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Über dieses Buch

»Ist von Vergnügen als Kunstform die Rede, darf, natürlich, Hanns Dieter Hüsch nicht vergessen werden: ein furioser Wortedrechsler und -hetzer, ein Humorist comme il faut, in seinen besten Momenten genauso gut wie Thomas Bernhard.« (Franz Norbert Mennemeier)

»Hanns Dieter Hüsch wird als unbeirrbarer Humanist in Erinnerung bleiben, dessen Name auf immer mit dem literarischen Kabarett verbunden ist. Mit der nötigen Distanz und sprachlicher Präzision lieferte er treffende Bestandsaufnahmen deutscher Befindlichkeiten. Die Wahrheit fand er im scheinbar Banalen und Absurden.« (Fritz Pleitgen)

Der Autor

Hanns Dieter Hüsch (1925–2005) war Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Synchronsprecher und Rundfunkmoderator. Mit über 53 Jahren auf deutschsprachigen Kabarettbühnen und 70 eigenen Programmen gilt er als einer der produktivsten und erfolgreichsten Vertreter des literarischen Kabaretts im Deutschland des 20. Jahrhunderts.

Hanns Dieter Hüsch: Das literarische Werk

Herausgegeben anlässlich seines 90. Geburtstags am 6. Mai 2015 von Helmut Lotz

Ich sing für die Verrückten
Die poetischen Texte

Denn in jeder Leiche ist ein Kind versteckt
Die kabarettistischen Texte

… so dass sich die Landpfleger sehr verwundern
Die politischen Texte

Ich habe nichts mehr nachzutragen
Die christlichen Texte

Das Gemüt is ausschlaggebend. Alles andere is dumme Quatsch
Die Niederrhein-Texte

… dass die Erziehung seiner Kinder eine völlig verfahrene war
Die Hagenbuch-Texte

Gemacht aus Bauern- und Beamtenschwäche
Die autobiografischen Texte

… am allerliebsten ist mir eine gewisse Herzensbildung
Die Interviews

Hanns Dieter Hüsch

Denn in jeder Leiche ist ein Kind versteckt

Die kabarettistischen Texte
Das literarische Werk, Band 2

Mit einem Vorwort
von Susanne Betancor

Edition diá

Inhalt

Vorwort

Einzeltexte 1948–2001

»Sie müssen bei uns im Schrank gesessen haben«. Meine Geschichten

Es kommt immer was dazwischen

Einzeltexte undatiert

Editorische Notiz

Textverzeichnis

Impressum

Mit Omma und Cousine
1950

Es ist der Swing

Sehr geehrte Freundinnen und Freunde des Hüsch’schen Textwesens, handverlesen in diesem schönen Elektrobuch, das ich hiermit einleite.

Hierfür hole ich meine drei Hüsch-LPs »Nachtkonzert«, »Das neue Programm« und »Das Lied vom runden Tisch« hervor – und plötzlich weiß ich es wieder. Es ist der Swing. Der Swing mit lakonischen Texten, den ich an Hüsch so mochte und der mich geprägt hat. Fats Waller und Hanns Dieter Hüsch.

Einmal bin ich ihm begegnet. Im Mai 2001 im Mainzer Unterhaus, wo ich meinen Soloabend »Damenbart« stemmte und er seinen Freund Franz Hohler besuchte, der im großen Saal gastierte. Ich war leider zu verbrettert, um ordentlich zu grüßen. Ich glaube sogar, ich bin fluchtartig nach draußen. Erinnerte Ehrfurcht und akute Entfremdung trieben mich in meine Unterkunft.

Denn meine Hoch-Zeit mit Hüsch lag 20 Jahre zurück. Mutwillig sitzengeblieben in der zehnten Klasse und unverhofft noch dafür belohnt, kam ich neben einer ebenfalls Halbspanierin zu sitzen, mit welcher ich mich aufs Schönste orientierte: Wir fuhren mit den noch frischen Grünen nach Bonn zur Anti-Pershing-Demo, waren Gründungsmitglieder und Redakteurinnen unserer Schülerzeitung und gingen zusammen zu DGB-Veranstaltungen, wo wir ihn zum ersten Mal sahen. Den mittelgroßen Hüsch, der leise lächelnd in himmelblauer Jeanskombi auf die Bühne hinkte, um Platz zu nehmen an einem Schreibpult, das Orgel war. Und diese Orgel, es war die elektronische Philicorda mit Register-Kippschaltern, Einfinger-Akkord-Automatik und Vibrato in Beige, klang einerseits wie Kirchenorgel-Verhohnepipelung und Stummfilm und andererseits – besonders, wenn rhythmisch gespielt – wie Jazz.

Er muss mich an den klavierspielenden Lieblingssänger meiner Kindheit erinnert haben, Fats Waller. Weil der Drehknopf für die Sendersuche am Radiorekorder überdreht war, hörte ich immer einen Sender im WDR, der nachmittags Jazz und Swing spielte und am liebsten Fats Waller. Der swingte »wie Sau«, und man hörte, wie er beim Singen mit den Augen zwinkerte, obwohl er sie aufriss wie sein Kollege vom Niederrhein.

Ironie? Nein. Abrücken. Über den Dingen und neben sich stehen im Sitzen, sich selbst und das Umfeld aufs Korn nehmen und dabei nackte Liebe verströmen. Das alles, glaube ich, brach sich Bahn. Und da ich auch noch schön katholisch erzogen war und im Kirchenchor gesungen hatte, rührte das alles an allem. Ergab das alles, denke ich, ein Konglomerat aus Gelerntem und freiwillig Angeeignetem, Gequältem und Beflügelndem und mündete in den Berufswunsch: entweder Tingeltangel oder Lehrer.

Und dann diese Stimme. Erst später kam ich drauf: »Väter der Klamotte«! Ich musste mir das Heft zum »neuen Programm« kaufen, damit endlich Inhalt in mich rieseln konnte. Weil ich immer abgelenkt war von dieser Stimme. Diese singende, näselnde, tönende, zwingende Stimme. Und wie die klang, wenn er sang.

Ursprünglich wollte ich nicht über die kabarettistischen Texte schreiben, denn das Kabarett und ich sind keine Freunde. Und ich dachte: Oh nein, hat der etwa am Ende doch Kabarett gemacht? Der Hüsch? Belehrendes Herren-Kabarett von oben herab? Auf keinen Fall. Hanns Dieter Hüsch: Musikalischer Literat und Hintergründler. Melancholiker, Menschenfreund und Weltverbesserer. Erster Träger des Deutschen Kleinkunstpreises, Sprach-, Wort- und Spiel-Künstler und Musiker, der später Elektro-Orgel spielte statt Klavier.

»Das Klavier« und seine Literatur, das immer wieder steht für betonierte Bürgerlichkeit in seinen frühen Texten: »Liebe Klavierbezirksgemeinde …« In denen Setting und Personal an das der »Väter der Klamotte« erinnern, wo Frauen nur als »gnädige Frau« und Nerzträgerinnen vorkommen und die Männer als reaktionäre Spießer umherstolpern. Lauter leere Hüllen. Die Prosa von Hanns Dieter Hüsch ist voller Spitzen gegen den »starken Mann«. Das Männerbild (von »damalig« braucht man, glaube ich, nicht schreiben) und der Mann an sich sind immer wieder Thema, natürlich auch als Selbstreferenz: »Machen Sie was anderes, was Politisches, oder singen Sie was, nicht so ’n lahmes Zeug.«

Der hinkende Außenseiter Hüsch hat sich überall hingehockt, um aus der Froschperspektive sein Umfeld zu filetieren. Die hier gesammelten Texte sind innere Monologe, Gedankenströme, die die Pointe verweigern, den Blick verdrehen und die Ohren schärfen. Mal mehr, mal weniger dramatisiert. Gereimt und ungereimt. Und beim Lesen hört man ihn.

