„Über Xanthippe – Die Frau des Sokrates“:

Feinde muss man sich verdienen – und niemand beherrscht diese Kunst so vortrefflich wie die schöne Tochter des Neokles: Sie lässt sich nichts vorschreiben und sagt mit scharfem Verstand und spitzer Zunge jedem ihre Meinung. Kein Wunder, dass es unter den Männern Athens als größte Mutprobe gilt, Xanthippe zur Ehefrau zu nehmen. Genau dies macht Sokrates, der Philosoph. „Das kann nicht gutgehen“, tuschelt die ganze Stadt voller Vorfreude auf den bevorstehenden Skandal. Xanthippe und Sokrates werden sie nicht enttäuschen: Sie streiten und debattieren voller Leidenschaft – und sind sich doch auf ganz besondere Weise in Liebe verbunden …

Xanthippe – Die Frau des Sokrates von Robert Gordian ist ein ebenso humorvoller wie spannender historischer Roman über eine der faszinierendsten Frauenfiguren der Antike.

Über „Die ehrlose Herzogin“:

Es sind Männer, die Kriege führen – und Frauen, die bereit sind, alles für den Frieden zu opfern … Im Jahre 610 fallen die kriegerischen Awaren in das Herzogtum Friaul ein. Obwohl die Langobarden sich den Angreifern mutig entgegenstellen, ist die Lage bald aussichtslos. Als der Fürst getötet wird, schwindet die letzte Hoffnung. Seine Witwe steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens. Man erwartet von ihr, dass sie Faroald heiratet, einen mutigen Kommandanten, der alles daran setzen will, das Blatt auf dem Schlachtfeld zu wenden. Doch selbst bei einem Sieg bedeutet dies noch mehr Blutvergießen – und eine endgültige Niederläge wäre das Todesurteil für Romildas Kinder. Also lässt sie sich auf einen waghalsigen Handel ein …

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane

MEIN JAHR IN GERMANIEN

DIE GERMANIN

sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache

Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie

Dritter Roman: Pater Diabolus

Vierter Roman: Die Witwe

Fünfter Roman: Pilger und Mörder

Sechster Roman: Tödliche Brautnacht

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums

Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren

Dritter Roman: Familiengruft

Vierter Roman: Zorn der Götter

Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis

Sechster Roman: Tödliches Erbe

Siebter Roman: Dritte Flucht

Achter Roman: Mörderpaar

Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen

Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen

Elfter Roman: Der Heimatlose

Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen

Dreizehnter Roman: Die Treulosen

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: Der Waffensohn

Zweiter Roman: Der Pokal des Alboin

Dritter Roman: Die Verschwörung

Vierter Roman: Die Tragödie von Ravenna

Weitere Romane sind in Vorbereitung.

Die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten umfasst die folgenden drei Bände:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Abraham Lincoln, Adolf Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II. von Preußen

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Originalausgabe November 2015

Xanthippe – Die Frau des Sokrates erschien bereits 2002 unter dem Titel Die Frau des Philosophen im Heyne Taschenbuch Verlag.

Copyright © der Originalausgabe Xanthippe – Die Frau des Sokrates 2002 Wilhelm Heyne Verlag GmbH und Co.KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe Die ehrlose Herzogin Pendo Verlag AG Zürich 2000

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung des Gemäldes „Sybille mit Palmen" von Dante Gabriel Rossetti

ISBN 978-3-95824-420-7

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Robert Gordian

Xanthippe – Die Frau des Sokrates & Die ehrlose Herzogin

Zwei historische Romane in einem Band

dotbooks.

Xanthippe – Die Frau des Sokrates

Ein Vorwort zur eBook-Ausgabe

Sie waren kein Traumpaar. Aber sie waren und sind das berühmteste Ehepaar der griechischen Antike, allenfalls noch – bereits mit Abstand – gefolgt von Perikles und Aspasia.

Als Sokrates und Xanthippe heirateten (um 420 vor unserer Zeitrechnung), war er etwa fünfzig, sie dreißig Jahre alt. Ihre Ehe verlief turbulent, doch auch wieder normal, und sie zogen drei gemeinsame Söhne groß.

Unterschiedlich verlief ihr Nachleben: Während der Stern des von seinen Mitbürgern verkannten und hingerichteten Sokrates durch seine Schüler, vor allem Platon, immer mehr Glanz gewann, wurde das Bild der Xanthippe trüber und dunkler. Sie ging so in die Literatur ein, wie Xenophon sie zeichnet, und noch heute ist sie das sprichwörtliche Muster eines ständig übellaunigen, zänkischen Weibes.

War sie wirklich so – und nur so?

Das Zeugnis der Zeitgenossen wiegt schwer.

Es hat jedoch immer wieder Versuche gegeben, Xanthippe gerechter zu werden, auch unter Wissenschaftlern. Als der Verfasser dieses Romans mit seiner Arbeit begann, nahm er sich vor, die Geschichte einer außergewöhnlichen Ehe zu erzählen, die beiden Partnern gerecht wird. Nach gründlicher Sichtung der Quellen verteilte er die Gewichte, die diese Ehe belasteten, gleichmäßig. Zu seinem eigenen Erstaunen fand er dabei heraus, dass ein Ehepaar vor zweitausendvierhundert Jahren manchen großen und kleinen Konflikt zu bewältigen hatte, der auch modernen Ehen nicht fremd ist.

Dieser Roman erschien 2002 zunächst als Printausgabe unter dem Titel Die Frau des Philosophen. Man fürchtete damals im Verlag, der Name Xanthippe könnte, weil »negativ besetzt«, die potentiellen Käufer abschrecken. Der Verfasser meint jedoch, dass gerade der Name dieser bekanntesten Frau der klassischen griechischen Antike, deren reale Existenz nachgewiesen ist (die anderen zahlreichen Frauengestalten wie Helena, Alkmene, Elektra stammen ja allein aus der Literatur und Mythologie), bei vielen Lesern Aufmerksamkeit und Interesse wecken wird.

Deshalb nun: Vorhang auf für Xanthippe!

Wie kommt es nun, Sokrates, sagte Antisthenes, dass du dich mit einer Frau behilfst, die unter allen Lebenden, ja nach meiner Meinung unter allen, die jemals gelebt haben und künftig leben werden, die unerträglichste ist.

Das geschieht aus derselben Ursache, erwiderte Sokrates, warum diejenigen, die gute Reiter werden wollen, sich nicht die sanftesten und lenksamsten Pferde, sondern lieber wilde und unbändige anschaffen. Denn sie denken, wenn sie diese im Zaum zu halten vermöchten, werde es ihnen ein Leichtes sein, mit allen anderen fertig zu werden. Gerade so machte ich es auch, da ich die Kunst, mit den Menschen umzugehen, zu meinem Hauptgeschäft machen wollte: Ich legte mir diese Frau zu, da ich gewiss war, wenn ich die ertragen könnte, würde ich mich leicht in alle anderen Menschen hineinfinden.

