mare
Roman
Aus dem Englischen von
Nicole Seifert
mare
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter
http://dnb.ddb.de abrufbar.
Die englische Originalausgabe erschien 2014
unter dem Titel Bodies of Light
bei Granta Publications, London.
Copyright © Sarah Moss 2014
© 2015 by mareverlag, Hamburg
Covergestaltung | Nadja Zobel / Petra Koßmann, mareverlag, Hamburg | |
Coverabbildung | © Laura Garcia Serventi / Bridgeman Images |
Lektorat | Nora Haller | |
Typographie (Hardcover) | mareverlag, Hamburg | |
Datenkonvertierung | eBook bookwire |
ISBN eBook: 978-3-86648-320-0
ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-233-3
www.mare.de
»Wir haben medizinische Fachausdrücke für gestörte, aber nicht für störende Menschen.«
R. D. Laing und A. Esterson,
Sanity, Madness and the Family
, Harmondsworth: Penguin, 1964
Alfred Moberley, 1856
Öl auf Leinwand, 72 × 68 cm
Signiert und datiert 56
Provenienz: John Dalby, Manchester, nach 1860; James Dunne
(Händler, London) 1872; Sir Frederick Dorley, 1874;
der National Gallery hinterlassen 1918
Eine Frau sitzt an einem Schreibpult. Ihre rechte Hand ruht im Schein einer Kerze auf grünem Saffian und hält eine Füllfeder. Der geprägte Goldrand des Leders schimmert wie ein im Licht liegender Waldweg, und Moberley lässt die Flamme in dem silbernen Tintenfass widerscheinen und auch in ihrem Gesicht. Da ist kein Ring an der Hand, nichts Glitzerndes in der Mulde zwischen ihren Schlüsselbeinen, die von einem runden grauen Ausschnitt eingerahmt wird. Dem Kleid mangelt es vollkommen an Licht, obwohl Moberley an Kleidung für gewöhnlich Gefallen findet, an den Farben und der Beschaffenheit von Stoffen und Haut. Ihr Haar verschmilzt mit der Dunkelheit um sie herum, und der Knoten an ihrem Hinterkopf ist nur schemenhaft zu erkennen. Sie blickt nach oben, auf die weiße Wand hinter dem Schreibtisch, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte es gerade an der Tür geklopft. Ein Dienstbote vielleicht, mit einer belanglosen Frage das Abendessen oder die Wäsche betreffend, obwohl das einzige Mädchen, das sie beschäftigte, schon seit einiger Zeit im Bett gewesen sein wird. Wir wissen aus ihren Briefen, dass Elizabeth Sanderson Moberley es für richtig hielt, früh schlafen zu gehen, jedenfalls, wenn es andere Leute betraf. Alfred Moberley hat den Moment kurz vor dem höflichen Gesichtsausdruck eingefangen, die Sekunde zwischen dem »Herein«Sagen und dem Aufsetzen der angemessenen Miene. Wer es auch sein mag, zu dem sie blickt, man hat den Eindruck, der Madonna wäre es lieber, er wäre nicht gekommen.
Jeder andere, erinnerte sich James Street später an Moberleys Worte, jeder andere Maler, ob tot oder lebendig, hätte auch den Engel gemalt. Moberley war nicht an Erscheinungen interessiert, sondern an Abwesenheit, an dem, was nicht mehr da ist. An Spukendem, Nachhallendem, Schatten; die wahren Geschichten, sagte er oft, beginnen nach dem Ereignis. Er gab nicht zu, was eine Untersuchung der Leinwand kürzlich offenbarte: dass er begonnen hatte, Gabriel zu malen, leuchtend, unmenschlich, bevor er sich eines Besseren besann. Street hat notiert, wie Moberley eines Abends nach einer Feier noch spät an der Verkündigung arbeitet, fluchend im Kerzenlicht des Ateliers, das sich in der Dunkelheit über ihm wölbt wie eine Kirche. Er hat es immer vorgezogen, früh aufzustehen, um zu malen.
Elizabeth ist im Salon«, sagt Mary zu ihm. »Mama hat mal wieder mit ihr zu reden.«
Sie hüpft davon, immer nur auf die roten Fliesen tretend, nie auf die blauen, die Haustür lässt sie offen. Am anderen Ende des Flurs steht die Tür in den Garten auf, und als er seinen Hut an den Ständer hängen will, fegt ein Luftzug ein paar Briefe von einem Tablett, und die Haustür schlägt zu. Ihm gefällt das, wie Häuser atmen, wie sich Dinge bewegen. Die Tür zu seiner Linken geht auf, und Elizabeth steckt den Kopf durch den Spalt. Er spürt das Lächeln auf seinem Gesicht. Kaum eine Frau kann heutzutage noch um die Ecke spähen oder in ein Zimmer schlüpfen. Sein Freund William behauptet, seine Schwestern müssten sich diesen Sommer gegenseitig die Reifröcke zusammendrücken, um durch ihre Schlafzimmertüren zu passen, und dass sie sich nach dem Mittagessen nicht mehr aufs Sofa legen können, weil ihre Röcke beinahe bis zur Decke aufragen würden. Vor seinem geistigen Auge entsteht ein Bild von Wills jüngerer Schwester Louisa, wie sie in dieser Position auf dem Sofa liegt, während er am Fußende steht.
»Du bist es«, sagt Elizabeth. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, um mit ihrer Wange seine zu streifen. Sie macht einen Schritt zurück, und er nimmt ihre Hände, bewundert ihren Haarknoten, den Bogen, den ihre Brust unter der cremefarbenen Baumwolle mit dem zartblauen Muster beschreibt. Sie duftet nach Lavendel und frisch Gebügeltem. Sie gehört ihm ganz allein.
»Ist das Alfred?«, ruft Mrs. Sanderson.
»Ich zeige ihm nur kurz die Rosen, Mama.« Sie zieht ihn den Flur entlang und in den Garten, wo er blinzelnd wie eine Eule in der Sonne steht. Er ist vom Büro hergelaufen und war froh, den Flur zu erreichen, wo es dank der Bodenfliesen und der tiefen, Schatten spendenden Veranda immer kühl ist. Wieder bricht ihm der Schweiß aus und sickert in seine Kleidung.
»Ich bringe dir gleich etwas zu trinken«, sagt sie. »Mary hat etwas gemacht, das sie Zitronenbecher nennt. Mama war sauer, weil sie die ganze Minze abgepflückt hat.« Sie steht vor ihm, ihr Schatten eine vom Gras gezauste Kamee. Sie legt die Hand auf seinen Ärmel. »Habt ihr euch einigen können? Gehört es uns?«
Fast ohne sie zu berühren, zeichnet er mit der Fingerspitze Kreise auf ihren Handrücken. Ein Schauder lässt ihre Schultern erbeben. Gut.
»Ich werde morgen die Papiere unterschreiben. Du bist dir wirklich sicher?«
Ihr Blick sagt, er solle nicht albern sein.
»Dir ist klar, dass es leer sein wird? Das ist ein anderes Gefühl als in diesem Haus.«
Sie dreht sich um, nimmt dabei aber seinen Arm, und zusammen gehen sie in Richtung des Schattens, den die Weide wirft, wobei ihr Rock seine Hose streift.