Mein Lieblingstext ist »Fliege«. Ein zeitloser Text zum Thema Anpassung. Der Ich-Erzähler – wer? ich? – rettet eine Fliege aus seinem Bierglas und lässt sie fliegen. Wie … das war’s? Ja. Im Groben. Hüsch, Topograf des niederrheinisch-bundesrepublikanischen Mikrokosmos, Erbse unter dem Kissen der Bierseligkeit, tourte mit Jazzmusikern oder nahm mit ihnen Playbacks auf für seine Shows. Und wenn Kollegen und Publikum nervten, revanchierte er sich mit einem Song:

Karl-Gustav macht polit-gynäkologische Lieder,

Fritz-Ottmar macht emanzipiert-protestantische Lieder,

Heinz-Detlev macht sado-poetische Bekenntnislieder

Und ich mach dummes Zeug.

Oder sein Beitrag zum Bardentum am recycelten Volkslied »Drei Griffe = eine Single«:

Geh ich in die Küch’ hinein

Ist das Wohnzimmer ganz allein

Geh ich dann aufs Klo hinauf

Beleidigt ist der Keller drauf

Und bereits in den Siebzigern, als die erste Blödelwelle rollte, hatte er’s erfasst:

Ich hoffe dennoch inständig, ihr behaltet mich alle a bisserl noch lieb,

Denn marketingmäßig, wie ich erfuhr, bin ich ein Langzeittyp,

Doch pfeif ich auf diese Erkenntnis und prophezeie euch:

Ich mach – damit es sich reimt – dummes Zeuch.

Früher, auf dem Stand von heute, hätte ich ihn zum Duett aufgefordert. An zwei Philicordas. Denn ich habe genauso eine in meinem Kleiderschrank. 1991 für ein Musiktheaterstück erstanden von einem Kreuzberger Pfarrer für 50 Mark, mit der ich diverse abseitige Projekte bestritten habe und die zwar nicht so viele Kilometer auf dem Buckel hat wie die von Hüsch, dafür aber mehr Töne.

Ich habe ihn noch einmal live gesehen. 2000 in den »Wühlmäusen«, an der Philicorda sitzend, und das Einzige, woran ich mich erinnere, ist der Satz »Ich hab Gott getroffen in Dinslaken auf dem Fahrrad« oder so ähnlich. Und ob er gesungen hat, weiß ich auch nicht mehr. Wahrscheinlich war ich wieder abgelenkt von der Stimme und hab zu viel zwischen den Zeilen gedacht, denn das ermöglicht er. Hanns Dieter Hüsch.

Susanne Betancor, 2015

Susanne Betancor ist Songschreibersängerin, Musikerin und Autorin und ebenfalls Trägerin des Deutschen Kleinkunstpreises, 1998 in der Sparte Chanson/Lied. Ihre aktuelle Veröffentlichung »Mein Herz will sich schlagen« und »GOLD – 15 Freunde singen Betancor« erschien 2015 bei Kurtmusik. Mehr unter betancor.de

Einzeltexte 1948–2001

Ich bin ja so unmuskulös

Ich wär so gerne ein Modell

Für eine Heldenstatue,

Ich schwärm so sehr für ein Duell,

Wenn es geht um die Ehre.

All diese Dinge sind so erdverwachsen,

Genauso sturmfest wie die Niedersachsen,

Und keiner weiß, wie ich mich danach sehne,

Nach einer echten teutschen Heldenszene.

Aber leider, notabene:

Ich bin ja so unmuskulös,

Wie kommt denn, wie kommt denn, wie kommt denn dös?

Immer, wenn ich starke Männer sehe,

Sag ich zu mir streng, gestehe:

Du bist nun mal kein Mann vom Format des Turnvater Jahn.

Wenn du mal stirbst, dann kräht nach dir, dann

Kräht nach dir kein Hahn;

Denn nur in gesunden Körpern haust auch ein gesunder Geist.

Ich möcht so gerne einen Mann verkörpern,

Der wie Siegfried und Achill

Etwas Großes leisten will.

Aber ich, aber ich, aber ich hab keinen Mut,

Denn mir fehlen alle Tropfen Kämpferblut.

Immer, wenn ich mich im Spiegel sehe,

Sag ich unter Tränen mir, gestehe:

Du bist ja so unmuskulös.

Dieserhalb sind mir auch alle Frauen bös.

Die erste sagt, ich hätte keine Heldenbrust.

Die zweite sagt, wenn sie mich sieht: Hab keine Lust!

Die dritte sagt: Ich sähe ja so kindisch drein,

Und so leb ich ganz allein

In dem großen Weltgetös,

Und das macht mich so nervös,

Denn ich bin ja so unmuskulös.

Was so ein richtiger Cowboy ist,

Der nur so aus der Hüfte schießt,

Das ist ein Mann der frischen Tat,

Ein Billy Jenkins zum Quadrat.

Alle diese Männer sind so fest entschlossen.

Wer sie nicht liebt, wird piff-paff totgeschossen.

Und keiner weiß, wie hoch ich sie verehre.

Ich ging so gern bei ihnen in die Lehre.

Aber leider, oh, oh, Misere:

Ich bin ja so namenlos bababang.

Das merken sie schon an meinem Gesang.

Immer, wenn ich große Hunde sehe,

Sage ich unter Zittern mir, gestehe:

Du bist nun mal kein Mann vom Format eines Harry Piel.

Wenn du in der Manege wärst,

Dann kriegtest du bestimmt zu viel.

Denn nur, wer da tapfer und schneidig

Dem Tiger ins feuchte Auge schaut,

Der ist der mächtigste König im gesamten Jagdrevier,

Aber leider ohne mir.

Denn ich leide an Verfolgungswahn,

Und ich stell mich dabei furchtbar an.

Immer, wenn ich meinen Schatten sehe,

Ruf ich laut um Hilfe und gestehe:

Ich bin ja so namenlos bababang.

Dieserhalb hab ich auch keinen Sturm und Drang.

In jeder Ecke steht für mich ein Bullemann,

Und der legt seinen Flitzebogen auf mich an,

Dann schwingt er das berühmte Indianerbeil.

Ich suche in der Flucht mein Heil,

Doch sein Arm ist viel zu lang,

Und so naht mein Untergang,

Denn ich bin ja so namenlos bang.

1948

Wer zählt die Leichen im Opium-Klub

(Kurzer Aufschrei)

Bitte erschrecken Sie nicht!

Sie hörten soeben den Anfang des fesselnden Kriminalromans »Der Mann mit der geklauten Klaue« von Kitsch Kitschener. Es ist unmöglich, von Kitsch Kitschener nicht gefesselt zu sein!

Fortsetzung folgt:

Hands up!

Wer zählt die Leichen im Opium-Klub

Hands up!

Da machen alle Messer klip klap klip klap klip klap

Hands up!

Und die Revolver machen blap blap blap blap

Hands up!

Und von den Wänden tropft das Blut trip trap

Und die Themse die Themse die ist schon ganz rot

So was Grausiges tut ja auch furchtbar not

Denn willst du nicht mein Bruder sein

So schlag ich dir den Schädel ein. Au fein!

Hands up!

Wer zählt die Leichen im Opium-Klub

Hands up!

Da machen alle Messer klip klap klip klap …

In ebenjener feuchten Novembernacht

Kriminalromane spielen immer in feuchten Novembernächten

gaben sich der junge aber doch strebsame Amateurdetektiv Frank Parker

und die platinblonde Ballettkatze Evelyn Milwaukee ein Stelldichein

Huch! Eine Eule, zwitscherte erschreckt Evelyn

Wo Eulen sind, da ist auch Liebe, erwiderte Frank trocken

Wie mutig du bist!, darlingte Evelyn

Unsinn!, straffte sich da Frank Parker, – ein Mann, der kein Mann ist – ist kein Mann!

