Hanser E-Book

 

James Fenimore Cooper

 

Der letzte Mohikaner

 

Ein Bericht aus dem Jahre 1757

 

Herausgegeben und übersetzt von Karen Lauer

 

Carl Hanser Verlag

 

ISBN 978-3-446-24272-2

Alle Rechte vorbehalten

© Carl Hanser Verlag München 2013

Schutzumschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München, unter Verwendung des Gemäldes The Last of the Race (1847) von Tompkins Harrison Matteson (1813 - 1884), New York Historical Society

Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch

 

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

 

Verschmähet mich ob meiner Farbe nicht,

Die schattige Livrei der lichten Sonne.

 

Der Kaufmann von Venedig, II, 1

 

Anmerkungen

Inhalt

Vorwort [1826]

 

Einleitung [1831/1850]

 

Der letzte Mohikaner

 

Nachwort

 

Zur Übersetzung

 

Anmerkungen

 

Literaturverzeichnis

Vorwort [1826]

Der Leser, der zu diesen Bänden greift, weil er darin ein frei erfundenes, romantisches Bild von etwas zu finden hofft, das es so nie gegeben hat, wird sie wahrscheinlich enttäuscht wieder beiseitelegen. Dieses Werk ist genau das, was es auf dem Titelblatt behauptet zu sein – ein Bericht. Da es jedoch auf vieles Bezug nimmt, was vielleicht nicht allgemein bekannt ist, vor allem bei dem phantasiebegabteren Geschlecht, aus dem sich manche unter dem Eindruck, es handle sich um reine Dichtung, wohl verleiten lassen mögen, das Buch zu lesen, liegt es im Interesse des Autors, einige der dunkleren historischen Anspielungen zu erklären. Dieser Pflicht zu genügen, mahnt ihn der bittere Kelch der Erfahrung, hat sie ihm doch oft gezeigt, dass, egal wie wenig das Publikum über eine Sache weiß, ehe sie seinen Blicken dargeboten wird, kaum hat man sie dieser schrecklichen Prüfung ausgesetzt, jeder Einzelne und alle zusammen, man könnte sagen, intuitiv, mehr von ihr verstehen als derjenige, der sie ihnen doch erst gezeigt hat; und dass es im Gegensatz zu dieser unbestreitbaren Tatsache für einen Schriftsteller oder einen Planer ein sehr unsicheres Experiment ist, auf die Erfindungskraft eines anderen Menschen zu vertrauen. Darum sollte nichts, was leicht zu erklären ist, rätselhaft bleiben. Damit würde man nur jener Art von Lesern eine eigentümliche Freude bereiten, die eine seltsame Befriedigung darin finden, mehr Zeit darauf zu verwenden, Bücher zu machen, als Geld darauf, sie zu kaufen. Nach dieser Begründung dafür, dass er gleich eingangs so viele unverständliche Wörter einführt, wird der Autor nun ebenjene Aufgabe in Angriff nehmen. Natürlich wird er und braucht er hier nichts erzählen, was jedem, der auch nur das Geringste über die Geschichte der Indianer weiß, nicht bereits bekannt wäre.

Die größte Schwierigkeit, mit der man beim Studium ihrer Geschichte zu kämpfen hat, ist die heillose Verwirrung, die bei den Namen herrscht. Wenn man jedoch bedenkt, dass sich die Holländer, die Engländer und die Franzosen in diesem Punkt alle die Freiheit des Eroberers nahmen; dass die Eingeborenen selbst nicht nur verschiedene Sprachen und davon sogar noch Mundarten sprechen, sondern es außerdem lieben, immer wieder neue Namen zu erfinden, ist diese Schwierigkeit wohl etwas, das man beklagen mag, aber kaum etwas, das überrascht. So wird man denn, welche Fehler die folgenden Seiten ansonsten auch immer enthalten mögen, ihre Unklarheit hoffentlich auf diesen Umstand zurückführen.

Als die Europäer kamen, befand sich das gewaltige Gebiet zwischen Penobscot und Potomac, dem Atlantik und dem Mississippi im Besitz eines Volkes, das von ein und denselben Urahnen abstammte. An ein oder zwei Punkten mag die Linie dieser gewaltigen Grenze durch die benachbarten Nationen ein wenig verlängert oder verkürzt worden sein; aber im Großen und Ganzen war dies sein Herrschaftsbereich. Der übergreifende Name dieses Volkes lautete »Wapanachki«. Sie selbst jedoch nannten sich gern die »Lenni Lenape«, was bereits so viel heißt wie »unvermischtes Volk«. Auch nur die Hälfte der Gemeinschaften oder Stämme aufzuzählen, in die diese Völkerschaft unterteilt war, würde weit über die Kenntnisse des Autors hinausgehen. Jeder Stamm hatte seinen Namen, seine Häuptlinge, seine Jagdgründe und oft seinen eigenen Dialekt. Wie die Lehnsherren der Alten Welt stritten sie miteinander und machten auch von den meisten anderen Vorrechten eines Landesfürsten Gebrauch. Gleichwohl bekannten sie sich dazu, dass sie ihr gemeinsamer Ursprung, eine ähnliche Sprache und jenes moralische Interesse verband, das durch ihre Überlieferungen auf so getreue und so wunderbare Weise weitergegeben wurde. Ein Zweig dieses zahlreichen Volkes lebte an einem prächtigen Fluss, dem »Lenapewihittuck«, wo sich nach allgemeiner Übereinkunft das »Lange Haus« oder das »Große Ratsfeuer« der Nation befand.

Der Stamm, der das Land besaß, das jetzt den Südwesten Neuenglands bildet, und jenen Teil von New York, der östlich des Hudson liegt, und sogar das Land noch viel weiter im Süden, war ein mächtiges Volk, das die »Mahicanni« genannt wurde oder häufiger noch die »Mohicans«, die Mohikaner. Hieraus ist bei den Engländern die entstellte Bezeichnung »Mohegan« geworden.

Auch die Mohikaner waren wieder in sich unterteilt. Als Stammesverband stritten sie sogar mit ihren Nachbarn, in deren Besitz sich das »Lange Haus« befand, um den Rang des ältesten Volkes; doch wurde ihnen großmütig zugestanden, der »älteste Sohn« ihres »Großvaters« zu sein. Natürlich war dieser Teil der ursprünglichen Eigentümer des Landes der erste, der von den Weißen vertrieben wurde. Die wenigen, die von ihnen noch übrig sind, leben größtenteils zerstreut unter anderen Stämmen und besitzen kein anderes Denkmal ihrer einstigen Macht und Größe als ihre wehmütigen Erinnerungen.