Xenophon, SYMPOSION

Kapitel 1

Über Sokrates haben schon viele geschrieben. Seine Freunde und ehemaligen Schüler sind eifrig und mit Erfolg bemüht, ihm ein Nachleben zu verschaffen, nachdem seine Mitbürger ihn auf so elende Weise in den Tod geschickt haben. Vor allem Platon hat große Verdienste, aber auch Xenophon, der jetzt zwar in der Verbannung lebt, dessen Werke hier in Athen dennoch verbreitet werden, wenn auch unter der Hand. Eukleides, Antisthenes und Aristippos haben ebenfalls Schriften über Sokrates herausgegeben. Mit einem Wort: Gelehrte und Schriftsteller nehmen sich seiner an. Das Andenken dieses bedeutenden Mannes ist damit gesichert. Was könnte ich, der einfache Schuster Simon, dem noch hinzufügen?

Nun, auch ich habe Erinnerungen an Sokrates, und manches habe ich mit ihm erlebt, was vielleicht der Mitteilung wert ist. Immerhin war ich mein Lebtag sein Nachbar, nur eine schmale Mauer aus Lehmziegeln trennte sein Anwesen von dem meinigen. Sein häusliches Leben spielte sich gewissermaßen unter meinen Augen ab – oder besser sollte ich sagen: vor meinen Ohren. Denn wenn ich auch aus Anstand vermied, meine Nachbarn zu beobachten, so konnte ich sie doch kaum überhören. Bei solcher Nähe bekommt man nun einmal einiges mit, ob man will oder nicht, zumal sich Sokrates und seine Frau Xanthippe wenig Mühe gaben, ihr Familienleben gegen die Außenwelt abzuschirmen. Im Gegenteil, sie legten sich keinen Zwang an und nahmen nicht die geringste Rücksicht auf andere. Das war bisweilen recht lästig, und es gab auch Verstimmungen zwischen uns, doch nur selten. Im Allgemeinen hatten wir gute nachbarschaftliche, ja freundschaftliche Beziehungen. Ich kann sogar sagen, dass Sokrates, der viele Freunde hatte, mich besonders auszeichnete, indem er mich zu seinem Vertrauten machte. Und auch mit Xanthippe kam ich schließlich gut aus – anders als meine Frau Politta, die sie nie so recht ausstehen konnte. Manchen kleinen Dienst habe ich ihr erwiesen, auch noch nach dem Tode ihres Mannes, bevor sie mit ihrem jüngsten Sohn fortzog. Doch davon später.

Ehe ich fortfahre mit meinen Erinnerungen an Sokrates und seine Frau, will ich noch einmal betonen, dass ich mich als Erzähler natürlich nicht mit den berühmten Schülern des Sokrates messen kann. Anmaßend wäre es auch, wollte ich mich in den Philosophenstreit einmischen, der schon um sein geistiges Erbe entbrannt ist. Sokrates hat ja nichts Schriftliches hinterlassen, absolut gar nichts, und ein jeder nimmt sich von ihm, was in sein eigenes Denkgebäude hineinpasst. Manches ist nun schon im Umlauf, was der Meister, glaube ich, nie so gedacht und gesagt hat, aber dazu werde ich lieber schweigen. Wozu soll ich Unberufener den Zorn der Philosophen auf mich lenken, ich würde ja doch den Kürzeren ziehen! Und natürlich war ich auch nur selten dabei, wenn Sokrates, umgeben vom Schwarm seiner Schüler, auf dem Markt oder anderswo, seine ebenso berühmten wie berüchtigten Gespräche führte. Als Handwerker, der den Lebensunterhalt für seine Familie verdienen musste, konnte ich mir selbstverständlich nicht leisten, dort mit herumzustehen und zuzuhören. Die meiste Zeit, Jahr für Jahr, verbrachte ich in meiner Werkstatt an der schon erwähnten Mauer zum Nachbargrundstück. Und wenn ich zum Markt ging, hielt ich mich an meinem Stand auf, wo ich Schuhwerk ausbesserte oder den Leuten neues anmaß. Nur was ich von dort aus sah und erlebte, kann ich mitteilen.

Zum Glück habe ich jetzt ausreichend Muße dazu. Mein Enkel hat die Werkstatt übernommen, und so kann ich mich auf meine alten Tage mit Lesen und Schreiben beschäftigen. Schon immer tat ich das gern, wenn ich Zeit fand. Früher verfasste ich auch Gedichte, besonders zu festlichen Gelegenheiten. Manchmal zeigte ich sie Sokrates, bevor ich sie in einem größeren Kreise vortrug. Und ich schmeichle mir, dass er sie meistens lobte.

Von Xanthippe kann ich das nicht behaupten. Meine Gedichte gefielen ihr selten, und sie sparte nicht mit ihrem Tadel. Noch heute habe ich das Spottgelächter im Ohr, das sie ausstieß, als ich die Jubelverse zu ihrer Hochzeit mit Sokrates vortrug. Gewiss, ein Anakreon oder ein Pindar bin ich nicht. Aber musste sie mich gleich so blamieren? Wie gekränkt war ich damals! Und wenn auch Sokrates durch ein dickes Lob alles wieder gutmachen wollte, war mir die Feststimmung verdorben. Übrigens war das meine erste Begegnung mit Xanthippe, ich hatte sie zuvor nur wenige Male irgendwo gesehen. Eine Unbekannte war sie mir allerdings nicht.

Schon der Jungfrau Xanthippe ging der Ruf voraus, den sie als Ehefrau, und als solche erst recht, nicht mehr loswerden sollte: dass sie streitsüchtig, schwierig, unleidlich sei. Man erzählte auch manche Geschichte von ihr, und bei unseren Symposien, in feuchtfröhlicher Männerrunde, war sie immer mal wieder Gegenstand deftiger Scherze.

Sie stammte aus einer aristokratischen, wenn auch nicht mehr sehr angesehenen Familie. Ihr Vater Neokles hatte ein Landgut besessen, dieses aber heruntergewirtschaftet, bevor er durch den Krieg völlig ruiniert wurde. Als die Spartaner in Attika eindrangen, hatten die Leute vom Lande sich hinter die Mauern der Stadt geflüchtet, und Neokles war mit seiner Familie bei Verwandten untergekrochen. Sein Bruder starb bald darauf an der Pest, und so blieb er in dessen Haus in Athen, selbst als die Gefahr vorüber war. Was sollte er auch noch auf dem Lande, nachdem die Spartaner seine ohnehin schlecht gepflegten Weinberge verwüstet und seine dürren Olivenhaine abgeholzt hatten! Er lebte nun von irgendwelchen Geschäften, nicht immer sauberen, wie man hörte. Vor allem aber versuchte er, seine beiden Töchter an den Mann zu bringen und sich mit reichen, vornehmen Familien zu verbinden. Dabei war ihm allerdings wenig Erfolg beschieden.