In ebendiesem Augenblick fühlte Frank etwas Kaltes zwischen den Schulterblättern, biss auf die Zähne und meinte lächelnd: Sweetheart, mich deucht man will mich erstechen

(Schrei …)

Hands up!

Wer zählt die Leichen im Opium-Klub

Hands up!

Da machen alle Messer klip klap klip klap klip klap

Hands up!

Und die Revolver machen blap blap blap blap

Hands up!

Und von den Wänden tropft das Blut trip trap

Und Inspector Higgins von Scotland Yard

trägt schon seit neun Monaten einen falschen Bart

und nun hat man ihn sogar selbst in Verdacht

Dass er den, man weiß noch nicht wen, hat umgebracht

Wer zählt die Leichen, die Skelette

Ganz London zittert um die Wette

Doch alles hängt noch furchtbar in der Schwebe

Wir beben, er bebt, du bebst, ich bebe

Denn:

Hands up!

Wer zählt die Leichen im Opium-Klub

Hands up!

Da machen alle Messer klip klap klip … KLIP KLAP!!!

1949

Der Mann, der nicht tanzen kann

Ich bin der Mann, der nicht tanzen kann, tanzen kann, tanzen kann

Alle Leute sagen plötzlich, was ist denn mit dem?

Drum sag ich Ihnen gleich, was mit mir los ist

Damit hinterher Ihre Wut auch nicht zu groß ist

Und bei der allernächsten Damenwahl

Verlasse ich fluchtartig das Lokal

Denn ich bin der Mann, bei dem nie was klappt, nie was klappt

Pech gehabt.

Es kann nicht jeder ein Nijinsky sein

Das seh ich voll und ganz und dreimal täglich ein

Wenn ich zu Hause vor dem Spiegel übe

Weil ich den Tanz trotz alledem sehr liebe

Ich nutze jede kleine Chance

Mit einem Grammophon, das kaum noch geht

Doch sofort verlier ich die Balance

Wenn eine Dame vor mir steht:

Ach Fräulein, sagen Sie mir doch bitte

Was das für ein Tanz ist

Damit hinterher Ihr Schuhwerk auch noch ganz ist

Denn ich bin ein Tänzer, das werden Sie noch sehn

Den lässt jede Frau nach zehn Sekunden stehn

Denn ich bin der Mann, der nicht tanzen kann, tanzen kann, tanzen kann.

Welchen Schritt, welchen Schritt

Ja, welchen ersten Schritt auf das Parkett wieder?

Da geht es ja meistens noch relativ nett zu

Aber beim dritten, vierten, sechsten, siebten, achten, neunten Schritt

Komm ich mit dem Rhythmus nicht mehr mit

Denn ich bin der Mann, der nicht tanzen kann, tanzen kann, tanzen kann.

Die Ka-, die Ka-, die Kapelle kann noch so gut sein

Und die Tanzfläche noch so bequem

Ich kann noch so viel auf der Hut sein

Alle Leute sagen plötzlich: Was ist denn mit dem?

Was ist denn mit dem? Was ist denn mit dem?

Drum sag ich Ihnen gleich, was mit mir los ist

Damit hinterher Ihre Wut auch nicht zu groß ist

Und bei der allernächsten Damenwahl

Verlasse ich fluchtartig das Lokal

Denn ich bin der Mann, bei dem nie was klappt

Tut mir leid für Sie

Pech gehabt!

um 1950

Chanson der Studentin

Ich nasche an allen Fächern

Und führe sauber Buch.

Ich lausche an allen Gemächern,

Denn genug ist noch lang nicht genug.

Probieren geht über Studieren!

Ich mach das so aus der la mäng –

Und geht mir mal was auf die Nieren,

Sag ich einfach: Päng!

Ich werde später mal auf Barrikaden stehn,

Und meine Stimme überschlägt sich dann im Wind!

Ich werde später mal nach Südaustralien gehn,

Wo die wilden Rinderherden sind.

Ich werde später mal die großen Brücken baun

Und die Wolkenkratzer sowieso!

Ich werde später mal … wenn’s sein muss:

Circusclown,

Hallo, halli und hallo.

Ich bin der entfesselte Typ.

Männerersatz tut not!

Und habt ihr mich nicht lieb,

Dann streu ich euch Zucker aufs Brot.

Ich bin das entfesselte Ich –

Ob Sie’s glauben oder nicht:

Ich bin das Gesicht des Jahrhunderts!

Mich wundert’s

Nur, dass ich manchmal

Angst vor mir selber …

Dann wär ich viel lieber … Schwamm drüber!

Ich werde später mal auf Barrikaden stehn …

um 1950

Knockout

Die große Sensation –

Die Morgenpost, die Mittagspost,

die Abendpost ist nicht Flamil,

ist nicht Botil, ist auch nicht Pril,

sondern Rei.

Rei wie Ray Sugar Robinson:

Äuglein um Äuglein,

Zähnchen um Zähnchen,

Bäuchlein um Bäuchlein,

Tränchen um Tränchen.

Leber, Lunge, Niere, Haken, Herz,

1-2-3-4-5-6-7-8 und –

Nein, jetzt geht es wieder los,

der Jacky schlägt den Heini tot.

Der Blutverlust ist riesengroß,

Frau Lehmann sucht ihr Butterbrot.

Der Manager, der dreht das Ding

und lutscht an seinem Siegelring;

die Menschen woll’n ja gerne sehn,

wie Menschen in die Knie gehen.

1-2-3-4-5-6-7-8 und –

Ein Nasenbein fliegt durch die Luft,

der Heini ist schon völlig blind,

der wer jetzt kneift, der ist ein Schuft,

ein Boxer ist kein Wickelkind.

Das Stadion kommt jetzt in Schwung,

der Jacky, der gibt kein Pardung,

der Heini spuckt wie ein Vesuv –

es ist ja schließlich sein Beruf.

1-2-3-4-5-6-7-8 und –

Die Menge rast, die Menge tobt,

der Heini ist jetzt bald so weit.

Der Filmschauspieler Schulze lobt

die eklatante Beinarbeit.

Schlagt ihn kaputt, schlagt ihn entzwei!

Mal aufs Gebiss, mal aufs Gehirn.

Der Heini zuckt wie Puddingbrei –

der Jacky trägt ’ne Lorbeerstirn.

Es schreit die Witwe Meier,

es schreit der Bankier Schmidt,

und all die andern Schreier,

sie schrein:

Hamse das gesehn, Bluthund, pfui!

Bierflasche her! Genau unterm Nabel –

so was in Helsinki! Mal im Dunkeln

begegnen! Polizei holen kann jeder!

Das soll Kultur sein!!?? Rassenschande!

Auto umschmeißen! Zwanzigstes

Jahrhundert …

Äuglein um Äuglein,

Zähnchen um Zähnchen,

Bäuchlein um Bäuchlein,

Tränchen um Tränchen –

Beißen, schießen, stechen, würgen, foltern …

1-2-3-4-5-6-7-8 und –

Nein, jetzt geht es wieder los,

der eine schlägt den andren tot.

Der Blutverlust ist gar nicht groß,

auch andre Mittel tun’s zur Not.

Die Manager, die lächeln feist,

und ihre einz’ge Anwort heißt:

Die Menschen woll’n ja gerne sehn,

wie Menschen in die Knie gehen.

