Algernon Bertram Mitford
Aus dem Englischen von
Johann Georg Kohl,
neu eingerichtet und überarbeitet
von Kim Landgraf
Mit zahlreichen Illustration
japanischer Künstler
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Die englische Originalausgabe erschien 1871
unter dem Titel »Tales of Old Japan« in zwei Bänden
bei Macmillan in London.
Die hier zugrundegelegte erste deutsche Ausgabe
erschien 1875 bei Grunow in Leipzig
(zwei Bände in einem, hier zusammengeführt).
Mit zahlreichen Illustrationen japanischer Künstler
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2007 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
ISBN 978-3-7306-9043-7
V002
www.anacondaverlag.de
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Vorwort und Einleitung |
I. |
Die siebenundvierzig Ronin |
II. |
Die Liebesgeschichte des Gompatschi und der Komurasaki |
III. |
Kasumas Rache |
IV. |
Die Geschichte der Otokodaté von Jedo |
V. |
Asakusa und die japanischen Schau-, Lust- und Trauerspiele |
VI. |
Die wundervollen Abenteuer des Funakoschi Dschujémon |
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Exkurs über die japanischen Preisfechter |
VII. |
Das Etamädchen und der Hatamoto |
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Exkurs über die Eta |
VIII. |
Märchen |
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Der Sperling mit der abgeschnittenen Zunge |
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Der heilbringende und talentvolle Teekessel |
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Der krachende Berg |
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Die Geschichte vom alten Mann, der verdorrte Bäume wieder blühend machte |
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Das Gefecht des Affen mit der Krabbe |
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Klein-Pfirsichs Abenteuer |
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Die Fuchshochzeit |
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Die Geschichte von Sakata Kintoki |
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Die Elfen und der neidische Nachbar |
IX. |
Der Geist von Sakura |
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Der Geist von Sakura |
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Der Geist des Senroku und sein Kind |
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Schusen und der Geist im Brunnen |
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Der spukende Gläubiger |
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Exkurs über die Grabstätten der japanischen Schogune |
X. |
Wie Tajima Schumé von einem Teufel gequält wurde, den er sich selbst geschaffen hatte |
XI. |
Über verschiedene Arten von Aberglauben in Japan |
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Die Vampirkatze von Nabéschima |
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Die Geschichte von der treuen Katze |
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Wie ein Mann behext und sein Kopf von zwei Füchsen geschoren wurde |
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Die dankbaren Füchse |
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Das Geld des Dachses |
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Der Fürst und der Dachs |
XII. |
Japanische Predigten |
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Erste Predigt |
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Die beiden neugierigen Frösche |
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Der Fisch Sasajé in seiner Muschel |
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Zweite Predigt |
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Der verlorene Sohn |
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Dritte Predigt |
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Die guten Freunde, die das Gebrüll der Hirsche belauschen wollten |
XIII. |
Ein Bericht über das Harakiri |
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Über die Vorbereitung des Schauplatzes für das Harakiri |
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Über die Zeremonien, die beim Harakiri einer Person beobachtet werden müssen, die einem Daimio zur Bewachung übergeben wurde |
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Über gewisse Dinge, die die Zeugen zu beachten haben |
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Über die Sekundanten (Kaischakus) |
XIV. |
Verschiedene Feierlichkeiten, Zeremonien und Gebräuche der Japaner |
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Hochzeitsgebräuche |
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Über Geburt und Kindererziehung |
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Begräbnisbräuche |
A. B. Mitford, der Herausgeber und teilweise Verfasser des äußerst interessanten Buches »Tales of Old Japan«, war als Sekretär der britischen Gesandtschaft längere Zeit unter Japanern, eignete sich die Sprache dieses in vieler Hinsicht merkwürdigsten Volkes des östlichen Asiens an, orientierte sich in seiner reichen Literatur, kam in seiner diplomatischen Stellung mit fast allen Klassen der Einheimischen in Berührung und lernte auf manchen Ausflügen und Reisen Land und Leute aus eigener Anschauung kennen.
Vor allen Dingen sammelte er mit viel Fleiß und guter Auswahl mehrere von Japanern verfaßte Schriften, die er so treu und wörtlich, wie es der verschiedene Geist der beiden Sprachen zuließ, ins Englische übersetzte und dann unter obigem Titel publizierte und die ich hier nun, wieder ebenso treu aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, dem größeren Publikum meines Landes vorlege.
Einige der in diesem Buch mitgeteilten Schriften enthalten Berichte über Begebenheiten älteren und neueren Datums: Volkstraditionen, Erzählungen von berühmten Männern und Helden, Schilderungen japanischer Gebräuche und Riten, Märchen und Kindergeschichten, die Mitford teils aus seltenen japanischen Handschriften, teils aus sehr populären und zahlreich im Land verbreiteten, außerhalb Japans aber unbekannten Büchern schöpfte. Da die Schauplätze dieser Geschichten und die in ihnen auftretenden Personen sehr verschieden sind, da einige sich mit den einfachen Bauern und Bürgersleuten, andere mit den hochfahrenden Adeligen und Aristokraten des Reichs, einige mit den Liebesangelegenheiten der Frauen oder mit den Heldentaten und Racheübungen der Männer, andere mit den Einfällen und Phantasiespielen der Kinder beschäftigen, erhält man ein ziemlich vollständiges, von Japanern selbst entworfenes Gemälde des ganzen Volks und der Zustände, Denk- und Lebensweise seiner verschiedenen Klassen und Stände, und in dieser Beziehung steht das Buch Mitfords, ich meine als Buch, dem man den Titel geben könnte »Les Japonais peints par euxmêmes«*, beinahe einzig in seiner Art und ohne Vorgänger da.
»Fast alle über Japan und die Japaner in Europa bisher veröffentlichten Werke«, so über diesen Punkt der Herausgeber selbst,** »wurden entweder aus offiziellen Berichten und politischen Dokumenten kompiliert, oder sie enthielten skizzenhafte Reiseeindrücke von Touristen und Naturforschern. Vom inneren Leben und Wesen der Japaner hat unsere Lesewelt wenig erfahren. Ihre Religion, ihr Aberglaube, ihre Geistesanlagen, die verborgenen Triebfedern ihres Tuns und Treibens – das alles blieb vielfach geheimnisvoll. Und das war auch nicht zu verwundern. Die ersten ›Männer aus dem Westen‹, die mit Japan in Berührung kamen – ich meine nicht die alten holländischen und portugiesischen Kaufleute und Priester, sondern die Diplomaten und Handelsherren der letzten elf Jahre –, wurden im fernen Osten sehr kühl aufgenommen. Das einheimische Gouvernement trachtete jeder Erforschung der Sprache, Literatur, Religion und Geschichte des Landes Hindernisse zu bereiten. Die Regierung des Taikuns – mit der die Fremden, solange der Mikado in seiner alten heiligen Residenz zu Kioto abgesondert und verborgen blieb, allein in Berührung kamen – war sich bewußt, daß der kaiserliche Purpur, mit dem man ihren Chef bekleidet hatte, vor dem hellen Sonnenschein der Sprach- und Geschichtsforschung der Europäer, die die alten Bücher und Dokumente Japans zu lesen und zu verstehen fähig wären, bald vergehen müsse. Keine Gelegenheit wurde versäumt, den Neuankömmlingen Staub in die Augen zu streuen. Man versuchte sie oft schon in den geringfügigsten Nebenumständen über die Verfassung, die sozialen Verhältnisse und die politische Lage des Landes zu täuschen und irrezuführen.