Für die Ältere, Leukippe, fand er zwar einen Aristokraten, doch viel gewann er nicht mit diesem Schwiegersohn. Der hatte sein Erbe schon fast verjubelt und den Rest gab er für seine Pferdeleidenschaft aus. Schließlich war er bei allen Wechslern der Stadt verschuldet.

Mit der Jüngeren, Xanthippe, ging es erst recht nicht gut. Weil sie ein auffallend hübsches Mädchen war, versuchte Neokles, den Neffen unseres damaligen Staatslenkers, des unvergessenen Perikles, für sie zu interessieren. Immer wieder lud er diesen Alkibiades, mit dem wir Athener später noch manches erleben sollten, zu sich ins Haus ein. Er war – wie es Aisopos in seiner Fabel schildert – der Bauer, der eine Schlange am Busen nährt. Der Leichtfuß kostete nämlich von dem so freigebig dargebotenen Leckerbissen, doch es fiel ihm nicht ein, mit Xanthippe Ernst zu machen. Und als er auch noch mit seiner Eroberung prahlte, war der gute Ruf der Schönen rettungslos verloren.

Schließlich kam es sogar noch schlimmer. Xanthippe, die die ewigen Vorwürfe dieser Geschichte wegen bald satt bekam, konnte ihr wildes Temperament nicht zügeln und überwarf sich mit ihren Eltern. Einige wollten sogar wissen, sie hätte sich mit ihnen geprügelt. Darauf bestieg sie einen Esel und verschwand eine Weile aus der Stadt. Wie es hieß, kehrte sie auf das Gut zurück, wo aber damals noch die Feinde lagen. Was sie dort trieb, wusste niemand, und hinauszugehen, um sie zurückzuholen, wagte weder ihr Vater noch ein anderer ihrer Verwandten. Nach zwei Monaten war sie wieder da, und nun hieß es natürlich: Spartanerflittchen! Sie jetzt noch an den Mann zu bringen, war so unmöglich wie eine Kuh auf das Dach des Parthenons.

Die Angelegenheit war damals Stadtgespräch, wenn auch nur für kurze Zeit. Uns Athener plagten so viele Sorgen, dass uns die Abenteuer eines ungebärdigen Mädchens kaum noch aufregten. Erst als, nachdem die Seuche abgeklungen war und der Krieg sich auf andere Schauplätze verlagert hatte, das Leben wieder in ruhigen Bahnen verlief, hörte ich erneut von Neokles und seiner Tochter Xanthippe. Der Alte wurde mit einer Gruppe von Gaunern, die durch Getreideschiebereien Gewinn machen wollten, vor Gericht gestellt. Er konnte sich gerade noch so herauswinden. Und die Tochter sorgte auf ihre Weise immer mal wieder für Gerede und Aufsehen.

So mischte sie sich bei den Großen Panathenäen, dem Hauptfest der Athener zu Ehren der Stadtgöttin Athena, unter die Jungfrauen aus vornehmen Familien, die im Festzug auf ihren Köpfen die Körbe mit Opfergeräten trugen. Da sie dazu jedoch aus begreiflichen Gründen nicht auserwählt war, gab es Proteste seitens der anderen Mädchen sowie auch vieler empörter Bürger. Anfangs ließ sie sich nicht beeindrucken, sondern schritt schweigend, stolz und erhobenen Hauptes, ihre Last auf dem Scheitel balancierend, im Festzug. Als aber das Gefauche und Gezisch um sie herum nicht verstummen wollte, blieb sie auf einmal stehen, nahm den Korb herunter, ergriff eine lange silberne Opfergabel und schrie, sie werde der ersten Besten, die noch ein böses Wort zu ihr sage, die Zinken in den Leib rennen. Darauf stoben die Mädchen, die in ihrer Nähe gingen, kreischend auseinander, wobei mehrere ihre Körbe verloren und die kostbaren Gegenstände in den Straßenstaub fielen. Der Festzug stockte, und in dem Durcheinander, das nun entstand, kam manches wertvolle Stück abhanden.

Ganz Übelwollende behaupteten später, dass dieser ganze Auftritt geplant war, damit ein paar Langfinger, die für Neokles arbeiteten, unbemerkt zufassen konnten. Aber das ließ sich nicht beweisen. Ich selbst war damals im Festzug unter den Hopliten, den Fußkämpfern, die gleich hinter den vornehmen Jungfrauen gingen. Erst als einige aus unserer Mannschaft Xanthippe gepackt und die sich heftig Sträubende fortgebracht hatten, konnte der Festzug fortgesetzt werden.

Ich erinnere mich auch, dass sie sich einmal im Theater unangenehm bemerkbar machte. Da saß sie frech unter den Ehefrauen und schaute dem »Hippolitos« zu, einem Werk des Euripides. Die Tragödie gefiel ihr nicht, sie fand die weibliche Hauptfigur, Phaidra, hätte nicht erst im Tode, sondern bereits im Leben für ihre verschmähte Liebe Rache nehmen sollen. Sie meinte auch, es sei lächerlich, sich eines Mannes wegen aufzuhängen. Dies tat sie durch Zwischenrufe kund, die die Aufführung störten. Und nach der Vorstellung sah man dann, wie sie sich an den Dichter heranmachte und leidenschaftlich auf Euripides einsprach. Seine Freunde, darunter Sokrates, mussten ihn in die Mitte nehmen, und ihn vor ihr in Sicherheit bringen.

Auch bei den Oschophorien, dem Herbstfest zu Ehren unseres Weingottes Dionysos, erregte sie einmal Aufsehen. Das war gegen Ende des unglücklichen Kriegsjahrs, als wir Athener die Niederlagen von Delion und Amphipolis erlitten. Gefeiert wurde trotzdem. Doch für die athletischen Wettkämpfe im Stadion meldeten sich damals nur wenige, weil eine große Anzahl junger Männer, die sonst daran teilgenommen hätten, gefallen oder verwundet war. Da erschien plötzlich Xanthippe, bekleidet mit einem kurzen Chiton, wie ihn die Spartanerinnen, die man bei uns spöttisch die »Schenkelzeigenden« nennt, bei ihren sportlichen Übungen tragen. In diesem Aufzug meldete sie sich für den Stadionlauf. Natürlich wurde sie abgewiesen. Streng rügten die Festordner ihre Kleidung. Außerdem hielten sie ihr vor, dass sie die Sitten der Feinde einführen wollte. Aber da kamen sie gut an! Sie stemmte die Fäuste in die Seiten und hielt ihnen einen Vortrag, dass ihnen die Sprache wegblieb. Was denn schlecht daran sei, wenn in Sparta die Frauen und Mädchen ins Gymnasion gingen und Sport trieben. Gesunde Weiber brächten gesunde Söhne zur Welt, aus denen mal kräftige Kämpfer würden – nicht solche Schlappschwänze wie die Athener, die eine Schlacht nach der anderen verlören. Und noch mehr solche Sachen sagte sie. Natürlich erhob sich ringsum Protest, das ganze Stadion hörte ja zu. Als aber die Ordner sie ergreifen wollten, lief sie ihnen davon und durchmaß ganz allein auf ihren langen Beinen die Laufbahn – wahrhaftig wie ein Olympiasieger. Von vielen bekam sie sogar Beifall.

