Nordrhein-westfälische Einladung
Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dieses Buch in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Erste Auflage 2015
© Größenwahn Verlag Frankfurt am Main Sewastos Sampsounis, Frankfurt 2015
www.groessenwahn-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-95771-063-5
e-book ISBN: 978-3-95771-064-2
Pamela Granderath, Michalis Patentalis
(Hrsg.)
Erzählungen, Geheimnisse und Rezepte
IMPRESSUM
Nordrhein-westfälische Einladung
Herausgeber
Pamela Granderath, Michalis Patentalis
Seitengestaltung
Größenwahn Verlag Frankfurt am Main
Schriften
Constantia und Lucida Calligraphy
Covergestaltung
Marti O´Sigma
Coverbild
Marti O´Sigma
Lektorat
Edit Engelmann
Druck und Bindung
Print Group Sp. z. o. o. Szczecin (Stettin)
Größenwahn Verlag Frankfurt am Main
September 2015
ISBN: 978-3-95771-063-5
e-book ISBN: 978-3-95771-064-2
Dieses Buch ist allen gewidmet,
die Nordrhein-Westfahlen kennenlernen möchten
und all denen die es vermissen.
Eine Reise durch acht Stationen Düsseldorfs, um diese Stadt kennenzulernen, amputierte Beine in der Margarethenhöhe, eine Eifelwanderung oder der Besuch bei Tante Hilla in Duisburg, das sind nur einige Geschichten, die Autorinnen und Autoren wie Thomas Brandt, Pamela Granderath, Michalis Patentalis, Natascha Würtzbach und andere Schreibende für das Buch »Nordrhein-westfälische Einladung – Erzählungen, Geheimnisse und Rezepte« verfasst haben.
Zum Jubiläum der Gründung Nordrhein-Westfalens 1946 haben viele Autoren und Autorinnen zur Feder gegriffen, um den historischen Rang und die ungeheure Modernität des Landes ins Gedächtnis zu rufen. Ob als Gedicht oder Kurzgeschichte, kritische Betrachtung oder kulinarische Hymne, schreiben prominente und neuentdecke Literaten und Literatinnen über das, was die westlichste Region Deutschlands ausmacht. Nicht nur die Sprache, sondern auch die Kochkünste werden hier thematisiert, weswegen empfehlenswerte Rezepte die literarischen Geschichten abrunden. Der Geschmack, der von einem Rezept ausgeht, ist die Frucht seiner Beschreibung, genau wie die Liebe schöner oder dramatischer wird durch ihre lyrische Darstellung. In diesen Geschichten wird die Literatur zu einem unumgänglichen Träger Nordrhein-westfälischer Kultur.
Sie, liebe Leserin und Leser, sind sie jetzt gefordert, diese literarische Schöpfung zum Abschluss zu bringen.
Michalis Patentalis | Pamela Granderath |
Frauke Tomczak
anlässlich der Ausstellung »Ansichten des Rheins«, Unibibliothek Düsseldorf
Fall in den Rhein
jeden morgen.
Den giftigen Becher
bringt mir jeden Morgen
mein Freund, der Taucher
vom Grund.
Ein Gruß
von Kaisers
Stuhl zur Vernissage
Honores und kichernde Tröpfchen
vor düsterner Schwernis
in Kreide, in Kupfer
der Strom und wieder der Strom,
uns Deutschvater all.
Und sängen dann alle
Männerchor, faustisch,
vor welligwarmwogend Undinen
Wehmut in Auge und Brust
»bedeuten, bedeuten, bedeuten …«
die Loreley
ohne Verfasser.
Fall in den Rhein,
jeden Morgen bringt
mir mein Taucher
den Gifttrank vom Grund.
Ich schüttle mich kurz
vor den romantischen Weiden,
dem Burgpech und Schwefel,
wünsch Erdbeben zu Chili
und geh vorbei
an dieser Stellung, Bilderausstellung
»Ansichten des Rheins«,
geh und suche
in meinen Büchern …
Hast du
den Vater Rhein
in seinem Bett gesehen?
o indiscretio du occulus damnatus!
Da wälzt sich nackt
bis auf die Stiefel ein fetter General.