Der Stamm, der den heiligen Bezirk des Versammlungshauses hütete, durfte jahrhundertelang stolz sein auf den schmeichelhaften Titel »Lenape«; doch nachdem die Engländer ihren Fluss umbenannt hatten in »Delaware«, wurden sie allmählich unter diesem Namen bekannt. Untereinander indes gebrauchten sie diese Bezeichnungen stets mit sehr großem Feingefühl. Ihre Sprache ist von solchen Nuancen des Ausdrucks durchdrungen, die alles, was sie sagen, temperieren und ihren Reden oft erst ihr Pathos oder ihre Kraft verleihen.

Über mehrere hundert Meilen entlang der nördlichen Grenze der Lenape lebte ein anderes Volk, das sich, was die Unterteilung, Abstammung und Sprache betraf, in einer ähnlichen Lage befand. Bei seinen Nachbarn hieß dieses Volk »Mengwe«. Diese nördlichen Wilden waren, wenigstens eine Zeit lang, nicht so mächtig und nicht so geeint wie die Lenape. Um diesem Nachteil zu begegnen, schlossen fünf ihrer mächtigsten und kriegerischsten Stämme, die besonders nah am Versammlungshaus ihrer Feinde lebten, ein Bündnis zur gemeinsamen Verteidigung – tatsächlich die ersten Vereinigten Republiken, die sich in der Geschichte Nordamerikas belegen lassen. Es handelte sich um die Stämme der Mohawks, der Oneidas, der Senecas, der Cayugas und der Onondagas. Später wurde ein abgewanderter Teil ihres Volkes, der »näher zur Sonne hin« gezogen war, wieder angegliedert und in die volle Teilhabe an allen ihren politischen Privilegien eingesetzt. Durch diesen Stamm (die Tuscaroras) war ihre Zahl so weit angestiegen, dass die Engländer den Namen, den sie dem Bund gegeben hatten, von »Die fünf« in »Die sechs Nationen« änderten. Man wird im Verlauf unseres Berichtes sehen, dass das Wort »Nation« mal für eine kleinere zusammenlebende Gemeinschaft und mal für das Volk im umfassendsten Sinne gebraucht wird. Die Mengwe wurden von ihren indianischen Nachbarn oft die »Maquas« genannt und häufig verächtlich »Mingos«. Die Franzosen gaben ihnen den Namen »Iroquois«, vermutlich eine verderbte Form einer ihrer eigenen Bezeichnungen.

Es gibt einen wohlbezeugten, beschämenden Bericht davon, wie es den Holländern auf der einen und den Mengwe auf der anderen Seite gelang, die Lenape zu überreden, ihre Waffen wegzulegen und ihre Verteidigung ganz in die Hände der Letzteren zu geben, kurz – in der bildhaften Sprache der Eingeboreren – zu »Weibern« zu werden. Die Holländer wählten damit den sichersten Weg, wie großzügig sie dabei auch gewesen sein mögen. Dies war der Anfang des Niedergangs der größten und zivilisiertesten der indianischen Nationen, die innerhalb der Grenzen der heutigen Vereinigten Staaten lebten. Von den Weißen beraubt und von den Wilden hingemordet und unterdrückt, blieben sie noch eine Weile dort, wo ihr Ratsfeuer war, brachen jedoch schließlich in Gruppen auf und suchten Zuflucht in der Wildnis im Westen. Wie das Licht einer Lampe, die gleich erlischt, strahlte ihr Ruhm am hellsten, kurz bevor sie vergingen.

Über dieses interessante Volk wäre noch viel zu sagen, vor allem über sein weiteres Schicksal, doch scheint es uns für das vorliegende Werk nicht von Belang zu sein. Mit dem Tod des frommen, des ehrwürdigen und erfahrenen Heckewelder ist ein Schatz an Wissen auf diesem Feld verlorengegangen, wie man ihn wohl nie wieder bei einem einzelnen Menschen finden wird. Heckewelder hat sich lange und voller Eifer für dieses Volk eingesetzt, nicht weniger um dessen Ehre zu retten als um es auf eine höhere moralische Stufe zu bringen.

Mit dieser kurzen Einführung in seinen Gegenstand vertraut der Autor sein Buch nun dem Leser an. Da es jedoch die Ehrlichkeit, wenn nicht die Gerechtigkeit von ihm verlangt, empfiehlt er allen jungen Damen, deren Gedanken gewöhnlich innerhalb der vier Wände ihres behaglichen Wohnzimmers kreisen, allen alleinstehenden Herren eines gewissen Alters, die sich von jedem Wind treiben lassen, und allen Geistlichen, so sie diese Bände in die Hand genommen haben, um sie zu lesen, diese Absicht aufzugeben. Solchen jungen Damen rät er dies, weil sie das Buch, wenn sie es gelesen haben, gewiss als schockierend bezeichnen werden, den Junggesellen, weil es ihnen womöglich den Schlaf raubt, und den Gottesmännern, weil es für sie wichtigere Dinge zu tun gibt.

 

Anmerkungen

Einleitung [1831]

Der Verfasser dieser Geschichte glaubt, dass ihr Schauplatz und das meiste, was man wissen muss, um die Anspielungen darin zu verstehen, dem Leser im Text selbst und durch die begleitenden Anmerkungen hinlänglich deutlich werden. Doch herrscht in den Überlieferungen der Indianer so große Unklarheit und bei ihren Namen so große Verwirrung, dass hier einige Erläuterungen hilfreich sein mögen.

Nur wenige Menschen zeichnen sich durch einen derart vielseitigen oder, wenn man so sagen darf, widersprüchlichen Charakter aus wie der eingeborene Krieger Nordamerikas. Im Krieg ist er wagemutig, prahlerisch, listig, gnadenlos, selbstlos und aufopfernd; im Frieden gerecht, großzügig, gastfreundlich, rachsüchtig, abergläubisch, bescheiden und gewöhnlich keusch. Gewiss, nicht alle weisen diese Eigenschaften in gleichem Maße auf; aber sie herrschen bei diesen bemerkenswerten Völkern doch so weit vor, dass sie für diese charakteristisch sind.

