Klaus Koziol

Der Sinn macht den Erfolg

Mit christlichen Werten Unternehmen führen

Patmos Verlag

INHALT

Einführung

Strukturwandel in der vernetzten Gesellschaft:
Unternehmerisches Wirtschaften heute

Grundspirit der christlichen Werte:
Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Personalität

Solidarität

Subsidiarität

Verantwortung

Christliche Werte als Garanten für Unternehmenserfolg:
Das SENSOR©-Prinzip

Von den Bedingungen im Unternehmen

Selbstentfaltungsmöglichkeiten

Erfolgsorientierung

Nachhaltige Verantwortung

Über das Innen-Außen-Verhältnis

Story-telling

Outside-Inside-Management

Zum gesellschaftlichen Umfeld

Risikovermeidung und restoring-trust

Christliche Ethik als neuer Wachstumsmotor

Anmerkungen

Einführung

Der Titel des Buches mag bei manchen, die in Unternehmen Verantwortung tragen, ein erstauntes Lächeln hervorrufen, etwa nach dem Motto: Der Sinn soll verantwortlich sein für den Unternehmenserfolg? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Für den Unternehmenserfolg sind die Leistungskraft des Unternehmens, die Marktausschöpfung und die Innovationskraft verantwortlich – wo soll da der Sinn seinen Platz haben?

Aber aus dem Lächeln wird schnell ein Kopfschütteln, wenn schließlich der Untertitel hinzukommt: christliche Werte und wirtschaftlicher Erfolg – das passt so wenig zusammen, wie eben christliche Werte und wirtschaftlicher Erfolg zusammenpassen – nämlich gar nicht, so die durchaus gängigen Meinungen und Vorbehalte.

Schnell hört man die Skeptiker sagen: Bei den christlichen Werten geht es doch um Menschlichkeit, beim wirtschaftlichen Erfolg um ein knallhartes Geschäft und um einen permanenten Kampf ums finanzielle Überleben – das passt nicht! Christliche Werte mögen für die Lebensführung des Einzelnen gut sein, aber was sollen sie für die Arbeit im Unternehmen bringen?

Oder gar: Wer für sich im unternehmerischen Leben christliche Ethik in Anspruch nimmt, wird weich und passt nicht mehr in den Feuerofen »Wirtschaftsunternehmen«.

Und überhaupt: Bedeuten christliche Werte nicht Schranken hier, Schranken da? Kommt nicht immer gleich: Du darfst nicht! Christliche Ethik ist doch eine Verbotsethik, was wir im unternehmerischen Handeln brauchen, ist aber eine Ermöglichungs-Ethik – wie kann da christliche Ethik von Nutzen sein?

Doch wer den Sinn und mithin die Werte in solch eine No-go-Ecke stellt, hat Wichtiges verkannt: Denn wer arbeitet im Unternehmen und bringt solchermaßen Innovation und Leistung und wer ist Kunde des Unternehmens? Es sind Menschen, Menschen mit ihren Interessen und ihren Bedürfnissen, Menschen, die einen Sinn in ihrem Tun und ihrem Arbeiten sehen und erfahren wollen, Menschen, die einen sinnstiftenden Grund sehen wollen, um Innovation und Leistung erbringen zu können. Nur wenn Menschen im Unternehmen und die Menschen als Kunden und als gesellschaftliche Akteure nachvollziehbar erfahren können, dass die Frage nach dem reason why des unternehmerischen Tuns und der Arbeit im Unternehmen von einem Wertespirit getragen ist, der eine Sinnstiftung ermöglicht und den Menschen nicht zu einem Ding oder zu einer Zahl verkommen lässt, erst dann ist der Mensch bereit, sich so zu öffnen, dass von ihm Leistung und Kreativität zu erwarten sind. Erst wenn der Mensch fühlen und konkret erfahren darf, dass er das Maß aller wirtschaftlichen Dinge ist, er das unternehmerische Wirtschaften von einer Menschendienlichkeit geprägt sieht, erst dann ist die Voraussetzung für einen Unternehmenserfolg geschaffen, nämlich dass der Mensch bereit ist, Leistung erbringen zu wollen.

Also: Nur wenn Werte im Unternehmen sichtbar und verlässlich gelebt werden, Werte, die sich an der Menschendienlichkeit orientieren, erst dann ist ein Unternehmen zukunftsfähig und langfristig auf Erfolg gepolt.

