Nr. 2718
Passage nach Arkon
Richter Chuv auf dem Weg zur Kristallwelt – die wahren Kinder des Baag-Systems sollen erben
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Kommentar
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.
Doch Unruhe ist über die Galaxis gekommen: Auf der einen Seite droht Krieg zwischen den Tefrodern und den Blues, auf der anderen reklamiert das ominöse Atopische Tribunal die Rechtshoheit über alle Welten der Milchstraße. Ihre ersten Repräsentanten sind die Onryonen, die die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern – sie sollen wegen zahlreicher Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Das schlimmste Verbrechen liege allerdings in der Zukunft und wird als »Weltenbrand« umschrieben.
Noch gelingt es den beiden Unsterblichen, sich ihren Häschern zu entziehen, aber wie lange kann das gut gehen? Nach dem Solsystem gerät nun auch das Zentrum des arkonidischen Imperiums ins Fadenkreuz der Häscher. Ein Richter des Atopischen Tribunals sucht eine PASSAGE NACH ARKON ...
Chuv – Ein Atopischer Richter geht seinen Weg.
Gaumarol da Bostich – Der Imperator kehrt nach Hause zurück.
Ronald Tekener – Der Smiler begreift, dass seine Aufgabe schwieriger werden könnte als erwartet.
Tormanac da Hozarius – Der Vizeimperator hat mit Pausen zu kämpfen.
Yscrou da Scadgasd – Die Kommandantin von Vothantar Zhy erkennt ihren Fehler.
»Angriff!«
Für den Imperator des Kristallimperiums gab es keine andere Entscheidung. Abwarten ... auf eine Veränderung der Situation hoffen oder darauf, dass sie sich von selbst bereinigt ... Solche Sätze hatten in Bostichs Wortschatz nie existiert und würden auch künftig keinen Eingang finden, davon war Ronald Tekener überzeugt.
Der Befehl war eindeutig: Angriff auf die CHUVANC, die sich anschickte, den Schutzschirm des Arkon-Systems zu durchdringen, und die zugleich der Flotte der Onryonen den Weg öffnete. Bostichs Prämisse dabei: Jede Bedrohung beseitigen, solange sie klein und beherrschbar war.
Klein?
Die Zahl von achtzigtausend Raumschiffen als klein zu bezeichnen war Irrwitz. Aber nicht darüber zerbrach sich Tekener den Kopf, sondern über die Frage, woher die Onryonen ihr Aufgebot bezogen. Quasi aus dem Nichts waren sie erschienen und bedrängten mittlerweile das Zentralsystem des arkonidischen Imperiums.
Tek vermochte nicht abzuschätzen, wo in der Milchstraße außerdem Schiffe der Onryonen zugange waren, ohne dass dies schon publik geworden wäre. Schwer zu glauben, dass die annähernd humanoiden Fremden diesen Aufmarsch nur für ein bevorstehendes Gerichtsverfahren betrieben. Selbst dann, wenn die beiden bedeutendsten Männer der Milchstraße als Hauptangeklagte des Tribunals galten: Perry Rhodan und Gaumarol da Bostich.
Plötzlich war der Schmerz wieder da, ein heftiger Stich quer durch die Schulter und den linken Oberarm, begleitet von irritierender Hitze im Brustkorb. Empfindungen wie diese hatte Tek nie gekannt, sie waren eine Ausgeburt der letzten Wochen. Zugleich erinnerten sie ihn daran, dass er weiterleben durfte. Dabei hätte es durchaus anders kommen können.
Nichts an seinem letzten Weg durch das Polyport-Netz nach ITHAFOR-5 war normal gewesen. Ein Kampf gegen die Zeit? Gegen unbekannte Mächte? Im Nachhinein fragte er sich, ob er einen länger andauernden Transport überlebt hätte. Wahrscheinlich wären weitere Organe irreparabel geschädigt worden. Kein SERUN konnte eine Vielzahl ausfallender Körperfunktionen gleichzeitig ersetzen. Also Exitus?
