Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 1784
Rückzug oder Tod
Kampf mit dem Albtraumwesen – muss NETWORK geräumt werden?
von Hubert Haensel
Gegen Ende des Jahres 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung sind Wesen aus der Milchstraße an verschiedenen Orten Hirdobaans aktiv. So operiert beispielsweise die Besatzung des Riesenraumschiffes BASIS unter Führung von Perry Rhodan in der kleinen Galaxis und versucht alte Geheimnisse zu lösen.
Das Herrschaftssystem in Hirdobaan existiert seit über tausend Jahren, ordnet das Hauptvolk der Hamamesch ebenso den Befehlen der Maschtaren unter wie die pantherähnlichen Fermyyd, die Schutztruppe der Galaxis. Und irgendwo dahinter gibt es eine unbekannte Macht namens Gomasch Endredde, nach der sich angeblich alle richten.
Die Spur führt über das abgeschottete Zentrum der Galaxis – dort liegt Endreddes Bezirk, und in diesem werden rund dreißig Millionen Intelligenzen aus der Menschheitsgalaxis gefangen gehalten. Unter ihnen sind die so genannten Phasenspringer, die zwischen dem Bezirk und der »Außenwelt« oszillieren. Immerhin konnten sie schon einige Rätsel des Bezirks lösen; dabei wurde ein geheimnisvolles Albtraumwesen namens Tréogen geweckt. Die Galaktiker von der BASIS wurden mittlerweile in ständig zunehmende Gefechte mit Hamamesch und Fermyyd verwickelt. Verantwortlich dafür waren die Herren der Galaxis, die Maschtaren.
Diese konnten besiegt werden; dabei kamen alle Maschtaren ums Leben. Den Phasenspringern ist noch nicht so viel Erfolg beschieden. Ihr aktueller Einsatz lässt ihnen nur eine Alternative: RÜCKZUG ODER TOD ...
Atlan – Der Arkonide versucht mit den Phasenspringern die Station NETWORK zu halten.
Walter Sievens – Ein Terraner im Bann des unheimlichen Arbeitswahns.
Tréogen – Das Albtraumwesen macht den Galaktikern schwer zu schaffen.
Icho Tolot – Der Haluter im tödlichen Kampf.
Joacquim Mandelliano – Ein fanatischer Workaholic.
Level 6, Zonder-Myry. Ursache und Wirkung.
Plötzlich war alles anders. Walter Sievens achtete nicht darauf, dass er sich die Haut von den Fingerkuppen riss und sein Blut warm und klebrig über die Hände rann. Die Messsonden hatte er längst zur Seite geworfen; wie von Sinnen krallte er die Finger in das lockere, scharfkantige Gestein und vergrößerte die eben erst entstandene Öffnung.
Erkennen konnte er noch herzlich wenig, aber hinter der Wand schien tatsächlich ein Hohlraum zu liegen.
Sein Herz hämmerte wild gegen die Rippen. Er verkrampfte sich, doch er unterbrach seine Arbeit nicht für einen Augenblick. Repariere!, dröhnte es in ihm, jeder Pulsschlag ein neuer Ansporn, das zu tun, weshalb er nach Zonder-Myry gekommen war.
Ein weiterer Mauerstein lockerte sich. Mit aller Kraft zerrte Sievens daran, kratzte abbröckelnden Mörtel aus den Fugen, und dann hatte er endlich ein neues Werkzeug, primitiv zwar, aber wirkungsvoll. Beidhändig drosch er den Stein gegen die Wand, in der die Rohrleitungen verschwanden, schlug zu wie ein Berserker. Mittlerweile gab es kein Halten mehr für ihn.
Er war dem Ziel seiner Bemühungen näher als je zuvor. Schale, abgestandene Luft wehte ihm entgegen. Zweifellos war der Raum hinter der Wand schon vor langer Zeit vergessen worden – ein Problem, das angesichts der Weitläufigkeit der unterirdischen Anlagen keineswegs überraschte.
Walter Sievens verdoppelte seine Bemühungen. Weiteres Mauerwerk brach aus und verschwand polternd in der Düsternis auf der anderen Seite. Das spärliche Licht, das durch die Öffnung fiel, verlor sich im wahrsten Sinne des Wortes im Nichts.
Endlich war der Durchbruch groß genug. Sand wirbelte auf, knirschte zwischen den Zähnen. Nur flüchtig hielt Sievens inne, wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und spuckte aus; dann hatte er es geschafft und zwängte sich unter einigen Verrenkungen auf die andere Seite.
