Monika Buttler

Atme oder stirb!

Geschichte einer Lebenskrise

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

„Sie haben Asthma“

Aspirin: Stoff für einen Krimi

Ein Anthroposoph und ein Homöopath

Akupunktur: halbnackt vor Studenten

Der fernöstliche Wundersaft

„Armes Menschenkind“

Operation an den Nebenhöhlen

Auf dem Psycho-Gleis

Mit Hypnose alles wegzaubern?

In den Fängen der Schulmedizin

Gesund werden mit Furtwängler?

Davos: Einzug in den Zauberberg

Beinbruch und Operation

Zwei Leiden sind zuviel

Neue Heilungsversprechen

Ich falle ins Koma

Rückkehr ins Leben

Eurhythmie: mit Lauten Spannung lösen

Endlich gesund durch das eigene Blut?

Noch einmal: Heilen mit Hypnose?

50 Jahre – der letzte Versuch

Italienurlaub mit Narbenproblemen

Stella: Warum andere Asthma haben

Rückfall und Gesangsunterricht

Steht mein Asthma in den Sternen?

Die traurige Geschichte des Heilpraktikers

Ein allzu plötzlicher Tod

Nun wird es auch noch kriminell

Die krankenscheingierige Ärztin

Chinesische Drogen beim Naturmediziner

Psychotherapie: Aggressionen wegjoggen

Nach 16 Jahren – die Kündigung

Zweite Beinoperation

Jetzt ist es amtlich: Ich bin behindert

Engel-Kärtchen zum Durchhalten

Besuch bei einer Wahrsagerin

Auraskopie – ist das die Lösung?

Biologische Medizin – der richtige Weg?

Eine schicksalhafte Begegnung

Montegrotto: Ich lerne wieder leben

Eklat beim Lungenfacharzt

Lahnhöhe: Der Mensch ist, was er isst

Grünkernsuppe in der Versuchsküche

Der Naturheiler auf dem Lande

Unfassbar: Endlich wirkt eine Therapie

Energiestark durch Suggestionen

Epilog

Impressum

„Sie haben Asthma“

Frau Dr. von Schacht wird langsam ungehalten. „Also, Kindchen, ich sagte es doch schon: Die Krankheit ist nicht heilbar. Es hat gar keinen Zweck, dass Sie jetzt von Arzt zu Arzt laufen. Sie holen sich einmal im Monat Ihr Rezept bei mir, und dann können Sie mit den Medikamenten ganz ordentlich leben.“

Diese Szene spielte sich 1987 in der Praxis einer Lungenfachärztin ab, und sie sollte sich im Laufe meiner siebenjährigen Leidensgeschichte noch öfter wiederholen, soweit es Besuche bei Schulmedizinern betraf.

Alles hatte im Herbst 1985 ganz banal mit einem Schnupfen angefangen: Niesen, Erkältung, trockener Reizhusten.

10. November 1985

Ich begebe mich zu Dr. Paulsen, einem renommierten HNO-Arzt, und erhalte die Diagnose: „Verschattung der Nebenhöhlen“. Sinusitis, sagt er, ein Wort, das ich noch nie gehört habe. Dr. Paulsen setzt sofort alles ein, um diesen unangenehmen Zustand zu beenden: Naseninhalation, Mikrowelle, pflanzliche Mittel. Aber von Mal zu Mal komme ich in schlechterer Verfassung in seine Praxis. Etwas hat sich an meiner Atmung verändert.

„Das ist eine spastische Bronchitis“, stellt Dr. Paulsen fest, als er meine keuchenden Geräusche hört. Kommentar beim nächsten Mal: „Das ist schon eine Vorstufe zum Asthma.“ Und bei einem weiteren Besuch: „Sie haben Asthma. Sie müssen von einem Facharzt behandelt werden.“

Man kann nicht sagen, dass in diesem Moment die Welt für mich einstürzte. Asthma? Das klingt irgendwie armselig, es klingt nach Lebensschwäche, und ich erinnere mich an ein Klassenfoto: Annette, ein zartes, liebes Mädchen mit gewaltigem Rundrücken. Mit sechzehn Jahren war sie an Asthma gestorben. Ich finde die Diagnose unerfreulich, aber nicht niederschmetternd, weiß ich doch naturgemäß nicht, was mich alles in den nächsten sieben Jahren erwartet: dass die Krankheit alle vierundzwanzig Stunden bei mir sein wird, dass ich Ewigkeiten der Todesangst durchleben werde, dass ich nirgendwo mehr werde hingehen können und dass ich eines Tages im Koma liegen werde.

 

Der unerklärliche „Etagenwechsel“ von der Nase zu den Bronchien ist weitergegangen, und es kommt zu jenem traumatischen Schockerlebnis, das sich für immer mit Angst, Entsetzen und Fassungslosigkeit in das Gedächtnis prägt: Ich erleide meinen ersten Asthmaanfall.

31. Dezember 1985

Es fängt mit einem zwanghaften Reizhusten an, begleitet von zähem Schleim, der sich nicht lösen will. Schweißnass und mit rotem Kopf versuche ich auszuatmen; doch die Luftwege werden enger und enger, machen rasselnde Pfeifgeräusche, so dass ich in Panik Mengen an Luft schlucke, ohne sie wieder abgeben zu können. Mein Mann, der mich mit hochgezogenen Schultern über dem Tisch hängen sieht, schaltet sofort und bringt mich in die Krankenhaus-Ambulanz.