Heute gibt es keinen Anlaß mehr zur Geheimhaltung. Der Roi fainéant (der Mikado) ist aus seiner Lethargie erwacht, hat seinen Maire du palais (den Taikun) beiseite geschoben, und ein verständliches Gouvernement, das eine Beleuchtung von außen nicht zu fürchten braucht, ist das Resultat gewesen. Da die alten Annalen und Urkunden des Reichs hinreichende Beweismittel für die Legitimität der Obergewalt des Mikados liefern, ist Geheimniskrämerei nicht mehr nötig. Der Forschung stehen nun alle Wege offen, und obwohl ihr noch vieles zu tun übrigbleibt, ist doch manche wertvolle Kenntnis erlangt worden, von der man auch in Europa gewiß gern etwas vernehmen wird.
Die in letzter Zeit durchgeführte Revolution in Japan hat sowohl politische als auch soziale Wandlungen zuwege gebracht. Und wenn zu den Änderungen und Fortschritten, die schon gemacht sind, nun auch Eisenbahnen und Telegraphenlinien das Land durchkreuzen und die entlegensten Punkte des Reichs untereinander in Verbindung setzen werden, dann wird wohl der alte Japaner, sowie wir ihn vor elf kurzen Jahren fanden und wie er bis dahin seit Jahrhunderten gewesen war, bald ganz von der Schaubühne abtreten.«
Zur Beleuchtung und charaktervollen Schilderung einer so eigentümlichen und schnell verschwindenden Zivilisation schien dem Herausgeber nichts geeigneter als die Übersetzung und Mitteilung einiger der interessantesten nationalen Legenden, Historien, Sagen und Märchen der Japaner und einiger anderer verwandter Proben ihrer Literatur, in denen die Japaner sich selbst porträtieren.
Mitford hat hier und da seinen Übersetzungen einige einleitende und erklärende Worte, wo sie ihm nötig schienen, hinzugefügt. Auch diese sind als von einem so intelligenten Kenner Japans herrührend vielfach wertvoll und interessant, und ich habe sie daher ebenfalls unverändert übersetzt.
Bei dieser Arbeit haben mir die oft abschreckend langen und fremdartigen japanischen Personennamen nicht wenig zu denken gegeben. Ich mußte dabei die Orthographie des englischen Originals erst wieder ins Deutsche übertragen. Der Verfasser, mit dem ich über diesen Punkt korrespondierte, teilte mir mit, daß er die japanischen Vokale so geschrieben habe wie die Italiener, deren Vokale mit unseren deutschen übereinstimmen. Die Wörter »Kami« und »Hijaku« sind daher nicht auszusprechen wie Kamei und Heijaku, wie die Engländer es tun würden, sondern Kami, Hijaku etc., wie die Deutschen und Italiener es tun. Die japanischen Konsonanten hat der Verfasser dagegen nach englischer Rechtschreibung wiedergegeben. Danach würde sein »sh« wie im Deutschen »sch«, »ch« wie »tsch«, »j« wie »dsch«, »y« wie »j«, »z« wie das weiche deutsche »s« in »dieses«, »s« wie das scharfe englische »s« in »say« oder wie das deutsche »ß« klingen. Demzufolge habe ich die Namen »Chobei«, »Juyémon«, »Kazuma«, um sie im Mund des deutschen Lesers so klingen zu lassen, wie sie bei den Japanern klingen, in »Tschobei«, »Dschujémon«, »Kasuma« umgewandelt. Das »y« ist im Englischen zuweilen (am Anfang der Silben) ein Konsonant, der wie unser deutsches »j« lautet, zuweilen (in der Mitte der Silben) ein Vokal, gleich dem deutschen »ai«. Die Namen »O Koyo«, »Tykun« schrieb ich daher »O Kojo«, »Taikun«. – Übrigens beriet ich mich bei meiner Rechtschreibung der Namen auch mit einem Muttersprachler, der die Güte hatte, mir alle japanischen Wörter des Buches deutlich vorzusprechen, und dessen Mund ich sorgfältig belauschte. So ist es mir, wie ich glaube, gelungen, ein richtiges Lesen und Aussprechen der Namen wenigstens in den meisten Fällen möglich zu machen.
Um nun dem Leser auch das Verständnis und die Bedeutung des Buches im Voraus etwas näherzubringen, sei es mir gestattet, den Inhalt der enthaltenen Erzählungen, Essays und Exkurse hier in aller Kürze anzugeben. Der erste Band des Buches enthält:
1. Die siebenundvierzig Ronin
Die Geschichte von den siebenundvierzig Ronin (entlassenen Vasallen) behandelt ein in Japan sehr beliebtes Thema, nämlich das der Vasallentreue und der aufopfernden Racheübung an den Feinden eines in seiner Ehre gekränkten Lehnsherrn. Der Erzählung liegen Begebenheiten zugrunde, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts ereignet haben. Siebenundvierzig treue Anhänger und Vasallen eines vornehmen Herrn rächten die Beleidigungen, die diesem ein anderer zänkischer und unedel gesinnter Grand Seigneur angetan hatte, mit Bekriegung und Tötung des letzteren und gaben sich danach, von den Gerichten verurteilt, selber in heroischer und hingebender Weise den Tod. Die Geschichte ist in ganz Japan bekannt und die siebenundvierzig treuen Ronin werden dort fast als Heilige verehrt und ihre Grabstätten von den Patrioten besucht. Zu Teilen wurde diese Sache auch schon von anderen Schriftstellern besprochen und mitgeteilt. Hier erhalten wir sie zum ersten Mal vollständig mit all den so charakteristischen Details von einem Japaner selbst vorgetragen.
