Vorwort
Wie die meisten Amerikaner liebe auch ich dieses Land. Ich liebe seine grenzenlose Energie und seine beherzten und lebhaften Menschen, die Schönheit der Natur, die Kreativität in so vielen Bereichen, die vielen Dinge, die das Land für die Welt getan hat, sowie die Freiheit und die Möglichkeiten, die es mir und anderen gibt, Bücher wie dieses zu schreiben – und gerade deswegen landete ich am 20. August 2011 im Gefängnis.
Zusammen mit 65 anderen wurde ich vor dem Weißen Haus verhaftet, als wir gegen das vorgeschlagene Keystone XL-Projekt protestierten, gegen die gesamte, mehr als 2.700 Kilometer lange Pipeline, die aus Teersanden gewonnenes Öl aus dem kanadischen Alberta bis zur Golfküste transportieren soll, um den grenzenlosen Durst der USA nach diesem Energierohstoff zu stillen. Unser bescheidener Akt des gewaltlosen zivilen Ungehorsams brachte uns zwei Nächte im zentralen Zellenblock des Gefängnisses ein.
Einige Demonstranten hatten zum Ziel, die Ausbeutung des nordamerikanischen Bodens zu stoppen. Meine Motivation war der Klimawandel: Nachdem ich mich mehr als 30 Jahre lang erfolglos dafür eingesetzt hatte, staatliches Handeln zum Schutz des Klimas unseres Planeten einzufordern, fand ich mich am Ende der sprichwörtlichen Fahnenstange. Mit dem zivilen Ungehorsam wollte ich ausdrücken, dass das ökonomische und politische System Amerikas uns alle im Stich gelassen hatte. Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeiten – Umweltberater von Präsident Jimmy Carter, Mitbegründer von zwei der wichtigsten US-Umweltverbände, Leiter des größten UN-Entwicklungsprogramms und Dekan der Umweltfakultät der Yale University – bezeichnete mich die Zeitschrift Time einmal als »ultimativen Insider«. Aber im August kam ich zu dem Schluss, und ich bin auch heute noch dieser Überzeugung, dass es nicht genügt, innerhalb des Systems zu arbeiten. Wir müssen einen Schritt aus dem defekten US-amerikanischen politisch-ökonomischen System heraustreten und mit der schwierigen Aufgabe beginnen, es zu transformieren – gemäß dem Slogan: »Systemwandel statt Klimawandel«.
Dieses Buch erzählt davon, wie der Systemwandel in den USA Realität werden kann. Kern des Buchs ist die Vision eines attraktiven, angenehmen und erfolgreichen Amerikas und es steht immer noch in unserer Macht, sie bis Mitte des Jahrhunderts Wirklichkeit werden zu lassen. Das »neue Amerika« wird wieder eine der führenden Nationen sein bei der Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit und Wohlergehen, beim Aufbau von Frieden und tatsächlicher globaler Sicherheit und bei der Erhaltung der Umweltgüter, sowohl im eigenen Land als auch in aller Welt. Wir werden unsere Demokratie aus den Klauen der Finanzwelt zurückerobern. Und wir werden eine tief greifende Transformation der führenden Werte und der dominierenden Kultur unseres Landes erleben.
Nun mögen Sie vielleicht denken: Das ist ja alles sehr schön, aber wie kommen wir dorthin? In diesem Buch versuche ich, einen Kurs für den Wandel in Amerika zu zeichnen – einen Kurs vom Niedergang heute zur Wiedergeburt morgen.
Die Reise hin zu diesem neuen Amerika wird dann beginnen, wenn genügend Amerikaner einige wichtige Schlüsse gezogen haben. Der erste ist, dass mit unserem politisch-ökonomischen System insgesamt – dem Betriebssystem, mit dem unser Land jetzt läuft – etwas grundsätzlich nicht stimmt. Dieses System produziert regelmäßig fürchterlich schlechte Ergebnisse und lässt uns in sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Hinsicht im Stich. Der zweite Schluss folgt aus dem ersten. Es handelt sich um den Imperativ des Systemwandels, des Aufbaus eines neuen politisch-ökonomischen Systems, das regelmäßig gute Resultate für die Menschen und den Planeten liefert.
Der dritte Schluss ist der Glaube daran, dass in der Tat eine bessere Alternative existiert, im Gegensatz zu dem, was häufig zu hören ist. Sicherlich verstehen wir noch nicht sämtliche Details dieser Alternative, und eine gehörige Menge schwieriger Analysen und kreativer Experimente steht uns bevor. Wir wissen jedoch genug, um das Vertrauen zu haben, dass etwas viel Besseres aufgebaut werden kann und wir wissen genug, um mit diesem Aufbau zu beginnen.