Und mitten in nebelnden Wiesen
grasen Walküren
mit fetten Ärschen
und wiederkäuen im Takt.
Ein Strom ist ein Strom ist ein Strom
und kann nicht dafür, nicht dawider –
ein schwermütiges Opfer,
das fließt.
Fänd´ ich
die sitzengebliebene Brücke,
mein Taucher,
so wie ich
ein Delta verschwimmend im Himmel
von oben vom Flugzeug
den Strom einmal sah –
mein Taucher, mein Taucher, lass ab.
So wie die mythischen Namen der Schiffe
Persephone trifft Dulcinea
vor Kaiserswerth
die lachen, die lachen laut auf
vor dem Ruinengerümpel –
so lieb ich den Rhein.
Panhas
Zutaten:
250 g Rindfleisch, 300 g Schweinebauch, 200 g Pfälzer Leberwurst, 250 g Zwiebeln, Salz, Pfeffer, 1/2 TL Nelkenpulver, 1/2 TL Piment, 1 Prise Majoran, 250 g Buchweizenmehl
Zubereitung:
Das Fleisch abwaschen. Zwiebeln in Stücke schneiden. Fleisch und Zwiebeln mit Salz und Pfeffer im Topf mit Wasser zum Kochen bringen und ca. 50 Minuten köcheln. Fleisch aus der Brühe nehmen und die Brühe durchsieben. In der heißen Brühe die Leberwurst auflösen. Das Fleisch durch einen Wolf drehen und zurück in die Brühe geben. Die Gewürze hinzugeben und kurz aufkochen. Das Buchweizenmehl dazugeben und unter ständigem Rühren 15 Minuten kochen. Die Masse soll fest werden. In eine Kastenform füllen (mit Backpapier auslegen) und auskühlen lassen. Nach dem Auskühlen in 1 cm breite Scheiben schneiden. Die Scheiben werden dann noch in der Pfanne angebraten und anschließend mit Brot serviert.
Martin Knapp
»WAHNSINN – TSUNAMI AM WANNSEE« hatte Bild Online am Morgen getitelt. Zwar hatte der Tsunami keine Menschenleben gefordert, und auch die Sachschäden hielten sich in Grenzen, doch Berlin war beunruhigt. Dass nicht viel passiert war, lag nicht zuletzt daran, dass das ungewöhnliche Phänomen zu sehr früher Stunde aufgetreten war. Lediglich zwei Jogger waren in panischer Angst vom Uferweg in den Wald gerannt, als sie die etwa einen Meter hohe Welle auf sich zukommen sahen. Eine kleine Hündin wurde vermisst, die ein Rentner am See ausgeführt hatte. Bild Online veröffentlichte ein riesiges Foto von Trixi, der Dackeldame, daneben ein ganz kleines von Karl-Heinz Baumann, Trixis untröstlichem Herrchen.
Die Redakteure der weniger volkstümlichen Medien hingegen versuchten, sich irgendwie schlauzumachen. Sie hatten in kürzester Zeit Wissenschaftler aufgetrieben, die sie nach den möglichen Ursachen für einen Tsunami auf einem so kleinen Binnengewässer befragten. Adam Zeussen las sich die Erklärungsversuche der Fachleute kurz durch. Er hatte noch nie verstanden, wie jemand Fachmann für ein Phänomen sein kann, das zum ersten Mal auftritt.
Von den Anziehungskräften des Mondes war da die Rede, doch war das nicht ganz überzeugend, zumal der Mond an diesem Tage seine gewöhnliche Bahn nachweislich nicht verlassen hatte. Außerdem war das Ereignis auf den Wannsee beschränkt. Selbst ähnlich große Seen in unmittelbarer Nähe, wie beispielsweise der Müggelsee, waren völlig ruhig in ihrem Bett liegen geblieben und nicht nach der einen Seite, der Stadtseite, hin übergeschwappt wie der Wannsee.
Ein punktuelles Erdbeben in großer Tiefe, haargenau unter dem Wannsee, vermutete ein bekannter Seismologe der Freien Universität als Ursache. Dem widersprachen zahlreiche Internet-Kommentatoren. Unter ihnen stachen vor allem die Verschwörungstheoretiker hervor, die von unterirdischen Experimenten sprachen, die irgendwelche finsteren Mächte unterhalb des Sees anstellten. Religiöse Fanatiker wiederum sahen in dem Tsunami eine Warnung Gottes, gerichtet an die anerkanntermaßen gott- und sittenlosen Berliner. Als Adam Zeussen das las, musste er lächeln. Er wusste: Das Zeichen galt ihm – und nur ihm.