Ihr Vater wurde jedoch vor unseren obersten Ratsherrn, den Archon Eponymos, befohlen, streng ermahnt und vor die Wahl gestellt, entweder seine Tochter künftig zu zügeln oder sich darauf gefasst zu machen, mit ihr aus Athen vertrieben zu werden.

Eine Weile half das, doch nicht sehr lange. Bald hörte man Neues von Xanthippe, und jedes Mal war es wieder etwas, das die einen empörte, die anderen erheiterte. Ich will mich aber auf das Erzählte beschränken, weil ich es miterlebt habe. Noch manches andere erfuhr ich auf den Symposien oder es wurde mir von Kunden berichtet.

Zurückkommen will ich nun wieder auf Sokrates und wie es geschah, dass er den verrückten Einfall hatte, ausgerechnet diese Xanthippe zu heiraten.

Kapitel 2

Sokrates war schon fünfzig Jahre alt und seine Lebensweise denkbar ungewöhnlich.

Noch immer wohnte er in dem Haus, in dem er geboren war und in dem seine Eltern vor längerer Zeit schon gestorben waren. Hier übte er auch das Handwerk seines Vaters aus und ernährte sich schlecht und recht als Steinmetz und Bildhauer. Das war damals in Athen ein angesehener und einträglicher Beruf, und wer seine Sache verstand, konnte es darin leicht zu Wohlstand bringen. Zwar waren die ganz großen Zeiten vorbei, als Perikles auf der Akropolis die berühmten Prachtbauten errichten ließ und dazu ganze Heerscharen bildender Künstler beschäftigte. Aber es gab noch genug zu tun, weil viele reiche Leute ihre Häuser mit Säulen, Statuen und Altären schmückten. Und schließlich sorgten der Krieg und die Pest für regen Bedarf an Stelen und Grabplatten. Manche gaben für Grabmäler ein Vermögen aus, und wer seinem lieben Verstorbenen auf dem Friedhof einen Tempel errichten wollte, kümmerte sich nicht um das Gesetz, es dürfe kein Grabmal so groß und kostspielig angelegt sein, dass nicht zehn Arbeiter in drei Tagen mit seiner Errichtung fertig würden. Geschickte Meister, die sich solche Aufträge zu verschaffen wussten, hatten mit ihren Gehilfen monatelang zu tun. Doch brauchten sie dazu nicht nur besondere Kunstfertigkeit, sondern auch gesunden Geschäftssinn. An beidem mangelte es Sokrates.

Ich will nicht behaupten, dass er ein Stümper war. In seiner besten Zeit, in noch jungen Jahren soll er sogar an einer Gruppe von Grazien, die als Bildleiste den Aufgang zur Akropolis zieren, mitgearbeitet haben. Das Handwerk hatte er, wie es sich gehörte, von seinem Vater Sophroniskos gelernt, an den ich mich auch noch gut erinnern kann. Das war ein biederer Kerl, doch ein Grobian, der bei seinen Unterweisungen in der Kunst, Hammer und Meißel zu führen, nicht mit Ohrfeigen sparte. Sokrates war längst erwachsen, als wir es hinter der Mauer immer noch klatschen hörten. Mein Vater, damals auch noch am Leben, sah dann von seiner Arbeit auf, lauschte mit zufriedenem Grinsen und brummte: »Jetzt gibt er es ihm wieder, dem Bummelanten, dem Tagedieb. Schlag zu, Sophroniskos! Recht so! Hau ihn!«

Ich stimmte dem zwar nicht bei, doch muss ich sagen, mein Alter benannte damit auf seine unverblümte Art die Ursache dafür, dass Sokrates in seinem Beruf nicht vorankam. Er mochte Talent haben und seine Ausbildung war gewiss nicht die schlechteste – aber er hatte keine Lust! Das Behauen von Steinen langweilte ihn, ihm fehlten dazu der Fleiß und die Ausdauer. Er fing etwas an und ließ es liegen. Tagelang würdigte er es keines Blickes. Seit dem Tode des Sophroniskos füllten sich der Hof und die Werkstatt mit Unfertigem. Da stand ein Pfeiler mit angefangener, doch nicht vollendeter Kannelierung, daneben ein Weihrelief mit einer noch kaum erkennbaren Göttergestalt, hier ein Löwe ohne Mähne und Maul, der ein Wasserspeier werden sollte, dort eine Kore ohne Hals und Arme.

Solange der alte lydische Sklave, der schon Sophroniskos gedient hatte, am Leben war, werkelte nebenan wenigstens einer noch müde und mürrisch herum. Doch als der starb, erlosch mit ihm der letzte Funke von Arbeitseifer in dieser Werkstatt. Die Steine, lauter Torsos und roh behauene Blöcke, lagen traurig herum und schienen zu fragen, was nun aus ihnen werden sollte. Und wo war ihr Meister?

Er war überall. Ich erwähnte es schon. Auf dem Markt, im Gymnasion, in der Palästra, im Hafen, am Fluss, auf der Burg, in einem Laden oder in einer Werkstatt des Töpferviertels.

Es gab keinen Ort in Athen, wo man Sokrates nicht begegnen konnte. Und immer war er von diesen meist jüngeren Leuten umschwirrt, die teils wissbegierig, teils belustigt an seinem Munde hingen. Und von zahlreichen anderen, die in der Nähe waren und zufällig Zeit hatten, stehen zu bleiben und zuzuhören.

Der Ablauf war fast immer derselbe. Sokrates sprach jemanden an, ob er ihn schon kannte oder noch nicht, und nahm ihn sich vor. Dabei spielte er gewöhnlich den Unwissenden und tat so, als wollte er etwas lernen. Der andere fühlte sich überlegen, gab Auskunft und ließ sich gründlich ausforschen. Dabei deckte er infolge der geschickten Befragung nach und nach seine Schwächen auf und am Ende kam oft heraus, dass er ein ziemlich hohles Gefäß war und noch eine Menge dazulernen musste. Den Zuhörern machte das Spaß, den auf diese Art Bloßgestellten meist weniger. Mancher lief wütend davon, wobei er Flüche und Drohungen gegen Sokrates ausstieß. Aber den focht das nicht an. Unbeirrt ging er auf den Nächsten zu. Er war nun einmal fest überzeugt, dass er die Menschen besser machen, sie sozusagen veredeln könnte, indem er geduldig die echten Werte, die seiner Meinung nach in jedem schlummerten, aus der Tiefe der Seele ans Tageslicht brachte.

Ein gefährlicher Irrtum, wie sich später herausstellen sollte.