Diese Schlüsse entsprechen nicht der landläufigen Meinung, aber mehr und mehr Menschen machen sie sich zu eigen. Sie sind das Fundament, auf dem der Systemwandel vorangetrieben werden kann. Aus dieser Perspektive können wir sehen, wie die Dynamik des grundlegenden Wandels entstehen könnte. Während die Bedingungen in unserem Land sich auf breiter Front weiter verschlechtern oder bestenfalls auf dem gleichen Stand weiter schwelen, verlieren immer mehr Amerikaner den Glauben an das gegenwärtige System und an seine Fähigkeit, die von ihm gepriesenen Werte Wirklichkeit werden zu lassen. Das System verliert fortdauernd an Unterstützung, was zu einer Legitimitätskrise führt. Gleichzeitig werden traditionelle Krisen der Wirtschaft wie auch der Umwelt zahlreicher und furchteinflößender. In Reaktion darauf finden sich Progressive jeder Couleur zusammen, finden ihre Stimme und ihre Kraft und leisten Pionierarbeit bei der Entwicklung neuer Ideen und Politikempfehlungen, die bestätigen, dass der Weg in eine bessere Welt tatsächlich existiert. Demonstrationen und Protestveranstaltungen nehmen stark zu und eine breite Bewegung für prodemokratische Reformen und transformativen Wandel entsteht. Auf lokaler Ebene bringen Menschen und Gruppen den Wandel mit einer Vielzahl innovativer Initiativen in Gang, die inspirierende Modelle für die mögliche Funktionsweise eines neuen politisch-ökonomischen Systems darstellen, das sich für den Erhalt menschlicher und natürlicher Gemeinschaften einsetzt. Unsere weiseren und verantwortungsbewussteren Führungspersönlichkeiten – politische wie andere – spüren die Richtung, in die sich die Dinge bewegen, tragen der Situation Rechnung, unterstützen die wachsende Bewegung für den Wandel und formulieren eine überzeugende Geschichte oder ein Narrativ einer positiven Vision eines besseren Amerikas. Die Bewegung weitet sich aus und wird zu einer bedeutenden nationalen Kraft.
Was auch immer aus der Tea Party werden mag, sie hat zumindest gezeigt, dass es möglich ist, sich in einem erstaunlichen Tempo vom Protest zu einer Bewegung und schließlich einer politischen Kraft zu entwickeln. Die Progressiven, die ich kenne, hoffen, dass die Occupy-, Gewerkschafts-, Klima- und andere Bewegungen helfen werden, den Funken einer neuen, breiter angelegten Bewegung in Amerika zu zünden.1
Wir wissen nicht genau, wie diese und andere Kräfte entstehen und einander beeinflussen werden. Aber Folgendes ist klar: Forderungen nach sofortiger Problemlösung – nach Arbeitsplätzen, Steuergerechtigkeit, Klimaschutz – wird bestenfalls mit Vorschlägen für bescheidene Anpassungen und halbherzigen Maßnahmen begegnet und der Kampf für einen tief greifenden Systemwandel wird auf erbitterte Opposition und entschiedenen Widerstand stoßen. Das führt zu der umfassenden Schlussfolgerung, dass die Aussichten für einen Systemwandel wesentlich von der Stärke unserer Demokratie und der Macht der neu aufgebauten sozialen und politischen Bewegung abhängig sind. Transformativer Wandel, selbst die meisten Reformvorschläge, die derzeit von Progressiven in Washington unterbreitet werden, lassen sich ohne eine neue Politik in Amerika nicht realisieren. Daher müssen prodemokratischer politischer Reform und dem Aufbau einer neuen progressiven Bewegung in Amerika oberste Priorität eingeräumt werden. Bürgerbewegungen können kurzfristige politische Zielsetzungen haben, etwa einen Verfassungszusatz zum Schutz des staatlichen Rechtes auf Regulierung der Wahlkampffinanzierung, oder sie können auf transformativen Wandel der Werte und der Art und Weise abzielen, in der die Welt wahrgenommen wird, was mittlerweile das Anliegen vieler Anhänger der Occupy-Bewegung ist. Die verschiedenen Ziele können sich gegenseitig ergänzen.