Man nimmt allgemein an, dass die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents ursprünglich aus Asien stammen. Es lassen sich viele physische und moralische Gegebenheiten anführen, die diese Ansicht stützen, und einige wenige, die dagegen zu sprechen scheinen.

Die Hautfarbe der Indianer scheint dem Autor eine Besonderheit dieser Menschenart zu sein, und während ihre Wangenknochen sehr auffallend auf eine tatarische Herkunft hindeuten, gilt für ihre Augen das Gegenteil. Auf jene mag wohl das Klima großen Einfluss gehabt haben, aber es ist schwer vorstellbar, wie es zu dem grundlegenden Unterschied bei diesen geführt haben soll. Die Bildersprache der Indianer, in ihrer Dichtkunst wie in ihren Reden, ist orientalisch – wobei sie durch den begrenzten Umfang ihrer praktischen Kenntnisse gemäßigt wird und vielleicht noch gewinnt. Die Wolken, die Jahreszeiten, die Vögel, die Tiere und die Pflanzenwelt liefern ihnen ihre Metaphern. Vielleicht würde jedes andere tatkräftige und phantasievolle Volk, dessen Einfallskraft durch die Erfahrung zwangsläufig Grenzen gesetzt sind, genauso verfahren; doch der nordamerikanische Indianer kleidet seine Ideen in ein Gewand, das ganz anders ist als das des Afrikaners und an sich schon orientalisch. In ihrem Reichtum und der sentenziösen Fülle gleicht seine Sprache der chinesischen. Mit einem Wort drückt er eine ganze Wendung aus, und durch nur eine Silbe verändert er die Bedeutung eines ganzen Satzes; ja selbst durch die einfachsten Modulationen seiner Stimme vermag er verschiedene Inhalte auszudrücken.

Die Philologen sagen, dass es unter all den vielen Stämmen, die einst das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten bewohnten, streng genommen nur zwei oder drei Sprachen gibt. Dass bekanntlich dennoch ein Volk Schwierigkeiten hat, das andere zu verstehen, führen sie auf verderbte Formen und Mundarten zurück. Der Verfasser hat einmal einem Gespräch zwischen zwei Häuptlingen aus der Prärie westlich des Mississippi beigewohnt, bei dem ein Dolmetscher bereitstand, der beide Sprachen beherrschte. Die Krieger schienen prächtig miteinander auszukommen und sich angeregt zu unterhalten; nach Auskunft des Dolmetschers jedoch hatte keiner von ihnen die geringste Ahnung, was der andre sagte. Sie gehörten verfeindeten Stämmen an, die unter dem Einfluss der amerikanischen Regierung zusammengefunden hatten; und es ist der Erwähnung wert, dass ihre übereinstimmende politische Denkungsart beide dasselbe Thema anschneiden ließ. Sie ermahnten sich gegenseitig zur Hilfeleistung für den Fall, dass eine der beiden Parteien im Krieg einem Feind in die Hände fiel. Wie auch immer es sich nun mit dem Ursprung und der Eigenart der indianischen Zungen verhalten mag, sicher ist, dass sie sich jetzt von ihrem Wortschatz her weit genug unterscheiden, um die meisten Nachteile fremder Sprachen mit sich zu bringen: Daher rührt zu einem Gutteil die Verlegenheit, in die man bei der Erforschung ihrer Geschichte geraten ist, und zum Großteil auch die Unzuverlässigkeit ihrer Überlieferungen.

Genau wie bei Nationen mit ehrgeizigeren Zielen unterscheidet sich auch bei den amerikanischen Indianern das, was sie von ihrem eigenen Stamm oder Geschlecht berichten, sehr von dem, was andere Völker über sie erzählen. Sie neigen sehr dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und die ihrer Rivalen oder Feinde unterzubewerten; eine Eigenheit, in der man eine Bestätigung des mosaischen Schöpfungsberichts sehen könnte.

Die Weißen haben durch ihre Entstellung der Namen sehr dazu beigetragen, die Überlieferungen der Ureinwohner noch undurchsichtiger zu machen. So wurde der Name, der im Titel dieses Buches verwendet wird, abgewandelt in »Mahicanni«, »Mohicans« und »Mohegans«, wobei Letzteres die unter den Weißen gebräuchliche Bezeichnung ist. Wenn man bedenkt, dass die Holländer (die New York als Erste besiedelten), die Engländer und die Franzosen alle Benennungen für die Stämme erfanden, die das Land, in dem diese Geschichte spielt, bewohnten, und dass die Indianer nicht bloß ihren Feinden, sondern oft auch sich selbst verschiedene Namen gaben, wird man verstehen, warum hierin solche Verwirrung herrscht.

In diesem Buch bezeichnen die Namen »Lenni Lenape«, »Lenope«, »Delawaren«, »Wapanachki« und »Mohikaner« alle dasselbe Volk oder Stämme derselben Abkunft. Die »Mengwe«, die »Maquas«, die »Mingos« und die »Irokesen« werden, obwohl sie genau genommen nicht ganz identisch sind, von den Sprechern oft miteinander gleichgesetzt, da sie politisch miteinander verbündet waren und den zuvor genannten feindlich gegenüberstanden. »Mingo« war eine besonders abfällige Bezeichnung, wie auch, in geringerem Grad, »Mengwe« und »Maqua«.

Den Mohikanern gehörte das Land, von dem die Europäer in diesem Teil des Kontinentes als Erstes Besitz ergriffen. Sie waren folglich auch die Ersten, die vertrieben wurden; und das anscheinend unvermeidliche Schicksal aller dieser Völker, die mit dem Vordringen, oder man kann wohl sagen den Übergriffen der Zivilisation verschwinden wie das Grün ihrer heimischen Wälder mit dem ersten schneidenden Frost, wird hier als eines beschrieben, das sie bereits ereilt hat. Es liegt genug historische Wahrheit in dem hier gezeichneten Bild, dass dieses Verfahren gerechtfertigt erscheint.

Bevor wir diese Einleitung beschließen, ist es vielleicht angebracht, noch ein Wort über eine wichtige Gestalt dieser Legende zu sagen, die auch in zwei anderen Erzählungen desselben Verfassers eine besondere Rolle spielt. Indem er das Bild eines Mannes entwirft, der als Kundschafter auftritt in dem Krieg, in dem England und Frankreich um den Besitz des amerikanischen Kontinents kämpften, als Jäger in jener geschäftigen Zeit, die so unmittelbar auf den Frieden von 1783 folgte, und als einsamer Fallensteller in der Prärie, nachdem durch den Beschluss der Republik jene endlosen Weiten den halbwilden Glücksuchern geöffnet worden waren, die sich zwischen Gesellschaft und Wildnis bewegen, bringt er einen poetischen Zeugen für die Wahrhaftigkeit jener wunderbaren Veränderungen bei, durch die sich die Entwicklung der amerikanischen Nation in bisher einzigartigem Maße auszeichnet und die Hunderte in diesem Land gleicherweise bezeugen können. In diesem Punkt kommt der Dichtung nicht der Wert einer Erfindung zu.