Mitford hat diesem furchtbaren Gemälde eines wilden Heroismus zusätzlich einige von ihm gefundene Dokumente und einige schöne Schilderungen der von ihm besuchten Schauplätze der Begebenheiten beigegeben. – Auf dem die Erzählung begleitenden Bild ist eine Szene dargestellt, wie sie nur unter den so höflichen und zugleich rachedurstigen und im Waffenhandwerk so geschickten Japanern vorkommen kann. Die Ronin liegen vor ihrem vornehmen Feind, den sie besiegt und gefangengenommen haben, auf den Knien und flehen ihn an, sich der Sitte der japanischen Edelleute gemäß selbst entleiben zu wollen. Da dies aber dem Feigling nicht schmecken will und er das Harakiri (die Selbstentleibung) schmählich verweigert, werden sie ihm im nächsten Augenblick mit ihrem Messer an den Hals steigen und den Kopf des Sünders, den sie, solange es nur eben anging, so höflich behandelten, mit ein Paar Streichen heruntersäbeln. Das Ende dieser treuen Seelen ist wahrhaft heroisch und rührend und in unserer Erzählung sehr befriedigend und ganz vollständig dargestellt.
2. Die Liebschaft des Gompatschi und der Komurasaki
Da Liebesgeschichten in unserem Buch so häufig vorkommen und einen so hervorragenden Platz einnehmen, könnte man das Ganze fast das japanische Dekameron nennen, besonders auch deswegen, weil die Erzählungen nicht weniger drastisch vorgetragen sind als bei Boccaccio. Die Schilderung der Grabstätte, auf der die beiden oben genannten Liebenden ruhen, und ihrer idyllischen Umgebung, mit der unser Verfasser seine Novelle einleitet, ist sehr anmutig, und ebenso hübsch ist die japanische Mythe von den beiden fabelhaften Vögeln, »Schigoku« genannt, von denen sie sagen, daß sie der eine im anderen leben, und die so, indem sie einen mysteriösen Dualismus in demselben Leib darstellen, ein Emblem treuer und inniger Liebe sind. Man findet diese Doppelvögel zuweilen auf den Gräbern früh verstorbener Liebenden abgebildet.
Der Held der Erzählung, Gompatschi, gerät auf seinen ritterlichen Fahrten eines Tages in eine Räuberhöhle, in der er mit dem wunderschönen Mädchen Komurasaki zusammentrifft, in die er sich kopfüber verliebt und die er aus den Händen der Räuber befreit. Da er aber mittellos ist und seine einst reiche Geliebte ebenfalls in Armut fällt, verrichtet er, um ihr ein schönes Leben zu verschaffen, die abenteuerlichsten Dinge und wird ihr zuliebe selbst ein verwegener und arger Räuber. Nach Ausführung vieler kühner und blutiger Taten wird er entlarvt, ins Gefängnis geworfen und hingerichtet, worauf seine verzweifelnde Geliebte Komurasaki sich auf seinem Grab erdolcht. – Die gutmütigen Priester eines benachbarten Tempels, die diese bis in den Tod treue Liebe sehr bewunderten, errichteten dem nun still vereinten Paar ein Grabmal, und die Bewohner Jedos* besuchen noch heute diesen Platz und preisen die Schönheit des kühnen Gompatschi und die Treue seiner Komurasaki, wie die Bewohner Veronas die von Romeo und Julia.
Weil diese Geschichte zum Teil in dem berühmten Stadtquartier Jedos spielt, das »Joschiwara« oder »Blumendistrikt« heißt, hat der Verfasser uns in einem Anhang ein sehr lebhaftes Bild dieses Quartiers und des Treibens in ihm entworfen.
3. Kasumas Rache
Dolche und Schwerter sind für die auf Ehre so bedachten und dabei so rachlustigen Japaner Dinge von höchster Wichtigkeit. Die Schwertfeger bilden bei ihnen die angesehenste Handwerkerklasse, in die sogar Edelleute eintreten.
Sie geben ihren Waffen eine Härte, Schärfe und Vollkommenheit, die vielleicht von den Künstlern keines anderen Volks erreicht wurde. Einige Waffenschmiede sowie auch einzelne Schwerter haben bei ihnen eine fast historische Berühmtheit erlangt. Die Schwerter sind nach dem Glauben des Volks zuweilen von einem besonderen Geist beseelt. Sie sind gewissen Familien treu und ergeben oder auch feindselig. Sie haben bei den Japanern ihre eigene, oft abenteuerliche Geschichte, wie bei den Ungarn die Königskrone. Und die Lebensgeschichte eines abhanden gekommenen oder geraubten Schwertes ist oft so bunt und romantisch, wie bei anderen Völkern die Geschichte einer geraubten Geliebten.
»Kasumas Rache« ist in der Hauptsache die Geschichte eines japanischen Schwertes und der bunten sich an dasselbe knüpfenden Vorfälle. Sie spielt am Anfang des 17. Jahrhunderts, einer Zeit großer bürgerlicher Unruhen in Japan, und hat also einen interessanten historischen Hintergrund, den sie mehrfach hell beleuchtet. Sie behandelt zum Teil Begebenheiten, die gerade bei den zu unserer Zeit ins Werk gesetzten inneren Umgestaltungen Japans und bei den zwischen verschiedenen Gesellschaftsklassen ausgebrochenen Fehden wieder eine große Bedeutung haben. Obwohl sie wegen der in ihr vorgeführten blutigen Szenen manchen Leser nicht sehr ansprechen wird, ist sie doch als eine echt japanische Volkstradition für den Erforscher sozialer Phänomene von nicht geringem Interesse.