Bei der Entwicklung dieser Themen bin ich oft zu folgender Frage zurückgekehrt: Ist die Bewertung, die ich in diesem Buch anbiete, zu optimistisch oder zu pessimistisch? Denjenigen, die glauben, dass Amerika zwangsläufig eine düstere Zukunft bevorsteht, wird dieses Buch zu optimistisch erscheinen. Ich bin vielen solchen Menschen begegnet, sowohl persönlich als auch in Diskussionen in den Medien. Denjenigen, die der Ansicht sind, dass die Probleme, mit denen Amerika konfrontiert ist, bald durch die gegenwärtig vorgeschlagenen Reformen bewältigt werden, oder die nicht wahrhaben wollen, vor welch schwerwiegenden Herausforderungen wir stehen, wird dieses Buch übermäßig pessimistisch erscheinen. Zweifelsohne sind viele Menschen dieser Ansicht. Ich selbst finde mich weder in dem einen noch dem anderen Lager wieder.
Optimismus am richtigen Platz ist sinnvoll und mit den Worten von Dee Hock: »Für Pessimismus [ist es] eigentlich zu spät, [...] denn dafür stehen die Dinge schon viel zu schlecht.«2 Statt in den Kategorien von Optimismus und Pessimismus denke ich lieber in denen von Realismus und Hoffnung. Ich habe versucht, realistisch darüber nachzudenken, wo Amerika heute steht und in welche Richtung wir uns entwickeln. Dass wir in einem Meer der Schwierigkeiten treiben, macht mich traurig, aber es scheint mir unmöglich, zu einem anderen Schluss zu kommen. Gleichzeitig bin ich der Überzeugung, dass die zentrale Botschaft des Buchs eine hoffnungsvolle ist. Im gesamten Buch versuche ich aufzuzeigen, dass die Hoffnung auf ein besseres Amerika nicht hohl ist, sondern vernünftig und dass sie wohlfundiert ist. Inmitten all der aktuellen und vorhersehbaren Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, besteht Anlass für die berechtigte Hoffnung, dass eine großartige Zukunft noch immer im Rahmen des Möglichen ist. Mit den Worten von David Suzuki in seinem überzeugenden Essay The Legacy: »Es ist nicht zu spät, einen anderen Pfad einzuschlagen.«3
Während der Arbeit an diesem Buch haben mich die Entstehung der »new economy movement«, der »Bewegung für eine neue Wirtschaftsweise« und meine fortdauernden Interaktionen mit ihren Mitgliedern ermutigt.4 In den Worten des New Economy Network zeichnet sich die neue Wirtschaftsweise dadurch aus, dass in ihr »der Erhalt von Menschen und dem Planeten Priorität hat, soziale Gerechtigkeit und Kohäsion hoch geschätzt sind, und Frieden, Gemeinschaften, Demokratie und Natur gedeihen.«5 Derzeit arbeiten viele Initiativen engagiert an der Entwicklung von Aspekten der neuen Wirtschaftsweise. In den letzten Jahren hatte ich das Glück,
unter anderem mit folgenden Gruppen in den USA zusammenarbeiten zu können: dem New Economics Institute, dem New Economy Network, der New Economy Working Group, dem Institute for Policy Studies, Demos, dem Democracy Collaborative an der University of Maryland, Yes! Magazine, dem Center for a New American Dream, dem Capital Institute, der Zeitschrift Solutions, dem Tellus Institute, der Business Alliance for Local Living Economies, dem American Sustainable Business Council und dem Fourth Sector Network – in der Tat eine außergewöhnliche Ansammlung.6
Ein alter Spruch besagt: »Voraussagen sind gefährlich, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.« Dieses Buch ist nicht voll von Voraussagen im üblichen Sinne, obgleich einige darin vorzufinden sind. Die mögliche Zukunft für Amerika, die hier skizziert wird, ist kein »Weiter-wie-bisher-Szenario«, in dem die Politik, Institutionen und Verhaltensweisen unverändert bleiben. Ganz im Gegenteil. Die hier beschriebene Zukunft beruht auf massivem Wandel, der nur dann Wirklichkeit werden wird, wenn die amerikanische Bevölkerung sich beharrlich dafür einsetzt. Dementsprechend geht es im Buch eher darum, was sein kann, als was sein wird. In jedem Fall hoffe ich, dass meine Fehler bezüglich Einschätzungen und Tatsachen geringfügig und leicht zu vergeben sind.
