Zum Buch
London, Ende der vierziger Jahre: Die junge Schriftstellerin Juliet erhält einen ungewöhnlichen Brief. Absender ist Dawsey Adams, ein Bauer von der Kanalinsel Guernsey, der antiquarisch ein Buch erworben hat, das zuvor ihr gehörte. Zwischen den beiden entspinnt sich ein Briefwechsel, durch den Juliet von der Existenz der »Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf« erfährt, einer literarischen Gesellschaft, die einige der Inselbewohner gründeten, um sich über die schwere Kriegszeit hinwegzuhelfen. Je mehr Juliet über Dawsey und die anderen erfährt, desto mehr wünscht sie sich diese Menschen zu treffen. Und so beschließt sie, auf die Insel zu reisen. Dort stößt Juliet auf die Geschichte von Elizabeth, einem verschollenen Mitglied des Clubs, und deren großer Liebe zu einem deutschen Offizier. Und sie lernt Dawsey immer besser kennen …
Zur Autorin
MARY ANN SHAFFER, geboren 1934 in Martinsburg, West Virginia, arbeitete als Buchhändlerin und Bibliothekarin. Leider erlebte sie den ungeheuren Erfolg ihres ersten Romans nicht mehr. »Deine Juliet« erschien wenige Monate nach ihrem Tod. Ihre Nichte ANNIE BARROWS, die sich bereits als Kinderbuchautorin einen Namen gemacht hat, half ihr kurz vor ihrem Tod bei der Fertigstellung des Buches.
Mary Ann Shaffer und
Annie Barrows
Deine Juliet
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Margarete Längsfeld
und Martina Tichy
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Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society« bei The Dial Press, New York.
Copyright © 2008 by Mary Ann Shaffer und Annie Barrows
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Covergestaltung: semper smile, München
Covermotive: © Getty Images Cultura RM / Pete Saloutos (Frau) ©Shutterstock / Mark Carrel (Stempel)
mb · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-18450-6
V003
www.btb-verlag.de
Erster Teil
Amelia an Juliet
13. Mai 1946
Meine Liebe,
wie habe ich mich gefreut, als gestern Ihr Telegramm kam, in dem Sie schreiben, dass Sie uns besuchen werden!
Ich habe Ihre Bitte befolgt und die Neuigkeit sofort verbreitet – Sie haben den Club ganz schön in Aufregung versetzt. Die Mitglieder haben sofort angeboten, Sie mit allem zu versorgen, was Sie brauchen könnten: mit einer Unterkunft, Verpflegung, mit Einführungen und einem Satz elektrischer Wäscheklammern. Isola ist vollkommen aus dem Häuschen, weil Sie kommen, und ist schon im Sinne Ihres Buches tätig. Ich habe ihr zwar zu bedenken gegeben, dass es bislang nur eine Idee ist, aber sie ist eisern entschlossen, Material für Sie zu sammeln. Sie hat alle Leute, die sie vom Markt kennt, gebeten (ihnen vielleicht gar zugesetzt?), Ihnen Briefe über die Besatzungszeit zu schreiben. Sie meint, die brauchen Sie, um Ihren Verleger zu überzeugen, dass das Thema ein Buch wert ist. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie in den kommenden Wochen mit Post überschwemmt werden.
Außerdem hat Isola heute Nachmittag Mr. Dilwyn in der Bank aufgesucht und ihn gebeten, Ihnen Elizabeths Cottage für die Dauer Ihres Besuches zur Miete zu überlassen. Es ist ein hübsches Anwesen auf einer Weide unterhalb des Herrenhauses und klein genug, um es mühelos in Ordnung halten zu können. Elizabeth ist dort eingezogen, als die deutschen Offiziere das große Haus beschlagnahmten. Sie hätten es dort sehr bequem, und Isola hat Mr. Dilwyn versichert, dass er nur einen Mietvertrag für Sie aufzusetzen braucht, um alles andere will sie sich kümmern: Zimmer lüften, Fenster putzen, Teppiche klopfen und Spinnen töten.
Bitte fühlen Sie sich durch diese Vorkehrungen nicht verpflichtet. Mr. Dilwyn hatte ohnehin vor, das Anwesen in nächster Zeit daraufhin begutachten zu lassen, ob es sich zur Vermietung eignet. Die Anwälte von Sir Ambrose stellen Nachforschungen nach Elizabeths Verbleib an. Sie haben herausgefunden, dass es keinen Nachweis über ihre Ankunft in Deutschland gibt, nur darüber, dass sie in Frankreich in einen Transportzug mit dem Bestimmungsort Frankfurt verbracht wurde. Die Nachforschungen werden fortgesetzt, und ich bete, dass sie zu Elizabeth führen werden, aber in der Zwischenzeit möchte Mr. Dilwyn den Besitz, den Elizabeth von Sir Ambrose geerbt hat, vermieten, um Einkünfte für Kit zu erzielen.