Tek lauschte seinem Herzschlag und konzentrierte sich auf die belebenden Impulse des Aktivatorchips ...
Alles in Ordnung! Kein Anlass für erhöhte Aufmerksamkeit. Sein neues, aus eigenem Gewebe nachgezüchtetes Herz arbeitete perfekt. Er lächelte. Mehr als zweieinhalb Jahrtausende hatte er geglaubt, das Spiel um sein Leben gewonnen zu haben – seit er den Zellaktivator trug, der ihm die potenzielle Unsterblichkeit verlieh. Nun war ihm schmerzhaft bewusst geworden, dass der Gegner allen Lebens, der Tod, von ihm Revanche forderte. Und wennschon ... Er hatte selten eine Partie verloren, höchstens aus Kalkül.
Tekener atmete tief ein. Das beklemmende Gefühl im Brustkorb verschwand.
Er musterte die holografischen Projektionen in Bostichs Wohn- und Arbeitsbereich, die zeigten, was auch in der Zentrale auf den Panoramaschirmen zu sehen war. Ein Pulk onryonischer Kugelraumer kam der GOS'TUSSAN II entgegen. Ortungseinblendungen verrieten, dass die größte Annäherung knapp unter dreitausend Kilometern liegen würde. Also vorerst keine Gefahr, dass die Onryonen Bostichs Schiff trotz der Tarnung im Schattenmodus aufspürten.
Zwei Raumväter flankierten die kleine Flotte. Mit 2100 Metern Durchmesser waren diese Schiffe die größten der gegnerischen Verbände.
Die Bedrohung war präsent.
War sie auch beherrschbar?
Ronald Tekener biss sich auf die Unterlippe. Momentan, so schien ihm, hielt der Gegner das bessere Blatt in der Hand. Oder blufften die Onryonen? Einiges deutete darauf hin, wenngleich die Grundzüge dieser Auseinandersetzung nicht nach einem Bluff aussahen. Die Onryonen bauten auf Stärke und Unbeirrbarkeit.
Tekeners Herzschlag stolperte. Der kurze Aussetzer nahm ihm zwar für Sekunden den Atem, doch das Gefühl, das ihn danach durchflutete, war die pure Herausforderung.
Mit seinem Angriffsbefehl hatte der Imperator den arkonidischen Einsatz in dieser Konfrontation beträchtlich erhöht. Tek lächelte stumm. Ebenso gut hätte Bostich von den Angreifern verlangen können, dass sie ihre Karten aufdeckten.
*
Die CHUVANC, ein gewaltiges tiefblaues Ellipsoid, war in den Wirkungsbereich des Kristallschirms eingeflogen, als böte der Schutzwall des Arkon-Systems nicht den geringsten Widerstand. Innerhalb weniger Sekunden war das Schiff des Atopischen Richters Chuv aus der Ortung der GOS'TUSSAN II verschwunden.
Vom Kristallschirm in irgendeine Pararealität außerhalb des Standarduniversums versetzt. Kurz hatte diese Hoffnung bestanden, nur sehr kurz. Doch die vage in der Schirmstruktur erkennbaren Vorgänge legten nahe, dass die CHUVANC einen Durchbruch schuf.
»Was ist das für ein Schiff?«, fragte Tekener. »Es ist völlig anders als alles, was ich jemals gesehen habe.«
Er blickte auf das eingefrorene Standbild. Es zeigte die Wiedergabe, aber das war nur der optische Eindruck. Tekeners Empfindungen waren andere, sie gingen tiefer, berührten ihn auf eine Art und Weise, für die er keine Erklärung hatte.
Ein unangenehmes Gefühl? Das hätte er nicht behaupten wollen. Es war keine negative Stimmung, die der Anblick in ihm auslöste, aber auch keine positive. Er empfand nicht einmal besonderes Erstaunen über dieses eigenwillige Schiff. Wie hätte er dann erst über die Existenz einer Kosmischen Fabrik oder eines Chaotenders staunen müssen? Oder einst über die Sporenschiffe der Mächtigen?
