Gunnar Staalesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Krimi
Aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann
FISCHER E-Books
Gunnar Staalesen wurde 1947 im norwegischen Bergen geboren. Er studierte Literaturwissenschaft und arbeitete als Dramaturg. Mit dem Privatdetektiv Varg Veum schuf er eine der populärsten Figuren der norwegischen Krimi-Landschaft.
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Covergestaltung: buxdesign, München
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei Fischer Digital
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-560661-2
Varg: neunorwegisch für Wolf
Vågen: innerer Hafen von Bergen
Brand: Fußballclub in Bergen
Jæren: Strafanstalt in Südwestnorwegen
Norwegische Widerstandsorganisation während der deutschen Besetzung 1940–45
Die Partei der norwegischen Nationalsozialisten unter Vidkun Quisling
Die Originalausgabe erschien 1983 unter dem Titel
I mørket er alle ulver grå bei Gyldendal Norsk Forlag, Oslo
Ich traf Hjalmar Nymark in dem Lokal, das in dem Winter, als Solveig mich verließ, zu meiner Stammkneipe geworden war.
Aufgefallen war er mir schon vorher. Er hatte ein markantes Gesicht mit einer krummen, auffälligen Nase, dunklen und lebhaften Augen, die tief in den Höhlen lagen, und einem energischen Kinn. Ich schätzte ihn auf um die siebzig. Das Haar war fast weiß und so glatt nach hinten gekämmt, daß er tiefe Geheimratsecken bekam. Er hatte die Angewohnheit, mit einer zusammengerollten Zeitung in der einen Hand dazusitzen. Ich sah ihn selten darin lesen, jedoch benutzte er sie, um wichtige Gesprächspunkte zu unterstreichen, wobei er sie auf die Tischplatte schlug.
Er war kräftig gebaut, was ihn untersetzt wirken ließ, obwohl er mindestens 1,80 groß war. Der Bauch war von der Sorte, wie ihn alternde Kraftprotze haben: kein loser Speck, sondern nur Muskeln, die anfangen auszuleiern. Gewöhnlich saß er ein oder zwei Tische von mir entfernt. Meistens war er allein, doch ab und zu hatte er Gesellschaft. Es kam vor, daß wir einander in der Tür begegneten, und nach einiger Zeit merkte ich, daß er mich wiedererkannte. Er hatte ein humorvolles Funkeln in den Augen, und einmal, als ich gerade hineinging und er gerade herauskam, sagte er im Vorbeigehen: „Na, rein zur Tränke?“ Dann war er vorbei, ehe ich ihm antworten konnte.
Das Lokal lag drei Häuser weit von meinem Büro entfernt, und es hatte sich so ergeben, daß ich an drei-vier Nachmittagen in der Woche hereinschaute. Schon am Eingang spürtest du etwas von der Eigenart des Lokals, denn egal zu welcher Tageszeit du hineinwolltest, immer kam gerade jemand heraus, und dieser Jemand war selten sonderlich sicher auf den Beinen. Der Türsteher war die Hilfsbereitschaft in Person: wies dich in deine Richtung oder stand und hielt dich aufrecht, bis das Taxi kam. Die meisten brauchten ein Taxi.
Innen, gleich hinter der Tür, war etwas, das der Lokalität einen fast internationalen Anstrich gab. Eine Glasluke führte in den Tabakladen nebenan, als säße dort der örtliche Buchmacher. Aber das äußerste, was du hier erreichen konntest, war, mittwochs kurz vor fünf deine Lottoscheine abzugeben, ohne im Regen zu stehen.
Der Dunst von Bier und Tabakqualm verlieh dem Ort eine ausgeprägt maskuline Atmosphäre. Die meisten tranken Bier, oft in imponierenden Mengen. Die Gesichter um dich herum waren feist, viele vom Alter, mehr noch vom Alkoholkonsum. Hier versammelten sich alte Stauer und redeten von damals, als der größte Teil der Arbeit im Hafen noch von Hand erledigt wurde. Hierher kamen die Markthändler nach Arbeitsschluß; mit großen roten Pranken, in den Furchen noch Streifen von Fischblut. Es kamen pensionierte Industriearbeiter in einfarbigen Arbeitshemden, die bis zum Halsbündchen zugeknöpft waren, husteten häßlich und rauh über den Schaum auf den Biergläsern, hauten auf den Tisch und verlangten nach mehr. Ein kleiner Kontorist mit dünnem Haar, weißem Hemd und blutarmem Schlips schlug behutsam die Nachmittagszeitung auf, duckte sich hinter dem halben Liter und schob die Heimkehr zur Madam um noch eine halbe Stunde hinaus. Junge, redselige Burschen vom Lande, die so früh am Nachmittag dem Abend schon so nah waren, daß man sie sonst nirgends mehr hereinließ, wurden an einen gastfreundlichen Tisch gelotst, verstreuten ihre letzten Scheine um sich und prosteten einander mit geröteten Gesichtern zu, bevor sie ein paar Stunden später auf allen Vieren, vom Türsteher und, wenn sie allzu übermütig wurden, vielleicht ein oder zwei Kellnern hinausbefördert, aus der Tür krochen. Einige wenige Frauen – die meisten weit über fünfzig – fanden freie Plätze und bekannte Gesichter an den meisten der Tische. Sie tranken Bier aus kleineren Gläsern und saßen in ihren Mänteln da, bis sie sie zu fortgeschrittener Stunde aufknöpften und die schweren Brüste hinter blauen Mohairpullovern prangen ließen, die vor zwanzig Jahren modern gewesen waren.
Durch die Fenster nach Norden sickerte durch nikotinvergilbte Gardinen das Nachmittagslicht herein, und zwischen den Fenstern hingen bräunliche Keramikreliefs auf grünem Grund. Ganz hinten im Raum, wo die Theke stand, schilderte ein großes Wandgemälde in verblaßtem Blau vor gelblichem Gipsgrund die Geschäftigkeit des Hafens, damit der größte Teil der Kundschaft sich zuhause fühlte. Kräftige Pranken hoben schwere Fässer gegen dunkle Schiffswände.
Die Decken auf den Tischen waren verschiedenfarbig, und wenn du von der Straße hereinkamst, konnte es aussehen, als seien sie nach einer Art Muster aufgelegt; aber wenn du eine Weile gesessen hattest, sahst du, daß sie je nach Laune des Schicksals gewechselt wurden, sobald zuviel Bier oder Asche darauf verschüttet worden war. Die Kellner glitten in burgunderroten Jacken zwischen den Tischen hindurch, verteilten große Gläser an die Auserwählten und wechselten Tischdecken mit einer Effektivität, die einem Leichenwäscher imponiert hätte.
Das Essen, das sie servierten, war einfach und gleichförmig, ohne weitere Raffinessen als einem Petersilienbüschel oder einem zerknitterten Salatblatt, aber es war solides, gutes Essen, von dem man satt werden konnte, ohne sich zu ruinieren. Es kam vor, daß ich dort Mittag aß, doch meistens trank ich nur ein Glas Bier oder auch zwei. Ich kaufte meistens im Vorbeigehen beim Tabakhändler nebenan ein paar Tageszeitungen, suchte mir einen kleinen Tisch hinten an einer der Wände und saß dort für mich allein.
