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ellermann im Dressler Verlag GmbH · Hamburg

© Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2013

 

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Cover und farbige Illustrationen von Yayo Kawamura

E-Book-Umsetzung: 2013

ISBN 978-3-86273-640-9

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Wir danken den Mitarbeitern des Demeter-Hofs Gut Wulfsdorf für die fachliche Beratung.

Tomaten zum Geburtstag

Die Pflanzen mit den weichen Blättern stehen in Blumentöpfen vor dem Supermarkt. Joshi streicht vorsichtig mit dem Zeigefinger über eines der pelzigen Blätter. Bis zum Bauch reicht ihm die Pflanze, und ihr Geruch erinnert ihn an Moos.

Frieda kommt zu Joshi herüber und beguckt sich die merkwürdige Pflanze.

»Sind das auch Sonnenblumen?«, fragt sie.

Joshi bückt sich und biegt die Blätter auseinander. »Das glaub ich nicht. Sonnenblumen sind doch gelb. Und die hier haben gar keine Blüten.«

»Vielleicht fangen die erst später zu blühen an«, überlegt Frieda. Joshi schaut zu den Sonnenblumentöpfchen hinüber und überlegt. Nein, das hier sind garantiert keine Sonnenblumen.

»Na, die sind doch einfach wunderbar«, schrillt eine Stimme hinter Joshi. Erschrocken dreht er sich um. Eine Frau mit klimpernden Armreifen und großen Ohrringen drängt Joshi zur Seite und greift sich zwei der Pflanzen. »Nur zwei Euro neunzig. Gute Güte, das ist doch ein Geschenk. Da nehme ich gleich zwei.«

Joshi und Frieda gucken einander an, dann schauen sie der Frau hinterher, die, links und rechts einen Pflanzenkübel im Arm, auf den Eingang vom Supermarkt zueilt.

Frieda betrachtet den Fünfeuroschein in ihrer Hand. Den hat Mama ihr gegeben, damit sie eine Geburtstagsblume für Adele kaufen können. Um fünf geht ihre Party los. Das ist in einer halben Stunde. Wenn Joshi und Frieda pünktlich sein wollen, müssen sie sich jetzt für eine Geburtstagsblume entscheiden.

»Wir könnten für zwei Euro Fußballbilder kaufen, wenn wir die Dinger ohne Blüte nehmen«, flüstert Frieda und grinst.

Joshi findet die Idee nicht schlecht. Ihm und Frieda fehlen nur noch drei Sammelbilder, dann haben sie die Champions League komplett. »Aber die Dinger haben keine Blüten. Vielleicht sind es gar keine richtigen Blumen«, meint Joshi.

»Quatsch. Du hast doch selbst gesehen, wie die Frau sich gefreut hat. Ein Geschenk, hat sie gesagt. Da ist es doch nicht schlimm, dass die Pflanze keine Blüten hat. Und für Adele reicht das allemal, die ist sowieso ein bisschen komisch.«

Joshi denkt nach. Irgendwie findet er nicht, dass Frieda recht hat. Dass Adele jetzt einen Blumentopf mit einem grünen Stängel und muffig riechenden Blättern dran als Geburtstagsgeschenk kriegen soll, das ist einfach nicht okay. Auch wenn Adele neu ist in der Siedlung und Joshi und Frieda sich mit ihr noch nicht richtig angefreundet haben.

»Weißt du, ich finde …«, fängt Joshi an. Aber bevor er zu Ende sprechen kann, hat Frieda den Blumentopf schon gepackt und marschiert damit zur Kasse.

»Komm, wir haben’s eilig. Wir können ja sagen, die Blume ist uns unterwegs abgeknickt und runtergefallen. Wir müssen ja keinem die Wahrheit erzählen.«

Joshi steckt die Hände in die Hosentaschen und trottet hinter Frieda zur Kasse. Irgendwie ist ihm mulmig. Aber als Frieda ihm ein Päckchen Fußballbilder in die Hand drückt, ist das schlechte Gefühl fast ganz vorbei.