»Ich möchte Platz haben«, sagt sie. »Ich brauche nicht viele Dinge. Ich will ein Zimmer durchqueren können, ohne um etwas herumgehen zu müssen. Und ich möchte keine Vorhänge. Auch keine Teppiche. Wir sollten die Böden kahl lassen.«
»Aber ein Bett akzeptierst du doch?« Er legt den Arm um ihre Taille. Ihre Schatten werden zu einem und verschmelzen dann mit dem der Weidenblätter. »Und einen Tisch? Oder sollen wir auch auf dem nackten Boden schlafen und essen?«
Sie schiebt seinen Arm weg. »Du weißt sehr gut, dass Großmama mir ihren Schreibtisch gibt. Und ihr altes Bett. Mach uns einen Tisch. Du hast Zeit.« Sie blickt ihn prüfend an. »Und wegen der Hochzeitsreise habe ich mich entschieden. Ich würde gern deine Cousine in Wales besuchen.«
Er nickt, wünschte, er könnte sich irgendwo hinsetzen, die Füße etwas hochlegen. Sie hat recht mit Wales; er weiß, wenn sie nach Cambridge zu ihrem Onkel führen, würde er am Ende mit Henley umherziehen, statt sich um sie zu kümmern. Dafür wird es noch andere Gelegenheiten geben. Sie täuscht sich, wenn sie glaubt, er hätte Zeit, einen Tisch zu bauen, aber er wird es trotzdem tun, für sie, für sie beide, für das Haus. Tische und Betten, denkt er, essen und vögeln: Leben. Herr, lass mich büßen für diese und andere Sünden, die meine Blindheit mir verbirgt. Hilf mir, deinen Willen zu erkennen und mich dir in allen Dingen zu fügen. Lass mich dir dienen, Gott, und Alfred das Licht bringen, und lass uns schließlich gemeinsam in Gnade und Gerechtigkeit eintreten in dein Reich. Amen. In einer fließenden Bewegung wippt sie zurück auf die Zehen und steht auf. Gott ist bei ihr, seine Gegenwart umhüllt ihre Schultern wie ein am Feuer gewärmter Schal. Sie geht zum Fenster, schiebt den Vorhang ein wenig beiseite. Die Kerze flackert in der Brise des Sommerabends, wirft zuckende Schatten auf die Gittertapete an den Wänden. Hinter der Weide ganz im Westen ist der Himmel noch hell. Die Ulme, so hoch wie das Haus, rauscht, ihre Blätter zeichnen sich schwarz vor der ungewissen Dunkelheit des Stadthimmels ab. Von der Straße hört sie den Takt eines Pferdes, das Rumpeln von Rädern: ohne Hast. Im neuen Haus, denkt sie, wird sie wohl keine Leute kommen und gehen hören. Dort werden die zwei Birken sein, die von dem Wald übrig geblieben sind, der da war, bevor die neuen Häuser gebaut wurden. Sie werden Obstbäume pflanzen; Mama fand es immer dumm, Blumen zu ziehen und Geld für Obst und Gemüse auszugeben. Apfelbäume, einen Cox Orange wie den hinter der Remise hier, und einen Quittenbaum, weil Alfred das Gelee so mochte, das sie letztes Jahr gemacht hat. Pflaumenbäume. Mary kann kommen und ihnen beim Pflücken helfen. Sie beißt sich auf die Lippe. Tagsüber ist der Gedanke, Mary zurückzulassen, erträglich, manchmal sogar willkommen. Für Kartoffeln und Zwiebeln im Garten Platz zu machen, hat keinen Sinn, man kann sie zu jeder Jahreszeit günstig kaufen, aber Erbsen und Salat wird sie anpflanzen. Braucht man für Gurken ein Frühbeet? Und wennschon, denkt sie, warum sollte ich, warum sollte Mrs. Alfred Moberley, sich kein Frühbeet anschaffen, wenn sie Lust dazu hat? Sie lässt den Vorhang los und geht zu ihrem Bett, setzt sich. Die Laken sind kalt. Großmamas Schreibtisch wird sie in das kleine Schlafzimmer stellen. Hält sich eine Frau im Wohnzimmer auf, sagt Mama, geht man davon aus, eine Störung sei willkommen. Wenn du arbeiten willst, geh nach oben und mach die Tür zu. (Mama hat ebenfalls einen Schreibtisch in der Ecke des Schlafzimmers; sie sagt, dort aufzutauchen traue sich nur Papa, aber nach fünfundzwanzig Jahren lässt auch er es lieber bleiben.) Alfred will ihr seine Entwürfe für den neuen Behang von Großmamas Bett nicht zeigen. Eine Überraschung, hat er gesagt, für deinen ersten Abend im Haus, und als er lächelt, wandern seine Augenbrauen nach oben. Sie sieht weg. Auch darüber hat Mama gesprochen.
Ihr neues Kleid, ihr Hochzeitskleid, wie Mary es zu gerne nennt, um Mama zu ärgern, ist kieselgrau, geschneidert aus einer Bahn rauer Seide, die Alfred ihr zu Weihnachten geschenkt hat. Du willst nichts Weiches, hat er gesagt, nichts Glänzendes, aber vielleicht billigst du dieses eine Mal Seide? Gesponnen von Raupen in den Bergen Chinas? Er hat ihr eine Skizze des Kleides gezeigt, das ihm vorschwebt, und sie hat verwundert zu ihm aufgesehen. Die Frauen, die er malt, sind nur leicht bedeckt oder umhüllt, zweifellos interessant anzusehen, aber es ist wohl kaum die richtige Kleidung für die Kirche oder für die Arbeit. Sie fürchtete einen unpraktischen Schnitt, ein nicht zweckmäßiges Gewebe. Doch er hat auf sie geachtet, darüber nachgedacht, wie sie sich selbst gerne sieht. Das Kleid ist wie all ihre Kleider: geschnitten wie die Kittel der Arbeiterinnen, eng anliegend, um sich frei zwischen den Rinnsteinen und den Misthaufen bewegen zu können, die sich auf der Straße verteilen und an denen sie bei ihrer Arbeit vorbeimuss. Es ist nicht schlau, hat sie gesagt, die Kleider über den Boden schleifen zu lassen, nicht mal zu Hause, und es macht den Bediensteten unnötig viel Arbeit. Es ist unvernünftig, für das Kleid einer kleinen Frau so viel Stoff zu verwenden, dass man daraus Zelte für eine ganze Armee nähen könnte, abgesehen davon, dass einem viel zu heiß wird. Das Kleid ist schlicht, adrett, die betonte Taille, das plissierte Mieder und die nach unten weiter werdenden Ärmel entsprechen der derzeitigen Mode. (»Sie werden mir im Essen hängen«, hat sie gesagt. »Das wird Mama nicht gefallen.« – »Aber mir wird es gefallen«, antwortete er, »und ich werde derjenige sein, der dich jeden Tag sieht.«) Am Saum, an den dreieckigen »Engelsärmeln« und am sittsamen Ausschnitt wirbeln Früchte und Blätter, Knospen und Ranken, blühende Blumen, Trauben und Erdbeeren durcheinander und runde Früchte mit Kronen, die sich Granatäpfel nennen. Die Verzierungen werden ebenfalls grau, hat er gesagt. Nichts Auffälliges, kein Kontrast. Keine Perlstickerei. Wenn das Kleid geschneidert ist, gib es mir, und ich schicke es mit den Zeichnungen an ein Atelier, das ich kenne. Und wenn wir verheiratet sind, sitzt du mir, und ich male dich darin.