Manchmal denke ich, wir sind moralisch verpflichtet, nach Kits deutschen Verwandten zu suchen, aber ich kann mich nicht dazu durchringen. Christian war ein außergewöhnlicher Mensch, und er verabscheute, was sein Land tat, aber das lässt sich nicht von den vielen Deutschen sagen, die an den Traum vom Tausendjährigen Reich geglaubt haben. Und wie könnten wir unsere Kit fortschicken in ein fremdes – und zerstörtes – Land, selbst wenn sich ihre Verwandten finden ließen? Wir sind die einzige Familie, die sie je gehabt hat.
Als Kit geboren wurde, hielt Elizabeth die Vaterschaft geheim. Nicht aus Scham, sondern weil sie fürchtete, sie würden ihr das Baby wegnehmen und es nach Deutschland bringen. Es gab furchtbare Gerüchte über so was. Ich frage mich, ob Kits Herkunft Elizabeth gerettet hätte, wenn sie sie bei ihrer Verhaftung angegeben hätte. Aber da sie es nicht getan hat, werde ich es auch nicht tun.
Verzeihen Sie, dass ich Ihnen mein Herz ausschütte. Mir gehen immer wieder dieselben Sorgen im Kopf herum, und es ist eine Erleichterung, sie zu Papier zu bringen. Jetzt werde ich mich erfreulicheren Dingen zuwenden – wie der Versammlung des Clubs gestern Abend.
Als der Tumult wegen Ihres Besuches abgeklungen war, las der Club Ihren Artikel über Bücher und Lesen in der Times. Er hat alle erfreut – nicht nur, weil wir über uns lasen, sondern weil Sie uns Ansichten nahegebracht haben, die uns in Bezug aufs Lesen noch nie in den Sinn gekommen waren. Dr. Stubbins sagte, dass »Zerstreuung« nur bei Ihnen ein achtbares Wort ist – und nicht ein Charakterfehler. Der Artikel war eine Wohltat, und wir waren stolz und froh, darin erwähnt zu sein.
Will Thisbee möchte Ihnen zu Ehren eine Willkommensfeier ausrichten. Er wird für den Anlass einen Kartoffelschalenauflauf backen und hat dafür eine Glasur aus geschmolzenen Marshmallows und Kakao kreiert. Er hat für unsere Versammlung gestern Abend einen Überraschungsnachtisch gemacht, Bananenflambee, das zum Glück bis auf den Topfboden herunterbrannte, sodass wir es nicht essen mussten. Ich wünschte, Will würde das Kochen bleiben lassen und sich wieder den Eisenwaren zuwenden.
Wir freuen uns alle darauf, Sie hier zu haben. Sie erwähnten, dass Sie noch einige Rezensionen fertigstellen müssen, bevor Sie London verlassen können – wir freuen uns auf Sie, wann immer Sie kommen. Teilen Sie uns nur Tag und Uhrzeit Ihrer Ankunft mit. Gewiss wäre ein Flug nach Guernsey schneller und bequemer als das Postschiff (Clovis Fossey trug mir auf, Ihnen mitzuteilen, dass die Stewardessen den Passagieren Gin servieren, das Postschiff aber nicht). Aber wenn Sie nicht unter Seekrankheit leiden, empfehle ich Ihnen das Schiff, das nachmittags von Weymouth abgeht. Es gibt keine schönere Anfahrt nach Guernsey als von der Seeseite – im Licht der untergehenden Sonne, mit goldgeränderten, schwarzen Gewitterwolken oder der aus dem Nebel auftauchenden Insel. So habe ich als junge Braut Guernsey zum ersten Mal gesehen.
Herzlich,
Amelia
Isola an Juliet
14. Mai 1946
Liebe Juliet,
ich habe Ihr Cottage für Sie hergerichtet. Ich habe einige Freunde vom Markt gebeten, Ihnen von ihren Erlebnissen zu schreiben, und hoffe, sie werden es tun. Falls Mr. Tatum schreibt und Sie um Geld für seine Erinnerungen bittet, geben Sie ihm keinen Penny. Der Mann lügt wie gedruckt.
Möchten Sie wissen, was für ein Anblick das war, als ich die Deutschen zum ersten Mal sah? Ich werde Adjektive benutzen, um es anschaulicher zu machen. Für gewöhnlich benutze ich keine – ich bevorzuge nackte Tatsachen.
Auf Guernsey herrschte an jenem Dienstag scheinbar Ruhe, aber wir wussten, dass sie da waren! Tags zuvor waren Flugzeuge und Schiffe mit Soldaten gelandet. Riesengroße Junkers dröhnten herab, luden die Männer aus und starteten wieder. Da sie jetzt leichter und übermütiger waren, flogen sie dicht über dem Boden, stiegen auf und stießen nieder, alles über Guernsey, und erschreckten die Kühe auf den Weiden.
Elizabeth war bei mir zu Hause, aber wir konnten uns nicht dazu bringen, Haartonikum zu machen, obwohl meine Schafgarbe geerntet war. Wir irrlichterten umher wie zwei Spukgestalten. Dann raffte Elizabeth sich auf. »Komm mit«, sagte sie, »ich will nicht herumsitzen und auf sie warten. Ich gehe in die Stadt und halte Ausschau nach dem Feind.«
»Und was machst du, wenn du ihn gefunden hast?«, fragte ich, etwas schnippisch.
