Verlag:
Gruner + Jahr AG & Co KG
Verlagsgruppe München
Weihenstephaner Str. 7
81673 München
Chefredakteurin: Marie-Luise Lewicki (v.i.S.d.P.)
ISBN 978-3-652-00250-9
1. Schmeckt’s? Und wie!
MILCH UND MEHR
2. Die richtige Babyernährung
3. Sind Stillkinder Flaschenkindern überlegen?
4. Allergien: Vorbeugen ist einfacher als gedacht
5. Kleines Brei-Einmaleins
6. Isst mein Kind auch genug?
GUTE ESSER – SCHLECHTE ESSER
7. Können Babys selbst entscheiden, was sie essen?
8. So wird Ihr Kind ein Besseresser
9. Check: Wie gesund ernähren sich Kleinkinder?
10. Unser kleiner Moppel
11. Grünes Licht für Veggie-Kinder
12. Zu süß? Zu salzig?
13. Elf Kostproben für heikle Esser
14. Auf die Schnelle: leckere Kombirezepte
Autoren: Ulla Arens, Christiane Boörger, Sabine Gruüneberg, Kerstin Güntzel, Isabella Huber, Nora Imlau, Astrid Jansen, Birgit Leimbeck, Sabine Lotz, Sabine Maus, Dorothee Schaller, Anke Willers
Wie Kinder schon im Bauch lernen, richtig zu essen. Und warum gemeinsame Mahlzeiten Familienklebstoff sind
Emmentaler auf Erdbeermarmelade. Senf über Kartoffelbrei. Passt das? Geht so.
Antonie, 4, ist sicher: „Schmeckt!“ Großzügig gibt sie Puppe Mia einen Löffel von ihrer Kartoffelsenfpampe ab, Mia ist – angeblich – auch ganz wild auf rote Marmelade mit Löcherkäse zum Frühstück.
Antonies gewagte kulinarische Eigenkreationen werden es kaum in ein Kochbuch schaffen – obwohl, wer weiß, der englische Sternekoch und Rezeptexzentriker Heston Blumenthal wurde mit einem Räucherschinkeneis berühmt. Ernährungswissenschaftlich ist die kleine Tochter der Nachbarn jedenfalls auf dem richtigen Weg.
„Wenn Kinder gute Esser werden sollen, müssen sie frühzeitig viele Geschmäcker kennenlernen“, sagt Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm.
Warum es wichtig ist, dass ein Kind unkompliziert isst, erklärt die Autorin zahlreicher Ratgeber und Kinderkochbücher so: „Erst Vielfalt macht Ernährung gesund. Wir brauchen Vitamine, Spurenelemente, Fette, und in jedem Nahrungsmittel ist etwas anderes drin. Ein Kind, das vieles mag, ernährt sich aber nicht nur ausgewogener. Es ist auch lebenstüchtiger. Es kann bei den Familien seiner Freunde oder der Tagesmutter mitessen, es beteiligt sich beim Kindergartenpicknick, eckt nicht an, weil es Extrawürste erwartet.“
Süß. Sauer. Salzig. Schon Ungeborene haben Geschmackserlebnisse
Die Vorbereitung darauf fängt im Mutterleib an: Spaghetti Carbonara, Tandoorihühnchen, Spinatpfannkuchen – was Mama isst, schmeckt ihr Baby über das Fruchtwasser mit.
„Hier beginnt der sogenannte, Mere-Exposure-Effekt‘ zu wirken. Ernährt eine Schwangere sich abwechslungsreich, lernt schon das Ungeborene verschiedene Geschmacksrichtungen kennen“, sagt Dagmar von Cramm. Mit dem Mere-Exposure-Effekt beschreiben Psychologen die Tatsache, dass Menschen mögen, was ihnen im Alltag zuverlässig immer wieder begegnet. Die Macht der Gewohnheit eben.
Für die Ernährung bedeutet das: Je früher ein Kind erlebt, dass Nahrungsmittel verschieden schmecken, riechen, aussehen, desto besser akzeptiert es eine ausgewogene Ernährung.
Stillkinder bekommen Süßes, Saures, Würziges über die Muttermilch mit, ab der Beikost darf das fröhliche Probieren weitergehen.