Auf einem Bett sitzend, inzwischen sprachlos, trinke ich eine Lösung aus einem Becher. Wann hört es auf? Wann hört es auf? denke ich, und schließlich kann ich diese Worte auch über die Lippen bringen. „Es dauert nicht mehr lange“, sagt der Arzt. Mein Mann wiederholt die Worte und hält meine Hand.

Man lässt mich gleich dableiben. Die Universitätsklinik in Hamburg: mein erster Aufenthalt als Asthmakranke. Noch weiß ich nicht, dass ich in sieben Jahren achtmal im Krankenhaus sein werde. Es ist die Silvesternacht, das Jahr 1986 wird eingeläutet, und ich hoffe, bald wieder gesund zu sein. Die beiden alten Mitpatientinnen und ich sehen durch ein schmales Fenster einen kleinen Ausschnitt des Feuerwerkhimmmels, und die über 70-jährige weint, weil ihre Eltern sie als Kind weggegeben haben. Ich fühle mich nach einer Antibiotika-Behandlung aufgebaut und werde entlassen, „eine 46-jährige Patientin in gutem Ernährungs- und Allgemeinzustand.“

6. Januar 1986

Die Wirkung der Antibiotika ist bald verpufft, und ich bin wieder in das alte Elend zurückgefallen: Tag und Nacht sind die Bronchien verengt und geben Geräusche von sich. Die Behandlung hat mein Hausarzt um die Ecke, Dr. Brockmann, übernommen. Er weiht mich in die Grundlagen der Asthma-Therapie ein und zeigt mir, wie man ein Dosier-Aerosol benutzt. Es ist ein kleines Gerät, ein Taschenspray, mit dem man sich per Druck ein bronchialerweiterndes Mittel in den Rachen sprüht. Dazu verschreibt er ein Medikament mit dem Wirkstoff Theophyllin, das ebenfalls die Bronchien erweitert. Ich denke, dass ich mit diesen gezielten Maßnahmen nun bald gesund werde.

Davon kann aber keine Rede sein. Ich sitze wieder einmal bei Dr. Brockmann im Wartezimmer. Meine Geräusche erfüllen den ganzen Raum, ich ringe nach Luft, bin entnervt, und mir laufen die Tränen übers Gesicht. Erschrocken rufen die Patienten den Arzt und lassen mich vor. Dr. Brockmann gibt mir eine Spritze. „Was ist das bloß für eine Krankheit?“, frage ich ihn, als der Krampf sich gelöst hat. „Es ist eine überschießende Reaktion“, sagt Dr. Brockmann. Bei dieser „Erklärung“ lässt er es bewenden und verabschiedet mich, mit beiden Händen meine Hand drückend.

Inzwischen habe ich mir Bücher über Asthma besorgt. Da muss ich wohl selbst dahintersteigen. Wozu bin ich schließlich Journalistin? Das wäre ja gelacht, wenn ich das nicht wegkriegen könnte. Ich erfahre, dass die Krankheit eine allergische, eine entzündlich-infektiöse und eine psychische Komponente hat. Außerdem lese ich zu meiner Überraschung, dass es eine Nervenerkrankung ist: Der Sympathikus arbeitet zu schwach, der Parasympathikus zu stark. Deshalb sind Asthmatiker in der Nacht zwischen vier und sechs Uhr, wenn der Parasympathikus Regie führt, den Anfällen besonders ausgesetzt. In seinem Buch „Sprechstunde Asthma“ gibt ein Spezialist aus Bad Reichenhall viele tröstlich formulierte Ratschläge, erklärt aber bedauernd, dass die Krankheit leider nicht heilbar sei. Ein weiteres Buch „Mit Asthma leben“ bringt mich gleich auf die Zinne. Ich will ja nicht „mit“, sondern „ohne“ Asthma leben. Der Autor, der schon auf fünfzehn Krankheitsjahre zurückblicken kann, ist für mich ein unfähiger Schwächling. Ein drittes Buch „Das Asthma und seine Heilung“, wenngleich aus der Nazi-Zeit stammend, kommt mir da schon eher entgegen. Ich arbeite es gründlich durch und mache mir eine Liste, was ich „forcieren“ und was ich „vermeiden“ muss, um gesund zu werden. Gut sind zum Beispiel heiße Fußbäder, schlecht sind Federbetten.

In unserem Schlafzimmer gibt es jetzt nur noch doppellagige Kamelhaardecken, und das schöne Wintergarten-Ambiente mit den vielen Pflanzen wird in Kürze der Vergangenheit angehören. Ein ägyptischer Arzt, den wir gerade zu Besuch haben, meint, dass ich alle Pflanzen entfernen müsse. Sie seien Sporenträger und Staubfänger – „schlecht für die Lunge“. So muss ich mich mit den Palmen-Dessins auf meinen Chintzgardinen zufriedengeben. Für mich schönheitsdurstige Wohnjournalistin schon eine Einschränkung.

28. März 1986

Karfreitag bin ich allein in der Wohnung. Ich habe Kopfschmerzen und nehme eine Aspirin-Tablette. Langsam merke ich, dass die Bronchien immer enger werden. Ich fange an zu schnappen, gerate völlig aus dem Takt und reiße die Balkontür auf. Damals wusste ich noch nicht, dass Luftzufuhr völlig sinnlos ist. Es entbehrt „... nicht des Grotesken, dass der Asthmatiker von unbegrenzten Mengen Luft umgeben ist und es nicht fertigbringt, einen winzigen Teil davon den kurzen Weg von 30-50 cm durch die Luftröhre in seine Lunge zu befördern“, schreibt der Ernährungsmediziner und Psychosomatiker Max Otto Bruker. Und warum kann er das nicht? Weil Schleim und Krampf die Bronchien verengen.