Über jene Gestalt hat der Verfasser nichts weiter zu sagen, als dass es sich um einen Mann handelt, der von Natur aus gut ist, der fern von den Versuchungen des zivilisierten Lebens lebt, wenn er auch dessen Vorurteile und Lehren nicht ganz vergessen hat, der dem Einfluss barbarischer Sitten ausgesetzt ist, dabei jedoch durch die Verbindung eher gewonnen als Schaden genommen hat und der die Schwächen und die Stärken, die seine Lebensweise und seine Herkunft erwarten lassen, in sich vereint. Es hätte der wirklichen Welt vielleicht eher entsprochen, ihn als weniger moralisch erhaben darzustellen, aber das wäre auch weiniger reizvoll gewesen; und wer ein literarisches Werk schreibt, sollte doch der Poesie so nahe kommen, wie es seine Fähigkeiten erlauben. Nach diesem Bekenntnis brauchen wir wohl kaum noch zu sagen, dass die Erfindung und Ausgestaltung dieser phantastischen Figur wenig mit irgendeinem individuellen Charakter zu tun hatten. Der Verfasser glaubte der Wahrheit genug geopfert zu haben, indem er die Sprache und die dramatischen Proportionen bewahrte, die für die Rolle erforderlich sind.

Was die Tatsachen betrifft, so hat sich der Schauplatz der nachfolgenden Geschichte seit den historischen Ereignissen, auf die sie sich bezieht, so wenig verändert wie fast jedes andere Gebiet von dieser Größe in den ganzen Vereinigten Staaten. An der Quelle, an der Falkenauge haltmachte, um von ihrem Wasser zu trinken, und in ihrer Umgebung sind elegante und vielbesuchte Kurorte entstanden, und durch die Wälder, die er und seine Freunde ohne auch nur einen Pfad durchqueren mussten, führen heute Straßen. An den Glenschen Wasserfällen befindet sich jetzt ein großes Dorf; und während von William Henry und selbst einer Festung aus jüngerer Zeit nur mehr Ruinen geblieben sind, ist am Ufer des Horican eine weitere Ortschaft entstanden. Ansonsten jedoch haben der Unternehmungsgeist und die Tatkraft eines Volkes, das andernorts so viel erreicht hat, hier nur wenig bewirkt. Der ganze wilde Landstrich, in dem sich der letzte Teil der Legende zugetragen hat, ist immer noch weitgehend Wildnis, auch wenn dort kein roter Mann mehr lebt. Von all den Stämmen, die in diesem Buch genannt werden, sind nur noch ein paar halb zivilisierte Oneidas in den Reservaten ihres Volkes im Staat New York übrig. Die anderen sind entweder aus den Gegenden, in denen ihre Väter lebten, oder ganz von der Erde verschwunden.

[1850]

Zu einem Punkt würden wir, ehe wir diese Vorrede beschließen, gern noch ein Wort sagen. Falkenauge nennt den Lac du Saint Sacrement den »Horican«. Da uns dies eine Verwendung des Namens zu sein scheint, die auf uns selbst zurückgeht, ist es vielleicht an der Zeit, dass wir dies offen eingestehen. Als wir dieses Buch vor einem Vierteljahrhundert schrieben, kam uns der französische Name des Sees allzu umständlich vor, der amerikanische zu gewöhnlich und der indianische zu unaussprechbar, als dass einer von ihnen in einem literarischen Werk ungezwungen hätte gebraucht werden können. Beim Studieren einer alten Karte stellten wir fest, dass es in der Nähe dieses schönen Gewässers einen Indianerstamm gab, den die Franzosen »Les Horicans« nannten. Da man nicht jedes Wort, das Natty Bumppo von sich gibt, als lautere Wahrheit ansehen sollte, haben wir uns erlaubt, ihm statt »Lake George« den Namen »Horican« in den Mund zu legen. Wie es scheint, hat dieser Gefallen gefunden, und letztendlich ist es vielleicht gar nicht so falsch, ihn beizubehalten, anstatt zum Haus Hannover zurückzugehen um einen Namen für unser schönstes Gewässer zu finden. Wir haben jedenfalls durch dieses Geständnis unser Gewissen erleichtert – und überlassen es ihm, seinen Einfluss geltend zu machen, wenn es dies für angebracht hält.

 

Anmerkungen

1. Kapitel

Mein Ohr ist offen, und mein Herz bereit:

Du kannst nur weltlichen Verlust mir melden.

Sag, ist mein Reich hin?

 

König Richard der Zweite, III, 2

 

Es war eine Besonderheit der Kolonialkriege in Nordamerika, dass, ehe die feindlichen Heere aufeinandertreffen konnten, es den Widrigkeiten und Gefahren der Wildnis zu trotzen galt. Ein breiter und, wie es schien, ein undurchdringlicher Gürtel aus Wald trennte die Besitzungen der verfeindeten Kolonien Frankreichs und Englands. Der abgehärtete Siedler und der wohlausgebildete Europäer, der an seiner Seite focht, brachten oft Monate damit zu, mit Stromschnellen zu ringen oder schroffe Bergpässe zu überqueren, um endlich ihren Mut in einem kriegerischeren Kampf beweisen zu können. Doch indem sie sich die Selbstverleugnung und Geduld der erfahrenen eingeborenen Krieger zum Vorbild nahmen, lernten sie jede Schwierigkeit zu überwinden; und mit der Zeit schien es, als wäre kein Winkel der Wälder so dunkel und kein verschwiegener Ort so schön, dass er hätte hoffen können, dem Vordringen jener zu entgehen, die bei ihrem Blut geschworen hatten, ihr Verlangen nach Rache zu stillen oder die kalte, selbstsüchtige Politik der fernen europäischen Monarchen durchzusetzen.

