PERFEKT
DER ÜBERLEGENE WEG ZUM ERFOLG
Aus dem Amerikanischen von Katja Hald, Friedrich Pflüger, Sigrid Schmid
Titel der Originalausgabe: Mastery.
London, Viking 2012
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© Robert Greene, 2012
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© 2013 Carl Hanser Verlag München
Internet:
http://www.hanser-literaturverlage.de
Lektorat: Martin Janik
Herstellung: Andrea Stolz
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
ISBN 978-3-446-43679-4
E-Book-ISBN 978-3-446-43820-0
Für Anna
EINFÜHRUNG
Die ultimative Macht
Höhere Intelligenz – Definition der Meisterschaft – drei Phasen der Meisterschaft – intuitive Intelligenz – Verbindung zur Realität – die Macht, die in uns schlummert
Die Evolution der Meisterschaft
Unsere frühen Vorfahren – die Evolution des menschlichen Gehirns – Fähigkeit zur Abstraktion und Konzentration – soziale Intelligenz früher Hominiden – Hineindenken – das Meistern der Zeit – Arbeit im Einklang mit dem Gehirn – Verbindung zu den Wurzeln
Schlüssel zur Meisterschaft
Charles Darwin folgt seinen Neigungen – Eigenschaften der großen Meister – unsere Einzigartigkeit, unsere Urneigungen – sinkender Widerstand gegen Meisterschaft – Definition von Genialität – Prinzip der Meisterschaft verunglimpft – Rolle der Leidenschaft – die Gefahr der Passivität – die Formbarkeit des Gehirns – Übersicht der vorgestellten Strategien und Meisterbiografien des Buches
I. ENTDECKEN SIE IHRE BESTIMMUNG: DIE LEBENSAUFGABE
Sie besitzen eine innere Kraft, die Sie zu Ihrer Lebensaufgabe hinführen möchte – dem, was Sie in diesem Leben vollbringen sollen. Der erste Schritt hin zur Meisterschaft ist immer nach innen gerichtet – Sie müssen erfahren, wer Sie wirklich sind, und sich wieder mit dieser angeborenen Kraft verbinden. Wenn Sie diese klar erkennen, werden Sie die richtige Laufbahn einschlagen, und alles andere wird sich regeln. Es ist nie zu spät, diesen Prozess einzuleiten.
Die verborgene Kraft
Leonardo da Vinci
Schlüssel zur Meisterschaft
Von schicksalhafter Wahrnehmung gesteuerte Meister – der Samen Ihrer Einzigartigkeit – Rückbesinnung auf Ihre Neigungen – Definition der Berufung – Wahl einer Berufung – finden Sie Ihre Nische – die Suche nach der Vollendung – lernen Sie, wer Sie wirklich sind
Strategien für die Suche nach der Lebensaufgabe
1. Rückkehr zum Ursprung – Die Strategie der Urneigung
Albert Einstein – Marie Curie – Ingmar Bergman – Martha Graham – Daniel Everett – John Coltrane
2. Die perfekte Nische – Die darwinsche Strategie
A. Vilayanur S. Ramachandran
B. Yoky Matsuoka
3. Falsche Pfade meiden – Die Strategie der Rebellion
Wolfgang Amadeus Mozart
4. Die Vergangenheit loslassen – Die Anpassungsstrategie
Freddie Roach
5. Zurückfinden – Die Strategie auf Leben und Tod
Richard Buckminster Fuller
Umkehrung
Temple Grandin
II. STELLEN SIE SICH DER REALITÄT: DIE IDEALE LEHRZEIT
Nach der Schulzeit beginnt die entscheidende Phase Ihres Lebens – eine zweite, praktische Ausbildung, die Lehrzeit. Bevor es zu spät ist, müssen Sie das nötige Rüstzeug lernen und dem Weg der bedeutendsten Meister der Vergangenheit und Zukunft folgen – einer Art idealer Lehrzeit, die für alle denkbaren Felder Gültigkeit hat. In ihrem Verlauf werden Sie alle nötigen Fähigkeiten erwerben und sich zu einem unabhängigen Denker wandeln, der den schöpferischen Herausforderungen auf dem Weg zur Meisterschaft gewachsen ist.
Die erste Transformation
Charles Darwin
Schlüssel zur Meisterschaft
Definition der Idealen Lehrzeit – Selbsttransformation als Ziel der Lehrzeit.
Die Ausbildungsphase – Drei Schritte oder Modi
Schritt eins: Gründliche Beobachtung – Der Passivmodus
Halten Sie den Ball flach – beachten Sie die Regeln – beachten Sie die Machtverhältnisse – die Lehren aus Charles Darwins Lebensgeschichte – machen Sie sich mit Ihrer Umgebung vertraut
Schritt zwei: Aneignung von Fähigkeiten – Der Übungsmodus
Erwerben Sie stilles Wissen – die Lehrlingsausbildung im Mittelalter – der sich beschleunigende Kreislauf – nehmen Sie den Überdruss an – der Frontalkortex und die Lernaufgaben – feste Verschaltung von Wissen – die magische Zahl der 10.000 Stunden
Schritt drei: Das Experimentieren – Der Aktivmodus
Allmähliche Selbstbestätigung und das Experimentieren – Überwinden von Ängsten – Erwerb von Fähigkeiten in heutiger Zeit – Bedeutung der Lehrzeit – Koordination von Auge und Hand – Sie sind ein Baumeister
Strategien zur Vollendung der idealen Lehrzeit
1. Achten Sie das Lernen höher als das Geld
Benjamin Franklin – Albert Einstein – Martha Graham – Freddie Roach
2. Weiten Sie Ihren Horizont
Zora Neale Hurston
3. Zurück zum Gefühl der Unterlegenheit
Daniel Everett
4. Vertrauen Sie auf den Prozess
Cesar Rodriguez
5. Treten Sie Widerstand und Schmerz entgegen
A. Bill Bradley
B. John Keats
6. Lernen Sie Scheitern
Henry Ford
7. Verbinden Sie das »Wie« mit dem »Was«
Santiago Calatrava
8. Fortschritt durch Ausprobieren
Paul Graham
Umkehrung
Wolfgang Amadeus Mozart – Albert Einstein
III. MACHEN SIE SICH DAS KÖNNEN DES MEISTERS ZU EIGEN: DIE DYNAMIK ZWISCHEN MENTOR UND SCHÜLER
Das Leben ist kurz und Ihre Zeit zu lernen und kreativ zu sein begrenzt. Beim Versuch, sich Wissen und Erfahrungen aus verschiedenen Quellen anzueignen, ohne dabei eine Form der Anleitung in Anspruch zu nehmen, können Sie wertvolle Jahre vergeuden. Folgen Sie stattdessen dem Beispiel all der berühmten Meister aus der Vergangenheit, und suchen Sie sich einen geeigneten Mentor. Suchen Sie sich den Mentor, der Ihren Bedürfnissen am besten entgegenkommt und Ihrer Lebensaufgabe entspricht. Sobald Sie das Wissen des Mentors verinnerlicht haben, sollten Sie jedoch Ihren eigenen Weg weiterverfolgen und aus dem Schatten des Mentors heraustreten. Ihr Ziel muss immer sein, das Können und die Genialität Ihres Meisters zu übertreffen.
