Heißer Boden – kalte Füße

Hinter dem Blumenkiosk am Hamburger Bahnhof stehen drei Männer in ausgeblichenen Jeans. Sie gehören zu den lichtscheuen Gestalten der Großstadt, die ihre Geschäfte gern im Dunklen abwickeln. Ein paar prüfende Blicke nach rechts und links. Dann wechseln Drogen-Päckchen und Euros die Besitzer. Aus den Lautsprechern über den Köpfen der Dealer dringt gedämpft Mozart-Musik.

„Ich hasse Geigen!“, knurrt Harry. „Mozart gegen Penner! Damit wollen sie uns vertreiben. Hab ich in der Bildzeitung gelesen“, brummt Jim. Er steckt das Geld ein und setzt eine dunkle Brille auf.

„Überall werden jetzt Ausweise kontrolliert!“, beklagt sich Johnny.

„Daran ist der neue Bürgermeister

Schuld. Dieser Schiller, oder wie er heißt. Er will hart durchgreifen gegen die Dealer, hat er gesagt.“

„Gestern haben sie meinen marokkanischen Lieferanten geschnappt. Er wird abgeschoben!“, berichtet Harry.

„Abschieben? Das kann mir nicht passieren“, grinst Jim. „Ich hab mir einen Pass für Burkina Faso besorgt. Das Land hat kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland. Cool, was?“

„Weißt du denn wenigstens, wo das Land liegt? Das fragt die Polizei nämlich gleich, wenn sie dich schnappen“, sagt Harry.

Jim lächelt überlegen.

„Na klar.Burkina Faso liegt in Afrika am Südrand der Wüste Sahara! Heiße Gegend! Burkina Faso heißt so viel wie ,Land der unbestechlichen Männer'. Die Hauptstadt heißt Wogodogo oder so ähnlich. Man spricht unter anderem Französisch dort …“

„Kannst du das denn?“, zweifelt Harry.

„Gut genug um die Bullen zu täuschen. Ich hab lang in Paris unter den Brücken der Seine gepennt“, sagt Jim großspurig.

„Wow“, brummt Harry anerkennend und dreht sich einen Joint.

„Ich werde jedenfalls für eine Weile untertauchen“, sagt Johnny und reibt sich das Ohrläppchen, in dem ein kleiner blauer Stein funkelt. „Ich bin illegal hier. Gestern hätten sie mich fast in der U-Bahn geschnappt.

Wenn ich das Päckchen mit ‚Schnee‛ nicht blitzschnell unter den Sitz geklebt hätte, dann säße ich jetzt im Knast. Der Boden wird mir zu heiß!“

„Und da kriegst du kalte Füße, wie?“ Harry grinst und befeuchtet das Zigarettenpapierchen mit Spucke, um es zuzukleben.

„Geeenau!“, antwortet Johnny. „Werd mich mal auf Mallorca umsehen. Zur Zeit sind viele meiner Kunden dort. Vielleicht lässt sich da geschäftlich was aufziehen.“

Plötzlich wird es laut hinter ihnen. „Die Personalausweise bitte“, sagt eine energische Stimme. Die drei Gauner sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie die beiden Polizisten erst bemerken, als sie direkt neben ihnen stehen.

„Meinen Perso? Äh, oh, – den hab ich im Auto vergessen!“, schwindelt Harry. „Grüner Golf. Steht drüben im Parkhaus! Ich hol ihn schnell.“

„Für wie dumm halten Sie mich“, sagt Polizeiobermeister Pommes. „Ich komme natürlich mit!“

Polizeihauptmeister Zwiebel lässt sich inzwischen die Personalausweise von Jim und Johnny zeigen. „Burkina Faso, soso“, sagt er, als er Jims Papiere prüft und zieht die linke Augenbraue hoch. „Erstaunlich, wie viele Leute plötzlich aus Burkina Faso kommen!“

„Warum auch nicht“, sagt Jim. „Ein schönes Land.“

„Und Sie kommen direkt von dort?“, erkundigt sich Zwiebel.

„Oui, Monsieur!“, bestätigt Jim auf

Französisch. „Ich wurde verfolgt und es gelang mir, mich im Hafen von Wogodogo als blinder Passagier auf ein Schiff zu schleichen. So kam ich nach Hamburg.“

„Als blinder Passagier, sososo“, sagt Zwiebel.

„Ich muss mal dringend“, murmelt Johnny und verschwindet in Richtung Toilette, noch ehe ihn Zwiebel daran hindern kann. Aber der ist jetzt sowieso mehr an Jim interessiert, denn der hat ihn kräftig angeschwindelt.

„Kommen Sie bitte mit aufs Revier“, sagt Zwiebel zu Jim. „Da gibt es noch eine Kleinigkeit zu klären.“ Als Pommes und Harry im Parkhaus ankommen, ist weit und breit kein grüner Golf zu sehen.

„Tut mir Leid! Der muss geklaut worden sein!“, sagt Harry betrübt. „Wie gut, dass Sie mitgekommen sind. Da kann ich gleich Anzeige wegen Diebstahls erstatten!“

„Die Autopapiere waren sicher auch im Wagen?“, seufzt Pommes und zückt den Notizblock.

„Ja, die Nummer kenne ich aber auswendig“, sagt Harry rasch.

„HH-US 1001! Golf TDI.“

„Schöne Nummer“, sagt Pommes, „Aber auf den Schwindel falle ich nicht herein! Ob Sie wirklich einen VW im Parkhaus abgestellt hatten, können wir sofort klären …“

Und dann verlangt er von Harry zwei Gegenstände, einen aus Metall und einen aus Plastik.

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Ursel Scheffler

Schnee auf Mallorca

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