Vielleicht liefert kein Gebiet in dem ganzen weiten Grenzstrich ein lebendigeres Bild von der Grausamkeit und Wut der barbarischen Kämpfe jener Zeit als das Land, das zwischen dem Oberlauf des Hudson und den benachbarten Seen liegt.

Die Vorteile, die die Natur dort für das Vorrücken der Truppen bot, waren zu offenkundig, um ungenutzt zu bleiben. Die langgestreckte Wasserfläche des Champlain reichte von den Grenzen Kanadas bis tief in die benachbarte Kolonie New York und bildete somit einen natürlichen Verbindungsweg über die Hälfte der Distanz, welche die Franzosen überwinden mussten, wollten sie ihre Feinde schlagen. An seinem südlichen Ende wurde er durch einen anderen See gespeist, dessen Wasser so klar war, dass es von den jesuitischen Missionaren als das einzig taugliche für die symbolische Reinigung der Taufe erkoren wurde und dem See zu dem Titel »du Saint Sacrement« verhalf. Die weniger glaubenseifrigen Engländer meinten dem reinen Gewässer Ehre genug zu erweisen, indem sie ihm den Namen ihres regierenden Monarchen verliehen, des zweiten aus dem Hause Hannover. Und beide taten sich zusammen, um den unverbildeten Besitzern dieses Waldlandes ihr angestammtes Recht zu rauben, der Nachwelt seinen ursprünglichen Namen »Horican« zu hinterlassen.

Sich zwischen unzähligen Inseln dahinschlängelnd und eingebettet in Berge, erstreckte sich der »heilige See« noch zwölf Stunden weiter nach Süden. Mit der Hochebene, die dort dem weiteren Vordringen des Wassers Einhalt gebot, begann ein Tragplatz von einem Dutzend Meilen Länge, der den Abenteurer an das Ufer des Hudson führte, an einem Punkt, wo der Fluss, mit der üblichen Behinderung durch die Stromschnellen – oder rifts, wie sie in der Sprache des Landes damals hießen –, bei Flut schiffbar wurde.

Wenn der rastlose Unternehmungsgeist der Franzosen sie sich bei ihren kühnen Versuchen, den Feind zu plagen, selbst in die fernen, schwierigen Schluchten der Alleghenies wagen ließ, so ist leicht vorstellbar, dass ihrem sprichwörtlichen Scharfsinn die natürlichen Vorteile des eben beschriebenen Landstriches nicht entgingen. Er wurde zu der wahrhaft blutigen Arena, in der die meisten Schlachten um die Kolonien ausgetragen wurden. An den Punkten, von denen aus sich die Strecke kontrollieren ließ, wurden Forts errichtet und, je nachdem, wem der Sieg gerade zuflog, erobert und wiedererobert, geschleift und wiederaufgebaut. Während der Bauer vor den gefährlichen Pässen zurückschreckte und in den vergleichsweise sicheren Grenzen der älteren Niederlassungen blieb, sah man Heere, größer als jene, die in den Mutterländern so manchen Herrscher gestürzt hatten, in diesen Wäldern verschwinden, aus denen sie selten anders hervorkamen als in ausgebluteten Gruppen, abgehärmt vor Sorge oder völlig verzagt nach einer Niederlage. Waren die Künste des Friedens in dieser unseligen Gegend auch unbekannt, so wimmelte es dort in den Wäldern doch von Menschen, die Täler und Lichtungen waren von militärischen Klängen erfüllt, und die Berge warfen das Lachen oder den ausgelassenen Ruf manches unbekümmerten jungen Helden zurück, der auf dem Höhepunkt seiner Lebenskraft an ihren Hängen dahineilte, einer langen, erinnerungslosen Nacht entgegen.

An diesem Ort des Kampfes und des Blutvergießens trugen sich die Begebenheiten zu, die zu erzählen wir versuchen wollen, und zwar im dritten Jahr des Krieges, den England und Frankreich zuletzt um den Besitz eines Landes geführt haben, das auf Dauer zu halten keinem von beiden bestimmt war.

Die Unfähigkeit seiner Heerführer in der Fremde und der verhängnisvolle Mangel an Energie in den Räten im Lande selbst hatten Großbritannien aus der stolzen Höhe herabgeholt, in die es durch die Talente und den Unternehmungsgeist seiner früheren Krieger und Staatsmänner gehoben worden war. Von seinen Feinden nicht mehr gefürchtet, verloren seine Diener bald jene Zuversicht, die aus der Selbstachtung erwächst. Natürlich waren auch die Kolonisten, obwohl sie für die Unfähigkeit der Briten nichts konnten und ihr niedriger Rang jeden Anteil an deren Fehlern ausschloss, von jenem demütigenden Verlust an Würde betroffen. Erst kürzlich hatten sie erlebt, wie ein erlesenes Heer aus jenem Land, das sie wie eine Mutter verehrt und in blindem Vertrauen für unbesiegbar gehalten hatten – ein Heer mit einem Führer, der wegen seiner ungewöhnlichen militärischen Begabung aus einer Schar geschulter Krieger ausgewählt worden war –, von einer Handvoll Franzosen und Indianer schändlich in die Flucht geschlagen und vor der völligen Auslöschung einzig durch die Besonnenheit und den Mut eines Jungen aus Virginia bewahrt worden war, dessen Ruhm seither gereift und mit der steten Wirkungskraft, die jede moralische Wahrheit besitzt, bis an die äußersten Grenzen der Christenheit gedrungen ist. Durch diese unerwartete Katastrophe lag nun die Grenze auf weiter Strecke bloß, und einem greifbareren Unheil gingen Tausende phantastische, eingebildete Gefahren voraus. In jedem plötzlichen Windbraus, der aus den endlosen Wäldern des Westens kam, glaubten die verängstigten Kolonisten die Schreie der Wilden zu hören. Der furchterregende Charakter ihrer erbarmungslosen Feinde ließ die natürlichen Schrecken des Krieges ins Unermessliche wachsen. Die zahllosen Massaker der jüngsten Zeit waren allen noch in lebhafter Erinnerung; und kein Ohr war hier so taub, dass es nicht begierig dem Erzähler irgendeiner schaurigen Geschichte von mitternächtlichen Morden gelauscht hätte, in der die Ureinwohner dieser Wälder die barbarischen Hauptpersonen waren. Wenn der leichtgläubige, aufgeregte Reisende von den unwägbaren Gefahren der Wildnis erzählte, gefror dem Furchtsamen das Blut in den Adern, und Mütter blickten selbst dann besorgt zu ihren Kindern hin, wenn sie im Schutz einer der größten Ortschaften schlummerten. Kurz, die aufblähende Wirkung der Angst ließ allmählich alle Verstandesurteile wertlos werden und jene, die sich auf ihre Männlichkeit hätten besinnen sollen, zu Sklaven der niedersten aller Leidenschaften. Selbst die Zuversichtlichsten und Beherztesten begannen am guten Ausgang des Kampfes zu zweifeln; und von Stunde zu Stunde wuchs die Zahl jener Kleinmütigen, die schon alle Besitzungen der englischen Krone in Amerika in der Gewalt ihrer christlichen Feinde oder durch deren gnadenlose Verbündete völlig verwüstet sahen.