Die Alchemie des Wissens
Michael Faraday
Schlüssel zur Meisterschaft
Die Bedeutung von Demut – der Wert eines Mentors – die Dynamik zwischen Mentor und Schüler – die Alchemie des Lernens – eine Interpretation der Lebensgeschichte Michael Faradays – Alexander der Große – der Wert einer persönlichen Beziehung – wie Sie einen Mentor finden und für sich gewinnen – berühmte Persönlichkeiten und Bücher als Mentoren – der Mentor als Vaterfigur – wann ist es Zeit einen Mentor zu verlassen?
Strategien zur Intensivierung der Dynamik zwischen Mentor und Schüler
1. Wählen Sie einen Mentor, der Ihren Bedürfnissen und Neigungen entspricht
Frank Lloyd Wright – Carl Gustav Jung – Vilayanur S. Ramachandran – Yoky Matsuoka
2. Sehen Sie sich selbst mit den Augen Ihres Mentors
Hakuin Zenji
3. Transformieren Sie die Ideen Ihres Mentors
Glenn Gould
4. Sorgen Sie für eine dynamische Wechselbeziehung
Freddie Roach
Umkehrung
Thomas Edison
IV. SEHEN SIE DIE MENSCHEN SO, WIE SIE SIND: SOZIALE KOMPETENZ
Das größte Hindernis auf unserem Weg zur Meisterschaft ist oft der emotionale Sumpf, in den wir geraten, wenn wir uns mit Widerständen und Manipulationen unserer Mitmenschen konfrontiert sehen. Wir verstehen ihre Absichten falsch und reagieren in einer Weise, die Verwirrung oder gar Konflikte stiftet. Soziale Kompetenz ist die Fähigkeit, unsere Mitmenschen so realistisch wie nur möglich wahrzunehmen. Gelingt es uns, uns innerhalb unseres sozialen Umfelds reibungslos zu bewegen, bleibt uns mehr Zeit und Energie für das Lernen und den Erwerb neuer Fähigkeiten. Ein Erfolg, der ohne soziale Kompetenz erzielt wurde, kann nicht als meisterlich bezeichnet werden und wird auch nicht lange anhalten.
Sich in andere hineinversetzen
Benjamin Franklin
Schlüssel zur Meisterschaft
Die Menschen: eine sozial überlegene Spezies – die naive Perspektive als Entwicklungsbremse – eine Interpretation der Lebensgeschichte Benjamin Franklins – wie Sie Ihre innere Einstellung anpassen
Spezifische Kenntnisse – Durchschauen Sie Ihre Mitmenschen
Nonverbale Kommunikation – achten Sie auf Signale – die Suche nach gemeinsamen emotionalen Erfahrungen – andere Menschen intuitiv verstehen – die Suche nach Verhaltensmustern – die Gefahren des ersten Eindrucks
Allgemeinwissen – Die sieben Erbsünden der menschlichen Natur
Neid
Konformismus
Inflexibilität
Eigennutz
Bequemlichkeit
Launenhaftigkeit
Passive Aggressivität
Soziale Kompetenz und Kreativität
Strategien zum Erwerb sozialer Kompetenz
1. Überzeugen Sie mit Ihrer Arbeit
A. Ignaz Semmelweis
B. William Harvey
2. Schaffen Sie sich das richtige Image
Teresita Fernández
3. Sehen Sie sich mit den Augen der anderen
Temple Grandin
4. Lassen Sie sich die Narren gerne gefallen
Johann Wolfgang von Goethe – Josef von Sternberg – Daniel Everett
Umkehrung
Paul Graham
V. ERWECKEN SIE IHR DIMENSIONALES DENKEN: DAS KREATIV-AKTIVE
Mit jeder Fähigkeit, die Sie erwerben und verinnerlichen, werden Sie Ihr Wissen aktiv einsetzen wollen, wie es Ihren Neigungen entspricht. Statt sich auf Ihren Lorbeeren auszuruhen, sollten Sie Ihr Wissen auf verwandte Gebiete erweitern und neue Querverbindungen zwischen verschiedenen Konzepten herstellen. Schließlich werden Sie sich von den verinnerlichten Regeln abwenden und Sie Ihrem Temperament entsprechend umformen und reformieren. Diese Eigenwilligkeit wird Sie zu den Gipfeln der Macht führen.
Die zweite Transformation
Wolfgang Amadeus Mozart
Schlüssel zur Meisterschaft
Originäres Denken – konventionelles Denken – dimensionales Denken – interpretation der Mozart-Geschichte – drei Schritte zur Wiederbelebung des Dimensionalen Denkens
Schritt eins: Die Kreative Aufgabe
Die bisherige Vorstellung von Kreativität aufgeben – die Jagd auf den großen weißen Wal – Thomas Edison, Rembrandt, Marcel Proust und die großen kreativen Herausforderungen – das Oberste Gesetz der kreativen Dynamik – Kreativität als Rebellion – Sicherheiten aufgeben
Schritt zwei: Kreative Strategien
A. Entwickeln Sie eine Negative Befähigung
Keats über den kreativen Prozess – Definition der Negativen Befähigung – Mozart und Bach – Einstein und die Negative Befähigung – Shakespeare als Ideal – Faraday und die Demut – Negative Befähigung als Mittel zur Öffnung des Geistes
B. Geben Sie dem Zufall eine Chance
Das Gehirn als duales Verarbeitungssystem – Definition des glücklichen Zufalls – William James und die mentale Eigendynamik – Erhaltung eines offenen Geistes – Louis Pasteur und der glückliche Zufall – Thomas Edison, der Zufall und Tonaufnahmen – der flexible Verstand – Zufallstechniken von Anthony Burgess und Max Ernst – dem Zufall eine Chance geben – analogisches Denken und Galileo
C. Nutzen Sie den »Current« für neue Denkweisen
Charles Darwin und der Current – Definition des »Current« -- unsere urzeitlichen Vorfahren und der Current – den Current kurzschließen – Richard Buckminster Fuller und seine Artefakte – die Bedeutung der Herstellung von Objekten – Feedbackschleife
D. Nehmen Sie eine neue Perspektive ein
Typische falsche Denkmuster
Das »Was« betrachten statt das »Wie«
Abkürzungen vermeiden – auf die Struktur achten – ein Gefühl für das Ganze bekommen – die Bedeutung von Zusammenhängen in der Wissenschaft
Vorschnell verallgemeinern und Details ignorieren
Zwischen Makro- und Mikrosicht umschalten – Charles Darwin und die Rankenfußkrebse – Leonardo da Vincis Auge fürs Detail in der Malerei – achten Sie auf Details
Paradigmen bestätigen und Anomalien ignorieren
Abhängigkeit von Paradigmen – die Bedeutung von Anomalien – Marie Curie und die Radioaktivität – die Google-Gründer und die Anomalien – Anomalien als Motor für die Evolution
Sich auf das fixieren, was da ist, und das ignorieren, was nicht da ist
