HANS-ARVED WILLBERG
ACHTSAMKEIT
Mein Schlüssel zum Glück
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-838-5
© 2015 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: fotolia florinopea
Satz: Brendow Web & Print, Moers
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
www.brendow-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Zum Einstieg: Was ist Achtsamkeit?
Innere Achtsamkeit
Die beiden Schwerpunkte
Zur Ruhe kommen
Geduld lernen
Ertragen: Eselsgeduld
Erwarten: Katzengeduld
Erkämpfen: Löwengeduld
Achtsame Beziehungspflege
Was brauchen wir voneinander?
Der Takt
Dankbarkeit
Demut und Vertrauen
Demut und Sorge
Das Gegebene
Die Leugnung des Gegebenen
Die Akzeptanz des Gegebenen
Spürsinn entwickeln
Das Spiel des Lernens
Die Schweinehunde frustrieren
Die Spürhunde ermutigen
Zum Schluss: Die Bremer Stadtmusikanten
„Sei achtsam!“ Das kann man noch kürzer sagen: „Gib acht!“ Achtsamkeit hat also etwas mit Vorsicht zu tun. „Pass auf!“, sagt fast dasselbe. Aber eben nur fast, denn es schwingt, wie bei der Vorsicht, eine Bedrohung mit. Das Schöne an der Achtsamkeit ist jedoch, dass sie nichts Bedrohliches an sich hat. Man mag sie geringschätzen, aber bedrohlich finden kann man sie eigentlich nicht.
Weil die Achtsamkeit selbst nichts Bedrohliches ist, brauchen Sie auch die Aufforderung dazu nicht als Druck zu verstehen. Sie ist kein Druck, sie ist Einladung. Mit diesem Buch möchte ich Sie dazu einladen, sich selbst gegenüber wieder mehr Achtsamkeit zu schenken, denn:
„Die ganze Kunst der
Achtsamkeit besteht
darin, sich zu ihr
einladen zu lassen.“
Achtsamkeit zu lernen ist unkompliziert. Man könnte vielleicht sagen, dass sie das Einfachste der Welt ist. Die ganze Kunst der Achtsamkeit besteht darin, sich zu ihr einladen zu lassen. Das heißt praktisch: sich auf die Einladung einzulassen. Wir laden uns oft gegenseitig im ganz normalen Alltag dazu ein. Vor allem die Kinder tun das so oft und eindringlich, dass es uns Erwachsene sogar manchmal nervt:
„Schau mal!“, heißt der Einladungsspruch.
„Schau mal!“, fordert dazu auf, wegzuschauen von dem, was unseren Blick gerade gefangen nimmt, um bewusst und aufmerksam etwas anderes zu betrachten.
Die Aufforderung zur Achtsamkeit ist somit eine Aufforderung zur Ablenkung. Wenn wir uns aber von allem Möglichen ablenken lassen, werden wir nicht achtsam, sondern zerstreut. Es kommt also darauf an, wohin wir den Blick lenken und mit welchem Bewusstsein wir etwas wahrnehmen. Wir brauchen ein Gespür dafür, wann das „Schau mal!“ angemessen ist und wann nicht. Auch dieses Gespür kann man Achtsamkeit nennen. Wir brauchen also Achtsamkeit, um nicht Achtsamkeit mit Zerstreuung zu verwechseln. Wir brauchen Achtsamkeit, um achtsam sein zu können. Wird es jetzt doch kompliziert?
Nein, kompliziert wird es dadurch nicht. Wir sind nur darauf gestoßen, dass die Achtsamkeit wie eine Ellipse um zwei Pole kreist. Der eine liegt außen, der andere innen. Diese beiden Schwerpunkte wollen wir uns nun genauer ansehen, denn sie spielen für Ihr inneres Gleichgewicht eine große Rolle.
„Schau mal!“ klopft von außen bei uns an und fordert uns auf, aus uns herauszugehen: Vergiss dich selbst und was dich gerade beschäftigt und wende deine ganze Aufmerksamkeit etwas ganz anderem zu! Das ist die Außenseite der Achtsamkeit.
„Schau mal, dieser schöne Sternenhimmel!“ Ich kann nicht gleichzeitig staunen und meine grüblerischen Gedanken weiterpflegen. Ich muss mich davon losreißen, wenn ich mich auf die Einladung einlasse. Entweder – oder. Aber ich werde nur staunen und genießen können, wenn ich der Einladung freiwillig folge. Ungezwungen! Da klopft etwas an, aber ich öffne nur die Tür, wenn ich es selbst möchte.
Das ist der andere Schwerpunkt: die Innenseite der Achtsamkeit. Innerlich achtsam sind wir, wenn wir unter allen Umständen die innere Freiheit bewahren. Wir lassen uns nicht einfach von außen her in Beschlag nehmen. Wir entscheiden selbst, ob wir das wollen oder nicht.