Flüchtig wandte er den Blick zu Bostich. Sogar der Imperator des Kristallimperiums schien mittlerweile tief in die Betrachtung dieses fremden Schiffes versunken zu sein.
Es wirkte ... abstrakt. Die surreale Komposition eines genialen Künstlers. Terranische oder arkonidische Kugelraumer oder auch eine Posbi-BOX waren im Vergleich sehr gegenständliche Werke. Dem Schiff des Atopischen Richters haftete eine faszinierende Aura an. Und daran würde sich auch nichts ändern, falls diese Empfindungen keine suggestive Aura des Ellipsoids waren, sondern im Betrachter selbst geboren wurden.
Der einzige feste Bezugspunkt für Ronald Tekener war das zentrale Segment des Schiffs. Eiförmig, glatt und unnahbar. Eingeschlossen von einem schwungvollen lang gestreckten Ring, als habe ein Maler die Konstruktion mit einem einzigen wilden Pinselschwung geplant. Unterschiedlich breit und mächtig war dieser Ring, mal wild, mal sanft geschwungen, aber keineswegs statisch.
Vielleicht war es die Farbe des Schiffes, die diesen Eindruck entstehen ließ, vielleicht seine Bewegung oder beides im Zusammenwirken – jedenfalls entstand für Tekener der Eindruck, als würde alles ständig neu komponiert. Jeder Blickwinkel war anders und setzte neue Proportionen frei. Vor allem wurden die sechs aus dem Heckbereich hervorwachsenden gekrümmten Ausleger erkennbar. Im einen Moment wirkten sie wie monströse Stacheln, mit denen sich dieses Schiffsmonstrum wirkungsvoll verteidigen würde, dann wieder wie die Barteln eines Fisches, in denen sich hochempfindliche Sensorkomplexe verbargen. Womöglich erlaubten sie dem riesigen Ellipsoid den Sprung quer durch die Universen. Tekener hätte sich jedenfalls nicht darüber gewundert.
Zu weit gedacht? Viel zu weit? War die CHUVANC eher das Werk eines dem Wahnsinn nahen Künstlers?
Egal. Wer Lashat-Pocken überstand, den warf der Anblick eines skurrilen Raumschiffs bestimmt nicht um.
»Es ist eigenartig«, stellte Bostich fest. Seine Stimme verriet Nachdenklichkeit.
Tekener wandte sich dem Imperator zu. »Das Schiff eines Atopischen Richters muss etwas Besonderes sein. Zumindest eine blendende Fassade. Wie es innen aussehen mag ...« Er hob die Schultern und lächelte nachsichtig. »Wie viele Völker mögen im Tribunal vereint sein? Wie hält man sie zusammen? Mächtige Symbole wie dieses Schiff haben immer eine nachhaltige Wirkung ...«
»Du meinst, wie die SOL oder die GOS'TUSSAN II?«
»Imposanter«, behauptete Tek. »Keines unserer Schiffe könnte eigenständig in den Kristallschirm eindringen und den Pararealitäten trotzen.«
Ein brodelnder Tunnel war in der funkelnden Kristallstruktur entstanden: der Beginn einer Passage nach Arkon? Ein kleiner Pulk der Onryonen näherte sich bereits dem wachsenden Aufriss, einzelne Kugelraumer flogen ein.
»Weiterhin keine Möglichkeit, das fremde Schiff mit den Sensoren abzutasten ...«
Nur mit halbem Ohr hörte Tekener auf die Meldung aus der Zentrale. Über achteinhalb Kilometer lang und drei Kilometer breit war der Koloss. Geschaffen für spezielle Aufgaben, anderen Raumschiffen weit überlegen.