Sherlock Holmes und negative Hinweise – Gowland Hopkins, negative Hinweise und Skorbut – Henry Ford, negative Hinweise und das Fließband – die emotionale Sichtweise umkehren – Rückschläge als Chance
E. Kehren Sie zu originären Formen der Intelligenz zurück
Die Intelligenz unserer urzeitlichen Vorfahren – das menschliche Gehirn als Multifunktionsinstrument – die Grenzen der Grammatik – Denken jenseits der Sprache – berühmte Menschen, die in Bildern dachten – die Grenzen der Erinnerung – Diagramme und Modelle nutzen – Schiller, Einstein, Samuel Johnson und Synästhesien
Schritt drei: Der kreative Durchbruch – Anspannung und Erkenntnis
Hohe persönliche Ansprüche der Meister – Loslassen – Einstein, das Loslassen und die Entdeckung der Relativität – Richard Wagner vollendet seine Oper im Traum – wie das Gehirn die Höhepunkte der Kreativität erreicht – Blockaden vor der Erleuchtung – Evariste Galois‘ Geniestreich einer Nacht – die Notwendigkeit der Anspannung – künstliche Deadlines – Thomas Edison macht sich selbst Druck
Emotionale Fallen
Selbstgefälligkeit
Konservativismus
Abhängigkeit
Ungeduld
Prahlerei
Mangelnde Flexibilität
Strategien für die kreativ-aktive Phase
1. Die eigene Stimme
John Coltrane
2. Der Hebelpunkt
Vilayanur. S. Ramachandran
3. Mechanische Intelligenz
Die Gebrüder Wright
4. Natürliche Talente
Santiago Calatrava
5. Das offene Feld
Martha Graham
6. Das komplizierte Ende
Yoky Matsuoka
7. Kreative Zweckentfremdung
Paul Graham
8. Dimensionales Denken
Jean-Francois Champollion
9. Alchemistische Kreativität und das Unterbewusstsei
Teresita Fernández
Umkehrung
John Coltrane – August Strindberg
VI. VERBINDEN SIE DAS INTUITIVE MIT DEM RATIONALEN: MEISTERSCHAFT
Wir alle haben Zugang zu einer höheren Form der Intelligenz, durch die wir die Welt besser wahrnehmen, Trends vorausahnen und schnell und angemessen auf alle möglichen Umstände reagieren können. Wir fördern diese Intelligenz, wenn wir uns in ein Forschungsgebiet vertiefen und unseren Veranlagungen treu bleiben, auch wenn unsere Herangehensweise noch so unkonventionell auf andere wirken mag. Unser Gehirn ist auf diese Fähigkeiten ausgelegt, und wir gelangen ganz von selbst zu dieser Form der Intelligenz, wenn wir unseren Neigungen bis zu ihren äußersten Grenzen folgen.
Die dritte Transformation
Marcel Proust
Schlüssel zur Meisterschaft
Beispiele für die besondere Beobachtungsgabe von Meistern – das besondere Gespür – mystifizierte Fähigkeiten – Intuition – Dynamik – Intuition – Jane Goodall und die Schimpansen – Erwin Rommel und die Kriegsführung – die Verbindung von Verstand und Intuition – Meisterschaft in 20.000 Stunden – der kritische Faktor Zeit – die Ausbildungszeit richtig nutzen – Interpretation der Proust-Geschichte
Die Wurzeln der meisterlichen Intuition
Sandwespen – Intuition und unsere urzeitlichen Vorfahren – mnemonische Netzwerke im Gehirn – Gedächtniskunst – Bobby Fischer und Gedächtnisspuren – keine Angst vor komplexen Aufgaben – das Gedächtnis trainieren – Beispiel für Intuition und Jugendlichkeit
Die Rückkehr zur Realität
Überblick über die Evolution – die Verbundenheit des Lebens – die äußerste Realität – moderne Renaissance – Rückbesinnung auf das Ganze – das Gehirn der Meister
Strategien zur Erlangung der Meisterschaft
1. Verbinden Sie sich mit Ihrer Umgebung – Originäre Kräfte
Die Bewohner der Karolinen
2. Nutzen Sie Ihre Stärken – Perfekte Konzentration
A. Albert Einstein
B. Temple Grandin
3. Transformation durch Übung – Das Gespür
Cesar Rodiguez
4. Verinnerlichen Sie die Details – Die Lebenskraft
Leonardo da Vinci
5. Erweitern Sie Ihr Sichtfeld – Der umfassende Blick
Freddie Roach
6. Lassen Sie sich auf das Andere ein – Die umgekehrte Perspektive
Daniel Everett
7. Fassen Sie alle Wissensformen zusammen – Der/Die Universalgelehrte
Johann Wolfgang von Goethe
Umkehrung
Das falsche Selbst – das wahre Selbst – Entmystifizierung des Genies – Ihr Lebenszweck – Ihr Potenzial nutzen
Biografien zeitgenössischer Meister
Danksagung
Zitatquellen
Auswahlbibliografie
Jeder hat sein eigen Glück unter den Händen, wie der Künstler eine rohe Materie, die er zu einer Gestalt umbilden will. Aber es ist mit dieser Kunst wie mit allen: Nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren; sie will gelernt und sorgfältig ausgeübt sein.
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
Macht und Intelligenz stellen in einer ganz bestimmten Form den Gipfel des für den Menschen Erreichbaren dar. Sie sind der Ursprung der größten Leistungen und Entdeckungen der Menschheitsgeschichte. Diese Intelligenz wird weder an unseren Schulen gelehrt, noch von Professoren untersucht, und dennoch haben wir fast alle irgendwann einmal einen Blick darauf erhaschen können. Das geschieht häufig, wenn wir unter Anspannung sind – unter Zeitdruck ein Problem lösen, eine Krise meistern müssen. Oder es passiert, wenn wir uns dauerhaft einer Aufgabe widmen. Unter dem Druck der Situation fühlen wir uns dann in unerwarteter Weise energiegeladen und fokussiert. Unser Verstand geht völlig in der Aufgabe auf, die es zu bewältigen gilt. Aus dieser intensiven Konzentration entspringen die verschiedensten Ideen – selbst im Schlaf, aus heiterem Himmel –, als würden sie direkt aus unserem Unterbewusstsein hervorbrechen. Andere Menschen scheinen unserem Einfluss zu diesen Zeiten weniger Widerstand entgegenzubringen; vielleicht sind wir ihnen gegenüber besonders aufmerksam, oder wir verfügen in ihren Augen über eine besondere Stärke, der sie Respekt zollen. Gut möglich, dass wir unser Leben normalerweise eher passiv verbringen, als eine Folge von Reaktionen auf alle möglichen Vorfälle, aber während dieser besonderen Tage oder Wochen sind wir offenbar in der Lage, die Ereignisse selbst zu bestimmen und Dinge zu bewirken.
