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Mason Currey

Mason Currey wurde in Pennsylvania geboren, studierte an der University of North Carolina und arbeitete acht Jahre lang als Redakteur bei Zeitschriften. Der erste Band derMusenküsse (2014) ist aus seinem Blog »Daily Routines« entstanden. Er lebt in Los Angeles.

Von Mason Currey stammen die Texte über: Kingsley Amis*, Martin Amis*, Maya Angelou*, Isaac Asimov*, George Balanchine*, Balthus*, L. Frank Baum*, Saul Bellow*, Elizabeth Bishop, Louise Bourgeois*, Benjamin Britten*, René Descartes*, John Donne, Walker Evans, Gustave Flaubert*, Graham Greene*, Joseph Haydn, Victor Hugo*, Henry James*, Carl Gustav Jung*, Louis I. Kahn*, Yayoi Kusama, Agnes Martin, William Somerset Maugham*, Margaret Mead*, Henry Miller*, John Milton*, Richard Neutra, Isaac Newton, Joyce Carol Oates*, Sylvia Plath*, Jackson Pollock*, Sergei Rachmaninow*, George Sand*, Nikola Tesla*, Hunter S. Thompson, Henri de Toulouse-Lautrec*, Giuseppe Verdi, Kurt Vonnegut, Richard Wagner, Derek Walcott, Thornton Wilder, P. G. Wodehouse* und Richard Yates.

*Auf Englisch bereits erschienen in:Daily Rituals. How Artists Work, Alfred A. Knopf, New York – Toronto, Copyright © 2013 by Mason Currey.
Sämtliche Texte von Mason Currey wurden übersetzt von Anna-Christin Kramer.

Arno Frank

Arno Frank hat elf Jahre als Redakteur bei der taz in Berlin gearbeitet. Als freier Journalist schreibt er heute für Spiegel Online, Die Zeit, Dummy und den Musikexpress. Bei Kein & Aber erschien 2013 sein Essay Meute mit Meinung. Er lebt in Wiesbaden.

Von Arno Frank stammen die Texte über: Ian Anderson, Ingeborg Bachmann, Pina Bausch, Sibylle Berg, Heinrich Böll, Ray Bradbury, Noam Chomsky, Julio Cortázar, Robert Crumb, Roald Dahl, Dalai-Lama, Don DeLillo, Joan Didion, Heimito von Doderer, Fjodor Dostojewski, Lena Dunham, Brian Eno, Cornelia Funke, Wolf Haas, Peter Handke, Michel Houellebecq, Elfriede Jelinek, Ernst Jünger, Jack Kerouac, Thomas Körner, Karl Lagerfeld, Stieg Larsson, John le Carré, Jonathan Meese, Eva Menasse, Theodor Mommsen, Herta Müller, Friedrich Nietzsche, Gerhard Polt, Peter Scholl-Latour, Arthur Schopenhauer, Lutz Seiler, Peter Sloterdijk, Susan Sontag, J. R. R. Tolkien, Franz Josef Wagner, Martin Walser, Juli Zeh und Slavoj Žižek.

ÜBER DAS BUCH

Auch der zweite Band der Musenküsse widmet sich den Strategien und Tricks von 88 Künstlern, dem Tag ein Kunstwerk abzutrotzen. Für Wolf Haas ist ein winziger Schreibtisch essenziell, für Lena Dunham ist der Arbeitsort egal, Hauptsache sie kann auf ihrem Laptop schreiben. Richard Wagner komponierte in aller Stille und Zurückgezogenheit, Jonathan Meese wiederum hört beim Malen laute Elektromusik und tänzelt von Bild zu Bild. Dem Choreografen George Balanchine kamen die besten Ideen beim Bügeln, während Hunter S. Thompson eher auf viel Kokain und Alkohol setzte.

Mason Currey und Arno Frank versammeln in Mehr Musenküsse weitere Rituale von Schriftstellern, Malern, Philosophen, Architekten, Komponisten und anderen kreativen Berühmtheiten in pointierten, amüsanten und überraschenden Mini-Biografien.