Alle waren sich darin einig, dass Adams besonderes Durchsetzungsvermögen auf irgendeine Weise mit seiner Kindheit in Zusammenhang stehen müsse. Adam Zeussen hatte es nach herkömmlichen Maßstäben nicht leicht gehabt. Ein Elternhaus, wie andere es vorweisen können, gab es bei ihm nicht. Er war ein Findelkind, das in einem Kinderheim groß geworden war. Heimkinder lernen eben, sich durchzusetzen. Das war Konsens unter den Journalisten, die sich bemüßigt sahen, das neue finanzpolitische Talent dem Publikum vorzustellen. Es erklärte aber nicht, warum es Adam gelungen war, die Klosterschule mit einem Einskommanull-Abitur abzuschließen. Mit dieser Schule kooperierte sein Heim, auch dieses eine kirchliche Einrichtung, wenn sich mal ein Ausnahmekind fand, das die Heimleitung für gymnasiabel hielt, was selten genug vorkam. Für die allermeisten Heimzöglinge hielt man eine Lehre in irgendeinem Handwerksberuf für angemessen. Die Verantwortlichen rechneten sich jede Karriere dieser Art als Erfolg an. Aus schwierigen Kindern brave Bürger zu machen, darin sah die Heimleitung ihre vornehmliche Aufgabe. Ansprüche hatten Heimkinder nicht zu stellen, im Gegenteil, man erwartete eine gehörige Portion Dankbarkeit von ihnen.
Zu behaupten, dass man Adam irgendwelche Steine in den Weg gelegt hätte, wäre aber gelogen. Speziell der Direktor der Klosterschule, ein rundum gebildeter Jesuit, sah in Adam so etwas wie ein jüngeres Pendant seiner selbst. Er förderte die Schulkarriere des Jungen mit dem mysteriösen Hintergrund nach Kräften.
Gefunden hatte man Adam als Neugeborenen mitten im Kölner Dom. Ein Küster war bei einem morgendlichen Kontrollgang auf ein leises Wimmern aufmerksam geworden, das hinter einer Säule hervorkam. Dort lag Adam in einem altmodischen Weidenkorb, mit einem bestickten Kissen und einer kleinen Decke aus Baumwolle. Ein Zettel lag dabei, auf dem aber nichts stand als sein Name: Adam Zeussen. Es war ungewöhnlich, dass ein Findelkind nicht nur mit einem Vornamen, sondern auch mit einem Nachnamen ausgestattet aufgefunden wurde, doch ergaben die Nachforschungen im ganzen Land und in den deutschsprachigen Nachbarländern keinen Hinweis auf eine Familie namens Zeussen. Auf die Durchsuchung der Telefonbücher der Sowjetischen Besatzungszone verzichtete man, weil von dorther ja niemand kommen konnte. Allerdings fand sich in den benachbarten Niederlanden eine Familie Zuissen, was ähnlich ausgesprochen wird wie Zeussen, doch auch diese Spur führte ins Leere.
Pater Reimundus Müller SJ, der Schulleiter, hatte heimlich gehofft, Adam würde sich nach dem Abitur für ein Studium der Theologie entscheiden, aber dieser tat ihm nicht den Gefallen. Er fühlte sich zur Philosophie, zur Archäologie und zur Klassischen Philologie hingezogen. Das Studium und die anschließende Promotion über die Theogonie des Hesiod absolvierte Adam mit Bravour. Jedermann in seinem Umfeld an der britischen Traditionsuniversität, an die es ihn aufgrund eines Begabtenstipendiums verschlagen hatte, sah in ihm einen künftigen Lehrstuhlinhaber und großen Altertumsforscher. Doch zur allgemeinen Überraschung ging er zu einer Bank.
