß Das Erbe des Islam und bestand aus Wiederauflagen von Werken klassischer Autoren: Lebensbeschreibungen des Propheten, Kommentare zum Koran, Werke der Rhetorik, Theologie, Grammatik. Da diese Schwergewichte schöne, mit bunten Kalligraphien verzierte Kunstledereinbände hatten, dienten sie im Stadtviertel vor allem zur Dekoration der Wohn- und Esszimmer. Das tausend Jahre alte Arabisch zu lesen ist nämlich kein leichte Übung. Wir verkauften auch CDs mit Aufnahmen des Korans und sogar eine Enzyklopädie des Korans auf DVD, die nicht uninteressant war, denn sie ersparte es einem, sich die fünfzig verschiedenen Kommentarbände aufzuhalsen, die sie beinhaltete. Traum eines jeden Buchhändlers.

Das »Haus der Verbreitung« war den ganzen Tag über geöffnet und mit ihm meine Buchhandlung, aber es kamen nur wenig Kunden. Manche schauten ab und zu herein, um Titel zu kaufen, die ich nicht auf dem Büchertisch anbieten durfte. Ich fragte Cheikh Nouredine, ob sie von der Zensur verboten waren, natürlich seien sie das nicht, sagte er, es handle sich lediglich um Texte, die umfangreichere Kenntnisse erforderten und falsch interpretiert werden konnten. Darunter waren Werke wie Der Islam gegen das zionistische Komplott und Pamphlete von Sayyid Qutb.

Eine meiner Aufgaben (eigentlich die angenehmste) bestand darin, mich um die Website und die Facebook-Präsenz der Gruppe zu kümmern, die laufenden Veranstaltungen anzukündigen (es waren allerdings nicht viele), was mir den ganzen Tag Zugang zum Internet ermöglichte. Ich erledigte meine Arbeit sorgfältig. Cheikh Nouredine war angenehm, gebildet, nett. Er hatte die Theorie in Saudi-Arabien und die Praxis in Pakistan gelernt, wie er mir erklärte. Er empfahl mir Bücher. Wenn ich keine Lust mehr auf Pornos im Web hatte (ein wenig Sünde schadet niemandem), lag ich stundenlang bequem auf dem Teppich ausgestreckt und las; nach und nach gewöhnte ich mich an das klassische Arabisch, das eine erhabene, machtvolle, fesselnde Sprache von außerordentlichem Reichtum ist. Ich verbrachte Stunden damit, anhand der großen Kommentatoren die Schönheiten des Korans zu entdecken; allein die Komplexität der Schrift machte mich sprachlos. Der Koran war ein Ozean. Ein Ozean aus Licht. Ich stellte mir den Propheten gerne in seiner Höhle vor, wie er sich in seinen Mantel hüllte oder von seinen Mitstreitern umringt in die Schlacht zog. Der Gedanke, dass ich ihre Handlungen nachvollzog, die Sätze wiederholte, die sie selbst psalmodiert hatten, half mir, das Gebet durchzuhalten, das nichtsdestotrotz eine endlose Strafarbeit war.

Ich hatte den Eindruck, wieder ins Lot zu kommen, den Schmutz aus den Monaten meines Umherirrens abzustreifen. Ich konnte mir sogar vorstellen, meinem Vater oder meiner Mutter ohne Scham zu begegnen. Das ging mir häufig im Kopf herum, wenn ich freitags hinter meinem Büchertisch saß: Ich dachte, eines Tages werde ich sie wiedersehen, das ist unvermeidlich. Ich wusste, dass sie sich sogar weigerten, meinen Namen öffentlich zu erwähnen; ich fühlte vage, dass Bassam etwas vor mir verbarg, dass er es vermied, von meiner Familie zu sprechen, wenn ich ihn danach fragte: Er antwortete stets, keine Sorge, keine Sorge, sie werden es überstehen, dann wechselte er das Thema. Meine Mutter fehlte mir.