Titelseite

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

 

Karl Lagerfeld

Herta Müller

Lena Dunham

Hunter S. Thompson

Richard Yates

Peter Sloterdijk

Friedrich Nietzsche

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

Richard Wagner

Benjamin Britten

George Balanchine

Elfriede Jelinek

Dalai-Lama

René Descartes

John Donne

Gerhard Polt

Wolf Haas

Cornelia Funke

Peter Handke

Joyce Carol Oates

Louis I. Kahn

Isaac Asimov

Slavoj Žižek

Pina Bausch

Eva Menasse

Juli Zeh

Don DeLillo

Stieg Larsson

Franz Josef Wagner

Michel Houellebecq

Martin Amis

Henri de Toulouse-Lautrec

Louise Bourgeois

Carl Gustav Jung

Ernst Jünger

Heimito von Doderer

Ingeborg Bachmann

Jack Kerouac

Margaret Mead

Peter Scholl-Latour

Noam Chomsky

Lutz Seiler

Martin Walser

Arthur Schopenhauer

Victor Hugo

Giuseppe Verdi

Sergei Rachmaninow

Nikola Tesla

J.R.R. Tolkien

P.G. Wodehouse

Kingsley Amis

Saul Bellow

Maya Angelou

Sibylle Berg

Jonathan Meese

Thomas Körner

Robert Crumb

Yayoi Kusama

Balthus

Heinrich Böll

Joan Didion

Susan Sontag

Kurt Vonnegut

Ray Bradbury

John Milton

Isaac Newton

Joseph Haydn

William Somerset Maugham

Graham Greene

L. Frank Baum

Sylvia Plath

Elizabeth Bishop

Roald Dahl

Jackson Pollock

Julio Cortázar

John le Carré

Henry James

Richard Neutra

Thornton Wilder

Walker Evans

Derek Walcott

Henry Miller

Agnes Martin

Ian Anderson

Brian Eno

George Sand

Gustave Flaubert

Theodor Mommsen

 

Anhang

VORWORT

Als 2014 der erste Teil der Musenküsse auf Deutsch erschien, reichte der Platz nur für etwa zwei Drittel der Texte, die ich für die amerikanische Originalausgabe geschrieben hatte. Unter den Texten, die den Sprung ins Buch nicht schafften, befanden sich auch einige meiner Favoriten. Entsprechend begeistert war ich, als ein zweiter Teil ins Gespräch kam. Nur leider hatten wir jetzt viel zu wenige Texte für ein ganzes Buch – und mir fehlte die Zeit (vielleicht war es auch die Kraft), ein halbes Buch aus dem Nichts zu erschaffen. Aus diesem Dilemma entstand eine wunderbare Chance, indem wir Arno Frank als Co-Autor hinzuholten. Das Ergebnis ist eine echte Gemeinschaftsarbeit. So waren wir in der Lage, ein noch breiteres Spektrum kreativer Disziplinen zu versammeln und zahlreiche deutsche Persönlichkeiten vorzustellen, die ich allein niemals hätte zusammentragen können. Wem der erste Band gefiel, dem wird der zweite mindestens genauso gut gefallen – davon bin ich überzeugt.

An dieser Stelle möchte ich kurz darauf eingehen, welche Absicht hinter diesen Büchern steckt, welcher tiefere Sinn sich in den biografischen Skizzen verbirgt. Mit Erscheinen der Originalausgabe sowie diverser Übersetzungen fand ich mich plötzlich und unerwartet in der Position des Kreativitätsexperten wieder, verteilte Ratschläge, wie aufstrebende Künstler am besten ihre Tage strukturieren sollten, Inspiration fänden, kreative Blockaden lösen könnten und so weiter. In Wirklichkeit bin ich keine gute Quelle für derlei Ratschläge. Mein Ziel war nicht, irgendwelchen »Geheimnissen« auf die Spur zu kommen, sondern vielmehr, die enorme Bandbreite an Verhaltensweisen aufzuzeigen, aus denen großartige Werke hervorgingen. Mich interessiert weniger das große Ganze als die kleinen Details – wie George Balanchine die Ideen beim Bügeln kamen, wie Toulouse-Lautrec Cocktails mischte, die sich wie »ein Pfauenschwanz im Mund« anfühlen sollten, wie Joyce Carol Oates den ersten Entwurf mit dem Versuch verglich, »eine Erdnuss mit der Nase über einen völlig verdreckten Boden« zu schieben. Ich hoffe, meine Leser werden sich die Details herauspicken, die ihrem eigenen Naturell entsprechen, statt nach verbindenden Motiven zu suchen, und ich hoffe, dass sie darin Inspiration oder Trost finden, während sie die turbulenten, unsteten Gewässer eines schöpferischen Lebens durchsteuern.

