Ken
mit Lara Hoffmans
Börsen-Mythen
enthüllt
für Anleger
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
The Little Book of Market Myths: How to Profit by Avoiding the Investing Mistakes
Everyone Else Makes
ISBN 978-1-118-44501-3
eISBN 978-3-864-70158-0
Copyright der Originalausgabe 2013:
Copyright © 2013 by Fisher Investments. All rights reserved.
This translation published under license with the original publisher
John Wiley & Sons, Inc.
Copyright der deutschen Ausgabe 2013:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Egbert Neumüller
Gestaltung Cover: Johanna Wack
Gestaltung, Satz und Herstellung: Martina Köhler
Lektorat: Elke Blanek
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-128-3
Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.
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Vorwort
Kapitel 1
Anleihen sind sicherer als Aktien
Kapitel 2
Faustregeln für die Asset Allocation
Kapitel 3
Volatilität und nur Volatilität
Kapitel 4
Volatiler denn je
Kapitel 5
Der Heilige Gral – die Bewahrung und Mehrung des Kapitals
Kapitel 6
Der Crash aufgrund der Diskrepanz zwischen BIP und Börse
Kapitel 7
Immer und ewig zehn Prozent!
Kapitel 8
Hohe Dividenden für ein sicheres Einkommen
Kapitel 9
Die dauerhafte Überlegenheit von Small-Cap-Value-Aktien
Kapitel 10
Warten Sie, bis Sie sicher sind
Kapitel 11
Stoppkurse stoppen Verluste
Kapitel 12
Hohe Arbeitslosigkeit ist für Aktien tödlich
Kapitel 13
Das überschuldete Amerika
Kapitel 14
Dollar stark, Aktien stark
Kapitel 15
Turbulenzen irritieren die Aktien
Kapitel 16
Nachrichten, die man nutzen kann
Kapitel 17
Zu schön, um wahr zu sein
Anmerkungen
Danksagungen
Über die Autoren
Sich selbst infrage zu stellen ist schwierig.
Es ist sogar eines der schwierigsten Dinge, die wir tun (oder eher nicht tun). Die Leute stellen sich nicht gern selbst infrage. Wenn wir uns selbst hinterfragen, merken wir vielleicht, dass wir uns irren, was Erniedrigung und Leid mit sich bringt. Und die Menschen haben sich über Jahrtausende so entwickelt, dass sie unzählige und oft irrationale Schritte unternehmen, um bereits die Gefahr von Erniedrigung und Leid zu vermeiden.
Unseren Urahnen haben diese Instinkte wahrscheinlich dabei geholfen, nicht von wilden Tieren zerfleischt zu werden und in langen Wintern nicht zu verhungern. Aber diese tief eingeprägten Instinkte sind oft genau das Falsche, wenn es um moderne Probleme wie etwa die Kapitalmärkte geht, die häufig der Intuition widersprechen.
Ich sage oft, der Anlageerfolg besteht zu zwei Dritteln aus der Vermeidung von Fehlern und zu einem Drittel daraus, dass man etwas richtig macht. Wenn man Fehler vermeidet, kann man seine Fehlerquote senken. Allein das dürfte die Ergebnisse schon verbessern. Wenn man Fehler vermeiden und dazu noch gelegentlich etwas richtig machen kann, ist man wahrscheinlich besser als die meisten anderen. Besser als die meisten Profis!
Vielleicht meinen Sie, es sei leicht, Fehler zu vermeiden. Man braucht ja einfach keine Fehler zu machen! Aber wer macht diese schon absichtlich? Anleger machen die Fehler nicht, weil sie wissen, dass es Fehler sind. Sie machen sie, weil sie sie für kluge Entscheidungen halten. Entscheidungen, die sie schon viele Male getroffen haben und die sie bei anderen klugen Menschen gesehen haben. Sie meinen, sie würden die richtigen Entscheidungen treffen, weil sie diese nicht infrage stellen. Denn welchen Sinn hat es denn, etwas infrage zu stellen, das „jeder weiß“? Oder etwas, das dem gesunden Menschenverstand entspricht? Oder etwas, das man von jemandem gelernt hat, der angeblich klüger ist als man selbst?
Das wäre Zeitverschwendung, oder?