Diese Macht lässt sich folgendermaßen beschreiben: Die meiste Zeit leben wir in einer inneren Welt der Träume, Sehnsüchte und zwanghaften Gedanken. In einer Phase außergewöhnlicher Kreativität dagegen verspüren wir den Drang, etwas zu vollbringen, das praktische Auswirkungen hat. Wir zwingen uns unser alltägliches Denkschema zu verlassen und mit der Welt, mit anderen Menschen und der Wirklichkeit in Verbindung zu treten. Anstatt im Zustand permanenter Ablenkung wie ein Irrlicht bald hierhin, bald dorthin zu jagen, sammeln sich unsere Gedanken und dringen vor bis zum Kern der Wirklichkeit. In diesen Augenblicken ist es, als würde unser Verstand von innen nach außen gekehrt, vom Licht der uns umgebenden Welt durchflutet – von neuen Erkenntnissen und Ideen, die uns beflügeln und unsere Kreativität anregen.
Wenn die Frist eingehalten, die Krise überstanden ist, dann sinken unsere Fähigkeiten und Kreativität meist wieder auf das übliche Maß zurück. Wir lassen uns wieder ablenken und das Gefühl der Kontrolle ist wieder verloren. Wenn wir diesen Zustand nur aktiv herbeiführen oder irgendwie länger in Gang halten könnten! Aber irgendwie ist er rätselhaft und schwer zu erreichen.
Das liegt daran, dass diese Art von Macht und Intelligenz einerseits von der Forschung ignoriert wird, andererseits durch zahllose Mythen und Missverständnisse verklärt wird, was das Mysterium noch verstärkt. Wir glauben, Kreativität und Bravour tauchen wie aus dem Nichts auf, als Früchte einer natürlichen Begabung, vielleicht auch einer guten Stimmung oder einer Sternenkonstellation. Es wäre enorm hilfreich, dieses Rätsel aufzuklären – diesem Gefühl der Macht einen Namen zu geben, seine Ursachen zu untersuchen, die geistige Begabung zu definieren, die zu diesem Zustand führt und zu verstehen, wie sich dieser herbeiführen und aufrechterhalten lässt.
Nennen wir diesen Zustand Meisterschaft – das Gefühl, dass wir die Realität, andere Menschen und uns selbst besser unter Kontrolle haben. Für viele bleibt dies eine vorübergehende Erfahrung, während es für manche – die Meister ihres Fachs – zur Daseinsform wird, zur Art und Weise, wie sie die Welt sehen. (Zu diesen Meistern zählen Leonardo da Vinci, Napoleon Bonaparte, Charles Darwin, Thomas Edison, Martha Graham und viele andere.) Und zur Meisterschaft führt im Grunde ein einfacher Prozess – der diese Macht praktisch für jeden zugänglich macht.
Dieser Prozess lässt sich so beschreiben: Angenommen, wir lernen Klavier spielen oder wir treten eine neue Arbeitsstelle an und müssen bestimmte Fertigkeiten entwickeln: Wir beginnen als Außenseiter; unsere ersten Eindrücke vom Klavierspiel oder der Arbeitsstelle basieren auf Vorurteilen und sind häufig von Angst geprägt. Die Klaviatur sieht zu Anfang ziemlich bedrohlich aus – noch kennen wir nicht die Beziehungen zwischen den Tasten, den Akkorden, den Pedalen und allem anderen, das für das Entstehen von Musik von Bedeutung ist. An der neuen Arbeitsstelle sind uns weder das Machtgefüge der Kollegen noch die Eigenheiten des Chefs geläufig, und die Regeln und Vorgehensweisen, die als wichtig für den Erfolg gelten, kennen wir nicht. Wir sind unsicher, weil wir einfach nicht über das nötige Wissen verfügen.
Mag sein, dass wir uns in solchen Situationen begeistern können für all das Neue, das wir lernen und mit den neuen Fähigkeiten anfangen können, aber allzu schnell wird klar, wie viel Mühe das kosten wird. Die größte Gefahr besteht darin, sich nun Empfindungen wie Langeweile, Ungeduld, Angst und Unsicherheit zu gestatten, denn damit hören wir auf, zu beobachten und zu lernen. Der Prozess kommt zum Stillstand.
Wenn wir diese Empfindungen aber im Zaum halten und der Zeit ihren Lauf lassen, dann setzt eine bemerkenswerte Entwicklung ein. Je länger wir andere beobachten und ihrem Beispiel folgen, desto mehr gewinnen wir Klarheit, lernen die Regeln und erkennen, wie die Dinge funktionieren und zusammenwirken. Wenn wir weiter üben, fällt es uns immer leichter; wir beherrschen die grundlegenden Fertigkeiten und können uns an neue und interessante Herausforderungen wagen. Wir erkennen Verbindungen, die uns bislang verborgen geblieben waren. Nach und nach gewinnen wir Zutrauen in unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen oder Schwierigkeiten durch beständiges Bemühen zu überwinden.
An einem gewissen Punkt machen wir den Schritt vom Lernenden zum Praktizierenden. Nun folgen wir unseren eigenen Ideen und erhalten dabei wertvolle Rückschlüsse. Unser stetig anwachsendes Wissen wenden wir auf immer kreativere Weise an. Anstatt stur das Vorgehen anderer zu kopieren, bringen wir nun unseren eigenen Stil und unsere Persönlichkeit ins Spiel.
Wenn wir diesem Prozess im Lauf der Jahre treu bleiben, wird ein weiterer Sprung erfolgen – zur Meisterschaft. Die Klaviatur ist nun kein äußerer Fremdkörper mehr, denn wir haben sie verinnerlicht und zu einem Teil unseres Nervensystems, unserer Fingerspitzen gemacht. Im beruflichen Umfeld ist uns die Gruppendynamik und die aktuelle Lage des Betriebes vertraut. Diese Vertrautheit hilft uns bei zwischenmenschlichen Kontakten; wir verstehen andere Menschen besser und können ihre Reaktionen vorhersehen. So kommen wir zu schnellen und äußerst kreativen Entscheidungen. Ideen fliegen uns zu. Die Regeln beherrschen wir inzwischen so gut, dass es an uns ist, sie zu brechen oder neu zu schreiben.