Jemand – wahrscheinlich Mary – hat ihr das Kleid auf das Bett gelegt, als sie ihr Bad nahm. Sie lässt ihren Morgenmantel fallen und sucht eine saubere Unterhose, ein Unterkleid, die dünnen Strümpfe, die Papa ihr gestern gegeben hat (»Musst es ja nicht deiner Mama sagen«), ein Mieder, ein Hemd, einen Unterrock. Ihre schwarzen Schuhe passen nicht zu dem Kleid, und das ist zu schade. Nein, so etwas sollte ihrer Aufmerksamkeit nicht wert sein. Sie schüttelt den Kopf, die Haare im Rücken nass, und zieht die erste Schicht Kleidung an. »Mary«, ruft sie, »Mary, ich bin jetzt so weit, du kannst mir helfen.«
Es ist Tradition, dass die Braut zu spät kommt, das weiß er, aber dass Elizabeth es tun wird, glaubt er nicht, und auch nicht, dass Mrs. Sanderson ein solches Getue erlauben würde. Er ist früh da, mit Edmund; sie sitzen im Chorgestühl, wo sie die Leute hereinkommen sehen können. Er weiß natürlich, dass Elizabeth die Frauen aus dem Frauenhaus eingeladen hat. Sie hat ihn gefragt. Eine Herausforderung, ein Test. Ja, hat er gesagt, sie sind bessere Christen als die meisten meiner Freunde. Und verschwiegen, dass Christlichkeit keine Bedingung für seine Freundschaft ist. Mit der Zeit, denkt er, wenn sie seine Welt kennenlernt, wird sie über den Horizont ihrer Eltern hinaussehen. Er wird ihr Schönheit zeigen, Vergnügen; das Licht des Nordens, das durch hohe Fenster auf weiße Marmorgliedmaßen fällt, Stimmen im Duett, die das Opernhaus füllen wie an den Strand brandende Wellen, Gläser mit Rotwein im Kerzenlicht; Herrlichkeiten, die ihr das ganze Leben lang vorenthalten wurden, und in der Wärme seines Wissens wird sie aufgehen wie eine Blume. Ihre Schützlinge aus dem Frauenhaus sind auch zu früh gekommen, mit einer Horde Kleinkinder im Schlepptau, matschigen Stiefeln und sich ausbeulenden Taschen. Einkäufe, an einem Sonntag? (An einem anderen Tag geht es nicht, antwortet Elizabeth in seinem Kopf, sie arbeiten sechs Tage pro Woche in den Fabriken, und ja, die Verkäufer, zu denen sie gehen, arbeiten am Tag des Herrn, weil sie es müssen. Die Armen kennen keine Ruhe, Alfred.) Wie Vögel auf dem Feld lassen sie sich nieder, unruhig, aus dem Augenwinkel immer nach Feinden Ausschau haltend. Dies ist nicht ihr gewohnter Lebensraum. Ein Baby schreit, das katzenhafte Klagen eines Neugeborenen, und seine Mutter holt ihre Brust hervor und stillt es. In der Kirche. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, ob Leonardo da Vinci ein Modell hatte, das stillte, und ob Charlotte, die sichtlich schwanger, seines Wissens jedoch nicht verheiratet ist, ihm auch mit ihrem Baby noch Modell stehen wird. Das Nuckeln würde es ruhig halten, denkt er. Und natürlich wird er bald sein eigenes haben … Edmund stößt ihn mit dem Ellenbogen an. Seine Eltern setzen sich auf ihre Plätze, und an der Tür sieht er die Sandersons.
Der Gang erscheint ihr länger als sonst, länger als gestern, als sie für einen Moment der Besinnung hier war. Die Buntglasfenster mit dem grünen Hügel hinter dem Kreuz und das blaue Meer unter den Menschenfischern leuchten an der westlichen Mauer. In der Apsis schimmern im gelben Sonnenlicht, das durch die Fenster fällt, Fahnen aus Staub. Auf dem Altar stehen Lilien. Die Gesichter wenden sich ihr zu. Es sind nur die Frauen aus dem Frauenhaus und Mama und Mary und Alfreds Eltern. Niemand, der sie nicht schon Dutzende Male gesehen hätte. Ihre Hände schwitzen in den grauen Glacéhandschuhen. Eine Haarnadel hinter ihrem Ohr drückt, und am Hals spürt sie eine Haarsträhne, die da nicht hingehört. »Alles gut?«, murmelt Papa. Und wenn nicht, denkt sie, wenn nicht? Sie nimmt seinen Arm. Alfred erhebt sich und bleibt oben an den Stufen zum Altarraum stehen, mit dem Gesicht zur Gemeinde, als wäre er der Pfarrer. Sie hebt den Kopf und geht los. Alles wird gut werden. Dafür wird sie sorgen.
Sie fährt, erinnert sie ihn, nicht zum ersten Mal Zug. Mama hat sie mitgenommen, um Mrs. Henshaw über ihre Arbeit in Liverpool sprechen zu hören, und sie hat Papa mehrmals – drei Mal – zu dem Direktor in Altrincham begleitet. Trotzdem ist sie unruhig, denkt er, als er ihre unter dem Umhang hochgezogenen Schultern betrachtet und die Art und Weise, wie sie den Kopf hält, als versuche sie, einen schwachen Geruch wahrzunehmen. Es ist möglich, dass sie einen der Artikel über Raubüberfälle auf genau dieser Strecke gelesen hat, aber angesichts der Orte, an die sie beinahe täglich und oft allein geht, bezweifelt er, dass sie Verbrechen fürchtet. Was ist es dann? Er seufzt, hält ihr die Waggontür auf und bietet ihr seinen Arm an, um ihr die Stufen hinaufzuhelfen. Sie macht einen Schritt, den Rock mit beiden Händen haltend, sodass er die Spitze an ihren Strümpfen sehen kann. Es gibt viele Gründe, aus denen eine junge Frau am ersten Morgen ihrer Hochzeitsreise bedrückt sein könnte.
»Du sitzt entgegen der Fahrtrichtung«, sagt er zu ihr.
Sie sieht weiter aus dem Fenster. »Vielleicht ist es mir lieber, das zu sehen, woher ich komme.«
»Statt das, worauf du zufährst? Elizabeth, das ist nicht besonders ermutigend.«
Ihr Blick wandert durch den Waggon, auf ihre Füße und zu den Gepäckträgern, die Koffer auf einen Karren laden, dann zu einer Dame in rosa Seide mit einem Schleier, die sich lebhaft mit einem Mann unterhält, der zu aufmerksam zuhört, um ihr Ehemann zu sein. »Natürlich. Eine Ehefrau sollte stets ermutigen. Verzeih mir.«
Er sitzt ihr gegenüber, von dort aus kann er den ersten Blick auf das Meer werfen und die Lokomotive sehen, wenn die Schienen eine Kurve machen, ein Vergnügen, über das er sich bisher nicht viele Gedanken gemacht hat. »Du bist meinetwegen verärgert«, unterstellt er.
»Alfred, auch wenn wir jetzt verheiratet sind, haben nicht all meine Gefühle immer mit dir zu tun. Ich verlasse mein Zuhause, und natürlich beeinträchtigt das meine Laune. Hast du keine Zeitung mitgenommen?«
Hat er, aber er war nicht sicher, ob die Etikette es erlaubt, am ersten Tag ihres Alleinseins zu lesen. Er zieht sie aus der Tasche, schlägt sie vor sich auf wie einen Schutzschild und fängt an zu lesen. Er hat aus den Augen verloren, was in Italien geschieht, und aus dem gestrigen Gespräch mit seinem Vater schließt er, dass Ereignisse stattgefunden haben, über welche die gut Informierten eine Meinung haben sollten. Elizabeth – jetzt auf zwei kleine Jungen konzentriert, die ein Papierknäuel über den Bahnsteig schießen – ist wahrscheinlich darüber informiert. Ihre rechte Hand tastet nach dem Ring unter dem Handschuh an ihrer linken und stupst vorsichtig dagegen, als wäre es ein schmerzender Zahn.