Nein! Man sollte immer alles infrage stellen, was man zu wissen glaubt. Nicht nur einmal, sondern jedes Mal, wenn man eine Anlageentscheidung trifft. Das ist nicht schwer. Nun ja, jedenfalls ist es sachlich gesehen nicht schwer, aber emotional und instinktiv kann es durchaus schwer sein. Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Sie stellen fest, dass Sie die ganze Zeit richtiglagen, und das macht Freude. Dann entsteht kein Schaden. Keine Erniedrigung!
Oder aber Sie stellen fest, Sie haben sich geirrt. Und nicht nur Sie, sondern weite Teile der Menschheit, die an eine falsche Wahrheit glauben – genau wie Sie es getan haben! Dann haben Sie einen Mythos aufgedeckt. Und wenn man feststellt, dass etwas, was man bislang für wahr hielt, in Wirklichkeit ein Mythos ist, hält einen das von einem womöglich kostspieligen (vielleicht wiederholten) Fehler ab. Das ist nicht erniedrigend, sondern schön. Und möglicherweise gewinnbringend.
Die gute Nachricht: Wenn Sie einmal angefangen haben, Fragen zu stellen, wird es immer leichter. Vielleicht glauben Sie, das sei unmöglich. Denn wenn es leicht wäre, würden es dann nicht alle tun? (Die Antwort: Nein, die meisten Menschen gehen lieber den leichten Weg, nie Fragen zu stellen und nie erniedrigt zu werden.) Aber Sie können – und sollten – alles und jedes infrage stellen. Fangen Sie mit den Dingen an, die Sie in der Zeitung lesen oder aus dem Fernsehen erfahren und die Sie einfach hinnehmen. Wenn Sie diese hinterfragen, finden Sie vielleicht eine Wahrheit, der Sie nie groß nachgeforscht haben, wenn überhaupt.
Ein Beispiel ist die fast allgemeine Überzeugung, hohe Arbeitslosigkeit sei schlecht für die Wirtschaft und für die Börse tödlich. Ich kenne niemanden, der das Gegenteil sagt – hohe Arbeitslosigkeit führe nicht in den wirtschaftlichen Untergang. Doch wie ich in Kapitel 12 zeige, ist die Arbeitslosigkeit wahrscheinlich ein später, verzögerter Indikator und deutet nicht auf die künftige Entwicklungsrichtung der Konjunktur oder der Märkte hin. Und erstaunlicherweise beginnen Rezessionen dann, wenn sich die Arbeitslosigkeit ganz oder fast in einer zyklischen Talsohle befindet, nicht umgekehrt. Die Zahlen beweisen es – und fundamental ergibt das auch einen Sinn, sobald man anfängt, wie ein Vorstandsvorsitzender zu denken (was ich in diesem Buch erkläre). Hier handelt es sich um einen Mythos, den ich anhand von Zahlen widerlege, die man ziemlich leicht aus öffentlich zugänglichen Quellen bekommt. Zahlen, die öffentlich verfügbar und leicht zu beschaffen sind! Aber da nur wenige diesen Mythos infrage stellen, kann er sich halten.
Dieses Buch behandelt einige der am weitesten verbreiteten Markt- und Wirtschaftsmythen – die regelmäßig zu einer falschen Sicht der Menschen auf die Welt und damit zu Anlagefehlern führen. Etwa, die Vereinigten Staaten hätten zu viele Schulden, die Asset Allocation sollte vom Lebensalter bestimmt werden, Aktien mit hohen Dividenden könnten ein verlässliches Renteneinkommen liefern, Stop-Losses würden tatsächlich Verluste stoppen und vieles mehr. Über vieles davon habe ich schon in früheren Büchern geschrieben, aber hier sammele ich die meines Erachtens kuriosesten Mythen. Ich behandle sie ausführlich, betrachte sie aus einem anderen Blickwinkel oder anhand aktuellerer Zahlen.
Außerdem habe ich ganz einfach deshalb schon früher über viele dieser Mythen geschrieben, weil sie so weit verbreitet sind und die Menschen so stark und irrtümlich an sie glauben. Ich nehme an, hier über sie zu schreiben, wird nicht viele (oder gar die wenigsten) von ihnen überzeugen, dass die Mythen falsch sind. Die meisten Menschen bevorzugen den leichten Weg und die Mythologie. Das ist auch in Ordnung so. Denn Ihnen ist vielleicht die Wahrheit – die Ihnen einen Vorteil verschafft – als Weg lieber, Investmententscheidungen zu vermeiden, die nicht auf solider Analyse und/oder fundamentaler Theorie basieren, sondern auf einem Mythos, den jedermann einfach so glaubt.