Ökotrophologin von Cramm: „Die Befürchtung, dass frühes Kosten vom Teller der Großen Babys anfälliger für Allergien macht, hat man heute nicht mehr.“ Im Gegenteil: Wissenschaftler vermuten, dass kleine Mengen von allem Möglichen für Stillkinder eine Art Allergieimpfung sein könnten.
Und dann endlich die erste große Portion Nudeln. Der eigene Löffel! Spaghetti mit Tomatenpapp über den Tisch verteilen! Essen kann so schön sein. Und spannend. Eine echte Herausforderung.
Kennen Sie das Baby mit der Zitrone aus dem Internetvideo? Googeln Sie „Zitronenbaby“, dann können Sie bewundern, wie es todesmutig an einem gelben Schnitz – hoffentlich bio und heiß abgewaschen – lutscht. Bewundern, das meine ich wörtlich. Wie sauer das Zitronending ist! Es schüttelt das Baby nur so, es verzieht den Mund. Und beißt mutig wieder zu. Kann etwas tatsächlich so merkwürdig schmecken?, scheint es sich zu fragen. Nach einigen Lutschtests ist Baby dann schon richtig cool – schneller Mere-Exposure-Effekt vermutlich.
Was und wie wir essen, begleitet uns durch das ganze Leben. Eingeschworene Fast-Food-vor-dem-Fernseher-Esser mögen es bestreiten, aber ein ausgedehntes Abendessen mit Freunden, mit Gesprächen, mit einer Sauce, von der man nichts übrig lassen möchte, mit zartem Fisch, buntem Gemüse, auf der Zunge schmelzendem Schokodessert – das ist ein echter Stimmungshöhepunkt. Gutes Essen macht glücklich, nette Gesellschaft dabei noch glücklicher. Dass es so etwas gibt wie Esskultur, lernt ein Kind von seinen Eltern.
Welchen Stellenwert sie in seinem Alltag hat und haben wird, entscheidet die Familientradition.
Wer einmal Italienern zugehört hat, die sich zu zweit, dritt oder viert in einem Café, am Strand oder auf dem Bürgersteig unterhalten, muss ihre Sprache nicht können, um zu verstehen, worum es geht: „Eh, Pizza Margherita!“ „Prosciutto, Pecorino, Madonna mia!“ „Spaghetti vongole!“
Sie reden tatsächlich meistens über Essen. Eine italienische Großfamilie streitet am Tisch bestimmt auch mal über Politik. Am Ende gibt es dann aber doch wieder Dolci für alle. Tiramisu, Pannacotta, Zabaione! Ich will damit nicht sagen, dass Essen wichtiger ist als das Weltgeschehen. Aber wie Menschen miteinander essen, ist – zumindest für ihre persönlichen Beziehungen und ihre Geschmacksausbildung – stilbildend.
Eine Mahlzeit erzählt etwas über die Familie. Am Tisch ist keiner unsichtbar
Amerikanische Forscher haben das Essverhalten von Zwei- bis Fünfjährigen untersucht. Für ihre Studie bekamen die Kinder eher gewöhnungsbedürftige Gerichte wie Grießbrei mit Kapernpaste (Madonna mia!) vorgesetzt. Löffelten die Eltern neben ihnen brav das Gleiche, zögerten die kleinen Testesser nicht und aßen Kaperngrießbrei. Hatten die Eltern einen anders gefärbten Brei auf dem Teller, verschmähten die Kleinen ihr Gericht.
Vorbild ist also auch beim Essen ausschlaggebend.
„Fragt Papa beim Anblick eines Rohkostsalats angewidert, ob man ihn für ein Kaninchen hält, haben Vitamine bei seinem Kind schon mal ein schlechtes Image“, sagt Dagmar von Cramm.
Was und wie Kinder essen, hängt nicht nur vom Geschmack ab und wie viel davon sie gewohnt sind. Ganz wichtig ist auch die Atmosphäre rund um den Familientisch.
Hektisch zwischendurch. Mit Servietten und Platzdeckchen. Selbst gekocht. Aufgetaut. Es gibt viele Varianten. Pragmatiker wählen Zwischenlösungen. Nicht immer ist genug Zeit für das perfekte Dinner, dann gibt es eben auch mal Vorrat aus der Tiefkühltruhe. Ein Nutellabrot, neben der Holzeisenbahn vom wackligen Teller auf den Knien gegessen, ist für Ernährungsexperten nicht gerade der Bringer – nach einem anstrengenden Tag aber total gemütlich.