Die innere Achtsamkeit ist das Entscheidende. Sehr sensible Menschen sind sozusagen „von Haus aus“ sehr achtsam für Außenreize. Sie empfinden ästhetisch intensiv – das Schöne, aber auch das Hässliche. Sie lassen sich leicht beeindrucken. Sie nehmen auch das Unscheinbare und die feinen Unterschiede wahr. Das ist grundsätzlich sehr gut, aber es kann auch sehr anstrengend werden. Sensible Menschen brauchen darum ganz besonders den Gegenpol: Sie müssen sich auch verschließen können. Sie müssen ihre innere Freiheit schützen.
Das Gewicht auf den inneren Schwerpunkt der Achtsamkeit zu verlagern bedeutet, dass wir zu uns selbst kommen und bei uns selbst bleiben. Das finden wir nicht unbedingt einladend, vor allem dann, wenn wir mit uns selbst im Clinch liegen und viel Stress haben. Aber wenn wir nicht zu uns selbst kommen, können wir uns Tipps zur Achtsamkeit sparen. Sie werden nicht zu uns durchdringen.
Die Voraussetzung zur inneren Achtsamkeit ist daher, dass wir innerlich zur Ruhe kommen. Wer sehr gestresst ist und Probleme mit der Selbstakzeptanz hat, wird jetzt wahrscheinlich antworten: „Das kann ich nicht!“
„Ich kann nicht“ heißt in diesem Fall aber nur entweder „Ich will nicht“ oder „Ich weiß nicht, wie es gehen soll“.
Nehmen wir Letzteres an und versuchen wir eine Antwort, wie das geht: innerlich zur Ruhe kommen.
Man kann sich das Zur-Ruhe-Kommen natürlich sehr erleichtern, wenn man das Beunruhigende ausschaltet. Das meinen wir ja auch, wenn wir sagen:
„Ich muss einfach mal ein bisschen abschalten.“
Es soll heißen, dass wir uns von dem, was uns beunruhigt, distanzieren. Oft ist das eine räumliche Distanz. Wir wechseln die Umgebung. Der Urlaub ist wahrscheinlich unsere beliebteste Abschalt-Methode.
Wenn wir das äußerlich Beunruhigende hinter uns lassen und in eine angenehme andere Umgebung eintauchen, kann das sehr förderlich für das innere Zur-Ruhe-Kommen sein. Darum sei es hiermit auch als wichtige Hilfe (und manchmal auch als notwendige Bedingung) sehr empfohlen. Aber erstens können wir nicht immer Urlaub machen, wenn wir ihn gerade bräuchten, und zweitens können wir uns keinen Urlaub von den Problemen nehmen, die uns innerlich quälen. Wir nehmen sie mit. Dann liegen wir vielleicht bei schönstem Sonnenschein am schönsten Strand der Welt und fühlen uns doch hundeelend. Das sind besonders bittere Enttäuschungen.
Innerlich zur Ruhe zu kommen, ist vor allem und zuerst eine Frage der Akzeptanz. Konkret: Nehmen Sie hin, was Sie im Augenblick nicht ändern können, und lassen Sie sich den Augenblick dadurch nicht verderben!
„Hinnehmen ist ein
Annehmen, ohne Spaß
daran zu haben.“
Hinnehmen ist ein Annehmen, ohne Spaß daran zu haben. Es ist, wie es ist! Also mache ich das Beste daraus. Was wir nicht oder nur um einen zu hohen Preis ändern können, hat schon genug Gewicht, wenn wir es so lassen, wie es ist. Wenn wir es nicht akzeptieren, erhöhen wir das Gewicht sinnlos –es bedrückt uns nur noch mehr.
Praktisch kriegen Sie das hin, wenn Sie anfangen, sich selbst zu beobachten. Der Mensch besitzt nämlich die interessante Fähigkeit, sein Bewusstsein zu verändern. Wir machen das die ganze Zeit, aber wir machen es uns nur selten klar. Zum Beispiel kann ich mich einfach ärgern oder wahrnehmen, dass ich mich ärgere. Wir neigen oft dazu, so etwas nicht wahrnehmen zu wollen, weil es nicht in unser Selbstbild passt, und dann stellen wir so unsinnige Behauptungen auf wie „Ich ärgere mich überhaupt nicht!“ – mit hochrotem Kopf, in höchster Spannung, mit wütendem Blick und bebender Stimme.
Wir besitzen also auch die Fähigkeit, etwas, das wir wahrhaben könnten, nicht wahrhaben zu wollen. Das ist der Punkt, an dem wir die Weiche zur inneren Achtsamkeit stellen können: Wir entschließen uns dazu, wahrzunehmen und wahrzuhaben, was schlicht und einfach so ist, wie es ist. Das ist übrigens nichts anderes als eine Definition von Wahrhaftigkeit.
Das „Schau mal“ richtet sich jetzt also nach innen. Ich selbst sage mir:
„Schau dir mal an, was da gerade in dir vorgeht.“