Ich gebe zu, man konnte ihm wohlgesinnt sein und dennoch manchmal denken: ein heilloser Schwätzer! Ein Redner war er nicht, längere Ausführungen vermied er. Als munterer Plauderer, bohrender Fragesteller und unermüdlicher Streithahn war er hingegen ein Naturereignis. Auf diesem Gebiet war ihm niemand gewachsen, immer behielt er das letzte Wort. Schon als ganz junger Kerl, wenn er sich aus der Werkstatt seines Vaters davon stahl, lief er zu den Philosophen und Naturwissenschaftlern, hörte sich ihre Vorträge an und überhäufte sie, kaum dass sie geendet hatten, mit seinen Fragen und Zweifeln. Manche Berühmtheit sah man in Schweiß ausbrechen, weil er sie unbarmherzig bedrängte. Sogar Anaxagoras und Archelaos, die damals bei uns in Athen ihre Lehren verbreiteten, mussten sich mühevoll seiner erwehren. Das waren nun aber bedeutende Denker … man kann sich vorstellen, wie es uns armen Durchschnittsmenschen erging, wenn es Sokrates einfiel, uns – wie er es nannte – zu »prüfen«. Im Laufe der Jahre hatte wohl jeder Athener, ob er nun wichtig war oder sich nur dafür hielt, eine solche Prüfung zu bestehen. Und dennoch: Sokrates war gleichermaßen beliebt wie gefürchtet.

Lange überwog die Beliebtheit, und es versteht sich, dass einer, der über eine so unterhaltsame Begabung verfügte, in jedem geselligen Kreis willkommen war. Fast täglich erhielt er eine Einladung. Irgendwo gab es immer etwas zu feiern. Dem einen war ein Knabe geboren, der andere hatte einen Prozess gewonnen, wieder ein anderer war in ein hohes Amt gewählt worden. Das war dann Anlass zu einem Symposion, einem Trinkgelage, dem natürlich ein tüchtiges Mahl vorausging. Der Gastgeber lud Verwandte, Freunde, Bekannte ein, manchmal Leute, denen er zufällig auf dem Markt begegnete. Und dort war ja Sokrates meistens anzutreffen.

Platon und Xenophon haben uns Symposien geschildert, bei denen er zugegen war. Im ersteren Fall war es der Dichter Agathon, der seinen Sieg im Tragödienwettbewerb feierte, im zweiten gab der schwerreiche Kallias das Festgelage für einen Knaben, in den er verliebt war und der gerade einen sportlichen Sieg errungen hatte. Es versteht sich, dass die Gäste dieser Symposien vor allem Leute von Rang und Stand oder Berühmtheiten waren. Die Gespräche, bei denen Sokrates Wortführer war, bewegten sich, wenn man den Autoren glauben darf, in philosophischen Wolken. Unsereins war da nicht geladen und hätte solchen Gedankenflügen nicht folgten können. Ich habe allerdings den Verdacht, dass die Verfasser, um die Symposien literaturfähig zu machen, manches hinzugedichtet haben, was kaum in einer Runde fröhlicher Zecher, selbst wenn sie aus lauter bedeutenden Köpfen bestand, so gedacht und gesagt wurde. Bei den Gelagen, an denen auch ich teilnahm und dabei Sokrates erlebte, ging es jedenfalls viel ungezwungener zu. Scherzworte flogen hin und her, wir vergnügten uns mit allerlei Spielen und Schabernack, und der weise Mann war gewöhnlich einer der Ausgelassensten.

Von einem solchen Gelage will ich berichten. Einer unserer Freunde, ein Goldschmied, hatte irgendetwas zu feiern und die ganze Nachbarschaft geladen. Zuerst unterhielten wir uns mit dem Kottabos-Spiel, was ja nicht gerade geistige Anstrengungen erfordert. Man spuckt einen Mundvoll gemischten Weins in hohem Bogen auf Schälchen, die in einer Wanne mit Wasser schwimmen. Wer die meisten versenkt, hat gewonnen. Als wir davon genug hatten, fing einer an, Kriegserlebnisse zu berichten. Da fühlte der Nächste sich bald herausgefordert, dann noch einer und noch einer, und alle prahlten mit ihren Heldentaten. Ich selbst gab auch etwas zum Besten und schilderte, wie ich einen Spartaner in die Flucht geschlagen hatte, vor dem in Wirklichkeit ich davongelaufen war. Wenn jeder ein Held ist, wer will da nicht mithalten!

Nur Sokrates, das sei zu seiner Ehre gesagt, schwieg gegen seine Gewohnheit beharrlich, und erst als keinem von uns mehr etwas einfiel, nahm er wieder das Wort und sagte: »Was ihr da erzählt, Freunde, ist ja wirklich sehr eindrucksvoll. Doch wenn ihr meine Meinung hören wollt, so sage ich euch, dass es im Krieg kein großes Kunststück ist, sich auszuzeichnen. Gewöhnlich bleibt einem nichts anderes übrig als dreinzuschlagen, schon aus der Notwendigkeit der Selbsterhaltung. Viel schwerer ist es meines Erachtens, mitten im Frieden, unter ganz normalen Verhältnissen etwas Besonderes zu leisten. Ja, im friedlichen Alltag ist es viel seltener, dass eine mutige Tat vollbracht wird. Erstens mangelt es an Gelegenheit und zweitens ist es auch mit der Bereitschaft nicht so weit her. Mancher, der im Krieg als furchtloser Kämpfer hervortrat, ist mir sonst nur als Zauderer, Schleicher und Duckmäuser bekannt.«

Da erhob sich natürlich Widerspruch. Obwohl Sokrates in gutmütig-spöttischem Ton gesprochen hatte, fühlten wir uns getroffen. Wir verstanden sehr gut, was er meinte. Er wollte sagen: Ich kenne euch Maulhelden gut, mir macht ihr nichts vor! Aber das konnten wir nicht hinnehmen.

So hieß es: Wer vollbringt eine ungewöhnliche Tat? Wer riskiert etwas? Wer bedeckt sich von heute auf morgen mit Ruhm? Wer findet im Alltag dazu die Gelegenheit? Uns alle packte das Wettkampffieber, ein Preis wurde ausgelobt: ein Mischkrug mit edelstem Wein aus Chios. Der wohlhabende Gastgeber wollte ihn spenden, weil die Ehre ja auch auf das Dach fiele, unter dem die Idee zu der glänzenden Tat geboren wurde. Es versteht sich, dass wir jetzt in unserem Ehrgeiz und Eifer vor nichts mehr zurückschreckten.

Einer erbot sich, einen berüchtigten Räuber zu fangen, der in den Vorstädten sein Unwesen trieb.

Ein anderer wollte den Hausbesitzer verprügeln, wenn er das nächste Mal seine Wuchermiete verlangte und drohte, die Tür auszuhängen.

Ohne Hilfsmittel traute sich einer zu, die steilste Wand des Burgfelsens zu erklimmen.

Was ich selber als Mutprobe anbot, war auch nicht schlecht. Da ich mich für einen starken, gewandten Kerl hielt, wollte ich mich beim nächsten Kultfest mit den berufsmäßigen Pankratiasten messen.

