„Change“ lautet das Mantra stetigen Wandels, „Innovation“ der Refrain zum vorherrschenden Imperativ permanenter Veränderung. Vieles wird nur deshalb unternommen, damit etwas geschieht. In einem von blindem Aktionismus geprägten gesellschaftlichen Klima bleibt die klügere Option des gelassenen Abwartens oft unterbelichtet. Dabei liegt in der Ruhe nicht bloß Kraft. Dem „action bias“, der Neigung zum vorschnellen Handeln zu widerstehen, ist das beste Rezept für langfristigen Erfolg.
Die Stein-Strategie ist weder eine Apologie der Faulheit noch ein weiteres Plädoyer für mehr Muße und Müßiggang. Sie zielt vielmehr auf die Durchsetzung eigener Interessen und Erlangung strategischer Vorteile durch Nicht-Handeln: ob in der Politik, wo Angela Merkel durch Aussitzen und „asymmetrische Demobilisierung“ ihre Macht ausbaut, an der Börse, wo Warren Buffett Geld nicht durch hektisches Zocken, sondern durch kluges Warten verdient, oder in der Kommunikation, wo Schweigen die mächtigste Waffe ist. In einer hektischen und turbulenten Gegenwart ist die Stein-Strategie das ultimative Antidot gegen Hysterie und Panikmache. Denn von Steinen lernen heißt siegen lernen.
Holm Friebe ist Volkswirt, Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur (ZIA) in Berlin und Hochschullehrer für Designtheorie. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, unter anderem des Wirtschaftsbestsellers Wir nennen es Arbeit (2006). Zuletzt erschien von ihm, zusammen mit Philipp Albers verfasst, Was Sie schon immer über 6 wissen wollten.
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DIE STEIN-
STRATEGIE
Von der Kunst, nicht zu handeln
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© 2013 Carl Hanser Verlag München
Internet: http://www.hanser-literaturverlage.de
Stand entspricht der Druckausgabe ab der 2. Auflage
Herstellung: Thomas Gerhardy
Illustrator: Peter Palm, Berlin
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur,
Zürich, Michael Hofstetter
Datenkonvertierung E-Book: Kösel, Krugzell
ISBN 978-3-446-43677-0
E-Book-ISBN 978-3-446-43641-1
Cover
Impressum
Inhalt
Widmung
Einleitung
Be here now:
Die Kunst des Liegen-Bleibens
Don't panic!
Deep survival
Staying put
Action bias
Zerhackte Zeit
Bullshit Bingo
Aktives Warten
Situationspotenziale
Wu wei
Don’t believe the hype:
Die Kunst des Ruhe-Bewahrens
All change, please!
Von Füchsen und Igeln
Future Babble
Zähflüssige Zukunft
Gewohnheit rules
Advantage:
second mouse
Shock of the old
Boring times
Playing rock:
Die Kunst des Sturstellens
Schere, Stein, Papier
Der Bias des Tormanns
Konfliktstrategien
Zum Stein werden
Gute Strategie, schlechte Strategie
Merkiavellismus
Brinkmanship
Sound of silence:
Die Kunst des lauten Schweigens
Schweigen aushalten
Sich rar machen
Talking means trouble
Kunstpausen
Schock-Marketing
Readymade
Zauderrhythmus
Tun und Lassen
Steady state:
Die Kunst des Bleiben-Lassens
Neue Steinzeit
Red queen effect
Fortschritt revisited
Graue Energie
Rethinking Innovation
Antifragilität
Postheroisches Management
Laissez-passer
Lifestyle of resilience
Nicht-Handlungsempfehlung
Literatur
Stones taught me to fly
Damien Rice
Let there be rock
Tocotronic
Wenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin. Wenn du dich nicht bewegst, musst du wissen, warum. Dieses Buch will nicht sagen, wo es langgeht. Es will vielmehr zeigen, warum das Nicht-Handeln, Stillhalten, Abwarten in vielen Situationen die bessere Wahl ist – und eine Option, die in den Strukturen und Systemen, in denen wir stecken, allzu oft ausgeblendet und hinweggefegt wird von der allgemeinen Drift zum Aktionistischen: Dem zupackenden Macher gehört die Welt, Wagemut schlägt Wankelmut.
