Tom Hodgkinson & Dan Kieran (Hrsg.)
DAS BUCH
DER HUNDERT
VERGNÜGUNGEN
Illustriert von
Stephanie F. Scholz
Aus dem Englischen von
Michael Hein
1. Auflage, August 2013
Copyright © Tom Hodgkinson, Dan Kieran & Ged Wells 2008
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel The Book of Idle Pleasures bei Ebury Press, einem Imprint von Ebury Publishing, eine Random House Group Company.
Für die deutsche Ausgabe
© 2013 by Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin
ISBN 978-3-95403-020-0
E-Book ISBN: 978-3-95403-034-7
www.rogner-bernhard.de
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Internet, auch einzelner Text- und Bildteile.
Lektorat: Ida Thiemann
Einbandgestaltung: Chrish Klose/Wednesday-Paper Works
Einbandabbildung: © Stephanie F. Scholz
Layout und Herstellung: Leslie Driesener, Berlin
Gesetzt aus der Stempel Garamond
durch omnisatz GmbH, Berlin
E-Book Konvertierung: Calidad Software Services, Pondicherry, Indien
INHALT
Einleitung
DIE VERGNÜGUNGEN...
Ein Bad nehmen
Das Feuer schüren
Herumlümmeln
Blätter fangen
Der Balkon
Warten, dass der Tee zieht
Herumdümpeln
Baumhäuser
Durch die Stadt flanieren
Zaudern
Rauchen
Der Liegestuhl
Ein Nickerchen machen
Déjà vu
Die Parkbank
Sich auf dem Oberdeck des Busses zurücklehnen
Am Strand
Nur mal umschauen
Melancholie
Mit kleinen Kindern spazieren gehen
Singen
Sonnenstrahlen
Streichhölzer in Gemüse stecken, um daraus Gemüsemonster zu machen
Karten betrachten
Am Wegrand Essen sammeln
Die Wäsche aufhängen
Krank sein
In den Kleidern schlafen
Auf dem Klo sitzen
Grotten
Um die Wette Grimassen schneiden
Briefe nicht öffnen
Auf Bäume klettern
Lästern
Gedichte lesen
Den Neuheitenkatalog durchblättern
Draußen schlafen
Träumen
Geschichten erzählen
Den Wind in den Haaren spüren
Aus dem Fenster starren
Der Morgenmantel
Herbstliches Niesen
Mit dem Postboten plaudern
Die Namen der Bäume lernen
Einen Brief schreiben
Einen Luftsprung machen
Kastanien
Ein Kartenspiel
In alten Kirchen herumwandern
Schatten beobachten
Der Gartenschuppen
Sitzblockaden
Die Betrachtung von Dingen, die fliegen
Luftpolsterfolie platt drücken
Pfeifen
Sex am Morgen
Kleider machen Leute
Lächeln
Stillen
Bibliotheken
Vergessen
Kritzeln
Pantoffeln
Gähnen
Angeln
Auf und ab gehen
Steine hüpfen lassen
Fröhlich sein
Im Gras liegen
Zuschauen, wie der Fluss fließt
Schmetterlinge fangen
Abtauchen
Wolken beobachten
Schnee
Blumen
Im Secondhandladen
Sich auf ein Gatter lehnen
Mit dem Nachtzug fahren
Schnitzen
Zusehen, wie der Hagel aufs Pflaster prasselt
Sterngucken
Vögel beobachten
Klatsch
An der Wand lehnen
Sich herausputzen
Philosophieren
Auf einem Grashalm kauen
In guter Gesellschaft
Kartenhäuser bauen
Radfahren
Tanzen
Schallplatten sortieren
Im Waschsalon
Sich nass regnen lassen
Grabsteine lesen
Papier falten
Betrunken nach Hause gehen
Mit dem Hund rausgehen
In einer Hängematte liegen
Die Autoren
EINLEITUNG
Das Leben duldet keinen Aufschub; wo ein Genuss
zu haben ist, da ist es stets bereit dafür.