 

Mason Currey, Los Angeles im Juni 2015

Karl Lagerfeld

(* 1933)

»Routine, ich hasse das Wort«, sagt Karl Lagerfeld. Trotzdem gestaltet sich der Arbeitstag des weltbekannten Modeschöpfers sehr routiniert. Er lebt in Paris in zwei benachbarten Häusern. Das eine Haus dient dem Schlafen und Zeichnen, im anderen Haus befinden sich Büro, Studio, Küche und ein Salon zum Empfangen der Gäste. Dem Magazin Harper’s Bazaar hat er seinen Alltag folgendermaßen geschildert: »Ich schlafe immer sieben Stunden. Wenn ich um zwei Uhr ins Bett gehe, stehe ich um neun Uhr auf. Wenn ich um Mitternacht ins Bett gehe, wache ich um sieben Uhr auf. Ich wache nicht vorher auf – das Haus könnte zusammenbrechen, ich brauche meine sieben Stunden.« Oft schreibt er direkt nach dem Aufstehen die Gedanken auf, die ihm nachts durch den Kopf gegangen sind. »Neulich habe ich eine ganze Kollektion nachts geträumt, ich habe sie am nächsten Morgen komplett aufzeichnen können, und es hat alles gepasst.«

Sein Frühstück besteht aus zwei zuckerfreien Protein-Shakes mit Schokoladengeschmack, gedünsteten Äpfeln und der ersten von vielen weiteren Cola lights aus der Dose. Danach zieht er sich, noch im Nachthemd, in sein Lesezimmer mit Blick über die Seine und auf den Louvre zurück, um Zeitungen zu lesen oder erste Zeichnungen anzufertigen.

Um 11 Uhr lässt er sich die Haare frisieren und weiß färben, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmet. Ein Mittagessen findet nicht statt: »Nach meinem Malpensum gehe ich in die Badewanne. Ein Badezusatz, von dem ich die halbe Flasche in die Wanne gieße, macht das Wasser sanft. Es ist ein französisches Produkt, über hundert Jahre alt.« Sport treibt er auf Anraten seiner Ärzte kaum, seine Pausen verbringt er mit dem müßigen Blättern in Bildbänden oder in acht ver-schiedenen Tageszeitungen. »Und ich tagträume. Tagträumen ist die vielleicht wichtigste Arbeit in meinem Leben.«

Erst gegen 16 Uhr lässt er sich von einem seiner beiden Fahrer zu Chanel chauffieren. Auf dem Weg besucht er seinen Lieblingsbuchladen Galignani oder kauft Kleider ein. Gegen 17 Uhr betritt er schließlich mit der Mappe unterm Arm die Werkstatt, die sich in der Rue Cambon über vier Etagen erstreckt. »Ich bin dort von fünf bis acht. Bei mir geht alles sehr schnell, ich bin gut organisiert. Ich ziehe es vor, alle Arbeit abends zu erledigen, oder am Wochenende. Dann schicke ich alles ins Office mit dem iPhone. Ich drapiere keine Stoffe im Studio, so etwas mache ich nicht. Meine Arbeit ist sehr konzeptuell.«

Er zeichnet mit einer Lidschattenpalette von Shu Uemura, dazu muss eine Duftkerze aus eigener Produktion brennen. Nach dem Abendessen gegen 21 Uhr zieht er sich in sein Haus zurück: »Wie ich vor dem Schlafen abschalte, hängt davon ab, wie müde ich bin. Manchmal lese ich. Später spiele ich mit meiner Katze, Choupette, die bleibt immer zu Hause.« Das Rezept für einen guten und inspirierenden Schlaf hat ihm seine Mutter schon als Kind beigebracht: »Die ganze Welt muss einem egal sein. Dann schläft man sehr gut.«

»Die ganze Welt muss einem egal sein.«

Herta Müller

(* 1953)

In ihrer Wohnung in Berlin-Friedenau bastelt die Nobelpreisträgerin oft bis tief in die Nacht mit Wörtern, die sie auf Postkarten akribisch zu Sätzen ordnet. Mit Schere und Kleber, denn die Wörter sind aus Katalogen, Werbebroschüren oder Zeitungen ausgeschnitten und in einem speziellen Schränkchen in Schubladen geordnet, sortiert nach Anfangsbuchstaben oder Präpositionen. Zu diesem Zweck arbeitet sie an einem kleinen Stehtisch mit quadratischer Fläche, um den sie auch herumgehen kann, um die Worte von allen Seiten zu sehen. Auf diese Weise entstehen kleine Vignetten und neue Zusammenhänge.