Beim Prozess, der zu dieser höchsten Form der Macht führt, lassen sich drei Phasen oder Ebenen unterscheiden. Die erste ist die Lehrzeit; die zweite ist die Aktiv-Kreative Phase, die dritte die Meisterschaft. In der ersten Phase befinden wir uns außerhalb unseres Fachgebiets und lernen so viel von den Grundlagen und Regeln wie möglich. Da wir noch nicht das ganze Feld überblicken, ist unser Einfluss noch gering. In der zweiten Phase können wir durch viel Übung und Vertiefung schon ins Innere des Getriebes blicken; wir verstehen, wie die Dinge zusammenhängen, und gelangen so zu einem sehr viel umfassenderen Verständnis für das Fachgebiet. Dies bringt neue Einflussmöglichkeiten mit sich: Nun können wir mit den Bausteinen experimentieren und in schöpferischer Weise spielen. In der dritten Phase reichen unsere Kenntnisse, unsere Erfahrung und unsere Konzentration so tief, dass wir das Gesamtbild in völliger Klarheit überblicken. Wir haben nun Zugang zum Kern des Lebens – zur menschlichen Natur und den natürlichen Vorgängen. Genau deshalb erschüttern uns die Werke echter Meister bis ins Mark; der Künstler hat etwas vom Geist der Wirklichkeit eingefangen. Deshalb kann der brillante Wissenschaftler ein neues physikalisches Grundgesetz entdecken und der Erfinder oder Unternehmer auf etwas stoßen, das sich niemand zuvor vorgestellt hat.
Wir können diese Fähigkeit Intuition nennen, aber Intuition ist lediglich ein plötzliches und unmittelbares Begreifen dessen, was real ist, ohne dafür Wörter oder Formeln zu gebrauchen. Wörter und Formeln kommen später vielleicht hinzu, aber letztlich ist es diese blitzartige Intuition, die uns der Wirklichkeit näher bringt – wenn unser Verstand plötzlich von einem Funken Wahrheit erleuchtet wird, der uns und anderen bislang verborgen geblieben war.
Auch ein Tier hat die Fähigkeit zu lernen, aber in der Beziehung zu seiner Umwelt und bei der Vermeidung von Gefahr ist es mehr oder weniger ausschließlich auf seine Instinkte angewiesen. Der Instinkt befähigt es, schnell und wirkungsvoll zu handeln. Wir Menschen erschließen uns unsere Umwelt dagegen durch unser Denken und unsere Vernunft. Das Denken kann allerdings einige Zeit erfordern und dadurch ineffektiv sein. In seiner manisch selbstbezogenen Art hat es außerdem die Tendenz, uns von unserer Umwelt abzukoppeln. Die intuitiven Fähigkeiten auf Meisterniveau sind dagegen eine ideale Kombination von Instinkt und Vernunft, von Bewusstem und Unbewusstem, von Tier und Mensch. So können wir unmittelbar und wirkungsvoll auf unsere Umgebung eingehen, um das Wesen der Dinge zu erspüren oder mit unserem Denken zu ergründen. Als Kinder besaßen wir noch etwas von dieser intuitiven Macht und Spontanität, aber in der Regel wird sie uns im Lauf der Zeit durch all die Informationen, die unser Denken überfluten, gründlich ausgetrieben. Den Meistern gelingt es, den Zustand der Kindheit wieder heraufzubeschwören; in ihren Werken spiegelt sich die alte Unmittelbarkeit und der Zugang zum Unterbewusstsein wider, allerdings auf weit höherem Niveau als beim Kind.
Wenn wir diesen Prozess bis zum Endpunkt durchlaufen, dann aktivieren wir die intuitiven Fähigkeiten, die in jedem menschlichen Gehirn angelegt sind und die wir bei der intensiven Arbeit an einem Vorhaben oder Problem vielleicht schon einmal kurz erlebt haben. Wir sehen diese Macht tatsächlich öfter aufblitzen – wenn wir beispielsweise in einer bestimmten Situation eine Vorahnung haben, was als nächstes geschehen wird, oder wenn uns die perfekte Lösung für ein Problem einfach so zufliegt. Leider gehen diese Augenblicke schnell vorüber und lassen sich mangels Erfahrung nicht wiederholen. Erst wenn wir Meisterschaft erlangen, steht uns diese Intuition, die wir uns in einem ausgedehnten Prozess erarbeitet haben, als Fertigkeit zur Verfügung. Und da die Kreativität und die Fähigkeit zum Entschlüsseln neuer Gesichtspunkte der Wirklichkeit in der Welt einen hohen Stellenwert genießen, gewinnen wir damit auch sehr reale Macht.
Meisterschaft können wir uns folgendermaßen vorstellen: Seit jeher fühlte sich der Mensch von den Grenzen seines Bewusstseins, vom mangelnden Austausch mit der Wirklichkeit und von der geringen Einflussmöglichkeit auf die ihn umgebende Welt eingeengt. Auf der Suche nach einfachen Wegen zur Ausweitung seines Bewusstsein und seiner Einflussmöglichkeiten experimentierte er mit magischen Ritualen, Trancezuständen, Beschwörungen und Drogen. Er widmete sein Leben der Alchemie und der Suche nach dem sagenhaften Stein der Weisen, der alle Materie in Gold zu verwandeln vermag.
Die Sehnsucht nach einer solchen magischen Abkürzung hat sich bis in heutige Zeit erhalten, beispielsweise in einfachen Erfolgsformeln oder aus der Vorzeit überlieferten Geheimnissen, die uns endlich enthüllen, wie sich durch einen bloßen Wandel unserer Einstellung die ersehnte Energie heraufbeschwören lässt. Ein Körnchen Wahrheit und ein gewisser praktischer Nutzen ist diesen Bemühungen nicht abzusprechen – so beispielsweise die Betonung der tiefen Konzentration in der Magie. Schlussendlich aber kreist diese ganze Suche doch um etwas, das nicht existiert – den mühelosen Weg zu verwertbarer Macht, die schnelle und einfache Lösung, das Eldorado des Geistes.
Allzu viele Menschen verlieren sich in diesen endlosen Fantasien und vergessen dabei die eine echte Fähigkeit, die sie tatsächlich besitzen. Und anders als bei der Magie oder einfachen Patentrezepten können wir die praktischen Auswirkungen dieser Macht im Lauf der Geschichte tatsächlich beobachten – in den großen Entdeckungen und Erfindungen, in herrlichen Gebäuden und Kunstwerken, in unseren technischen Fertigkeiten und allen anderen Meisterleistungen des Geistes. Diese Macht schafft für den, der über sie verfügt, eine Verbindung mit der Wirklichkeit der Welt, die ihn in ihren Lauf eingreifen lässt in einer Weise, wie es sich die Mystiker und Magier der alten Zeiten kaum hätten erträumen können.
