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REINHARD
MARX

glaube!

Kösel

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Copyright © 2013 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlag: Weiss Werkstatt München

ISBN 978-3-641-10941-7
V002

www.koesel.de

Eine Einladung

»Niemand hat Gott je gesehen«

(Joh 1,18)

Gott? So lautet die Frage. – Und die Antwort lautet: Gott!

Die Frage nach Gott ist eine der großen Menschheitsfragen. Seit es Menschen gibt, suchen sie nach etwas, das über sie selbst hinausgeht, suchen Antworten auf die Frage, woher sie kommen und wohin sie gehen. Die Gottesfrage ist der Anfang aller Religion.

Auf dieses eine Wort Gott lässt sich auch all das reduzieren, was die Bibel und dann die christliche Theologie seit über zwei Jahrtausenden bedenkt, formuliert, verwirft, neu formuliert, erneut anfragt und doch beibehält und weiterträgt. Die Theologen wollen dem Geheimnis dieses kleinen Wortes auf die Spur kommen, sich immer weiter annähern, mal behutsam und mal sehr forsch. Und doch ist es so wie in Michelangelos berühmtem Deckengemälde von der Erschaffung des Menschen in der Sixtinischen Kapelle: Bei aller Nähe bleibt doch ein unüberbrückbarer Moment der Trennung. Die Finger von Gott und Mensch sind sich so nah wie möglich, aber sie berühren sich nicht. Diesen vorerst letzten Akt des Dramas hat Michelangelo unübertroffen festgehalten.

Auf dieses eine Wort Gott lässt sich entsprechend auch all das konzentrieren, was ich in diesem Buch sagen will. Gott? Gott! Diese so einfach scheinende Antwort wird allerdings herausfordernd, wenn ich zum einen das Fragezeichen und zum anderen das Ausrufezeichen in all ihrer vielschichtigen Bedeutung mitdenken will. Ist dann die Antwort wirklich noch Gott mit Ausrufezeichen? Oder ist die Antwort nicht eher Gott mit Fragezeichen? Bleibt es bei der Frage?

Damit sind wir mitten im Zentrum dessen, was dieses kleine Buch im Titel behauptet und fordert: glaube! Mich bewegt die Spannung zwischen der Frage und der Antwort eigentlich schon mein ganzes Leben lang, zumindest solange ich mich zurückerinnern kann. Und genau diese unaufgelöste Spannung, die ich positiv als Sehnsucht formulieren würde, hat mich so herausgefordert, dass ich vor vielen Jahren schließlich Priester geworden bin.

Ich versuche Gott zu lieben, weil ich seit meiner Kindheit ein Du vor mir sehe, das mich unbedingt annimmt. Und ich versuche deshalb auch, die Menschen zu lieben. Das gehört für mich ganz eng zusammen und ist kein Widerspruch. Ich kann mir das Menschsein nicht vorstellen, ohne Gott zu denken. Und Gott kann ich mir nicht vorstellen, ohne dass es den Menschen gibt. Das ist – in aller Verkürzung – eigentlich das Glaubensbekenntnis, das Credo des Christentums. Ohne Gott fehlt etwas, und ohne den Menschen ist die Schöpfung für mich nicht vollständig.

Gott und Mensch sind sich gegenüber und aufeinander bezogen. Gott wollte im Menschen ein Du finden. Und der Mensch kann in Gott ein Du finden. Dieses Zueinander ist eigentlich alles andere als selbstverständlich. Und mir scheint, es gerät in den Debatten unserer Zeit über die christliche Religion zuweilen auch aus dem Blick. Vielleicht ist es uns doch zu ›selbst-verständlich‹ geworden, weckt unsere Aufmerksamkeit nicht mehr so stark. Denn es ist das Besondere, oder in der Sprache der Werbung gesagt: Es ist das Alleinstellungsmerkmal, das Markenzeichen vor allem des biblischen Gottes- und Menschenbildes. Gott hat den Menschen nicht geschaffen als seinen Untergebenen, sondern er hat ihn nach seinem Bild geschaffen, ihn in gewisser Weise so hoch erhoben, um ihn wirklich anschauen zu können. So wie es im Alten Testament in den Psalmen in einem Lob auf die Herrlichkeit des Schöpfers heißt: »Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? – Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt« (Ps 8,5 f.). Und weil Gott vom Menschen so groß denkt, ist er selbst Mensch geworden. Das glaube ich. Credo.