Das eigentliche Schreiben bereitet Müller laut Aussagen von Freunden und Weggefährten große Mühe, obwohl sie es rein äußerlich – anders als ihre Collagen – keinen ästhetischen Ideen unterordnet. Sie selbst sagt:

Wenn ich zu Hause bin, schreibe ich meistens auf meinem Laptop, an einem ganz kleinen Tisch in meinem Zimmer. Bei längeren Textstücken schreibe ich nebenbei ins Heft, wenn mir bestimmte Passagen dazu einfallen. Ich benutze ganz billige Kugelschreiber und kaufe immer gleich zehn Stück davon. Wenn ich beim Schreiben eine Ästhetik des Materials betreiben würde, das käme mir absurd vor. Denn als ich noch in Rumänien lebte, kriegte man nur mit Glück überhaupt Kugelschreiberminen oder Tinte. Ich habe eine Zeit lang aus der Fabrik Papier gestohlen, das weggeschmissen wurde, und die Rückseite zum Schreiben benutzt.

Lena Dunham

(* 1986)

Wie kaum eine zweite Frau ihres Alters gilt Lena Dunham als Stimme ihrer Generation. Als Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin der Serie Girls erlangte sie Berühmtheit, ihre Memoiren Not That Kind Of Girl wurden ein Bestseller. Darin schreibt sie auch über ihren Konsum von Drogen wie Xanax und Kokain – eine Gewohnheit, die sie inzwischen abgelegt hat, um besser arbeiten zu können. Wegen ihrer vielen Beschäftigungen vermisst sie jedoch geregelte Arbeitszeiten, wie sie den Journalistinnen Emma Chastain und Melissa Albert anvertraute: »Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich eine wundervolle Routine hätte.« Mal arbeitet Dunham das ganze Wochenende, mal für eine Stunde zu Hause in Manhattan, mal im Flugzeug, mal auf ihrem Regiestuhl in den Mittagspausen beim Dreh.

Dunham schreibt ausschließlich auf ihrem Laptop: »Ich hasse meine Handschrift, das ist vielleicht so ein Generationending, weil ich viele Leute kenne, denen es ebenso geht. Sie haben sich so sehr von ihrer Handschrift entfremdet, dass sie ihnen gar nicht mehr wie ihre eigene erscheint. Ich habe keinen Bezug zu meiner Handschrift. Meine Handschrift ist Times New Roman.«

Sie schreibt oft in letzter Minute, häufig unter Druck, am liebsten in ihrem Bett. Als sie noch als Verkäuferin in einem Kleidergeschäft oder als Hostess jobbte, konnte sie nachts von 22 bis 4 Uhr arbeiten. »Jetzt ist es schwieriger für mich, diese Gewohnheiten zu ändern«, erzählte sie einem Kulturmagazin. »Also rede ich mir an manchen Tagen ein: ›Ich bekomme heute etwas geschrieben.‹ Ich brauche die Möglichkeit, trödeln zu können: Sachen im Internet nachzuschauen, schnell sechs Mails zu beantworten, im Kreis zu laufen oder rauszugehen und die Zeitung zu lesen.«

»Meine Handschrift ist Times New Roman.«

Hunter S. Thompson

(1937–2005)

In ihrer Biografie des rauschgiftsüchtigen amerikanischen Schriftstellers aus dem Jahr 2011 schildert E. Jean Carroll Thompsons Tagesablauf, der stellenweise sicher überzeichnet ist – vermutlich aber nicht allzu stark:

 

15:00 Aufstehen

15:05 ein Glas Chivas Regal zur Morgenzeitung, Dunhill-Zigaretten

15:45 Kokain

15:50 noch ein Glas Whisky, Zigarette

16:05 erster Kaffee, Zigarette

16:15 Kokain

16:16 Orangensaft, Zigarette

16:30 Kokain

16:54 Kokain

17:05 Kokain

17:11 Kaffee, Zigaretten

17:30 mehr Eis in die Whiskys

17:45 Kokain usw. usw.