So vergingen die Nachmittage an drei-vier Tagen in der Woche, wie Ruderschläge auf stiller See. Die Minuten tropften auf die Wasserfläche, und ab und zu ruhtest du dich auf den Rudern aus, nur um die Zeit verstreichen zu sehen – wie die Schlagzeilen in der Zeitung vor dir: Nachrichten von gestern, die schon in Begriff waren, Geschichte zu werden.
Nach ein paar Monaten hatten mehrere der anderen Stammgäste angefangen, mich zu grüßen, und an einem Tag Ende April kam ich mit Hjalmar Nymark ins Gespräch.
An dem Nachmittag, an dem wir miteinander ins Gespräch kamen, war kaltes, durchdringendes Regenwetter mit vereinzelten kleinen, grauen Schneeflocken vermischt. Frühling war in diesem Jahr Ende März gewesen. Jetzt wanderten wir wieder rückwärts durch die Jahreszeiten, und das Wetter erinnerte eher an November als an April.
Ich hatte den Tag damit verbracht, Postkarten an Freunde und Bekannte zu schreiben. Es blieb bei einer, an einen Typ namens Veum, der irgendwo da oben zwischen Stølen und Skansen wohnte. Er würde sich sicher freuen, von mir zu hören. Danach hatte ich den automatischen Anrufbeantworter der Kinozentrale angerufen, um mir eine dreißig-Sekunden-Ansage zu einem der Filme des Tages anzuhören. Alles, was ich trotz wiederholter Versuche zu hören bekam, war das Besetztzeichen. Weitere Anrufe unterließ ich. Es war unklug, das Konto zu sehr zu belasten. Am Tag zuvor hatte eine Annonce in der Zeitung gestanden: NEUERÖFFNUNG! Harry Monsen AG, Detektivbüro, hat jetzt eine Zweigstelle in Bergen eröffnet. Internationales Kontaktnetz, neueste elektronische Hilfsmittel, Überwachungsdienst, Personenermittlungen, Nachforschungsaufträge aller Art. Erstklassige Mitarbeiter, hundertprozentige Diskretion. Ich hatte die Annonce genau studiert und fragte mich, was sie wohl mit ‚erstklassig‘ und ‚hundertprozentig‘ meinten. Vielleicht sollte ich anrufen und fragen – oder jedenfalls anrufen und ihnen viel Glück wünschen. Die Telefonnummer stand in der Annonce. Mobiltelefon hatten sie auch. Alles, was ich hatte, war ein schlummerndes Telefon und ein Morris Mini, den auszuwechseln ich mir nicht leisten konnte, der aber längst reif war für die ewigen Asphaltgründe. Kein Zweifel, ich ging härteren Zeiten entgegen.
Es war ein Tag, um sich an ein oder zwei Gläsern zu stärken, und glücklich draußen im Regenwetter, schlug ich den Mantelkragen hoch, zog den Regenhut tief in die Stirn und trabte das kurze Stück zum Lokal.
Das Lokal hatte noch eine Besonderheit. Wenn du hereinkamst, schien es immer, als sei volles Haus, aber sahst du dich ein wenig um, war immer irgendwo ein freier Platz. An diesem Nachmittag sah es allerdings aus, als hätte der Regen alles, was sich sonst auf der Straße herumtrieb, hereingescheucht, und ich konnte mich gerade noch an einen winzigen Tisch zwängen, auf dem weiße Aschenbecher mit Reklame für italienischen Wein gestapelt standen.
Ein Kellner kam und räumte die Aschenbecher weg, bevor er fragte, was ich haben wolle. Ich bestellte ein halbes Pils und ein Walsteak und sah mich im Raum um. Es dampfte aus nasser Kleidung, und roch nach selbstgedrehten Zigaretten und längst erloschenen Pfeifen. Breite Schultern beugten sich über weiße Teller, große Pranken griffen um halbvolle Gläser, die der Besitzer in einem Zug leerte, bevor er sich mit kräftigem Oberkörper umwandte und wie jemand, der sich verstohlen über die Schulter blickt, nach dem Kellner sah.
Hjalmar Nymark kam aus dem Regen herein, strich das nasse Haar zurück und schüttelte das Wasser vom Mantel. Er sah sich um. Es war kein Tisch mehr frei, aber gleich neben meinem stand ein leerer Stuhl. Er kam ruhig herüber. Als er vor mir stand, nickte er freundlich und sagte: „Ich sehe niemanden, den ich kenne. Ist hier Platz?“
„Wenn du nicht zuviel Ellenbogenfreiheit brauchst, schon.“ Ich rückte meinen Stuhl näher an den Pfeiler, an dem mein Tisch stand. Dann stand ich auf und wir gaben einander die Hand. „Veum. Varg[1] Veum.“
Er gab mir eine Hand, die nicht so groß und kräftig war, wie ich erwartet hatte. „Hjalmar Nymark.“
Er rückte den freien Stuhl an den Tisch heran und hängte den nassen Mantel über den Stuhlrücken, bevor er sich setzte. Als der Kellner kam, bestellte er ein halbes Pils und einen Teller Eintopf. Er fischte die zusammengerollte Zeitung aus der Manteltasche und saß dann mit ihr in der Hand da.
„Scheußliches Wetter“, sagte er.
Ich nickte und war einer Meinung.
„Aber sie sagen ja, daß die Sommer jetzt in den 80er Jahren kälter werden sollen.“
„Hört sich vielversprechend an“, sagte ich.
Er sah mich prüfend an, offen und ohne den Versuch, es zu verbergen. „Na, und was treibst du so, Veum? Oder warte mal – laß mich erstmal versuchen. Ich war früher mal ganz gut darin.“
„Worin?“
„Leute einzuordnen.“
„Such mir einen Platz ganz hinten auf dem untersten Bord, da gehöre ich hin.“
Unter den Extrapreisen?“ schmunzelte er.
„Ich weiß nicht, ob ich es als Preis bezeichnen würde“, antwortete ich, lächelte schief und fuhr mir durchs Haar. Das Grau darin war noch nicht mehr als ein Schimmer, aber wenn die Sommer der 80er Jahre vorbei waren, würde der Schnee sicher nie wieder daraus verschwinden.
Er maß mich vom blonden Haar über das frühlingsbleiche Janusgesicht, das am Hals offene, blaue Jeanshemd, die etwas verschlissene Jacke, den blauen Pullover mit V-Ausschnitt darunter bis zur braunen Cordhose. Er warf einen Blick auf den Mantel, der über dem Stuhlrücken hing. Seine Stimme war dunkel und wohlwollend, als er sagte: „Deiner Kleidung nach zu urteilen, würde ich dich irgendwo unter den niederen Angestellten der Universität einordnen. Universitätslektor oder sowas. Oder vielleicht irgendwas in einer Bibliothek.“
„Mit anderen Worten, ein leicht verstaubter Eindruck?“
„Nicht gerade verstaubt. Aber jedenfalls nicht sonderlich wohlhabend. Auch nicht modebewußt, aber das kommt wahrscheinlich daher, daß du es dir nicht leisten kannst. Trotzdem … Irgendetwas paßt nicht. Du hast auch was von einem selbständigen Unternehmer an dir. Erfolglos, natürlich.“
„Natürlich.“
Aber dein grüner Hut verwirrt mich etwas. Der gibt dir was von einem Freiluftmenschen, als wärst du Ingenieur oder so.“
Unser Essen kam und ich war froh, daß eine kleine Pause entstand. Ich konnte sie brauchen, um die Eindrücke zu verdauen.