Wenn das zentrale Movens für Erfolg der Sinn darstellt, den die Arbeit und das unternehmerische Tun für die Menschen haben, und dieser Sinn ganz elementar von der Menschendienlichkeit geprägt ist, dann darf man nicht umhin, diese am gelingenden Mensch-Sein orientierten Werte auch und gerade an der großen Tradition des Abendlandes, nämlich am Christentum, zu orientieren. Gerade das Christentum hat diese Grundbotschaft der Menschendienlichkeit als ihre zentrale Botschaft, eine Botschaft, die allerdings in der Vielstimmigkeit unserer Zeit leicht untergeht.

Wenn der zentrale Wert des Wirtschaftens die Menschendienlichkeit darstellt, und ein Unternehmen nur so Erfolg haben kann und das Christentum für eben dieses Wertefundament steht, dann müssen sich diese Werte, die am Menschen orientiert sind, und die wirtschaftliche Notwendigkeit treffen, um durch die Sinnzufriedenheit der Menschen im Unternehmen und im gesellschaftlichen Umfeld wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren. Ist dieses Ziel klar, dann ist es auch nicht in erster Linie von Bedeutung, ob diese an der Menschendienlichkeit orientierten Werte eine christliche Fundierung haben oder die Menschendienlichkeit eher pragmatisch inspiriert ist. Entscheidend muss das Grundmovens sein: Die Menschendienlichkeit ist Voraussetzung für den Unternehmensgewinn. Denn nicht Gewinne, Expansion und Marktführerschaft dürfen – so wichtig sie auch sind – im Zentrum des Wirtschaftens stehen, sondern das Wohl der Menschen. Und wer über eine solche Aussage lächelt, dem kann die christliche Ethik mit ihrer jahrtausendjährigen Erfahrung nur sagen: Wenn das Wohl des Menschen, im Unternehmen und im gesellschaftlichen Umfeld, nicht im Mittelpunkt steht, dann geht das unternehmerische Wirtschaften in die Irre, weil es sukzessive von immer weniger Menschen akzeptiert und getragen wird, was in letzter Konsequenz bedeutet: Die licence to operate geht im Unternehmen und in der Gesellschaft verloren und damit die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg.

Von daher: Geben wir den Werten, und mithin den christlichen Werten, mit ihrer Intention der Menschendienlichkeit eine Chance und wagen wir das Experiment, zu überprüfen, ob und wie Werte mithelfen können, die Menschendienlichkeit und mit ihr den wirtschaftlichen Erfolg zu ermöglichen.

Strukturwandel in der vernetzten Gesellschaft: Unternehmerisches Wirtschaften heute

Eine Zumutung bereits ist es, die Werte als Ermöglichungsfaktor für den wirtschaftlichen Erfolg zu benennen. Doch es wird noch herausfordernder: Neben dem Sinn und den christlichen Werten sollen auch noch die gesellschaftlichen Bedingungen eine zentrale Einflussgröße für den Unternehmenserfolg darstellen. Hier stellt sich durchaus die Frage: Was geht einen Unternehmer oder eine Unternehmerin die Gesellschaft an, sie haben doch genug mit ihrer eigenen Firma zu tun. Nun, wer so denkt, hat schon verloren.

Denn: ein Unternehmen ist keine Insel. Ein Unternehmen ist Teil dieser Gesellschaft, teilt im Guten wie im Schlechten die Möglichkeiten und Probleme, die die Gesellschaft als Ganze hat. Nehmen wir ein Beispiel: Ist die schulische Situation in einem Land schlecht, kommen schlecht ausgebildete neue Mitarbeiter ins Unternehmen, mit entsprechend fatalen Folgen. Oder: Ist in einer Gesellschaft die Bereitschaft zur Leistung nur mangelhaft vorhanden, warum sollte dies dann ausgerechnet im Unternehmen selbst anders aussehen.

Wenn wir akzeptieren können, dass ein Unternehmen keine Insel ist, so müssen wir im nächsten Schritt fragen, durch welche Tendenzen die Gesellschaft und mit ihr die Menschen sowie die jeweiligen Mitarbeiter geprägt sind.