18:00 Marihuana, um dem Tag ein bisschen die Geschwindigkeit zu nehmen

19:05 Mittagessen in der Woody Creek Tavern – Heineken, zwei Margaritas, zwei Cheeseburger, zwei Portionen Pommes, einen Teller Tomaten, Krautsalat, einen Tacosalat, eine doppelte Portion Zwiebelringe, Karottenkuchen, Eiscreme, frittierte Bohnenbällchen, Zigaretten, noch ein Heineken, Kokain und, für den Heimweg, einen Schneeball (ein Glas geschabtes Eis, über das drei oder vier Schluck Whisky gegossen wurden)

21:00 ernsthaftes Kokainschnupfen beginnt

22:00 Acid

23:00 Chartreuse, Kokain, Marihuana

23:30 Kokain usw. usw.

  0:00 Mitternacht, Hunter S. Thompson ist bereit für die Arbeit

  0:05–6:00   Chartreuse, Kokain, Marihuana, Whisky, Kaffee, Bier, Nelkenzigaretten, Grapefruit, Zigaretten, Orangensaft, Gin, dabei durchgehend Pornos

  6:00 Whirlpool–Champagner, Dove-Seife, Fettuccine Alfredo

  8:00 Schlaftabletten

  8:20 Schlafen

Nicht alle Berichte von Thompsons Tagesablauf haben es derart in sich. Seine langjährige persönliche Assistentin Deborah Fuller erzählte, Thompson habe sich beim Schreiben von Musik anregen lassen – Bob Dylan zählte zu seinen Favoriten –, außerdem liebte er üppiges Frühstücken, er zog nächtliche Bahnen im Pool eines Freundes und versammelte gerne zahlreiche Freunde und Kollegen zu ausgelassenem Beisammensein in seinem Arbeitszimmer. Oft begann er erst gegen 4 oder 5 Uhr morgens zu schreiben und verzichtete auch komplett auf Schlaf, wenn er einen schöpferischen Lauf hatte. »Manchmal blieb er über mehrere Wochen tagelang wach und schlief dann zwanzig bis sechsundzwanzig Stunden am Stück, und dann machten wir wieder zwei, drei Nächte durch«, erinnerte sich eine Freundin Thompsons. Ein Lektor dagegen merkte an, die Legende vom partysüchtigen Schriftsteller verstelle mitunter den Blick auf die Realität, in der Thompson gewissenhaft Stunde um Stunde an der Schreibmaschine saß und an seinen Texten feilte. »Unsere Zusammenarbeit«, sagte er, »fand hauptsächlich in der Nachtschicht statt.«

Abb. 1: Hunter S.Thompson feuert mit seiner geliebten 45 mm in die Luft.

Im Jahr 2000 erzählte Thompson der Paris Review, ein Großteil seines Werkes sei nicht von Drogen oder »Inspiration« angetrieben gewesen, sondern vielmehr von näher rückenden Abgabeterminen. »Ich bin nicht stolz darauf, aber ich kann mir nicht vorstellen, ohne knappe Deadline irgendetwas zu Papier zu bringen«, sagte er. Später fügte er hinzu: »Du musst morgens Seiten auf dem Tisch haben. Ich messe mein Leben in Seiten. Wenn bei Sonnenaufgang welche vorliegen, war es eine erfolgreiche Nacht. Es gibt keine Kunst, solange sie nicht auf dem Papier ist, es gibt keine Kunst, solange sie nicht verkauft wird.«

Richard Yates

(1926–1992)

In den späten 1970er-Jahren, als der Schriftsteller Richard Yates allein in Boston wohnte, begannen seine Tage stets mit einem heftigen Kater und einer Zigarette im Bett. Danach ging er ins Bad, übergab sich, duschte und fühlte sich im Anschluss gut genug, um vier Stunden lang zu schreiben. Wenn er Hunger bekam, spazierte er in das knapp hundert Meter entfernte Irish Pub Crossroads, wo er elf Jahre lang täglich zu Mittag und zu Abend aß. Nach dem von einigen Gläsern Bier begleiteten Mittagessen machte er zu Hause ein Nickerchen und arbeitete anschließend drei weitere Stunden. Dann brach er wieder auf ins Crossroads, um sich rechtzeitig vor dem Abendessen zu betrinken. So ging es tagein, tagaus. Zerrüttet von Alkohol und psychischer Krankheit, befand Yates sich an einem absoluten Tiefpunkt seines Lebens – und schrieb trotzdem sieben Stunden am Tag. Der Biograf Blake Bailey hielt treffend fest, Yates’ Arbeit sei umso erfolgreicher gewesen, »je schlimmer es um ihn selbst stand«.