Abends unternahmen Bassam und ich Streifzüge durch die Stadt. Wir verbrachten wesentlich weniger Zeit als früher mit der Betrachtung der spanischen Küste und wesentlich mehr mit der Betrachtung der Pos der Mädchen auf den Straßen. Tanger hatte den Vorteil, groß genug zu sein, sodass wir uns außerhalb unseres Viertels frei fühlten; manchmal genehmigten wir uns sogar zwei Bier in einer verschwiegenen Bar; ich musste stundenlang Überzeugungsarbeit leisten, bis Bassam einverstanden war, er zögerte bis zum letzten Augenblick, doch die Aussicht auf Ausländerinnen gab schließlich den Ausschlag. War er erst mal in der Kneipe, schwankte er noch fünf Minuten zwischen Cola und Bier, schließlich landete er immer beim Alkohol, um dann hinterher stundenlang mit sich selbst ins Gericht zu gehen und ein Kilo Mentholbonbons zu lutschen, um den Geruch zu verbergen. Nicht weit entfernt von der Bar gab es eine hübsche französische Buchhandlung, die frisch renoviert war und in der ich immer gerne herumtrödelte, ohne etwas zu kaufen, denn die Bücher waren viel zu teuer für mich. Aber zumindest konnte ich ein wenig nach der Buchhändlerin schielen, immerhin eine Kollegin. Ich traute mich nie, das Wort an sie zu richten. Sie trug ohnehin einen Ehering und war um einiges älter als ich.

Dann, unabänderlich, begleitete ich Bassam nach Hause, kehrte in mein winziges Zimmer im »Haus der Verbreitung« zurück, schnappte mir einen Krimi und las eine oder zwei Stunden, bevor ich einschlief. Der Bouquinist des Viertels hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Krimis in seinem Hinterzimmer, keine Ahnung, woher er sie hatte: Krimis aus den Reihen Fleuve Noir (die billigsten), Masque, der Série Noire (meine Lieblingskrimis) und anderen Reihen unklarer Herkunft aus den 60er- und 70er-Jahren. Alle Buchtitel auf den Metallregalen zusammen bildeten ein riesiges unverständliches und verrücktes Gedicht, Mord von der Stange / Shaft und der Karneval für Killer / Perlen vor die Säue / Grauer Dienstag / Alarm aus Angst, ich hatte immer die Qual der Wahl, obwohl mir Krimis, die in den Vereinigten Staaten spielten, lieber waren als solche aus Frankreich – ihr Bourbon wirkte echter, ihre Schlitten waren größer und ihre Städte wilder. Der Bouquinist hat sicher keine Reichtümer angehäuft; tatsächlich verkaufte er außer seinem Vorrat an Krimis, den ich wahrscheinlich als Einziger regelmäßig durchsah, alte Schulbücher, uralte Zeitungen, überholte spanische Zeitschriften und einige ägyptische Groschenromane. Er war ein komischer Kauz, der seine Zeit damit zubrachte, im hinteren Teil seines Geschäfts insgeheim zu picheln, ein Freidenker mit einer Neigung zu Nasser, ein Original des Viertels. Er erzählte mir oft, dass die Hügel der Umgebung vor kaum zwanzig Jahren noch unbebaut waren, dass dort nur weit verstreut zwei, drei Häuser standen und dass es von uns bis zum Flughafen nur Felder gab. Ich stamme tatsächlich noch aus Tanger, sagte er.