Der Atopische Richter hatte Einlass ins Arkon-System verlangt. Er wollte verhandeln, aus seiner Position der Stärke heraus. Was ihm verwehrt worden war, nahm Chuv sich nun einfach. Zumindest versuchte er es.
Aber Bostichs Auslieferung war indiskutabel. Die Begründungen der Angreifer blieben schwammig, sie waren eine Farce. Gesprochen werden musste hingegen über die selbstherrliche Vorgehensweise des Tribunals.
Tek konnte sich ausrechnen, dass die von galaktischer Seite zu stellenden Bedingungen dem Richter nicht schmecken würden: Rückzug der onryonischen Flotte und kein neuer Waffeneinsatz. Offenlegung der Hintergründe, die den »Einfall« des Tribunals angeblich rechtfertigten. Und nicht nur das, sondern zudem Anerkennung des Galaktikums als Schiedsstelle.
Seltsam nur, dass Tekener das Gefühl hatte, die eigenartige Rechtsauffassung des Richters und sein rüdes Vorgehen könnten letztlich erfolgreich sein.
Bostich wälzte wohl ähnliche Überlegungen, und ihm ging die Aufholjagd zu langsam. Er forderte die Daten der Distanzmessung an.
Tekener sah den Imperator im fahlen Widerschein einer Fülle schnell wechselnder Datenholos. Skalen, Zahlenkolonnen und Tabellen spiegelten sich im Gesicht des Arkoniden, das eigentümlich bleich wirkte, überzogen von den Schatten der Zahlen und Schriftzeichen.
»Beschleunigung erhöhen!«, ordnete Bostich an. »Wir müssen verhindern, dass der Richter den Durchbruch schafft! Dann packen wir das Übel ...« Er schien zu überlegen, machte eine wegwerfende Handbewegung.
»... dann packen wir das Übel an der Wurzel«, vollendete Tek. »Du wolltest das mit terranischen Worten sagen?«
»Ja, natürlich. Oder wäre das verwerflich? Manchmal ist die terranische Ausdrucksweise sehr geradlinig und zielstrebig.«
Tek nickte. Die CHUVANC war die wahre Bedrohung für Arkon, das sah er keinen Deut anders. Das riesige Ellipsoid, dessen Äußeres mit wenigen Sätzen nur sehr unzulänglich beschreibbar war, ließ den Aufriss im Kristallschirm entstehen und trieb den Tunnel weiter voran. Die Schiffe der Onryonen waren die Begünstigten dieses Vorstoßes. Ihr Bedrohungspotenzial würde zum Einsatz kommen, sobald der Schirm um das Arkon-System überwunden war. Ihren konventionellen Angriff hatten die Onryonen jedenfalls nach zwei Stunden Dauerfeuer ergebnislos eingestellt. Nun war der Atopische Richter am Zug, sozusagen die nächste Stufe der Eskalation.
»Wenn wir die CHUVANC ausschalten, werden weitere Ellipsoide folgen.« Tekener kam nicht um dieses Szenario herum. »Es wird kaum damit getan sein, Richter Chuv aufzuhalten. Solange wir nicht wissen, woher die Gegner kommen und über welche Ressourcen sie in der Milchstraße verfügen ...«
Er verstummte, weil Bostich ihn durchdringend ansah. Etwas wie spöttische Zuversicht lag im Blick des Arkoniden. Da war auch wieder dieses leichte Zögern, das Bostichs Disput mit seinem aktivierten Extrasinn verriet. War der Logiksektor, was das Vorgehen gegen die Onryonen anbelangte, anderer Meinung als der Imperator selbst?
»Volle Feuerbereitschaft!«, ordnete Bostich an. »Unser Ziel ist die CHUVANC, die Onryonen sind vorerst unwichtig. Zerstören oder aufbringen! Am liebsten hätte ich Richter Chuv als Gefangenen!«
Tek hatte das erwartet, deshalb war er keineswegs überrascht. Bostich konnte sich ebenso freundlich jovial geben wie der Richter. Über das Risiko war sich der Imperator natürlich im Klaren.