Über die Jahrhunderte haben die Menschen eine hohe Mauer um derartige Meisterschaft errichtet, haben sie Genialität genannt und für unerreichbar erachtet. Sie sei ein Privileg, ein angeborenes Talent, das vielleicht einfach auf einer günstigen Konstellation der Gestirne beruht und als solches ebenso unerreichbar ist wie die Magie. Aber diese Mauer war nur Einbildung. Denn dies ist das wirkliche Geheimnis: Das Gehirn, über das wir verfügen, ist das Ergebnis einer sechs Millionen Jahren währenden Entwicklung, und mehr als alles andere war diese dazu angelegt, uns zur Meisterschaft zu führen, zu der Macht, die in jedem von uns schlummert.
Seit drei Millionen Jahren sind wir Jäger und Sammler, und nur durch die evolutionären Zwänge dieses Lebens hat sich schließlich ein so anpassungsfähiges und schöpferisches Gehirn entwickelt. Heute schauen wir mit dem Jäger-Sammler-Gehirn in die Welt hinaus.
RICHARD LEAKEY
Heute ist es kaum vorstellbar, aber unsere ersten menschlichen Vorfahren, die sich vor etwa sechs Millionen Jahren in die Savanne Ostafrikas hinauswagten, waren erstaunlich schwache und verletzliche Geschöpfe. Sie waren kaum anderthalb Meter groß. Sie gingen aufrecht und konnten auf zwei Beinen laufen, waren den schnellen Raubtieren auf vier Beinen, die ihnen nachstellten, an Geschwindigkeit aber hoffnungslos unterlegen. Sie waren dünn und ihre Arme taugten kaum zur Verteidigung. Sie besaßen weder Klauen noch Reißzähne oder Gift, um sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen. Für die Suche nach Früchten, Nüssen, Insekten und Aas mussten sie in die offene Savanne hinaus, wo sie für Leoparden und Hyänenrudel leichte Beute waren. Schwach und wenig zahlreich, wie sie waren, hätten sie leicht aussterben können.
Trotzdem wurden unsere körperlich eher unscheinbaren Vorfahren im Lauf weniger Millionen Jahre (am Maßstab der Evolution ein erstaunlich kurzer Zeitraum) zu den beeindruckendsten Jägern des Planeten. Was in aller Welt könnte eine solche wunderbare Wende bewirkt haben? Manche meinen, es habe mit dem Stehen auf zwei Beinen zu tun; so sind die Hände frei und können mit den opponierbaren Daumen und dem präzisen Griff Werkzeuge herstellen. Derartige mechanistische Erklärungen gehen aber am Kern der Sache vorbei. Nicht unseren Händen verdanken wir unsere Dominanz und Meisterschaft, sondern unserem Gehirn, das wir zum leistungsfähigsten Werkzeug der gesamten Natur geformt haben – stärker als jede Kralle. Basis für diese geistige Transformation sind zwei einfache biologische Eigenschaften, denen die primitiven Menschen zum Durchbruch verhalfen: das Visuelle und das Soziale.
Unsere frühesten Vorfahren stammen ab von Primaten, die über Jahrmillionen in den Wipfeln der Bäume gehaust und dort außerordentlich bemerkenswerte Sehleistungen entwickelt hatten. Um sich in einer solchen Umgebung rasch und effektiv zu bewegen, ist eine extrem gute Koordination von Augen und Muskulatur nötig. Ihre Augen nahmen im Gesicht eine immer frontalere Position ein, die räumliches Sehen ermöglicht. So erhält das Gehirn eine sehr genaue, dreidimensionale Perspektive, allerdings in einem recht schmalen Gesichtsfeld. Tiere mit ähnlicher Anordnung der Augen – anstatt seitlich am Kopf – sind in der Regel tüchtige Jäger, wie Eulen oder Katzen. Dieses leistungsfähige Sehvermögen lässt sie zielsicher auf ferne Beute zusteuern. Baumbewohnende Primaten entwickelten diesen Gesichtssinn allerdings zu einem anderen Zweck – sie mussten sich im Gewirr der Äste zurechtfinden, und dort mit großer Effizienz Früchte, Beeren und Insekten erkennen. Dazu entwickelten sie außerdem ein raffiniertes System zum Farbensehen.
Als unsere frühen Vorfahren von den Bäumen herabstiegen und ins Gras der offenen Savanne hinausgingen, nahmen sie eine aufrechte Körperhaltung an. Da sie bereits über ein leistungsfähiges Sehvermögen verfügten, konnten sie weit in die Ferne blicken. (Giraffen und Elefanten sind zwar sehr viel größer, aber ihre Augen liegen seitlich am Kopf, so dass sie gute Rundumsicht haben.) So sahen sie gefährliche Raubtiere schon in großer Entfernung am Horizont und konnten ihre Bewegungen sogar in der Dämmerung verfolgen. Innerhalb weniger Sekunden oder Minuten war so ein sicherer Rückzug möglich. Wenn sie den Blick dagegen auf nah gelegene Dinge richteten, konnten sie gleichzeitig eine Vielzahl wichtiger Einzelheiten ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen – Fußabdrücke und andere Hinweise auf durchziehende Raubtiere oder die Farben und Formen der Steine, die sie aufheben und gegebenenfalls als Werkzeuge verwenden konnten.
In den Baumwipfeln war der Gesichtssinn noch auf Schnelligkeit ausgerichtet gewesen – rasch erkennen und reagieren. Nun im offenen Grasland war es anders. Für die eigene Sicherheit und das Finden von Nahrung war einerseits lange, geduldige Beobachtung der Umgebung nötig, andererseits die Fähigkeit, kleine Details wahrzunehmen und sich darauf zu konzentrieren, was sie bedeuten mochten. Das Überleben unserer Vorfahren hing entscheidend von ihrer Geduld und Beobachtungsgabe ab. Je länger und genauer sie hinsahen, desto besser konnten sie zwischen günstiger Gelegenheit und tödlicher Gefahr unterscheiden. Natürlich sah man mehr, wenn man rasch den Horizont überblickte, aber bei der zur Verfügung stehenden Sehschärfe überflutete man das Gehirn mit zu vielen Details. Der Gesichtssinn einer Kuh ist für den raschen Überblick ausgelegt, der des Menschen auf Schärfentiefe.
Tiere sind auf ewig in der Gegenwart gefangen. Sie lernen zwar aus kurz zurückliegenden Ereignissen, werden aber leicht abgelenkt von dem, was sich vor ihren Augen befindet. Nach und nach, überwanden unsere Vorfahren diese grundlegende tierische Schwäche. Wenn sie beliebige Objekte nur lange genug betrachteten und sich dabei – auch nur für Sekunden – nicht ablenken ließen, dann konnten sie sich von ihrer unmittelbaren Umgebung zeitweise abkoppeln. So konnten sie Muster erkennen, verallgemeinern und vorausdenken. Sie verfügten über genügend gedanklichen Abstand, um zu denken und zu reflektieren, selbst im kleinsten Maßstab.