Nach der Bettlektüre blieben vier bis fünf Stunden Schlaf bis zum Morgengebet: Cheikh Nouredine kam und mit ihm ein Gutteil der Gruppe (außer Bassam, der sagte, er bete zu Hause, was ich ihm nicht abnahm). Wenn sie wieder gegangen waren, legte ich mich erneut bis acht oder neun Uhr ins Bett, dann frühstückte ich, und um Punkt halb zehn öffnete ich die Buchhandlung. Häufig kehrte der Cheikh um die Mittagszeit zurück, wir unterhielten uns kurz, er bat mich, dies oder jenes auf die Website zu stellen, er überprüfte den Lagerbestand der Bücher, bestellte die Titel, die ausgingen, in der Regel selbst (einen Karton Sexualität, einen Heldinnen, die Gesamtausgabe von Ibn Taymiya in zwanzig Bänden), dann ging er wieder seinen Geschäften nach. Eine Buchlieferung aus Arabien benötigte ungefähr einen Monat, bis sie uns erreichte, daher musste man vorausschauend sein. Anschließend hatte ich den ganzen Nachmittag über meine Ruhe. Ich hatte Muße zu studieren, wie Cheikh Nouredine sagte. Das Paradies. Unterkunft, Wäsche und Bildung frei. Nach dem Abendgebet kam Bassam mich abholen, wir drehten wieder eine Runde und so weiter. Eine gesunde Routine.

Ich hatte nur eine Angst oder einen Wunsch, und das war, meiner Familie zu begegnen; sie wussten, wo ich war, ich wusste, wo sie waren; einmal sah ich meine Mutter auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite – ich kehrte ihr sofort den Rücken zu und verdrückte mich mit klopfendem Herzen. Ich schämte mich. Wie sie sich schämten, auch wenn ich damals noch nicht wusste, wie sehr und warum. Ich hätte gerne meine kleine Schwester gesehen, wahrscheinlich hatte sie sich verändert, war viel größer geworden. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Ich versuche es noch immer. Ich frage mich, was sie heute über mich wissen. Es gibt immer Gerede, Gerüchte, die bis nach Hause dringen; bestimmt müssen sie sich die Ohren zuhalten.

Ich dachte oft an Meryem – ich hätte, meinte ich, den Mut aufbringen und mit einem Bus in ihr Dorf fahren sollen, um sie heimlich zu treffen. Ich schrieb ihr Briefe, aber diese Briefe endeten immer im Mülleimer, hauptsächlich aus Feigheit. Meryem gehörte schon ins Reich der Träume, geisterte schon als Erinnerung durch meinen Kopf.

Das Jahr ging schnell vorüber, und als in Tunis die Demonstrationen begannen, war ich bereits über ein Jahr hier. Diese Ereignisse trübten ein wenig meine Ruhe, das muss ich sagen. Cheikh Nouredine und die ganze Gruppe waren wie von Sinnen. Sie saßen die ganze Zeit vor dem Fernsehapparat. Sie beteten tagelang für die tunesischen Brüder. Danach organisierten sie Spendensammlungen für die ägyptischen Brüder. Dann wurde die Liste um die libyschen und die jemenitischen Brüder erweitert, sie begannen Aktionen »für unsere unterdrückten arabischen Brüder« zu organisieren.

Als der Protest am 20. Februar in Marokko begann, hielt sie nichts mehr zurück. Sie wechselten sich ab auf Sit-ins und Demonstrationen. Meine Buchhandlung wurde zum Hauptquartier der Kampagne: Die Gruppe sah in den arabischen Aufständen die seit Langem erwartete grüne Flut. Endlich echte muslimische Staaten vom Golf bis zum Atlantik, davon träumten sie nachts. Wie mir Cheikh Nouredine erklärte, steckte dahinter die Idee, so viel wie möglich freie und demokratische Wahlen durchzusetzen, um die Macht zu ergreifen und dann von innen heraus, durch die vereinte Kraft der Gesetzgebung und des Volks auf der Straße, die Verfassungen und die Gesetze zu islamisieren. Ihre politischen Pläne waren mir ziemlich gleichgültig, aber die fortwährende und stürmische Militanz brachte meine tägliche Routine völlig durcheinander. Sie ließen mich nicht mehr so häufig ins Internet (ständig brauchten sie es) und ließen mich auch nicht mehr in Ruhe lesen. Immer gab es irgendeine Veranstaltung, eine Demonstration, an der man teilnehmen, eine Fernsehsendung, die man sehen musste. Plötzlich verbrachte ich immer mehr Zeit im Stadtzentrum. Um einen Krimi zu lesen, saß ich den ganzen Nachmittag bei einem Tee an der Place de France. Cheikh Nouredine war ein wenig sauer, weil ich mich rarmachte, er sagte, du könntest dich ruhig aktiver an unserem Kampf beteiligen, und sah mich scharf an.