Stille empfing ihn, die nur vom Rauschen des Blutes in seinen Schläfen durchbrochen wurde. Sievens zwang sich zur Ruhe, er schloss die Augen und lauschte – aber diese Art von Müßiggang bereitete ihm Unbehagen. Eine unwiderstehliche Hast trieb ihn vorwärts.
Seit Tagen schlief er schlecht und fand nicht mehr die Erholung, die er gebraucht hätte, um sich zu regenerieren. Er aß zu wenig und arbeitete zu viel, brachte sich damit unaufhaltsam an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs – dennoch dachte er nicht daran, seinen Tagesablauf zu ändern. Die Ruhepausen wurden mit jedem neuen Tag kürzer, sogar die Einnahme der Mahlzeiten bedeutete ihm nur noch ein lästiges Übel. Sobald er zu arbeiten aufhörte, fühlte er sich krank, bereitete quälendes Unbehagen ihm körperliche Schmerzen.
Fast zum Greifen nahe über ihm hingen die Rohrleitungen, denen er gefolgt war, bronzefarbene, ineinander verschlungene Stränge, die sich manchmal aus sich selbst heraus zu verformen schienen. Auch jetzt hatte der Terraner den Eindruck, dass die Leitungen pulsierten. Wie Adern in einem überdimensionalen Organismus – Sievens stellte sich ernsthaft die Frage, was in ihnen transportiert wurde.
Nährflüssigkeit?
Vor seinem geistigen Auge entstand das Abbild einer brodelnden Zellmasse, einer gigantischen Amöbe mit schier unstillbarem Energiebedarf. Gomasch Endredde? Der angeblich göttliche Beherrscher Hirdobaans eine amorphe, aus eigener Kraft nicht handlungsfähige Kreatur?
Sievens keuchte jäh. Ein Hustenanfall machte ihm zu schaffen. In letzter Zeit häuften sich solche Anfälle; das Gefühl zunehmender Schwäche, verbunden mit stechenden Schmerzen im Brustkorb, ließ ihn eine Infektion befürchten. Was wusste er denn schon von den Umweltbedingungen auf Zonder-Myry und den anderen Levels? Die Temperatur blieb konstant bei 16,6 Grad Celsius, nicht einmal im Tag-Nacht-Rhythmus kam es zu Schwankungen; die Schwerkraft betrug einheitlich 1,28 Gravos, und die Atmosphäre war mit 27 Prozent Sauerstoffanteil überall gut atembar.
Unter diesen Umständen hatte er die Existenz schädlicher Mikroorganismen bislang nie in Erwägung gezogen – er war auf Zonder-Myry, um zu arbeiten, um Schäden in den weitläufigen Anlagen zu beheben. Alles andere war unwichtig. Gedanken an seine Familie, die in der Milchstraße zurückgeblieben war, verdrängte er. Ohnehin war seither eine Ewigkeit vergangen.
Unnötige Überlegungen!
Mit einer unwilligen Handbewegung wischte Sievens sich über das Gesicht. Er fühlte spröde Haut und kantig vorstehende Wangenknochen – eine ausgezehrte Gestalt, nur noch ein Schatten seiner selbst. Der zeitlose Geschmack von Mörtelstaub vermischte sich mit dem Sekret seiner aufgeplatzten Lippen.
»Ich schaffe es«, murmelte er im Selbstgespräch. »Ich finde den verfluchten Fehler, und dann ...«
Erwartungsvoll starrte er zu den Rohrleitungen hinauf, von denen einige sich plötzlich zu verformen begannen. Eine Welle peristaltischer Bewegungen schichtete das bronzefarbene Material zu dicken Klumpen, die zähflüssig den Gesetzen der Schwerkraft folgten. Schon klatschten die ersten Tropfen auf den Boden und vermischten sich mit dem Mauerschutt.
Rasselnd sog Sievens die Luft in seine Lungen und stieß sie hart wieder aus. Obwohl seine Gedanken wild durcheinanderwirbelten, wurde ihm klar, dass die lange Suche zu Ende war.
Die ersten Tropfen erstarrten schnell. Wie erhitztes Wachs, das sich ebenso rasch wieder verfestigte. Das Material fühlte sich nicht weniger glatt an. Sievens strich mit den Fingerspitzen über einen der Tropfen hinweg; als nichts geschah, packte er fester zu.
Er fühlte tote Materie. Keine Spur mehr von jenem pulsierenden Fluss, den er an den Rohren beobachtet hatte. Die einzige Bewegung, die er wahrzunehmen glaubte, war das nervöse Pochen in seinen Fingerspitzen.