Im ständigen Bemühungen, Raubtieren aus dem Weg zu gehen und Nahrung zu finden, entwickelten die ersten dieser frühen Menschen die Abstraktion und das Denken zu ihrem größten Vorteil. Das verband sie mit einer Realität, zu der andere Tiere keinen Zugang hatten. Das Denken auf dieser Stufe war zweifellos der entscheidende Wendepunkt der gesamten Evolution – die Herausbildung des Bewusstseins und der Vernunft.
Der zweite biologische Vorteil ist subtiler, dem visuellen Aspekt in seinen Auswirkungen aber ebenbürtig. Die Primaten sind im Grunde alle gesellige Tiere, aber wegen ihrer Verletzlichkeit im offenen Gelände waren unsere frühesten Vorfahren in ganz besonderer Weise auf den Zusammenhalt der Gruppe angewiesen. Nur eine Gruppe konnte ständig und wirkungsvoll nach Raubtieren Ausschau halten oder Nahrung beschaffen. Schon diese frühen Hominiden zeigten ungleich mehr Sozialkontakte als andere Primaten. Im Lauf von Hunderttausenden von Jahren verfeinerte sich diese soziale Intelligenz immer weiter und befähigte unsere Vorfahren, auf hohem Niveau miteinander zu kooperieren. Und wie bei der Wahrnehmung unserer natürlichen Umgebung beruhte diese Intelligenz auf erhöhter Aufmerksamkeit und Konzentration. Das Missverstehen sozialer Signale in einer Gruppe birgt beträchtliche Gefahren.
Die Weiterentwicklung dieser beiden Merkmale – des Visuellen wie des Sozialen – versetzte unsere Vorfahren vor etwa zwei bis drei Millionen Jahren in die Lage, sich mit der Jagd eine überaus komplexe Fertigkeit anzueignen und zu perfektionieren. Mit wachsendem Einfallsreichtum reifte diese Fähigkeit zu einer veritablen Kunstform heran. Die Jagd wurde durch den Lauf der Jahreszeiten bestimmt, verbreitete sich über die gesamte euro-asiatische Landmasse, und die Menschen passten sich an die verschiedensten Klimate an. In einem raschen Evolutionsschub bis vor etwa 200 000 Jahren wuchs das menschliche Gehirn praktisch bis auf seine heutige Größe an.
In den 1990er Jahren stieß eine Gruppe italienischer Neurologen auf eine mögliche Erklärung für den erstaunlichen Leistungszuwachs unserer Vorfahren bei der Jagd und lernte gleichzeitig etwas über die Meisterschaft, wie wir sie heute kennen. Bei Untersuchungen an Affenhirnen erkannten sie, dass spezielle Motoneuronen ihre Impulse nicht nur bei einer ganz spezifischen Bewegung – wie dem Ziehen an einem Hebel, um eine Erdnuss oder eine Banane zu erhalten – abfeuern, sondern auch, wenn das betreffende Tier andere beim Ausüben dieser Handlung beobachtet. Diese Nervenzellen wurden schon bald Spiegelneuronen genannt. Das Feuern der Neuronen bedeutet, dass die Primaten das Beobachten einer Handlung praktisch genauso empfinden wie das Ausüben – sie sind also in der Lage, sich in die Lage eines anderen Tieres zu versetzen und dessen Bewegungen so zu erleben, als übten sie diese selbst aus. Dies ist die Grundlage dafür, dass viele Primaten fähig sind, andere zu imitieren. Bei Schimpansen geht das so weit, dass sie die Absichten und Handlungen eines Rivalen vorausahnen können. Es ist zu vermuten, dass sich derartige Neuronen nur aufgrund des Gemeinschaftslebens der Primaten entwickeln konnten.
Auch beim Menschen konnten kürzlich derartige Neuronen nachgewiesen werden, allerdings in weiterentwickelter Form. Ein Affe oder Primate kann eine Handlung vom Standpunkt des Ausübenden wahrnehmen und daraus auf dessen Absichten schließen. Wir dagegen brauchen keinerlei visuelle Hinweise und können uns in die Gedanken einer anderen Person hineinversetzen und uns vorstellen, was diese denkt, ohne dass irgendjemand eine Handlung vornimmt.
Unsere Vorfahren konnten mithilfe der Spiegelneuronen schon aus leisesten Anzeichen die Wünsche ihrer Artgenossen ablesen und so ihre sozialen Fertigkeiten verbessern. Auch für die Herstellung von Werkzeugen waren die Neuronen wichtig – konnte man sich doch die Fertigkeit durch Imitation der Handgriffe eines Experten selbst aneignen. Bedeutsamer war aber wahrscheinlich die Möglichkeit, sich in alles in der Umgebung hineinzudenken. Nach jahrelanger Beobachtung bestimmter Tiere konnten sich frühe Jäger mit diesen identifizieren, wie diese denken, ihre Verhaltensmuster vorausahnen und so ihre eigene Fähigkeit beim Aufspüren und Töten von Beutetieren perfektionieren. Das Hineindenken schloss die unbelebte Umwelt natürlich ein. Beim Formen eines Steinwerkzeugs wurde der erfahrene Werkzeugmacher eins mit seinen Gerätschaften. Stein oder Holz, das zur Bearbeitung diente, war eine Verlängerung der Hand und fühlte sich an wie ein Teil des eigenen Körpers. Das kam der präzisen Kontrolle des Werkzeugs zugute, sowohl bei der Herstellung als auch bei der Benutzung. Diese geistige Fähigkeit erschloss sich aber erst durch jahrelange Übung. Wurde eine bestimmte Fähigkeit erst einmal beherrscht – das Aufspüren von Beute, das Formen eines Werkzeugs – dann war sie automatisiert, und man musste sich bei ihrer Ausübung nicht mehr auf einzelne Handlungen besinnen, sondern konnte die Gedanken auf etwas Höheres richten – was das Beutetier wohl dachte, oder wie das Werkzeug fast zu einem Teil der Hand geworden war. Dieses Hineindenken ist gewissermaßen ein präverbale Version der Intelligenz der dritten Stufe – eine primitive Entsprechung von Leonardo da Vincis intuitivem Verständnis von Anatomie und Landschaften oder Michael Faradays Gespür für Elektromagnetismus. Diese Stufe der Meisterschaft versetzte unsere Vorfahren in die Lage, rasch und wirkungsvoll Entscheidungen zu treffen, da sie über ein umfassendes Verständnis für ihre Umgebung und ihre Beute verfügten. Ohne die Entwicklung dieser Fähigkeit wären die Gehirne unserer Vorfahren von den für eine erfolgreiche Jagd zu verarbeitenden Informationen nur allzu leicht überfordert worden. Sie hatten diese Intuition jedoch schon Hunderttausende von Jahren vor der Erfindung der Sprache entwickelt, weswegen uns diese Art von Intelligenz präverbal erscheint, eine Macht, die sich nicht in Worte fassen lässt.
