Inhalt

Einleitung

Typisch Krimi | Das leere Zimmer

Erstes Kapitel

Grundlagen | Der erste feste Punkt: Verbrechen, Ort, Figur | Das Figuren-Persönlichkeits-Modell

Zweites Kapitel

Grundlagen | Krimi-Genre Formen | Spannung | Das Beziehungsdreieck

Drittes Kapitel

Krimi ‚von der anderen Seite‘ | Text Kurz-Krimi „Ein grausiger Fund“

Viertes Kapitel

Krimi ‚von der anderen Seite‘ | Der Täter | Das Motiv | Der Tat-Auslöser | Das Verbergen | Warum Täter werden? | Die allseits beliebten Psychopathen

Fünftes Kapitel

Ermittler-Krimi | Eine rätselhafte Tat | Zwei Fragen | Das Opfer

Sechstes Kapitel

Ermittler-Krimi | Der Ermittler: seine Fähigkeiten | Das Netz der Rollen | Die Reise in die Unterwelt | Entwicklung des Ermittler-Helden | Entwicklung oder Wandlung?

Siebtes Kapitel

Ermittler-Krimi | Falsche Fährte | Das Ende

Achtes Kapitel

Ermittler-Krimi | Ursache und Wirkung | Die Drei Akt Struktur | Die Ermittler-Krimi-Matrix

Neuntes Kapitel

Stil | Perspektiven

Zehntes Kapitel

Verbrechen und Schreiben | Blut für Blut | Gegen das Gesetz

Material

„Warum?“ von Mara Schmitz

„Ein grausiger Fund“ von Petra Steuber

Einleitung

Typisch Krimi | Das leere Zimmer

>Wie du mir, so ich dir<
Sprichwort

An einem glutheißen Nachmittag im Sommer, nachdem Rudi Carrell mit seinem Hit „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer“ die Hitze heraufbeschworen hatte, drangen Andy Zimmerling und die beschränkten Brüder Volker und Stefan Brand in unser Versteck am Tümpel ein.

Mein Bruder und ich hockten nach der Schule an dem kleinen Teich, hielten unsere Füße ins trübe Wasser und bildeten uns Kühlung ein, während die Mücken unermüdlich ihren Tanz aufführten. Doch dann kündigten laute und bösartig klingende Stimmen das Ende des müßigen Nachmittags an. Andy Zimmerling hatte uns aufgespürt. Er und die Brüder Brand vertrieben uns, warfen unsere Sachen in den modrigen Teich, drückten ihre Zigaretten auf der Matratze aus und hinterließen abartige Sprüche auf den Wänden unseres Unterschlupfes. „Die Schweine sollte man…“, rief mein Bruder, als wir uns mit den Folgen ihres Verbrechens an unserem Eigentum und Territorium konfrontiert sahen. Steuber stinkt und ist doof, stand in krakeligen Buchstaben an der Holzwand. Wer von uns gemeint war, darüber sagte die Schmähung nichts aus. Trotzdem tat es weh, und um uns nicht mehr ganz so ohnmächtig zu fühlen, begannen wir während der Aufräumarbeiten uns wüste Gegenschläge auszudenken, die allesamt in einem sehr qualvollen Tod der drei ihren Höhepunkt fanden.

Sich Verbrechen auszudenken kann befreiend wirken. Es ging uns dabei nie darum, diese grausigen Vergeltungen wirklich zu begehen, - das wäre sowieso in jeder Hinsicht ein undurchführbares Unterfangen gewesen, denn wir waren Grundschüler, während Andy und Konsorten sich mit den Zigaretten, die sie angestrengt rauchten, die pubertären Fusselbärte verbrannten. Wir fühlten uns nach dem Spinnen einer solchen Geschichte irgendwie besser, es war fast so, als wäre es tatsächlich passiert und die Gerechtigkeit wäre wieder hergestellt. Darüber hinaus machte es auch noch auf eine seltsam kribblige Weise Spaß.

Was das für Geschichten waren, das überlasse ich jetzt deiner grausame Blütentreibenden Phantasie, liebe Leserin und lieber Leser. Dass du darüber verfügst, davon gehe ich aus, denn schließlich liest du gerade ein Buch zum Thema Krimi-Schreiben. Falls es dir in dieser Hinsicht an Vorstellungskraft mangelt, überlege, ob nicht eher Liebesgeschichten „dein Ding“ sind. Alle anderen heiße ich herzlich Willkommenen in der Welt des gut geplanten Schreckens.

„Warum schreibst du Krimis?“, frage ich viele Jahre nach dem Erlebnis am Teich meinen Freund Nick. Wir teilen uns ein „Büro“ – eigentlich ein ehemaliger Obst & Gemüse Laden mit einem großen Schaufenster in dem wir nachdenken und schreiben. Sein Schreibtisch steht meinem gegenüber und so sehe ich seinen verwirrten Blick, als er von seiner Arbeit aufblickt.