Beim Essen ist es wie in jedem anderen Erziehungsbereich auch: Je mehr Rhythmus, Verlässlichkeit, Geduld, Ruhe und Zuwendung ein Kind erlebt, desto besser. Aber Eltern sind auch nur Menschen und stehen mal mehr und mal weniger unter Druck.
Wenn Stress ist, kann ein sorgfältig zubereitetes Familienessen erden und entspannen. Muss es aber nicht. Es kann auch im Fiasko enden, weil die Arbeit, der Zeitdruck, die Erwartungen gerade viel zu viel sind. Eine TK-Pizza-Ausnahme ist dann das bessere, weil friedlichere Essen.
Für den Familientherapeuten Jesper Juul sind regelmäßige Mahlzeiten eine wichtige Konstante im Familienleben: „Sie sind eine ausgewogene Mischung aus guten Speisen, Sorgfalt, Engagement, engen Bindungen, Ästhetik, einem Erlebnis der Sinne – und aus unvorhersehbaren Gefühlen und Stimmungen. Aus psychologischer Sicht immer eine unberechenbare Gemeinschaftsproduktion, zu deren Gelingen alles und alle beitragen.“
Wer zusammen isst, lässt sich aufeinander ein, kann etwas übereinander lernen.
Steht drei Tage hintereinander Tütensuppe auf dem Herd, weiß Papa, dass Mama Stress hat. Gönnt der Große dem Kleinen nicht das Salatblatt auf dem Teller, kapieren die Eltern, dass momentan etwas nicht stimmt im Geschwistergleichgewicht.
Am Tisch ist niemand unsichtbar. In wenigen Bereichen des Familienlebens lässt sich so selbstverständlich Gemeinsamkeit herstellen. In der Küche lernen Kinder mithelfen, sie haben Erfolgserlebnisse, merken, dass ihre Teilnahme wertvoll ist. Zweijährige können Teller transportieren, Dreijährige Salat waschen, Kindergartenkinder schaffen es schon, regelmäßige Pflichten zu übernehmen: Servietten schön hinlegen, Sprudelwasser eingießen, so etwas.
Selbst viel später noch, wenn aus stolzen Tischdeckern längst bockige Teenager und autonome Dönerkäufer geworden sind, kann eine gemeinsame Mahlzeit als zuverlässiger Familienklebstoff wirken.
„Das blöde Samstagabendessen nervt total“, hörte ein Freund einen Pubertätssohn einmal am Telefon sagen, „aber ich kann echt nicht früher weg hier, es gibt Lasagne!“ So einfach ist das.
Ein Baby satt, gesund und glücklich zu machen – das scheint angesichts oft widersprüchlicher Informationen gar nicht so leicht zu sein. Ist es aber. Denn die neuen Ernährungsempfehlungen lassen viel Platz für individuellen Genuss. Lesen Sie auf den folgenden Seiten: Wie Experten heute über das Stillen und Zufüttern denken. Wie der Beikoststart am besten gelingt. Was wir von anderen Ländern lernen können – und was Sie besser lassen, wenn Ihr Kind ein guter Esser werden soll
In den ersten sechs Monaten gibt es nach einhelliger Expertenmeinung nichts Besseres, als voll zu stillen. Dass viele Mütter das nicht durchhalten, hat meist weniger mit mangelndem Willen zu tun als mit Stillproblemen. So weit muss es aber gar nicht erst kommen, sagt die Münchner Still- und Laktationsberaterin Petra Schwaiger.
Wenn sich Frauen schon in der Schwangerschaft gut übers Stillen informieren, klappt es hinterher besser. Stillgruppen oder Stillvorbereitungskurse helfen, Problemen vorzubeugen.
Ein Beispiel: Frauen mit Schlupf- oder Flachwarzen bekommen Tipps und Infos, etwa über Brustwarzenformer, die man zwischen dem vierten und siebten Schwangerschaftsmonat täglich zehn Minuten tragen kann. Von einer anderen Art der Vorbereitung würde ich eher abraten: Das Abhärten der Brustwarze, z. B. durch Abrubbeln mit einem harten Handtuch, ist meiner Erfahrung nach eher kontraproduktiv. Bei manchen Frauen werden die Brustwarzen so schon vor der Geburt wund.