Als daher in dem Fort, das über das südliche Ende des Tragplatzes zwischen dem Hudson und den Seen wachte, die Nachricht eintraf, Montcalm ziehe mit einem Heer, »so zahlreich wie die Blätter an den Bäumen«, über den Champlain heran, wurde sie eher mit dem feigen Widerwillen der Ängstlichen als mit der trotzenden Freude für wahr befunden, die ein Krieger empfinden sollte, wenn ein Feind in die Reichweite seiner Waffen gelangt. Die Nachricht war an einem Hochsommerabend von einem indianischen Läufer überbracht worden, zusammen mit einer dringenden Bitte von Munro, dem Kommandanten eines Befestigungswerks am Ufer des »heiligen Sees«, um rasche und massive Verstärkung. Es wurde bereits erwähnt, dass diese beiden Stellungen keine fünfzehn Meilen voneinander entfernt lagen. Der holprige Pfad, der sie ursprünglich verbunden hatte, war zu einem Fahrweg verbreitert worden, so dass die Strecke, die der Sohn des Waldes binnen zwei Stunden zurückgelegt hatte, für eine Heeresabteilung mit dem nötigen Tross ohne Weiteres an einem Sommertag zu bewältigen war. Die treuen Untertanen der britischen Krone hatten die eine dieser Waldfesten William Henry und die andere Fort Edward getauft, sie also nach beliebten Prinzen aus der Königsfamilie benannt. Die Erstere hielt der soeben erwähnte kampferprobte Schotte mit einem Regiment regulärer Truppen und einer Anzahl Kolonisten, eine Besatzung, die wahrhaftig zu schwach war, um der furchteinflößenden Streitmacht zu trotzen, mit der Montcalm sich seinen Erdwällen näherte. In der Letzteren dagegen lag General Webb, der Befehlshaber der königlichen Heere in den nördlichen Kolonien, mit mehr als fünftausend Mann. Durch einen Zusammenschluss aller ihm unterstellten Abteilungen hätte dieser Offizier fast die doppelte Anzahl von Männern gegen den kühnen Franzosen aufbieten können, der sich mit einem kaum größeren Heer so weit von seinen Reserven fortgewagt hatte.

Allein nach ihren jüngsten Misserfolgen schienen es die Offiziere wie auch die Soldaten vorzuziehen, in ihren Werken auf das Anrücken ihrer furchterregenden Gegner zu warten, anstatt ihren Vormarsch aufzuhalten, indem sie den geglückten Schachzug der Franzosen bei Fort Duquesne nachahmten und sie noch auf dem Marsch attackierten.

Als sich die erste Bestürzung über die Nachricht ein wenig gelegt hatte, verbreitete sich in dem befestigten Lager, das längs des Hudson eine Kette von Außenwerken zu dem Fort selbst bildete, das Gerücht, eine spezielle Abteilung von fünfzehnhundert Mann solle im Morgengrauen zum Fort William Henry aufbrechen, der Stellung am nördlichen Ende des Tragplatzes. Was anfangs nur ein Gerücht war, wurde rasch zur Gewissheit, denn die einzelnen Korps, die vom Kommandanten hierfür ausgewählt worden waren, erhielten aus seinem Quartier den Befehl, sich zum baldigen Abmarsch bereitzumachen. Nun waren alle Zweifel über Webbs Absicht zerstreut, und in den folgenden ein bis zwei Stunden bestimmten eilige Schritte und besorgte Gesichter das Bild. Der Neuling in der Kriegskunst hastete von einem Ort zum andern und stand sich mit seinem zu großen, ein wenig irren Eifer bei den Vorbereitungen selbst im Weg; indes sich der erfahrene Soldat mit einer Bedächtigkeit rüstete, die über jeden Anschein von Eile erhaben war; doch seine nüchternen Züge und sein besorgter Blick verrieten deutlich genug, dass für den Mann von Fach die noch unbekannte, gefürchtete Art, wie in der Wildnis gekämpft wurde, keinen großen Reiz besaß. Endlich sank die Sonne in einem Meer von Glanz hinter die fernen Hügel im Westen, und als die Dunkelheit ihren Schleier über den abgeschiedenen Ort breitete, klangen die Geräusche der Vorbereitungen allmählich ab; schließlich erlosch auch das letzte Licht im Blockhaus irgendeines Offiziers; die Bäume warfen ihre dunkleren Schatten über die Wälle und den sich kräuselnden Fluss, und bald war das Lager von einer ebenso tiefen Stille erfüllt wie die endlosen Wälder ringsum.

Als der Tag gerade begann, die struppigen Umrisse einiger hoher Kiefern östlich des Lagers in das erste sanfte Lichtblau eines klaren Himmels zu zeichnen, riss, den Befehlen des vorigen Abends gemäß, das Grollen der Trommeln, deren rasselndes Echo in der feuchten Morgenluft aus jedem Winkel des Waldes zurückklang, das Heer aus dumpfem Schlaf. Im nächsten Augenblick war das ganze Lager in Bewegung; denn noch der niederste Soldat sprang von seiner Schlafstätte auf, um den Abmarsch seiner Kameraden zu erleben und an der Aufregung und den Ereignissen des Morgens teilzuhaben. Die Erwählten hatten sich bald in einer schlichten Ordnung aufgestellt. Während die ausgebildeten Söldner des Königs mit überlegener Würde auf die rechte Seite der Linie marschierten, nahmen die weniger dünkelhaften Kolonisten mit einer Fügsamkeit, die ihnen durch lange Gewöhnung leicht geworden war, ihren bescheideneren Platz zur Linken ein. Die Kundschafter brachen auf; vor und hinter den rumpelnden Packwagen ritten starke Wachen; und ehe die Strahlen der Sonne dem grauen Morgenlicht seine Kälte nahmen, schwenkte das Korps in eine Kolonne und zog aus dem Lager hinaus, eine militärische Haltung zur Schau tragend, die so manchem Neuling, der vor seiner ersten Erprobung im Kampf stand, die in ihm schlummernden Ängste ersticken half. Während die Kameraden ihnen voller Bewunderung nachsahen, behielten sie dieses stolze Gebaren und die Ordnung bei, bis der Klang ihrer Querpfeifen in der Ferne verhallte und der Wald die lebende Masse, die langsam in sein Inneres eingedrungen war, zu verschlucken schien.