„Weiß nicht, reicht dir sicher nicht als Antwort“, sagt er und beginnt an einem Textmarker zu kauen, denn er war gerade mitten in der Planungsphase für einen Fernseh-Krimi. Die Wand hinter ihm ist gespickt mit Zetteln.

„Ich mag die Spannung, die entsteht, wenn man was Spannendes macht“, sagt er, grinst kurz und wendet sich dann wieder dem Ordnen seiner Ideen zu. Nick ist ein ‚Anpinner‘, er arbeitet, indem er alles an die Wand bringt, was ihm wichtig erscheint. Er markiert Ideen zu den Figuren, ihren Motiven, ihren Verhaltensweisen, alle Handlungspunkte und Erzähl-Ebenen und was es sonst noch zu bedenken gibt in unterschiedlichen Farben. Ich habe sein System nie wirklich durchschaut nachdem er die Geschichte bis in jede Wendung baut, bevor er sich hinsetzt und die erste Zeile schreibt.

Ich arbeite hingegen viel im Kopf, d.h. in meiner Vorstellung lasse ich die Texte entstehen, sortiere sie um und plane neu. Ich mache mir mittlerweile nur wenige Notizen – das war früher anders – da ich gemerkt habe, dass ich Dinge, die ich notiere irgendwie „verliere“. Um zu einer Krimi-Geschichte (oder zu einem Text über Krimis) zu finden hat jeder seine eigene Methode, die das Ergebnis von Fehlversuchen, überraschenden Triumphen, Vorlieben und Talenten ist.

Genauso wie das Schreiben als ein persönlicher und individueller Prozess aufgefasst wird, kann man auch von einem Handwerk des Schreibens sprechen. Beides trifft zu. Auf dem Weg von der ersten Idee zur Geschichte geschehen eigenartige Dinge und Merkwürdigkeiten, die man weder gut erklären, noch durch irgendeine Formel darstellen kann. Trotzdem gibt es für das Schreiben Systeme und Regeln, ohne deren Beherrschung man nie über das Stadium der Zufalls-Produkte hinauskommen wird. Schreiben beinhaltet, wie jede Kunst, beides: Handwerk und Geheimnis. Mit dem Geheimnis muss sich jeder selber zurechtfinden, dazu lässt sich beim besten Willen nichts raten. Das Handwerk kann und sollte erlernt werden, allein schon deswegen, damit man den bekannten Spruch anwenden kann: nur wer die Regeln kennt, kann sie brechen.

Beginnt man mit dem Schreiben, ist es so, als stünde man vor der Aufgabe ein leeres Zimmer einzurichten. Man hat dieses große leere Zimmer und weiß nicht so recht wie und was man alles machen kann. Man hat viele Ideen gesammelt und auch schon in vielen Zeitschriften Bilder gesehen, wie solche Zimmer aussehen können. Man ist inspiriert aber auch verwirrt, ob der unendlichen Möglichkeiten. Dann ist es hilfreich erst einmal mit Bett, Tisch und Stuhl anzufangen. Das geht immer, das hat sich bewährt. Später, wenn man sich sicher fühlt und das Konzept von Tisch und Bett verstanden hat, beginnt man zu experimentieren, Fehler zu machen, daraus zu lernen und seinen eigenen Stil zu finden. Am Ende hat man ein Zimmer voller Hocker, Standuhren und Gras und findet‘s super.

Ob Liebesdrama, Coming-of-age Geschichte oder Krimi: Nach dem Geistesblitz verbringt man viel Zeit mit „Rumspinnen“ und Tagträumen, danach präzisiert man die Idee, sortiert den Stoff, entwickelt Figuren und Handlung. All das Handwerkszeug, was nötig ist, um die Stationen im Schreibprozess erfolgreich zu meistern, wurde in den Schreibbegleitern I – IV ausführlich vorgestellt. Daher werde ich hier kaum auf das Allgemeine eingehen. Außer, wenn’s für das Verständnis nötig ist, na klar, dann schon. Und keine Sorge, auch ohne die ersten Teile gelesen zu haben, gibt es hier Werkzeug, Überblick und reichlich Input.

Allerdings muss der Wunsch nach einem Erfolg garantierenden Ablaufplan oder dem ultimativen Rezept für einen spannenden Krimi, der durchaus verständlich ist, gleich hier in der Einleitung enttäuscht werden. Besser jetzt als später. Da Autoren in ihren Denk,- und Arbeitsweisen recht verschieden sind, würde ein Plan à la „so macht man das“, vielleicht einigen nützen, ganz vielen aber nicht. Jeder Autor „bastelt“ sich letztlich seinen eigenen Plan nach dem Motto „So mache ich das“ zusammen.