Samuel Johnson
Ziel dieses Buches ist es zu beweisen, dass die besten Dinge im Leben tatsächlich kostenlos zu haben sind. Seit rund zweihundert Jahren sind wir im Westen von der fixen Idee besessen, dass Spaß eine teure Sache sei. Wir placken uns mit Arbeiten ab, die uns überhaupt keine Freude machen, um auf diese Weise Geld zu verdienen, damit wir Dinge tun können, die uns Spaß machen. Nun, das müßige, kostenfreie Vergnügen hilft Ihnen dabei, diesem kostspieligen, enttäuschenden Irrtum zu entkommen. Das müßige Vergnügen hilft uns, auf elegante Weise dem Gedränge und Gehetze der Welt des angestrengten Schuftens und Shoppens zu entgehen und stattdessen in eine Welt der Freude und Freiheit einzutreten. Sich einem Vergnügen aus purer Lust daran hinzugeben ist vielleicht sogar ein Akt der Rebellion, was ihm einen gewissen zusätzlichen Reiz verleiht. Seit Martin Luther und all den freudlosen Puritanern nach ihm hat sich die protestantische Kirche gegen Vergnügungen ausgesprochen, weil sie zum ernsthaften Geschäft der Erlösung und des Geldverdienens nichts beitragen. Vergnügen, insbesondere wenn man nichts dafür bezahlen muss, ist in höchstem Maße nutzlos. Es trägt nichts zum Wirtschaftswachstum bei. »Das Verbrechen des Müßiggangs wird von dem Augenblick an vergeben, in dem es zum Konsum anregt«, schreibt der belgische Philosoph Raoul Vaneigem in Das Buch der Lüste. Und er fährt fort: »Nicht um weniger zu leiden, sondern um besser zu genießen, will ich kämpfen.«
Müßige Vergnügungen haben mit Selbstbestimmtheit, Freiheit und Unabhängigkeit zu tun. Wenn wir im Sommer unter den Bäumen im Park ohne Gewissensbisse ein Nickerchen machen, dann beanspruchen wir damit unser Recht darauf, so zu leben, wie wir wollen. Wenn wir ganz ohne Eile einen Bummel durch die Stadt machen und dabei allein dem Treiben des Lebens zuschauen, ohne dem Drang zum Kaufen nachzugeben, dann protestieren wir auf genussvolle Weise gegen die Arbeits- und Konsumgesellschaft.
Müßige Vergnügungen können uns auch wieder in Kontakt zur Natur bringen. In den letzten zwei bis drei Jahrhunderten bestand das große Ziel des Menschen darin, an der Natur alles das abzulehnen, was ihm nicht gefällt. Das ist der Grund, weshalb es Klimaanlagen, Zentralheizungen, Beton, Autos und soziale Netzwerke im Internet gibt. Diese vom Menschen erfundenen Dinge sind alle dazu angelegt, die schmuddelige Natur zu umgehen. Es sind Versuche, eine schöne neue Welt zu schaffen, in der man das Altern aufhalten kann und in der es Schmutz und Kälte nicht gibt.
Müßiggänger hingegen lieben die Natur. Sie kostet nichts und tut gut. Etwas so Einfaches, wie am Strand einen Stein über das Wasser hüpfen zu lassen, bringt uns auf den Boden der Erde zurück. Niemand muss den Stein dazu kaufen oder das Wasser mieten oder einen Kurs absolvieren, wie man Steine hüpfen lässt. Es gibt Steine genug. Ja, die Idee zu diesem Buch entstand, als Ged Wells und ich in der Woody Bay saßen, von meiner Wohnung aus der nächstgelegene Strand, und darüber philosophierten, dass die Natur alles kostenlos bereithält, während von Menschenhand gemachte Vergnügungen sehr teuer sind. Außerdem war uns aufgefallen, dass fernab von jedem Geschäft die Kinder weder stritten noch herumjammerten oder uns anbettelten, wir sollten ihnen etwas kaufen: Es gab genug Meer und Sand für alle, weshalb sich niemand darum zu streiten brauchte.