Natürlich ging Adam Zeussen Ph.D. nicht zu irgendeiner Bank. Er bewarb sich bei einer der großen Investment-Banken in der Londoner City. Die Verantwortlichen dort waren zunächst etwas verwundert, als sie seine Unterlagen prüften, schließlich bewarben sich nicht jeden Tag Leute mit einem rein geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Als sie aber sahen, dass diesem Menschen bis dato alles, was er begonnen hatte, auf Anhieb und in höchster Vollendung gelungen war, wurden sie neugierig und luden ihn zu einem Vorstellungsgespräch. Im Anschluss daran hätten sie kaum wiedergeben können, was genau Adam gesagt hatte, doch sein akzentfreies Englisch und seine unnachahmliche Rhetorik hatten sie in seinen Bann geschlagen. Sie stellten ihn ein.
Das Handwerk des Investmentbankers lernte Adam schnell. Er begriff rascher als seine Kollegen das transzendente Wesen des Geldes. Er hatte zwar nicht, wie von Pater Reimundus erhofft, Theologie studiert, doch mit Glaubensfragen kannte er sich aus. Sprach man in der Finanzwirtschaft nicht von Gläubigern? Was glaubten die denn? Dass sie ihr Geld zurückbekommen. Welches Geld? Den Kredit. Das kommt von credere, glauben. So gelangte Adam schnell zu der Einsicht, dass er es auch bei der Hochfinanz mit einer Art Religion zu tun hatte.
Selbst die Rituale, die an der Börse galten, erinnerten an einen Tempel. Dabei war das meiste, was dort geschah, für Nichteingeweihte ein Mysterium, unergründbar und doch unendlich mächtig. An der Börse schuf und vernichtete man Millionenwerte, man entwertete mühsam aufgebaute menschliche Existenzen zu Tausenden, alles mit einem einzigen Knopfdruck. Und fast alle glaubten an die Macht der Börse, nahmen ihre Ratschlüsse ohne Protest hin. Wenn das keine Religion war! Auch standen die Gehälter und Boni der Investmentbanker in keinem Verhältnis zu dem Wert ihres realen Beitrages zum Wohlergehen der Menschheit. War das nicht ein weiteres Indiz dafür, dass es sich hier um eine klassische Priesterkaste handelte? Bei jeder wirklichen Religion steht die Arbeit des Priesters außerhalb des Bewertungsschemas, das für gewöhnliche Tätigkeiten wie Brotbacken, Aktenabheften oder Schuheputzen gilt. Adam gefiel das.
Die neue Einsicht nahm ihm vollends die Ehrfurcht vor dem göttlichen Gelde. Der Glaube an das Geld darf, so dachte er, mich selbst nicht vereinnahmen. Der überzeugendste Priester, das wusste er seit der Klosterschule, ist der, der seinen eigenen Glauben nicht in den Mittelpunkt stellt. Es ist ziemlich gleichgültig, an was der Papst glaubt, solange er anderen den Glauben an Gott vermitteln kann, meinte Adam. So gewappnet stieg er schnell auf in der Hierarchie der Investmentbanker. Bald wurde alles, was er berührte, zu Gold. Das war natürlich nicht im stofflichen Sinne zu verstehen, wie bei jenem unglücklichen König Midas, der am Ende verhungerte, weil man Gold nicht essen kann, sondern rein metaphorisch. Nicht nur dem Bankhaus brachten Adams Deals zuerst Millionen und dann Milliarden ein, auch seine privaten Kontoauszüge füllten sich mit schwarzen Zahlen. Je vielstelliger diese wurden, desto mehr Glück verhießen sie dem, dessen Name in der obersten Zeile stand. Adam war mit sich und der Welt zufrieden.
Mit der Zeit begann jedoch Adams Verhältnis zu den anderen Menschen unter seinem neuen Reichtum zu leiden. Er fing ganz unbewusst damit an, seine Mitmenschen nach ihrem mutmaßlichen Kontostand zu bewerten. Wer ein Zehntel von dem besitzt, was ich besitze, ist ein Zehntel von dem wert, was ich wert bin. Und wer nur ein Hundertstel oder gar ein Tausendstel von meinem Besitz sein Eigen nennt, der ist vollkommen zu vernachlässigen, verdient es kaum, als Artgenosse angesprochen zu werden, kann allenfalls Mittel zu irgendeinem Zweck sein.