Frieda und Joshi hasten die Lerchenfeldstraße entlang und biegen dann in den Erlenweg ein. Da wohnt Adele. Aus dem Garten vor ihrem Haus ist Geschrei und Kreischen zu hören. Frieda gibt Joshi die Blume in die Hand. »Die kannst du ihr geben!«, sagt sie und drückt auf den Klingelknopf. Im Garten wird das Gelächter jetzt lauter, und Joshi späht durch die Hecke. Adele und die anderen Kinder haben ein Haus aus Decken im Garten gebaut. Eine Frau mit schwarzen Locken öffnet die Gartentür.

»Hallo, ich bin Katrin, Adeles Mama. Ihr seid wohl aus Adeles Klasse?«

Frieda nickt. »Ich geh mit Adele in eine Klasse. Joshi nicht. Er ist mein kleiner Bruder. Der geht noch nicht zur Schule.«

»Na, dann kommt mal rein.«

Adele kommt aus dem Deckenhaus gekrochen und winkt. Sie freut sich, dass Frieda gekommen ist. »Hallo. Es gibt Eis in unserer Burg. Wollt ihr auch eins?«

»Klar«, sagt Frieda. »Alles Gute zum Geburtstag. Wir haben dir was mitgebracht.«

Joshi schaut unsicher auf die Pflanze in seinen Händen. Tja, blöd, dass es keine Blume ist. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann würde er Adele jetzt sicher eine richtige Sonnenblume überreichen. Aber es ist ja nicht nach ihm gegangen. Die Packung Fußballbilder pikst durch Joshis Hosentasche in seinen Oberschenkel.

»Tut mir leid«, murmelt Joshi. »Äh, alles Gute zum Geburtstag, meine ich natürlich.«

»Das ist ja toll«, ruft Adele und nimmt Joshi die Pflanze aus der Hand. »Woher habt ihr gewusst, dass ich mir ausgerechnet die wünsche! Vielen Dank.« Adele läuft mit dem Blumentopf hinüber zur Terrasse. »Die werde ich gleich aussetzen. Wollt ihr mir helfen?«

Joshi ist richtig froh, dass Adele das Geschenk so gut gefällt. Als er sich zu Frieda umdreht, ist die schon im Deckenhaus verschwunden. Pflanzen aussetzen, davon hat Joshi doch keine Ahnung. So was hat er noch nie gemacht. Joshi seufzt und steckt die Hände in die Hosentaschen.

»Wir setzen die hier neben die Himbeerpflanzen. Da hat sie viel Sonne.« Adele buddelt mit einer kleinen Schaufel ein Loch in die Erde. Ihre Wangen sind ganz rot vor Aufregung. Joshi kniet sich neben sie und schiebt mit den Händen die Erde vom Loch weg.

»Macht Gärtnern dir auch so viel Spaß?«, fragt Adele.

Joshi schaut Adele an und schluckt. Er weiß nicht, was er jetzt sagen soll.

»Blöd, dass der Blume der Kopf abgefallen ist. Aber vielleicht wächst ja einer nach«, platzt es aus ihm heraus.

Adele runzelt die Stirn. »Was denn für ein Kopf? Was meinst du?«

»Na, der Blütenkopf.«

»Aber die Blüten sind doch schon längst verblüht. Schau mal, da!« Adele tippt auf eine der vielen grünen Kügelchen, die an den Zweigen wachsen. Die hatte Joshi noch gar nicht bemerkt.

»Jedes dieser Kügelchen war vor kurzer Zeit eine kleine gelbe Blüte«, erklärt Adele.

»Ach so, na klar«, sagt Joshi und hält den Topf mit beiden Händen fest, während Adele die Pflanze vorsichtig herauszieht. Adele setzt die Pflanze mit ihren Wurzeln in das Erdloch und gräbt es zu.

Neugierig befühlt Joshi die grünen Perlen an den Zweigen.

»Die werden schmecken«, versichert Adele. »Traumhaft, sag ich dir!«

Joshi nickt. Er würde zu gern wissen, was es mit diesen grünen Kügelchen auf sich hat. Ob die wirklich schmecken?