Zwei Stichworte prägen unsere moderne Gesellschaft: die Beschleunigung und die Unüberschaubarkeit. Die Entwicklungen in Technik, Kultur oder in den Mentalitäten gehen in ihrer Veränderung so schnell vonstatten, dass es für jeden Menschen unmöglich ist, immer auf dem Laufenden zu sein. Keiner kann sagen: Ich blicke in Gänze durch. Und wenn man einmal das Gefühl haben kann, den Überblick in einem Bereich zu haben, dann kann man sicher sein, dass sich im nächsten Augenblick schon der nächste Entwicklungsschritt vollzogen hat, und man wieder vor dem nächsten Fragezeichen steht. Soziologen sprechen hier von »tachogener Weltfremdheit«1. Dies bedeutet: Das Entwicklungstempo gesellschaftlicher Veränderungen ist so rasant, dass es schwer fällt, nicht ganz irre zu werden, geschweige denn sagen zu können: Ich bin sicher, dass ich Entwicklungen klar überblicke, ich brauche da keine Sorge zu haben.

Was für die Gesellschaft und ihre Beschleunigung gilt, gilt in ganz ähnlicher Weise für jedes Unternehmen. Wenn ein Unternehmen keine Insel ist, dann sind die Probleme der Gesellschaft eben auch die Probleme des Unternehmens. Welche Auswirkungen dies für die Steuerung eines Unternehmens hat, das lässt sich mit einer Aussage von Hans Wüthrich2 kennzeichnen: Es ist die Planung des Unplanbaren. Denn mit der Beschleunigung werden die Risikofaktoren immer zahlreicher, dabei aber die Unternehmensfaktoren, von denen man sagen kann, sie sind sicher, immer weniger.

Immer weniger behält der Einzelne also den Überblick, dass er für alle relevanten Bereiche der Spezialist sein kann, er ist auf der Verliererstraße, wenn er nicht – sagen wir es so – den Publikumsjoker zieht: Wenn der Einzelne nicht durchblickt, dann ist die Chance größer, dass die vielen, die einen Unternehmensverantwortlichen umgeben, nämlich die Mitarbeitenden, durch ihre Aufmerksamkeiten, Sensorien und Kompetenzen auf die Tendenzen, Schwierigkeiten und Chancen hinweisen, die ein Unternehmen für seine Entwicklung braucht. In unserer Zeit der dynamischen Veränderung sind das einzig Verlässliche und somit das Kapital für ein Unternehmen schlechthin die Mitarbeiter, die mit ihrer individuellen und kollektiven Intelligenz Erfolg ermöglichen. Jetzt gilt es »nur« noch, diese vielgestaltige Intelligenz von Unternehmensseite wahrzunehmen, zu pflegen und abzurufen.

Die beschleunigte Unsicherheit hat aber auch gravierende Auswirkungen auf die Bedingungen des Mensch-Seins in der Moderne. Der Mensch scheint dem permanenten Beschleunigungs- und Veränderungsdruck nur schwer gewachsen. So waren die psychischen Erkrankungen selten so hoch wie heute, auch verursacht durch beruflichen und privaten Stress, alles »unter einen Hut« zu bekommen. Zunehmend entfallen bisherige Selbstverständlichkeiten, gesellschaftliche Vorgaben werden brüchiger, vieles muss von jedem Einzelnen immer wieder hinterfragt werden. Das gilt auch und gerade für die Berufsidentität und die Berufsmotivation. So waren Menschen des Industriezeitalters, das wohl bis zur ersten Ölkrise in den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts zu datieren ist, durch starke institutionelle Vorgaben geprägt: Familie, Kirche, Staat und Beruf. Dies waren starke, oftmals überstarke gesellschaftliche Säulen, die jemand nur unter der Gefahr gesellschaftlicher Bestrafung missachten konnte. Identität wurde sozusagen von diesen Institutionen zur Verfügung gestellt, man musste sie nur für sich überstreifen oder man bekam sie übergestülpt. Und hierbei spielten der Beruf und die berufliche Tätigkeit eine zentrale Rolle. Man trat im jugendlichen Alter in den Beruf und die Firma ein und verließ sie mit der Verrentung. Die persönliche Identität gründete im Beruf, das berufliche Tun war zentrale Vorgabe für alle weiteren persönlichen und gesellschaftlichen Bereiche.