Ja, das glaube ich, obwohl es Situationen gibt, in denen das nicht ganz einfach ist und mich wirklich fordert. Wenn Menschen großes Leid erfahren, fällt es schwer, ihnen die Liebe Gottes nahezubringen. Wenn in der Welt wieder einmal eine unfassbare Naturkatastrophe geschieht, dann ist es nicht einfach, den Schöpfer zu loben. Wenn Menschen anderen Menschen Gewalt antun, dann ist es nicht so selbstverständlich, die Freiheit des Menschen hochzuhalten. Der christliche Glaube ist kein ›Rundum-sorglos-Paket‹ für den Menschen, mit dem sich solche Situationen einfach auf Gott abschieben lassen. Und einfache Antworten und Lösungen tragen nicht weit. Deshalb ist es durchaus anspruchsvoll, sich mit dem Christentum vertraut zu machen.

Auf diesen Weg der Überlegungen will ich Sie mit diesem Buch mitnehmen. Der Titel darf durchaus provozieren. Eine ›Pro-vokation‹ ist von der wörtlichen Bedeutung her ja ein Heraus-Rufen. Und das ist der Gottesglaube auch: Der Glaube an Gott ruft und fordert den Menschen heraus, die Grenzen des Ich zu überwinden, sich selbst zu übersteigen und so seine eigenen Möglichkeiten zu entdecken. Die Provokation des Glaubens heißt entdecken, dass jemand auf der Suche nach mir ist und ruft: Mensch, wo bist du? So ist es in der Bibel zu lesen, in der Schöpfungsgeschichte, nachdem die ersten Menschen die Frucht gegessen haben und damit die ursprüngliche, vertrauensvolle Verbindung zwischen Gott und Mensch verloren ging: Adam – das heißt ›Mensch‹ – wo bist du? (vgl. Gen 3,9).

Wenn es um Gott geht, geht es immer auch um den Menschen. Und wo Gott auf dem Spiel steht, steht demnach auch der Mensch auf dem Spiel. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass wir Menschen Gott brauchen, um wirklich Menschen zu sein.

Für mich ist der Schritt zum Glauben ein Schritt in eine größere Freiheit, er birgt ein erweitertes Blickfeld und eine intensivere Lebensmöglichkeit in sich. Um diesen Schritt zu wagen – vielleicht zum ersten Mal oder auch um ihn immer wieder neu zu wagen –, dazu sind frische Impulse und Hinweise wichtig und hilfreich. Deshalb hat Benedikt XVI. ein ›Jahr des Glaubens‹ ausgerufen für 2012 / 2013. Und deshalb hat Papst Franziskus im Juni 2013 seine erste Enzyklika Lumen fidei zu den Grundfragen des Glaubens veröffentlicht.1

Der Glaube ist ja keine Fracht, die aus einer überholten Vergangenheit irgendwie mitgeschleppt wird und in gut verschlossenen Kisten verborgen ist, der Glaube ist vielmehr eine immer neue Gabe, eine existenzielle Erfahrung. Deshalb muss der Glaube in seiner Tradition und Aktualität im Gespräch bleiben oder neu ins Gespräch gebracht werden – innerhalb und außerhalb der Kirche.

Die Geschichte des Glaubens ist ohne Zweifel auch die Geschichte seiner Bestreitung, seines Niedergangs und Neuaufbruchs, seiner Verirrungen und seiner missbräuchlichen Nutzung. Wer könnte das übersehen oder leugnen? Aber der Glaube ist eben auch prägend für unsere Kultur, unser ganzes Gemeinwesen, unser Selbstverständnis.

Ohne Thematisierung der Gottesfrage fehlt etwas! Das gilt sogar für dezidiert atheistische Ideologien, die aus der Bestreitung Gottes ihren kämpferischen Elan beziehen wollen. Mehr als vor Jahren sind heute viele Soziologen und Philosophen der Meinung, dass Religion und damit der Glaube nicht einer vergangenen Epoche angehören, sondern etwas Notwendiges, für den Menschen und seine Welt Wichtiges aufbewahren und einbringen. Ich denke, dass die Welt also ärmer wird und sich entscheidender Möglichkeiten des Denkens und Handelns beraubt ohne die Perspektive des Glaubens. Jürgen Habermas sagt in seinem Buch Zwischen Naturalismus und Religion:

Religiöse Überlieferungen leisten bis heute die Artikulation eines Bewusstseins von dem, was fehlt. Sie halten eine Sensibilität für Versagtes wach. Sie bewahren die Dimensionen unseres gesellschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, in denen noch die Fortschritte der kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung abgründige Zerstörungen angerichtet haben, vor dem Vergessen. Warum sollten sie nicht immer noch verschlüsselte semantische Potenziale enthalten, die, wenn sie nur in begründende Rede verwandelt und ihres profanen Wahrheitsgehaltes entbunden würden, eine inspirierende Kraft entfalten können?2

Einfacher formuliert fragt Habermas: Fehlt nicht doch etwas ohne Glaube? Ja, ohne Religion, ohne Glaube fehlt etwas und deshalb könnte es durchaus sein, dass ein neuer Weg zum Glauben zu den Bedingungen einer guten Zukunft für alle gehört.

Es geht in diesem kleinen Buch um eine Einladung zum Glauben. Es ist in gewisser Weise auch ein ganz persönlicher Weg, aber ich freue mich, wenn Sie die Einladung annehmen.

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Ich glaube

Seit es Menschen gibt, gibt es Glauben und von daher auch Religion. Denn zum charakteristischen Kennzeichen des Menschseins gehört die Bestimmung seines Verhältnisses zur Welt und zur Wirklichkeit. Menschen können »Ich« sagen, haben Selbstbewusstsein und gleichzeitig sind sie in gewisser Weise neugierig, offen, auf Beziehungen aus. Menschen wollen ihre Umwelt nicht nur entdecken, sondern auch verstehen, begreifen. Menschen suchen ihren Ort in der Welt und fragen sich, woher sie kommen, wohin sie gehen und warum es überhaupt etwas gibt. Auf verschiedene Weise werden die Erfahrungen verarbeitet, die wir im Verhältnis zu unseren Mitmenschen und in der Beziehung zu unserer Umwelt machen. Wir leben nicht nur instinktiv, sondern beobachten uns selbst beim Leben und wollen wissen, was geschieht und warum. Zum Menschsein gehört nicht nur, die Welt zu erleben und zu erleiden, sondern sie in Worten und Begriffen, in Haltungen und Lebensweisen zu verarbeiten und zu gestalten. Hoffen und sich freuen, feiern und nachdenken, künstlerisch wirken und eben auch glauben gehören zu den Fähigkeiten des menschlichen Geistes, um mit der Fülle an Erfahrungen umzugehen und sie zu deuten.

Für mich ist es offensichtlich, dass die religiöse Bindung, der Glaube von Anfang an ein Kennzeichen des Menschseins ist und eine Möglichkeit – und zwar eine sehr entscheidende und wichtige –, mit der Vielfalt der Eindrücke und Erfahrungen umzugehen, die Welt zu deuten und sie zu überschreiten, zu transzendieren.

Die Fülle der Wirklichkeit lässt sich nicht nur auf eine Weise erfassen und auch nicht nur durch einen Menschen, durch das eigene Ich. Ist es da nicht eher erstaunlich und bemerkenswert, wenn Menschen den Glauben als Möglichkeit des menschlichen Geistes für sich ganz ausschließen? Die Versuchung zum ›Nicht-Glauben‹ ist eigentlich erst eine neuzeitliche Entwicklung. Wie auch immer der Glaubensinhalt sein mag, es erscheint mir mit Blick auf die Menschheitsgeschichte und die faszinierende Größe des menschlichen Geistes als eine Verarmung, die Fähigkeit und Möglichkeit des Glaubens generell und umfassend für mich auszuschließen.

Martin Mosebach hat diese Haltung literarisch gut ins Wort gebracht in seiner Einleitung zu Gilbert Keith Chestertons Buch Orthodoxie. Mosebach schreibt:

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