1951

Halte deinen Kopf

Halte deinen Kopf wenn du um die

Ecke gehst ein Versicherungsagent nagt

an deiner

Unterlippe zähl an deinen Fingern eine

Eintrittskarte Brandenburgisches Konzert

der

berühmte Drahtseilkünstler liegt im

Safe die halbe Welt kennt dich und

Mona Lisa steige

ein um die

Ecke hast du deinen Kopf in Scherben

Tante

Friedericke sagte Nachtasyl Fergusons

Trompete ist in einer willenlosen Wolke

immer

noch zu hören halte deinen Kopf halte

ihn halte ihn im Laufschritt eine Treppe

nimm

die Treppe in die Hand deine Hand

braucht

viel Reklame dass die Polizisten Lilly

suchen Lilly ist ein Hund ist schon

Ruhm genug in der Straße mit den vielen

Nachtlokalen eine Weite

Reise senkrechtes Sevilla anders

war es in der Schule und im Leben war

es mach dein

Televisionstestament wenn

die Kellner Autogramme sammeln

schweißgebadet in dem

Walzer wenn der Nachbar die Kaninchen

füttert lerne deinen Text und gehe um

die Ecke deine

Freundin ist sonst sehr stakkato

1952

Sogenannte Intellektuelle

Wenn Frau Direktor von Rückgrat

Eine kleine Party arrangiert,

Hab ich mich bis jetzt noch immer

Unsterblich blamiert.

Ich hab mich dann heimlich verkrümelt

Aufs Klo oder in die Küche,

Denn da herrschen entweder Schweigen

Oder unkomplizierte Gerüche.

Doch drüben im großen Salon

Tobt dann der Hornbrillenjargon:

Was halten Sie von Samuel Beckett,

Finden Sie nicht, finden Sie nicht,

Dass er in seinem Godot

Mehrmals die Stile bricht.

Und wie finden Sie den späten Picasso,

Finden Sie ihn auch eklatant

Besonders, nicht wahr, wenn er Rosa mit Schwarz

Und Ocker auf die Leinwand bannt.

Ach, Männe, hör doch mal eben,

Unser lieber Freund hier meint auch,

Kafka darf man nicht im Sitzen lesen,

Sondern nur auf dem Bauch.

Und spüren Sie bei Arnold Schönberg

Nicht auch eine Spur Kokain,

Sehn Sie, ich hab’s ja immer gesagt,

Man muss sich in das Problem hinunterknien.

Gut, dass wir in einer Großstadt wohnen,

Man würde ja zum Nachtschattengewächs.

Was halten Sie von Henry Miller,

Ist der nicht Sartre hoch sex.

Und auswechselbare Lyrik

Ist das Steckenpferd von meinem Männe,

Gottfried Benn, sage ich Ihnen,

War unsere abendländische Antenne.

Aber nun woll’n wir uns mal wieder stärken,

Mögen Sie vielleicht ein Brötchen mit Fisch,

Wissen Sie, wir müssen den Materialismus überwinden,

Doch das Dienstpersonal isst nicht mit am Tisch.

Wenn Frau Direktor von Rückgrat

Eine kleine Party arrangiert,

Werde ich von den Gästen

Stundenlang fixiert.

Ob der Jazz, schwarz auf weiß,

Nicht doch vom Urwald,

Ob Chaplin wirklich ein Kommunist,

Und Frau Direktor meint dazu schelmisch,

Unser lieber junger Freund hier ist nämlich ein kleiner

Verkappter Existentialist.

Und die Stirn ist klein, und der Bauch ist rund,

Und alles quasselt durcheinander und mit vollem Mund.

Ja, wir in den kleinsten Kreisen

Finden Sie ja, finden Sie nein,

Müssen stets geistig verreisen

Und auf dem Laufenden sein.

Auf einer Abendgesellschaft

Oder im Klub oder beim Tee

Loben wir uns gegenseitig

Über den grünen Paul Klee.

Denn 1. der Mensch als solcher

Und 2. die Kunst und der Mensch

Und 3. der Mensch und die Technik

Und 4. der Mensch als Mensch.

Und 5. der Mensch bei Jaspers

Und 6. der Mensch und die Transzendenz

Und 7. der Mensch und der Zeitgeist

Und 8. der Mensch im Mercedes-Benz.

Wie denken Sie über Jünger?

Ich denke darüber so,

Das heißt, wenn Sie darüber anders denken,

Das erhöht das Gesprächsniveau.

Ach, Männe, hör doch mal eben,

Was ist doch bei Gustav Mahler der Knalleffekt,

Die Musik als tragisches Erleben

Oder als Schrei im Plusquamperfekt.

Ja, wir in den kleinsten Kreisen,

Wir sind nicht von dieser Welt,

Um unser Gehirn zu beweisen,

Verzichten wir gerne –

Wer’s glaubt –

Aufs Geld!

1952

Woran erkennt man heutzutage

Woran erkennt man heutzutage einen modernen Menschen? Am Folgenden. Kommt der moderne Mensch aus dem Kino und man fragt ihn, na, wie war’s denn, dann sagt er meist: Na ja, glänzend gemacht, es war ein abessinischer Film, aber leider war er deutsch synchronisiert. So ist ja auch der moderne Kabarettist daran zu erkennen, dass er ständig in der Nase der Zeit bohrt. Oder der moderne Dichter daran, dass er immer wieder sein Ohr auf die Schienen der Gesellschaft legt, daher ja auch das geflügelte Wort vom aufgeschlossenen Ohr, da ist der Schnellzug etwas zu dicht am Ohr vorbeigeflitzt. Der moderne Maler ist daran zu erkennen, dass er ringt, mit der Farbe, meine ich, right or ring, my picture. Und der moderne Musiker ist ja nur aus seiner Zeit heraus zu verstehen, allerlei von zwei bis drei.

Wie alle diese schöpferischen Supergeister geben wir etwas einfacheren Menschen stets aufs Neue unser Grafischstes bzw. unser Fotografischstes. Wir sind ständig, tagein, nachtaus, auf Motivsuche. Ich hätte da noch ein paar kleine Anregungen: Auf einem Marktplatz, mit Tauben, Sie kennen den Marktplatz, da wartet der moderne Mensch so lange, bis nur noch eine Taube dasitzt. Dann erst knipst er: große Fläche, eine Taube, Weltende. Sehr hübsch ist auch Folgendes: Durch den Seitendurchgang einer alten Kirche den Namen einer modernen Nachtbar, beispielsweise namens Lido, zu fotografieren. Transparenz auf Schritt und Trott. Kinderspielplatz: Auf einer Bank ein durchwirkter Greis. Das Ganze über den Sandkasten quer geschossen. Geheimnis Leben, Biologie festhalten, ewiges Auf und Ab, stirb und hin und her … Auf Helgoland sind’s die Möwen, die zum modernen Menschen sprechen. Kampf ums Dasein, Gesetzmäßigkeiten, Echtheitsdurst, Engagement, Linsenwahrheiten.

Dagegen etwas ganz Einfaches: Der Bauer auf dem Felde. Wie er so gesund und sicher dahinschreitet, Symbol des Optimismus, der Schnitter, die Säfrau. Der Bauer, was mag sich aber hinter seiner Stirn abspielen, ob er an seinen Lebensnachmittag denkt? Wer weiß das? Wer weiß das? Sehn Sie, und dieses »Wer weiß das« in Gänsefüßchen, sollte in einem jeden guten Foto enthalten sein. Zwischentöne, meine Damen und Herren. In der Literatur würde man sagen, man muss das Foto offen lassen.