Vollmundig machte sich einer nach dem anderen zu einem Nachfolger des Herakles.

Wieder schwieg Sokrates bis zuletzt. Als alle zu ihm hinsahen, seufzte er, zog die Stirn in Falten und sagte: »Da habe ich etwas Schönes angerichtet! Nun kann ich ja nicht als Einziger feige sein. Also gut, auch ich vollbringe eine mutige Tat. Ich werde heiraten!«

Die Verblüffung, die er mit dieser Mitteilung auslöste, ist wohl verständlich. Heiraten? Sokrates und eine Ehefrau – war das überhaupt vorstellbar? Wie sollte ein schlampiger, eigenwilliger Hagestolz in vorgeschrittenen Jahren noch eine Familie gründen? Sein Vorleben kannten wir alle. Früher hatte er sich, wie viele von uns, für Knaben und Jünglinge interessiert. Seine Erfahrungen mit Frauen dagegen beschränkten sich auf Hetären und Hafenhuren. Aber auch solche Bekanntschaften hatte er lange schon nicht mehr gesucht. Wie kam er aus heiterem Himmel auf die Idee, sich ein Weib zu nehmen?

Wir redeten alle durcheinander. Einige lachten, sie glaubten, dass Sokrates nur gescherzt hatte. Andere meinten, er wollte sich um den Wettbewerb drücken, den er selbst ausgelöst hatte. Denn eine Heirat war schließlich keine mutige Tat, jeder beliebige Trottel taugte zum Ehemann.

Thukles, der Goldschmied, unser Gastgeber, sagte vorwurfsvoll: »Aber Sokrates, was redest du da? Halte dich bitte an die Spielregel. Versuche, die anderen zu übertreffen! Was soll denn das … heiraten? Schlag etwas anderes vor. Demnächst soll in der Stoa am Markt ein berühmter Gelehrter aus Samos sprechen. Tritt gegen ihn an, widerlege ihn! Das wäre ein kühnes Unternehmen.«

»Meinst du?«, erwiderte Sokrates. »Ich finde, das wäre zu leicht. So etwas habe ich ja schon oft gemacht, damit könnte ich keine Ehre mehr einlegen. Nein, ich bleibe dabei. Ich heirate!«

»Aber dazu gehört kein Mut!«

»Oh doch! Dazu gehört sogar eine gewisse Tollkühnheit. Ich bin überzeugt, dass ich deinen Mischkrug mit Wein gewinnen werde.«

»Was wäre schon tollkühn daran, eine Witwe zu nehmen? Eine andere passt ja doch nicht mehr zu dir.«

»Ich habe nicht von einer Witwe gesprochen. Ich spreche von einer, die man getrost noch als Jungfrau bezeichnen kann.«

»Was heißt das – getrost?«

»Man braucht etwas guten Willen dazu.«

»Dann ist sie wohl schon etwas ältlich und in ihren besten Tagen sitzen geblieben.«

»Ganz jung ist sie nicht mehr, aber die besseren Tage hat sie noch vor sich.«

»Meinst du mit dir?« rief einer. »Ist sie vielleicht auch so schön wie du?«

»Sie ist schön wie Aphrodite«, sagte Sokrates, wobei er genüsslich die wulstigen Lippen spitzte und seine Augen, die kugelig aus den Höhlen hervorquollen, weit aufriss. »Ich werde die herrlichste Frau von Athen haben.«

»Nun reicht es aber!«, verwies ihn der Hausherr. »Du machst dich über uns lustig. Jetzt ist uns klar, du willst dich vor der Mutprobe drücken. Indem du uns etwas vorschwatzt und ablenkst.«

»Keineswegs. Ich stürze mich mitten hinein in das wildeste, gefährlichste Abenteuer. Ehe ihr den Räuber gefangen, den Hauswirt verprügelt und die Steilwand erklommen habt, wird man mich rühmen als den mutigsten Mann dieser Stadt.«

»Den Namen! Sage uns endlich den Namen!«, wurde von mehreren Seiten gerufen. »Wer ist denn das gefährliche Weib, das du heiraten willst?«

»Nun, wer schon? Ich wundere mich, dass ihr nicht selbst darauf kommt. Ihr kennt sie doch alle. Neokles‹ Tochter ist es. Xanthippe!«

Das war nun ein zweiter Donnerschlag. Wieder blieb uns erst einmal die Sprache weg. Dann erhoben sich fröhliche Rufe:

»Bei allen Göttern, er hat Recht! Das wäre ein Wagnis!«

»Wer sich an die herantraut, ist wahrhaftig ein Held!«

»Wenn er es schafft, ist er Sieger!«

»Das schafft er nicht. Die macht ihn fertig, bevor er noch seinen Antrag vorbringt.«

»Stellt euch die beiden doch mal als Paar vor. Zum Totlachen!«

In der Tat, die hoch gewachsene, schlanke, stolze Xanthippe und der gedrungene, rundliche, watschelnde Kahlkopf Sokrates – dieses Bild erregte schon in der Vorstellung Heiterkeit. Ringsum rissen alle die Mäuler auf, es gab ein Riesengelächter, in das auch der kühne Freier einstimmte.

Dann aber bat er um Ruhe und sagte: »Wenn ich euch also recht verstehe, seid ihr einverstanden mit meinem Angebot. Erkennt es als Mutprobe an.«

Zustimmendes Geschrei war die Antwort.

»Und wann willst du deinen Antrag vorbringen?«, fragte ich.

»Schon morgen«, sagte Sokrates mit fester Stimme. »Ein Zauderer ist schon fast ein Feigling. Üblicherweise ist es freilich der Vater, der für den Sohn die Brautwerbung vornimmt. Aber ich habe ja keinen mehr. Natürlich kann auch ein anderer werben, ein Verwandter oder ein Freund. Sollte unter euch einer bereit sein, sich morgen in das Haus des Neokles zu begeben und um Xanthippe für mich anzuhalten?«

Alle schwiegen und grinsten verlegen. Einige Ältere, die Sokrates ansah, strichen sich seufzend die Bärte.

»Das kannst du nicht von uns verlangen«, sagte schließlich der Gastgeber. »Xanthippe wird ja anwesend sein, und wer kann wissen, wie sie es aufnimmt. Sie wird vielleicht glauben, man will sie verspotten, und es kann für den Brautwerber übel ausgehen. Nein, das ist deine Angelegenheit. Versuche nicht, andere mit hineinzuziehen!«

»Recht hast du, Thukles!«, rief Sokrates lachend. »Ich stellte die Frage auch nur der Form halber. Damit mir später nicht jemand vorwirft, ich hätte gegen Anstand und Sitte verstoßen. So werde ich also meine Sache selbst vertreten.«

»Schon morgen?«

»Schon morgen. Am Vormittag finde ich mich, gewaschen, bekränzt und in meinem Festgewand, bei Neokles ein. Wenn ihr Lust habt, begleitet mich! Ihr könnt ja in einem sicheren Abstand – auf der Straße, an der Pforte – auf meine Rückkehr warten.«

Das war ein Vorschlag nach unserem Geschmack.