Müßige Vergnügungen sind zudem äußerst ökologisch. Nichts schädigt die Umwelt weniger, als nichts zu tun. Auf einer Wiese zu liegen und in den Himmel zu blicken kann man als eine geradezu planetenerhaltende Tat betrachten. Die Neigung des Menschen, sich überall einzumischen, und sein tragischer Tatendrang sind die Gründe für das gierige Abzapfen der Öle und Gase dieser Erde.
Wir sollten uns wieder anschauen, wie es früher gemacht wurde. Allzu oft wird jeder, der sich auf der Suche nach Ideen, wie man heute leben könnte, mit der Geschichte beschäftigt, als Romantiker oder Nostalgiker abgestempelt. Ich hingegen möchte behaupten, das Gegenteil zu tun, also an die Zukunft zu glauben, ist völlig unvernünftig. Die Zukunft ist noch nicht passiert und bleibt deshalb etwas ganz und gar Abstraktes. Und führt denn ein Sammelsurium von technischen Spielereien, die vermeintlich Arbeit sparen, wirklich dazu, dass Arbeit eingespart wird? Führen diese ganzen Apparate, die kurzen Prozess machen sollen mit der lästigen Plackerei, nicht in Wirklichkeit dazu, dass sich unser Arbeitspensum erhöht, weil wir dann nämlich, mit den Worten eines modernen Marktstrategen zu sprechen, von uns »mehr Leistung« erwarten? Die alte Idee, selbst für seinen Spaß zu sorgen, seine eigene Fantasie und Kreativität dafür einzusetzen, statt jemand anderen dafür zu bezahlen, ist meiner Meinung nach die vernünftigere Herangehensweise. Und was könnte einfacher sein und mehr Freude machen, als sich auf eine Gartenpforte zu lehnen? Ich sage Ihnen, Sie werden entdecken, worauf es wirklich ankommt im Leben.
In einer Welt voll Stress und Ärger und pausenloser Schufterei kann das müßige Vergnügen uns dabei helfen, wieder zu leben und Freude daran zu haben, unserer angeborenen Liebe zur Natur, zur Sinnlichkeit und zur Geselligkeit zu frönen, ohne uns den Rücken zu ruinieren oder eine Bank zu überfallen. Lasst uns die Fesseln des modernen Lebens abschütteln und uns ganz dem Vergnügen hingeben. Das ist das Wahre.
Tom Hodgkinson
North Devon, Februar 2008
DIE VERGNÜGUNGEN …
EIN BAD NEHMEN
In einer Welt der »Power-Duschen« und der belebenden »Glücksrausch«-Duschgel-Produkte für den modernen Karrieremenschen tut man gut daran, sich der einfachen Vergnügung eines ausgiebigen, wohltuenden Bades zu erinnern, für das man vorzugsweise gegen elf am Morgen in die Wanne steigt, wenn alle in den Fabriken schuften und Sie sich telefonisch krankgemeldet haben. Folgen Sie der mittelalterlichen Tradition und füllen Sie das Bad mit duftenden Kräutern und Rosenblüten. Laden Sie Ihre Geliebte zu sich in die Wanne. Bleiben Sie viel zu lange in der Wanne und lassen Sie regelmäßig heißes Wasser nachlaufen, indem Sie den Drehknopf mit dem Fuß bedienen, weil Sie einfach zu faul sind, um sich aufzusetzen und es mit der Hand zu tun. Liegen Sie bloß da und schauen Sie zur Decke, bis Sie beinahe – aber nicht ganz – sanft ins Land der Träume entschlummern, völlig entspannt, während der Schaum um Sie herum langsam in die Höhe steigt und der Arbeitsalltag zur Bedeutungslosigkeit verblasst.
TH
DAS FEUER SCHÜREN