Sehr schön ist auch zum Beispiel: Drei Schulbuben betrachten ein Kriegerehrenmal. Ein guter Fotograf ist selbstverständlich ein geduldiger Fotograf. Er wartet nämlich so lange, bis die Buben sich prügeln, erst dann knipst er. Warum? Dann hat er nämlich zwei historische Ebenen mit einer Klappe eingefangen. Alles kleine Käutners, Wickis und Fellinis. Der moderne Mensch legt sein Fotogerät natürlich auch in ein modernes Schränkchen. Das moderne Schränkchen steht in einem modernen Raum, Wände alle weiß, Raufaser. Der moderne Mensch geht ständig hin und her, stellt diesen Stuhl mal dorthin und jene schwedische Leuchte mal hierhin, um seinem Raum immer neue grafische Spannungen zu verleihen.

Er fotografiert inzwischen auch keinen Wald mehr, geschweige denn einen Baum oder gar einen Busch, nein er fotografiert nur noch die Rinde, weil er ja ganz vom Substanziellen herkommt. Nicht die Naturtotale, die totale Natur, sondern Natursignale, keinen Ferienbilderbogen, sondern Ferienfragmente, nicht der Blumengarten, sondern das Blütenblatt, dreimal vergrößert, bewusst unscharf, Unschärfe als Ausdruck, das alles macht des modernen Menschen Auge wirsch. Er schließt sich auch nie einem Fotografenrudel an oder einer Führung durch Pfahlbaudörfer oder einer Rollschuhfahrt durchs wilde Kurdistan oder einer Schnitzeljagd in Somaliland, nein, er bleibt Individualist.

Da hat er eine Häuserwand erblinzelt. Das Haus wurde 1659 gebaut. Er streicht ein paarmal mit der Hand über den spröden Verputz. 300 Jahre, sagt er schlicht. Dann sucht er sich eine sehr historische Stelle aus, ein Stück Wand aus Battenbrunn ob der Brisach (jenem malerischen Flecken, bekannt geworden durch die berühmte Salamanderschlacht im Jahre 1138, wo ja bekanntlich Heinrich der Hamster gegen Oskar den Frosch zog. Heinrich der Hamster sammelte ja damals alle Kreuz- und Hexenschussritter um sich, um die hereinbrechende Tungusengefahr abzuwehren, aber das nur am Rande), also ein Stück Wand aus Battenbrunn ob der Brisach. Und nun geht der moderne Mensch öfter in seinem Studio hin und her, er nennt nämlich sein Arbeitszimmer nicht schlicht Arbeitszimmer, sondern noch schlichter: Studio. Er geht also hin und her, hält sein Foto im Weltpostkartenformat in der Hand und sagt schließlich assoziativ: Wallenstein. Er schmeckt Geschichte.

Manchmal kommen abends Gäste: alles junge Leute, modern, weltoffen, aufgeschlossen, kurz: Menschen. Der Abend steht unter dem Motto: Ferienfresken 1962 von Aldo Heinrichs, so heißt er meinetwegen. Seine Freunde nennen ihn Al. Und dann geht’s los: Projektionen aller Länder, vereinigt euch: Rinde, Rinde von links, späte Rinde, Rinde verkantet, Blatt plus Laus, Laus minus Blatt, Blüte 62. Pflasterstein 62. Das geht so bis zwei oder drei Uhr. Dann steht ein anderer auf und verkündet: Kinder, wie ist es nächsten Dienstag bei mir, Ferien-Mosaik 62. Getränke bringt jeder selbst mit. Und Erdnüsse.

Jaaa, wir modernen Menschen sind ja fein raus, wir sehen ja alles das, was die unmodernen Menschen nicht sehn. Geht der moderne Mensch dann gen Abend in sein Bett, in ein Modellbett natürlich, und ist er dann endlich modern eingeschlafen, dann träumt er natürlich davon, dass er morgen mal rustikal essen wird, mit dem neuen Islandia-Besteck, Entwurf Holger Achterblaad, und übermorgen mit dem neuen Zinnteller, Entwurf Stag Bigerknud, beide Oslo, Grand Prix 59, Brüssel.

Sie sehen, ich komme wieder auf meinen Bauernpunkt, auf mein Ausgangszimmer zurück. Wir verknüpfen ständig das Alte mit dem Neuen, das Städtische mit dem Ländlichen, das Diesseitige mit dem …, wir haben eben diesen archaischen Komplex, diese Blockhaus-Struktur in uns, dieses Intellektuell-Kirgisisch-Gesteppte.

Unser aller Traum, Ziel und Sehnsucht ist doch immer noch die schon brüchige Moorkate in Schafswede (Künstlerkolonie), wo wir morgens um 5.25 Uhr bei strömendem Regen im Pelzmantel und mit Wasserstiefeln durchs morsche Tor treten, um übers Land auszustreunen, an der Hand die intellektuelle Ziege, die vierbeinige meine ich. Tja. Nun, so ist das auch bei mir. Da hängt auch über der alten Bauerntruhe ein moderner Stich, und in einem anderen Raum steht unter einem alten Stich eine moderne Schaukelliege. Und wenn man das alles so sieht, dann stimmt auch alles, und ich muss fast sagen: Ich weiß gar nicht, was ich gegen mich habe.

1956

Ballade vom Jungsein und Altwerden

Als man Jerome Blech auf das Schafott geschickt /

Um ihn demzufolge hinzurichten / weil er selbst in hohem Alter

Seine Meinung nicht verschwiegen:

Dass das Schlechte oben sei und die Guten unterliegen /

Sagte er: Ich werde nun zu Gott geschickt /

Und er sah an sich herab und stellte fest /

Dass sein Kleid zerlumpt und ohne Wirkung

Und er selbst ein schmaler Rest.

Und da fragte man, ob er noch einen Wunsch /

Doch es müsse schnell gehn / da ihm nichts mehr einfiel /

Fiel die Antwort aus: Ich habe keinen Wunsch /

Dieser Morgen ist sehr schön (es war leichter Herbst

Und es waren gelbe Wolken öffentlich zu sehn)

Doch vielleicht hat einer aus der Menge eine Frage /

Die er stellt / um zu wissen / was ich darauf sage angesichts

Des Todes rief der Alte: Fragt / die Antwort kostet nichts.

Und es war ein junger Mann / der fragte: Warum hast du dir nicht überlegt /

Dieses hier zu überrunden /

Deinen Mund zu halten / wenigstens von Zeit zu Zeit?

Und der Alte sagte ruhig: Das hab ich getan mit 40 /

Und es ging mir gut / doch ich sah, dass es nicht allen gut ging /

Und ich wurde ungeduldig / weil der Mensch nicht lange da ist /

Denn es macht sich jeder schuldig / der sein Wohlergehen pflegt

Auf Kosten derer / die für Güte sorgen / und es muss wer alt wird /

Eine Lösung finden / die für alle gleich und wahr ist.

Hast du sie gefunden? rief der junge Mann /

Und die Menge sah zu Boden.

Murmelte: Wer leben will / muss listig sein.

Sprach der Junge: Ich bin 20 / und ich kann zu deinem Wort nicht stehn /

Darum mach ich Schluss / Schluss mit allen gütigen Ideen /

Nicht weil ich es möchte / sondern weil ich muss.

Und der Alte nickte / schloss die Augen / um noch einmal nachzudenken /

Und dann sprach er: Das ist deine Sache / wirst du aber älter

Und es ist ein Funke Liebe dir zuteilgeworden /

Wirst du diesen Funken auch verschenken.

Flüsterte das Volk: Man muss Menschenkenner sein.

Und der Junge sagte: Warum sagt man uns nicht gleich /

Dass der Mensch ein ganzes Leben braucht /

Um am Ende zu verderben / eines schönen Tages

Aus der Traum?

Und der Alte gab zur Antwort: Als ich 30 war / war ich derselben Meinung /

Darum nahm ich einfach, was ich brauchte / und ich lachte /

Wurde reich / doch nicht zufrieden.

Denn des Menschen Himmelreich ist sehr verschieden.