Im Haus ist es totenstill. Alle scheinen über Ostern verreist zu sein. Ein Telefon habe ich nicht mehr, seitdem ich vierzehn Monate Telefonterror hatte. Ein Mosaikstein zu meinem Psychogramm: Nichts stört mich mehr, als wenn jemand in meine Privatsphäre eingreift. Ein anderes Steinchen: Ich bin der Meinung, dass man von keiner Sache zu abhängig sein sollte. Sei es vom Rauchen, vom Trinken oder eben vom Telefon. Ich sah einen amerikanischen Film, in dem eine junge Frau telefonisch fast zum Wahnsinn getrieben wurde. Während des ganzen Films dachte ich: Du kannst doch Siegerin bleiben, man muss doch kein Telefon haben. Natürlich wäre es dann kein Thriller geworden.

An diesem Karfreitag wird mir mein telefonloser Zustand fast zum Verhängnis. Ich stehe, gekrümmt von einem Erstickungsanfall, auf unserem Erdgeschoss-Balkon, und gerade als ich ein paar rudernd-winkende Bewegungen zu den vorbeigehenden Passanten machen will, kommt mein Mann nach Hause. Er ist Iraner, Teppichkaufmann, und hatte einen Kundenbesuch gemacht. Er packt mich am Handgelenk und schleift mich zum Auto. In rasender Fahrt geht es bei Rot über die Kreuzung zur Ambulanz ins Uni-Krankenhaus. Der Arzt sucht meine Vene, während mein Kopf nach vorn fällt, und gibt mir Spritzen. Endlich, endlich hört alles auf, und ich kann zurückgelehnt ausruhen. Nach Stunden fahren wir wieder nach Hause. „Du warst schon blau angelaufen“, sagt mein Mann. Und wie haben die mich wieder hingekriegt? „Mit Theophyllin- und Cortisonspritzen.“ Am ersten Tag nach Ostern beantrage ich einen Telefonanschluss

Aspirin: Stoff für einen Krimi

3. April 1986

Ich sitze wieder in der Sprechstunde von Dr. Brockmann und berichte von meinem Erstickungsanfall.

 „Lassen Sie uns mal den Tag rekonstruieren“, sagt Dr. Brockmann, „haben Sie noch zusätzliche Medikamente eingenommen?“

„Ja, eine Aspirintablette“, erzähle ich arglos.

 Dr. Brockmann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Das dürfen Sie nie wieder tun. Aspirin und andere Schmerztabletten enthalten den Wirkstoff Acetyl-Salicyl, der für Asthmatiker tödlich sein kann.“ Tatsächlich: Als ich später den Beipackzettel zu Aspirin lese, taucht dort das Wort „Asthma“ auf. Auch in der Nahrung sind Salicylate enthalten, erfahre ich. Eine Allergologin gibt mir eine Liste mit Nahrungsmitteln und entsprechenden Mengenangaben, und wir kleben die Liste an die Kühlschranktür, damit Djamschid, mein Mann, danach einkaufen kann.

Einige Jahre später, als ich mich durch das Asthma entstellt und als Belastung für meinen Partner und die orientalische Familie empfinde, bringe ich Aspirin wieder ins Spiel.

„Du brauchst mir nur eine Tablette Aspirin ins Wasser zu tun“, sage ich zu meinem Mann, „dann bist du mich endgültig los.“

Zeitweise empfinde ich mich hoffnungslos unattraktiv: die rasselnden und pfeifenden Bronchialgeräusche in den intimsten Stunden der Liebe, der Schleim, den ich beim Inhalieren in ein Gefäß spucke, das aufgedunsene Cortison-Gesicht. Aber dann wende ich die Bemerkung auch wieder ins Scherzhafte: „Also, ehrlich, Djammi, das ist Stoff für einen Fernsehkrimi. Ich habe die Dramaturgie schon im Kopf ...“

Dr. Brockmann schlägt mir vor, eine Kur in der Asthma-Klinik Bad Lippspringe zu machen, die veränderte Luft würde mir guttun. Was, schon wieder in ein Krankenhaus? Seit Anfang des Jahres haben wir einen neuen Chefredakteur, und dieser Mann hat mich bisher nur krank kennengelernt. Was, wenn ich nun für immer krank bliebe? Ich könnte meine Stellung verlieren, und außerdem ärgert es mich, dass der Chefredakteur nie wissen wird, wie ich eigentlich bin: aktiv, sanguinisch, genießerisch, manchmal originell und in seltenen Stunden sogar eine „Powerfrau“. Er hat nicht miterlebt, wie ich aus dem Urlaub zurückkam, spanische Musikkassetten mitbrachte und in weißer Kleidung in der Redaktion tanzte. Wie ich, zugegeben nach ein paar Gläsern Wein, losflirtete oder wie ich auf der Möbelmesse immer so „auf Empfang“ gestellt war, dass die Visitenkarten für Abendeinladungen nur so purzelten. Und nun hatte ich mir in der Redaktion geradezu einen schlechten Ruf als Alkohol-Abstinenzlerin erworben. Da Alkohol meine Atmung erschwerte, hatte ich es mir angewöhnt, keinen Tropfen Wein oder Sekt mehr zu trinken.