Natürlich, das gleich vorweg, gehen uns, die wir in der Welt etwas erreichen wollen, die Bremser, Verhinderer und Passivisten oft genug auf die Nerven, über deren Schreibtischen eine vergilbte Kopie aus den Zeiten des Fax-Humors hängt: „Wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.“ Wir ärgern uns über ihre Borniertheit nach dem Motto „keine Experimente!“. Unterm Strich aber richten sie deutlich weniger Schaden an als die Umtriebigen und Agilen, die Paniker und Machbarkeitsfanatiker.
Zwar wird der bedächtig Abwartende niemals Lob und Lorbeeren für seine heroische Kühnheit ernten. Er wird häufig nicht das maximale Resultat erzielen. Aber er wird katastrophale Fehlentscheidungen vermeiden, nicht mit fliegenden Fahnen in sein Verderben rennen und im Zweifel länger am Leben bleiben.
In diesem Sinne ist die Stein-Strategie bei gewissenhafter Abwägung die klügere Alternative – und ein Gegengift wider voreiliges Handeln, blauäugige Beherztheit und konfusen Hyperaktivismus. Was sie nicht ist: eine Apologie der Faulheit und ein erneutes Loblied auf die „Prokrastination“, das zwanghafte Aufschiebeverhalten. Das Unterlassen als Strategie setzt voraus, dass man immer auch handeln könnte und sich bewusst dagegen entscheidet – und nicht, dass man durch höhere Mächte, Antriebslosigkeit oder eine pathologische Disposition dazu gezwungen wird, in Untätigkeit zu verharren. „Die Bedingung der möglichen Verhaltensalternativen ist ein konstitutives Moment des Unterlassens“, stellt der Philosoph Dieter Birnbacher klar.
Es geht hier also weniger um die Tradition Fürst Oblomovs, jenes Antihelden aus dem gleichnamigen Gontscharow-Roman, der zum Symbol personifizierter Lethargie („der Mittagsschlaf war das Zentrum seines Tagesablaufs“) und damit zur Identifikationsfigur aller Slacker wurde. Dann schon eher um das Erbe von Herman Melvilles Bartleby, dem Schreiber, der durch seine plötzliche starrköpfige Verweigerungshaltung („I would prefer not to“) sein gesamtes Büroumfeld lahmlegte. Sicherlich kann man sich bei den Vorbildern aus der Richtung von Shakespeares Hamlet bis zu Samuel Becketts trantütigen Helden – den „Athleten des Zauderns“, wie sie der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl nennt – einiges abschauen. Allerdings werden wir uns nicht groß mit ihnen aufhalten und verweisen auf die einschlägige Fachliteratur.
Zugleich sollte dieses Buch nicht als ein Plädoyer für die angeblich verlernte Kulturtechnik von Muße, Müßiggang und Nichtstun missverstanden werden. Auch davon hat es in den letzten Jahren zur Genüge gegeben. Anders als jene gutgemeinten, zumeist kulturpessimistisch grundierten Mahnungen zu Entschleunigung und innerer Einkehr, zielt die Stein-Strategie auf die Verfolgung und Durchsetzung handfester Eigeninteressen von Individuen und Organisationen. Sie ist eine Lektion in Abwarten und Aussitzen, ein Lob auf die Tugend des Füße-still-halten-Könnens und Kommen-Lassens. In einer von sinnlosem Stress, Hektik und Atemlosigkeit geprägten Zeit ist intentionale Passivität eine rare und zu Unrecht verfemte Kunstform, die durch nichts besser versinnbildlicht wird als durch den ruhenden Stein.