4. Die Geschichte der Otokodaté von Jedo
Seit alten Zeiten bestanden in Japan gewisse Verbrüderungen, deren Mitglieder sich Otokodaté, d. h. »rüstige Gesellen«, nannten. Es gab sie sowohl unter den Vasallen des Taikuns, die einen vornehmen Herrn an der Spitze hatten, als auch unter den Plebejern, deren Haupt irgendein angesehener und ehrenwerter Bürgersmann war. Beide Klassen von Otokodaté rivalisierten unter sich und hatten allerlei Konflikte und Reibungen miteinander, ähnlich wie die Korporationen der deutschen Studenten. Unter dem obigen Titel erhalten wir eine Reihe meist sehr wilder und blutiger japanischer Charakterbilder aus der Geschichte und dem Treiben dieser Banden, namentlich aus der Lebens- und Leidensgeschichte eines wegen seiner Tugenden und Wohltaten in Japan berühmten Chefs der bürgerlichen Otokodaté, Tschobei von Bandsuin, dessen grausamer Tod von einem ihn verfolgenden Oberhaupt der Adeligen herbeigeführt wurde. Die ganze Geschichte dieses Tschobei ist voll von Mord, Raub und Racheübung, und als wenn das nicht genug wäre, sind vom japanischen Erzähler auch noch ebensolche Geschichten als Intermezzos in den Rahmen des Ganzen in ähnlicher Weise eingeschachtelt, wie von japanischen und chinesischen Künstlern nicht selten ein hölzernes Kistchen oder eine elfenbeinerne Kugel in die andere gefügt wird. Übrigens läßt auch diese Erzählung oder vielmehr dieses Knäuel von abenteuerlichen Geschichten uns wieder mehrere Blicke in das Wesen und den Charakter des merkwürdigen Inselvolks tun. Es gibt auch in ihr wieder Szenen und Situationen, die ganz einzig in ihrer Art sind und nur in Japan so vorkommen können. So, um nur etwas hier hervorzuheben, das bewundernswürdige Benehmen der beiden an den Bettelstab gebrachten, durch Krankheit und Leiden ganz elend und invalide gewordenen, und doch stets so nobel und heroisch gesinnten, so feurigen und mutigen jungen Edelleute. Der Edelmut und Duldersinn Tschobeis, des Haupthelden des Stücks, wird jedem Leser wohltun. – Da der Bericht nicht fingiert, sondern tatsächlich und historisch ist, zeigt er, wie weit es in solchen Dingen in Japan gehen kann.
Mitford entnahm diese Geschichte einem von ihm übersetzten Manuskript, das ein japanischer Gelehrter namens Nagasawa abfaßte. Die Gegenstände, die sie behandelt, sind jedem Japaner bekannt und geläufig.
5. Asakusa und die japanischen Schau-, Lust- und Trauerspiele
»Asakusa« heißt einer der belebtesten Stadtteile Jedos, in dem sich zahlreiche Wahrsager, Musiker, Sänger, Tänzer, Gaukler und Kunststückmacher herumtreiben und in dessen Nähe sich auch die meisten Schauspielhäuser der Stadt befinden. Der Verfasser gibt uns nach einem japanischen Buch mit dem Titel »Führer durch die glückliche Stadt Jedo« und »nach anderen einheimischen Quellen« sowie auch zum Teil nach eigener Anschauung ein farbenreiches Bild vom Treiben und den Szenen an diesem merkwürdigen Ort. Zugleich fügt er einige lehrreiche Bemerkungen über die Geschichte und das Wesen des japanischen Dramas bei und teilt in einem Anhang den Inhalt mehrerer interessanter Schauspiele mit, die jüngst in Anwesenheit des Herzogs von Edinburgh in Jedo ausgeführt wurden und denen der Verfasser selbst beiwohnte. Wir erfahren daraus deutlich, wie es bei solchen Aufführungen auf der japanischen Bühne zugeht.
6. Die wundervollen Abenteuer des Funakoschi Dschujémon
Die weniger historischen als vielmehr nur sagenhaften Abenteuer des Dschujémon könnte man mit denen des englischen Robin Hood und seiner Gesellen vergleichen. Auch wenn sie sich nicht genauso begeben haben, wie sie hier erzählt werden, so haben sie sich in Japan doch vermutlich hundertmal in ähnlicher Weise zugetragen und sind daher sozusagen mehr als historisch, nämlich typisch, und gewähren erneut ein treues Bild japanischer Sitten und Anschauungen. Sie zeigen, was dort häufig oder gewöhnlich vorkommt. Unter anderem beweisen die Art der Rache, die Dschujémon an der Frau, die ihn entehrt hatte, und an ihrem Buhlen, einem Preisfechter, nahm, und die Straflosigkeit, die ihm vor Gericht für die Racheübung zuerkannt wurde, die hohe Bedeutung, die die Japaner der Heiligkeit der ehelichen Bande beilegen.
Weil in dieser Geschichte des Dschujémon ein Preisfechter eine hervorragende Rolle spielt, hat unser Verfasser derselben eine kleine, sehr interessante Abhandlung über die japanischen Ringer und Preisfechter angehängt und manches Neue über ihre Sitten und Geschichte mitgeteilt.
7. Das Etamädchen und der Hatamoto
Die sogenannten Eta (andere schreiben »Jeta«) sind die Parias von Japan, die Hatamoto dagegen Edelleute. Und wie in Europa Gott Amor zuweilen, auf Standesunterschiede keine Rücksicht nehmend, zwischen Grafen, Rittern und schönen Zigeunerinnen Verbindungen anspinnt, die dann zu allerlei romantischen Konflikten führen, so geschah dies auch in Japan einst zwischen Gensaburo, einem vornehmen Hatamoto, und dem verachteten, aber reizend schönen Etamädchen O Kojo, einer japanischen Preziosa, deren Liebschaft in dieser Geschichte geschildert wird. Die bei einer zufälligen Begegnung plötzlich zwischen Gensaburo und O Kojo auflodernde Leidenschaft, die geheimen Zusammenkünfte der beiden, ihre treue Liebe, die alle sie bedrohenden Gefahren nicht berücksichtigt und bis in den Tod dauert, dies alles ist in dieser japanischen Liebesgeschichte ungefähr so wie bei Shakespeares Romeo und Julia. Nur das Ende ist in Japan noch viel tragischer als in Europa. Denn wer in Japan sich in eine so arge Mesalliance einläßt, zieht, wenn diese ans Tageslicht und vor Gericht kommt, nicht nur sich und seiner Geliebten, sondern auch seinem ganzen Geschlecht und allen seinen Helfershelfern Schande und Verderben zu. Und so endigt der Roman nach dem Genuß eines verstohlenen Liebesglücks mit dem völligen Untergang der beiden Helden, des Hatamoto und des Etamädchens, ihrer Familien und ihrer Freunde. Die ganze Geschichte ist einfach und gut erzählt. Besonders lebhaft ausgeführt ist die Darstellung der Szene, in der der vornehme Edelmann dem schüchternen und bescheidenen Etamädchen auf stürmische Weise seine Liebe erklärt.
8. Japanische Märchen
Märchen und Feengeschichten bilden in Japan, wie anderswo, einen kleinen Literaturzweig für sich. Sie werden dort in separaten kleinen, mit Bildern illustrierten Büchern gedruckt, die Familienväter und Kinder begierig kaufen.
Es gibt, wie mir ein Japaner versichert hat, bei den japanischen Buchhändlern ganze Haufen solcher Bücher mit Kindergeschichten, die die Mütter ihren Kleinen erzählen, um sie damit in Schlaf zu lullen.