»Ich sehe ihn mir an«, sagte sie darauf. »Wir sind keine Tiere im Käfig – das sind die. Sie sitzen mit uns auf dieser Insel fest, genau wie wir mit denen. Komm, lass uns gucken gehen.«
Mir war es recht, und so setzten wir unsere Hüte auf und gingen los. Aber Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Anblick war, der sich uns in St. Peter Port bot.
Da waren Hunderte von deutschen Soldaten – und sie gingen EINKAUFEN! Arm in Arm schlenderten sie über die Fountain Street – lächelnd, lachend, guckten sich die Schaufenster an, gingen in Geschäfte, kamen mit Armen voll Paketen heraus und riefen sich Sprüche zu. Auch die North Esplanade war voller Soldaten. Manche lümmelten nur herum, andere tippten an ihre Mützen und verbeugten sich vor uns, leidlich höflich. Einer sagte zu mir: »Ihre Insel ist schön. Bald werden wir in London kämpfen, aber jetzt haben wir erst einmal das hier – einen Urlaub in der Sonne.«
Ein armer Tropf dachte wahrhaftig, er sei in Brighton. Sie kauften Eis am Stiel für den Rattenschwanz von Kindern, der ihnen folgte. Sie lachten und hatten ihren Spaß. Wären die grünen Uniformen nicht gewesen, hätten wir gedacht, das Ausflugsschiff aus Weymouth sei eingelaufen!
Als wir an den Candie Gardens vorbeigingen, wurde aus dem Volksfest schlagartig ein Albtraum. Zuerst hörten wir Lärm, den hämmernden, gleichmäßigen Rhythmus von schweren Stiefeln, die auf harten Steinen marschierten. Dann bog eine Truppe Soldaten im Stechschritt in unsere Straße ein – alles an ihnen glänzte, Knöpfe, Stiefel, Stahlhelme. Ihre Augen sahen nichts und niemanden an – sie starrten nur geradeaus. Das war beängstigender als die Gewehre über ihren Schultern oder die Messer und Granaten, die in ihren Stiefelschäften steckten.
Mr. Ferre, der hinter uns war, fasste mich am Arm. Er hatte an der Somme gekämpft. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und ohne es zu merken, knetete und quetschte er meinen Arm und sagte: »Wie können sie das wieder tun? Wir haben sie geschlagen, und nun sind sie wieder da. Wie konnten wir zulassen, dass sie es wieder tun?«
Schließlich sagte Elizabeth: »Ich habe genug gesehen. Ich brauche einen Schnaps.«
Ich habe einen ansehnlichen Vorrat an Gin im Schrank, und so gingen wir nach Hause.
Ich will jetzt schließen, bald werde ich Sie ja sehen können, und das erfüllt mich mit Freude. Wir wollen Sie alle gemeinsam abholen – aber jetzt habe ich eine neue Sorge. Es könnten noch zwanzig andere Passagiere auf dem Postschiff sein, wie werde ich Sie dann erkennen? Die kleine Fotografie auf dem Buchumschlag ist verschwommen, und ich möchte nicht die falsche Frau umarmen. Könnten Sie wohl einen großen roten Hut mit einem Schleier aufsetzen und Lilien in der Hand halten?
Ihre Freundin
Isola
Eine Tierliebhaberin an Juliet
Freitagabend
Sehr geehrte Miss,
auch ich gehöre dem Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf an, habe Ihnen aber nie von meinen Büchern geschrieben, weil ich nur zwei gelesen habe – Kindergeschichten von anhänglichen, tapferen und treuen Hunden. Isola sagt, Sie kommen her, um vielleicht über die Besatzung zu schreiben, und ich meine, Sie sollen die Wahrheit darüber wissen, was unser Parlament den Tieren angetan hat! Unsere eigene Regierung, wohlgemerkt, nicht die dreckigen Deutschen! Die Regierung würde sich schämen, davon zu berichten, ich aber nicht.
Ich mache mir nicht viel aus Menschen – habe ich nie und werde ich nie. Ich habe meine Gründe. Ich bin nie einem Menschen begegnet, der auch nur halb so treu ist wie ein Hund. Wer einen Hund gut behandelt, wird von ihm gut behandelt – er leistet Gesellschaft, ist ein Freund, stellt keine Fragen. Katzen sind anders, aber das nehme ich ihnen nicht übel.
Sie sollen wissen, was manche Guernseyer mit ihren Haustieren gemacht haben, als sie Angst hatten, dass die Deutschen kämen. Zu Tausenden verließen sie die Insel – flogen nach England, segelten davon und ließen ihre Hunde und Katzen zurück. Ließen sie im Stich, überließen es ihnen, durch die Straßen zu streunen, hungrig und durstig – die Schweine!