Hjalmar Nymark zerbrach das Flatbrød zwischen den Fingern, als wären es Oblaten, nur stippte er die Stücke in den Eintopf und teilte nicht an andere als sich selbst aus. Zwischen den Bissen setzte er seinen Monolog fort. „Ich sehe dich vor mir in einem kleinen Büro, sagen wir bei einer kleinen Engrosfirma in der Eisenwarenbranche. Eine Sekretärin kannst du dir kaum leisten, und ich glaube auch nicht, daß du besonders viel zu tun hast. Aber …“
Ich entschied, daß ich genug gehört hatte und sagte abrupt: „Ich bin Detektiv, Privatdetektiv.“
Einen Augenblick blieb er mit offenem Mund über seinem Teller sitzen. Dann schluckte er herunter, was er im Mund hatte, griff nach der Zeitung, die zusammengerollt neben ihm lag, schlug damit leicht an die Tischkante und sagte: „Teufel nochmal!“
„Das kannst du wohl sagen. Er hat das Büro nebenan, aber nicht mal der bequemt sich, ab und zu reinzuschauen!“
Er machte eine ausladende Handbewegung. „Na gut, aber dann solltest ja wohl du an diesem Tisch der Experte sein! Laß hören, was bin ich für einer?“
Ich warf einen raschen Blick auf ihn: weißes Hemd mit breitem Schlips, leicht fleckig; brauner Anzug im Schnitt der frühen 60er Jahre, nikotinverfärbte Finger und abgekaute Nägel. „Rentner!“ sagte ich.
„Na gut. Aber davor?“
Ich zeigte mit der Gabel auf ihn. „Nach deiner Beobachtungsfähigkeit zu urteilen, warst du – Polizist.“
„Korrekt.“
„Na, dann sind wir ja wohl beide sowas wie Experten.“
„Ja, in gewisser Weise sind wir tatsächlich Kollegen.“
„Nur daß ich ziemlich heruntergekommen bin und du längst pensioniert.“
Eine zeitlang aßen wir stumm weiter. Dann sagte ich: „Wie lange bist du schon Rentner?“
„10 Jahre. Ich bin 1971 ausgeschieden.“
„Und wie vertreibst du dir die Zeit?“
In seinen Augen blitzte es und er sah mich mit einem unergründlichen Zug um den Mund an. „Schnüffle ein bißchen herum. Seh mir ein paar alte Fälle an. Ungeklärte!“
„Warst du in der Kriminalabteilung?“
„Mhm!“ Er nickte und wir aßen weiter.
Mehr erzählte er an diesem Tag nicht, aber danach kam es oft vor, daß wir zusammen Mittag aßen oder ein Glas Bier tranken.
Ich führte zu der Zeit ein regelmäßiges Leben. Fünf Tage in der Woche war ich im Büro. Ich machte ein paar Jobs für eine Versicherungsgesellschaft. Das brachte mir genug Geld ein, um den Kopfüber Wasser zu halten, jedenfalls solange Ebbe war. Drei-viermal in der Woche machte ich einen Abstecher ins Lokal und saß dann meistens lange und redete mit Hjalmar Nymark. An den anderen Abenden der Woche joggte ich: die ewig gleichen, langen Touren über Schotter und Asphalt, bei Sonne, Regen und Schneematsch. Die Biere, die ich in der Kneipe trank, zogen meistens noch ein paar Schnäpse aus der Aquavitflasche, die ich zuhause stehen hatte, nach sich, aber die harten Lauftouren schafften den Ausgleich: wenn ich schon verkam, dann jedenfalls langsam. An jedem zweiten Wochenende hatte ich Besuch von Thomas, der zehn Jahre alt geworden war, mich mit gebildeten, ernsten Augen ansah und mir von Fußballspielen erzählte, die ich nicht gesehen hatte und von Büchern, die ich nicht gelesen hatte. Die Ehe mit Beate wurde allmählich zu einer ähnlich entfernten Erinnerung wie die Orte, an denen ich die Sommer meiner Kindheit verbracht hatte. Das größte Ereignis in diesem halben Jahr, bevor ich Hjalmar Nymark traf, war, daß der Zahnarzt, der seine Praxis neben mir hatte, eine neue Assistentin bekam. Nach ein paar Wochen lächelte sie mich an, wenn wir einander auf dem Gang begegneten.
Der Sommer fand Anfang Mai statt. Die plötzliche Wärme legte die Stadt lahm und die Leute liefen mit glühend-roten Gesichtern herum und sehnten sich nach der Kälte zurück. Ihr Wunsch wurde erfüllt. Um den 17. Mai herum war der Sommer vorbei und das graue Wetter wieder da. Nach ein paar Tagen war es, als hätte die Sonne nie geschienen, und als würde sie es auch nie wieder tun.
An einem dieser Tage, an denen der Himmel wie eine graue, nasse Wolldecke über der Stadt lag, rief ein Mann an, der seinen Namen nicht nennen wollte.
„Nehmen Sie jede Art von Auftrag an, Veum?“ fragte er.
„Nicht jeden“, antwortete ich.
„Was für Aufträge nehmen Sie denn nicht an?“
Ich fühlte mich müde und sagte: „Erzählen Sie mir lieber, was ich für Sie tun soll.“
„Ich glaube – ich habe das Gefühl … Meine Frau betrügt mich.“
Ich antwortete nicht. Auf der anderen Seite von Vågen[2] lag das alte Segelschiff Statsråd Lemkuhl und wimmelte von Touristen. Es erinnerte mich an einen ausgestopften Schwan, voller Ungeziefer.
„Ich brauchte … Ich wäre gern sicher“, fuhr die Stimme am Telefon fort.
„Wessen?“
„Daß sie mich betrügt. Meine Frau!“
„Genau solche Aufträge nehme ich nicht an.“
Es wurde einen Augenblick still. Und dann kam, heftig: „Warum haben Sie das denn verdammt nochmal nicht gleich gesagt?“ Er besann sich und fragte etwas ruhiger: „Ist das ein Prinzip – oder ist es ernst gemeint?“
Ich mußte lachen. „Sagen wir, es ist beides, dann liegen wir richtig.“
„Dann rufe ich eben das andere Büro an!“ schnauzte er.
„Tun Sie das. Die werden sicher nicht von sowas geplagt sein.“
„Von was?“
„Prinzipien.“
„Hoho!“ beendete er das Gespräch und knallte den Hörer auf.
Ich saß da und starrte meinen an. Erst als ich ihn wieder auflegte, wurde mir schlagartig klar, daß das eine Drohung war, die ich noch nie gehört hatte.