Um zu einem individuellen Ansatz und Umgang mit dem Krimi-Schreiben finden zu können, ist es unumgänglich all die Elemente kennenzulernen, die eine Geschichte zu einem Krimi machen. Daher versteht sich der Schreibbegleiter eher als eine Material-Sammlung zum Krimi-Schreiben, als eine Step by Step Anleitung. Denn aus eigener Erfragung weiß ich, dass kreative Menschen garantiert auf Stur schalten, sobald man beginnt ihnen Vorschriften zu machen. Ich mache ein Angebot indem ich Systeme, Regeln und Modelle, aus meinem Wissen und meinen Erfahrungen zu Verfügung stelle, und dieses Angebot funktioniert nach dem Prinzip: kann, muss aber nicht. Du entscheidest, was für dich wichtig ist.

In diesem Teil des Schreibbegleiters kommen die Dinge zur Sprache, die krimi-typisch sind. Die erzählerischen Grundelemente des Genres werden vorgestellt, das fatale Beziehungsdreieck Opfer – Täter – Ermittler beleuchtet und die Eigenschaften und Hintergründe, die nötig sind um diese Figuren zu erschaffen. Zwei Kurz-Krimis, dienen als Anschauungsmaterial für die beiden großen Krimi-Formen, die das Genre ausmachen: der Ermittler-Krimi und der Krimi ‚von der anderen Seite‘, der der Frage nach dem Wesen des Verbrechens nachgeht.

Ein Kurz-Krimi trägt den Titel „Ein grausiger Fund“, er stammt aus meiner Feder und wurde 2003 auf dem Krimifestival Tatort-Eifel mit dem „Deutschen Kurz-Krimi-Preis“ ausgezeichnet. Das zweite Beispiel, der Kurz-Krimi „Warum?“, stammt von Mara Schmitz, die mit dieser ungewöhnlichen Geschichte den „Junge Autoren Award – 2014“ gewann. Sie war, als sie den Krimi schrieb, siebzehn Jahre alt und ist nun auf dem Weg ihren ersten Krimi–Roman zu schreiben.

Ein Kurz-Krimi ist eine Art Krimi-Konzentrat, daher eignet sich diese Form sehr für Schreibanfänger, denn die Grundlagen für lang und kurz sind dieselben und man kommt schneller zu einem vorzeigbaren Ergebnis, als wenn man sich vorgenommen hat einen Krimi in Romanlänge zu schreiben. Kurz-Krimis – ja Kurz-Geschichten generell - sind zum Ausprobieren ideal, denn ein „ganzer“ Roman kann überfordern und vielleicht verliert man vor lauter Nicht-fertig-werden die Lust an einer Sache, die einem im Grunde Spaß macht. Das wäre dumm und unnötig.

„Willst du nicht noch Andy Zimmerling danken?“, fragt Nick plötzlich.

„Wofür? Dafür, dass er uns in Angst und Schrecken versetzt hat?“, sage ich bitter. „Oder weil wir nie vor ihm sicher waren, weil er meinen Bruder und mich dazu gebracht hat Rachepläne zu schmieden und weil ich immer auf der Hut war, oder was…?“

„Ganz genau“, sagt Nick, und für einen kurzen Moment wallt „gerechter“ Zorn in mir auf, doch dann denke ich darüber nach. So wie der Rowdy aus der nahegelegen Siedlung meinen Bruder und mich zum Geschichten-Erfinden angeregt hat, so hat sicher jeder Autor in der ein oder anderen Form seinen „Andy Zimmerling“, - das, was ihn dazu bewegt einen Krimi zu schreiben.

Man kann nicht immer genau sagen, was es ist. Vielleicht ist es auch nicht notwendig es zu ergründen – doch versuchen sollte man es. Denn wie ein Verbrecher ein Motiv hat, und ein Ermittler seine Methoden, so hat einer der schreibt seine innere Antriebskraft. Man muss sie nicht kennen – und solange sie einen dazu bringt, zu lernen, nachzudenken, zu probieren, nach dem Scheitern wieder aufzustehen, seine Figuren und Leser ernst zu nehmen und das zu schreiben, was einem wichtig ist, solange ist Unkenntnis des eigenen Antriebs kein Problem. Denkt man allerdings, man wüsste schon alles, befolgt Regeln ohne zu prüfen ob sie zu einem passen, fühlt sich Scheitern wie der Weltuntergang an und glaubt man, dass einen alle lieben, wenn man nur genug Erfolg hat, sollte man seine Antriebskraft unter die detektivische Lupe nehmen.

>Am späten Abend des 25. Mai 1994 wurde der mehrfach wegen Raubes und Körperverletzung vorbestrafte Andreas Z. (33) von einem Kumpan im Streit erschlagen. Über den genauen Grund des Streits ist noch nichts bekannt, Eifersucht soll das Motiv gewesen sein.<

(Randspalten-Meldung aus der Zeitung – das Ende von Andy Zimmerling?)