»Damit habt ihr mir eine große Freude gemacht. Vielen Dank«, sagt Adele und drückt Joshi einen Kuss auf die Wange. Joshi wischt den Kuss ab und sieht zu, wie Adele einen Bambusstab in die Erde steckt und die Pflanze daran festbindet. Eigentlich findet Joshi Adele sehr nett. Er zieht die Fußballbilder aus der Hosentasche und hält sie Adele hin. »Hier, bitte schön. Die sind auch noch für dich.«

»Danke, Joshi. Das ist lieb von dir. Aber ich mach mir gar nichts aus Fußball. Komm lieber, wenn die Tomaten reif sind, und hilf mir bei der Ernte. Du kannst natürlich welche abhaben.«

Joshi runzelt die Stirn. Dann begreift er. Die grünen Pummelchen an den Pflanzen, das sind Tomaten! Na klar! Die sind jetzt noch ganz klein und müssen wachsen. Es ist keine Sonnenblume, die sie Adele geschenkt haben, sondern eine Tomatenpflanze!

»Und wann sind die Tomaten reif?«, will Joshi wissen.

»Na ja, zwei, drei Monate wird es schon dauern. Komm mich einfach jede Woche besuchen. Dann kannst du selbst nachschauen, ob sie schon groß und rot geworden sind.«

 

Joshi erzählt Frieda kein Wort über das Geheimnis der Tomatenpflanze. Er geht einfach von nun an jede Woche zu Adele. Immer am Dienstag, nach dem Fußballtraining. Von Anfang bis Mitte Sommer wächst die Pflanze, bis sie Joshi an die Schulter reicht. Adeles Mutter hat einen Joghurtbecher mit Löchern drin neben der Pflanze eingegraben, weil man Tomaten nicht von oben gießen darf. Joshi kippt jeden Dienstag eine halbe Gießkanne voll Wasser in den Joghurtbecher. Bald werden die Tomaten an den Zweigen schwer und groß wie kleine Äpfel. Gegen Ende des Sommers ist es endlich so weit: Die Tomaten sind prall und knallrot, und wenn man nur ganz wenig an ihnen zieht, fallen sie ganz von selbst von den Rispen. Adele wäscht die Tomaten unter dem Gartenschlauch und lässt Joshi abbeißen. Fruchtig, herzhaft und zugleich etwas süß schmecken Adeles Tomaten. Jeden Dienstag gibt Adele Joshi drei Tomaten ab. Sie teilt alles mit ihm, was auf der Staude wächst. Joshi findet das schwer in Ordnung. Er nimmt die Tomaten mit nach Hause und bereitet für sich und Frieda stolz ein Abendessen daraus. Tomatenbrot – das hat Adele ihm gezeigt. Frieda tut erst so, als könne sie Tomaten überhaupt nicht leiden. Aber als Joshi kurz nicht hinsieht, hat sie schon zwei Scheiben Brot gegessen.

Wissensecke

Was wären wir nur ohne die Indianer! Viele Hundert Jahre bevor die Menschen in Europa Tomaten, Kartoffeln oder Mais kannten, bauten die Indianer diese Pflanzen längst an. Der Name Tomate kommt von den Azteken, die früher in Mittelamerika lebten. Die Azteken nannten die rote Beerenfrucht tomatl. Das bedeutet »prall angeschwollenes Ding«. Und wirklich sehen reife Tomaten prall und angeschwollen aus. Außen herum haben Tomaten eine feine, glatte Schale und darunter nichts als Saft und Fruchtfleisch. Der Seefahrer Christoph Kolumbus brachte Tomaten nach Europa. Den Leuten in Italien schmeckten sie so gut, dass sie Tomaten in großen Feldern anbauten. Sie kochten sie mit Pfeffer, Essig und Öl und gossen die Soße über ihre Spaghetti. Das machen sie heute noch, und es schmeckt einfach toll, oder?

Lang und lecker

 

»Timon, kannst du mir bitte helfen, die Wäsche reinzuholen?«, ruft Mama. Draußen schüttet es auf einmal, als gösse jemand große Gießkannen über dem Balkon aus.

»Klar, mach ich!« Timon öffnet die Balkontür.

Mama fasst den Wäscheständer hinten und Timon vorne. Gemeinsam heben sie ihn hoch.