Sie bekamen Prügel. Die Polizei hatte den Befehl erhalten, die Enden der Demonstrationszüge ohne Tränengas, ohne Gummigeschosse, auf die altmodische Art zu zerstreuen, durch Zugriff und mit dem Knüppel, und das gelang ihr ziemlich gut: Über den Bärten blühten die Veilchen. Und da die Jugend die Avantgarde der Bewegung sein sollte, war Bassam der Erste, der eines Tages am späten Abend bei der Place des Nations Prügel einstecken musste und als Held zurückkehrte, mit blutunterlaufenen Striemen auf der Brust, einem Verband auf der Nase, Veilchen um die Augen und immer noch »Für Gott, Vaterland und Freiheit« skandierend. Ägypten war das Vorbild. Sie redeten nur noch von Kairo und dem Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung. Ägypten ist eine fortschrittliche Gesellschaft, sagte Cheikh Nouredine, die Brüder werden den Sieg davontragen. Vor Rührung weinte er fast. Ich erinnere mich, als wir im Fernsehen einen französischen Kenner der arabischen Welt sagen hörten, es seien keine Muslimbrüder auf dem Tahrir-Platz, war Cheikh Nouredine zuerst stocksauer. Lügen, sagte er. Möge Gott die Ungläubigen zerschmettern. Was für Schweinehunde diese Franzosen sind, sie achten nichts, nicht einmal die Wahrheit. Diese Hosenscheißer tun alles, um ihre Macht zu erhalten. Dann fasste er sich wieder, alles in allem war es ja nicht schlecht, im Hintergrund zu bleiben, das verschaffte dem Protest eine bessere Legitimation. Außerdem kamen aus Ägypten ausgezeichnete Nachrichten: Die Muslimbrüder waren sich sicher, dass sie als große Sieger aus den freien Wahlen hervorgehen würden, sollten diese stattfinden, und dass sie die Regierung bilden würden. Die erste seit dem algerischen Betrug zwanzig Jahre zuvor.

Mindestens eine Woche lang war ein Heidendurcheinander in Tanger, aber Cheikh Nouredine erkannte genau, dass es nicht den tunesischen oder den ägyptischen Weg gehen würde, der Palast war schlauer oder legitimer (ist nicht der König der Führer der Gläubigen?), und dass man, sollte es zu einer Verfassungsreform kommen, ein Bündnis mit einer bestehenden Partei eingehen müsse.

Einige Wochen später erließ der König eine Amnestie für ein ganzes Kontingent politischer Gefangener, darunter Mitglieder der Gruppe, die seit den großen Razzien nach den Attentaten von Casablanca in den Jahren zuvor in den Kerkern des Regimes vegetierten. Der Cheikh war euphorisch. Er begrüßte seine Gefährten, als ob es sich um den aus Ägypten zu seinen Brüdern zurückkehrenden Joseph handelte. Das »Haus der Verbreitung des koranischen Gedankenguts« wurde ein Bienenkorb von Bärtigen.