»Das tun wir gern! Mit dem größten Vergnügen!«

»Ich bringe Kräutersalbe mit – für den Fall, dass du mit einem Loch im Kopf herauskommst.«

»Ich werde Verbandszeug bei mir haben.«

»Und ich komme mit einem Tragebett! Vielleicht schlägt sie dich lahm – wer weiß, ob du hinterher noch laufen kannst.«

Noch mancher Spaß ging auf Sokrates‹ Kosten. Dann aber kehrten wir bald nach Hause zurück, um am nächsten Tag frisch und pünktlich am Treffpunkt zu sein.

Kapitel 3

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es wurde eine höchst ungewöhnliche Brautwerbung, und noch heute muss ich mich wundern, dass sie am Ende erfolgreich war.

Bereits in aller Frühe zogen wir los. Als Nachbar begleitete ich Sokrates von Anfang an. Da der Demos Alopeke, unser Wohnort, etwas außerhalb der Stadt liegt, mussten wir bis zum Stadttor ein paar Stadien durch das lang gestreckte Dorf und dann durch ein Waldstück wandern. Unterwegs stießen bald die meisten zu uns, die am Abend zuvor am Gelage teilgenommen hatten. Die Übrigen warteten am Tor. Hier wurde noch einmal kurz beraten. Vor allem schärften wir Sokrates ein, sich in der Frage der Mitgift nicht übertölpeln zu lassen. Zerstreut und sichtlich aufgeregt, hörte er uns aber kaum zu. Schließlich setzte er sich an die Spitze des Zuges. Wir hatten es nun nicht mehr weit. Neokles wohnte in einer vornehmen Gegend der Stadt, in der Nähe des altehrwürdigen Areopag-Hügels.

Je näher wir seinem Hause kamen, desto mehr schwand uns allerdings die Hoffnung, dass die Sache gut ausgehen würde. Unser Freier war wirklich alles andere als eine eindrucksvolle Erscheinung. Auch sein Festgewand vermochte ihm keinen Glanz zu verleihen. Es war ihm zu eng geworden und spannte über dem Bauch, die Borten am Saum und an den Ärmeln hingen halb abgerissen herab und an mehreren Stellen war es mit Wein befleckt. Der Kranz, der schief auf dem Kopf saß, schien bereits manches wilde Gelage durchlitten zu haben. Da Sokrates gewöhnlich barfuß ging, waren ihm die Opanken ungewohnt, und so hinkte und wackelte er und musste sich auf den Stock stützen. Seinem grauen, verfilzten Bart hatte auch der ausnahmsweise benutzte Kamm keine Form geben können. Dass unser Freund nicht gerade ein Apoll war, erwähnte ich schon. Mit seiner Stülpnase, den abstehenden Ohren und dem kurzen Hals ähnelte er mehr einem Silen oder Satyr. Die Gassenjungen, die uns daher kommen sahen, dachten wohl, dass wir als verspätete Zechgenossen einen Komos, einen fröhlichen Umzug veranstalteten. Sie riefen uns Spottverse zu und rannten johlend hinter uns her.

Vor dem Haus des Neokles angekommen, machte Sokrates keine Umstände und klopfte mit seinem Stock an die Tür. Zu unserer Überraschung wurde gleich aufgetan. Ein bulliger Türsteher warf einen strengen Blick auf unseren Haufen, ließ Sokrates ein und schloss die Tür wieder. Mir kam der Gedanke, dass sie drinnen vielleicht schon Bescheid wussten, dass sie möglicherweise einer von uns oder ein Sklave des Thukles unterrichtet hatte. Es ist ja immer wieder erstaunlich, wie schnell in dieser Stadt eine Nachricht oder auch nur ein Gerücht die Runde macht und bis in den letzten Winkel vordringt.

Wir warteten schweigend auf das, was geschehen würde. Ab und zu tauschten wir seufzend Blicke, die meiste Zeit starrten wir aber auf die Hauswand, die Tür und das winzige Fenster des überhängenden Obergeschosses. In die Wand hatte einer das Wort »kobalos« eingeritzt, »Gauner«, und jemand hatte vergebens versucht, es durch Übertünchen mit Kalk unlesbar zu machen.

Endlich wurde es drinnen lebendig. Doch wir bekamen gleich einen gehörigen Schreck. Ganz plötzlich erhob sich in schrillen Kaskaden ein Gelächter, das aus einer weiblichen Kehle kam. Es war höhnisch und grausam und schien kein Ende zu nehmen. Wir sahen uns an und wussten Bescheid. Natürlich war es Xanthippe, die dieses Lachen ausstieß, das erst aus dem hinteren Teil des Hauses oder dem Hof, dann aber aus der Nähe der Tür erscholl. Unser Freier wurde schnöde verspottet und abgewiesen. Und da sahen wir ihn auch schon wieder. Der Zerberos stieß die Tür auf und Sokrates hinaus auf die Straße. Nur einen Augenblick konnten wir hinter der breiten Schulter des Türstehers das lachende Gesicht der Xanthippe erkennen. Und während wir unseren Freund umringten und stützten, hörten wir es drinnen immer noch girren und gackern, kichern und prusten.

Sokrates war etwas mitgenommen, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Aber er war schon wieder gefasst.

»Die Sache braucht Zeit«, erklärte er. »Ein zu leicht errungener Erfolg wäre ja trügerisch. An einem Weib, das er ohne Mühe erringt, wird der Mann keine Freude haben. Jedenfalls seht ihr, Freunde, dass mir ein hartes Ringen bevorsteht und dass der Sieg, wenn ich ihn dann erkämpft haben werde, auch seinen Preis wert ist.«

»Du glaubst immer noch, dass du Xanthippe bekommst?« riefen wir. »Du willst es weiter versuchen?«

»Ja, denkt ihr, ich gebe gleich auf … nach dem ersten Geplänkel? Da wäre ich ein schlechter Heiratsstratege. Aber erst einmal mache ich eine Pause und sehe mir an, was ihr so zu Stande bringt. Wie wäre es, Diotimos, wenn du uns jetzt deine Kletterkünste zeigtest? Auf zur Akropolis! Aber lasst uns erst über den Markt gehen, damit ich dort zur Erholung ein paar Gespräche führen kann.«

Wir gingen in Richtung des Marktes. Hinter Sokrates‹ Rücken wurde gefeixt und gespöttelt. Es gab keinen in unserem Haufen, der nicht überzeugt war, er wollte mit seiner zur Schau getragenen Zuversicht nur seine Niederlage erträglicher machen.

Wie aber staunten wir alle – er selber am meisten –, als wir kaum zwei, drei der krummen Gassen durchschritten hatten und eine überraschende Wendung eintrat.

Hinter uns tauchte Neokles auf und schrie, wir sollten stehen bleiben und auf ihn warten.