Erst mit 60 war ich dann so weit /

Dass ich freundlich war zu jedermann / und mein Hab und Gut zerfiel /

Denn ich hatte mich verrechnet in der Zeit /

Doch ich blieb bei meiner Freundlichkeit.

Und was hat es dir genützt?, riefen viele, die bisher geschwiegen.

Nichts / sprach da der Alte / aber darauf kommt’s nicht an /

Es muss ein Beispiel her für die, die unterliegen:

Seid gut / doch versprecht euch nichts davon.

Und sie richteten ihn hin zur selben Stunde /

Jerome Blech / mit Lumpen angetan / 74 Jahre alt.

Der Morgen war sehr blau und (wie es im November üblich) auch sehr kalt /

Und manche sah man frierend stehn / sie schrieben

Auf ein Blatt den Sachverhalt / und schrieben / dass es Menschen gibt /

Die lieben und dafür ihren Kopf hinhalten / davon schrieben sie sofort –

Doch die Verhältnisse nach diesem Vorfall anders zu gestalten /

Davon schrieben sie kein Wort.

1957

Zwischen gestern und morgen

Hüsch: Am 17. Juni 1953, als die westdeutschen Radiostationen die ersten Einzelheiten über den Aufstand verzweifelter Menschen, Mitmenschen, in der Ostzone bekannt gaben, tagte nachmittags gegen 16 Uhr in Düsseldorf-Ratingen ein Damenkegelklub. Nach Aussage eines Ohren- und Augenzeugen sagte versammelte Kegelfrauenschaft:

Helga Mummert: »Kann man dat Radio nich abstellen? Wir sind doch grad so schön am Kegeln.«

Helmut Koch: Waren es dieselben Menschen, die nach der Betrachtung des La-Strada-Films äußerten:

Rudolf Jürgen Bartsch: »Zwei Stunden Armeleutemief, das hält ja kein Mensch aus.«

Helmut Koch: Waren es dieselben Menschen, die bei einer Fernsehreportage über »Westdeutsche Elendsquartiere 1957« sagten:

Rudolf Jürgen Bartsch: »So was kann man einem doch samstagabends nicht vorsetzen.«

Hüsch: Als wenn sie es dienstags oder donnerstags nicht auch gesagt hätten.

Helmut Koch: Sind es dieselben Menschen, deren Söhne bei der Bundeswehr befragt, wer ihr Vorbild sei, antworteten:

Hildegard Kraus: »Adolf Hitler.«

Hüsch: Worauf am Interview teilnehmender Oberst die Jungs entschuldigte und sagte:

Rudolf Jürgen Bartsch: »Sie meinen natürlich nur die guten Seiten des Führers.«

Helmut Koch: Werden es dieselben Menschen sein, die »nach allem« sagen werden:

Helga Mummert: »Wir fühlen uns nicht schuldig.«

Helmut Koch: Was sind das für Menschen? Über- oder Untermenschen?

Hildegard Kraus: Jedenfalls keine Mitmenschen.

Rudolf Jürgen Bartsch: Bestenfalls Auch-Menschen.

Hüsch: Aber, meine Damen und Herren, wir haben doch die geistige Situation.

Helmut Koch: Und die Versuchshunde, die die jeweiligen Wissenschaftler aus dem Zwinger holen,

Heinz Braß: Und deutsche Wertarbeit, »made in western germany«, wird Ausland Augen machen.

Helga Mummert: Und Bubi Scholz in den Muskeln.

Hildegard Kraus: Und im Kopf die tot-schicke Rosemarie.

Rudolf Jürgen Bartsch: Und wir sind wieder an dem Punkt angelangt, wo ein »Ausrufezeichen« gesetzt werden muss!

Hütet euch vor den Bankräubern des Geistes.

Ihre Reden sind vor dem Spiegel einstudiert.

Das »Hände hoch« auf die Minute festgesetzt,

Ihre Gänge den Löwen abgeguckt,

Du willst, aber du kannst nicht entkommen.

Mensch, du kommst auf die Erde, zunächst lebst du.

Wirst du abgeschossen, was nimmst du mit? Nicht viel.

Neutrale Orgelmusik. Bankräuber wissen, was sich gehört.

Mensch, du kommst auf die Erde.

Wenn du Glück hast, nimmt man dich nicht für voll.

Hast du Pech, nimmt man dich unter die Lupe, unter Kontrolle.

Man macht dich fertig.

Am besten, du kaufst frühzeitig eine Hängematte.

Spannst sie von Manhattan bis Tiflis, oder umgekehrt.

Setzt dich hinein, schaukelst über den Dingen.

Kaufst auf Vorrat Zigarren und Gin.

Spuckst auf diese und jene Stadt. Wird dein Haar weiß, und dein Auge kleiner und kleiner, dann überlege dir schnell ein gutes und spitzes Wort. La Rochefoucauld oder Sokrates.

Am besten, ihr geht sofort und kauft eine Hängematte!

Let’s go!

1958

bericht wider alle vernunft

southampton oder weiß nicht wo

am 32. des monats anno plus unendlichkeit

ich habe diesen mann gesehen

der alltags in den häusern schweigen sammelt

und sonntags alle predigten versäumt

sich allen zeitungen verschließt

mit einem großen NEIN die redner aus den fenstern schießt

und zwischen traum und zweifel kreist

und mit den fischen flieht

aus angst vor einer schwarzen orgel

aus angst vor einem freitag der karfreitag heißt

ich habe ihn gesehn aus einer tür gebäumt

die erde suchend – der mond ist draufgegangen

mit ausgefranstem schädel / kein haar und keine spangen

die gärten sind geräumt

und polizisten biegen sich vor lachen

ein kleines herz / darauf ein großer helm

ein autofriedhof wird ins meer geschüttet

drei viertel leben KOMMA und der rest zerrüttet

geht vor die Hunde zu den drachen

und trinkt aus großen segelschiffen kleines gift

was mich betrifft

ich habe diesen mann gesehn

auf bahnhofstraßen drei grad süd

an einem internationalen vormittag

den nächsten lieben und verfluchen

vergebliches vergebens tun

ergebnislos ergebnisse versuchen

erlebnisse vergebens neu zu buchen

ergebnisse vergeblich tun

aus angst den nächsten lieben und verfluchen

die jahreszeit fällt aus

die nacht geht nicht zur neige

schlag mit der hand den tag entzwei

kein mund kein wort kein klang kein schrei

geschweige

denn ein höllischer applaus

aus heitrem himmel fällt in diesen schoß

der fuß wird klein und kleiner noch / zu klein

um aufrecht dieses leben auszuhalten

der mund steht offen

auf kuba kein concerto grosso five o clock

tea / frage / antwort nein

der schmerz wird groß und größer noch zu groß

um eine handbewegung zu entfalten

um regen aufzufangen / und getroffen

von einem leichten biedermeierblitz

hinabzugleiten

wie nichts / wie unkraut / wie verfaultes fleisch

ins tiefe flache tief

wo blätter nicht auf bäumen reiten

kein blatt wird brief

kein brief wird abgeheftet / verzweifelt steht im lexikon das alphabet

chromatisch geht ein rendezvous verschollen / dreiminutensarabande

in einem taxi aufgenommen / zwischen früh und spät

liegt ausgebreitet trauer und verläuft im sande

vergebliches vergebens tun

ergebnislos ergebnisse versuchen

erlebnisse vergebens neu zu buchen

ergebnisse vergeblich tun

den nächsten lieben und verfluchen

aufbrechen / schnelle gangart / und sich auszuruhn

im kühlen auge eines blicks den atem variieren

das herz im stechschritt

und die schnauze voll melancholie

den schmerz fein säuberlich notieren

den tod im rücken und den himmel vis à vis

und mit dem kopf das tempo korrigieren

ich habe diesen mann gesehn

westlich von kapstadt oder nördlich

oder weiter noch / und treibe selbst seit dieser zeit

umher mit einem großen NEIN / wortwörtlich

schreib ich dies / southampton oder / weiß nicht wo

und hoffe nichts und alles hoffe ich

und nichts und alles wird auf meiner stirne stehn

am 32. des monats anno plus unendlichkeit

1958

Von der deutschen Gemütlichkeit

Es war ein schöner Tag, ein heißer Tag. Und meine Tochter fragte mich: »Vati, warum hängen denn die Fahnen aus den Häusern?«

Ich antwortete nicht, denn ich hatte mit meinem Frühstück zu tun: Der Kaffee war gut, das Ei war schön frisch, es war alles in Butter.