Mitford hat einige derselben aufgespürt und mitgeteilt. Er hat sie, wie alles Übrige, wörtlich aus dem Japanischen übersetzt. Sie sind einfach, echt volkstümlich erzählt, und man wird sie ebensogern lesen wie unsere Grimm’schen Märchen. Dabei sind sie ganz originelle japanische Gewächse, aus den Lebensverhältnissen, den Sitten, den abergläubischen Vorstellungen und der Phantasie dieses Inselvolks hervorgegangen. Sie scheinen nicht mit anderen Märchen des Orients, weder mit arabischen, noch mit den kürzlich gesammelten indischen, in Zusammenhang zu stehen. Es waltet in ihnen eine äußerst kecke Phantasie, die nicht nur den Naturgegenständen, den Tieren, Pflanzen, Steinen, Strohhalmen etc., sondern auch den menschlichen Gerätschaften, den Teekesseln, Reismörsern, Besenstielen etc., Leben, Vernunft und Sprache erteilt, und auch solche Dinge wie Menschen handelnd und redend auftreten läßt. – Sie tragen ein ganz national-japanisches Gepräge und führen uns wieder durch ein anderes Tor in das Innerste der Denk- und Lebensweise dieses Volks ein.
Aimé Humbert, der bekannte Schweizer Reisende und Berichterstatter über Japan, der dort eine ganze Bibliothek von populären Geschichten, Märchen, Legenden und moralischen Erzählungen zusammenkaufte, macht folgende kritische Bemerkung: »Der Wert dieser Produktionen«, sagt er, »scheint mir wesentlich in der Wahl der Ausdrücke, in der originellen Wendung der Phrasen, und, um es mit einem Wort zu sagen, in der Eleganz des Stils zu liegen, von dem allen eine Übersetzung nur selten eine entsprechende Vorstellung gibt.« – Dies gilt namentlich von den verkümmerten und nachlässigen Übersetzungen, die uns hier und da auch Sir Rutherford Alcock und andere flüchtige Besucher Japans mitgeteilt haben. Da Mitford treu und vollständig übersetzt hat, erhalten wir durch ihn wenigstens ein so richtiges Bild von der Eleganz und Originalität des Stils in diesen literarischen Erzeugnissen der Japaner, wie es eine Übersetzung überhaupt geben kann.
9. Der Geist von Sakura
Diese Geschichte gehört zu den interessantesten und lehrreichsten Mitteilungen unseres Buches. Sie wirft ein helles Licht auf die Zustände der zahlreichsten Volksklasse Japans, der ehrlichen, fleißigen und doch oft so bedrückten und armen Bauern, und auf ihr Verhältnis zu ihren großen Herren und Landeigentümern. – Ein Mitglied der vornehmen, berühmten und reich begüterten Hottafamilie namens Kotsuké no Suké Masanobu, Herr des Schlosses Sakura, drückte seine Pächter mit unbarmherzigen Fronarbeiten und willkürlichen Abgaben und brachte sie in die größte Armut und Verzweiflung, so daß sie sich endlich gegen ihn auflehnten, einen Bund unter sich machten und beschlossen, ihre Klagen vor den Taikun zu bringen. An ihre Spitze trat als Vorredner ein ehrlicher Bauer namens Sogoro, der das größte Mitgefühl mit seinen Freunden und Standesgenossen empfand und sich entschloß, die von den Vorstehern von 136 Dörfern unterzeichnete Klage- und Bittschrift dem Taikun zu überreichen, was er auch auf öffentlicher Straße ausführte. Der harte Schloßherr Kotsuké no Suké wurde danach zwar gezwungen, seine grausames Verhalten gegen die Pächter zu ändern und die drückenden Abgaben wieder zu mindern. Aber er entbrannte gegen den Bauern Sogoro, der ihn durch seine Anklage geschädigt hatte, in furchtbarer Rache. Er ließ ihn ergreifen, machte ihm wegen der Überreichung der Petition an den Taikun auf öffentlicher Straße, was in Japan als ein hochverräterisches, mit strenger Strafe bedrohtes Verbrechen betrachtet wurde, den Prozeß und ließ ihn mitsamt seiner Frau und seinen Kindern trotz der Fürbitten aller Bauern, Beamten und Wohlgesinnten auf höchst unbarmherzige Weise am Kreuz sterben. Sogoro und die Seinen ertrugen diesen grausamen Tod als Märtyrer für das Volk mit der größten Duldung und mit rührendem Heldenmut. Nach ihrem Tod jedoch erschienen sie dem von seinem Gewissen geplagten Tyrannen und seiner Gemahlin als nächtliche Quälgeister. Die letztere wurde von den Gespenstern so geängstigt, daß sie darüber erkrankte und starb, und auch der vornehme Despot selbst geriet durch den ihn verfolgenden Spuk in die größte Bedrängnis und Verzweiflung und wurde endlich so klein gemacht, daß er, von Reue zerknirscht, anfing, dem Geist seines Bauern Sogoro Abbitte zu tun. Daraufhin nahm die Gespensterplage ab. Doch geriet Kotsuké no Suké in noch anderes und tieferes Unglück. Seiner ihm angeborenen Leidenschaftlichkeit gemäß tötete er in einem Zank am Hof des Taikuns einen anderen großen Edelmann, mußte darüber flüchtig werden, wurde des Hochverrats angeklagt und zum Verlust seiner Ehren und Güter verurteilt. In seiner Herzensangst, in der er erkannte, daß all dieses Unglück ihn nur als eine gerechte Strafe für die grausame Ermordung Sogoros, seiner Frau und unschuldigen Kinder getroffen habe, wandte er sich an den Mikado, das kirchliche und kaiserliche Oberhaupt Japans, und bat ihn, den Bauern Sogoro zum Landesheiligen zu erklären. Dies geschah, Kotsuké no Suké errichtete seinem heilig gesprochenen Leibeigenen einen großen Tempel, bei dem die Leute zur Anbetung herbeiströmten, um die Feier seines Namens auf alle folgenden Geschlechter zu überliefern. – Nach dieser großartigen Sühne wurde der nun ganz gedemütigte Kotsuké no Suké begnadigt und in seine Ehren und Güter wieder eingesetzt. – Die Erzählung von seinen Geschicken sowie von denen des armen edlen Bauern Sogoro ist noch bis auf den heutigen Tag eine der populärsten in ganz Japan, wo sie jeder kennt. – Die Hauptmomente der Geschichte, die Verschwörung der Bauern, die Kreuzigung des Dulders Sogoro und seiner mit ihrem Vater mutig in den Tod gehenden Frau und Kinder, der Gespensterlärm und der Reumut des bösen Herrn sind in unserer Erzählung rührend und ergreifend, ich möchte fast sagen, meisterhaft erzählt.
