Warum bei uns viele Reiche
keine Steuern zahlen
C.H.Beck
Steueroasen, das waren bisher immer die anderen – alpine Täler und karibische Inseln. Doch sind wir im Steuerstreit mit Großkonzernen und Finanzkapital tatsächlich die Guten? Auf der Grundlage jahrelanger Recherchen zeigt dieses Buch erstmals, wie Deutschland im internationalen Steuerflucht- und Geldwäschegeschäft mitmischt. Im Kampf um Investoren und im Buhlen um das internationale Finanzkapital wird bei den Steuertricks der Konzerne weggeschaut, rollt man Schwarzgeld den roten Teppich aus und bleiben die Aufsichtsbehörden zu schwach, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Dabei erhärtet sich ein böser Verdacht: Wer reich, prominent und mächtig ist oder, besser noch, in einer Bank arbeitet, der steht auch hierzulande oft über dem Gesetz. Die Zeche zahlen wir alle, die unteren 99 Prozent.
Markus Meinzer ist Steuer- und Finanzanalyst beim internationalen Tax Justice Network (Netzwerk Steuergerechtigkeit). Er ist verantwortlich für den „Schattenfinanzindex“, den das Tax Justice Network herausgibt, und ein gefragter Experte zum Thema Steueroasen.
Für Stephanie
Vorwort
1. Steueroasen – eine Einführung
2. Steuerfluchtburg Deutschland
3. Geldwäsche made in Germany
4. Die Steuertricks der Konzerne
5. Staatliche Schwäche als Standortfaktor
6. Abgründe der deutschen Steuerjustiz
7. Interessenkonflikt und Co.
8. Auf ewig unter Palmen?
Danksagung
Anmerkungen
«Auf der achten und niedrigsten Ebene des Gebens kauft ein Mensch ungern einen Mantel für einen frierenden Mann, der ihn um Hilfe gebeten hat, schenkt ihn dem Mann im Beisein von Zeugen und erwartet Dank dafür.
Auf der siebten Ebene tut der Mensch dies, ohne zu warten, bis er um Hilfe gebeten wird.
Auf der sechsten Ebene tut ein Mensch dasselbe offenherzig, ohne darauf zu warten, dass er um Hilfe gebeten wird.
Auf der fünften Ebene gibt ein Mensch einem anderen offenherzig einen Mantel, den er gekauft hat, aber er tut dies, ohne dass andere es sehen.
Auf der vierten Ebene gibt ein Mensch einem anderen ohne Zeugen offenherzig seinen eigenen Mantel und nicht einen Mantel, den er gekauft hat.
Auf der dritten Ebene gibt ein Mensch offenherzig seinen eigenen Mantel einem anderen, der nicht weiß, von wem dieses Geschenk kommt. Doch der Gebende kennt den Menschen, der ihm Dank schuldet.
Auf der zweiten Ebene gibt ein Mensch seinen Mantel offenherzig einem anderen, weiß aber selbst nicht, wer ihn bekommen hat. Aber der Mann, der ihn bekommen hat, weiß, wem er Dank schuldet.
Und schließlich gibt ein Mensch auf der ersten und reinsten Ebene des Gebens offenherzig seinen eigenen Mantel weg, ohne zu wissen, wer ihn bekommen wird, und derjenige, der den Mantel erhält, weiß nicht, vom wem er ihn bekommen hat. Dann wird das Geben zu einem natürlichen Ausdruck der Güte in uns, und wir geben so schlicht, wie eine Blume ihren Duft verströmt.»
Die Geberfreude, so wie in der Überlieferung des Rabbi Maimonides beschrieben, ist Teil des jüdisch-christlichen Erbes, das unser Menschen- und Weltbild bis heute prägt. Steuerzahlungen stehen in der Lehre des Maimonides nahe an der höchsten Stufe des Gebens: Man weiß als Steuerzahler nicht, wem sie zu Gute kommen, Zeugen oder Dank für die Steuerzahlung gibt es ebenfalls kaum. So entscheidet allein die innere Haltung darüber, ob der Zwangscharakter von Steuern im Vordergrund steht, oder ob sie als eine unter vielen Möglichkeiten, Nächstenliebe auszudrücken, begriffen werden.[2]
Unsere Gesellschaft scheint in den letzten Jahrzehnten Steuern zunehmend als lästige Pflicht zu bewerten. Gerade am obersten Ende der Einkommenspyramide spüren viele offenbar nicht mehr die Verpflichtung, sich an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Darin drückt sich sicher auch ein Vertrauens- und Legitimationsverlust des politischen Systems aus. Doch rein egoistische Motive dürften im Vordergrund stehen. Manche Unternehmen umgehen Steuern mit aggressiven Tricks und leiten einen kleinen Teil der freiwerdenden Gelder in publikumswirksame Vorzeigeprojekte um. Dann verdrängt eine Scheinwelt sozialer Unternehmensverantwortung aus Hochglanzbroschüren den leisen und meist unsichtbaren Steuerbeitrag. Gemeinnützige Stiftungen schießen wie Pilze aus dem Boden und eröffnen den Stiftern viele Gelegenheiten, sich bei der Wohltat medienwirksam in Szene zu setzen. Der Siegeszug des Mantras «Tue Gutes und rede darüber» steht in diametralem Gegensatz zur Botschaft der Bibel: «Wenn du also einem armen Menschen etwas gibst, häng es nicht an die große Glocke!»[3]
Steuerflucht als Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung ist ein globales Phänomen. Einige weltweit agierende Unternehmen haben es dabei, unterstützt von hochspezialisierten Kanzleien, zu wahrer Meisterschaft gebracht. Aber auch bei superreichen oder wohlhabenden Privatpersonen erfreuen sich entsprechende Strategien bis heute großer Beliebtheit. Zuflucht und Unterstützung finden die Gebeunwilligen in den sogenannten Steueroasen, von denen wir genau zu wissen meinen, wo sie sich befinden: unter den Palmen der Südsee, aber auch in den Schweizer Alpentälern, in die Peer Steinbrück als deutscher Finanzminister die Kavallerie einreiten lassen wollte. Doch tatsächlich verhält sich Deutschland im Kampf um das angeblich scheue, stets zur Flucht bereite Kapital nicht selten selber wie eine Steueroase.