Mir war daran gelegen, dass all diese Umtriebe rasch endeten, damit ich wieder wie gewohnt lesen konnte und ungestört blieb. Die Gruppe war ein rechter Sack voll Flöhe, und solange sie auf den Abend und ihre Aktion warteten, drehten sie sich im Kreis. Sie hatten beschlossen, das Durcheinander, die Demos und die Polizei zu nutzen, um eine »Reinigung des Viertels« durchzuführen, wie sie es nannten. Bassam, der es eilig hatte, sich am Erstbesten für seine gebrochene Nase von neulich zu rächen, stand an der Spitze der Schläger. Nach einem kriegerischen und wortgewaltigen Sermon von Cheikh Nouredine, der von den Feldzügen des Propheten handelte, von der Schlacht von Badr, der Grabenschlacht, von den Banu Qainuqa, von Hamza, dem Helden, vom Ruhm der Märtyrer im Paradies und von der Schönheit, der großen Schönheit des Todes in der Schlacht, schwärmten sie in zehn Mann starken Gruppen aus, bewaffnet mit Knüppeln und Hackenstielen. Aufgehetzt von diesem theoretischen Vorglühen, eilten sie fast im Laufschritt in die Nacht hinaus, Bassam mit seiner Gereiztheit und einem Knüppel in der Hand voran. Ich habe nicht mitbekommen, wie die ersten Einsätze ausgingen, außer dass sie zufrieden, atemlos, ohne Verletzte oder Märtyrer zurückkehrten. Cheikh Nouredine war der Auffassung, aus Sicherheitsgründen sei es wichtig, dass er sich nicht selbst an diesem heiligen Krieg beteiligte, aber er sah mich scharf an, als ich sagte, ich zöge es vor, ihm im »Haus der Verbreitung« Gesellschaft zu leisten. Nach zwei Nächten des Kampfs ohne Verluste war es sein Wunsch, die Truppen selbst zum Sieg zu führen; ich richtete mich darauf ein, in Ruhe und endlich allein vor dem Computer zu bleiben, aber ein Blick von Cheikh Nouredine genügte, um mich davon zu überzeugen, dass es besser war, mich ihnen anzuschließen; ich erhielt einen Knüppel, den ich wie alle anderen unter meinem Kaftan versteckte.

Die Expedition hätte vergnüglich sein können; wie unsere Bande mit Mützen auf dem Kopf, Bärten und langen Mänteln die düsteren Gehwege entlanggeisterte, das hätte gut in eine ägyptische Komödie gepasst.

Niemand hatte mich über den Zweck der Aktion informiert; im Gebet waren der Kampf gegen die Gottlosigkeit, die Sünde und die Pornographie erwähnt worden, aber nichts Genaueres. Die Nacht war kalt und nass. Wir waren zu sechst, wir marschierten in Reih und Glied, es begann ein wenig zu regnen, was der Expedition ihren Reiz nahm. Der Kampf gegen Trunksucht und Materialismus war keine Vergnügungsreise.