An diesem Tag schloß ich das Büro schon früh und ging direkt ins Lokal. Hjalmar Nymark saß schon da, und als ich zur Tür hereinkam, winkte er mich zu sich an den Tisch. Er saß allein.
die drei-vier Wochen, die wir einander gekannt hatten, waren schnell vergangen, aber es war, als wären wir schon seit vielen Jahren Freunde. Wir hatten einander viel zu erzählen. Ohne direkt vertraulich zu werden, war es uns leicht gefallen, miteinander zu reden.
Das Gespräch hatte sich oft um alte Kriminalfälle gedreht, geklärte und ungeklärte, aber das meiste, worüber zwei Männer mit einem Altersunterschied von dreißig Jahren reden können, hatten wir zumindest gestreift.
Manchmal wurde er besonders ernst. Einmal fragte er: „Wann bist du eigentlich geboren, Veum?“
„1942“, antwortete ich.
„Dann erinnerst du nicht viel vom Krieg?“
„Nicht viel.“
Danach sah er lange düster vor sich hin, ohne noch etwas zu sagen.
Ein anderes Mal sagte er: „Hör mal, Veum. Der Name Pfau, sagt der dir was?“
Ich schüttelte langsam den Kopf.
Er fuhr fort: „Pfau Farben AG. Die Fabrik lag im Fjøsanger vei. Es gab dort ein häßliches Explosionsunglück, 1953. Die ganze Fabrik brannte nieder und viele wurden getötet.“
„Ein Unglück?“
Er nickte bedächtig. „So hieß es. Ich war bei den Nachforschungen dabei. Ein schwieriger Fall.“
Etwas später am selben Abend sagte er plötzlich: „Einige Fälle beschäftigen dich ganz besonders. Sie brennen sich ein, und du schaffst es nicht, sie zu verdrängen. Sie lassen dich nie wieder los.“ Er schlug mit seiner Zeitung an die Tischkante. „Nie.“
Irgendwie verstand ich, daß diese Dinge zusammengehörten. Es war, als wolle er mir ein Puzzlespiel zeigen, von dem er selbst nicht einmal alle Teile besaß.
Meistens, wenn wir miteinander redeten, hatte er ein Funkeln in den Augen, einen humorvollen Tonfall, der mir sagte: „Natürlich sind es tragische Dinge, die wir hier besprechen, aber zum Teufel nochmal, Veum, das ist Geschichte – Geschichte!“ Wenn aber der Funke in seinen Augen erlosch und er ganz ernst wurde, begriff ich, daß es um etwas anderes ging. Um etwas, das noch nicht Geschichte geworden war, das heute noch lebte – jedenfalls für ihn. Es war, als versuche er, mir etwas zu erzählen, ohne den Sprung ganz zu wagen.
„‚Giftratte‘ – sagt dir das was, Veum?“
Ich schüttelte den Kopf. „‚Giftratte‘?“
„Sie nannten ihn so. Während des Krieges.“
„Hör mal … Hat das hier was mit Pfau zu tun?“
Da sah er mich mit dunklen, unergründlichen Augen an, ohne zu antworten. Nach einer Weile begann er, von etwas anderem zu sprechen.
An jenem Tag im Mai wirkte er rastlos. Er trank schneller als gewöhnlich und ich konnte mir nicht leisten, mitzuhalten. Er sprach nervös von Brand[3], und obwohl es in diesem Jahr in dem Zusammenhang allen Grund zur Nervosität gab, war doch etwas Auffälliges daran.
„Ohh, ich fühle mich alt, Veum!“ stieß er hervor.
„Naja, wir haben wohl alle mal Tage, an denen wir …“
„Ich schaffe nicht genug. Hab nicht mehr viele Tage vor mir.“
„Du hast noch reichlich Tage vor dir. Du bist gesund und stark und…“
„Aber die Jahre vergehen, Veum – und der Wolf jagt.“
„Der Wolf?“
„Die Zeit, Veum. Die Zeit schleicht durch die Straßen und fletscht die Zähne nach dir. Eines Tages schnappt sie zu, und eines Tages springt sie dir an die Kehle. Und dann bist du fertig. Von der Tagesordnung gestrichen.“
Ich sagte vorsichtig: „Aber vielleicht kann man auf neue Tagesordnungen gesetzt werden?“
Er legte die Zeitung weg und schlug beide Handflächen so schwer auf den Tisch, daß das Bierglas zwischen ihnen hüpfte. „Daran glaube ich einfach nicht!“ sagte er düster.
Ich sah mich um. Der Nieselregen draußen machte den Raum dunkel und herbstlich. Die Beleuchtung war nie besonders schmeichelhaft gewesen, und die Gesichter um uns herum klafften wie offene Wunden. Augen mit den Flecken verwundeter Einsamkeit, frustrierten Übermuts; Münder, die nach Gläsern geiferten, kauten sinnlose Worte hervor, während die Zeit verging, unerbittlich und gnadenlos. Plötzlich fiel mir auf, daß es ein treffendes, poetisches Bild war, das er mir da gezeichnet hatte. Und ich sah ihn vor mir: einen zottigen Wolf, mit scharfen Reißzähnen, ein einsamer Jäger, todbringend und unüberwindbar. Der Fenriswolf, ewig auf Jagd. Er gehörte hierher, in die Straßen, die uns draußen erwarteten. In den Wäldern und Hochebenen hatten sie den Wolf ausgerottet. Aber in der Stadt jagt er, durch die asphaltgedeckten Straßen der Städte jagt er, über glänzenden Pflasterstein und die gähnenden Rinnsteine entlang jagt er – der Wolf, die Zeit. Vielleicht war es ratsam, drinnen zu bleiben.
Ich sah Hjalmar Nymark an. Das markante Gesicht war verschlossen, unzugänglich. Die dunklen Augen weit, weit weg. Er saß aufrecht am Tisch, den Kopf leicht nach hinten geneigt und den Blick an etwas direkt über meinem Kopf geheftet – und unendlich weit weg. Die eine Hand krümmte sich um die zusammengerollte Zeitung, die andere lag am Fuß des Bierglases, wie eine gefällte Beute.
„Erzähl mir lieber“, sagte ich, „erzähl mir lieber von Pfau.“
Ganz plötzlich war er wieder da. „Warum?“ fragte er mißtrauisch. Ich zuckte mit den Schultern und machte eine unbestimmte Handbewegung. „Es hört sich – interessant an.“
Er sah mich verbissen an. Dann entspannte sich sein Gesicht, nicht in einem Lächeln, sondern als würde es sich plötzlich öffnen. Er sagte: „Entschuldige! Ich bin heute nicht richtig in Form.“ Er sah sich um. „Dieser Laden geht mir auf die Nerven. Laß uns zu mir nach Hause gehen. Ich hab da eine Flasche stehen, und dann erzähl ich dir …“
Wir tranken aus, standen auf und gingen. Draußen trieb der Regen wie Spinnengewebe vom Meer herein: lange, klebrige Fäden, die sich ins Haar, auf Haut und Kleider hefteten und dich traurig und schwer machten. Oben am Fjellhang bogen sich die Bäume, grün und schwanger und in den Gärten zum Fjellvei hinauf hatten die ersten, bleichen Fliederblüten sich wie schlummernde, blauweiße Fledermäuse festgekrallt. Aber der schwere, sättigende Duft der Blumen erreichte nicht uns, die wir da im Regen standen auf einem verwehten Stück Gehsteig, am Rand eines verlassenen Kais. Ich konnte nicht anders, ich mußte mich umsehen – nach dem Wolf. Sehen konnte ich ihn nirgends, aber strich ich mir mit der Hand über das Gesicht, konnte ich fühlen, wo seine Krallen mich getroffen hatten.