Ich fahre nach Bad Lippspringe. Dort ergreift mich wieder der unaufhörliche Husten. Elf Nächte lässt man mich durchhusten, dann kulminiert mein schlafloser Zustand in einem Nervenzusammenbruch, und man gibt mir Cortison-Tabletten. Eine unglaubliche Euphorie belebt mich: Ich eile die Treppen hoch, gehe schwimmen – dieses trügerische, nebenwirkungsreiche Mittel lässt mich wieder normal atmen. Meine Bettnachbarin, eine Frau um die fünfzig, wirkt ruhig und scheint sich in ihr Asthma-Schicksal ergeben zu haben. Die Krankheit habe zu einem Herzstillstand geführt, erzählt sie mir, sie sei klinisch bereits tot gewesen, und ihren Beruf als Buchbinderin habe sie vor längerer Zeit aufgeben müssen. Ihr Rücken ist schon verformt, die Schultern sind in Dauerstellung hochgezogen. Sie bittet die Ärztin, an das Infusionsgerät angeschlossen und mit Theophyllin „durchgespült“ zu werden, allein mit Tabletten kann sie nicht mehr atmen.

Ich halte mich anschließend in Gesellschaft von ein paar forschen Mittvierzigerinnen auf.

„Und wenn dann die Wechseljahre kommen, nehme ich ein Hormonpflaster“, äußert die eine fröhlich.

Diese Zeit rückt auch für mich näher – im Krankenhaus werde ich 47 Jahre alt. Ich ziehe ein schickes, „feminines“ Kleid an, merke aber zu spät, dass ich kurz darauf ein Urin-Fläschchen durch die Gegend trage. Wie peinlich! Ein alter Mann schenkt mir einen Kristall-Anhänger. Sollte dieser ein Glücksbringer sein? Immerhin hatte Dr. Brockmann bei der Abreise gesagt: „Aus Bad Lippspringe ist noch jeder gesund zurückgekommen.“

Das war eine mitleidige Lüge. Dennoch bringe ich auch von diesem Klinik-Aufenthalt etwas mit. Unangenehmen Situationen etwas Positives abzugewinnen, war damals noch meine dominierende Lebenssicht. In der Klinik hatte man durch Tests ein verträgliches Kopfschmerzmittel für mich gefunden. Ich würde also beruhigt auf etwas zurückgreifen können. Während meiner beiden Schwangerschaften hatte ich mich strikt auf „Tiger-Balsam“ beschränkt, aber in den letzten Jahren hatten sich meine Kopfschmerzen zeitweise zur Migräne gesteigert und pflegten von allein nicht aufzuhören. Das alles und ein paar spärliche allergische Reaktionen, die man festgestellt hatte, wurden in einem „Allergiepass“ vermerkt, den ich nun immer bei mir tragen sollte.

Mit Dr. Brockmann bespreche ich nach meiner Rückkehr meine Urlaubspläne. Inzwischen bin ich durch meine Atmungsprobleme schon so unsicher geworden, dass ich mich kaum noch reisefähig fühle.

 „Aber natürlich fahren Sie nach Italien“, meint Dr. Brockmann, „ich gebe Ihnen Cortison-Tabletten mit.“

Ja, Italien – da müssten Körper und Seele wiederaufleben. Wieder einmal nach der Devise „Morgens Fango – abends Tango“ Erholung und Amüsement miteinander verbinden. Und wieder würde meine Reisepartnerin Ursel sein, wie damals im Sommer 1985 in Marokko, als ich noch kein Asthma hatte. „Vor dem Asthma, nach dem Asthma“ – das sollte bald die neue Zeitrechnung in meinem Leben werden.

Meinen Mann kann ich wie gewöhnlich nicht zu einer Reise überreden. Er findet, dass mit dem Kerosin der Himmel verpestet wird, und außerdem könne er nicht ohne Unruhe sein Teppichlager zurücklassen. So sind wir in unserem 14-jährigen Zusammensein mal gerade eine Woche auf Ischia gewesen. Jedes Jahr spult sich das gleiche Kompromiss-Muster ab: vier Urlaubswochen mit „Ihm“ zu Hause, zwei Wochen verreisen mit einer Freundin.

Nun also zum zweiten Mal nach Montegrotto-Abano. Mein Gesicht hat sich zwar durch das Cortison etwas gerundet, aber das steht mir eigentlich ganz gut. Ursel und ich besuchen ein Tanzlokal und werden unablässig aufgefordert. Nicht schlecht, mit siebenundvierzig so gefragt zu sein. Lästig ist nur, dass ich immer wieder auf die Toilette verschwinden muss, weil mir der Schweiß in Strömen den Rücken herunterläuft und meinen seidenen Overall schon völlig durchnässt hat. Die Haare sind zur Duschfrisur geworden. „Abbagnato“, sagen die Italiener, und es stört sie nicht im mindesten. Auch in den nächsten Jahren werde ich beim Tanzen „abbagnato“ sein.

Der Schweiß zeigt die Schwäche meines Körpers an. Ich bin ernsthaft krank. Oder sollten das die Vorboten der Wechseljahre sein? Nein, dann müssten es mehr „Wallungen“ sein, und die lerne ich erst zwei Jahre später kennen. Trotzdem lasse ich einen Hormontest machen – er ist völlig in Ordnung. Mich beschäftigt die Frage, ob eine noch nicht feststellbare Hormonveränderung mein Asthma verursacht haben könnte. Ich schreibe einen Brief an einen renommierten Hormonforscher an der Uniklinik Hamburg und erhalte als Antwort einen Anruf seiner Assistentin.