Als ich sah, dass wir zweihundert Meter vom Haus des koranischen Gedankenguts entfernt nach links abbogen, wurde ich ein wenig unruhig; am Ende der Straße gab es ein mögliches Ziel, von dem ich hoffte, es werde nicht unseres sein. Aber leider. Es konnte nur dort liegen. Alle schienen zu wissen, wo es hinging, nur ich nicht; mit Bassam an der Spitze schritt die Truppe, ohne zu zögern, voran. Wir kamen vor das Geschäft des Buchhändlers; wegen des Regens hatte er die Auslagen hereingeholt, aber ungeachtet der späten Stunde drang Licht durch die Tür, ich dachte mir, dass er sich gerade eine oder zwei Flaschen schlechten Rotwein genehmigte, während er sich alte spanische oder französische Zeitschriften mit nackten Mädchen anschaute. Tatsächlich saß der Alte mit einem Liter Roten im hinteren Teil seines Ladens; wütend hob er den Kopf von seinem Playboy, erkannte mich, lächelte schüchtern, fassungslos. Cheikh Nouredine warf einen verächtlichen Blick auf ihn, er sprach ein kurzes Gebet in klassischem Arabisch, du bist die Schande des Viertels, unser Viertel ist ein ehrbares Viertel, achte Gott und unser Viertel, Ungläubiger, wir sind die Strafe der Ungläubigen, der Untergang der Gottlosen, verschwinde sofort aus unserem Viertel, achte Gott, unsere Frauen und unsere Kinder, der Buchhändler rollte irre mit den Augen; sein Blick sprang von links nach rechts, lag auf Bassam, auf mir, kehrte zum Cheikh zurück, der seinen Bannfluch herunterbetete. Er hatte noch immer sein Glas in der Hand, als könnte er nicht glauben, als fragte er sich, ob ich ihm einen schlechten Streich oder etwas Ähnliches spielte. Dann brüllte der Cheikh, möge Gottes Zorn über dich kommen!!!, und drehte sich zu mir um, Bassam schlug seinen Mantel auf, um seinen Hackenstiel hervorzuholen, und sah mich ebenfalls an. Alle drei starrten mich an, der Buchhändler sagte mit tonloser Stimme, was soll denn der Scherz?, Bassam sah mich flehentlich an, so in der Art nun mach schon, los, worauf wartest du, Scheiße, Mann, fang an, der Cheikh maß mich mit seinem Blick, ich schlug ebenfalls meinen Mantel auf und holte meinen Knüppel hervor, der Buchhändler sah entsetzt zu mir, überrascht und entsetzt, er sprang vom Stuhl auf, kam auf meiner Seite hinter dem Schreibtisch vor, als wollte er fliehen, ich wollte ihm nicht wehtun, er versuchte, meinen Knüppel zu packen, er begann uns zu beschimpfen, Saubande, Hunde, Arschlöcher, fickt euch doch, da versetzte ihm Bassam einen kräftigen Schlag auf die Schulter, man hörte ein trockenes Geräusch, er heulte auf vor Schmerz und brach zusammen; während er sich an meinen Mantel und meine Beine klammerte, schlug Bassam ihm mit viel Schwung den Knüppel in die Rippen, der Buchhändler heulte wieder auf, stieß fürchterliche Gotteslästerungen aus, Bassam strafte ihn dafür mit einem Schlag auf den Schenkel, wobei er auf den Knochen zielte, der Mann begann zu stöhnen. Bassam lächelte, winkte mit seinem Stock. Einen Moment lang fragte ich mich, ob er mir nicht auch auf die Fresse geben würde. Cheikh Nouredine beugte sich über den Buchhändler, der am Boden stöhnte, sagte, ich hoffe, du hast verstanden, dann versetzte er ihm einen Fußtritt, dass er aufjaulte. Tränen rannen dem armen Kerl übers Gesicht, ich konnte nicht mehr hinsehen, ich steckte meinen Holzknüppel wieder ein und ging hinaus. Bassam folgte mir, dann der Cheikh; ich hörte noch, dass er auf sein Opfer spuckte, bevor er ging. Ich rannte zurück zum »Haus der Verbreitung des koranischen Gedankenguts«, die anderen hinter mir her. Als ich ankam, warf ich meinen Knüppel auf den Teppich und schloss mich in mein Zimmer ein. Ich zitterte vor Hass, ich hätte Cheikh Nouredine und Bassam in Stücke reißen können. Und mich selbst auch. Am liebsten hätte ich mich in Stücke gerissen. Ich saß auf meinem Bett und fragte mich, was ich tun sollte. Ich hatte keine Lust mehr, hier zu bleiben. Ich war voller übermenschlicher Kraft, voller Wut, voller unglaublicher Gewalt. Ich nahm alles Geld, das ich besaß, und ging hinaus. Die Gruppe war wieder beim Gebet, ich durchquerte das große Zimmer ohne jede Rücksichtnahme, Bassam hob den Kopf, während er sich niederwarf, um mir ein Zeichen zu geben, ich ging und schlug die Tür hinter mir zu.