Entsprechend arrogant verhielt sich Adam in jener Zeit gegenüber Menschen, welche ihr Leben mit weniger lukrativen Tätigkeiten zu bestreiten versuchten als dem Investmentbanking. Dies isolierte ihn zunächst in seinem alten Freundeskreis, der sich in erster Linie aus seinen Studienkollegen, den Altertumsforschern, rekrutiert hatte. Gemischte Gesellschaften aus den alten Freunden und den neuen Kollegen, den Bankern, gerieten regelmäßig zu einem Desaster. Aber auch gegenseitige Besuche und gemeinsame Unternehmungen mit den alten Kommilitonen wurden immer seltener, um schließlich ganz aufzuhören. Man hatte sich auseinandergelebt. Das Facebook mit seiner neuen Definition des Begriffs ›Freundschaft‹ gab es zu Adams Londoner Zeit noch nicht.
Heute, in Berlin, wenige Stunden nach dem denkwürdigen Wannsee-Tsunami, sitzt Adam an seinem Schreibtisch im Finanzministerium und denkt nach: Was wollen sie schon wieder von mir? Als ich noch ein beinahe anonymes Findelkind war, hatte ich zumindest meine Ruhe. Sicher war ich neidisch auf die wenigen Heimkinder, die dann und wann Besuch von Verwandten erhielten. Auch ich wünschte mir eine Familie. Aber gleich so eine?
Fitschbunne
Zutaten:
500 g Schneidebohnen (saure Fassbohnen), 1 kg Kartoffeln, 2 feingewürfelte Zwiebeln, 150 g magerer feingewürfelter Bauchspeck, Pfeffer, Salz
Zubereitung:
Kartoffeln schälen und in Würfel schneiden. Schneidebohnen (Fitschbunne) mit Wasser spülen – sie können recht salzig sein. Kartoffeln mit Wasser und etwas Salz aufsetzen und zum Kochen bringen. Die Schneidebohnen dazugeben und zusammen kochen lassen, bis die Kartoffeln gar nicht. In der Zwischenzeit Speck in eine Pfanne geben und kross werden lassen. Zwiebeln erst später dazugeben, goldbraun anbraten, aber nicht dunkel werden lassen. Das Kochwasser von Kartoffeln und Bohnen abgießen und die SpeckZwiebel-Mischung unterheben und mit Pfeffer abschmecken.
Dazu passen echte rheinische Frikadellen und ein kühles Kölsch.
Wolfdietrich Jost
Wahrlich, wir leben in Zeiten der Globalisierung. Das sagen Wirtschaftsexperten uns jeden Tag, –nun gut, jeden zweiten. Nachdem jetzt aber das Kreisblatt für Dülmen Stadt und Land in der Wochenendausgabe einen ganzseitigen Beitrag veröffentlicht hat, unter dem Titel »Unser Kreis wird global«, haben es sogar die Politiker gemerkt, selbst die von Rhein und Ruhr. »Jetzt wird’s aber wirklich global!«, stellten sie ganz überrascht fest. Und als dann auch noch Klein Reken hinter den Baumbergen einen furiosen Internetauftritt hinlegte – www.(world wide willage) Little Reken on the rocks.de – schlug das im Düsseldorfer Landtag wie eine Bombe ein. Ganz spontan setzten die Abgeordneten die fünfte Lesung über die dritte Übergangsordnung zur zweiten Änderungsverordnung zum Landestrockenholzgesetz (LandTroHoGes) aus und verabschiedeten in überparteilicher Einmütigkeit die Resolution Wir müssen NRW weltgängig machen. Begründung der Abgeordneten: Globales Outfit muss her, um unsere gewohnte politische Vorteilsnahme auch in der neuen Weltzeit weiterführen zu können, und das bedeutet, jetzt auch Abgeordnetenreisen nach Neupapa-Guinea oder wie das da unten heißt, um dort im Tropenwald neue Aspekte zur Feuchtwaldverholzung am linken Niederrhein zu gewinnen.