Das war das erste Mal, daß Hjalmar Nymark und ich das Lokal gleichzeitig verließen.
Hjalmar Nymark wohnte im dritten Stock eines alten Bergenser Stadthauses im unteren Teil der Skottegate. Die Wohnung bestand aus zwei kleinen Räumen, Küche und einem engen Klo mit Eingang vom Treppenhaus. Von der Küche führte eine schmale Tür zu einer Feuertreppe, und durch die grauweißen Gardinen konntest du über die Häuser unten in der Nøstegate hinweg auf den Puddefjord sehen, wo die Askøy-Fähre treu und unermüdlich durch das Regenwetter davonstampfte. Wir holten uns jeder draußen in der Küche ein Glas, bevor wir ins Wohnzimmer gingen, wo Hjalmar Nymark eine ungeöffnete Flasche Eau de Vie aus einem abgestoßenen, braunlackierten Büffet hervorholte. Hier wiesen die Fenster von der Sonne weg, hinauf zum Kloster.
Hjalmar Nymark schenkte die Gläser voll bis zum Rand, ohne Wasser zum Verdünnen anzubieten. „Skål!“ sagte er.
„Skål!“ sagte ich. Der Traubenschnaps zerrte im Hals und lief langsam durch den Körper hinab, bis er sich irgendwo unten im Magen wie eine braunrote Hitzeblüte entfaltete.
Hjalmar Nymark saß in einem tiefen, braunen Sessel mit hellen Armlehnen aus lackiertem Holz. Ich saß in einem graugrünen, rundherum gestopften Stuhl. An der einen Wand stand neben dem Büffet ein hölzerner Sprossenstuhl und zwischen uns ein kleiner Tisch mit einem abgenutzten Läufer in der Mitte. Auf dem Büffet standen ein paar Familienportraits, alt und vergilbt, und daneben lagen auf einem Haufen eine Handvoll zerlesener, eselsohriger Schundromane. Neben dem schwarzen Kachelofen ein Stapel Zeitungen und eine leere Brennholzkiste. Eine hellgrüne Tür führte in das hintere Zimmer. Neben der Tür stand ein Fernsehapparat und auf dem Boden ein schwarzes Kofferradio.
„Du siehst dich um?“ sagte Hjalmar Nymark.
„Alte Gewohnheit.“ sagte ich und lächelte schief. Er nickte.
„Das kenn ich. Solche Wohnungen erzählen oft mehr über ihre Bewohner, als denen lieb ist. Ein guter Kriminalbeamter nimmt immer eine Tatortbesichtigung vor, nicht nur, um eventuelle Indizien zu finden, sondern auch um sich ein Bild zu machen von – den Betreffenden.“
Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und sagte: „Wie du siehst, bin ich Junggeselle. Hier gibt es keine Blumen, keine Körbe mit Wollknäulen, keine Schalen mit Obst drin, keine Bilder der Enkelkinder an der Wand. Die dort drüben sind meine Eltern, längst verstorben. Das hier ist kein Zuhause, sondern ein Ort, an dem ich übernachte. Schutz suche vor Regen. Und einen trinke. Skål nochmal, Veum.“
Ich hob mein Glas und nahm einen ordentlichen Schluck.
Er zögerte etwas. „Warst du jemals verheiratet?“
Ich nickte still.
„Hast du Kinder?“
„Eins. Einen Jungen.“
„Vielleicht ist das die größte Entbehrung.“ Er hatte kein Licht gemacht und im Halbdunkel war sein Gesicht dunkler, fast südländisch im Kontrast zu dem grauweißen Haar. Wenn du es gerade von vorn sahst, wirkte es viereckig, wegen der markanten, soliden Kiefer und der breiten Stirnpartie. Die Haut spannte sich über seinen massiven Gesichtsstrukturen und er beugte sich mit schwarzen Augen zu mir vor.
Dann richtete er sich wieder auf und sagte mit nüchterner Stimme: „Ab und zu, wenn ich im Nordnespark spazierengehe und mich auf eine Bank setze, um mich ein wenig auszuruhen, kommt so ein kleiner Fratz zu mir herüber. Einer, der mit seiner Mutter spazierengeht. Er kommt auf kurzen Beinen angetappst und kann so eben laufen, lacht und streckt dem alten Mann, der da auf der Bank sitzt, die Arme entgegen. Ich hebe ihn hoch und setze ihn aufs Knie und er zieht mich an der Nase, lacht. Oder er will runter und hin zur Mutter, weil der alte Mann plötzlich zu nah ist. Und die Mütter lächeln, dieses stolze Lächeln, das alle Eltern kleiner Kinder haben, wenn die Kinder nicht schreien. Und sie gehen weiter. Dann begreife ich, was ich ver … wie alt ist dein Junge?“
„Zehn.“
„Du bist geschieden?“
Ich nickte wieder.
„Ab und zu habe ich lange überlegt, – was schlimmer ist. Einmal glücklich verheiratet gewesen zu sein, um dann geschieden zu werden, oder das ganze Leben allein gelebt zu haben, ohne jemals etwas wirklich mit jemandem zu teilen.“
„Das ist sicher unterschiedlich“, sagte ich. „Plötzlich wieder allein zu sein kann sowohl Schock als auch Befreiung sein. Nur, wenn das erste Erschrecken oder Freiheitsgefühl vorbei ist, dann bleibt trotzdem nichts als Einsamkeit. Aber ich glaube, ich habe irgendwie eine Form dafür gefunden, mittlerweile.“
„Aber es ist ein bitteres Leben, Veum. Wenn du siebzig geworden bist und nicht mehr so viele Jahre vor dir siehst, dann ist es bitter, das ganze Leben allein gelebt zu haben. Es ist … neunzehn Jahre her, daß ich zuletzt eine Frau hatte.“ Sein Blick ging in die Ferne. „In einem kalten Hotelzimmer; eine Frau Ende vierzig in steifen Kleidern und so einem knisternden Unterrock, der von selbst auf dem Boden steht. Ich war in Haugesund mit einem Auftrag, und ich traf sie im Speisesaal, über einem Glas Bier. Später kam sie auf einen Drink mit aufs Zimmer und wir…“ Er machte eine resignierte Handbewegung. Lakonisch fügte er hinzu: „Ich hätte auch andere haben können. Ich hätte mir eine Frau kaufen können, wie andere es tun. Aber …“ Der Mund spannte sich zu einem harten Lächeln. „So sollte es nicht sein. Es sollte etwas sein, was man tat, weil man Wärme empfand für einen Menschen, um etwas mit ihm zu teilen. Sonst war es ohne Wert. Und jetzt – jetzt ist es zu spät. 1962 – das ist neunzehn Jahre her, Veum. Kleine Jungs sind seitdem aufgewachsen und hatten ihre ersten Frauen.“
Ich dachte zurück. 1962, da war ich zwanzig und hatte längst meine ersten Liebeserlebnisse gehabt. Eine Karriere war gerade zuende, eine andere hatte eben erst begonnen. So zieht das Leben seine Fäden durch uns und näht seine Muster, unsichtbar, aber unerbittlich.