Er hat einen guten Leibwächter, also kann er tun und lassen, was er will. Tekener seufzte in Gedanken. Bostich handelte als Imperator von Arkon, der Verteidigungsfall war nach dem Angriff der Onryonen auf den Kristallschirm ohnehin gegeben.
Und in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Galaktikums? Stand bereits ein Mandat für das Vorgehen gegen die Onryonen, oder verloren sich die maßgeblichen Personen in endlosen Diskussionen?
*
Die GOS'TUSSAN II war ein außergewöhnliches Schiff, das Tekener auf Anhieb an die SOL erinnert hatte und natürlich ebenso an die JULES VERNE. Die Frage, seit wann Bostich über dieses neue Flaggschiff verfügte, konnte der Admiral nicht beantworten, wichtig waren solche Details zurzeit ohnehin nicht. Gewisse Eskapaden mussten dem Imperator stets zugestanden werden, und wer wollte ihm verwehren, auf ein von Terranern erprobtes Konzept zurückzugreifen?
Und Eindruck zu schinden ...
Die GOS'TUSSAN II war imposant und trotzdem einfach in ihrer Konstruktion. Zwei Raumer der bewährten GWALON-Klasse, über den Kegelstumpf verbunden, der jeweils die Sublichttriebwerke enthielt, das ergab bereits die berühmte Hantelform. Wurde der abgeplattete Nordpol jeder Kugelzelle, üblicherweise als Landefläche genutzt, mit der Prallfeldkuppel zur Kugelform ergänzt, maß das Gesamtschiff sechs Kilometer in der Länge.
Die CHUVANC des Atopischen Richters brachte es auf mehr als achteinhalb Kilometer.
Ein Lächeln stahl sich auf Tekeners Züge. Kam es wirklich auf die Größe an?
»Der Tunnel scheint jetzt stabil zu sein, Messungen sind im Außenbereich möglich«, erklang es aus der Zentrale.
»Was ich mit eigenen Augen sehe, darauf muss ich nicht hingewiesen werden! Was ist mit den Messungen? Genauer!«
Der Imperator war angespannt und befürchtete das Schlimmste. Zumindest glaubte Ronald Tekener, das an Bostichs Tonfall zu erkennen.
Im Holorama brodelte der Aufriss. Ein Tunnel, der sich in der Ewigkeit verlor, zumindest in der Unendlichkeit – dieser Eindruck ließ sich nicht leugnen.
Es war und blieb unmöglich, durch den Kristallschirm hindurch das Arkon-System zu erreichen. Der Tunnel, den die CHUVANC schuf, führte nicht nach Tiga Ranton, sondern verschwand zwischen Raum und Zeit in den Weiten unzähliger Pararealitäten.
Was Richter Chuv versuchte, war kaum anders als das Bemühen eines Tauchers, einen einzelnen kleinen Fisch in den Weiten eines Ozeans zu finden.
Hoffte Chuv auf den Zufall als Verbündeten?
Dafür war sein Vorgehen zu zielstrebig und zu schnell. Eigentlich erweckte es den Anschein, als habe der Richter nur darauf gewartet, dass ihm der Einflug verweigert würde.
Er wusste schon vorher, dass er auf Ablehnung stoßen würde und sich durchsetzen muss, ging es Tekener durch den Sinn.
Möglicherweise war der »Fisch« präpariert. Ein kleiner Sender, an einer Flosse befestigt, machte es dem Taucher leicht, die Position zu bestimmen und sich eben nicht im Meer der Pararealitäten zu verlieren.
Was voraussetzte, dass das Atopische Tribunal Vorbereitungen getroffen hatte.
Wann?