 „Nein, Sie brauchen nicht zu einem Gespräch zu kommen“, sagt sie. „Der Herr Professor lässt Ihnen ausrichten, dass es damit nichts zu tun hat.“

Mehr als ein halbes Jahr ist vergangen, und ich bin noch immer krank. Wenn ich nicht gerade einen fieberhaften Infekt habe, gehe ich in die Redaktion und bringe mich mit der Medikamenten-Chemie einigermaßen über die Runden. Im Fotostudio ist es für die Kollegen schon ein gewohnter Anblick, dass ich die Medikamententasche herausnehme, mir Wasser für die Tabletten hole und mein Sprühgerät benutze. Seit meinem dreißigsten Lebensjahr war ich sehr oft krank, fast immer im Zusammenhang mit Operationen. Aber ich habe mir kaum Gedanken darüber gemacht. Für mich war es wie ein Naturgesetz: Erst bin ich krank, und dann werde ich wieder gesund. Willenskraft und Training waren dabei selbstverständliche Helfer.

Der erste tiefe „Schnitt“ in mein bis dahin ungetrübtes Leben kam mit 31 Jahren, als ich wegen eines Bandscheibenvorfalls an der Wirbelsäule operiert werden musste. Es war die schmerzhafteste Operation in meinem bisherigen Leben; ich musste ein halbes Jahr mit der Arbeit pausieren und verlor deshalb meine Stellung als Redakteurin. Von Anfang an tat ich alles, um schnell wieder auf die Beine zu kommen. Der Arzt wollte, dass ich in einer Gipsschale schlafe, aber da wäre ich mir wie eine Leiche vorgekommen. Ich ließ mir als „Alternative“ ein Stützkorsett verpassen und griff die Idee des Pflegers auf, täglich an einem Laufwagen zu üben. Ich erinnere mich noch, als ich nach dieser strapaziösen Zeit zum ersten Mal wieder in einem See badete. Es war gleichsam eine neue Geburt, ich sprang wie ein Delphin in die Höhe und ließ mich voller Freude zurück ins Wasser klatschen. Doch ich hatte einen Tribut zu entrichten: Nun waren nur noch leichte Koffer mit Reißverschluss oder auf Rollen angesagt, und der Rücken musste mit Schwimmen und Massagen ständig locker gehalten werden. Erst Jahre später dachte ich darüber nach, warum ich rückenkrank geworden war und musste mir eingestehen, dass ich diesen schmerzvollen Zustand selbst verschuldet hatte. Mein damaliger Mann und ich mussten zu der Zeit unbedingt einen VW-Porsche haben und bretterten, mehr liegend als sitzend, mit dem kaum gefederten Gefährt tagtäglich über die Straßen. Und statt nach dem Redakteursjob meinem Körper am Abend etwas Gutes zu tun, stauchte ich meine Lendenwirbel, indem ich im Bett Bücher aus dem Dänischen übersetzte.

In diesen Sommermonaten des Jahres 1986 merke ich, dass etwas Unerhörtes geschehen ist: Eine Krankheit hat sich an mich geheftet und lässt sich nicht mehr abschütteln. Ich stehe mal wieder – wer will schon ersticken? – voll unter Cortison und funktioniere entsprechend gut. Das gibt mir die Kraft, einen Test durchzuziehen. Ich möchte mal über ein ganz anderes Thema als Wohnen schreiben und sehen, ob eine Redaktion, die mich nicht kennt, den Artikel annimmt. Warum das Ganze? Weil ich ganz klar und realistisch erkenne, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich als Dauerkranke meinen Schreibtisch im Verlag werde räumen müssen. Danach würde mich mit bald fünfzig Jahren keiner mehr einstellen, und so müsste ich mich mit Themen verschiedenster Art freiberuflich über Wasser halten. Ich schreibe also einen amüsant-ironischen Artikel über jenes Klassentreffen, bei dem wir Schülerinnen uns nach 25 Jahren wiedergesehen haben, und das Experiment gelingt: Der Artikel erscheint in großer Aufmachung in einer Wochenzeitung. Damit sind meine „fremdgängerischen“ Ambitionen aber auch erschöpft. Einen weiteren Sicherheitsanker werfe ich aus, indem ich dem Journalisten-Verband beitrete.

Ein Anthroposoph und ein Homöopath

24. September 1986

Mit Dr. Brockmann habe ich jetzt nur noch per Post Kontakt, um meine Rezepte für die lebensnotwendigen Medikamente zu erhalten. Es ist klar geworden, dass er mir weder die Ursachen nennen noch mich heilen kann. So startet meine große Ärztetournee – in sieben Jahren konsultiere ich 25 Mediziner – , beginnend mit dem ersten Ausflug in die Alternativ-Szene. Eine asthmakranke Architektin hatte mir von Dr. Fehrs erzählt, einem anthroposophischen Arzt, der ihr mit pflanzlichen Spritzen geholfen habe. Obwohl sie in der Krankenkasse ist, gibt sie vierteljährlich 600 Mark für diese Behandlung aus. „Inzwischen könnte ich ohne Dr. Fehrs gar nicht mehr existieren“, gesteht sie ohne Scham ihre Abhängigkeit. Selbstverständlich bin auch ich sofort bereit, monatlich mehrere Hunderter hinzublättern, um endlich von dieser widerlichen Krankheit befreit zu werden.

Dr. Fehrs empfängt mich, eingekeilt von Büchermassen. Obwohl ein paar Köpfe kleiner als ich, schafft er es doch, von seinem Schreibtisch aus in großer Distanz auf mich herunterzublicken. Unbewegt hört er sich meine Geschichte an, dann sagt er näselnd: „Mögen Sie sich da einmal hinlegen?“ Am Schluss der Untersuchung drückt er an meinem Rücken herum und stellt kranke Nieren fest (ich hatte noch nie etwas an den Nieren).