»Man kann noch etwas ändern«, sagt er. »Wenn es dann für dich angenehmer wäre.«
Sie sieht ihn fragend an.
»Den Ring«, sagt er.
»Das wird nicht nötig sein.« Ihre rechte Hand schließt sich um ihre linke, als gehöre sie einem quengeligen Kind, mit dem sie eine Straße überquert. Wie beim Almosengeben, denkt er, lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut. Oder so ähnlich. Er legt die Zeitung beiseite, holt seinen Skizzenblock hervor und beginnt, ihre Hände zu zeichnen.
Der Zug pfeift und zuckelt los. Alfred flucht, als ihm der Stift ausrutscht. Im Frauenhaus gilt die Aufnahmebedingung, dass man sich solcher Sprache dort nicht bedient, egal, was man sich anderswo gestattet. Die Kacheln der Bahnhofsmauer ziehen immer schneller vorbei. Noch kann sie die zwei Jungen sehen, die, wie Mama bemerken würde, besser daran täten, ein Handwerk zu erlernen. Mary hat angeboten, Beatrice diese Woche im Frauenhaus zu helfen, und Mama hat gesagt, das könne sie machen, es werde Zeit, dass sie die Welt kennenlerne, in der sie lebe. Nachdem Mama gesehen hatte, wie entzückt Mary über Elizabeths besticktes Kleid war, sagte sie, Mary lege seit geraumer Zeit ein Interesse für Unwesentliches an den Tag, dem sie mit vierzehn bereits entwachsen sein sollte. Die Bahnhofsuhr verschwindet am Ende des Bahnsteigs. Es ist Montag; Mama wird jetzt auf dem Weg zu der neuen Schule in Salford sein, um später den Spendern ihren wöchentlichen Bericht schicken zu können. Das Strafregister gibt Anlass zu der Sorge, dass Miss Helston nicht verstanden hat, wie streng die Ansichten des Komitees in Bezug auf körperliche Züchtigung sind. Gewalt, sagt Mama, lehrt nur Gewalt; wir müssen alle lernen, unsere Impulse selbst zu kontrollieren. Ein Viadukt führt den Zug über die erbärmlichen Wohnblocks von Hulme hinweg. Unter dem Viadukt schlafen Menschen, nicht nur betrunkene Männer und Straßenmädchen, sondern Kinder, die nicht wissen, wohin. Ihre Kindheit wird dort unten nicht viele Nächte dauern. Sie denkt an Mamas Methoden, Selbstdisziplin zu lehren. Ich werde dir dieses Band um das Handgelenk binden, Elizabeth, damit du jedes Mal, wenn du es siehst, an diesen Fehler denkst, und du wirst wissen, dass ich auch noch daran denke. Wir machen es am Sonntag wieder ab, wenn es seine Wirkung getan hat. Mary, bevor wir rausgehen, solltest du dir diesen Stein in den Stiefel legen und ihn fest zuschnüren, damit du bei jedem Schritt daran erinnert wirst, wie sehr du uns enttäuscht hast. Mama hat die Steine im Park gesammelt und auf dem Tisch im Flur aufbewahrt, in einem Korb, den eine der von ihr geretteten Frauen geflochten hat. Wirklich, Mama, hat Mary einmal gesagt, bald sollen wir noch Büßerhemden anziehen. Wäre es nicht leichter, mir einfach was auf die Ohren zu geben? Sobald Mama abgelenkt war, hat sie den Stiefel ausgezogen, mitten auf der Straße, und den Stein herausgenommen. Mary hat allerdings gelernt, den Stein zu behalten und zu Hause so zu tun, als wäre er die ganze Zeit da gewesen. Mamas Methoden sind nicht richtig gewalttätig, doch sie glaubt an die heilsame Wirkung von Schmerzen. Elizabeth fürchtet, Mamas Anleitung in solchen Dingen künftig zu vermissen. Sie muss wachsam sein mit sich selbst, wachsamer, als sie es bisher war.
Sie kreuzt die Füße. Alfred zeichnet sie, ohne gefragt zu haben, ob er darf. Sie sollte etwas tun, lesen oder nähen oder einen Brief schreiben. Mama hat ihr Mrs. Henshaws neues Buch über Frauen und Arbeit gegeben, damit sie auf der Reise etwas Sinnvolles tun kann. Sie kommen jetzt an den Stadtrand, und der Himmel ist klarer. In der Ferne sind Hügel zu sehen; sie ruft sich die Karte aus dem Klassenzimmer ins Gedächtnis. Englands Wirbelsäule erwächst aus dem Fluss Trent und mündet in den Clyde. Sie ist noch nie auf einen Berg gestiegen oder in Schottland gewesen und bisher auch nicht in Wales. Eine Baumgruppe zieht vorüber, die Blätter zappeln an ihren Ästen. Sie glaubt nicht, dass er ihr Gesicht zeichnet. Seine Hände bewegen sich schnell, seine Finger sind schmal für jemanden mit seinem schweren Körperbau. Sie erinnert sich an sein Gewicht auf ihr im Dunkeln, in dem Hotelzimmer mit den unbekannten Formen und Umrissen, den Laken, die gestärkt waren und rauer als die zu Hause. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Madam, hat das Mädchen gesagt, das am Morgen grinsend den Tee brachte. Ich hoffe, Sie auch, hatte sie lächelnd geantwortet, den Morgenmantel bis zum Hals geschlossen. Als könnte sie, wenn sie wollte, nicht noch viel gröbere Andeutungen machen, als dieses Mädchen auf der Hintertreppe je gehört hat. Sie hatte gewusst, was sie erwartete, und überraschend war an der Realität nur ihre Buchstäblichkeit. Er steckte es wirklich dort rein. Und er würde es wieder tun.
»Alfred«, sagt sie, »hast du von dem Mädchen gehört, das seinen Ehemann in der Hochzeitsnacht im Wohnzimmer zurückgelassen hat, hoch ins Schlafzimmer gegangen ist und sich chloroformiert hat? Sie hat ihm einen Brief auf dem Kissen hinterlassen, in dem stand: Mama sagt, Du darfst alles machen, wozu Du Lust hast.«
Sein Stift bleibt auf halbem Weg in der Luft stehen. »Auch das klingt nicht ermutigend.« Er sieht sie an. »Wünschtest du, deine Mama hätte dir Chloroform mitgegeben?«
Sie fahren jetzt über die Felder, durch das flache Cheshire. »Du weißt, dass ich das nicht wünschte.«
Er widmet sich wieder seiner Zeichnung.
Es ist schon seit Stunden dunkel, als er die Lichter von Pennard House erblickt. Da sind hohe Hecken, deren Umrisse sich vor der Sommernacht abzeichnen, und der Kokosduft von Ginster, als sich der Wagen dem Straßenrand nähert. Vor einer Weile hat er den Arm um sie gelegt. Zwar ist sie seither aufrecht sitzen geblieben, und ihre Wirbelsäule fängt weiterhin die Unebenheiten und Stöße ab, als wäre sie kardanisch aufgehängt, aber immerhin hat sie ihn nicht weggeschoben.