Ich nahm so viele Hunde bei mir auf, wie ich einsammeln konnte, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dann nahm das Parlament sich des Problems an – und machte es noch viel, viel schlimmer. Es warnte in den Zeitungen, dass es wegen des Krieges nicht genug Nahrung für die Menschen gebe, geschweige denn für die Tiere. »Ein Haustier pro Familie ist erlaubt«, hieß es, »aber die übrigen müssen eingeschläfert werden. Umherstreunende Katzen und Hunde sind eine Gefahr für die Kinder.«
Und dann haben sie die Tiere mit Lastwagen einsammeln und ins Tierasyl St. Andrews bringen lassen, und die Pflegerinnen und Ärzte haben sie dann eingeschläfert. Kaum hatten sie eine Wagenladung Tiere getötet, als auch schon die nächste eintraf.
Ich habe alles mit angesehen – das Einsammeln, das Abladen und das Verscharren.
Ich sah, wie eine Pflegerin an die frische Luft trat und sie in tiefen Zügen einsog. Sie sah selbst sterbenskrank aus. Sie rauchte eine Zigarette, dann ging sie wieder hinein, um bei der Tötung zu helfen. Es dauerte zwei Tage, bis alle Tiere tot waren.
Das ist alles, was ich sagen möchte, aber nehmen Sie es in Ihr Buch auf.
Eine Tierliebhaberin
Sally Ann Frobisher an Juliet
15. Mai 1946
Liebe Miss Ashton,
Miss Pribby hat mir erzählt, dass Sie nach Guernsey kommen wollen, um etwas über den Krieg zu erfahren. Ich hoffe, wir werden uns dann auch kennenlernen, aber ich schreibe Ihnen schon jetzt, weil ich gern Briefe schreibe. Ich schreibe überhaupt gern.
Ich dachte mir, vielleicht möchten Sie wissen, welche Demütigung ich während des Krieges erfahren habe – 1943, da war ich zwölf. Ich hatte die Krätze.
Auf Guernsey gab es nicht genug Seife, um unsere Kleidung, unsere Häuser oder uns selbst sauber zu halten. Wir alle litten an der einen oder anderen Hautkrankheit, hatten Schuppen, Pusteln oder Läuse. Ich für meinen Teil hatte die Krätze auf dem Kopf – unter den Haaren –, und sie wollte und wollte nicht verschwinden.
Schließlich sagte Dr. Ormond, ich müsste mir in unserem Krankenhaus den Kopf rasieren und den Schorf wegschneiden lassen, damit der Eiter abfließen kann. Ich hoffe, Sie müssen nie so etwas Peinliches erleben wie einen kahl geschorenen Schädel, aus dem es überall heraussickert. Am liebsten wäre ich gestorben.
Dort im Krankenhaus habe ich meine Freundin Elizabeth McKenna kennengelernt. Sie war Hilfskrankenschwester auf meiner Station. Die Schwestern waren immer freundlich, aber Miss McKenna war freundlich und lustig und hat mir damit über meine düstersten Stunden hinweggeholfen. Als mein Kopf kahl rasiert war, kam sie mit einer Waschschüssel, einer Flasche Lysol und einem scharfen Skalpell in mein Zimmer.
Ich sagte: »Es wird doch nicht wehtun, oder? Dr. Ormond hat gesagt, es tut nicht weh.« Ich versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken.
»Da hat er gelogen«, sagte Miss McKenna, »es tut höllisch weh. Erzähl deiner Mutter ja nicht, dass ich ›höllisch‹ gesagt habe.«
Ich musste kichern, und sie machte den ersten Schnitt, bevor ich überhaupt dazu kam, Angst zu haben. Es tat weh, aber nicht höllisch. Wir machten ein Spiel daraus, während sie die übrigen verschorften Stellen aufschnitt – plärrten die Namen all der Frauen heraus, die je unter der Klinge schwer zu Schaden gekommen waren. »Maria Stuart – schnippschnapp!«, »Anne Boleyn – zack!«, »Marie-Antoinette – wuuuusch!« Und schon waren wir fertig.
Es tat weh, aber es war auch lustig, weil Miss McKenna ein Spiel daraus gemacht hatte.
Sie betupfte meinen Kahlkopf mit dem Lysol, sah abends noch einmal nach mir und brachte mir einen Seidenschal, den ich mir als Turban um den Kopf wickeln sollte. »Da«, sagte sie und drückte mir einen Spiegel in die Hand. Ich sah hinein – der Schal war wunderschön, aber meine Nase war immer noch zu groß für mein Gesicht, wie eh und je. Ich fragte mich, ob ich wohl jemals hübsch sein würde, und bat Miss McKenna um ihre Meinung.