»Das wird aber eine schwere Aufgabe«, meint der Abgeordnete Höppi Höppermann aus Herne auf der Halde, »denn gerade unser Ruhrgebiet, die alte Montanregion, tut sich da mit ihren verkrusteten Strukturen noch schwer.«
Nichtsdestotrotz, der Anfang ist gemacht. Essen mit dem Ruhrgebiet war ja Kulturhaupthauptstadt 2010 geworden. Und mit dem Slogan »The Pot Cooks Globally« ist dazu auch eine globale Werbekampagne entwickelt worden. In der Düsseldorfer Regierungszentrale war man hoch erfreut. Der schlafende Montanriese erwacht zu globalem Kulturleben, endlich; so sah man das am Rheinufer, und der Chef der Staatskanzlei meinte: »Das war ein Pottwort zur richtigen Zeit«. Das müssen wir weiter fortführen, aber jetzt für’s ganze Land.«
Gesagt, getan. In der Staatskanzlei wurde die Task Force »Global Wording for Rhine and Ruhr« eingesetzt, mit dem Leitenden Ministerialunrat Korber als Chef. Mit der Bezeichnung »Krupp-Arch« für das neue, torbogenförmige Gebäude der Zentralverwaltung von Thyssen–Krupp in Essen hatte sich Korber sogleich die erste Wortinnovationszulage verdient.
Global Wording in NRW konnte mit Gebäuden beginnen, das war schon richtig. Der Globalisierungstrend sollte und musste aber ganze Städte erfassen, das gesamte Land. Die Task Force scheute vor nichts zurück. Vom Einzelgebäude zur Stadt, das hieß Globalisierung der Städtenamen, zum wenigsten der Großstädte des Landes. Diese Aufgabe übernahm in der Task Force C.P. Newhouse. Der kam aus der Planungsabteilung der Zentrale für die Erneuerung von präurbaner Bausubstanz aus deutscher Vorvergangenheit. Er nannte sich dort noch Christian Peter Neuhaus. Korber holte ihn aus dem Staub der deutschen Vergangenheit, machte ihn zum City Naming Adviser der Task Force »Global Wording«. Neuhaus nannte sich von da an C. P. Newhouse.
Sein erster draft zur globalen Neubenennung der NRW-Städte hat einen Begeisterungssturm ausgelöst. Newhouse hatte keine billigen, globalen Discount-Lösungen vorgelegt, weder für NRW-Nord noch für NRW-Süd.
Newhouse gibt sich im Gespräch zurückhaltend stolz: »Also, ich konnte ja schon an die gute, deutsch-vorauseilende Globalanpassung anknüpfen. Das hat mir die Arbeit erleichtert. Ein Beispiel: Cologne, das ist im Media-Quarter der Domstadt doch schon Alltagssprache. Köln? Wo liegt das? Auch der öffentlich-rechtliche Intendant versucht ja gerade mit CBS, Cologne Broadcasting System, weltweit auf Sendung zu gehen. In Cologne verharrt nur noch das Vrings-Veedel (hochdeutsch: Kardinal Frings Viertel) in kölscher Sprachrückständigkeit. Außerdem wird jetzt durch den U-Bahn Bau alte Bausubstanz innovativ beseitigt und damit urbaner Raum geschaffen, etwa für die Studios der German Media Entertainment. Deren beliebte deutsche Unterhaltungsformate können jetzt global unbegrenzt im Humorraum von Geilenkirchen bis zum Tecklenburger Land empfangen werden. Cologne ist also kein Problem, aber nordwärts, da geht’s noch sehr altdeutsch zu, da wird globales Niemandsland betreten, meint C. P. Newhouse. Keine leichte Aufgabe für einen City Naming Adviser, diese Namensbrache zu globalisieren. Doch wie die Staatskanzlei verbreiten ließ: Das Newhouse’sche Vorschlagspaket – ein globaler Volltreffer.
Es begann mit dem Regierungssitz. Dessen Globalname Dussel on Rhine. Damit ist auch endlich das »Dorf« weg, das die Dussel-Städter ja immer schon so geärgert hatte. Auch die alte Montanregion hat Newhouse von West nach Ost namentlich aufgerollt. Im Ruhrgebietswesten liegt jetzt Duesborough; daran schließen sich die Twin Cities Overhouse and Millhome an; im Zentrum des Potts, wie schon immer Eating. Und im Namensdrang nach Osten folgen dann Schalketown und Opelmishit, dazwischen Herne, aber jetzt Hörni ausgesprochen. Der Pott des Ostens, das ist jetzt Beermouth, und als Außenposten im platten, globalisierungsresistenten Westfalenland dann noch Ham and M.