Jedes Kapitel des Buches ist einem Mythos gewidmet. Springen Sie hin und her! Lesen Sie sie alle oder nur diejenigen, die Sie interessieren. In beiden Fällen hoffe ich, dass Ihnen das Buch dazu verhilft, Ihre Anlageergebnisse zu verbessern, indem es Sie die Welt ein bisschen klarer sehen lässt. Und ich hoffe, die darin enthaltenen Beispiele regen Sie dazu an, selbst ein bisschen Detektivarbeit zu leisten und noch mehr Börsen-Mythen aufzudecken.
Sie werden in den Kapiteln schnell ein paar allgemeine Herangehensweisen bemerken. Diese sind sozusagen Bedienungsanleitungen für die Aufdeckung von Mythen. Zu den Taktiken, die ich immer wieder verwende, um die Mythen bloßzulegen, gehören unter anderem:
• Einfach fragen, ob etwas wahr ist. Das ist der erste grundlegende Schritt. Wenn Sie den nicht gehen, können Sie nicht zu den späteren Schritten übergehen.
• Gegen die Intuition angehen. Wenn etwas „jeder weiß“, fragen Sie sich, ob vielleicht das Gegenteil zutreffen könnte.
• Historische Daten überprüfen. Vielleicht sagtjeder, gerade sei XYZ passiert und das sei schlimm. Oder es wäre viel besser gewesen, wenn ABC passiert wäre. Das stimmt vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Sie können anhand vergangener Ereignisse überprüfen, ob XYZ zuverlässig zum Schlechten oder ABC zum Guten geführt hat. Dafür stehen Ihnen reichlich historische Daten zur Verfügung!
• Einige einfache Korrelationen durchgehen. Wenn alle glauben, X würde Y verursachen, können Sie überprüfen, ob das immer so ist, ob das manchmal so ist oder nie so ist.
• Den Maßstab ändern. Wenn eine Zahl unglaublich erschreckend und groß erscheint, stellen Sie sie in den richtigen Zusammenhang. Dann schrumpft die Angst vielleicht auf die passende Größe.
• Global denken. Die Menschen halten die Vereinigten Staaten häufig für eine Insel. Sind sie aber nicht – die Vereinigten Staaten werden massiv von dem beeinflusst, was außerhalb ihrer Grenzen geschieht. Und Anleger auf der ganzen Welt haben oft ähnliche Ängste, Motivationen et cetera.
Es gibt eine Menge Mythen, denen Anleger zum Opfer fallen – ich könnte sie hier niemals alle behandeln. Aber wenn man die Schönheit und Kraft des Fragens im Laufe der Zeit verinnerlichen kann, dürfte man sich von schädlichen Mythen weniger zum Narren halten lassen und bessere langfristige Ergebnisse erzielen. Legen wir also los.
Sie haben diese Aussage schon so oft gehört, dass Ihnen gar nicht in den Sinn kommt, es könne sich lohnen, sie zu überprüfen. Da den meisten Anlegern das Jahr 2008 noch frisch im Gedächtnis ist, könnte es als Sakrileg erscheinen, sie überhaupt infrage zu stellen. (Und noch eine verhaltensbedingte Eigenheit: Die Aktien sind in den Jahren 2009 und 2010 enorm gestiegen, 2011 haben sie stagniert und 2012, während ich dies schreibe, steigen sie wieder. Aber die schwachen Erträge von vor fünf Jahren nehmen in unserem Gehirn einen viel größeren drohenden Platz ein als die vier Jahre danach mit insgesamt positiven Renditen.)
Aber gerade Überzeugungen, die derart weithin, auf breiter Front und allgemein geteilt werden, erweisen sich am Ende als schlicht falsch – sogar als verdreht.
Also schießen Sie los und fragen Sie sich: „Sind Anleihen wirklich sicherer?“
Und anfangs mag es einleuchtend erscheinen, dass es sicherer ist, sich mit Anleihen abzumühen als mit Aktien, die grundsätzlich wild schwanken. Ich aber sage, die Frage, ob Anleihen sicherer sind oder nicht, hängt davon ab, was man mit „sicher“ meint.