»So ein blöder Mist aber auch!«, flucht da plötzlich jemand auf dem Balkon nebenan. Mama und Timon gucken neugierig hinüber. Das ist Herr Frantuschek. Er ist neu eingezogen. Weder Timon noch seine Eltern haben ihn schon näher kennengelernt. Herr Frantuschek hat eine rosa Halbglatze, eine dicke Brille und einen beachtlichen Kugelbauch unter seinem Schlabberhemd. Ungeschickt poltert er mit seinem Wäscheständer gegen das Balkongeländer.

»Diese frechen Vögel. Sie haben fast alles aufgefressen.«

Mama und Timon schauen sich über ihren Wäscheständer hinweg an und grinsen.

»Seit wann fressen Vögel denn Unterhosen?«, flüstert Timon.

»Oder Socken?« Mama muss kichern.

Timon hält besorgt nach seinem zweiten Spiderman-Socken Ausschau. Aber der hängt zum Glück noch genau neben Mamas Schal.

»Jetzt sehen Sie sich das mal an!«

Herr Frantuschek hebt einen schwarzen Schnürsenkel mit zwei Fingern von der Wäscheleine und hält ihn Timon und Mama hin.

»So was will doch kein Mensch mehr essen, hab ich recht?«

Timon schüttelt den Kopf. »Stimmt, Herr Frantuschek. Schnürsenkel will keiner essen. Ich jedenfalls nicht.«

Mama und Timon hieven ihren Wäscheständer ins Wohnzimmer. Aber Timon streckt seinen Kopf sofort wieder durch die offene Tür nach draußen und sieht zu, wie Herr Frantuschek einen Schnürsenkel nach dem anderen von der Leine zupft und über das Balkongeländer wirft. Unten im Gras bleiben sie liegen. Sofort kommen zwei Krähen angeflattert und machen sich hungrig über die Schnüre her. Timon staunt. Das hat er noch nie gesehen, dass Vögel Schnürsenkel fressen.

»Aber so was gibt’s doch nicht!«, ruft Timon.

Herr Frantuschek lächelt.

»Warum nicht? Krähen sind richtige Feinschmecker. Sie lieben meine Spaghetti.«

Jetzt versteht Timon. »Das sind gar keine Schnürsenkel, sondern Spaghetti?«

»Selbst gemachte Spaghetti«, betont Herr Frantuschek.

Timons Mund formt ein stummes O. »Sie können Spaghetti selber machen?«

»Natürlich. Alle Arten von Nudeln kannst du selber machen. Das ist die einfachste Sache der Welt. Sag bloß, du weißt nicht, wie das geht?«

Timon schüttelt den Kopf. »Magst du keine Nudeln?« Herr Frantuschek macht ein besorgtes Gesicht.

»Do-doch«, stottert Timon. »Ich liebe Nudeln. Egal ob lang oder kurz, ob geringelt oder mit einem Loch in der Mitte.«

Herr Frantuschek stemmt die Hände in die Hüften.

»Ich muss heute Nachmittag neue Nudeln machen. Wenn du willst, kannst du mir dabei helfen. Dann zeig ich dir, wie’s geht.«

»Super«, freut sich Timon. Er ist wirklich zu neugierig darauf, wie das mit dem Nudelmachen funktioniert.

 

Um punkt zwei Uhr steht Timon vor Herrn Frantuscheks Tür und klingelt. Herr Frantuschek öffnet sofort. »Komm rein, und lass dich durch die Unordnung nicht stören.«

Timon folgt Herrn Frantuschek durch den mit Kisten und Kartons vollgestellten Flur.

»Ich hab noch nicht alles ausgepackt«, erklärt Herr Frantuschek. »Keine Zeit! Vor drei Tagen hat mich das Fernsehen angerufen und mich zur Küchenshow eingeladen. Fünf Mal hab ich mich schon beworben, und ausgerechnet jetzt hat es geklappt.«

»Wirklich, Sie kochen im Fernsehen? In der Küchenshow?« Timon kennt die Sendung. Sie kommt immer nachmittags, und Mama und er sehen sie ab und zu gemeinsam an, wenn sie neue Ideen brauchen, was sie zusammen kochen könnten. Die Leute, die in der Küchenshow auftreten, müssen besonders gut und schnell kochen können, das weiß Timon.

»Zum Glück ist mein Herd schon angeschlossen, und ich habe meine wichtigsten Kochbücher ausgepackt.«