Tekeners Lächeln verhärtete. Das Arkon-System lag erst seit Kurzem unter dem Schutz des Kristallschirms. Schon eine einzige kleine Funksonde, im Leerraum zwischen den Planeten treibend oder irgendwo verborgen und auf einer außergewöhnlichen Frequenz sendend, mochte dem Atopischen Richter den Weg weisen.
Das Risiko der Entdeckung eines solchen Leuchtfeuers war gering. Sehr gering.
Die Überlegung, dass sich weit mehr hinter dieser eigenartigen »Invasion« verbarg, als überhaupt erkennbar war, konnte Ronald Tekener noch so oft verdrängen – sie kam hartnäckig wieder. Die Karten lagen längst nicht alle auf dem Tisch, davon war der Smiler überzeugt.
»Genauer!«, hatte Bostich eben erst verlangt. In einem Holoausschnitt entstand das Konterfei eines Ortungsoffiziers. Tekener kannte den Mann nicht, der zur körperlichen Fülle neigte und sein rückenlanges schlohweißes Haar im Nacken zu einem wuchtigen Knoten geschlungen hatte. Er kannte überhaupt niemanden von der Besatzung der GOS'TUSSAN II, und das würde vorerst so bleiben, jedenfalls solange Bostich keine Anstalten machte, seine Privatgemächer zu verlassen.
Die Rangabzeichen verrieten Tekener die Funktion des Fülligen als Tharg'athor und Leiter der Ortungszentrale.
»Der Tunnel vor uns strahlt stark im UHF-Bereich!«, meldete der Mann. »Ein Hyperaufriss. Ähnliche Messungen gab es während des Angriffs der Terminalen Kolonne auf das Solsystem ...«
Bostich unterbrach mit einer unwirschen Handbewegung. »Helfen uns diese Messungen weiter?«
»Sie zeigen sich als heftige Eruptionen im ultrahochfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums, nahezu identisch mit Strangeness-Effekten und ihren Nebenwirkungen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Tunnel andere Universen und Pararealitäten tangiert.«
»Sehen wir die CHUVANC?«
»Nur indirekt, Eure Erhabenheit. Der Tunnel wird weiter vorangetrieben, die Eruptionen lassen die jeweilige Position des Ellipsoids erkennen.«
»Aktuelle Distanz?«
Der Tharg'athor zeigte eine Geste der Unsicherheit.
»Also keine räumliche Ausdehnung messbar, obwohl der optische Eindruck eindeutig ist.« Bostich wandte sich wieder dem Holorama zu.
Die komplette Längswand des Raumes wurde von der optischen Wiedergabe verdeckt. Nicht mehr als drei oder vier Meter vor dem Imperator schien bereits die Tunnelröhre zu brodeln.
Eine Einblendung gab den Durchmesser mit rund 23.000 Kilometern an. Die winzigen Lichtpunkte, die vor dem tobenden Hintergrund scheinbar stillstanden, konnten eigentlich nur Raumschiffe der Onryonen sein.
Ronald Tekener war sich dieser Feststellung schon sicher, als er einen der Punkte fixierte. Der Servo registrierte seine Blickrichtung und vergrößerte für ihn den betreffenden Bildausschnitt.
Übergangslos sah Tek einen in tiefem Rot leuchtenden Kugelraumer vor sich, die Konturen verwaschen und das gesamte Objekt zur Größe einer Faust hochgerechnet. Möglicherweise handelte es sich um einen der Raumväter.
»Wann wird der Tunnel den Schirm durchstoßen?«, fragte Tekener.
»Das interessiert mich mehr als alles andere!« Bostich schritt auf die Wiedergabe zu und blieb erst unmittelbar davor stehen. Zögernd hob er den rechten Arm, dann griff er in die Projektion, um das vermeintliche Ende des Tunnels zu sich heranzuziehen.
Vorübergehend schien das Bild zerfließen zu wollen, stabilisierte sich aber innerhalb weniger Sekunden wieder.
»Der Endbereich ist nicht erfassbar«, erschien eine Meldung.