„Wie lange ist es her, daß du …“ Er beendete die Frage nicht.
Ich nippte am Glas und lächelte schräg über die rotbraune Flüssigkeit. „Vor einem halben Jahr ungefähr, in Stavanger.“
Er sah hinunter in sein eigenes Glas, schielte dann plötzlich zu mir hoch, und es war wieder etwas von dem alten, humorvollen Funkeln in seinen Augen. „Dann hatten wir beide unsere letzten Liebeserlebnisse in Rogaland.“ Kurz darauf kam nachdenklich: „Ja, Bergen ist eine kalte Stadt.“
„Nicht kälter als andere Städte“, sagte ich. „Aber du fühlst dich oft in deiner Heimatstadt besonders einsam, weil es gerade da nicht so sein soll. In anderen Städten ist es – in gewisser Weise – natürlich, daß du allein bist. Und gleichzeitig bietet es dir neue Jagdreviere, eine plötzliche Freiheit, die du da, wo du herkommst, nicht hast.“
Hjalmar Nymark stand auf, ging zur Wand und schaltete eine Wandleuchte an. Sie füllte den Raum mit einem gelblichen, matten Schein. Draußen floß die Dämmerung in Strömen gegen die Fensterscheiben. Hier drinnen saßen zwei Männer, einer siebzig, der andere vierzig Jahre alt, mit zwei Gläsern und einer Flasche auf dem Tisch zwischen sich und sprachen von Einsamkeit.
Wir tranken eine Weile stumm. Ich sagte: „Du wolltest mir von Pfau erzählen, oder nicht?“
Er sah mich an, mit einer anderen Ferne im Blick. „Erinnerst du dich nicht einmal an ihre Inserate? Ein Pfau mit ausgebreiteten Schwanzfedern. Auf den Plakaten in allen möglichen Farben. Ein großes Exemplar war an die Nordwand gemalt, die dir entgegenleuchtete, wenn du den Fjøsangervei entlangfuhrst.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich muß zu klein gewesen sein. Das einzige, was ich erinnere, ist dieser kerngesunde Typ mit dem gestreiften Pullover und einem Zahnpastalächeln, als ob er uns empfehlen wollte, unsere Zähne mit weißer Lackfarbe zu putzen.“
Er stand auf und ging in das Zimmer hinter der hellgrünen Tür. Als er zurückkam, hatte er einen länglichen, braunen, verschnürten Pappkarton bei sich. Er setzte ihn mit einem schweren Klatschen auf dem Boden ab. „Hier – ist alles Material, das ich über Pfau gesammelt habe“, sagte er, setzte sich wieder an den Tisch, schenkte sich einen neuen Schnaps ein und goß gleich auch in mein Glas.
„Es wirkt gewichtig“, sagte ich. „Was ist das für Material?“
Er klappte ein Taschenmesser auf und durchschnitt die Schnur um den Karton, griff hinein und zog eine Handvoll Papiere hervor. Die reichte er mir. „Ein großer Teil sind Zeitungsausschnitte. Außerdem habe ich Kopien aller Verhöre und technischen Untersuchungen, die nach dem Brand gemacht worden sind.“
Oben auf dem Stapel lag ein vergilbter Zeitungsausschnitt. Die Aufmachung zeigte, daß es ein Artikel aus den frühen 50er Jahren war. Die Layout-Abteilungen der Zeitungen waren noch nicht von Marketingstrategen beherrscht, und obwohl dies unzweifelhaft ein Titelseitenartikel war, enthielt er reichlich Information. Die Schlagzeile lautete: 15 Tote bei explosivem Brand. Dann stand in kleinerer Schrift: Pfau Farben im Fjøsangervei brannte gestern bis auf den Grund ab. Aus dem Text ging hervor, daß Leute aus der Nachbarschaft ungefähr um 14.25 Uhr eine kräftige Explosion gehört hatten. Gleich darauf entdeckte man, daß das Fabrikgebäude in Flammen stand, und als die Feuerwehr um 14.35 Uhr ankam, brannte der gesamte Komplex. Am schlimmsten betroffen war die Produktionshalle, alle fünfzehn, die bei dem Unglück getötet wurden, arbeiteten dort. Am wenigsten beschädigt war der Verwaltungstrakt. Es wurden umfassende Rettungsarbeiten durchgeführt, um eventuelle Überlebende herauszuholen, und ein dramatisches Foto zeigte Feuerwehrleute, die, zwischen Girlanden schäumenden Wassers hindurch, Verletzten aus dem brennenden Gebäude heraushalfen.
Ein Hinweis auf einen Artikel auf Seite 8 führte mich weiter zum nächsten Ausschnitt. Vor der schwarzversengten Brandstelle waren zwei Frauen abgebildet, eine junge, dunkelhaarige mit hochgestecktem Haar, eine ältere mit Hornbrille, einem Mund wie ein Eulenschnabel und einer Frisur wie ein Tausendschönchen. Der Bildtext lautete: Bürodame Elise Blom und Sekretärin Alvhilde Pedersen, die das Unglück beide unverletzt überstanden, vor dem abgebrannten Gebäude im Fjøsangervei. Das Foto begleiteten Interviews, unter anderem mit den beiden Frauen auf dem Bild, in denen sich alle darin einig waren, daß die Explosion vollkommen unerwartet und, so Fräulein Pedersen, ‚wie ein Schock‘ kam. Der Fabrikbesitzer, Direktor Hagbart Hellebust, war in Oslo, als sich die Explosion ereignete, und über Telefon hatte er nichts weiter zum Ausdruck bringen können als seine tiefe Erschütterung über das Unglück und sein allergrößtes Mitgefühl für die Toten und ihre Familien. Aus dem Artikel ging auch hervor, daß viele der Angestellten in der Zeit, bevor die Feuerwehr ankam, die reinsten Heldentaten vollbracht hatten, und daß die Zahl der Toten ohne ihren Einsatz wahrscheinlich noch größer gewesen wäre. Der Feuerwehrchef erklärte, daß es zum derzeitigen Zeitpunkt unmöglich sei, etwas über die Ursache der Explosion zu sagen.
Ich blätterte weiter durch den Stapel. Mehrere Ausschnitte aus anderen Zeitungen berichteten ohne große Abweichungen von dem Geschehen. Die Kopien von den technischen Untersuchungen waren so umfassend und mit Fachausdrücken gespickt, daß es unmöglich war, bei kurzem Hinsehen einen genauen Eindruck des Inhalts zu bekommen.
Ich sah zu Hjalmar Nymark auf, der mich mit der Miene eines Menschen betrachtete, der eine einmalige Sammlung alter Fotografien vorführt. Ich fragte: „Wurde die Ursache des Brandes gefunden?“
Er nickte. „Es war ein Riß in einem der Produktionstanks. Das herausströmende Gas war höchst explosiv und es genügte schon ein Funke von der elektrischen Anlage, um eine Explosion auszulösen. Das war, fand man heraus, was geschehen war.“
„Na gut. Aber?“
Er sah mich an, als überlegte er, ob er sich mir anvertrauen könne.