Und Bonn wurde Newhouse gefragt. Sein lakonischer Globalkommentar: Namen, die keiner mehr nennt. Wozu also?
Als Korber das Namenspaket der Öffentlichkeit vorstellte, war er voll des Lobes. Er stellte heraus, dass mit dieser Paketlösung selbst die alte Montanregion nun im www.(world wide willage) angekommen sei. Und das sei nun doch wohl auch der richtige cultural support für die Ruhr-Triennale, mit der die Landesregierung das Ruhrgebiet vom 19. in das 20. Jahrhundert katapultieren wollte.
Natürlich gab es nach dem Bekanntwerden der Vorschläge Widerstände; das war in der montan-mentalverkrusteten Region auch nicht anders zu erwarten. Hier ist es bekanntlich nicht nur vor der Hacke duster, auch vor dem Hirn ist es hier so. Und dahinter? Nun, das weiß man nicht so ganz genau hier.
Gewerkschaftsfunktionäre schon in der dritten Generation nicht mehr in Arbeit, sondern in Funktion, machen Newhouse nieder mit den Worten: »Bier bleibt Bier und die Dortmunder Borussen bleiben auch Dortmunder Borussen. Nix mit Birmesser Borussen oder so’n Scheiß.«
Bezirkssekretär Manni Glusoviak von der IG Zinn und Zink aus Sterkrade meinte, das mit dem Krupp seinem Arch, das ginge schon in Ordnung, aber schreibe man das jetzt denn so, nach der neuen Rechtschreibung? Gestandene Kommunalfunktionäre, ebenfalls in der dritten Generation im Amt, schmähten die Newhouse’sche Namensgebung als anglizistische Ruhrbesetzung. In der Staatskanzlei wurde klar: Das wird ein harter Kampf mit der Ruhrtümelei werden. Doch dann konnte Ministerialunrat Korber schon auf einen ersten, wenn auch noch sehr, sehr kleinen Schritt mentalen Aufbruchs in der Montanregion verweisen. Von einer Bude an der Krawatzkistraße, Ecke Klumpeskamp in Wanne-Eickel wurde der Staatskanzlei folgendes Gespräch mit dem legendären Kumpel Anton, beim Essen von Pommes rotweiß, zugetragen:
»Anton«, sachtä Cervinski für mich, »Weisse, wat Ruhrtümmelei is?«
»Nä«, sach ich.
»Also, wennse immer noch Härne sachs unnich Hörni, un Düsburch unnich Djusberou, un wennse dat Dortmunder immer noch ausse Pulle trinx unnich als Birmes onse rox [Beermouth on the rocks] dat is dann Ruhrtümmelei.«
»Nä«, sach ich, »da kannse mal sehn.«
Als sich das herumsprach, war man in der Staatskanzlei und selbst ganz, ganz oben von der globalen Zukunft des Landes überzeugt.
Currywurst mit Pommes
Zutaten:
4 Stück Bratwurst vom Fleischer, 100 g Tomatenmark, 2 EL Currypulver, 1 EL Cayennepfeffer, 250 ml Orangensaft, Salz, Pfeffer, 1 Prise Zucker, 125 ml Brühe gekörnte, 2 Sternanis, 1 EL Olivenöl, 8 Kartoffeln, Fett zum Frittieren
Currysauce:
Das Tomatenmark in Olivenöl anschwitzen, mit Currypulver und Cayennepfeffer abschmecken, Sternanis zufügen und weiter schwitzen lassen. Mit Orangensaft ablöschen. Gekörnte Brühe einrühren und alles aufkochen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und etwas köcheln lassen. Eventuell mit Wasser verdünnen.
Pommes:
Die Kartoffeln in ca. 2 x 2 cm dicke und 8 cm lange Streifen schneiden. Die Kartoffelstäbe in kochendem Salzwasser 4 Minuten blanchieren und gut abtropfen lassen. Anschließend in heißem Fett ausbacken, bis sie goldbraun sind.