Aber vergessen wir nicht: Dieser lange Zeitraum spielt in unserer geistigen Entwicklung eine entscheidende Rolle. Er hat unser Verhältnis zur Zeit grundlegend verändert. Den Tieren ist die Zeit der größte Feind. Wer sich als potenzielles Beutetier zu lange an einem Ort aufhält, kann das schnell mit dem Leben bezahlen. Zögert dagegen ein Räuber zu lange, dann wird ihm die Beute entkommen. Für Räuber bedeutet Zeit außerdem körperlichen Verfall. Unsere jagenden Vorfahren dagegen wendeten dieses Prinzip zu ihrem Vorteil. Je länger sie etwas beobachteten, desto größer ihre Vertrautheit damit und desto stärker ihre Bindung an die Realität. Mit der gesteigerten Erfahrung verbesserte sich natürlich ihre Jagdfertigkeit. Und durch fortgesetztes Üben schufen sie immer wirkungsvollere Werkzeuge. Dann mochte der Körper zwar verfallen, aber der Geist brachte weiter seine Leistung beim Lernen und Anpassen. Eine derartige Nutzung der Zeit ist der entscheidende Bestandteil der Meisterschaft.
In der Tat können wir feststellen, dass diese revolutionäre Beziehung zur Zeit den menschlichen Geist grundlegend verändert und ihm eine besondere Eigenheit, eine Maserung oder einen Schliff, verliehen hat. Wenn wir uns zur Konzentration wirklich Zeit nehmen, wenn wir darauf vertrauen, dass uns ein Weg, der Monate – vielleicht Jahre – in Anspruch nimmt, zur Meisterschaft führen wird, dann arbeiten wir im Einklang mit dem Schliff dieses wunderbaren Instruments, das sich über so viele Millionen von Jahren entwickelt hat. Und wir erreichen unweigerlich höhere Intelligenzstufen. Unser Verständnis ist tiefer und realistischer. Was wir tun, geschieht mit großer Fertigkeit. Wir lernen, selbst zu denken. Wir kommen ohne Überforderung mit komplexen Situationen zurecht. Beim Verfolgen dieses Wegs werden wir zum Homo magister, zum Meister oder zur Meisterin.
Sollten wir aber glauben, wir könnten auf diesem Weg Schritte überspringen, uns Mühen ersparen, durch Beziehungen oder simple Patentrezepte Macht erlangen, dann arbeiten wir gegen den Schliff und verraten unsere natürlichen Fähigkeiten. Denn dann werden wir zu Sklaven der Zeit – sie verstreicht und wir werden schwächer, unfähiger und enden in einer Sackgasse. Wir werden abhängig von Meinungen und Ängsten anderer. Statt dass uns unser Geist in der Realität verankert, verlieren wir die Bindung zu ihr und bleiben in einem engen Gedankengehäuse gefangen. Der Mensch, der sich für sein Überleben auf seine unbedingte Aufmerksamkeit verlassen konnte, wird dann zum alles nur rastlos überfliegenden Tier, unfähig zum tiefen Denken und dennoch unfähig, seinen Instinkten zu vertrauen.
Den Gipfel der Unvernunft bildet der Glaube, man könne im Lauf unseres kurzen Lebens, dieser wenigen bewusst erlebten Jahrzehnte, die Verschaltung des Gehirns durch technische Kniffe und Wunschdenken entscheidend verändern und das Resultat einer sechs Millionen Jahre währenden Entwicklung überwinden. Das Arbeiten gegen den Schliff mag vorübergehend Ablenkung bringen, aber letztlich wird die Zeit die Schwäche und Ungeduld schonungslos bloßlegen.
Es ist unser Segen, dass uns mit unserem Gehirn ein unglaublich formbares Instrument überliefert wurde. Unsere jagenden und sammelnden Vorfahren haben ihm im Lauf der Zeiten seine heutige Form gegeben, indem sie eine Kultur des Lernens und der Anpassung an die äußeren Umstände erschaffen haben – und das unabhängig vom unendlich langsamen Voranschreiten der biologischen Evolution. Wir als moderne Individuen verfügen mit unseren Gehirnen heute noch über dieselbe Macht, dieselbe Plastizität. In jedem beliebigen Augenblick können wir uns bewusst dafür entscheiden, mit dem Schliff zu arbeiten, da wir über dessen Existenz und Bedeutung Bescheid wissen. Und wenn wir so den Faktor Zeit für uns arbeiten lassen, kehren wir schlechte Gewohnheiten und Trägheit ins Gegenteil und bewegen uns auf der Leiter der Intelligenz aufwärts.
Wir müssen diese Entscheidung als Rückkehr zu unserer radikalen, fernen Vergangenheit als Menschen begreifen, uns wieder dauerhaft einklinken in diese seit den frühen Tagen unserer Vorfahren kontinuierlich fortschreitende Entwicklung, nur mit modernen Mitteln. Unsere Umgebung mag sich verändert haben, aber unser Gehirn ist dasselbe, und seine Fähigkeit zu lernen, sich anzupassen und die Zeit zu meistern bleibt ungebrochen.
Der Mensch muss lernen, den Lichtstrahl aufzufangen und zu verfolgen, der in seinem Inneren aufblitzt, und mehr auf ihn achten als auf das Glitzern eines Sternenhimmels von Barden und Weisen. Aber achtlos übergeht er den Gedanken, weil es sein eigener ist. In jedem Geniestreich entdecken wir Gedanken, die wir selbst verworfen haben; sie kommen mit einer bestimmten verfremdeten Würde zu uns zurück.
RALPH WALDO EMERSON
Wenn wir doch alle mit im Grunde sehr ähnlichen Gehirnen geboren sind, mit mehr oder minder derselben Ausstattung und Anlage zur Meisterschaft, warum hat dann im Lauf der Geschichte nur eine begrenzte Anzahl von Menschen dieses Potenzial genutzt und sich durch außerordentliche Leistungen wirklich hervorgetan? Technisch gesehen ist dies mit Sicherheit die wichtigste Frage, die wir zu beantworten haben.
Um einen Mozart oder Leonardo da Vinci zu erklären, werden üblicherweise naturgegebenes Talent und Brillanz herangezogen. Wie soll man ihre frappierenden Leistungen auch begreifen, wenn nicht als etwas, das ihnen schon in die Wiege gelegt war? Aber es gibt Abertausende Kinder mit herausragenden Fähigkeiten und Begabungen auf einem bestimmten Gebiet, aber Bedeutung erlangen nur vergleichsweise wenige von ihnen, während es andere, die in der Jugend wenig Talent zeigen, oft sehr viel weiter bringen. Angeborene Begabungen und ein hoher Intelligenzquotient taugen nicht als Erklärung für spätere Leistungen.