Manuel De Landa, ein Philosoph des „Neuen Materialismus“, argumentiert in seinem großartigen Buch A Thousand Years of Nonlinear History, dass zwischen der Erd-, Sozial- und Kulturgeschichte mehr strukturelle Ähnlichkeiten bestehen als Unterschiede. Es führt eine direkte, wenn auch keine gerade Linie von der Geologie zur Soziologie: „Wir leben in einer Welt, die von Strukturen bevölkert wird – eine komplexe Mischung aus geologischen, biologischen, sozialen und linguistischen Konstrukten, die nichts sind als Akkumulationen von Material, die von der Geschichte geformt und gehärtet werden.“ In dieser nonlinearen Geschichtsschreibung findet man „Bifurkationslinien“, an denen das System einen Sprung bekommt und in einen anderen Zustand wechselt. Die Spur der Steine und die Spur der Menschen kreuzen sich mehrfach und durchdringen sich wechselseitig. Die Herausbildung von Knochen, die Mineralisierung des tierischen und später menschlichen Endoskeletts bildet einen der Kreuzungspunkte. Ein weiterer liegt vor etwa 8000 Jahren, als Menschen begannen, sich mineralische Exoskelette zu bauen: Häuser aus Stein. So sind wir über die Geschichte mit den Steinen verbandelt.
Zwar haben Steine, nach allem, was man weiß, kein Bewusstsein, keinen eigenen Willen und können ergo auch keine Strategie verfolgen. „Wozu über Steine reden, wenn der Mensch das Thema ist?“, versetzt Peter Sloterdijk in seiner Weltfremdheit: „Von der Seinsweise der Steine führt, so scheint es, kein Weg zu der der Menschen.“ Für den Philosophen erschöpft sich die Parallele von Mensch und Stein im Bild des Findlings, den die Eiszeit in der Ebene zurückgelassen hat: Indem wir uns unserer Existenz bewusst werden, würden wir zu Findlingen unserer selbst, zu „Selbstfindlingen“.
In diesem Buch wollen wir eine andere Abzweigung nehmen, indem wir uns, cum grano salis, von der Metapher des Steins in Richtung strategisches Denken leiten lassen.
Im Genre des populären Strategie-Sachbuchs, das uns Orientierung für die private Bewältigung des Alltags und für das professionelle Vorankommen verspricht, ist es modern geworden, niedere Lebensformen zum titelgebenden Vorbild zu machen. Begonnen hat das mit Spencer Johnsons schmalem Büchlein Die Mäuse-Strategie für Manager, das anhand einer Fabel aufschlüsselt, wie wir „Veränderungen erfolgreich begegnen“: Zwei Mäuse und zwei Zwergenmenschen suchen täglich in einem Labyrinth nach Käse. Als sie einen größeren Vorrat gefunden haben, setzen sich die Menschen zur Ruhe und werden bequem, während die Mäuse alert und auf dem Sprung bleiben. Als der Käsevorrat aufgezehrt ist, ziehen die Mäuse sofort wieder hinaus ins Labyrinth, während die Menschen lange über dem Verlust brüten, bevor sie sich endlich aufraffen, neuen Käse zu suchen.
Was will uns das sagen? Was sollen wir von den Mäusen lernen? „Die Mäuse analysierten die Lage nicht übermäßig und belasteten sich nicht mit komplizierten Überlegungen.“ Und für alle, die es noch nicht kapiert haben, sind ganzseitige Merksätze und Sinnsprüche wie „Je schneller Du den alten Käse sausen lässt, desto eher findest Du neuen“ eingestreut. Der Käse steht – logisch, was sonst? – für alles, was uns kostbar ist und was wir im Leben anstreben.