Ich fuhr fort: „Ja, denn ich gehe davon aus, daß da ein ‚aber‘ ist, wo du schließlich all dies Material gesammelt hast?“
Er nickte. „Es ist schon merkwürdig, Veum. Ich habe 1945 bei der Kriminalabteilung angefangen, und die Verbrechen, bei denen ich mitermittelt habe, kann ich nicht zählen. Alles, vom alltäglichen Einbruch bis zu Mord, Vergewaltigung, Kindesmißhandlung.“ Sein Gesicht war jetzt bitter. „Was für Schicksale ich gesehen habe! Ein Polizistenleben – das ist ein Leben auf der Schattenseite. Wenn man mindestens die Hälfte des Tages – Überstunden mitgerechnet – damit verbringt, im Elend der Leute herumzuwühlen, dann wird man nach und nach ziemlich abgestumpft. Frauen, die dreißig Jahre lang wirklich jeden Tag windelweich geprügelt wurden, drei-vier Monate alte Babys, die durch die Gegend geschmissen werden, widerliche Frauenzimmer, die jahrelang ihre sanftmütigen Ehemänner betrogen haben, bis der Sanftmut eines Tages plötzlich aufgebraucht ist und sie sich mit einem Messer in der Herzgegend auf dem Boden wiederfinden. Oder versoffene Penner, die aus einem Brauereiwagen eine Halbliterflasche Bier stehlen und achtzig Kilo schwere Huren, die einen gutgläubigen Strohwitwer um den Wochenlohn erleichtert haben. Das ganze Register, Veum. Vergewaltigte sechzehnjährige Mädchen, die sich durch die Nacht geheult haben und vielleicht nie mehr einen Mann mit Lust ansehen werden, ein vierzehnjähriger Autodieb, der ein Auto irgendwo in Fana an einen Telegrafenmast gesetzt hat und in dem Wrack festgeklemmt sitzt, mit einem Unterkörper, den er nie wieder wird bewegen können. All das. Aber von all den Fällen, mit denen ich gearbeitet habe, haben wenige so großen Eindruck auf mich gemacht, wie der Brand bei Pfau.“
„Aber warum?“
„Weil – weil ich weiß, daß ich der Sache nie auf den Grund gekommen bin. Und nichts irritiert einen Polizisten mehr als das, – zu fühlen, daß ein Fall ungelöst ist.“
„Aber …“
„Und weil“, unterbrach er mich, „weil das Muster des ganzen Spiels hier so deutlich war. Der arme Säufer mit der Halbliterflasche kriegte ein halbes Jahr in Jæren[4]. Hagbart Hellebust ging frei aus.“
„Der Fabrikbesitzer?“
„Genau.“
„Aber der war doch in Oslo, als sich die Explosion ereignete.“
„Richtig. Aber wenn jemand verantwortlich war, dann er!“
„Woher weißt du das?“
Er sah mich müde an. „Wenn ich das wüßte, dann hätte ich nicht diesen Pappkarton da im Haus und Hagbart Hellebust wäre nicht, wo er jetzt ist. Das war ja das Teuflische. Es gab keine Beweise.“
„Und wo ist Hagbart Hellebust jetzt?“
„Der Name sagt dir nichts?“
Ich mußte nachdenken. „Irgendwo – weit weg – klingelt es schon, aber ich kann ihn nicht einordnen.“
„Hagbart Helle denn, vielleicht – hört sich das bekannter an?“
Ich nickte. „Natürlich.“
Hjalmar Nymark schenkte eine neue Runde ein und blieb mit der Flasche in der Hand sitzen. „Was weißt du von ihm?“
Ich zögerte etwas. „Nicht sehr viel. Daß er irgendwann Anfang der 50er Jahre ausgewandert ist, daß er sich in der Karibik oder irgendwo da unten etabliert hat und daß er eine ständig wachsende Schiffsflotte besitzt, die unter Billigflagge segelt. Einer der Reeder, die es nicht einmal für nötig hielten, auch nur einen Schimmer von Nationalgefühl zu bewahren, sondern Steuern Steuern und Wohlfahrtsstaat Wohlfahrtsstaat sein lassen. Aber ich habe ihn nicht vor Augen. Als Person, meine ich. Er ist irgendwie etwas – verschwommen.“
„Verschwommen ist genau das richtige Wort.“ Hjalmar Nymark schwenkte aufgeregt die Flasche. Es schwappte darin und ich befürchtete, er würde sie an die Tischkante schlagen, wie er es sonst gewöhnlich mit der Zeitung tat.
„Es ist seit 1954 kein Foto mehr von ihm gemacht worden, und wenn er in Norwegen ist, scheut er alles, was Öffentlichkeit heißt, wie die Pest.“
„Tja, eben ein Mann, der ein friedliches Privatleben zu schätzen weiß. Ist er verheiratet?“
„Allerdings. Er ist dreiundsiebzig und mit einem Mädchen verheiratet, das noch nicht einmal vierzig ist. Eine Engländerin, soviel ich weiß. Er traf sie auf Barbados. Da wohnt er nämlich.“
Ich hob mein Glas.
„Ach ja, der sonnige Süden.“
„Zum Teufel damit.“ Er beugte sich über die Tischkante vor. „Ich kann Sonne nicht vertragen. Wenn es irgendwie zu vermeiden war, hab ich das Vestland nie verlassen.“ Er sah aus dem Fenster. „Ein langer und regnerischer Vestlandsommer, das ist das Glück.“
„Mußt du ein glücklicher Mensch sein, Nymark. Längst nicht alle bekommen ihre Wünsche so treu erfüllt.“
Ich fühlte es hinter den Schläfen prickeln. Langsam wurde ich betrunken.
„Tja, Hagbart Helle, der hat sein Glück mit dem Pfau-Brand gemacht, Veum.“
Ich lehnte mich mit dem Glas in der Hand im Stuhl zurück.
„Laß hören. The Story of Hagbart from Norway!“
„Du kannst es gern so nennen, es ist nämlich eine von den guten alten Karrieregeschichten.“ Er ließ die r-s ein wenig rollen. Der Schnaps tat auch bei ihm seine Wirkung.