10. Tajima Schumé
Der fahrende Ritter Tajima Schumé, ein sonst nicht unedler Charakter, wurde eines Tages vom Teufel in Versuchung geführt, einen reichlich mit blankem Geld versehenen Reisegenossen, einen Priester, mit dem er zusammentraf, zu berauben und heimlich zu ermorden. Das geraubte Geld gedieh bei ihm, und da er damit glücklich spekulierte, wurde er ein reicher Mann, den eine splendide Haushaltung und eine zahlreiche, scheinbar glückliche Familie umgaben. Aber nachdem er alles, wonach ihm verlangte, erreicht hatte und wie er seine Habe und die Häupter seiner Lieben überschaute und zählte, fing er an, über die faule Quelle dieses Reichtums nachzusinnen. Auf dem Gipfel des Glücks überfielen ihn Gewissensbisse, und der Geist seines gemordeten Reisegefährten erschien ihm zu wiederholten Malen, so daß er darüber in eine heftige, den Seinigen unerklärliche Krankheit verfiel. Er schien am Rande des Grabes zu sein, bis ein Priester, der die Ursache seines Zustands erriet und sein von Reue zerrissenes Gemüt mitleidig erkannte, tröstend an sein Krankenlager trat, ihm die Gnade des Himmels verhieß und ihn bewog, seinen Reichtum den Tempeln und den Armen zuzuwenden und durch ein der Mildtätigkeit hingegebenes Leben seine Missetat abzubüßen. – Die Hauptmomente auch dieser Geschichte sind abermals vortrefflich erzählt.
11. Verschiedene Arten von Aberglauben betreffend
Unter diesem Titel teilt der Herausgeber verschiedene japanische Gespenstergeschichten mit. Er hat dieselben solchen »Geschichtenbüchern« entnommen, wie es viele und sehr populäre in Japan gibt und die immer besonders reich an Erzählungen und Sagen von Geistern zu sein pflegen. Wie bei uns die weißen und schwarzen Damen, so spielen in Japan die gespenstischen Füchse, Katzen, Dachse etc. zuweilen eine große Rolle in der Geschichte alter und vornehmer Familien. Jede der von unserem Verfasser ausgewählten Spukgeschichten hat irgendein nicht unbedeutendes Interesse.
Die »Vampirkatze von Nabéschima« gewährt eine merkwürdige Parallele zu ähnlich schreckhaften, von Vampiren handelnden Sagen der Ungarn und Wallachen.
Die Geschichte »von dem Mann, dem von zwei Füchsen der Kopf geschoren wird« ist recht launig und die »vom dankbaren Fuchs« sehr rührend und bezeugt das zarte Mitgefühl, das die Japaner selbst für die wilden Kreaturen haben.
Nicht weniger charakteristisch ist die Geschichte »von dem Geld des Dachses«, die uns in die Hütte eines frommen japanischen Einsiedlers führt und das Leben und Treiben eines solchen sowie sein Verhältnis zu der ihn umgebenden Natur und Wildnis vor Augen bringt.
Die Erzählung »vom Fürsten und dem Dachs«, in der ein alter Fürst zu Gunsten seines Sohnes abdankt und ihm die Regierung übergibt, weil er Anzeichen eines außerordentlichen Scharfsinns an demselben entdeckt zu haben glaubt, ist in ihren Motiven und Fortgang wieder echt japanisch. – Alle diese Spukgeschichten sind sehr gut, lebhaft, drastisch, dabei auch kurz und bündig erzählt.
12. Predigten
Die Priester verschiedener Religionsparteien und Sekten Japans halten vor ihren Gemeinden bisweilen auch moralisierende und dogmatisierende Predigten, von denen wir bisher nichts Authentisches vernommen haben. Als Mitford einst von der Ankündigung solcher Predigten in einem Tempel Jedos hörte, begab er sich mit einem Maler und Schnellschreiber an Ort und Stelle, ließ die ganze Gemeinde frommer Japaner zeichnen und die vor ihnen gehaltene Rede wörtlich aufzeichnen. Im Abschnitt »japanische Predigten« gibt er uns zunächst einen lebensvollen Abklatsch dessen, was er dort selber sah und hörte.
Aber auch die Japaner selbst haben die Reden vieler ihrer Priester aufgezeichnet, gesammelt und drucken lassen. Eine der besten Sammlungen dieser Art ist der »Kiu-o-Dowa«, in dem die Predigten eines Priesters der sogenannten »Schingaku-Sekte« enthalten sind. Die Anhänger dieser Sekte sind Eklektiker, die in ihrem System alles vereinigt zu haben glauben, was die drei Hauptreligionen Japans, die altjapanische Schintoreligion, die Lehre des Konfuzius und der aus Indien über China und Korea eingeführte Buddhismus Vortreffliches enthalten. – Die Predigten und Lehren dieser Sekte sind daher am besten dazu geeignet, die unter dem japanischen Volk am meisten verbreiteten Glaubenssätze und moralischen Anschauungen zu charakterisieren. Der Herausgeber teilt uns aus jener Sammlung drei Predigten als Proben japanischer Kanzelberedsamkeit mit. Man erkennt in ihnen ein eigentümliches, in Japan zustande gekommenes Gemisch buddhistischer und altchinesischer Grundsätze und Meinungen.
Die populäre und zum Teil sehr humoristische Weise des Vortrags erinnert ein wenig an unsere Kanzelredner aus der Schule des Abraham a Santa Clara. – Die Lehren des Konfuzius und Buddhas werden beständig mit aus dem Leben gegriffenen Beispielen erläutert und mit kleinen eingefügten Erzählungen, Anekdoten und sonstigen ansprechenden Episoden unterhaltender gemacht. – Einige dieser Erzählungen sind in ihrer Art ganz ausgezeichnete Kompositionen, z. B. die »von den beiden neugierigen Fröschen«, die bei ihren Ausblicken in die Welt und bei der Beurteilung der Dinge ganz die eigentümliche Stellung ihrer Augen vergessen, wie es auch vorwitzigen Menschen passiert, und die »vom dummen Fisch Sasajé«, der sich in seinem Muschelgehäuse so sicher glaubte und doch so unverhofft mitsamt seinem Gehäuse auf den Markt und auf die Schlachtbank geführt wurde.