Als ich meiner Mutter die gleiche Frage stellte, sagte sie, für solchen Unsinn habe sie weder Zeit noch Geduld, und Schönheit sei etwas ganz Oberflächliches. Nicht so Miss McKenna. Sie betrachtete mich nachdenklich, und dann sagte sie: »Warte noch ein Weilchen, Sally, dann stichst du alle aus. Schau schön weiter in den Spiegel, du wirst schon sehen. Auf die Proportionen kommt es an, und deine sind wunderbar. Mit der eleganten Nase da wird aus dir glatt eine zweite Nofretete. Du solltest schon mal üben, möglichst herrisch zu gucken.«
Als Mrs. Maugery mich im Krankenhaus besuchen kam, fragte ich sie, wer Nofretete war und ob sie tot sei. Es klang mir irgendwie danach. Mrs. Maugery sagte, einerseits sei sie tot, ja, andererseits aber auch unsterblich. Später trieb sie ein Bild von Nofretete auf und zeigte es mir. Ich wusste nicht recht, was ›herrisch‹ bedeutete, darum versuchte ich, so zu blicken wie sie. Meine Nase ist mir immer noch zu groß, aber es wird schon werden, da bin ich mir sicher – schließlich hat Miss McKenna es gesagt.
Eine andere traurige Geschichte aus der Besatzungszeit handelt von meiner Tante Letty. Sie hatte früher ein großes, düsteres altes Haus ganz nahe an den Klippen bei La Fontenelle. Die Deutschen sagten, es läge in der Schusslinie ihrer Kanonen und behindere sie bei ihren Schießübungen. Deshalb haben sie es gesprengt. Seitdem wohnt Tante Letty bei uns.
Ihre sehr ergebene
Sally Ann Frobisher
Micah Daniels an Juliet
15. Mai 1946
Liebe Miss Ashton,
Isola hat mir Ihre Adresse gegeben, weil sie meint, Sie würden für Ihr Buch sicher gern meine Liste sehen.
Wenn Sie mich heute nach Paris bringen und mich in ein feines französisches Restaurant setzen würden – so eins mit Tischdecken aus weißer Spitze, Kerzen an den Wänden und versilberten Tellern –, na, ich sage Ihnen, das wäre nichts, rein gar nichts im Vergleich zu meinem Vega-Karton.
Falls Sie es nicht wissen, die Vega war ein Schiff vom Roten Kreuz, das zum ersten Mal am 27. Dezember 1944 nach Guernsey kam und uns Lebensmittel brachte. Es kam danach noch drei Mal – und es hielt uns bis zum Kriegsende am Leben.
Ja, ich sage es Ihnen – es hielt uns am Leben! Wir hatten schon einige Jahre lang nicht mehr viel zu essen gehabt. Abgesehen von den Teufeln vom Schwarzmarkt hatte niemand auf der Insel auch nur einen Löffel Zucker. Um den ersten Dezember 44 herum ging auch das Mehl zum Brotbacken aus. Die deutschen Soldaten waren genauso hungrig wie wir, sie hatten aufgeblähte Bäuche und froren, weil sie nichts Warmes zu essen hatten.
Na, mir war jedenfalls schon ganz elend von den ewigen Kartoffeln und Steckrüben, und ich hätte mir wahrscheinlich bald das Gras von unten angeguckt, wenn nicht die Vega in unseren Hafen eingelaufen wäre.
Mr. Churchill, der wollte vorher ja nicht, dass die Schiffe vom Roten Kreuz uns Lebensmittel bringen, weil er meinte, die Deutschen würden sie sich einfach nehmen und selbst alles aufessen. Für Sie klingt das vielleicht nach einem schlauen Plan – hungert die Schweinehunde aus! Aber für mich klang’s eher, als wär’s ihm ganz egal, ob wir dabei mit draufgingen.
Na ja, durch irgendwas ist er dann wohl weich geworden, denn er hat beschlossen, dass wir doch was zu essen haben sollten. Und so sagte er dem Roten Kreuz im Dezember – also schön, zieht los und bringt ihnen Futter.
Miss Ashton, es gab ZWEI KARTONS mit Essen für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf Guernsey – alle aufeinandergestapelt im Frachtraum der Vega. Es waren auch noch andere Sachen dabei: Nägel, Saatgut, Kerzen, Öl zum Braten, Streichhölzer zum Feuermachen, Kleidung und Schuhe. Sogar ein paar Babyausstattungen, falls es irgendwo Neugeborene gäbe.
Es gab Mehl und Tabak – Moses kann so viel über Manna reden, wie er will, aber so was hat er im Leben nicht gesehen! Ich zähle Ihnen auf, was in meinem Karton war, ich hab’s nämlich genau aufgeschrieben und in mein Erinnerungsbuch geklebt.
150 g Schokolade |
500 g Kekse |
100 g Tee |
500 g Butter |
150 g Zucker |
350 g Schinken |
50 ml Dosenmilch |
200 g Rosinen |
400 g Marmelade |
300 g Lachs |
150 g Sardinen |
100 g Käse |
200 g Dörrpflaumen |
30 g Pfeffer |
30 g Salz |
1 Stück Seife |
Meine Dörrpflaumen habe ich weitergegeben – aber ist das nicht toll? Wenn ich sterbe, hinterlasse ich mein ganzes Geld dem Roten Kreuz. Ich hab ihnen schon geschrieben, damit sie Bescheid wissen.