Was musste er tun? Irgendwann würden die Leitungen brechen. Sollte er Hilfe holen? Damit andere später von sich behaupten konnten, den Fehler entdeckt und behoben zu haben?
Neue Schwäche stieg in ihm auf, verbunden mit einem wieder stärker werdenden Hungergefühl. Die Sättigung hielt nicht mehr lange vor.
Walter Sievens versuchte vergeblich, das Rumoren in seinen Eingeweiden zu ignorieren.
Nicht aufgeben! Ich bin hier, um zu arbeiten! Das allein ist wichtig.
Stockend machte er einen Schritt vorwärts. Seine Knie zitterten.
Weiter! Er zwang sich dazu, nicht innezuhalten. Und wenn er bald auf allen vieren durch die Unterwelt von Zonder-Myry kriechen musste, er ließ sich nicht unterkriegen.
Die Tropfen waren erstarrt. Nur einige Rohre zeigten noch schwache Kontraktionen. Es fiel schwer, den Kopf so weit in den Nacken zu legen, dass er die Stränge über sich erkennen konnte. Sievens verwünschte die Tatsache, dass er aus der reichlich zur Verfügung stehenden Ausrüstung nicht wenigstens einen handlichen Scheinwerfer mitgenommen hatte.
Inmitten der Finsternis glaubte er, eine jähe Bewegung zu erkennen.
Walter Sievens blinzelte verwirrt. Die eigenen Sinne narrten ihn. Einen Moment lang glaubte er, Augen zu sehen, die ihn anstarrten.
Er wollte sich bemerkbar machen, eine Verständigung herbeiführen, aber nur ein klägliches »He« drang über seine Lippen, nicht eben besonders geistvoll. Die Zunge klebte rau am Gaumen und hinderte ihn daran, sich deutlicher zu artikulieren.
Ich bin hier, um zu reparieren! Nichts anderes denken, nur der Aufgabe folgen. Ich muss Gomasch Endredde helfen!
Schabende Laute erfüllten die Luft, erzeugt von Hunderten harter Gliedmaßen auf hartem Untergrund.
Walter Sievens riss noch instinktiv abwehrend die Arme hoch, als der erste schwere Körper gegen ihn prallte und ihn von den Beinen fegte.
*
19. November 1220 NGZ. Äquatorialstation NETWORK. Langsames Erwachen.
Wir hatten es geschafft, hatten das Oszillieren abgeschaltet und damit eine dauerhafte Grundlage für unseren Einsatz im Zentrum Hirdobaans erhalten. Für alle Phasenspringer war das Intervall von 13 Stunden und einer Minute endlich bedeutungslos geworden.
Der Gedanke, dass wir nun endgültig auf uns selbst angewiesen waren, blieb rein theoretisch. Denn aktiven Beistand hatten wir weder auf der Gefängniswelt Schingo noch an Bord unserer Raumschiffe erhalten können. Abgenutzte oder unbrauchbar gewordene Ausrüstungsgegenstände auszutauschen, war nie möglich gewesen. Kein Phasenspringer hatte Dinge in Endreddes Bezirk mitnehmen können, die er nicht schon während der ersten Oszillation bei sich getragen hatte.
Auch von den rund 30 Millionen ehemals imprint-süchtigen Galaktikern, die über alle zwölf erreichbaren Levels verstreut ihrer selbstzerstörerischen Arbeitswut frönten, war zu keinem Zeitpunkt Unterstützung zu erwarten.
Trotzdem behauptete mein Extrasinn, ich sei ein unbelehrbarer Narr.
... eine Handvoll Idealisten maßen sich an, einer ganzen Galaxis die Stirn zu bieten.
Bislang durchaus mit Erfolg, gab ich ebenso lautlos zurück.
Zufälle sind das Salz des Lebens. Das klang schon fast zynisch. Keiner weiß, was er tut, schon gar nicht, wie es funktioniert, aber alle sind begeistert bei der Sache.
So gerne ich den Einwand widerlegt hätte, ich konnte es nicht. Es gab nicht einen Punkt in dem Kommentar, der sich für einen begründeten Widerspruch geeignet hätte.
Was wärst du ohne mich, Arkonide? Das leise Lachen unter meiner Schädeldecke war nicht dazu angetan, unseren Erfolg genießen zu lassen, und als Erfolg sah ich die Ereignisse der letzten Stunden noch immer an.
Obwohl ... Tief in meinem Innern nagten inzwischen erste Zweifel. Was hatten wir wirklich erreicht?