Das Radio spielte:

Komm mit mir in die Espresso-Bar

Wo ich gestern Abend mit dir war

Da vergessen wir für wenig Geld

Den Alltag und die ganze Welt.

Wirklich ein schöner Tag, sagte ich, man sollte ein bisschen rausfahren – ins Freie – mit Kartoffelsalat und Würstchen, in Familie machen, wer weiß, was der Sommer bringt.

Das Radio spielte:

Komm mit mir in die Espresso-Bar.

Aber wir fuhren nicht hinaus.

Wir saßen und aßen und redeten, belangloses Zeug.

Meine Frau sagte:

Brigitte Bardot ist auch wieder verheiratet.

Wie schön, sagte ich.

Deshalb hängen wohl die Fahnen heraus, sagte meine Tochter. Ich ging auf den Balkon, um die Geranien zu begrüßen und zu begießen.

Wir wohnen im fünften Stock. Jedes Stockwerk hat einen Balkon, jeder Balkon hat zwei Blumenkästen, und in jedem Blumenkasten stehen Geranien.

Von wegen der Einheit – nach außen hin.

Warum hängen wir keine Fahne raus, fragte meine Tochter.

Wir haben keine, sagte ich.

Dafür haben wir Geranien, oder?

So ist es, sagte ich, hole dein Gießkännchen, damit sie nicht verdursten, es ist ungerecht, dass an Feiertagen immer die Sonne scheint.

In Genf kommen sie auch nicht weiter, sagte meine Frau. Aber dafür wird Eintracht Frankfurt deutscher Fußballmeister, sagte ich.

Jetzt weiß ich auch, warum die Fahnen heraushängen, sagte meine Tochter.

Du weißt nichts, sagte ich, und das ist auch gut so.

Sieh nur, wie schön der Himmel ist, kein Wölkchen, alles preußisch-blau, und die Menschen sehen alle aus, als hätten sie Ferien, und die Gastwirte werden heute ein gutes Geschäft machen, ein paar Autounfälle wird’s geben, na ja, die Fotografen werden die Sonne ausnutzen, ein prima Tag für Frei-Schwimmer, das Leben geht weiter, morgen ist der 18. Juni, übermorgen der 19., und Sonntag wissen wir alle, wer Europameister der Springreiter ist.

Meine Frau sagte:

Das Hochwasser in Bayern soll schrecklich gewesen sein.

Für den, den es trifft, ist es immer schrecklich, für die andern ist es eine Zeitungsnotiz, Gesprächsstoff, der im Sande verläuft, ein Wochenschau-Ausschnitt, den man, wenn man Pech hat, viermal hintereinander sieht. Im Kino gibt’s heute Schneeweißchen und Rosenrot, sagte meine Tochter, hab ich aber schon gesehn.

Immer wenn etwas Schreckliches passiert, hängt man die Fahnen raus.

Was ist denn passiert, fragte meine Tochter.

Das verstehst du nicht, mein Kind, sagte ich, und wenn du groß bist, wirst du es noch viel weniger verstehn. Wenn man so rausguckt und die vielen Menschen sieht, gehen spazieren, sind zufrieden, haben ihr Eis in der Faust, werden heute Abend tanzen gehen, unterhalten sich, denken aber nicht, was will man mehr. Mehr kann man von einem Feiertag nicht verlangen.

Komm mit mir in die Espresso-Bar

Wo ich gestern Abend mit dir war

Da vergessen wir für wenig Geld

Den Alltag und die ganze Welt.

Vati, darf ich ein bisschen auf den Spielplatz, sagte meine Tochter.

Aber lass dich nicht wieder von der Schaukel stoßen! Ich sah meiner Tochter nach, wie sie über die Straße schritt, kleine Dame, vorbei an dem Haus mit der großen Fahne.

Wehe, dachte ich, wenn sie jemand von der Schaukel stößt. Meine Frau rief aus der Küche:

Sisste, ich hab’s gewusst, jetzt hab ich keinen Speck für die Rouladen eingekauft, man muss hier aber auch an alles denken, wenn mal so ein Feiertag mitten in der Woche ist.

Ich musste an diesem Feiertag noch ein paar Geschäftsbriefe schreiben, und diese Briefe begannen alle mit dem Datum:

Mainz, den 17. Juni 1959!

1959

Maxe ist Sachse, Parterreakrobat …

Maxe ist Sachse, Parterreakrobat,

steht auf dem Plakat

doch auf dem Plakat heißt er Bambino,

Zirkus ist eben kein Kino,

Circenses et panem,

cave canem,

guten Tag, Herr Direktor!

Morgen geht’s weiter,

hier eine Leiter, da eine Leiter,

schon steht das Zelt und heißt: Welt!

2000 Leute kommen heute

und wollen was sehen für ihr Geld.

Tierschau mit richtigen wilden Tieren,

die sind in Käfigen untergebracht,

und die Menschen stehen und stieren

auf diese Urwaldfracht.

Maxe ist Sachse, Parterreakrobat,

steht auf dem Plakat,

doch auf dem Plakat stehen viele andere,

nimm deinen Zirkus und wandre,

nimm deine Schminke und winke,

Circenses et panem,

cave canem,

Herr Direktor, wann gibt’s Pinke-Pinke?

1959

Das Fest

Ihr könnt doch jetzt nicht hinterrücks

einfach x-beliebig behaupten ich hätte

das Sommerfest arrangiert

zugegeben es war eine komplette Pleite

aber nun mal das Positive herauskristallisiert

auf der anderen Seite

war ich der Einzige der vollkommen tot

und besoffen war

wie es die Bowle gebot

um ein Haar

wäre ich wirklich gestorben

denn auf allen vieren

klavieren

wo nur ein Grammophon

im Hause ist

und nur eine Platte valse triste

von Mendelbeer oder Meyersohn

das hat mir den Magen verdorben

ich sagte noch bringt

Lampions mit und singt

nicht mit vollem Mund

sondern etwas Trautes

nicht zu Lautes

meinetwegen

eine Rheincantilene

man muss sich ja nicht

nota bene

direkt mit dem zweiten Gesicht

in den Heringssalat legen

adäquat

sein heißt eine Oktoberwiese

so zu verlassen wie man sie antrifft

diese

Grundlage lasse ich gelten

doch wenn ihr nach Spucknäpfen sucht

dann trennen uns Welten

verflucht

ich weiß gar nicht was ihr habt.

1959

Subjektiver Bericht von der Vernichtung eines Alleinunterhalters während eines Sommerfestes unter Akademikern in einer Kleinstadt des Westens

Ich will Ihnen was sagen,

Ich bin’s ja selbst in Schuld,

Ich finde die Leute immer so nett,

Am Telefon.

Ich kann so schlecht Nein sagen,

Machen Sie doch eine Tombola, sag ich immer,

Machen Sie doch eine Tombola.