Er hätte Sokrates etwas zu sagen.

»Mein Bester!«, stieß er hervor, als er keuchend herankam. »Warum läufst du denn weg? Warum hast du keine Geduld? Erwartest du denn von einem Vater, dass er sich auf der Stelle entscheidet? Muss er nicht gründlich mit sich zu Rate gehen, bevor er seine geliebte Tochter hergibt?«

»Das versteht sich«, erwiderte Sokrates, »aber es ist nicht ganz richtig, wenn du behauptest, dass ich davonlief. Du selber gabst ja deinem Schergen Befehl, mich vor die Tür zu setzen.«

»Das tat ich doch nur zu deinem Schutz!«, beteuerte Neokles, wobei er mit großer Geste beide Hände auf die Brust legte. »Du kennst doch das Temperament meiner Tochter. Zunächst nahm sie deinen Antrag heiter auf, aber wer weiß denn, ob sie sich nicht besonnen hätte. Als Vater, der seine Verantwortung kennt, musste ich nachdenken und das Für und Wider erwägen. Inzwischen hätte sie sich vielleicht etwas ausgedacht, sei es auch nur, um dich zu necken. Und es wäre zu Missverständnissen gekommen. Du hättest womöglich gedacht, sie wollte dich nicht, und gleich aufgegeben. Deshalb ließ ich dich rasch hinausgeleiten. Doch wie du siehst, bin ich dir auf dem Fuße gefolgt, und nun können wir endlich in Ruhe verhandeln. Habe ich recht verstanden, dass du keine Mitgift verlangst?«

Dieser Neokles war ein verwitterter Lebemann mit einem fast zahnlosen Mund, den er gewöhnlich zu einem schiefen Lächeln verzog. Sein Bart war künstlich gelockt, und er duftete schon auf zehn Schritte nach Salböl. Um seinen hageren, knochigen Körper schlotterte ein besticktes Stutzermäntelchen, das seine dünnen Beine entblößte und eher zu einem Jüngling gepasst hätte. Die seltsamen Umtriebe dieses Aristokraten erwähnte ich schon. Ohne Zweifel war er es selbst, auf den die Inschrift an der Hauswand zielte.

Seine letzte Frage ließ uns die Ohren spitzen. Keine Mitgift? Wir scharten uns alle um die beiden und passten auf, dass uns nichts entging.

»In der Tat, das war mein Angebot«, erwiderte Sokrates. »Ich wollte allerdings noch hinzufügen, dass deine Tochter dafür etwas anderes mitbringen müsste: die Bereitschaft, mein einfaches und bescheidenes Leben zu teilen. Viel Bequemlichkeit könnte ich ihr nicht bieten. Das zu sagen, war mir jedoch nicht mehr möglich, weil Xanthippe in Gelächter ausbrach und weil …«

»Verzeih ihren Übermut!«, fiel ihm Neokles eifrig ins Wort. »Sie wollte dich damit keineswegs kränken. Außerdem ist sie ihrem Vater gehorsam und wird am Ende tun, was ich will. Dein Angebot scheint mir bedenkenswert, doch bleiben wir nicht auf halbem Wege stehen. Sieh mal, ich bin von altem Adel. Wenn ich meine Tochter schon unter ihrem Stand verheirate, so muss ich wenigstens die Sitte der Väter achten. Bei denen jedoch war es üblich, dass der Freier einen Brautpreis entrichtete!«

»Einen Brautpreis?«, entfuhr es einem von uns. »Das war vor Hunderten Jahren Sitte, zu Priamos‹ und Odysseus‹ Zeiten! Das hast du wohl bei Homer gelesen!«

»Ich verlange ja keine hundert Rinder«, sagte Neokles und lächelte traurig und schief in die Runde, »sondern ich will nur dem Brauch genügen. Ich sitze heute, den Göttern sei es geklagt, im Elend, du aber, Sokrates, hast von deinem Vater geerbt und übst ein blühendes Handwerk aus. Meinst du nicht, dass es anständig wäre, für die Wunde, die du meinem Vaterherzen zufügen wirst, indem du mir mein geliebtes Töchterchen nimmst, ein paar angemessene Geschenke zu geben? Ich würde edles Metall bevorzugen, das in dieser Zeit seinen Wert behält ..«

Kobalos! Gauner! Er hatte sogleich das Geschäft gewittert. Jedem anderen hätte er hundert Rinder dazugeben müssen, um seine Tochter loszuwerden. In Sokrates aber, der von Geld und Besitz nicht viel verstand, lief ihm einer über den Weg, aus dem sich vielleicht noch etwas herausschlagen ließ.

Bevor aber unser Freund zu seiner Antwort den Mund öffnen konnte, mischten sich gleich mehrere ein.

»Hört euch das an! Er verlangt Gold für seine Xanthippe! Ich würde für die keinen Obolos geben!«

»Ich auch nicht! Wer wäre so dumm, eine bösartige Stute zu kaufen, die immer nur ausschlägt und sich nicht reiten lässt!«

»Reiten vielleicht – aber nicht anspannen!«

»Lass ihn stehen, Sokrates! Der will dich doppelt betrügen!«

»Ja, weil er weiß, eine solche Gelegenheit kommt nicht mehr wieder.«

»Wann war der letzte Freier bei euch, Neokles? Vor acht Jahren? Zehn Jahren?«

Unter Gelächter nahmen wir Sokrates in die Mitte und zogen ihn fort. Obwohl er sich sträubte, ließen wir ihn nicht los. Wir waren entschlossen, ihn vor sich selber zu schützen. Gold war zwar nicht bei ihm zu holen, aber der durchtriebene Brautvater hätte ihm vielleicht noch den kleinen Weinberg in Gudi abgeschwatzt, der neben dem Häuschen in Alopeke sein einziges Besitztum war.

Indessen wollte Neokles sich nicht abschütteln lassen und rief: »Warum lässt du dich von diesen Männern bevormunden, Sokrates? Die Sache geht doch nur uns etwas an – uns beide! Lass uns unter vier Augen reden! Ein Bekannter von mir wohnt gleich in der Nähe, dort könnten wir …«

Aber da packte ihn Thukles und raunzte: »Ja, freilich, das könnte dir so passen! Da würdet ihr diesen vertrauensseligen Menschenfreund gleich zu zweit bearbeiten. Doch das schlage dir aus dem Kopf, daraus wird nichts! Entweder gibst du eine Mitgift oder du behältst deine Tochter! Entscheide dich! Hier, auf der Stelle!«

Inzwischen hatten wir die Agora erreicht, den Marktplatz. Im Nu gab es einen Auflauf, wie immer, wenn Sokrates mit Begleitung erschien. Ungewöhnlich war allerdings, dass er diesmal nicht selber das Wort führte, sondern nur ab und zu reichlich hilflos zwischen den Streitenden zu vermitteln suchte.

Von einem Händler ließ Thukles sich eine Wachstafel und einen Griffel geben, drückte mir beides in die Hand und diktierte: