Buch
»Im Krankenhaus gibt es echte Scheißtage. Aber es gibt auch Tage, an denen man richtig glücklich ist. Hier drinnen ist alles intensiver – die guten Gefühle und die schlechten. Heute ist ein guter Tag.«
Albert Espinosa kennt sich in der Welt der Krankenhäuser und der Chemotherapie aus. Denn im Alter von vierzehn Jahren erkrankt er an Knochenkrebs und wird zehn Jahre lang dagegen ankämpfen. Mit unerschütterlicher Energie und schwarzem Humor. Es mag makaber klingen, aber während er mit dem Tod ringt, lernt er das Glück neu kennen. Die Beobachtungen, die er während seines Klinikalltags macht – zum Teil auch schräge, ungewöhnliche Einsichten anderer »Todgeweihter« –, finden sich in diesem Buch. Keine Leidensgeschichte also, sondern ein leichtfüßiger Lebensbericht mit wundervollen Glücksmomenten.
Autor
Albert Espinosa, geboren 1973, ist Autor, Schauspieler, Film- und Theaterregisseur und lebt in Barcelona. Sein Erstling wurde weltweit in über 20 Sprachen übersetzt und in mehreren Ländern höchst erfolgreich als TV-Serie verfilmt. Seither hat Albert Espinosa diverse weitere Romane und Sachbücher veröffentlicht.
ALBERT ESPINOSA
CLUB DER ROTEN BÄNDER
GLAUB’ AN DEINE TRÄUME, UND SIE WERDEN WAHR
Aus dem Spanischen von Sonja Hagemann
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Die spanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »El mundo amarillo. Si crees en los suenos, ellos se crearan« bei Grijalbo, Barcelona.
Dieser Titel ist auch unter dem Titel »Glücksgeheimnisse aus der gelben Welt« im Goldmann Verlag erschienen.
1. Auflage
Oktober 2015
© 2013 der deutschsprachigen Ausgabe
Wilhelm Goldmann Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 2008 by Albert Espinosa
© Random House Mondadori S. A., 2008
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: © VOX 2015, vermarktet durch RTL interactive GmbH, Fotograf: Guido Lange
Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach
CC ∙ Herstellung: cb
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN: 978-3-641-18814-6
V002
www.goldmann-verlag.de
Inhalt
Vorwort zum »Club der roten Bänder« von Albert Espinosa
Vorwort: Achtung, in diesem Buch steckt Albert, wenn du erst mal damit anfängst, lässt es dich nie mehr los von Eloy Azorín
Meine Inspiration
Und was soll dieses Buch?
So geht’s los … Die Welt, in der ich lebe
Woher stammt diese Welt?
Was ist denn meine Welt?
So geht’s weiter … Liste der Krebslektionen, die man aufs Leben anwenden kann
Die erste Entdeckung: Verluste sind positiv
Die zweite Entdeckung: Das Wort »Schmerz« existiert gar nicht
Die dritte Entdeckung: Nach dreißig Minuten werden Probleme lösbar
Die vierte Entdeckung: Stell jeden Tag fünf gute Fragen
Die fünfte Entdeckung: Zeig mir, wie du gehst, und ich sage dir, wie du lachst
Die sechste Entdeckung: Wenn du krank bist, wird in deinem Leben alles kontrolliert und in deiner Krankenakte festgehalten – fürs Leben sollte es auch so etwas geben, eine Lebensakte
Die siebte Entdeckung: sieben Tipps fürs Glücklichsein
Die achte Entdeckung: Dein größtes Geheimnis verrät am meisten über dich
Die neunte Entdeckung: Spitz die Lippen und puste
Die zehnte Entdeckung: Hab keine Angst vor dem Menschen, in den du dich verwandelt hast
Die elfte Entdeckung: Finde heraus, was du dir gern ankuckst, und dann schau’s dir einfach an
Die zwölfte Entdeckung: Fang ab sechs an zu zählen
Die dreizehnte Entdeckung: die Suche nach Süden und Norden
Die vierzehnte Entdeckung: Hör dir mal zu, wenn du wütend bist
Die fünfzehnte Entdeckung: positiv wichsen
Die sechzehnte Entdeckung: Das Schwierigste ist nicht, sich selbst zu akzeptieren, sondern alle anderen
Die siebzehnte Entdeckung: die Macht der Gegensätze
Die achtzehnte Entdeckung: zwanzig Minuten Winterschlaf
Die neunzehnte Entdeckung: Such auch außerhalb der Klinik nach deinen Zimmernachbarn
Die zwanzigste Entdeckung: Lust auf ein REM mit mir?
Die einundzwanzigste Entdeckung: die Macht des ersten Mals
Die zweiundzwanzigste Entdeckung: ein Trick, um niemals wütend zu werden
Die dreiundzwanzigste Entdeckung: ein toller Kniff, um herauszufinden, ob du jemanden liebst
Dreiundzwanzig Entdeckungen, um zwei Momente meines Lebens zu verbinden: mein vierzehntes und mein vierundzwanzigstes Lebensjahr
So wird gelebt … Zwischen Freundschaft und Liebe
Über die Gelben
Wie man seine Spiegelbilder findet und erkennt
Der Fragenkatalog
Eine neue Dimension der Freundschaft
Und zur Ruhe kommen … Das gute Ende
Die Angst vor dem Tod verlieren
Ein letztes Wort noch
Vorwort zum »Club der roten Bänder«
Das Buch, das du hier in den Händen hältst, war die Inspiration für die Serie »Club der roten Bänder«, deren Urheber ich bin.
Sowohl das Buch als auch die Serie sind autobiografisch; sie erzählen von den zehn Jahren, während deren ich gegen den Krebs gekämpft habe. Ich hab dabei ein Bein, einen Lungenflügel und Teile meiner Leber verloren, aber ich war glücklich.
Die Figur des Leo, die so wunderbar von Tim Oliver Schultz dargestellt wird, ist mein Alter Ego. Alles, was er in der Serie durchmacht, hab ich selbst in der Realität erlebt – zehn Jahre voller Verluste, die letztlich aber auch ein Gewinn waren.
Dieses Buch habe ich vor der Serie geschrieben, der es nun als Ergänzung dient. Es bietet Antworten auf einige der Fragen, die dir beim Anschauen der Sendung vielleicht in den Sinn kommen. Außerdem hoffe ich natürlich, dass du seine Lektüre einfach genießt.
Ich find es wirklich super, dass die Serie in Deutschland ausgestrahlt wird, und dann auch noch mit so einer tollen Besetzung. An diesem Projekt haben so viele Leute mitgearbeitet und sich mit Leidenschaft eingebracht. Der Antrieb dahinter bei Vox war ohne Zweifel der engagierte Bernd Reichart. Fernsehsender mit Schneid brauchen mutige Menschen, und das ist für ihn wirklich die perfekte Definition.
Ich möchte auch allen deutschen roten Bändern danken: Tim Oliver Schultz, Luise Befort, Nick Julius Schuck, Damian Hardung, Ivo Kortlang und Timur Bartels.
An dem Tag, als wir uns kennengelernt haben, hab ich ihnen das echte rote Armband gezeigt, das ich an dem Tag bekam, als ich mit vierzehn mein Bein verloren hab. Diesen Moment werde ich nie vergessen, danke, dass ihr meinen Figuren, die ja in Wirklichkeit echte Menschen sind, so viel Liebe entgegenbringt.
Liebe Leser, ich hoffe wirklich, dass ihr viel Spaß mit dieser neuen Ausgabe meines Buchs habt, und dass ihr euch mal bei mir meldet.
Meine E-Mail-Adresse lautet:
albertespinosa91@yahoo.es
Albert Espinosa
Barcelona,
im September 2015
Vorwort: Achtung, in diesem Buch steckt Albert, wenn du erst mal damit anfängst, lässt es dich nie mehr los
Albert hat den Wissensdrang von Sherlock Holmes, sieht aber eher aus wie Watson. Er ist immer derart zerknautscht und verwuschelt, dass man denken könnte, er hätte diesen Look zu Hause sorgfältig vorbereitet. Selbst beim Thema »Eitelkeit« ist er irgendwie anders.
Eins seiner liebsten Hobbys ist das Zusehen. Die Augen der anderen sind Fenster, durch die er ungefragt eindringt und sich alle Informationen besorgt, die er braucht. Sein emotionales Gespür ist beinah unfehlbar, und er durchschaut Menschen mit derselben Leichtigkeit wie der Scanner an der Supermarktkasse den Strichcode. Und wenn er richtigliegt, weiß er mehr über dich als du selbst.
Albert ist schon mehrmals dem Tod von der Schippe gesprungen, deshalb strotzen seine Geschichten auch nur so vor Leben. Er ist hyperaktiv und schlägt sich lieber mal eine Nacht um die Ohren, als eine Erfahrung zu verpassen. Sein Verstand arbeitet in schwindelerregendem Tempo. Wenn du ihm irgendwas erzählen willst, dann muss deine Geschichte entweder sehr gut oder sehr kurz sein.
Aber verrat ihm lieber nichts über dich. Wenn du sein Interesse wecken willst, gib ihm stattdessen Gelegenheit, alles selbst zu entdecken. Das ist ein weiteres seiner Lieblingshobbys.
Er provoziert unheimlich gern, aber mit der Absicht, für Normalität zu sorgen. Ich sprach bei ihm für seinen letzten Film vor. Es ging um eine Szene in einem fiktiven Schwimmbad, ich hatte Albert gerade erst kennengelernt, und plötzlich schnallte er sich die Prothese ab. Das machte er mit solch unbefangener Selbstverständlichkeit, dass ich automatisch nach meinem Bein griff, um zu sehen, ob ich es vielleicht auch abnehmen konnte. Ich war total hysterisch, gab zwar vor, dass alles in Ordnung war, in Wirklichkeit machte mir der Anblick jedoch zu schaffen. Das entging Albert natürlich nicht, und dann sprach er plötzlich mit der gleichen Unbefangenheit, mit der er sich das Bein abgenommen hatte, über ein Thema, das in seinen Filmen und seinem Leben immer wieder eine große Rolle spielt: das Wichsen. Und da machte es sofort Klick. Nun war das Vorsprechen vergessen, ich dachte nicht mehr an sein Bein oder daran, dass er der Regisseur war, und quatschte stattdessen mit einem Kumpel, mit dem ich etwas gemeinsam hatte.
Er mag aussehen wie ein Dreißigjähriger, aber in Wirklichkeit durchlebt er seit fünfzehn Jahren seine zweite Pubertät, und daher stammen seine erfrischende Art und seine Reinheit. Und deshalb glaubt er auch weiterhin fest daran, dass man alles erreichen kann, was man sich erträumt.
Alberts Stärke liegt darin, dass er niemals aufgibt. Und wenn gar nichts mehr hilft, verlegt er sich aufs Feilschen: Er hat ein Bein und einen Lungenflügel gegen das Leben eingetauscht. Er hat gelernt zu verlieren, um zu gewinnen. Und er geht aus dem Verlust gestärkt hervor. Er legt los, saugt sich mit Leben voll und schreibt Theaterstücke, Filme, Serien, Romane … Und benutzt dabei gekonnt Humor, um uns ein Drama zu erzählen. Er führt die unmittelbare Realität mit unseren kühnsten Träumen zusammen, zeigt uns, dass es in Wirklichkeit nur emotionale Behinderungen gibt und wir in einer Gesellschaft leben, in der man Gefühle nicht teilt.
Albert spricht von einer Welt, die jeder von uns für sich erschaffen kann und die in der Farbe der Sonne erstrahlt: die gelbe Welt. Das ist ein warmer Ort, an dem Küsse zehn Minuten dauern, Unbekannte deine engsten Verbündeten werden, Körperkontakt keine sexuelle Konnotation haben muss und Zuneigung etwas so Alltägliches ist wie der Gang zum Bäcker. Angst verliert dort ihre Bedeutung, der Tod betrifft nicht immer nur andere, und das Wertvollste ist das Leben. In dieser Welt ist alles an seinem Platz, so wie es dir am besten gefällt.
Und davon handelt dieses Buch. Es geht darin um Dinge, die wir fühlen, aber nicht zum Ausdruck bringen, um die Angst vor Verlusten, darum, uns genau zu kennen und jede Sekunde des Tages zu schätzen und zu achten. Lang lebe Albert!
Eloy Azorín
Schauspieler
Meine Inspiration
Gabriel Celaya war Ingenieur und Dichter. Ich bin Ingenieur und Drehbuchautor. Wir sind beide Linkshänder. Sein Gedicht »Autobiografie« hat etwas an sich, was mich packt, mir durch Mark und Bein geht. Das liegt wohl daran, dass er in diesem Gedicht seine Welt erschaffen hat. Seine Welt, die »Celaya-Welt«. Nichts fasziniert mich mehr als Menschen, die Welten erfinden.
Dieses Gedicht besteht aus vielen Verboten, Verboten, die ein Leben erschaffen. Verboten, die sein Leben bestimmt haben. Wenn wir all diese Verbote wegnähmen, dann würden wir dahinter sein Universum entdecken, wie er es sich vorgestellt hat. Wir haben hier also viele »Neins«, die wir beiseiteschieben müssen, um die »Jas« zu entdecken. Dieser Blick auf die Welt gefällt mir.
So wie Celaya in »Autobiografie« will auch ich dieses Buch in vier Bereiche unterteilen: »So geht’s los …«, »So geht’s weiter …«, »So wird gelebt …« sowie »Und zur Ruhe kommen …«. Diese vier Blöcke bilden seinem Gedicht nach unser Leben.
Falls ihr seine Verse noch nicht kennt, könnt ihr euch jetzt daran erfreuen:
Autobiografie
Fass den Löffel nicht mit links. Nimm die Ellbogen vom Tisch. Falt die Serviette ordentlich.
So geht’s los.
Zieh die Wurzel aus dreitausenddreihundertdreizehn! Wo liegt Tanganjika? Wann kam Cervantes zur Welt? Wer tuschelt, bekommt eine Sechs.
So geht’s weiter.
Ein dichtender Ingenieur, finden Sie das etwa normal? Kultur ist doch nur Zier, und Geschäft ist Geschäft.
Wenn du dieses Mädchen weiter triffst, dann lass dich hier nicht mehr blicken.
So wird gelebt.
Sei nicht so verrückt. Sei höflich. Sei korrekt. Trink nicht. Rauch nicht. Huste nicht. Atme nicht.
Genau, nicht einmal atmen! Nein sagen zu jedem
Nein und zur Ruhe kommen: sterben.
Gabriel Celaya
Und was soll dieses Buch?
Ich wollte immer schon von der gelben Welt erzählen, von meinem kleinen Reich, der Welt, in der ich lebe. Wenn du irgendwann einen meiner Filme siehst, eins von meinen Drehbüchern liest oder eine meiner Figuren unter die Lupe nimmst, dann wirst du darin etwas von dieser Welt entdecken. Und das ist die Welt, die mich glücklich macht. Die Welt, in der ich gern lebe.
Ich wollte immer schon ein Buch schreiben, aber mir wurden nur Titel wie »Den Krebs überwinden« oder »Wie man den Krebs besiegt« angeboten. Etwas in der Art hat mich aber nicht interessiert. Gegen Krebs hilft kein Buch, meinen Freunden aus dem Krankenhaus und allen, die mit dieser Krankheit kämpfen, würde so ein Titel ja wie Hohn vorkommen. Es gibt keine »Anti-Krebs-Tipps«, keine geheime Strategie. Du musst dich auf deine Stärke besinnen, den Kampf aufnehmen und dich dabei führen lassen.
Deshalb fand ich es viel interessanter, ein Buch darüber zu schreiben, was der Krebs mich gelehrt hat – und wie man das auf das tägliche Leben anwenden kann. Und das will ich mit diesem Buch versuchen.
Für mich ist der Krebs etwas sehr Lebendiges, und man kann im Kampf gegen ihn so viel lernen, so viele Erkenntnisse gewinnen. Dann wird man irgendwann geheilt und kehrt in sein Leben zurück, wo man diese Lektionen anwenden kann.
Das hier ist kein Selbsthilfebuch, an so was glaube ich eigentlich nicht. Es handelt sich einfach um ein Buch, in dem ich Erfahrungen zusammentrage, die mir etwas gebracht haben.
Und es ist vor allem ein Buch, in dem ich von den »Gelben« rede, von dem Konzept, das dahintersteckt. Ich hoffe und wünsche mir, dass du dich nach der Lektüre dieser Seiten aufmachst, deine Gelben zu suchen. Das wäre für mich die schönste Belohnung.
Jetzt ist Sommer, wenn auch kein sehr warmer. Es ist Nacht, aber keine sehr dunkle. Ich trage meine Prothese (die für den Hausgebrauch), trinke eine kalte Cola und weiß, dass es nun an der Zeit ist, diese Welt zu Papier zu bringen. Und später ist dann Ende September (während ich den Text Korrektur lese). Es ist kalt, es regnet, und ich stecke mitten im Dreh zum Kurzfilm »Destination Ireland« von Carlos Alfayate. Ich spüre, wie die Zeit rennt und die Geburt meines Buches immer näher rückt. Und ich hoffe, dass dieser Text uns als Gelbe vereint.
Albert Espinosa
So geht’s los …
Die Welt, in der ich lebe
Fass den Löffel nicht mit links. Nimm die Ellbogen vom Tisch. Falt die Serviette ordentlich.
So geht’s los.
Gabriel Celaya
Woher stammt diese Welt?
Ganz einfach, sie entstand im Krebs. »Krebs« – das Wort gefällt mir. Mir gefällt sogar das Wort »Tumor«. Das klingt vielleicht makaber, aber mein Leben ist mit diesen beiden Wörtern eben eng verknüpft. Mir ist es nie schwergefallen, über Krebs, Tumoren oder Osteosarkome zu sprechen. Ich bin mit diesen Begriffen aufgewachsen und sage sie gern laut, posaune sie in alle Welt hinaus. Solange du sie nicht aussprichst, sie nicht in dein Leben mit einschließt, kannst du deine Erkrankung auch nicht akzeptieren.
Deshalb finde ich es wichtig, in diesem ersten Kapitel über den Krebs zu sprechen, denn in den darauffolgenden benutze ich die Lehren des Krebses, um das Leben durchzustehen. Also konzentriere ich mich erst einmal auf diese Krankheit und darauf, wie es mir mit ihr ergangen ist.
Ich war vierzehn, als ich zum ersten Mal ins Krankenhaus kam. Damals hatte man bei mir ein Osteosarkom im linken Bein entdeckt. Also hab ich die Schule und meine gewohnte Umgebung hinter mir gelassen und im Krankenhaus ein neues Leben angefangen.
Ich war zehn Jahre lang krebskrank, von meinem vierzehnten bis zu meinem vierundzwanzigsten Lebensjahr. Das heißt nicht, dass ich auch die ganzen zehn Jahre im Krankenhaus verbracht habe, aber ich bin während dieser Zeit immer wieder in verschiedenen Kliniken gewesen, um von vier Krebserkrankungen geheilt zu werden: Bein, Bein (das gleiche wie beim ersten Mal), Lunge und Leber.
Unterwegs habe ich einen Unterschenkel, einen Lungenflügel und ein Stück Leber eingebüßt. Aber an dieser Stelle muss ich dazusagen, dass ich mit dem Krebs glücklich war. Diese Zeit gehört zu den schönsten Zeiten meines Lebens.
Die beiden Wörter so nebeneinander, »Krebs« und »glücklich«, mögen manche schockieren. Aber so war es eben. Der Krebs hat mir etwas ganz Konkretes weggenommen: ein Bein, einen Lungenflügel, ein Stück Leber. Aber er hat mir auch viel mit auf den Weg gegeben, was ich allein nie herausgefunden hätte.
Was kann uns der Krebs schenken? In meinen Augen ist das eine ellenlange Liste: Er lehrt dich, wer du bist und wie die Menschen in deiner Umgebung sind, er zeigt dir deine Grenzen auf und hilft dir vor allem, die Angst vor dem Tod zu überwinden. Das ist vielleicht am allerwichtigsten.
Eines Tages war ich geheilt. Ich war vierundzwanzig, und plötzlich eröffnete man mir, dass ich nicht mehr zurück ins Krankenhaus müsste. Ich war wie erstarrt. Es war einfach seltsam. Was ich im Leben am besten beherrschte, war doch der Kampf gegen den Krebs, und auf einmal hieß es, ich sei geheilt. Meine Verwunderung (oder Betäubung) dauerte sechs Stunden an, und dann bin ich vor Freude fast ausgeflippt – keine weiteren Klinikaufenthalte, keine Röntgenaufnahmen (ich glaube, das waren bei mir über zweihundertfünfzig), kein Blutabnehmen, keine Untersuchungen mehr. Es war, als sei ein Traum in Erfüllung gegangen. Das war absolut unglaublich.
Ich hätte gedacht, dass ich nach ein paar Monaten längst nicht mehr an den Krebs denken würde. Ich würde zur »Normalität« zurückkehren, und der Krebs wäre nur eine Phase meines Lebens gewesen. Aber stattdessen lief es ganz anders (vergessen habe ich ihn nämlich nie), und ich hätte nie geahnt, wie nützlich mir die Lehren dieser Krankheit im Alltag sein würden.
Das ist auf jeden Fall das große Vermächtnis des Krebses. Es sind Lehren (um sie irgendwie zu nennen, obwohl mir »Entdeckungen« eigentlich besser gefällt), durch die man das Dasein einfacher und glücklicher gestalten kann.
In diesem Buch erkläre ich also, wie man auf das tägliche Leben anwenden kann, was ich während meiner Krebserkrankung gelernt habe. Ja genau, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte so auch der Titel des Buches lauten: »Wie man durch Krebs das Leben übersteht.« Vielleicht wäre das ja auch ein geeigneter Untertitel. Komisch, sonst versprechen Krebsbücher genau das Gegenteil. Aber unser Dasein ist eben paradox, und ich liebe Widersprüche. Ich möchte gern klarstellen, dass es sich um eine Sammlung ganz persönlicher Erkenntnisse handelt, die ich durch den Krebs gewonnen habe, und einiger Entdeckungen, die krebskranke Freunde mir mit auf den Weg gegeben haben.
Zimmernachbarn sind dabei ganz besonders wichtig. Und wir Jungen mit Krebs, die Haarigen, wie wir uns nannten, hatten einen Pakt, einen Lebenspakt: Wir teilten unter uns das Leben derjenigen auf, die starben. Das war eine schöne, unvergessliche Abmachung, irgendwie wollten wir durch die anderen weiterleben und ihnen im Kampf gegen die Krankheit beistehen.
In unseren Augen hatte jeder der Verstorbenen den Krebs ein wenig geschwächt, sodass die Überlebenden es leichter haben würden, ihn zu besiegen. Während meiner zehn Jahre Krebs fielen mir drei Komma sieben Leben zu. An diesem Buch schreiben also vier Komma sieben Personen mit (die drei Komma sieben fremden Leben und ich selbst). Diese drei Komma sieben Leben werde ich nie vergessen, und ich werde immer versuchen, ihnen Ehre zu machen. Auch wenn das gar nicht so einfach ist, ein einziges Leben ist schon schwer, stell dir mal vor, wie das erst mit vier Komma sieben wird!
Gut, so weit also zu mir und dem Krebs. Es gefällt mir, wie ich das zusammengefasst habe, ich bin zufrieden. Der Anfang ist gemacht. Dann mal weiter mit der gelben Welt.
Was ist denn meine Welt?
Als meine Welt, die »gelbe Welt«, bezeichne ich eine Art, zu leben und das Leben zu sehen. Es geht darum, an den Lektionen zu wachsen, die man in guten und schlechten Zeiten lernt. Die gelbe Welt besteht aus Entdeckungen, vor allem gelben Entdeckungen, die ihr den Namen geben. Aber dazu kommen wir später noch, nur Geduld.