Wahrhaft ergreifend ist die »Erzählung von dem verlorenen Sohn« und von der rührenden Liebe der Eltern zu ihm, und wiederum sehr launig und mit einem trefflichen humoristischen Schluß versehen ist die Geschichte »von den guten Freunden, die das Geschrei der Hirsche im Wald belauschen wollen«, die, während sie vergebens horchen, über ihre häuslichen Angelegenheiten und Sorgen in Gespräche geraten und dabei soviel zu bejammern finden, daß ihre Klage laut in den Wald hinausschallt, wodurch am Ende die Hirsche herbeigezogen werden, die nun dem Geschrei der Menschen still und verwundert zuhören, statt von ihnen belauscht zu werden.
Dieses ganze Kapitel wurde schon einmal in dem hübschen Buch »Japan, ein Vortrag von Eufemia von Kudriaffsky« in deutscher Sprache mitgeteilt.
13. Das Harakiri
Das »Harakiri« der Japaner, die unter gewissen Umständen durch die Sitte gebotene Selbstentleibung, ist als eine ganz ungewöhnliche und bei anderen Völkern gar nicht vorkommende Erscheinung lange unter uns berühmt gewesen und häufig besprochen worden. Aber zum ersten Mal erhalten wir hier eine detaillierte und eingehende Schilderung von allen Zeremonien und Feierlichkeiten, mit denen die Japaner das grausige Bauchaufschneiden ihrer Edelleute umgeben und zum Teil seine Schrecken etwas gemildert haben. Dieselbe ist von einem japanischen Autor und Kenner des Gegenstandes entworfen, dessen sehr seltene Schrift Mitford übersetzt hat.
Es ist ein merkwürdiges Stück des japanischen Kriminalkodex und seines Prozeßverfahrens. Allen, die bei einer solchen Selbsthinrichtung eine Rolle zu spielen haben – der Hauptperson, die den Akt des Leibaufschneidens an sich vorzunehmen hat, dem sogenannten »Prinzipal«, seinen Gehilfen, namentlich dem sogenannten »Kaischaku« (Sekundanten), den Zeugen, die dabei zugegen sein müssen, dem Beamten, der zuvor den Urteilsspruch verkündet, und auch denen, die die Dekorierung des Orts der Hinrichtung besorgen müssen etc. –, wird in den verschiedenen Paragraphen dieser Abhandlung genau vorgeschrieben, wie sie zu verfahren haben, wie und wo sie sich hinstellen oder setzen müssen, die Kleidung, die sie anlegen, die Worte, die sie sprechen sollen etc.
Auch von den Variationen der Harakirifeierlichkeiten hören wir etwas. Sie waren zu unterschiedlichen Zeiten etwas verschieden. Auch wichen sie in gewissen Gegenden des Landes von der allgemeinen Norm ein wenig ab, und waren je nach dem Stand der betreffenden Personen mehr oder minder vollständig oder zeremoniös.
Unser Verfasser mußte infolge seiner offiziellen Stellung selbst einmal dem Harakiri eines edlen Japaners beiwohnen. In einem Anhang schildert er uns die ergreifenden Szenen, die er ansah, in sehr drastischer Weise. Auch bei solchen Gelegenheiten kommt es in Japan wieder zu Vorfällen und Situationen, die einzig in ihrer Art sind. Ein wohlwollender Mann kann z. B. durch die eigentümlichen Sitten und Gebräuche der Japaner in die Lage versetzt werden, daß der letzte Liebesdienst, den er seinem Freund leistet, darin besteht, daß er ihm rasch, geschickt und mutig den Kopf abschneidet. Denn das Amt eines Kaischaku, d. h. des Mannes, der den Qualen des Bauchaufschneidens durch Köpfen rasch ein Ende macht, übernimmt nicht selten ein Busenfreund.
14. Über verschiedene Gebräuche und Zeremonien der Japaner
Ein so höfliches und zeremoniöses Volk wie die Japaner kann natürlich nicht ohne Benimmbücher und ohne einen fleißig ausgearbeiteten Zeremonienkodex sein. Ein solcher ist der sogenannte »Schorei Hikki« (das Verzeichnis der Zeremonien), ein offizielles Handbuch für die Einrichtung und korrekte Anordnung aller Arten von Feierlichkeiten. Mitford hat sich dieses Buch verschafft und uns einige Kapitel aus demselben mitgeteilt, nämlich eins »über die Hochzeitsfeier«, ein zweites »über die Gebräuche bei der Geburt, Namengebung, Mündigkeitserklärung« etc. der Kinder und ein drittes »über die Begräbnisbräuche«.
Man muß in der Tat erstaunen über die ängstliche und ins kleinste Detail gehende Sorgfalt, mit der in diesem Kodex alles bestimmt und abgewogen wird. Da werden die Gewänder, die Braut und Bräutigam und ihre Gäste bei der Hochzeit tragen müssen, ihr Zuschnitt und ihre Farbe genau beschrieben, die Geschenke, die sie sich senden sollen, alle umständlich aufgezählt, sogar auch die richtige Art der Verpackung dieser Geschenke gelehrt. Auch die Gerichte, die beim Hochzeitsmahl zu erscheinen haben, werden festgesetzt, ebenfalls die Art, wie man sie zubereiten und auftragen muß, desgleichen die Anzahl von Tassen Wein, die jeder bald bei diesem, bald bei jenem Tempo des Aktes zu trinken, sowie was er dabei zu sprechen hat. Auch erfahren wir, was unbemittelte Leute wohl allenfalls dabei auslassen können, was dagegen bei den Vornehmen die Etikette durchaus erfordert. Bei der Ausstattung des Brautschatzes hat jeder Gegenstand seinen angemessenen und ihm zukommenden Platz.