Sie streift die Kapuze ihres Umhangs zurück. »Jemand wartet auf uns.«
»Mrs. Brant. Die Haushälterin. Es wird Bara Brith geben, Früchtebrot, und Tee.«
Ihr Gesicht wendet sich dem beleuchteten Haus auf dem Hügel zu. »Gibt es viele Dienstboten?«
Sie ist Dienstboten nicht gewohnt. Mrs. Sanderson hat eine Köchin und ein Mädchen, sie findet, es gebe keinen Grund, warum gesunde Erwachsene sich nicht allein anziehen und ihr eigenes Feuer machen können. Und dann ist ja auch sein Einkommen zu bedenken.
»Es wird niemand in dein Schlafzimmer kommen, bevor du es morgens verlässt. Wir sind hier auf dem Land. Und es wird Landessen geben.«
Morgens frische Eier und vielleicht Speck vom Hof. Selbst gebackenes Brot und frische Butter. Er hofft, dass Elizabeth, wenn die Flitterwochen vorbei sind, in der Hinsicht fähiger sein wird, als er es zu seiner Junggesellenzeit war.
»Ich habe wirklich Hunger«, gesteht sie.
Zögernd steht er vor der Verbindungstür. Es gibt im Ankleidezimmer schließlich ein Einzelbett, und es ist bezogen, als erwarte Mrs. Brant, dass er es benutzt. Es ist spät. Elizabeth ist müde. Er hält das Ohr an das Schlüsselloch. Lächerlich, sagt er sich, du bist lächerlich. Er hört, wie Wasser ausgegossen und der schwere Krug wieder auf den Waschtisch aus Marmor gestellt wird. Das Plätschern von geschöpftem Wasser, das wieder ins Becken läuft. Sie wäscht sich das Gesicht. Sie wird ihr Nachthemd tragen. Er wird klopfen.
»Alfred?«, sagt sie. Nach einer kurzen Pause sind Schritte auf den Dielenbrettern zu hören. Die Tür geht auf. »Ich wusste nicht, dass Ehemänner klopfen.«
Er zuckt die Achseln. »Ich tue es anscheinend. Ich dachte, du bist vielleicht …« Er betrachtet sie von oben bis unten. Nackte Füße unter einem weißen Kleidungsstück aus Leinen, das locker an ihr herabhängt und eher aussieht wie ein Totenhemd als wie das Nachtkleid einer Braut. Ihr Haar liegt offen auf ihrem Rücken, ihr Gesicht ist feucht und blass. Sie hat große Ähnlichkeit mit dem Lazarus von Temple-Smith, nur ohne Bart.
»Du solltest reinkommen«, sagt sie. »Wir sind jetzt verheiratet.«
Da ist tatsächlich Speck, und Mrs. Brant. Sie trägt eine Schürze und steht an dem eisernen Ofen, der über die ganze Breite der Küche verläuft.
»Guten Morgen«, sagt sie. »Sind Sie ausgeruht und bereit für Ihr Frühstück? Und Mrs. Moberley?« Sie sieht zur Treppe.
Er setzt sich an den gescheuerten Kartentisch, dessen Maserung unter seinen Fingerspitzen warm ist wie Haut, wie der Oberschenkel einer Frau. Seine Cousine Frances wird, vermutet er, schon vor Stunden aufgestanden sein. »Ich freue mich sehr, Euch beide zu sehen«, hatte sie geschrieben, »und ich weiß, dass Ihr mir verzeiht, wenn ich wie sonst auch meinem Tagwerk nachgehe. Du und Mrs. Moberley werdet zweifellos spazieren gehen und zeichnen wollen, und ich freue mich darauf, mir von Euren Abenteuern erzählen zu lassen, wenn Ihr nach Hause kommt. Im Juni gibt es in meinem Garten viel zu tun.«
»Meine Frau wird bald herunterkommen«, sagt er und errötet bis zu den Ohren.
Mrs. Brant zwinkert ihm zu. »Das erste Mal, dass Sie es gesagt haben?«
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so merkwürdig klingen würde.«
Er hat es heimlich geübt. Meine Frau. Edward, darf ich dir Mrs. Moberley vorstellen? Nicht seine Mutter.
Sie stellt die Teekanne vor ihm auf den Tisch. »Sie werden sich daran gewöhnen.«
Sie wendet sich wieder dem Speck zu, nimmt ein Ei aus der Schüssel auf der Anrichte und zerschlägt es an der Pfanne. Noch ein Ei. Ihr Rücken nimmt ihm die Sicht, aber er hört das Zischen von heißem Fett. Sie wird an ihre eigene Hochzeit denken, an das erste Mal, dass sie Mr. Brant – der vor einigen Jahren gestorben ist, soweit er sich erinnert – »meine Frau« hat sagen hören.
»Wie lange wird es dauern?«
»Das geht schneller, als Sie denken.« Sie hebt mit ihrem hölzernen Pfannenwender den Rand eines Eis an und lässt es wieder sinken. »Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die Menschen an Dinge gewöhnen. Sogar an den Krieg, hat mein Mann immer gesagt. Obwohl ich immer fand, dass man sich an neue Babys nicht so schnell gewöhnt, wie man meinen sollte. Und daran, dass jemand gestorben ist. Darüber kann man noch jahrelang staunen. Wissen Sie, ob Ihre Frau ein Ei möchte?«
»Nein«, sagt er. »Ich habe erst ein Mal mit ihr gefrühstückt.«
Sie versteht jetzt, warum die Leute in Manchester von frischen Eiern sprechen, als wären es Sternschnuppen. Die reine Gier, sagt Mama, wo es doch keine Meile entfernt Familien gibt, die in den letzten fünf Jahren nicht mal ein Ei gesehen haben. Die Dotter sind tieforange, beinahe rot, und das Eiweiß ist im Fett des Specks knusprig gebraten. Sie benutzt die Gabel, um den Teller mit einem Stück Brot leer zu wischen, dessen Kruste mit Haferflocken bestreut ist und in dessen Teig irgendwelche Kerne eingebacken wurden.
»Ist das deine Cousine im Garten?«, fragt sie. »Mit dem Sommerkleid und dem Strohhut?« Ein Hut, wie man ihn in der Stadt zuletzt gesehen hat, als Mama ein kleines Mädchen war.
»Frances liebt ihren Garten sehr. Wenn du fertig bist, können wir zu ihr gehen, dann stelle ich sie dir vor.«
Sie hat mit seinen Eltern zahlreiche Abende verbracht, und sie weiß, dass sie einverstanden sind mit ihr. Sie neigt nicht zur Extravaganz. Zuverlässig und vornehm, obwohl junge Künstler ja manchmal die seltsamsten Verbindungen eingehen. Ein zügelnder Einfluss. Sie müssen Sorge gehabt haben, dass er eins seiner Modelle heiratet. Wird mehr als Anstand notwendig sein, um von Frances gebilligt zu werden? Sie streicht ihren Rock glatt. Immerhin ist Frances – Miss Moberley? – schlicht gekleidet.
Draußen ist es kälter als erwartet, der Wind drückt ihr die Röcke gegen die Beine. Zwischen den Bäumen und dem Himmel kann sie das Meer sehen. Weiße Wellen branden auf und fallen blau in sich zusammen, und da ist ein Schiff, dessen viereckige weiße Segel gehisst sind und aussehen wie Papier, das zum Trocknen aufgehängt wurde.
»Wir könnten doch später am Ufer entlanggehen«, schlägt sie vor.