Dafür gibt es nämlich keine exakte Definition – es gibt also einen riesigen Interpretationsspielraum. Vielleicht meint eine Person mit „sicher“, dass die erwartete kurzfristige Volatilität geringer ist. Keine Schwankungen! Eine andere Person meint mit „sicher“ vielleicht, dass sie langfristige Ziele mit höherer Wahrscheinlichkeit erreicht – wofür eine höhere kurzfristige Volatilität nötig sein kann.
Die Menschen machen oft den Fehler, zu meinen, Anleihen seien nicht volatil. Dem ist aber nicht so. Auch die Preise von Anleihen schwanken. Und ihre Preise bewegen sich entgegengesetzt zu den Zinsen. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Preise neulich begebener Anleihen und umgekehrt. Darum schwanken die Preise von Anleihen Jahr für Jahr nach unten und oben, wenn die Zinsen diverser Anleihekategorien nach oben und unten schwanken. Manche Anleihekategorien sind volatiler als andere, aber es kann in jedem Jahr vorkommen, dass Anleihen negative Renditen haben – sogar US-Schatzanleihen.
Aber insgesamt, als breite Kategorie betrachtet, sind Anleihen normalerweise nicht so volatil wie Aktien – über kürzere Zeiträume.
Das ist eine wichtige Einschränkung. Über kürzere Zeiträume, also etwa über ein Jahr, auch noch über fünf Jahre, sind Anleihen weniger volatil. Auch ihre erwarteten Renditen sind geringer. Aber wenn man ausschließlich das Ziel verfolgt, große Volatilität zu vermeiden, und wenn einem überlegene langfristige Renditen egal sind, stört einen das vielleicht gar nicht.
Abbildung 1.1 zeigt die durchschnittlichen Jahresrenditen und die Standardabweichung (ein gängiges Maß für die Volatilität) über rollierende 5-Jahres-Zeiträume. Sie ist in eine Auswahl von Allokationen aufgeteilt: 100 Prozent Aktien, 70 Prozent Aktien/30 Prozent Festverzinsliche, 50/50 und 100 Prozent Festverzinsliche.
Die höchste Rendite brachten 100 Prozent Aktien. Und es überrascht nicht, dass die durchschnittliche Standardabweichung bei 100 Prozent Aktien größer war als bei allen Allokationen mit Festverzinslichen – das heißt, die Aktien waren im Schnitt volatiler. Je größer der Anteil von festverzinslichen Papieren, umso geringer die Standardabweichung über rollierende 5-Jahres-Zeiträume.
Bis jetzt habe ich noch nichts geschrieben, was Sie überrascht. Jeder weiß, dass Aktien volatiler sind als Anleihen.
Abb. 1.1: Zeithorizont fünf Jahre – Volatilität
*Die Standardabweichung gibt an, wie sehr die historischen Erträge geschwankt haben. Dieses Maß wird in diesem Diagramm auf fünfjährige annualisierte rollierende Renditen angewandt.
Quelle: Global Financial Data, Inc., Stand 22.06.2012. US 10-Year Government Bond Index, S&P 500 Total Return Index, durchschnittliche Rendite über rollierende 5-Jahres-Zeiträume vom 31.12.1925 bis zum 31.12.2011.1
Aber lesen Sie weiter – wenn man den Betrachtungszeitraum verlängert, passiert nämlich etwas. Abbildung 1.2 zeigt das Gleiche wie Abbildung 1.1, nur über rollierende 20-Jahres-Zeiträume. Dadurch sinkt die Standardabweichung für 100 Prozent Aktien erheblich und ist fast mit derjenigen von 100 Prozent Festverzinslichen identisch. Die Renditen von Aktien sind immer noch besser – aber bei geringerer historischer Volatilität.
Abb. 1.2: Zeithorizont 20 Jahre – Volatilität
*Die Standardabweichung gibt an, wie sehr die historischen Erträge geschwankt haben. Dieses Maß wird in diesem Diagramm auf 20-jährige annualisierte rollierende Renditen angewandt.
Quelle: Global Financial Data, Inc., Stand 22.06.2012. US 10-Year Government Bond Index, S&P 500 Total Return Index, durchschnittliche Rendite über rollierende 20-Jahres-Zeiträume vom 31.12.1925 bis zum 31.12.2011.2
Über 30-Jahres-Zeiträume wird das noch ausgeprägter – wie Sie in Abbildung 1.3 sehen können. (Wenn Sie meinen, 30 Jahre wären ein viel zu langer Anlagehorizont, siehe Kapitel 2. Die Anleger gehen üblicherweise von einem zu kurzen Zeithorizont aus – aber 30 Jahre sind für die meisten Leser dieses Buches nicht unvernünftig.) Über rollierende 30-Jahres-Zeiträume ist die durchschnittliche Standardabweichung bei 100 Prozent Aktien geringer als bei 100 Prozent Festverzinslichen. Die Aktien waren halb so volatil, brachten aber eine bessere Rendite!