Ende Oktober 2011 sind meine Frau Cameron und ich durch Vermont zu einem Wildpark in der Nähe des Lake Champlain gefahren, in der Hoffnung, die nach Süden ziehenden Schneegänse zu sehen. Zunächst konnten wir sie hören und dann waren sie da: Tausende, die sich in einem Maisfeld an den Ufern des Dead Creek ausruhten und fraßen. Diese prächtigen Kreaturen aus der Tundra erstreckten sich über fast den gesamten Horizont in südwestlicher Richtung – ein wunderbarer Anblick. Wir kletterten auf das Autodach, um sie besser sehen zu können, und sahen ihnen etwa eine Stunde lang zu. Dann, in dem Moment als wir uns entschlossen hatten, nach den Enten und Sägern zu schauen, erhoben sich die Gänse plötzlich in einem Riesenschwarm in die Luft. In wenigen Sekunden kreisten sie hoch oben in sich stets vergrößernden Kreisen und trompeteten. Zunächst dachten wir, dass sie sich wieder auf die Reise machen würden, aber langsam ließen sie sich in einem anderen an Mais und Wasser reichen Gebiet nieder. Es war einer der schönsten Anblicke, die ich jemals zu Gesicht bekommen werde, und er erinnerte mich an John James Audubons Beschreibung von Schwärmen von Wandertauben, die den Himmel verdunkelten.
Es war ein Augenblick voller Hoffnung und Freude, die Natur immer noch so kraftvoll zu sehen, trotz all der Wunden, die wir ihr zugefügt haben. Aber als wir dort standen, wurde mir bewusst, dass dieses großartige Spektakel nicht nur durch Mutter Natur möglich wurde, sondern auch durch Menschen und ihren Staat, auf US- wie bundesstaatlicher Ebene, die vor Jahrzehnten gemeinsam handelten, um den Dead Creek-Wildpark in Vermont zu gründen. Sie waren engagiert genug, so etwas Wunderbares für künftige Generationen zu schaffen. Als Cameron sagte: »Wir werden sie eines Tages hierherbringen«, brauchte ich nicht zu fragen, wen sie meinte.
Sehr viele Menschen haben mir bei diesem Buch geholfen und ich möchte ihren Beitrag anerkennen und mich bei ihnen gebührend bedanken. An der Spitze der Liste steht der Dekan der Vermont Law School, Jeff Shields, der nicht nur dafür gesorgt hat, dass ich genügend Zeit zum Schreiben hatte, sondern mich stets ermutigte. Meine Frau Cameron gab mir während der ganzen Zeit weise Ratschläge und war mir eine ebenso wertvolle, sachkundige Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts. Megan Hustad war als redaktionelle Beraterin, die die Präsentation schärfte und lebhafter machte, von unschätzbarem Wert. Executive Editor William Frucht von der Yale University Press verdanke ich viele hilfreiche Vorschläge und erfahrene Beratung. Zahlreiche Kollegen haben das Manuskript in Teilen oder in Gänze gelesen; ihnen danke ich für ihre ausgezeichneten Anmerkungen, Ratschläge, Informationen und, wo nötig, Korrekturen. Genannt seien hier Peter Barnes, Kelly Levin, Betsy Taylor, Noel Ortega, John Cavanagh, Robin Broad, David Korten, Edward Strohbehn, Heather Ross, Marianne Tyrrell, Chris Brooks, John Fullerton, Richard Rosen, Gar Alperovitz, Neva Goodwin, Herman Daly, Fritz Schwarz, Paul Raskin, Bill Butler, Helga Butler, Mary Evelyn Tucker, John Grim, Robert Repetto, Bill Rees, Dahvi Wilson, David Grant, Ned Coffin, Peter Victor, Juliet Schor, Steve Dubb, Tom Powell, Chris Ryan, Kirsten Moran, Peter Brown, Mike MacCracken, John de Graaf, Will Raap, Roger Masters, Lew Daly, Steven Dycus, Susan Witt, Emerson Blake, Andrew Blechman, Sarah Stranahan, Bob Costanza, Allen White, Robert Lane, Servaas Storm und Bob Edgar. Außerdem hat eine Gruppe sehr engagierter Studenten der Vermont Law School bei der Recherche geholfen, unter anderen Paige Davis, Brian Martin, Lisa Stevens, Emily Slagle, Veronique Jarrell-King, Ashley Campbell, Stephen Campbell, Allie Silverman, Ben Jones und Josh Donabedian. Mein großer Dank gilt ihnen allen.
James Gustave Speth
Strafford, Vermont/USA