Ich habe den Eindruck, dass er Frauen nicht leiden kann; aber da er vielleicht der Einzige ist, der mir helfen kann, frage ich ihn nach den Kosten für die Behandlung. Hier möchte sich Dr. Fehrs aber in keiner Weise festlegen, und so gehen wir auseinander, ohne einen Termin festgemacht zu haben. Noch einmal wende ich mich mit einem dringlichen Brief an ihn, ich möchte gern ungefähr den Preis kennen. Doch statt einer Antwort erhalte ich eine Rechnung für unser Gespräch: 78 Mark. Später erfahre ich und nehme es verwundert zur Kenntnis, dass Dr. Fehrs als absoluter „Geheimtipp“ für chronische Krankheiten gilt.

Konnte die anthroposophische Medizin überhaupt eine Chance bieten? Rudolf-Steiner-Schule, Waldorf-Schule – ich wusste nicht viel darüber. Ich hatte mal ein Buch von Rudolf Steiner in die Hand genommen, meinen Leseversuch aber nach wenigen Kapiteln wieder aufgegeben. „Er kann einfach nicht gut schreiben“, äußerte ich respektlos in der Anthroposophischen Buchhandlung und erbat mir erstmal eine Einführung in sein Werk. Meine Freundin Ulli, Journalistin wie ich, die von einer anthroposophiegläubigen Bekannten missioniert werden sollte, hatte die gleichen Schwierigkeiten. Mit „Geistgestalt“ und „Lebensleib“ können wir beide bis heute nichts anfangen. Trotzdem hatte ich später nichts dagegen, als ich in zwei Krankenhäusern anthroposophisch behandelt werden sollte.

Während die Schulmedizin mit Symptom-Unterdrückung mein Überleben sichert, geht auf der nicht-allopathischen Schiene meine Suche weiter. Dr. Morgner, Kassenarzt für Naturheilverfahren, ist ein junger, cooler Typ. In seinem Wartezimmer umgibt mich Öko-Touch: Sisalboden, Grünlilie und abgerundetes Holzspielzeug signalisieren die Affinität zu natürlichen Heilwegen. Dr. Morgner geht homöopathisch vor. Während ich vor ihm sitze, studiert er dicke Arzneibücher, blättert und blättert und blättert. Endlich hat er ein paar Mittel mit den passenden Potenzen gefunden. Er überreicht mir das Rezept.

„Nehmen Sie diese Tropfen, wundern Sie sich aber nicht, wenn beim ersten Mal eine Bombe hochgeht.“

Unbehagen kriecht in mir hoch. Gemeint war, wie ich später erfuhr, die sogenannte „Erstverschlimmerung“ in der Homöopathie.

Wochenlang schlucke ich konsequent die verordneten Tropfen. Aber weder geht eine Bombe hoch, noch ändert sich irgendetwas an meinem Asthma. Es passiert einfach gar nichts. Bevor ich eine Entscheidung für oder gegen Dr. Morgner treffen kann, ist er in eine andere Stadt umgezogen.

Noch immer schwelt meine Sinusitis weiter. Mein HNO-Arzt, Herr Dr. Paulsen, der inzwischen alle Register seines Könnens gezogen hat, empfiehlt nun, mich in der HNO-Abteilung der Uni-Klinik untersuchen zu lassen. Nachdem ich dort einen Vormittag meiner Arbeitszeit versessen habe – Anmeldung gibt es nicht – , komme ich endlich an die Reihe. Wieder einmal werden meine Nebenhöhlen geröntgt. Angesichts der „beidseitigen Verschattung“ rät mir die dort tätige Ärztin dringend zu einer kompletten Nasenoperation. Ich sage, dass ich es mir überlegen werde, innerlich steht mein „Nein“ bereits fest. In diesem Fall, und nicht nur in diesem, berufe ich mich gern auf Manfred Köhnlechner und sein Buch „Vermeidbare Operationen“. Im Übrigen kenne ich eine Dame in meinem Alter, die schon 14 Nasenoperationen mitgemacht hat und ihr Asthma trotzdem nicht losgeworden ist.

Oft kommt mein Schwager zu Besuch und bringt mir Sprays und andere schulmedizinische Medikamente mit. Nader, der Bruder meines Mannes, ist Oberarzt in der Chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses. Asthma ist nicht sein Gebiet, aber er fragt überall bei Kollegen herum, um Hilfe für mich zu finden.

„Die Sinusitis muss ausgeheilt werden, sonst hast du mit dem Asthma keine Chance“, meint auch Nader. „In den Nebenhöhlen kann sich eine Entzündung so einkapseln, dass auch ein Antibiotikum nicht heran kann.“

 „Wozu haben wir überhaupt diese Höhlen?“

„Diese Höhlen tragen u.a. unseren Kopf“, erklärt Nader. „Ohne dieses System von Gewölben könnten wir unseren Kopf gar nicht halten.“ Trotzdem: An meine Nase lasse ich keinen heran.

Akupunktur: halbnackt vor Studenten

20. Oktober 1986

Da scheint Hilfe von ganz anderer Seite zu kommen. Bei uns zu Gast ist neuerdings eine iranische Akupunktur-Ärztin, Frau Dr. Ghassemzadeh. Als sie von meinem Problem hört, ist sie sofort bereit, die Behandlung zu übernehmen.