So platt die Botschaft, so imposant am Ende der deutschen Ausgabe die Liste der Unternehmen, in denen das Buch so etwas wie Pflichtlektüre zu sein scheint. Sie reicht von Exxon über General Motors bis Xerox. Seit Erscheinen 1998 hat sich die einfältige kleine Geschichte weltweit 26 Millionen Mal verkauft und wurde zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftsbestseller aller Zeiten. Offensichtlich hat sie einen Nerv der Zeit getroffen und einen Bedarf richtig erkannt: den Betroffenen der seit etwa Mitte der 1990er grassierenden Umbaumanie in Unternehmen und Konzernen – den „flexiblen Menschen“, wie Richard Sennett sie getauft hat – etwas Erbauliches und Tröstendes an die Hand zu geben.
Bei so einem Erfolg ließen die Epigonen natürlich nicht lang auf sich warten. Unter anderem liegen mittlerweile vor: Die Bären-Strategie, Die Schaf-Strategie, Das Pinguin-Prinzip und natürlich eine Delfin-Strategie. Den vorläufigen Tiefpunkt markiert Die Kakerlaken-Strategie von Craig Hovey. 2006 erschienen, handelt sie davon, dass ein frustrierter Angestellter, der einer sprechenden Kakerlake das Leben schenkt, zum Dank mit allerlei Kniffen für den täglichen Existenzkampf im Büro versorgt wird. Logisch, denn „als die ultimativen Überlebenskünstler, die schon vor den Dinosauriern existierten, kennen Kakerlaken die besten Überlebenstipps für das Überleben im Job“. Ihre „Kakerlaken-Gebote“ lauten also: „Greif an, während die anderen noch grübeln.“ Oder: „Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.“
Was ist aus dem schönen Strategie-Ratgeber-Genre geworden, das einst in Asien erfunden wurde, in Europa zur Blüte gelangte und von den Amerikanern verwissenschaftlicht wurde?! Als gesammeltes Erfahrungswissen aus zweitausend Jahren chinesischer Kriegskunst sind die berühmten 36 Strategeme überliefert, die so schöne Namen tragen wie „Einen Backstein hinwerfen, um Jade zu erlangen“ oder „Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeer zeigen“ – in Wahrheit sind es weniger Strategien als taktische Finten und Winkelzüge.
Am Anfang der Neuzeit beantwortete der Medici-Einflüsterer Niccoló Machiavelli die Frage, ob es für einen Herrscher besser sei, geliebt oder gefürchtet zu sein, mit erfrischendem Realitätssinn: nach Möglichkeit beides, aber wenn man sich denn für eines entscheiden müsse, dann besser gefürchtet. Die Wahrheit müsse man nur sagen, wenn man Gefahr laufe, beim Lügen erwischt zu werden. Aufklärerische Interpreten waren sich lange Zeit nicht sicher, ob es sich bei Machiavellis Buch Der Fürst nicht vielleicht um Satire handele.
Unmissverständlicher war da schon General von Clausewitz’ Handbuch der Kriegskunst Vom Kriege aus dem frühen 19. Jahrhundert. Mit preußischer Sachlichkeit und Akribie wird darin zwischen Strategie und Taktik, innerhalb der Strategien noch einmal zwischen „Niederwerfungs-“ und „Ermattungsstrategie“ differenziert. Clausewitz war auch der Erste, der darauf hinwies, dass es im Krieg immer außerplanmäßige „Friktionen“ gebe und im „Nebel des Krieges“ nichts so laufe wie geplant.
In der ersten Hochphase des Kalten Krieges 1960 schließlich legte Thomas C. Schelling mit seiner Analyse The Strategy of Conflict die Grundlagen für die wissenschaftliche Spieltheorie, wofür er später den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Am Anfang steht bei ihm die Unterscheidung zwischen denen, die Konflikte für etwas Pathologisches halten, das es zu beseitigen und zu überwinden gilt, und der Fraktion derer, die Konflikte als gegebene und wiederkehrende Tatsache begreifen und sie in all ihrer Komplexität verstehen wollen – wobei Letztere natürlich den spannenderen Ansatz verfolgen.