Peter Sloterdijk

(* 1947)

Im Hochparterre seiner Altbauwohnung in Karlsruhe arbeitet Peter Sloterdijk an einem schmalen Schreibtisch mit Blick auf die Straße. Der Computer ist sein »Universalgerät«, sein Bildschirmhintergrund ganz neutral eine Wiese von Microsoft. Die eigentliche Arbeit am Text währt nur vier oder fünf Stunden, »eher weniger, denn ich lese langsam und absorbiere«. Er schreibt nur, solange es ihm leicht von der Hand geht.

Für die Recherche zieht er seine zwanzigtausend Bücher umfassende Bibliothek zurate, gerne verweilt er aber auch auf Blogs: »Ich fahre hin und wieder auf Die Achse des Guten, wenn ich Lust habe, den Kopf zu schütteln, oder zu Telepolis, wenn ich Sympathisches haben will. Das mit Abstand Brauchbarste im Netz ist Arts&Letters Daily, ein anglofoner Super-Perlentaucher. Damit entgeht mir kein intelligenter Satz, der irgendwo in der Welt auf Englisch geschrieben wird.«

Spätestens zum Mittagessen ist er mit der Schreibarbeit fertig. Zum Ausgleich setzt er sich auf sein Fitnessgerät im Wohnzimmer oder unternimmt lange Fahrradtouren, manchmal mehr als hundert Kilometer am Tag: »Da kommen in einem Sommer schon ein paar Tausend Kilometer zusammen. Radfahren bedeutet für mich eine Rückkehr zu dem alten Savannen-Adam, der bei der Jagd den ganzen Tag läuft und dabei immer high ist«, sagte er dem Spiegel. Er schätzt den »meditativen« Zustand, in den ihn das Fahren nach einer Stunde versetzt.

Beinahe täglich empfängt er Kollegen von der Hochschule, die er auch gerne bekocht. Es folgen Tischgespräche, bis Sloterdijk sich seiner Abendgestaltung widmet, »Briefe in alle Himmelsrichtungen« schreibt oder sich den Reizen des Fernsehers hingibt:

Ich benutze das Fernsehen als Gleichgültigkeitsmaschine. Ich schaue so lange auf den Bildschirm, bis der gefühlte Unterschied zwischen einem Papst-Segen, einer pornografischen Dauerwerbesendung und einem Bericht über die Fauna von Madagaskar gegen null geht. Dann ist der Zustand erreicht, in dem das Gehirn bereit ist, sich für ein paar Stunden von der Welt zurückzuziehen.

Friedrich Nietzsche

(1844–1900)

Zeitlebens notierte der stets kränkelnde Philosoph seine Befindlichkeiten. Da ihm vor allem das Wetter zu schaffen machte, verbrachte er den Winter gerne im Piemont oder an der Riviera. Routinen verabscheute er und fürchtete, »dass ein Tyrann in meine Nähe kommt und dass meine Lebensluft sich verdickt, wo die Ereignisse sich so gestalten, dass dauernde Gewohnheiten daraus mit Notwendigkeit zu wachsen scheinen«.

Kurze Gewohnheiten dagegen schätzte er sehr, wie er sie zu seinen produktivsten Zeiten im schweizerischen Kurort Sils-Maria verlebte. Mit der Dämmerung stand er auf, wusch sich mit kaltem Wasser und trank warme Milch. Dann arbeitete er bis 11 Uhr. Es folgte ein zweistündiger Spaziergang durchs Gebirge, den er für kurze Notizen in seinem Heft immer wieder unterbrach. Meist schrieb er dabei von hinten nach vorne. Seinem späten Mittagessen im Hotel Alpenrose – Steak und Unmengen von Früchten – folgte eine weitere Wanderung. Neben Notizbuch und Stift trug er stets einen graugrünen Regenschirm bei sich, um die Augen vor der alpinen Sonne zu schützen. Spätestens um 17    und es geht.