Abb. 1.3: Zeithorizont 30 Jahre – Volatilität
*Die Standardabweichung gibt an, wie sehr die historischen Erträge geschwankt haben. Dieses Maß wird in diesem Diagramm auf 30-jährige annualisierte rollierende Renditen angewandt.
Quelle: Global Financial Data, Inc., Stand 22.06.2012. US 10-Year Government Bond Index, S&P 500 Total Return Index, durchschnittliche Rendite über rollierende 30-Jahres-Zeiträume vom 31.12.1925 bis zum 31.12.2011.3
Von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr machen Aktien gewaltige Schwankungen durch – oft viel mehr als Anleihen. Das kann eine harte emotionale Erfahrung sein – aber diese höhere kurzfristige Volatilität sollte Sie nicht überraschen. Die Finanztheorie besagt, dass es so sein muss. Damit man die gegenüber Festverzinslichen höhere Rendite von Aktien erhält, muss man ein höheres Maß an kurzfristiger Volatilität in Kauf nehmen. Wenn Aktien im Schnitt Jahr für Jahr weniger volatil wären, dann wären wahrscheinlich auch ihre Renditen niedriger. Wie die von Anleihen!
Aber wenn man den Aktien ein bisschen mehr Zeit lässt, lösen sich die wilden monatlichen und jährlichen Schwankungen in eine stetigere und beständigere Aufwärts-Volatilität auf. Ja, die Volatilität geht in beide Richtungen. Sie bekommen das wahrscheinlich nicht so oft zu hören (wenn überhaupt), aber die Zahlen beweisen, dass Aktien über längere Zeiträume weniger volatil als Anleihen sind – und dies bei höheren Renditen.
Wenn dem so ist, warum haben dann so viele Anleger Angst vor Aktien? Ganz einfach: Die Evolution ist schuld.
Die Neue Erwartungstheorie, eine nobelpreisgekrönte Finanz-Verhaltenstheorie, erbringt den Beweis, dass Anleger den Schmerz eines Verlusts doppelt so intensiv empfinden, wie sie die Freude über einen Gewinn genießen. In unserem Gehirn hinterlässt eine Gefahr (oder eine vermeintliche Gefahr) also einen größeren Eindruck als die Aussicht auf Sicherheit.
Unseren Urahnen leistete diese evolutionsbedingte Reaktion zweifellos gute Dienste. Menschen, die sich von Natur aus ständig Sorgen machten, sie könnten von Säbelzahntigern angegriffen werden, waren wahrscheinlich besser dran als ihre eher gleichgültigen Kollegen. (Die beste Art, einen Kampf gegen einen Säbelzahntiger zu gewinnen, ist, sich auf keinen einzulassen.) Und diejenigen, die übermäßig Angst vor dem nächsten Winter hatten, bereiteten sich wahrscheinlich besser darauf vor und liefen weniger Gefahr, zu erfrieren und/oder zu verhungern. Daher gaben sie ihre umsichtigen Gene erfolgreicher weiter. Wenn man hingegen von künftigen angenehmen Dingen oder von der Abwesenheit von Erfrierungsgefahr besessen war, trug das nicht wirklich etwas zur Verbreitung der Art bei.
Und unsere grundlegenden Hirnfunktionen haben sich in dem evolutionären Wimpernschlag, der seither vergangen ist, nicht so sehr verändert. Deshalb fühlt sich für US-amerikanische Anleger ein Portfolioverlust von zehn Prozent genauso schlecht an, wie sich ein Gewinn von 25 Prozent gut anfühlt. (Europäische Anleger empfinden den Schmerz eines Verlusts sogar noch intensiver.)