Schließlich drangen auch die tiefsten Klänge von der sich unsichtbar entfernenden Kolonne nicht mehr bis zu den Lauschenden, und der letzte Nachzügler war verschwunden, doch es gab noch Zeichen eines anderen Aufbruchs bei einem ungewöhnlich großen und komfortablen Blockhaus, vor dem jene Wachen auf und ab gingen, die man als Leibgarde des englischen Generals kannte. Hier standen etwa ein halbes Dutzend Pferde, zwei davon mit prächtigen Sätteln, die zeigten, dass sie für Frauen eines Standes bestimmt waren, wie man sie so tief in der Wildnis nur selten sah. Ein drittes trug Schabracke und Waffen eines Stabsoffiziers; während die übrigen, nach der Schlichtheit der Decken und den Taschen zu urteilen, mit denen sie beladen waren, offenbar Bediente tragen sollten, die schon auf die Anweisungen ihrer Herrschaft zu warten schienen. In respektvollem Abstand zu diesem ungewöhnlichen Schauspiel standen mehrere Gruppen neugieriger Müßiggänger, von denen einige Rasse und Wuchs des feurigen Kavalleriepferdes bewunderten, während andere die Vorbereitungen mit dem dumpfen Staunen gemeiner Neugier verfolgten. Unter diesen jedoch stach ein Mann durch seinen Ausdruck und sein Betragen deutlich hervor, da er weder müßig war, noch, wie es schien, völlig ungebildet.

Dieser Mensch war in höchstem Maße ungestalt, ohne recht eigentlich missgebildet zu sein. Er besaß all die Knochen und Gelenke, die andere Männer haben, jedoch ohne deren Proportionen. Im Stehen überragte er alle seine Mitmenschen, während er im Sitzen auf das übliche Format unserer Art reduziert schien. Ein solcher Widerspruch schien in dem ganzen Mann zu walten. Sein Kopf war groß; die Schultern waren schmal; die Arme lang und schlaksig; die Hände wiederum klein, wenn nicht zart. Seine Beine und Oberschenkel waren fast knochendürr, aber außergewöhnlich lang; und seine Knie hätten gewaltig gewirkt, wären sie nicht übertroffen worden von den noch breiteren Sockeln, auf denen dieser verquere Bau aus verschiedenen Menschenstilen so profan errichtet worden war. Sein zusammengewürfelter, unpassender Anzug unterstrich nur noch seine Unförmigkeit. Ein himmelblauer Rock mit kurzen, breiten Schößen und kragenlosem Umhang setzte den langen dünnen Hals und noch längere und dünnere Beine den vernichtenden Bemerkungen böswilliger Menschen aus. Seine Beinkleider waren aus gelbem Nanking, eng anliegend und an den klotzigen Knien mit dicken Knoten aus weißen, nicht mehr sehr sauberen Bändern geschnürt. Geflammte Baumwollstrümpfe und Schuhe, von denen der eine einen versilberten Sporn trug, vervollständigten die Tracht der unteren Hälfte dieser Gestalt, deren Kurven und Kanten nirgends verdeckt, vielmehr dank der Eitelkeit oder der Einfalt ihres Besitzers sorgsam herausgestellt waren. Unter der Klappe einer monströsen Tasche in einer schmierigen Weste aus gaufrierter Seide, die überreich verziert war mit verblichener Silbertresse, ragte ein Instrument hervor, das in solch kriegerischer Umgebung leicht für eine tückische, unbekannte Waffe hätte gehalten werden können. Unscheinbar, wie es war, hatte dieses ungewöhnliche Gerät doch die Neugier der meisten Europäer im Lager erregt, indes man mehrere Männer aus den Kolonien es nicht etwa nur ohne Furcht, sondern mit größter Selbstverständlichkeit in die Hand nehmen sah. Ein großer ziviler Dreispitz, wie ihn die Geistlichen seit dreißig Jahren trugen, bildete den krönenden Abschluss, der einem gutmütigen, ein wenig leeren Gesicht einige Würde verlieh, das augenscheinlich solch künstlicher Unterstützung bedurfte, um der Schwere irgendeiner höheren, seltenen Verantwortung gerecht zu werden.

Während die Menge in respektvoller Entfernung zu Webbs Quartier verharrte, stolzierte der eben beschriebene Herr mitten zwischen die Bedienten und ließ sich freimütig kritisch oder lobend über die Pferde aus, je nachdem, ob sie nun seinen Vorstellungen entsprachen oder nicht.

»Dieses Tier, Freund, scheint mir doch kaum aus hiesiger Zucht zu stammen, sondern eher aus einem fremden Land oder vielleicht gar von der kleinen Insel selbst, jenseits des blauen Ozeans?«, sagte er mit einer Stimme, die in ihrer Sanftheit und Süße so bemerkenswert war wie sein Leib in seinen ungewöhnlichen Proportionen. »Ich darf von diesen Dingen wohl reden, ohne ein Prahlhans zu sein, denn ich war schon in beiden Häfen, jenem, der an der Mündung der Themse liegt und nach der Hauptstadt von Altengland heißt, und jenem, der sich ›Hafen‹ nennt, unter Beifügung des Wortes ›neu‹, und habe dort die Schnauen und Briggs ihre Herden einsammeln sehen wie dazumal die Arche, ehe sie Kurs auf Jamaika nahmen, zum Zwecke des Handels und Tauschhandels mit vierbeinigen Tieren; noch nie jedoch habe ich ein Tier erblickt, das ein solches Zeugnis war für das Schlachtross in der Heiligen Schrift. ›Es stampft auf den Boden und ist freudig mit Kraft und zieht aus, den Geharnischten entgegen.‹ ›Sooft die Drommete klingt, spricht es: »Hui« und wittert den Streit von Ferne, das Schreien der Fürsten und Jauchzen.‹ Es scheint, der Stamm des Rosses von Israel hat bis in unsere Zeit überlebt; meint Ihr nicht auch, mein Freund?«