Sie hat das Meer natürlich schon gesehen. In Liverpool und einmal als Kind mit Papa in Morecambe, obwohl es durch die Ebbe so weit draußen war, dass der Ozean nur zu einer weiteren Erwachsenengeschichte wurde, wie dass die Erde sich um die Sonne dreht oder die Wolken aus Wasser bestehen.
»Du könntest deine Farben mitnehmen«, schlägt sie vor. Und dann kann er sich damit irgendwo hinsetzen und ist beschäftigt.
»Aber ich möchte lieber mit dir spazieren gehen«, sagt er. »Mrs. Brant bereitet uns bestimmt ein Picknick vor, fürs Mittagessen.«
Frances hat sie nicht über das Gras gehen hören. Er hustet und berührt dann ihren Arm.
»Alfred!« Sie ist älter, als Elizabeth dachte, aber sie steht sehr gerade, die Heugabel auf Schulterhöhe. »Und du bist Elizabeth. Willkommen, meine Liebe.«
Sie küsst Alfred auf die Wange und nimmt Elizabeths kalte Hand. »Wie gefällt dir das Eheleben?«
Ich bin nie allein, denkt Elizabeth, und bisher gibt es nichts zu tun. »Es ist sehr freundlich gewesen, uns hierher einzuladen«, sagt sie. »Ich bin noch nie in Wales gewesen.«
Frances tätschelt ihr die Hand. »Ich hoffe, es werden schöne Erinnerungen.«
Sie gehen zum Meer hinunter, einen grünen Weg entlang. Die Bäume treffen sich über ihren Köpfen und bilden einen Tunnel aus leuchtenden Blättern. Alfred zeigt ihr am Rand des Weges Blauglöckchen und Wildknoblauch und macht sie auf die Veilchen unter dem Dornengestrüpp aufmerksam. Der Ginster ist voll pelziger Blüten und dunkler Dornenspitzen und verströmt einen fremdartigen Duft. Es ist Vogelgezwitscher zu hören, obwohl keine Vögel zu sehen sind, als sänge der Tag sich selbst etwas vor. In Manchester wird es heiß sein, überall brauner Nebel. Zu Hause sitzt Mary vermutlich im Garten und liest, unter der Weide, deren trauernde Äste sie vor Blicken schützen, es sei denn, jemand guckt sehr genau hin. Mama wird sich in ihrem Zimmer eingeschlossen haben. Zum Mittagessen wird es gekochtes Fleisch und Kartoffeln geben, der Duft wird noch in der Luft hängen, wenn die Mahlzeit schon seit Stunden verspeist ist. Sie gehen um eine Biegung, und da ist das Meer. Flache Steine verlängern den Weg bis auf den Strand und ins Wasser, als wollten sie sie einladen, ins Meer zu gehen. Sonnenlicht blitzt auf den Wellen. Graue und rosa Kieselsteine sprenkeln den Sand. An der Hochwassermarke hängen wie eine Kritzelei braune Algen. Sie hebt ihre Röcke und läuft, bleibt auf den Steinen in der Sonne stehen, und das Wasser umfließt ihre Füße. Er stellt den Picknickkorb ab und betrachtet sie, die Bänder ihres Hutes wehen im Wind, die Röcke flattern, das lächelnde Gesicht dem Himmel zugewandt. Sie dreht sich um und merkt, dass sie beobachtet wird.
»Komm mal her«, ruft sie. »Wir können doch ruhig weiter ins Wasser waten, oder? Jetzt, wo wir verheiratet sind?«
Er geht zu ihr, nimmt ihre Hand. »Wir können sogar schwimmen, wenn wir wollen. Jetzt, wo wir verheiratet sind.«
Sie entdecken einen flachen Felsen im Sand, der unter ihren Händen ganz warm ist, und setzen sich darauf. Sie öffnet den Picknickkorb; kein Wunder, dass er schwer war. Obenauf liegt eine Emailleform mit blauem Rand, darin eine Pastete, verziert mit glasierten Blättern aus Teig, außerdem ein Salat, und das in dem blauen Päckchen aus Papier muss Salz sein. Zwei Flaschen Bier – sie hat noch nie Bier getrunken, Mama missbilligt es – und eine Frucht, die aussieht wie eine Pflaume, jedoch eine gelbe, warme, flaumige Schale hat, die sie fast zurückzucken lässt, als wäre sie lebendig. Außerdem Bara Brith, mit Butter bestrichen und zusammengeklappt. Zwei Teller, zwei Messer, zwei Gabeln, zwei Servietten. Alles paarweise, so wie sie. Es ist eigentlich zu hell, um in der Sonne zu sitzen. Alfred legt sich auf den Rücken.
»Die Flut kommt«, sagt er.
Sie braucht einen Löffel, um die Pastete auf die Teller zu tun, aber es gibt keinen. Sie schneidet die Kruste mit einem Messer ein. »Spielt das eine Rolle?«
Er hebt den Kopf. »Natürlich spielt das eine Rolle. Wir sind unterhalb der Flutlinie. Das Wasser wird immer weiter steigen, bis zu unserem Felsen, und dann sitzen wir hier zwölf Stunden lang fest.«
Er lässt den Kopf sinken, streckt die Arme aus, bis seine Hand ihren Rücken berührt. Das Wasser ist noch etwa drei Meter von ihnen entfernt.
»Wir könnten weiterwaten.«
»Wir könnten auch hierbleiben und Aprikosen essen und das Licht über dem Meer beobachten. Du kannst mir etwas aufsagen, während ich dich zeichne.«
Fleischfüllung, getupft mit grünen Kräutern, fällt aus der Pastete, als sie versucht, sie auf seinen Teller zu bugsieren. »Ich kann nichts aufsagen. Mama sagt, Auswendiglernen ist der Feind weiblicher Bildung. Ich kann dir höchstens unregelmäßige deutsche Hauptwörter aufsagen. Oder französische Verben konjugieren. Und zwar alle. Aber ich musste nie die Namen der Monarchen in chronologischer Reihenfolge runterleiern, und diese Gedichtsammlungen für Damen wollte Mama nicht kaufen. Sie sagt, man solle Lyrik lesen oder es sein lassen, aber sie nicht so zerhacken, um den unterentwickelten Intellekt damit zu bevormunden.«
Er salzt seinen Salat. Sie nimmt sich selbst Pastete, weniger, als sie ihm gegeben hat. Mama hält Gebackenes für ungesund.
»Und siehst du das genauso?«, fragt er.
Sie nimmt sich Salat. »Ja.«
Nachts wacht sie auf. Es gibt im Zimmer keine Uhr, was eigentlich nicht schlimm ist, denn weder Mrs. Brant noch Frances schienen schlecht über sie zu denken, weil sie gestern so spät aufgestanden ist. Vermutlich könnte sie jetzt ihr restliches Leben lang nach acht aufstehen und zum Frühstück Eier mit Speck essen, wenn sie wollte. Diese Vorstellung lässt sie erschaudern. Darauf bedacht, die Decke nicht zu sehr zu bewegen, dreht sie sich um und streckt die Beine aus. Alfred seufzt und atmet dann wieder ruhig. Mondlicht dringt durch die Lücke zwischen den Vorhängen aus eingelaufener, bedruckter Baumwolle, deren Futterstoff für das Gewebe viel zu schwer ist. Das Haus ist auf eine Art still, die sie von zu Hause nicht kennt. Es ist die Stille alter Steinmauern und Felder, die draußen im Dunkeln liegen und sich bis zum Meer ausdehnen. Sie fragt sich, wie das Meer bei Nacht aussieht. Sie dreht den Kopf. Sie kann die Pomade riechen, die Alfred sich ins Haar schmiert, und die Waschseife, mit der sein Nachthemd gereinigt wurde, die anders riecht als ihre. Bald werden sie wohl gleich riechen, da sie ein Bett teilen, dieselbe Wäsche benutzen, dieselbe Seife. Mr. und Mrs. Moberley. Sein Nacken ist so behaart wie seine Brust; sie hat nicht gewusst, Mama hat ihr nicht gesagt, dass Männer überall Haare haben, wie Affen.