„Hagbart Hellebust wurde 1908 in Bergen geboren. Der Vater kam irgendwo oben von der Küste, aus Buland, glaube ich, und arbeitete als Färber. Der Sohn begann im gleichen Fach, wechselte aber die Linie, sozusagen. Er ging in die Farbenbranche. Wie so viele erfolgreiche Betriebe, war Pfau zu Anfang im Grunde ein Einmannbetrieb, und eins muß man Hagbart Helle wirklich lassen, er beherrschte die Kunst, klein anzufangen. Zweimal. Pfau wurde recht schnell ein bekanntes Warenzeichen und der Betrieb wuchs. Was in einer Holzbude draußen in der Sjøgate angefangen hatte, wurde zu einem großen Fabrikgebäude im Fjøsangervei, und der Hagbart selbst konnte seine Dachgeschoßwohnung in der Ladegårdsgate gegen eine Villa auf Hop eintauschen. Aber das lag in der Familie. Ein paar Jahre lang hatte er einen jüngeren Bruder dabei, Yngvar, aber der machte sich in der Trikotagenbranche selbständig und führte bald ein eigenes, blühendes Geschäft. Er wohnt übrigens immer noch in Bergen.“
„Läßt er sich fotografieren?“
„Ich glaube schon. Das einzige Mal, das Hagbart Helle nach Bergen kommt, einmal im Jahr, und er bleibt auch nur einen Tag hier, ist der 1. September, da hat der Bruder Geburtstag und die Familie versammelt sich.“
„Ansonsten bleibt er in der Sonne?“
„Du sagst es. Der Brand im Fjøsangervei hätte selbstverständlich eine Katastrophe für ihn sein können, aber er wendete alles zu seinem Vorteil und bekam die gesamte Versicherungssumme ausgezahlt. Der Betrag wurde nie öffentlich bekanntgegeben, aber ich garantiere dir, daß es sich, in 1953er Kronen gerechnet, um eine solide Summe gehandelt hat.“
„Heute würde es mit anderen Worten nicht einmal die Lichtrechnung decken?“
„Naja, … Hagbart Helle kaufte sich einen Anteil an einem Schiff, und zwar einen recht großen.“
„Hier im Lande?“
„Na klar doch. Hier im Lande und in voller Übereinstimmung mit allen Vorschriften. Er wechselte nur das Pferd. Hüpfte von Fabrikbesitzer auf Schiffsreeder im Laufe von ein oder zwei Tagen. Und dann plötzlich, ein Jahr später oder sowas, tauchte er wie aus dem Nichts in der Karibik auf. Da hatte er seinen Anteil an der Reederei hier zuhause verkauft – die übrigens ein paar Jahre später in Konkurs ging – und ließ sich auf Barbados nieder, mit einem kleinen schneeweißen Schiff in der Tasche. Bulkschiffe! Darin lag das leichtverdiente Geld, damals wie heute. Und zum ersten Mal sahen die Weltmeere das später so wohlbekannte Zeichen der Reederei am Schornstein: zwei weiße H-s auf blauem Grund. Das doppelte H ist ihm seitdem gefolgt. Er verstand es, im rechten Augenblick aufzutauchen, eineinhalb Jahre vor der Suez-Krise. Daraus schlug er Kapital. Wie bei vielen anderen Reedern läßt sich seine Umsatzkurve nach den Krisen im mittleren Osten zeichnen. Die Spitzenjahre sind 1956, 1968 und 1973.“
„Und wann hat er sich das ‚bust‘ abgeschnitten?“
„Vom Namen meinst du? Das war, als er sich im Ausland etablierte. Helle war für Ausländer wohl leichter auszusprechen als Hellebust.“
„Komisch, daß er nicht auch den Bart abgeschnitten hat, dann würde es noch leichter.“
Er wurde still. Wir saßen eine Weile stumm da. Nippten am Schnaps, hörten den Regen gegen die Scheiben schlagen. Irgendwo im Haus drehte jemand einen Fernseher leise. Unten auf der Straße fuhren in gleichmäßigen Abständen Autos vorbei, aber es war eine stille Straße und die Abstände waren groß.
Als Hjalmar Nymark die Stille brach, waren seine Augen wieder dunkel und verbittert. „Ich hab gesagt, daß kein Fall bisher so großen Eindruck auf mich gemacht hat, wie der Brand bei Pfau. Ich werde dir erzählen, warum. Ich habe zu meiner Zeit damals eine ganze Menge Leichen gesehen. Menschen, die in ihren Autos tagelang im Wasser gelegen hatten, verkohlte Leichen aus abgebrannten Häusern, alte Leute, die in ihren Betten vor sich hingegammelt hatten, solange, bis der Geruch endlich die Nachbarn erreichte. Aber der Anblick bei Pfau … Fünfzehn verkohlte Menschen, Veum. In Alpträumen erlebe ich heute noch wieder, was ich damals gesehen habe. Und ich war schließlich kein Grünschnabel. Ich war 42 Jahre alt und hatte so einiges mitgemacht, im Krieg zum Beispiel. Aber das …“
Er sah sich im Zimmer um, als überblicke er einen um vieles größeren Raum, mit düsterer Perspektive. „Die große Produktionshalle war völlig ausgebrannt. Diejenigen, die am nächsten an der vermutlichen Explosionsstelle gestanden hatten, waren in Stücke gerissen, und ihre verkohlten Reste klebten verstreut an Boden und Wänden und dem, was von der Dachkonstruktion noch übrig war. Von denen, die noch ganz waren, waren viele auf dem Weg von der Explosionsstelle weg zum Ausgang hin gewesen. Einer von ihnen war sogar aus der Halle selbst raus und bis ins Treppenhaus gekommen. Aber das Treppenhaus brannte auch und er kam nicht mehr raus. Von den achtzehn, die da drinnen arbeiteten, kamen nur drei wirklich raus. Einer von ihnen war für den Rest seines Lebens blind, alle hatten schwere Brandverletzungen.“
„Aber sie überlebten?“
„Sie überlebten, aber sie waren nicht darum zu beneiden. Zwei von ihnen sind jetzt tot, und die kläglichen Reste von dem, der noch übrig ist, findest du irgendwo unten im Hafen. Er gehört zur festen Klientel und er sieht ganz einfach gräßlich aus, Veum.“
„Wie heißt er?“
„Olai Osvold. Aber sie nennen ihn nur ‚Brandstelle‘.“
Ich lächelte schief. Sie verstanden es, den Leuten Namen zu verpassen.
„Habt ihr was herausgefunden, am Brandort?“
„Wie ich vorhin gesagt habe. Die Brandursache war eine Explosion eines der Produktionstanks. Es wurde etwas entdeckt, was ein Fehler in der Konstruktion hätte gewesen sein können, und das Gas, was dann entwichen wäre, war hochgradig explosiv. Das Resultat der ganzen Untersuchung wurde an die Versicherungsgesellschaft geschickt, und dort protestierten sie nicht. Und wie du sicherlich weißt, die Leute da zahlen schließlich kein Geld aus, wenn sie eine Chance sehen, das zu umgehen. Es ging dabei ja nicht nur um die Versicherungssumme für die Fabrik. Es waren auch eine Reihe von Lebensversicherungen im Spiel.“
Ich nickte. Das wußte ich. Es kam vor, daß sie mir Honorar zahlten, und das war nie leichtverdientes Geld.
Er fuhr fort. „Auch die Staatsanwaltschaft prüfte den Bericht. Ob eine Anklage in Frage käme, wegen Fahrlässigkeit, Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften oder ähnliches. Aber aufgrund des Materials, das wir gesammelt hatten, hielt man einen solchen Schritt für unmöglich. Derjenige, der dafür verantwortlich war, daß die Vorschriften befolgt wurden, daß die ganze Maschinerie überprüft und eventuelle Leckagen augenblicklich gemeldet wurden, war der Vorarbeiter. Das war ein Mensch mit Namen Holger Karlsen, und der ist bei dem Brand selbst draufgegangen.“
„Also …“