Es gibt da noch was, was ich wohl erwähnen sollte. Auch wenn’s um die Deutschen geht: Ehre, wem Ehre gebührt. Sie haben all die Kartons für uns ausgeladen und sich keinen einzigen genommen. Natürlich wird ihnen der Kommandant gesagt haben: »Die Lebensmittel da sind für die Inselbewohner und nicht für euch. Wer auch nur ein Fitzelchen stiehlt, wird erschossen.« Wahrscheinlich gab er allen Männern, die das Schiff entluden, einen Teelöffel, damit sie aufkratzen konnten, was an Mehl oder Getreide verschüttet würde. Das konnten sie essen.
Wenn man’s genau betrachtet, waren sie ein jämmerlicher Anblick, diese Soldaten – einer wie der andere. Stahlen das Gemüse aus unseren Gärten, klopften an die Tür und fragten nach Essensresten. Ich hab mal gesehen, wie ein Soldat sich eine Katze griff und sie mit dem Kopf an die Wand geschmettert hat. Dann hat er ihn abgetrennt und sich die Katze unter die Jacke gesteckt. Ich bin ihm nach, bis zu einem Feld. Da hat er sie gehäutet, in seinem Kochgeschirr gebraten und auf der Stelle verputzt.
Wirklich und wahrhaftig, ein erbärmlicher Anblick. Mir wurde ganz übel, aber trotzdem dachte ich: »Hitlers Drittes Reich – speist heute außer Haus«, und fing an zu lachen, bis mir die Luft wegblieb. Heute schäme ich mich deswegen, aber so war es.
Mehr habe ich nicht zu erzählen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr Buch.
Hochachtungsvoll,
Micah Daniels
John Booker an Juliet
16. Mai 1946
Liebe Juliet,
Amelia hat uns erzählt, dass Sie nach Guernsey kommen, um Geschichten für Ihr Buch zu sammeln. Ich heiße Sie von ganzem Herzen willkommen, aber ich werde wohl nicht imstande sein, Ihnen zu erzählen, was mir widerfahren ist, weil ich immer das Zittern kriege, wenn ich davon spreche. Vielleicht schreibe ich es besser auf, dann brauche ich nicht darüber zu reden. Es geht ohnehin nicht um Guernsey – ich war gar nicht hier. Ich war im Konzentrationslager Neuengamme in Deutschland.
Sie wissen, dass ich mich drei Jahre lang als Lord Tobias ausgegeben habe? Lisa, die Tochter von Peter Jenkins, bandelte mit deutschen Soldaten an. Ihr war jeder recht, solange er ihr nur Strümpfe oder Lippenstifte schenkte. Das ging so, bis sie an Unteroffizier Willy Gurtz geriet. Ein mieser kleiner Schweinehund. Zusammen wurden sie zu wahren Scheusalen. Lisa war es, die mich an den deutschen Kommandanten verriet.
Im März 1944 stieß Lisa in dem Friseursalon, wo sie sich eine Hochfrisur machen lassen wollte, auf eine alte Ausgabe vom Tatler, die noch vorm Krieg erschienen war. Und auf Seite 124 war ein Farbfoto von Lord und Lady Tobias Penn-Piers. Sie waren auf einer Hochzeit in Sussex und aßen Austern und tranken Champagner. Die Bildunterschrift gab umfassend Auskunft über ihr Kleid, ihre Diamanten, ihre Schuhe, ihr Gesicht und sein Geld. Das Magazin erwähnte auch noch, dass ihnen ein Anwesen namens La Fort auf Guernsey gehörte.
Damit war es ziemlich offensichtlich – selbst für Lisa, die die Weisheit wahrhaftig nicht mit Löffeln gefressen hat –, dass ich nicht Lord Tobias Penn-Piers war. Lisa verzichtete auf ihre Hochfrisur, stürzte auf und davon und zeigte das Bild Willy Gurtz, der es seinerseits sofort zu seinem Kommandanten brachte.
Die Deutschen fühlten sich für dumm verkauft, nachdem nun heraus war, dass sie all die Zeit vor einem Bediensteten gekatzbuckelt hatten – deshalb waren sie besonders rachsüchtig und schickten mich ins Lager Neuengamme.
Ich habe geglaubt, ich überlebe die erste Woche nicht. Bei Luftangriffen wurde ich zusammen mit den anderen Gefangenen ausgeschickt, um Blindgänger zu entschärfen. Wir hatten die Wahl – aufs freie Feld zu rennen, wo die Bomben nur so herunterprasselten, oder uns zu weigern und dafür von den Wächtern umgebracht zu werden. Ich flitzte los, flink wie ein Wiesel, und versuchte in Deckung zu gehen, wenn ich über meinem Kopf Bomben zischen hörte, und weiß der Himmel wieso, aber am Ende war ich immer noch am Leben. Das habe ich mir immer wieder gesagt – du bist immer noch am Leben. Ich glaube, alle haben sich das jeden Morgen beim Aufwachen gesagt – ich bin immer noch am Leben. Aber die Wahrheit ist, das waren wir nicht. Was wir waren, konnte man weder tot noch lebendig nennen. Eine lebende Seele war ich nur in den paar Minuten am Tag, in denen ich in meiner Koje lag und versuchte, an etwas Schönes zu denken, an etwas, das ich gern mochte – nicht an etwas, das ich liebte, das machte es nur noch schlimmer. Nur an Kleinigkeiten, einen Schulausflug etwa oder daran, wie es ist, mit dem Rad den Hügel hinunterzusausen – mehr konnte ich nicht verkraften.