Dagegen nehmen sich die heutigen zoologisch inspirierten Strategiebücher eher naseweis und bauernschlau aus. Auch wenn bislang noch niemand eine Hunde-Strategie für Manager formuliert hat, kann man sagen: Das Genre ist auf den Hund gekommen. Angesichts des unterschwelligen und unreflektierten (oder auch: bewusst in Kauf genommenen) Zynismus, den es darstellt, erwachsene Menschen mit den Verhaltensmustern und Reaktionsweisen von Säugern, Nagern und Ungeziefer zu behelligen, ist es ein geradezu konsequenter Rettungsversuch für das Genre, zur – mit Max Goldt gesprochen: – „majestätischen Ruhe des Anorganischen“ durchzubrechen und den Stein zum inspirierenden Vorbild zu erküren.
Die Menschen mögen Steine – bis hin zur Identifikation mit ihnen. I Am A Rock sangen Simon and Garfunkel Anfang der 1960er. Und Bob Dylan fragte sich: „How does it feel, to be on your own (…) like a rolling stone?“ Zehn Jahre später wurde es in der Hippiekultur der USA Mode, sich Steine als Haustiere zu halten. Der „Pet Rock“, ein handelsüblicher Kieselstein, kam auf Stroh gebettet in einer mit Luftlöchern versehenen Transportschachtel ins Haus. Er war anspruchslos, pflegeleicht und selbst Kindern guten Gewissens zu überantworten. Über eine Million „Pet Rocks“ wurden seinerzeit verkauft, was den Erfinder Gary Dahl aus Kalifornien zu einem reichen Mann machte. Heute gibt es die Neuauflage des Haustier-Steins mit USB-Anschluss im Internet zu bestellen.
Die evolutorische Überlegenheit nicht-domestizierter Steine ist unabweisbar: Wenn dereinst Menschen, Mäuse, selbst Kakerlaken vom Erdboden verschwunden sein werden, wird es immer noch und für eine lange Zeit danach Steine geben. Steine sind optimal angepasst an ihre natürliche Umgebung. Steine denken in langen Zeiträumen und großen Bögen; der schnelle Vorteil – sogenannte „quick wins“ – sind nicht ihr Geschäftsmodell. Steine sind ihrem gesamten Wesen nach grundsolide.
Die Stein-Strategie ist demnach ein Programm innerer Beständigkeit und langfristiger Überlegenheit. Sie versteht sich als Übung in Selbstdisziplin und Antidot gegen Ungeduld und Aktionismus, Unrast und Umtriebigkeit. Der Spur der Steine folgen heißt, Eigensinn und Gelassenheit erfolgreich zu kombinieren, den geschmeidigen situativen Wechsel zwischen Beharrlichkeit und Geschehenlassen zu praktizieren. Oder kürzer und mit Dank an den großen Robert Gernhardt: Von Steinen lernen heißt liegen lernen.
In einer Nussschale meint die Stein-Strategie: weniger tun, eigentlich fast gar nichts tun, aber das Wenige mit durchschlagender Wirksamkeit. Sie ist eine Variation auf das ewige Thema „In der Ruhe liegt die Kraft“, das, wie zu zeigen sein wird, mehr als nur das taugliche Grundmuster spiritueller Meditation und individueller Achtsamkeit ist. Vielmehr lässt sich die Stein-Strategie anwenden auf Politik und Staatskunst, Bildende Kunst und Literatur. Sie ist handlungsleitend für Wirtschaft, Management und Finanzgeschäfte. Und sie stiftet Orientierung im unwegsamen Gelände von Paarbeziehungen und privaten Konflikten, was ja nicht selten dasselbe ist.
Eine Freundin, ohne die ich selbst niemals zum Bücherschreiben gekommen wäre, die Autorin, Verlegerin und große Alltagsphilosophin Annette Anton, pflegt zu sagen: „Entweder, man ist Teil des Problems – oder man ist Teil der Landschaft.“ Wenn man vor der Wahl steht, ist Letzteres sicher die bessere Alternative. Wir wollen also damit beginnen, wie man Teil der Landschaft wird. Wir wollen begründen, warum es von Vorteil sein kann, sich nicht zu bewegen.