Wir Europäer haben in unserer Kindheit hauptsächlich zwei festliche und betonte Lebensmomente, zuerst die Taufe und dann die sogenannte »Konfirmation«. Die Japaner dagegen haben schon vor der Geburt für das erwartete Kind Feierlichkeiten und Zeremonien. So im fünften Monat der Schwangerschaft eine feierliche Gürtelanlegung. Dann kommen die zeremoniösen Umständlichkeiten bei der Geburt selbst, darauf gleich am siebten Tag nach der Geburt das Fest, das »die Gratulation der siebten Nacht« heißt und an dem das Kind seinen ersten, später noch mehrere Male geänderten Namen erhält – daraus der hundertzwanzigste Tag nach der Geburt, an dem das Kleine von der Mutterbrust entwöhnt und zudem ein eigener Zeremonienmeister, »der Entwöhnungsvater«, und »die Entwöhnungsmutter« ernannt werden. Vom dritten Lebensjahr an hat die Etikette an verschiedenen bestimmten Tagen allerlei mit den Haaren des Kindes zu tun. Im einen Jahr werden die Haare so, im anderen anders geschoren oder geschnitten. Der wichtigste der Haarschneidetage ist ein mit großer Vorsicht auserwählter Glückstag im fünfzehnten Lebensjahr, an dem dem Knaben die hübsche kleine Stirnlocke, die er bis dahin trug, weggeschnitten wird. Am selben Tag setzt man ihm die »Edelmannshaube« auf, und er erhält nun seinen Platz unter den Erwachsenen. Es wird für diesen Tag wieder ein eigener Zeremonienmeister, der sogenannte »Haubenvater«, erwählt. Die abgeschnittene Stirnlocke wird für immer auf den Hausaltar gelegt und nachher dem, dem sie einst gehörte, bei seinem Tod mit ins Grab gegeben. – Außer den genannten Festtagen der Kindheit gibt es noch andere, z. B. einen im vierten Lebensjahr, an dem dem Knaben das weite Beinkleid der Samurai angelegt wird. – Über diese und andere Festtage und Lebensabschnitte, die die Japaner so sorgfältig ins Auge gefaßt und markiert haben, gehen wir europäischen Barbaren ganz achtlos hinweg. – Von dem, was der japanische Zeremonienkodex über die Begräbnisbräuche sagt, möchte ich als besonders eigentümlich und beachtenswert folgende Punkte hervorheben: erstens, daß er die Beerdigung der Eltern als die wichtigste Zeremonie bezeichnet, die ein Mensch während seines ganzen Lebens vorzunehmen hat, zweitens, daß er das Verbrennen der Leichen als außerordentlich tadelnswert und verabscheuungswürdig bezeichnet* und entschieden auf Beerdigung besteht, drittens, daß seine Vorschriften über das Betragen der Teilnehmer bei der Beerdigung vielfach an unsere mittelalterlichen Polizeiverordnungen und Begräbnissitten erinnern, und endlich viertens, daß jeder Japaner nach seinem Tod, als wenn er ein Heiliger oder bei seiner Verklärung ein ganz anderes Wesen geworden wäre, einen neuen himmlischen Namen empfängt.
Mit dieser Betrachtung über das Lebensende und mit der Schilderung der Begräbnisfeierlichkeiten schließt das Buch ab.
Auch auf die dem Buch beigefügten Illustrationen möchte ich den deutschen Leser noch aufmerksam machen. Sie stammen von einem japanischen Künstler, und man wird sie nicht weniger charakteristisch finden als die Erzählungen selbst.
Johann Georg Kohl
* Nach dem berühmten Gemeinschaftswerk und Sittengemälde »Les Français peints par eux-mêmes« (1840–1842).
** Er sagt dies nicht in seiner Vorrede, sondern in einer Anmerkung zu einer seiner Erzählungen. Ich habe aber geglaubt, diese Äußerung gleich hier vorzusetzen zu sollen. Es ist die einzige Umstellung oder Änderung, die ich mir bei der Übersetzung des Werkes erlaubt habe.
* Jedo, auch Edo, der alte Name der heutigen Hauptstadt Tokio.
* Jedoch wohl nur für die Mehrzahl der Japaner und namentlich für die Vornehmen. Denn bei manchen niederen Klassen und Sekten Japans und namentlich bei den japanischen Parias, den Etas, ist das Verbrennen der Leichen üblich.
In der Mitte einer Gruppe alter ehrwürdiger Bäume in Takanawa, einer Vorstadt Jedos, liegt der Bergquellentempel Sengakuji verborgen, der in ganz Japan wegen seiner Gräber berühmt ist, in denen »die siebenundvierzig Ronin«* begraben liegen, die in Japans Geschichte und Volksdramen so vielgepriesenen, tapferen Männer, deren glorreiche Taten ich nun erzählen will.
Auf der linken Seite des Haupthofs dieses Tempels liegt eine Kapelle, in der unter der vergoldeten Figur des Kwanjin, des Gottes der Barmherzigkeit, die Statuen der siebenundvierzig Männer und ihres vielgeliebten Herrn aufgestellt sind. Dieselben sind aus Holz geschnitzt, die Gesichter gefärbt und die Kleider reich lackiert. Es sind Kunstwerke von großem Wert. Haltung und Ausdruck der Helden sind, jeder mit seinen Lieblingswaffen angetan, wunderbar lebhaft und sprechend. Einige von ihnen sind ehrwürdige Greise mit grauem, dünnem Haar (einer war siebenundsiebzig Jahre alt), andere sind sechzehnjährige Knaben. Nahe bei der Kapelle, zur Seite eines auf einen Hügel führenden Fußpfads sprudelt eine kleine Quelle von klarem Wasser. Sie ist eingefaßt und von einem Gebüsch zierlicher Farnkräuter umgeben, über der eine Inschrift angebracht ist, die folgendes besagt: »Dies ist die Quelle, in der der Kopf gewaschen wurde. Niemand darf hier seine Hände oder Füße waschen.« Ein wenig abseits steht eine kleine Bude, in der ein alter Mann durch den Verkauf von Büchern, Bildern und Medaillen, die die loyalen Taten der »Siebenundvierzig« verewigen, seinen Lebensunterhalt verdient.
Noch etwas höher bergauf befindet sich, von einer Gruppe stattlicher Bäume überschattet, eine zierliche Einfassung, die, wie eine Inschrift verkündet, durch freiwillige Beiträge unterhalten wird. Innerhalb derselben sind achtundvierzig kleine Grabsteine aufgestellt, jeder mit Immergrün bedeckt und bei jedem etwas Wasser und etwas Weihrauch für die entschlafene Seele. Es sind nur siebenundvierzig Ronin gewesen, dagegen sind es achtundvierzig Grabsteine, und die Geschichte des achtundvierzigsten ist, wie sich später zeigen wird, sehr charakteristisch für die Begriffe von Ehre bei den Japanern. Dicht an den Gebäuden des Leichenackers steht ein großartigeres Monument, unter dem der vornehme Herr, dessen Tod seine frommen Anhänger rächten, begraben liegt.
Doch nun zu unserer Geschichte.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebte ein Daimio namens Asano Takumi no Kami, Schloßherr von Ako in der Provinz von Harima. Damals traf es sich, daß ein kaiserlicher Gesandter vom Hof des Mikados zum Schogun* in Jedo geschickt wurde und daß man jenen Herrn Takumi no Kami und einen anderen Edelmann namens Kamei Sama beauftragte, den Gesandten zu empfangen und ihm die Honneurs zu machen. Ein hoher Beamter namens Kira Kotsuké no Suké sollte jene beiden über das bei solchen Gelegenheiten herkömmliche und notwendige Zeremoniell belehren.