Mit ihrer Laser-Akupunktur könne sie sowohl die Sinusitis als auch das Asthma therapieren. Das wäre ja wunderbar, denke ich, dann wäre das Thema Operation endgültig vom Tisch. Und da Frau Dr. Ghassemzadeh nicht nur Akupunktur-Ärztin, sondern auch Lungenfachärztin ist, scheint mir das die ideale Verbindung zu sein. Sofort besorge ich mir Literatur über Akupunktur. Der „Akupunktur-Papst“ ist Professor Bischko in Wien, und bei dem hat Frau Dr. Ghassemzadeh gelernt! In Hochstimmung erkläre ich sie innerlich zu „meiner Ärztin“, mit der nun alles klappen muss. Die Frau Doktor hat neben ihrer Praxis einen Lehrauftrag an der Uni-Klinik  und bietet mir eine kostenlose Behandlung an, wenn ich mich als Demonstrationsobjekt für die Studenten zur Verfügung stelle.

Inzwischen hat sich meine Krankheit verschlechtert, die Anfälle häufen sich. Aber nun fahren wir nicht mehr in die Krankenhaus-Ambulanz, sondern mein Mann ruft telefonisch den Notarzt. Trotz meines schlimmen Anblicks bleibt er dabei immer ruhig, so dass sich nicht noch zusätzliche Panik auf mich überträgt. Die Notärzte sind immer in wenigen Minuten da, viele bleiben, bis der Anfall abgeklungen ist.

Nach Dienstschluss fahre ich mehrmals in der Woche per Taxe zur Uni-Klinik. Nachdem ich mich mühsam die Treppe zum Hörsaal hochgehangelt habe, ziehe ich mich in einem Nebenraum um und nehme dann halbnackt vor dem Auditorium Platz. Es macht mir nicht viel aus, ich bin von mir selbst absorbiert und sehe das Publikum nur als konturenlose Menge. Frau Dr. Ghassemzadeh stimuliert mit dem elektronischen Laser-Stab sekundenlang verschiedene Punkte meines Körpers, zuvor müssen einige Studenten aufs Podium kommen und die Punkte an mir benennen. Yin und Yang sollen in mir wieder in Balance kommen. Da, wo sich zuviel staut, soll entlastet werden und da, wo zuwenig ist, soll hinzugefügt werden, Wenn Chi, die Lebensenergie, wieder richtig durch die Meridiane fließt, werde ich gesund sein.

Eines Tages führt uns Frau Dr. Ghassemzadeh ein eindrucksvolles Beispiel für ihre Heilmethode vor. Auf einer Trage wird eine mittelalte Frau in den Saal gefahren, an der die Ärztin das Akupunktieren mit Nadeln zeigen möchte. Die Frau ist inzwischen gesund. Als sie ihre Geschichte erzählt, klingt es wie eine Wunderheilung.

„Acht Jahre lang war ich schwer asthmakrank. Mein Mann ist mit mir kreuz und quer durch Deutschland gefahren, nirgendwo fand ich Hilfe. Am Schluss konnte ich nur noch im Keller schlafen, jeder andere Ort belastete mich.“

Nur der Kunst von Frau Dr. Ghassemzadeh habe sie es zu verdanken, dass sie jetzt wieder normal leben könne.

Um meinen Durchhaltewillen zu stärken, gibt mir die Frau Doktor die Telefonnummern verschiedener Patienten, die sie mit Erfolg behandelt hat. Alle leben auf dem Lande – die Ärztin praktiziert in Lüneburg – , alle haben sie allergisches Asthma, und alle bestätigen mir am Telefon, dass Frau Dr. Ghassemzadeh sie gesund gemacht hat. Mit Enten, Hühnern und Eiern hätten sie sich bei ihr bedankt, erzählt mir die Frau Doktor.

Was mich betrifft, so ziehe ich ein volles Jahr lang drei Akupunktur-Serien durch. Statt mein Leiden zu lindern, werden die abendlichen Hörsaal-Vorstellungen zur zusätzlichen Bürde in meinem Tagesablauf. Gekrümmt, wie ich gekommen bin, verlasse ich den Saal, schleppe mich zum Park und presse, hinter einem Baum versteckt, mit letzter Kraft das Spraymittel in meinen Rachen. Erst dann fühle ich mich in der Lage, in die Taxe zu steigen.

Nur einmal in diesem Jahr, es war nach einer fünften Akupunktur, geht es mir ein paar Wochen besser. Begeistert schenke ich Frau Dr. Ghassemzadeh eine schicke Unterarm-Tasche. Doch es war nur ein Zwischenspiel, der Abstieg ins Elend ließ sich nicht aufhalten.

Die Frau Doktor hatte getan, was sie konnte. Sie hatte mir gezeigt, wie ich kopfüber meine morgendliche „Bronchialtoilette“ machen musste, hatte mir meine Angora-Pullover „verboten“ und mich später mit einem Besuch im Krankenhaus aufgemuntert. Offenbar hatten alle spöttelnden Kritiker aus unserem Bekanntenkreis recht behalten: die Akupunktur wirkte nicht, bei mir konnte „der Engel von Lüneburg“ nichts ausrichten.

Aber Frau Dr. Ghassemzadeh hatte mir dennoch einen Anstoß gegeben. Ich dachte an ihre Worte, man müsse jede einzelne Zelle mit liebevollen Gedanken aufladen, und so versuche ich, ob ich nicht mit „positivem Denken“ weiterkommen kann. Für das Jahr 1987 habe ich mir einen selbstformulierten Spruch in den Kalender geschrieben:

 „Ich atme frei und leicht/ich gehe aufrecht und beschwingt/jede Zelle ist stark und lebendig.“ Wenn ich auf der Straße bin, spreche ich diese Worte innerlich rhythmisch mit. Aber es nützt natürlich gar nichts.