Was mir vorkam wie 30 Jahre, war in Wirklichkeit nur eines. Im April 45 suchte der Lagerkommandant von Neuengamme diejenigen unter uns aus, die noch kräftig genug zum Arbeiten waren, und schickte uns nach Bergen-Belsen: eine mehrtägige Fahrt auf einem großen, offenen Lastwagen, ohne Essen, ohne Decken, ohne Wasser, aber wir waren froh, dass wir nicht laufen mussten. Die Schlammpfützen auf der Straße waren rot gefärbt.
Ich vermute, Sie wissen bereits von Bergen-Belsen und dem, was dort vor sich ging. Als wir vom Wagen stiegen, bekam jeder eine Schaufel in die Hand gedrückt. Wir sollten große Gruben ausheben, um die Toten darin zu begraben. Sie führten uns durchs Lager zu der Stelle, und ich fürchtete, den Verstand zu verlieren, weil ich nichts als Tote sah. Selbst die, die noch am Leben waren, sahen aus wie Leichen, und die Leichname lagen, wo sie niedergesunken waren. Ich wunderte mich, dass die Deutschen sich überhaupt darum scherten, sie zu begraben. Aber es war so: Die Russen rückten von Osten vor, die Alliierten von Westen, und die Deutschen fürchteten, dass sie das zu sehen bekämen.
Es waren zu viele Leichen, um sie in der kurzen Zeit alle im Krematorium zu verbrennen – darum schleiften und zerrten wir sie zu den langen Gräben, die wir ausgehoben hatten, und warfen sie hinein. Sie werden es nicht glauben, aber die SS zwang das Häftlingsorchester aufzuspielen, während wir uns mit den Leichnamen abschleppten – ich hoffe, dafür werden sie in der Hölle braten, von Polkagedudel gemartert. Als die Gräben voll waren, gossen die SS-Männer Benzin über die Leichen und setzten sie in Brand. Danach sollten wir sie mit Erde bedecken – als ließe sich so was verbergen.
Am nächsten Tag kamen die Engländer, lieber Gott, was waren wir froh. Ich war noch so weit bei Kräften, dass ich die Lagerstraße entlanggehen konnte, und sah die Panzer mit den aufgemalten britischen Flaggen auf beiden Seiten die Tore durchbrechen. Ich drehte mich zu einem Mann um, der ganz in der Nähe an einen Zaun gelehnt saß, und rief: »Wir sind gerettet! Es sind die Engländer!« Dann sah ich, dass er tot war. Nur wenige Augenblicke zuvor gestorben. Ich sank neben ihm in den Schlamm und schluchzte, als hätte ich meinen besten Freund verloren.
Als unsere Soldaten aus ihren Panzern kletterten, kamen auch ihnen die Tränen, selbst den Offizieren. Prachtkerle, alle miteinander – sie gaben uns zu essen, versorgten uns mit Decken und verfrachteten uns in Lazarette. Und eine Woche später legten sie Bergen-Belsen in Schutt und Asche, Gott segne sie dafür.
Neulich stand in der Zeitung, dass sie jetzt an derselben Stelle ein Flüchtlingslager errichtet haben. Mich schaudert bei dem Gedanken, dass dort nun neue Baracken stehen, auch wenn sie einem guten Zweck dienen. Wenn es nach mir ginge, sollte das Gelände auf ewig öd und leer bleiben.
Mehr will ich dazu nicht schreiben, und ich hoffe, Sie verstehen, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Wie Seneca sagt: »Leichte Sorgen machen gesprächig, schwere machen stumm.«
Mir fällt noch etwas ein, das vielleicht für Ihr Buch interessant ist. Es geschah auf Guernsey, als ich mich noch für Lord Tobias ausgab. An manchen Abenden gingen Elizabeth und ich auf die Landspitze hinaus und beobachteten die Bomber, die über uns hinwegflogen – Hunderte von Bombern, auf dem Weg nach London. Im deutschen Sender hatte es geheißen, London sei dem Erdboden gleichgemacht worden, es läge in Schutt und Asche. Wir glaubten das nicht so recht, man wusste ja, was man von der deutschen Propaganda zu halten hatte, aber dennoch –
An einem solchen Abend kamen wir auf unserem Weg durch St. Peter Port am McLaren House vorbei, einem prächtigen alten Haus, das deutsche Offiziere beschlagnahmt hatten. Ein Fenster stand offen, und das Radio spielte ein wunderschönes Musikstück. Wir blieben stehen, um zu lauschen, und dachten, es müsse eine Übertragung aus Berlin sein. Doch als die Musik endete, hörten wir Big Ben schlagen und eine Stimme in reinstem Britisch sagen: »Sie hören die BBC aus London.« Den Klang von Big Ben erkennt man unter allen Umständen! London stand noch! Es war noch da. Elizabeth und ich umarmten uns und walzten die Straße entlang. Das war einer der Momente, an die ich nicht denken konnte, während ich in Neuengamme war.