Sie will zum Fenster gehen und die Bäume und den Himmel sehen. Vorhin haben sie Eulen gehört, und sie hat noch nie eine gesehen. Ihr Fuß juckt, Alfred scheint vom Strand Sand mit ins Bett gebracht zu haben. Sie werden jahrelang ihr Bett teilen.
Alfred hat den neuen Behang für Großmamas Bett schon fertig. Er hat sie gefragt, Blumen und Früchte, Blumen und Vögel? Er arbeitet an einem Entwurf für eine Tapete, auf der Bienen in blühendem Geißblatt zu sehen sind. Könnten sie nicht auch einfarbig sein, hat sie gefragt, weiß oder cremefarben, damit die Schnitzereien an den Bettpfosten noch auffallen? Ach, du Quäkerin, hat er geantwortet, dass ein Künstler jemanden mit einem solchen Geschmack heiratet! Sag, Elizabeth, wäre es dir auch lieber, wenn die Bilder an den Wänden einfarbig wären, damit die Rahmen zu sehen sind? Der neue Behang, hat er gesagt, solle eine Überraschung für sie sein. Er hat die Wände streichen und tapezieren lassen. Einige Räume werden so schmucklos sein, wie sie es sich nur wünschen kann, bis sie sich die richtigen Materialien leisten können, aber es ist wichtig, dass es ein Wohn- und ein Esszimmer gibt, in dem er potenzielle Kunden empfangen kann. Das sei ein Grund für den Kauf des Hauses. Sie hat ihn nicht daran erinnert, dass es Papa war, der das Haus gekauft hat. Er wird erwarten, dass sie diesen Leuten Abendessen macht und die Hausherrin gibt. Er hat ihr ein Buch über Haushaltsführung mitgebracht, als dächte er, was sie von Mama gelernt hat, sei nicht Anleitung genug.
»Elizabeth?«, murmelt er.
»Schsch. Es ist mitten in der Nacht.« Sie tätschelt ihn, wie sie Mary immer getätschelt hat, vor Jahren, als sie sich ein Zimmer teilten und Mary Albträume hatte.
»Ich weiß. Du bist wach.«
»Das Mondlicht hat mich geweckt«, sagt sie. Es fällt jetzt woandershin, auf die schwarz gestrichenen Bodendielen neben dem gerafften Vorhang des Waschtischs.
Er setzt sich auf. Sein Haar ist zerzaust, und auf seiner linken Wange ist der Abdruck des zerknitterten Kissenbezugs. »Möchtest du nach draußen gehen und es richtig sehen?«
Will sie das? »Was, in Nachtwäsche? Alfred, was ist mit deiner Cousine? Und Mrs. Brant, schläft sie nicht auch hier?«
»Nein.« Er schlägt die Bettdecke zurück. Seine Beine, die unter dem Nachthemd hervorragen, erinnern sie wieder an einen Affen, ein Affe in weißer Baumwolle. »Es würde mich nicht überraschen, wenn Frances selbst draußen ist und mit den Rosen plaudert oder so.«
Er zieht den Vorhang auf. »Herrlich. Sieh dir das an. Komm mit!«
Sie sieht weg, als er in seine Hose steigt, zieht sich die Decke bis zum Hals. Mama hat darauf bestanden, dass das Gehorsamsgelübde in ihrem Hochzeitsgottesdienst weggelassen wird: Du musst frei sein, das Richtige zu tun, und wir wissen, dass Alfred dich, zumindest am Anfang, in Fragen des Geistes nicht anleiten kann. Du musst ihn zu Gott führen. Aber mit dieser Freiheit geht die Verantwortung einher, sich nicht aus reiner Sturheit oder Bequemlichkeit zu widersetzen. Verdien dir deine Freiheit in großen Fragen durch Folgsamkeit, wo es nur um deine eigenen Interessen geht. Mama hat nicht vorhergesehen, dass sie aufgefordert werden würde, in Hemd und Unterhose ins Meer zu laufen oder mitten in der Nacht im Nachthemd rauszugehen. Sie rollt sich auf die Seite und steht auf, geschickt, sodass man nur ihre Knöchel sieht. »Gib mir mein Tuch«, sagt sie.
Ich werde das bald nicht mehr wahrnehmen, denkt sie. Dies wird die Straße sein, die ich jeden Tag entlanggehe, und ich werde nicht mehr sehen, wie hoch die Bäume sind, wie die Kastanienblätter den Himmel filtern. Ich werde nicht beachten, welche Mühe sich die Erbauer dieser Schornsteine mit dem Muster der Ziegelsteine gegeben haben, das Gelb der Leitungen oder die Ananas aus Stein auf den Torpfosten dort. Das Gaslicht der Straßenlaterne wird abends in unser Schlafzimmerfenster fallen, und die Hecke wird mit den Jahren wachsen, und die Glyzinien werden das Gitter bedecken. Die Kutsche hält an, und Alfred, dem der Kopf immer wieder auf die Brust gesunken war, richtet sich auf.
»Willkommen zu Hause«, sagt er.
Sie klettert hinunter, ehe der Kutscher ihr helfen kann, öffnet das schmiedeeiserne Tor und geht über den knirschenden Kies zur Haustür. Sie hat keinen Schlüssel. Sie widersteht dem Drang, an der Tür zu rütteln, am Griff zu ziehen, bis er nachgibt. Alfred bezahlt noch den Kutscher. Sie geht um das Haus herum, wo sich zwischen den Erkern von Esszimmer und Wohnzimmer der Wintergarten befindet. Es war zu spät für Alfred, die Buntglasscheiben über den Fenstern selbst zu entwerfen. Auch diese Tür wird – und sollte es auch – verschlossen sein, das weiß sie, trotzdem versucht sie es und geht weiter auf die Hintertür zu, an den hohen Küchenfenstern vorbei. Die Tür ist in einem glänzenden Dunkelgrün gestrichen, das ihr nicht gefällt, und hinein kommt sie auch hier nicht. Hinter sich hört sie Schritte auf dem Kies.
»Mit Schlüssel geht es besser«, sagt er und hält ihn ihr hin. »Für die Haustür. Die anderen sind drinnen.«
Sie nimmt ihn und geht vor ihm den Weg entlang und die Stufen zur gefliesten Veranda hoch. Größer als die Veranda zu Hause, breit genug für mehrere Menschen mit Regenschirmen, oder eher, denkt sie, so breit, dass zwei Frauen mit Reifröcken nebeneinanderstehen könnten. Der Schlüssel lässt sich nicht drehen. Ihre Hände zittern. Sie will keine Hilfe. Er steht auf der Stufe hinter ihr. Der Messingtürklopfer klappert, als es ihr endlich gelingt.