Und was hat das mit der gängigen Fehlauffassung zu tun, die Aktien stünden immer schwer im Minus? Abbildung 1.4 zeigt, wie oft Aktien über verschiedene Zeiträume gesehen positiv beziehungsweise negativ sind. Auf Tagesbasis ist die Wahrscheinlichkeit, dass Aktien positiv sind, nur ein bisschen größer als bei einem Münzwurf. Und negative Tage kommen tendenziell geballt. Positive Tage aber auch! Doch weil wir uns der Gefahren übertrieben bewusst sind, nehmen die negativen Ballungen in unserem Gehirn einen größeren Platz ein, auch wenn das nicht der Realität entspricht.
Vom Verhalten her kann es sehr schwer sein, nicht so kurzfristig zu denken. Aber wenn man seinen Beobachtungszeitraum nur ein bisschen verlängern kann, stehen die Chancen gut, dass die Aktien positiv sind. Historisch gesehen entwickeln sich Aktien in 62 Prozent der Kalendermonate positiv – allerdings gibt es auch hier Ballungen. Rollierende 12-Monats-Zeiträume sind in 73,2 Prozent der Fälle positiv. Und trotzdem hyperventilieren die Medienschlagzeilen und die Gelehrten, als würde hinter jeder Ecke ein Bär lauern. Eigentlich sollten sie mehr Angst haben, dass sie Anstiege des Marktes verpassen (siehe Kapitel 3), aber das kommt uns nicht von Natur aus ins Gehirn – welches sich von dem Höhlenmenschengehirn unserer Urahnen nicht allzu sehr unterscheidet.
Abb. 1.4: Die historische Häufigkeit positiver Aktienrenditen
|
Anzahl der Perioden |
|
Prozent der |
||
|
Positiv |
Negativ |
Gesamt |
Positiv |
Negativ |
Tagesrenditen* |
11.526 |
10.224 |
21.750 |
53% |
47% |
Kalendermonat-Renditen |
640 |
391 |
1031 |
62,1% |
37,9% |
Kalenderquartal-Renditen |
233 |
110 |
343 |
67,9% |
32,1% |
Kalenderjahr-Renditen |
61 |
24 |
85 |
71,8% |
28,2% |
Rollierende 1-Jahres-Renditen |
747 |
273 |
1.020 |
73,2% |
26,8% |
Rollierende 5-Jahres-Renditen** |
843 |
129 |
972 |
86,7% |
13,3% |
Rollierende 10-Jahres-Renditen** |
858 |
54 |
912 |
94,1% |
5,9% |
Rollierende 20-Jahres-Renditen** |
792 |
0 |
792 |
100% |
0,00% |
Rollierende 25-Jahres-Renditen** |
732 |
0 |
732 |
100% |
0,00% |
*Die Zahlen zu den Tagesrenditen beginnen am 01.01.1928 und basieren nur auf Kursgewinnen. Alle anderen Zahlen beginnen am 31.01.1926 und geben die Gesamtrendite wieder.
**Monatlich bestimmt.
Quelle: Global Financial Data, Inc., Stand 27.06.2012, S&P Total Return Index vom 31.01.1926 bis zum 31.12.2011.4
Die Geschichte ist da eindeutig – durchschnittlich stehen Aktien in der Mehrzahl der Fälle im Plus. Und über längere Zeiträume, also über 20 Jahre und mehr, sind sie in Wirklichkeit weniger volatil als Anleihen. Es kann schwierig sein, fest verwurzeltes Verhalten zu überwinden und so zu denken, aber wenn man es kann, fällt die langfristige Belohnung durch Aktien wahrscheinlich besser aus als durch Anleihen (natürlich nur, wenn man ein gut diversifiziertes Portfolio hat).
Aber manchen Leuten fällt es einfach schwer, gegen Jahrtausende kognitiver Evolution anzukämpfen und nicht mehr zu denken: „Was, wenn?“ Was, wenn sich die Aktien über die Wahrscheinlichkeiten hinwegsetzen und demnächst fürchterlich schlecht laufen? Sehen wir uns einfach an, wie die Chancen dafür stehen.
Bei der Geldanlage geht es um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Gewissheiten, denn bei der Geldanlage gibt es keine Gewissheiten – nicht einmal bei Schatzanleihen, denn auch die können im jeweiligen Jahr an Wert verlieren. Man muss die Wahrscheinlichkeit der möglichen Ausgänge anhand der Geschichte, der grundlegenden wirtschaftlichen Fundamentaldaten und seines Wissens über die gegenwärtigen Bedingungen einschätzen.