Eine Verbesserung der Situation aller in Endreddes Bezirk verschlagener Galaktiker?
Das »Nein« als Antwort auf diese Frage war eindeutig.
Immerhin näherten wir uns Stück für Stück der Lösung des Geheimnisses um Gomasch Endredde.
Stimmt!, bemerkte der Extrasinn.
Wenigstens etwas, mit dem du zufrieden bist, antwortete ich in Gedanken. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.
Was wahr ist, muss wahr bleiben, Beuteterraner. Auch wenn die Annäherung nur einem blinden Tasten entspricht.
Bei allen Planeten Arkons, mein vor Jahrtausenden in der ARK SUMMIA erweckter Logiksektor hatte recht. Dabei stand eigentlich mir die Rolle als Zyniker und wohlmeinender Spötter zu.
Ohne mir richtig darüber klar zu werden, begann ich die Ereignisse der vergangenen Tage zu rekapitulieren:
Nachdem die Erkundung der technischen Evolutionsebene keine greifbaren Ergebnisse gebracht hatte, waren Icho Tolot und ich am 15. November in eine der schwebenden Fabriken von Zimbag eingedrungen. In dieser Fabrik waren Imprint-Würfel hergestellt worden. Kämpfe mit Opera-Robotern hatten das Antriebs- und Antigravsystem lahm gelegt und die Fabrik in einem Flammeninferno abstürzen lassen. Uns war als einziger Ausweg die Flucht durch das Mini-Karussell im Zentrum der Fabrik geblieben. Auf die Weise hatten wir NETWORK erreicht, eine Äquatorialstation über Level 12, dem Riesenplaneten Mollen.
NETWORK besitzt die Form eines unregelmäßigen Parabolspiegels und rotiert in 800 Metern Höhe ausschließlich um die Längsachse, die durch seitliche Ausbuchtungen gekennzeichnet ist. Das Innere der Station besteht aus einer schier unüberschaubaren Fülle von Korridoren, kleinen Hallen und Schaltelementen. Als wirklich interessant haben sich bisher die beiden jeweils 50 Meter durchmessenden Hallen erwiesen, in denen Hologramm-Raster Endreddes Bezirk sowie ganz Hirdobaan darstellen.
Für menschliche Augen sind die Abbildungen nicht geschaffen. Nur Icho Tolot hatte die Matrix einwandfrei erkennen und deuten können, vor allem waren ihm die im Sekundenrhythmus oszillierenden Punkte aufgefallen, die nichts anderes als eine Standortwiedergabe aller Phasenspringer bedeutet hatten.
Von dem Moment an war klar gewesen, dass der Oszillationsprozess möglicherweise von NETWORK aus gesteuert wurde.
Bis zum 18. November hatten wir benötigt, um den Sturm auf die Äquatorialstation einzuläuten, aber erst kurz vor dem Ende einer Phase war es gelungen, einen der beiden Stromkreise in NETWORK abzuschalten. Die Matrizes in den beiden Hallen sind seitdem kaum noch zu sehen, es gibt keine Phasensprünge mehr. Tolot sagt, dass die oszillierenden Punkte in den Hologrammen erloschen sind.
Seither ist nichts geschehen.
Unschlüssig fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar. Gleichzeitig erkannte ich die Reaktion als Anzeichen meiner Verwirrung.
Gar nichts hat sich getan, bekräftigte der Logiksektor seine Behauptung.
Das war die schamloseste Untertreibung seit langem. Selbst für einen potenziell unsterblichen Arkoniden besitzt der Tod seine Schrecken. Obwohl Zellverfall, Krankheiten und Gifte mir nichts anhaben können, bleibt die Gefahr eines gewaltsamen Endes. Ein gut gezielter Strahlschuss genügt, um mehr als zehntausend Jahre einfach auszuradieren, auch die Klinge eines einfachen Vibratormessers kann hochfliegende Träume jäh beenden. Oder, wie gehabt, der Absturz mit einem provisorischen Gleiter während eines der Planetenbeben.
Furcht vor dem Tod? Nein, die habe ich nicht. Dann müsste ich mich auf einer unbewohnten Welt einer noch unbekannten Galaxis hinter Paratronschirmen verkriechen und stündlich bangen, dass die Sonne nicht zur Nova wird. Unsterblichkeit ist keine Gnade, sie wird eher zur Last. Ich habe oft darüber nachgedacht – schon damals, als ich hin und wieder in die Geschichte des bedeutungslosen Planeten Larsaf III eingegriffen habe, heute besser bekannt unter dem Namen Terra.