Drinnen, in der rechteckigen Diele mit dem Teakboden, der, wie der Architekt sagte, gut genug gefedert ist, um darauf zu tanzen – nicht dass zum Tanzen genug Platz wäre –, bleibt sie stehen. Die angrenzenden Zimmer sind leer, sie warten. Warten darauf, dass ihr Leben beginnt. Die Bauarbeiter waren hier, denkt sie, haben in meinem Esszimmer Brote aus Butterbrotpapier gewickelt und aus Bierflaschen getrunken, sind mit ihren staubigen Stiefeln meine Treppe hochgegangen, haben in meinem Schlafzimmer gepfiffen. Nur Adam und Eva hatten ein wirklich neues Zuhause.
»Darf ich reinkommen?«, fragt er, den Kopf durch den Türspalt gesteckt.
Sie dreht sich um. »Entschuldige. Es ist dein Haus. Aber du warst schon ein paarmal hier, ich habe es erst ein Mal gesehen.«
Er kommt rein, scheint ihre Hand nehmen zu wollen, tut es dann aber nicht. Sie wendet sich von ihm ab, geht ins Wohnzimmer.
»Oh.«
Sie wusste natürlich, dass er es schon tapeziert und bemalt hat. Es ist, als wäre man in einen Wald geraten, in einen Wald bei Dämmerung, im Herbst. Reben drängen sich aneinander, ihre hellen Ranken klettern die Wände hinauf und verschlingen sich, und die Stellen zwischen den dunklen Blättern sehen aus wie Augen, wie spitze Nasen. Die Bilderleiste – wie sollen sie vor so eine Tapete Bilder hängen? – ist schlammbraun, wie roher Lehm, eine Farbe, die sie in einem Haus vorher noch nie gesehen hat, und die Wand darüber ist sogar noch dunkler, wie Torf, wie ein offenes Grab. Sogar die Decke ist farbig, hat den Ton einer Pfütze auf einer schmutzigen Straße.
Er kommt herein. »An Vorhängen arbeite ich gerade«, sagt er. »Gefällt es dir?«
Im Fenster leuchtet der sonnenhelle Garten, sein Grün hat zu viele Nuancen, ist zu grell für das unterirdische Zimmer.
»Es ist ziemlich düster«, sagt sie. »Sogar im Juli.«
»Im Winter machen wir ein Feuer. Und wir werden Samtvorhänge haben und Kerzenlicht.«
Und wir werden uns, denkt sie, fühlen wie Füchse im Unterholz, nur dass ein Fuchsbau nicht gleichzeitig ein Ausstellungsraum ist.
»Es gefällt dir nicht.«
Er ist ihr Ehemann. Dies ist ihr Zuhause. Mit der Zeit wird er ein einfacheres Leben vielleicht schätzen lernen, sie wird es ihn lehren. »Ich bin es nicht gewohnt«, sagt sie. »Du weißt, wie schlicht Mamas Geschmack ist. Ich bin nicht dazu erzogen worden, diese Fülle gutzuheißen, dieses Auffällige.« Er greift nach ihrer Hand. »Zeig mir das Esszimmer.«
Er betrachtet sie, wie sie vor ihm hergeht, mit erhobenem Kopf, das Beste daraus macht.
»Meine Liebe, das ist meine Arbeit, weißt du. Unser Lebensunterhalt.«
Sie bleibt, von Sonnenlicht überflutet, vor dem Erkerfenster stehen. Sein Tisch ist da, aus dem umgestürzten Nussbaum geschreinert, den sein Vater fünf Jahre lang für ihn aufbewahrt hat. Tischlern ist nicht das, was er am besten kann, das weiß er, aber der Meister der Werkstatt hat ihm bei den Fugen geholfen. Keine Löwenpranken als Füße, keine gebogenen Beine, die aussehen, als litten sie unter Knochenerweichung, aber als ihm seine Geißblatttapete einfiel, hat er eine Blume und eine Biene in eine der beiden tragenden Säulen geschnitzt, als eine Art Signatur. Stühle gibt es noch keine, bisher.
Ihre Schultern heben sich, als sie einatmet, ansetzt, etwas zu sagen, innehält, die Hand auf der glänzenden Oberfläche des Tisches. Sie versucht es noch mal.
»Dieses Zimmer gefällt mir. Es wirkt leichter. Gemütlicher.«
Sie scheint Mühe zu haben, sich vorzustellen, wie sie hier lesen oder nähen soll. Da sind blasse Apfelblüten an den Wänden, Blätter und Zweige und in jedem Streifen zweimal ein kleiner brauner Vogel.
»Die Tapete wird ruhiger wirken, wenn das Zimmer eingerichtet ist«, sagt er. »Und ich dachte, wir nehmen für den Sommer Musselinvorhänge und für den Winter vielleicht Samt in der Farbe der Blätter.«
»Ja«, sagt sie. »Ja, Alfred, das würde mir gefallen.«
Sie kommt zu ihm, berührt seine Jacke. »Und ich mag deine Biene, deine Arbeiterbiene. Ist der Behang für das Bett schon da?«
Sie gehen die teppichlose Treppe hoch, ihre Röcke streifen die gerstenkornförmigen Baluster am Geländer. In die Treppenpfosten sind Eicheln geschnitzt.
Wieder ins Frauenhaus zu gehen ist, als ginge sie nach einer Krankheit zum ersten Mal wieder raus. Immer wieder fällt ihr der Ring an ihrer Hand ins Auge, wie eins der Bänder, die Mama ihr früher um das Handgelenk gebunden hat. Sie weiß, dass die Frauen etwas über ihre Flitterwochen werden hören wollen. Sie biegt auf den Hof ein, ohne sich ein Taschentuch vor das Gesicht zu halten, obwohl der Geruch bei dieser Hitze schlimmer ist denn je. Hier leben Menschen und atmen diese Luft und trinken dieses Wasser. Sie denkt an die Blauglöckchen in Wales.
»Lizzie!«
Es ist Mary, die mit einer der Mütter auf den Stufen vor der Halle wartet. Ihr schwarzer Rock ist voller Staub und ihr Gesicht unter dem Strohhut feucht und gerötet. Sie umarmen sich, Marys Wange ist kühler als ihre.
»Hat Mama dich allein geschickt?«
Mary nimmt ihre Hand. »Sie hat mich gebracht. Sie wollte in die Schule gehen und Mrs. Hayter im Krankenhaus besuchen. Sie hat gesagt, sie ist vor drei Uhr wieder zurück. Oh, Lizzie, ich vermisse dich so. Mama ist wirklich Schwerstarbeit. Kann ich nicht bei dir leben?«
Elizabeth streicht über Marys sich auflösenden Zopf. »Nein, Liebes. Aus all den bekannten Gründen. Aber du kannst zum Tee kommen, wenn Mama einverstanden ist. Alfred mag es, wenn es dazu Kuchen gibt und Brote. Und er wird dich anschließend nach Hause bringen.«
Weil Elizabeth und Alfred beide mit ihrer Arbeit beschäftigt sind. Weil Marys Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist. Weil Papa sie zu sehr vermissen würde. Aber vor allem, weil Mama es nicht erlauben würde, weil Mama mit Mary noch nicht fertig ist.
Elizabeth schließt die Tür auf. »Treten Sie ein«, sagt sie. »Mrs. Brown, Mrs. Hampson. Mrs. Jenkin, wie geht es dem Baby? Mrs. Murphy, geht es Ihnen wieder besser? Sie sind aber sehr dünn geworden.«
Mary heizt den Ofen an, füllt die Kessel aus den Wasserflaschen, die Elizabeth dreimal pro Woche vorbeibringt. Sie weiß, was alles in den Fluss geleitet wird.
»Bitte setzen Sie sich. Hier, Mrs. Murphy, nehmen Sie den bequemeren Stuhl.«