Da er keine Antwort erhielt auf diese erstaunliche Rede, die, mit der Wirkungskraft einer vollen, wohltönenden Stimme vorgetragen, doch wahrlich eine Reaktion verdiente, wandte der, der jene biblischen Worte hinausgeschmettert hatte, sich um zu der schweigenden Gestalt, zu der er völlig ahnungslos gesprochen hatte, und fand in dem, was er erblickte, einen neuen, eindrucksvolleren Gegenstand der Bewunderung. Sein Blick fiel auf die stumme, aufrechte und starre Gestalt des »indianischen Läufers«, der am Abend zuvor die unwillkommene Nachricht überbracht hatte. Obgleich er vollkommen ruhig wirkte und die Aufregung und Geschäftigkeit um ihn her mit indianischem Stoizismus zu ignorieren schien, lag in der Ruhe des Wilden doch eine düstere Grimmigkeit, die wohl auch sehr viel erfahrenere Augen bei ihm hätte verharren lassen als die, die ihn jetzt voll unverhohlener Verwunderung musterten. Der Eingeborene trug den Tomahawk und das Messer seines Stammes, und doch sah er nicht wirklich wie ein Krieger aus. Im Gegenteil: Aus seinem Äußeren sprach eine gewisse Vernachlässigung, wie kurz nach einer großen Anstrengung, nach der er noch nicht Muße gefunden hatte, sich wieder herzurichten. Die Farben der Kriegsbemalung auf seinem grimmigen Antlitz hatten sich zu einem finsteren Gemenge vermischt und machten seine dunklen Züge noch wilder und abstoßender, als wenn die Kunst versucht hätte zu erreichen, was hier durch Zufall entstanden war. Zu sehen waren, in ihrer natürlichen Wildheit, allein seine Augen, die funkelten wie flammende Sterne zwischen sich auftürmenden Wolken. Für einen kurzen Moment begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem staunenden Auge des anderen, dann wandte er sich, teils voller Schläue, teils voll Verachtung, ab und wurde starr, als wolle er die Luft in der Ferne durchdringen.

Es lässt sich nicht sagen, welche unverlangte Bemerkung dieser kurze, wortlose Austausch zwischen zwei so besonderen Männern dem Weißen vielleicht noch entlockt hätte, wäre seine lebhafte Neugier nicht wieder abgelenkt worden. Eine allgemeine Unruhe unter den Bedienten und der leise Klang zarter Stimmen kündigten das Erscheinen derer an, deren Anwesenheit es zum Aufbruch allein noch bedurfte. Der naive Bewunderer des Schlachtrosses ging augenblicklich zurück zu einer kleinen, hageren, mit dem Schweif schlagenden Stute, die nebenbei nichtsahnend das fahle Gras des Lagers fraß, von wo er, den Ellenbogen auf die Decke gestützt, die ein sattelähnliches Etwas verbarg, den Aufbruch als Zuschauer verfolgte, während auf der anderen Seite des Tieres ein Fohlen still seine Morgenmahlzeit einnahm.

Zwei Damen, die, wie ihre Kleidung verriet, die Strapazen einer Reise durch die Wälder auf sich nehmen wollten, wurden von einem jungen Mann in Offizierskluft zu ihren Pferden geführt. Die eine – und dem Aussehen nach war sie die Jüngere, wenngleich beide noch jung waren – ließ es zu, dass man einen Blick auf ihre strahlende Haut, ihr goldenes Haar und ihre leuchtend blauen Augen erhaschte, indem sie der Morgenluft arglos erlaubte, den grünen Schleier beiseitezuwehen, der von ihrem Biberhut bis weit unters Kinn herabhing. Der rosige Hauch auf ihren Wangen war nicht weniger licht und zart als die Röte, die über den Kiefern im Westen noch über dem Himmel lag; und das beseelte Lächeln, das sie dem jungen Mann schenkte, der ihr in den Sattel half, weckte so frischen Mut wie der neue Tag. Die andere, die der junge Offizier nicht minder aufmerksam zu behandeln schien, verbarg ihre Reize vor den Augen der Soldaten mit einer Sorgfalt, die wohl der Erfahrung von vier oder fünf zusätzlichen Lebensjahren entsprach. Man konnte jedoch erkennen, dass ihre Gestalt, obschon von ebenso edlen Proportionen, denen ihr Reisekleid nichts von ihrer Anmut nahm, voller und reifer war als diejenige ihrer Gefährtin.

Kaum saßen die Damen im Sattel, schwang ihr Begleiter sich gewandt auf das Schlachtross, und alle drei verbeugten sich gegen Webb, der in der Tür seines Blockhauses höflich ihren Aufbruch abwartete, und ihre Pferde zur Seite wendend, ritten sie, von ihren Bedienten gefolgt, in einem langsamen Pass zum nördlichen Eingang des Lagers. Auf diesem kurzen Stück Weges sprach keiner von ihnen ein Wort; aber der jüngeren der Damen entfuhr ein leiser Aufschrei, als der indianische Läufer unversehens an ihr vorbeiglitt und ihnen die Heerstraße entlang voranging. Entlockte dieses plötzliche Erscheinen des Indianers der anderen auch keinen Ton, so ließ sie es in ihrer Überraschung doch zu, dass sich auch ihr Schleier öffnete und man den unbeschreiblichen Ausdruck von Mitleid, Bewunderung und Entsetzen sah, mit dem ihre dunklen Augen den geschmeidigen Bewegungen des Wilden folgten. Die Locken dieser Dame waren glänzend und schwarz, wie das Gefieder von Raben. Ihre Haut war zwar nicht braun, schien jedoch gesättigt mit der Farbe von Blut, das seine Bahnen zu sprengen drohte. Und doch sah man nichts Grobes, fehlte es nicht an Schattierungen in diesem Gesicht, das wunderbar ebenmäßig und voller Würde war und über die Maßen schön. Sie lächelte, gleichsam voller Mitgefühl, über ihre flüchtige Nachlässigkeit und entblößte dabei eine Reihe Zähne, neben denen kein noch so reines Elfenbein hätte bestehen können; worauf sie, den Schleier zurechtziehend, den Kopf senkte und schweigend weiterritt, wie jemand, der in Gedanken nicht mehr bei dem weilte, was ihn umgab.

 

Anmerkungen