Wir potenziell Unsterblichen haben und hatten zu allen Zeiten Neider, die uns zu unrecht als Privilegierte ansehen und uns deswegen hassen, ohne uns je persönlich begegnet zu sein, die uns verfluchen, sooft sie in einen Spiegel blicken und mit jedem Jahr neue Falten an sich entdecken. Aber niemand denkt daran, dass unser Leben vor allem Mühsal ist. Wir tragen eine Unruhe in uns, die anderen fremd ist. Was ist beneidenswert daran, mit ansehen zu müssen, wie gute Freunde jeden Tag älter werden, während man selbst unverändert jugendliche Frische behält? Oft haben wir schon erlebt, dass Freundschaft nach anfänglicher Euphorie in Hass umschlug, weil Neid irgendwann Hass gebiert.
So ist es.
Verwirrung. Und das unbestimmte Empfinden, dass ich zu wenig tat, um wirklich zufrieden sein zu dürfen.
Manche Menschen schlagen die Zeit tot, bis sie sich eines Tages revanchiert.
Ich stutzte. Mir war klar, dass der Extrasinn auf Dinge anspielte, die sich momentan meinem Zugriff entzogen. Das Gefühl nagender Zweifel wuchs.
Mit der Desaktivierung eines Energiekreislaufs von NETWORK hatten wir eindeutig einen unerlaubten Akt begangen und damit eine Todesschaltung ausgelöst. Unsere Schutzschirme hatten die lähmende, das Nervensystem angreifende Strahlung nicht abwehren können. Wenn es hoch kam, hätten wir alle nur noch wenige Minuten zu leben gehabt, als es Icho Tolot mit Hilfe der Androgyn-Roboter gelungen war, die autarke Energiequelle der Todesstrahlung zu orten und unschädlich zu machen.
Seitdem waren wir in NETWORK unbehelligt geblieben.
Bist du wirklich davon überzeugt, Arkonidenhäuptling?
Natürlich bin ich das. Ich weiß doch ...
Wusste ich wirklich?
Obwohl es nicht meine Art war, die Dinge auszusitzen, tat ich momentan nichts anderes. Und Tek, Dao-Lin-H'ay und einige Mitglieder des Kommandos Gonozal, die sich in meiner Nähe aufhielten, reagierten ähnlich. Das traf vermutlich auch auf alle anderen zu, die in den Tiefen der Station vermeintlichen Forschungen nachgingen. Wir warteten ohne wirkliche Initiative.
Mit einer unwilligen Handbewegung fuhr ich mir durchs Gesicht. Mir war, als zerreiße ein unsichtbarer Schleier, der mich daran gehindert hatte, klare Gedanken zu fassen. Zweifellos eine Folge der Todesstrahlung. In einem Zustand der Lethargie wären wir willfährige Opfer angreifender Operas gewesen. Dass es hier bisher nicht von den zapfenförmigen Kampfmaschinen wimmelte, war keineswegs unser Verdienst, sondern wahrscheinlich eine gnädige Fügung des Schicksals.
»Lasst euch nicht einlullen!« Meine Stimme klang lauter und schroffer als beabsichtigt. Ich blickte in die Runde. Einige meiner Begleiter schienen ebenfalls aus angenehmen Träumen aufzuwachen. Calnai blickte mich an, als hätte er Mühe, überhaupt zu begreifen, wo wir uns befanden. Er presste die Lippen zusammen. Tréogen?, fragte sein Blick.
Ich zuckte mit den Achseln. »Nach diesem Versuch, uns zu beeinflussen, müssen wir mit einem erneuten Angriff rechnen. Egal von welcher Seite.«
Tréogen zum Beispiel hatte uns schon in NETWORK aufgespürt. Bei der ersten flüchtigen Begegnung war für Tolot und mich just in dem Moment die 13:01-Stunden-Frist abgelaufen; das zweite Zusammentreffen hatte den Verlust von zwanzig Androgynen bedeutet. Tréogen war ein ernstzunehmender Gegner – er konnte offenbar immer überraschend auftauchen und zuschlagen.
Bist du sicher?
Ich überging den Einwand kommentarlos. Das Letzte, was ich jetzt wollte, war eine von vornherein fruchtlose Diskussion über die Möglichkeiten unserer Widersacher. Ohnehin empfanden viele von uns die Äquatorialstation als unheimlich.
Das ist ein subjektiver Eindruck, der durch keine beweisbaren Tatsachen belegt werden kann.