Die Bratwürste scharf anbraten.
Servieren Sie die Bratwürste mit übergossener Curry-Sauce und reichen Sie die Pommes dazu.
Eleni Torossi
Wahnsinn! Ich schaue durchs Kellerfenster hinein und sehe ihn tatsächlich dort unten. Er sitzt mit hängendem Kopf auf einer Bank. Er scheint keine Notiz von seiner Umgebung zu nehmen. Ich beobachte ihn von oben in aller Ruhe. Er hat den Nacken eines Stiers, das Haar kurz geschoren. Das ist die Gelegenheit, auf die ich schon so lange gewartet habe. Aber was will er eigentlich in den leeren Umkleideräumen der Zeche Helene? Hier stinkt es nach Schweiß und ranzigem Schuhfett. In der Luft hängt noch das Poltern und Johlen der Mannschaft nach dem Spiel. Otto scheint in seine Gedanken versunken zu sein. Dann hebt er den Kopf, lässt seinen Blick über die Spinde schweifen, senkt ihn wieder und bleibt still. Er wirkt irgendwie traurig. Wie soll ich ihn auf mich aufmerksam machen? Ich kann doch nicht auf einmal erscheinen und sagen: »Hallo, ich bin der und der.« Ich sage es erst einmal euch: Ich bin Ómiros, noch nicht ganz dreizehn. Lebe in Essen und habe schon immer an Märchen und Wunder geglaubt. Nicht nur, weil es Otto sagt, sondern weil wirklich manchmal Wunder geschehen. Zum Beispiel, dass ich ihn heute hier vor meiner Nase habe. Zum Beispiel, dass meine deutschen Nachbarn mich in letzter Zeit anlächeln und mir mit zwei Fingern das Victory-Zeichen machen, als wäre ich der Sieger. Nach dem Triumph bei der Europameisterschaft gelten alle Griechen als Helden. Jetzt streichen mir die Nachbarn oft über den Kopf, wenn sie mir begegnen. »Mit Geduld kommt bald auch Anerkennung«, sagt Otto. So auch ich. Ich übe Geduld und sammle Rehhagelismen, also alle seine Sätze, die ich gut finde. Vor allem die, die witzig sind.
Während er dort sitzt und grübelt, erzähle ich euch weiter: Meine Großeltern kamen 1965 hierher, da war Otto schon zwei Jahre lang in der Bundesliga. Wir wohnen in Altenessen. Früher wohnten lauter Bergarbeiter hier, und sie waren sehr arm. Wir sind nicht so arm. Mein Papa arbeitet bei ThyssenKrupp. In unserem Stadtteil ist der Himmel oft bedeckt, und die Fassaden der Häuser aus braunen Klinkersteinen sehen aus, als würden sie weinen, wenn es regnet. Das alte Kohlebergwerk, die Zeche Helene, ist jetzt zu einem Sport- und Kulturzentrum umgestaltet worden. Hier ist auch der Fußballverein Helene untergekommen. In diesem Fußballverein begann Otto seine Karriere. Als er klein war, lebte er im selben Viertel wie wir. Wer hätte damals gedacht, als er bei TuS Helene begann, dass er einmal so viel mit Griechen zu tun haben würde? Und dass gleich zehn Millionen Griechen mit ihm begeistert tanzen und springen würden?
Meine Nase klebt an der Glasscheibe. Otto sitzt immer noch auf seiner Bank. »Manchmal verlieren wir, und manchmal gewinnen die anderen!«, sagt er. Gut was? Solche unsinnigen Dinge sagt er. Er hat einen komischen Humor. Einen seiner Sätze wiederhole ich immer wieder, wenn ich schlecht gelaunt bin: »Wir spielen unser bestes Spiel, solange wir keinen Gegner haben. Wenn du den Gegner aber dir gegenüber hast, dann spiele erst recht dein bestes Spiel.«
Schon als ich sehr klein war, habe ich in den Innenhöfen der Zeche Helene gespielt. Ich stieg in die Loren, ritt über die Lederriemen der Maschinen, und manchmal hatte ich das Gefühl, als ob aus dem hohen Schornstein ein tiefes Stöhnen käme. Als wäre darin ein uraltes Ungeheuer oder ein Riese.