Trostreich ist für mich ein Buch, in dem ich immer wieder lese: „Sorge dich nicht – lebe!“ von Dale Carnegie. Darin wird der Fall eines Mannes geschildert, der schon als Student wegen seines Asthmas nicht schlafen kann. Er macht es sich zur Überzeugung, dass man auch mit ganz wenig Schlaf auskommen kann, studiert in der Nacht, wird ein berühmter Rechtsanwalt und über 80 Jahre alt.

Ich sorge mich aber dennoch, und zwar darüber, ob das Asthma meine Lunge zerstören könne. Da hilft mir eine Bemerkung meines Vaters, die sich einprägt und mich immer wieder aufrichtet: „Denk doch an Onkel Willi, der hatte im Ersten Weltkrieg einen Lungendurchschuss und hat noch Jahrzehnte gut gelebt.“ Jemand anderer erzählt mir, dass die Lungenbläschen, würde man sie ausbreiten, die Größe eines Tennisplatzes erreichen. Sollte das Asthma einen Teil der Bläschen zerstört haben, so würde ich mit dem Rest doch noch atmen können.

Eines Tages befällt mich ein unerklärlicher Sehnenschmerz am Fuß, so dass ich mich nur noch humpelnd durch die Redaktion bewegen kann. Ein cortisonbedingter Schaden, konstatiert der Orthopäde, gibt mir Spritzen und legt einen Verband an. Die Therapie ist erfolgreich, und nach dem wochenlangen Leben auf „Kriechspur“ beschließe ich, mich mal wieder von meiner Kosmetikerin aufbauen zu lassen.

Frau Rubin ist schon mehrere Male für längere Zeit in Indien gewesen und strahlt jene uneigennützige Liebe aus, die sie bei östlichen Meistern selbst erfahren hat. In ihren pastellfarbenen Räumen, unter dem sanften Druck ihrer Shiatsu-Massage, könnte ich zu meditativem Frieden kommen, wenn mich nicht quälende Hustenanfälle immer wieder vom Kosmetik-Stuhl hochreißen würden. Wir müssen die Behandlung abbrechen. „Dieses ist eine Krankheit, der Sie nur aus der Tiefe ihres eigenen Inneren heraus begegnen können“, sagt Frau Rubin eindringlich. „ Sie selbst müssen Ihr eigener Arzt werden.“

Der fernöstliche Wundersaft

25. März 1987

Außerdem erzählt mir die Kosmetikerin von einem Mittel, mit dem ein Freund von ihr – selbst Arzt – sein Asthma im Griff hat. Solange er es einnimmt, hat er keine Beschwerden. Amborum-Spezial F heißt das geheimnisvolle Mittel. Es ist ein Saft, dessen Ingredienzien ein indonesischer Arzt zusammengestellt hat. Der Mann sitzt in den USA und versendet den Saft, wenn man ihm vorher 240 Mark schickt.

„Aber dabei muss man sich an einen bestimmten Ablauf halten“, erklärt Frau Rubin, „Ich besorge Ihnen die Adresse und eine Kopie, wie man es machen muss.“

Ich schöpfe wieder Hoffnung. Wenn sogar ein Arzt diesen Saft nimmt, dann muss es eine gute Sache sein. Auch könnte ich mich sicher daran gewöhnen, täglich einen Löffel Natur zu schlucken, wenn dadurch das Asthma verschwunden bleibt. Ich gehe zur Post, zahle wie vorgeschrieben und warte voller Ungeduld. Nach drei Wochen halte ich den Wundersaft in Händen. Ein braunes Gebräu, dessen 20 Inhaltsstoffe auf der Plastikflasche angegeben sind. Von meinem Apotheker lasse ich mir alle entschlüsseln. Sie reichen von Aurum (Gold) bis zu Piper nigrum (schwarzer Pfeffer).

 „Und das soll helfen?“, wundert sich der Apotheker. Es hilft tatsächlich ein wenig. Ein paar Monate später erfahre ich des Rätsels Lösung, als mir meine Akupunktur-Ärztin einen Artikel aus dem „Deutschen Ärzteblatt“ in die Hand drückt. „Erneute Warnung vor Amborum-Spezial F“ heißt die Überschrift, und es ist zu lesen, dass dem Mittel nach Untersuchungen des „Deutschen Arzneiprüfungsinstituts“ unterschiedliche Mengen Cortison beigemischt wurden!  

Dieser läppische falsche Sirup war allerdings gar nichts im Vergleich mit jenem gigantischen Betrug, in den ich ein Jahr später geraten sollte ...

Trotzdem blieb ich weiterhin anfällig fürs Fernöstliche. Auf derselben Etage mit uns lebt Frau Dr. Williger, eine bekannte Sinologin. Sie hat ihre Wohnung in eine spartanische Kultstätte umgewandelt und versucht, ihre Schüler mit Bewegungsmeditation zu harmonisieren. Tai Chi nennt man das. Sollte der Schlüssel zu meiner Heilung direkt vor meiner Tür liegen? Ich kaufe mir ein Buch über Tai Chi, kann mich aber nicht entschließen, dem Kreis dieser Jünger beizutreten. Ihre Bewegungen, die ich vom Fenster aus beobachten kann, sind ja sooo langsam. Und das alles ohne Musik ... Außerdem ist Frau Dr. Williger Raucherin, dadurch also völlig unglaubwürdig. 

Dass ich durch und durch Westler bin, macht auch mein Besuch in einer Yoga-Schule deutlich. Von vielen Seiten habe ich gehört, dass Yoga etwas wunderbar Entspannendes sei und für mich bestimmt das Richtige, weil dabei die Atmung im Mittelpunkt stehe. In einem unmöüüüää