Ihr Freund
John Booker
Dawsey Adams an Juliet
16. Mai 1946
Liebe Juliet,
nun können wir bis zu Ihrer Ankunft nichts mehr tun als warten. Isola hat Elizabeths Gardinen gewaschen, gestärkt und geplättet, den Rauchfang nach Fledermäusen abgesucht, die Fenster gewienert, die Betten gemacht und alle Zimmer gelüftet.
Eli hat ein Geschenk für Sie geschnitzt, Eben hat Ihren Holzschuppen aufgefüllt und Clovis Ihre Wiese mit der Sense gemäht – die Wildblumenbüschel hat er stehen lassen, damit Sie sich daran erfreuen können. Amelia plant ein großes Essen für Ihren ersten Abend.
Meine einzige Aufgabe besteht darin, Isola am Leben zu erhalten, bis Sie eintreffen. Sie hat Höhenangst, und trotzdem ist sie auf das Dach von Elizabeths Cottage gestiegen und wollte darauf herumstampfen, um lose Ziegel ausfindig zu machen. Zum Glück hat Kit sie gesehen, bevor sie die Dachkante erreichte, und ist schnell zu mir gelaufen, damit ich ihr zurede herunterzukommen.
Ich wünschte, ich könnte mehr für Ihre Ankunft tun – hoffentlich lässt sie nicht mehr lange auf sich warten. Ich freue mich, dass Sie kommen.
Ihr sehr ergebener
Dawsey
Juliet an Dawsey Adams
19. Mai 1946
Lieber Dawsey,
ich werde übermorgen da sein! Ich bin viel zu feige, um zu fliegen, selbst Gin hilft da nichts, darum komme ich mit dem Postschiff am Abend.
Würden Sie Isola etwas von mir ausrichten? Bitte sagen Sie ihr, dass ich keinen Hut mit Schleier besitze und auch keine Lilien in der Hand halten kann – davon muss ich immer niesen –, aber ich habe ein rotes Wollcape, und das werde ich auf dem Schiff tragen.
Dawsey, es gibt nichts, was Sie noch tun könnten, um mir das Gefühl zu geben, auf Guernsey willkommen zu sein, das Sie nicht schon getan hätten. Ich kann kaum glauben, dass ich Sie alle endlich kennenlerne.
Ihre sehr ergebene
Juliet
Mark an Juliet
20. Mai 1946
Liebe Juliet,
Du hast mich gebeten, Dir Zeit zu lassen, und das habe ich getan. Du hast mich gebeten, nicht von Heirat zu sprechen, und ich habe mich daran gehalten. Doch nun höre ich von Dir, dass Du fortfährst, auf dieses vermaledeite Guernsey, für – wie lange? Eine Woche? Einen Monat? Auf ewig? Glaubst Du, ich lehne mich einfach zurück und lasse Dich ziehen?
Das ist schlicht lächerlich, Juliet. Jeder Dummkopf erkennt doch, dass Du versuchst davonzulaufen, nur versteht niemand warum. Wir passen so gut zusammen – Du machst mich glücklich, Du langweilst mich nie, Du interessierst Dich für die gleichen Dinge wie ich, und ich hoffe, ich täusche mich nicht, wenn ich sage, dass dies alles umgekehrt auch für Dich gilt. Wir gehören zusammen. Ich weiß, Du findest es abscheulich, wenn ich Dir sage, was das Beste für Dich ist, aber in diesem Fall tue ich es.
Um Himmels willen, schlag Dir diese unselige Insel aus dem Kopf und heirate mich. Ich fahre mit Dir in den Flitterwochen hin – wenn es sein muss.
In Liebe,
Mark
Juliet an Mark
20. Mai 1946
Lieber Mark,
vermutlich hast Du recht, aber trotzdem fahre ich morgen nach Guernsey, und Du wirst mich nicht aufhalten.
Es tut mir leid, dass ich Dir nicht die Antwort geben kann, die Du hören möchtest. Ich wäre gern dazu imstande.
Alles Liebe,
Juliet
PS: Danke für die Rosen.
Mark an Juliet
Ach, in Gottes Namen. Soll ich Dich nach Weymouth fahren?
Mark
Juliet an Mark
Versprichst Du, mir keine Vorträge zu halten?
Juliet
Mark an Juliet
Keine Vorträge. Allerdings werden alle anderen Formen der Überredungskunst zum Einsatz kommen.
Mark
Juliet an Mark
Schreckt mich nicht. Was kannst Du beim Fahren schon anstellen?
Juliet
Mark an Juliet
Du wirst Dich wundern. Bis morgen.
M.
Zweiter Teil