Die Wahrscheinlichkeit besagt, dass Aktien bei einem langen Zeithorizont wahrscheinlich eine bessere Performance bringen als Anleihen. Aber wenn sie es nicht tun? Seit 1926 (seit diesem Zeitpunkt haben wir für die Vereinigten Staaten sehr gute Zahlen, die man als brauchbare Näherungswerte für die weltweiten Aktienmärkte verwenden kann) hat es 67 rollierende 20-Jahres-Zeiträume gegeben. In 65 davon (97 Prozent) haben die Aktien die Anleihen geschlagen. Über 20 Jahre betrachtet haben Aktien im Schnitt 881 Prozent eingebracht, Anleihen nur 247 Prozent – also schlagen die Aktien die Anleihen im Verhältnis 3,6 zu 1.5 Das ist verflixt gut! Wenn hingegen die Anleihen einmal die Aktien geschlagen haben, dann im Durchschnitt nur im Verhältnis 1,1 zu 1 – und auch dann waren die Aktien noch positiv: Sie lieferten im Schnitt 243 Prozent und die Anleihen 262 Prozent.6
In Las Vegas ist die potenzielle Ausschüttung umso größer, je geringer die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns ist. Doch die Entscheidung, ob Aktien oder Anleihen, funktioniert normalerweise umgekehrt. (Das ist ein weiterer Grund, weshalb Menschen, die die Geldanlage mit Glücksspiel vergleichen, weit danebenliegen.) Übrigens haben die Anleihen die Aktien über rollierende 30-Jahres-Zeiträume noch nie geschlagen. Aktien brachten im Schnitt eine Gesamtrendite von 2.428 Prozent und Anleihen nur 550 Prozent – eine Outperformance im Verhältnis 4,5 zu 1.7
Also stimmt es durchaus, dass Anleihen über kürzere Zeiträume eine wesentlich niedrigere Volatilität haben. Manche Menschen könnten das auch als „sicher“ bezeichnen. Aber wenn man das Ziel hat, über lange Zeiträume höhere Renditen zu generieren, damit man mit höherer Wahrscheinlichkeit seine Ziele erreicht, ist die geringere kurzfristige Volatilität von Anleihen vielleicht weniger geeignet. Und wenn man 20 oder 30 Jahre später feststellt, dass das Portfolio nicht genug gewachsen ist, um die Ziele zu erreichen, fühlt man sich vielleicht nicht mehr so sicher – vor allem da die Aktien über diesen längeren Zeitraum im Schnitt wahrscheinlich weniger volatil sind.
Die Zahlen und die Geschichte beweisen, dass Aktien bisher bessere langfristige Renditen aufweisen. Es gibt aber noch einen zusätzlichen Grund für die Überzeugung, dass Aktien auch in Zukunft über längere Zeiträume höhere Renditen bringen werden: Aktien entwickeln sich.
Aktien sind ein Stückchen Eigentum an einer Firma. Zusammengenommen stellen Aktien das kollektive Wissen der Unternehmenswelt dar. Und sie stellen die Verheißung künftiger technischer Fortschritte sowie künftiger Profite aufgrund dieser Innovationen dar.
Unternehmen und somit auch Aktien passen sich an. Manche Unternehmen überleben nicht. Sie machen Bankrott – werden aber durch etwas Neueres, Besseres und Effizienteres ersetzt. Hier ist dann die schöpferische Zerstörung am Werk, eine mächtige Kraft, die zum Wohl der Gesellschaft beiträgt.
Und Firmen werden immer motiviert sein, nach künftigen Gewinnen zu streben. Welche Probleme sich uns auch in den Weg stellen mögen – Energie, Nahrungsmittel, Wasser, Krankheiten –, irgendjemand (einer oder viele) wird Möglichkeiten finden, bereits erfolgte Innovationen so zusammenzubringen, dass sie etwas Neues hervorbringen, um dadurch eventuell auftretende Probleme zu lösen oder zumindest stark zu mildern.
Woher man das wissen kann? Weil es einfach schon immer so war.
Im Jahr 1798 sagte der Pfarrer Thomas Malthus voraus, die Nahrungsmittelerzeugung werde bald ihren Höhepunkt erreichen – in seinem (eher fantasielosen) Geist gab es einfach keine Möglichkeit, wie die Welt genug produzieren könnte, um mehr als eine Milliarde Menschen zu ernähren. Die Auffassung eines „grenzenlosen Fortschritts“ in der Nahrungsmittelproduktion lehnte er unverblümt ab.