Oder holen Sie aus Ihrem eigenen Kreis

Ein paar begabte Menschen zusammen,

Trommeln Sie sich eine Laienspielschar zuhauf,

Und machen Sie ein paar lokale Witze, blankerdings,

Über den Bürgermeister und den Schulrat

Oder über die schlechte Kanalisation.

Und lassen Sie eine Damenrede halten, hinterrücks,

Und zu Anfang natürlich eine Polonaise

Durch alle Restaurationsräume.

Holen Sie sich eine gute Band, die alles quer durch den Garten spielt,

Oder lassen Sie alles und zahlen das ganze Geld für Anneliese Rothenberger.

Ob die kommt?

Weiß ich doch nicht, dann machen Sie eben nur eine Tombola.

Ich weiß ja, dass Sie was mit Niveau haben wollen,

Stuhlreihen haben Sie keine, schon schlecht,

Freies Essen und Getränke, wie darf ich das verstehen?

Akademiker, angehende, da versteht es sich von selbst.

Nein, ich bin in Ihrer Stadt noch nie gewesen,

Wo liegt das, muss ich umsteigen?

Gleichzeitig Abschlussfest, aha, mit Angehörigen,

Beamtenstadt, oje, aber doch aufgeschlossen, an Tischen,

Und sie meinen also, dass ich mit meinen Sachen,

In den Tanzpausen, in den Tanzpausen?

In den Tanzpausen!

Ich bin’s ja selbst in Schuld,

Ich finde die Leute immer so nett,

Am Telefon.

Und steige ich dann aus dem Zug,

Krieg ich meist das große Frieren.

Da steht ein junger Mann, nett, und hält mich wohl für Otto Höpfner.

Der Saal ist dann dementsprechend:

Hufeisenform. Das ist für mich ein Brandzeichen.

Hufeisenform, wissen Sie, was das bedeutet:

Die Tische sind in Form eines Hufeisens aufgestellt,

In der Mitte nichts, gähnende Leere, sprich Tanzfläche.

Na, dachte ich mir, das sind ja alles, das sind doch sicher,

Sagen wir mal, das sollten eigentlich doch alles Leute sein,

Die doch wenigstens vom Grips her, eigentlich schon manches

Auf dem Kasten, sollten das doch alles sein, wenn auch an

Tischen, sollten die meisten doch wohl gewisse Dinge, die

Man ja voraussetzt, wenn man in einem solchen Kreis, der

Sich ja nicht von ungefähr, so dass man doch bei aller

Stimmung, und wenn die Mikrofone funktionieren, dass man

Dann, nicht wahr, auch dazu beiträgt.

Ich packe also meinen Notenständer aus, da erhalte ich

Schon frohe Botschaft.

Der junge, nette Mann kommt auf mich zu und sagt:

Sie müssten dann bitte noch ansagen:

Eine Mädchengruppe mit einer Letkiss-Formation

Eine Mädchengruppe mit einer Swing-Formation

Eine Mädchengruppe mit einer Slop-Formation

Und eine gemischte Mädchen- und Jungengruppe

Mit einer Rumba-Formation,

Alles einstudiert von Fräulein Beckmann,

Die aber nicht genannt werden möchte.

Warum denn nicht, sage ich.

Ach nein, sagt Fräulein Beckmann, bitte nicht.

Aber, Fräulein Beckmann, sage ich, das ist doch dummes Zeug.

Ich mache das doch nur so nebenbei, bitte nicht.

Aber dann doch erst recht, sage ich, wenn Sie alles nebenbei machen,

Das ist doch dummes Zeug, Fräulein Beckmann.

Ich habe es zwar einstudiert, aber ich möchte doch lieber im Hintergrund bleiben,

Sagt Fräulein Beckmann.

Auf der Bühne fummelt eine Beat-Band an ihren Verstärkern herum.

Von den Musikern erfahre ich, dass auch noch das deutsche

Amateurmeisterpaar in den lateinamerikanischen Tänzen auftritt.

Man hätte doch eine Tombola machen sollen.

Aber, wie gesagt, ich bin’s ja selbst in Schuld.

Ich könnte jetzt zu Hause sitzen, es ist Samstag,

Aber ich sitze nicht zu Hause.

Der große Saal füllt sich nun langsam mit geladenen Gästen.

Und dann tut der nette junge Mann kund und zu wissen:

Und nun!

Viel Spaß!!

Mit Hanns Günter Hüsch!!! –:

Meine sehr verehrten Damen und Herrn,

Ich freue mich, dass auch ich heute hier in Ihrem Kreise

LAUTER!!

Oh, also mit meinen selbst gewirkten Werken,

Aber leider ist ja bei Ihnen von Aufmerksamkeit nicht viel zu merken,

Sie haben’s ja auch nicht nötig, denn Sie sind ja

Ganz von selbst gebildet, und wenn Sie nicht zuhören wollen

Oder können,

Aber rennen Sie mir doch bitte nicht dauernd über die Tanzfläche,

Ich habe ja gerade erst angefangen,

Vielleicht, dass Ihnen die nächste Nummer besser gefällt –

Aber –

Was sich da unten abspielte, war eben eine ganz andere Welt.

Die Leute wollten unter sich sein.

Das sah ich dann auch ein

Und gab die Bühne frei für die Kapelle,

Und dann ging’s los,

Ist ja auch schön, soll ja auch sein,

Wozu hat man denn ein rechtes und ein linkes Bein:

… hören Sie mal, Sie können wohl 3/4-Takt von 6/8-Takt

Nicht unterscheiden.

Das geht Sie gar nichts an, Sie Sonntagstänzer, Sie!

Sie haben mich einen Sonntagstänzer geheißen, das wird

Sie teuer zu stehn kommen.

Mein Herr, mit Ihnen rede ich nicht mehr.

Wir sprechen uns noch, Lümmel!

Lackaffe!

Haben gnädige Frau den Mond von Soho schon gesehn?

Gestern konnte man Herrn Kammersänger Prey wieder einmal mit Schubert umgehen hören.

Flegel!

Strauchdieb!

Schöner Scherz das, ausgerechnet mit ihnen an einem Tisch sitzen zu müssen.

Sie können sich ja unter den Tisch setzen.

Das könnte Ihnen so passen, mich hat noch niemand volltrunken gesehn,

Nicht mal meine Frau.

Dann wird’s aber Zeit, Exzellenz.

Marketendersitten! Marketendersitten!

Oh, schönes Fräulein, man hat zur Tombola aufgerufen.

Vielleicht ist ein Frosch in mir versteckt,

Und wenn Sie mich gegen die Wand werfen,

Kömmt gar ein Königssohn dabei heraus,

Hahahaha.

Und sollten wir die große Auswahl haben, so kommet Euch das all zugut,

Denn ich bin nur ein armer Wandergesell:

Was gewonnen?

Einen Kamm. Und Sie?

Eine Rolle Drops.

Was ist nun das wieder für eine Musik?

Überhaupt die alten Tänze werden einfach totgeschwiegen.

Keinen Walzer habe ich früher ausgelassen. Nun gibt’s doch nur

Noch dieses amerikanische Zeug. Und dieses Gehopse. Schrecklich!

Singen kann ja heute auch kein Mensch mehr.

Es will ja keiner mehr was lernen, Mutter.

Es will ja keiner mehr was lernen.

Ganz allerliebst, Ihr Fräulein Tochter, Sie tanzt ja wie eine Elfe im Unterholz.

Das hat sie von ihrer Frau Mama. Sie leitet den Entwicklungsdienst in Uganda.

Jetzt warte ich schon geschlagene fünf viertel Stunde auf mein Würstchen mit Kartoffelsalat.

Nein, ich habe diesen Wein nicht bestellt, ich habe Nr. 12 bestellt,

Wie bitte, ach Sie haben’s wohl hier nicht nötig,