Wie viele andere Staaten geriet die Bundesrepublik seit Mitte der 1980er Jahre in den Sog der Steueroasen-Strategien und wurde dabei selbst zu einer solchen. Der Widerstand gegen ruinöse Steuerkriege wurde ambivalenter, eine angebliche Alternativlosigkeit begann den politischen Diskurs und die Steuerpolitik zu bestimmen. Deutschland legt inzwischen nur allzu gerne die Hände in den Schoß, wo schärfere Regeln einen Kapitalabfluss zur Folge haben könnten. Eine Frucht dieser erklärten Gestaltungsohnmacht im Angesicht der Steuersenkungszwänge ist wohl auch die zunehmende Politikverdrossenheit. Wen wundert es, dass die Wähler resigniert zu Hause bleiben, wenn Politiker fast aller Couleur die Lastenverschiebung hin zu Gering- und Durchschnittsverdienern als unvermeidlich bezeichnen?
Die deutsche Gesellschaft steht an einer wichtigen historischen Wegmarke: Wagen wir es, uns vom Katzengold der Steueroase Deutschland loszusagen, oder beteiligen wir uns weiterhin an einem Unterbietungswettlauf, aus dem niemand als Gewinner hervorgehen kann?[4] Akzeptieren wir es, dass unsere Gesellschaft sich weiter wirtschaftlich und sozial polarisiert, oder schaffen wir neue Spielräume für angemessene Umverteilungsmaßnahmen? Es mehren sich die Zeichen dafür, dass ein Wandel gelingen kann. Nicht zuletzt sind Vermögende und Unternehmer längst nicht alle geizig oder Steuervermeider.[5] milliardenschwere Geldauflagen Unzählige leisten beachtliche, auch steuerliche Beiträge und verzichten darauf, die Grenzen der rechtlichen Grauzone zu vermessen. Diese seien um Verzeihung gebeten, wenn im Buch bisweilen der Eindruck entstehen könnte, als wären Unternehmer und Vermögende allesamt Halunken – diese Auffassung teile ich keineswegs. Um Nachsicht bitte ich auch die weiblichen Leser dieses Buches. Immer wenn allgemein von Steuerzahlern, Bankern, Politikern usw. die Rede ist, sind sie selbstverständlich mit gemeint.
Schon immer prägten die Wohlhabendsten und ihr Verhalten als Teil der gesellschaftlichen Elite den Rest der Gesellschaft – ob bewusst oder unbewusst. Wenn dieses Buch jemandem dabei helfen sollte, seine Rolle als Vorbild – im Kleinen oder Großen – bewusst und neu auszufüllen, dann wäre ich umso dankbarer für das Privileg, es geschrieben haben zu dürfen.
Straßburg, den 25. März 2015
Der Sitzkomfort auf der Flugreise ließ einiges zu wünschen übrig. Für die Überquerung des Atlantiks hatte sich die US-Amerikanerin 250.000 US-Dollar in Notenbündeln in Strumpfhosen um ihren Körper gewickelt. Ihr Ziel war die Schweiz, genauer: die Credit Suisse. Ein anderer US-Kunde derselben Bank berichtete, wie er bei seinen alljährlichen Bankterminen in der Empfangshalle von einem Angestellten begrüßt wurde. Nachdem sie in den Fahrstuhl der Marke Bankenbau gestiegen waren, fuhr dieser von alleine los. Knöpfe gab es in der Kabine keine, er wurde ferngesteuert. Anschließend führte der Angestellte den Kunden in einen unscheinbaren, weiß gestrichenen Raum, wo sein persönlicher Kundenberater wartete. Die Prozedur war immer die gleiche. Der Kunde sah seine Kontoauszüge durch und besprach deren Inhalt mit dem Banker. Neue Finanzprodukte wurden erörtert und der Bargeldbedarf besprochen. Zu guter Letzt unterzeichnete der Kunde die schriftliche Order, die eben gesichteten Kontoauszüge zu vernichten. Nur im Jahr 2008 wich der Berater vom üblichen Prozedere ab und richtete einen eindringlichen Appell an den Kunden: Er solle es fortan tunlichst vermeiden, die Credit Suisse aus den USA zu kontaktieren. Ein Fax dürfe auf keinen Fall aus dem US-Telefonnetz an die Bank gesendet werden.
Schweizer Banken hatten keine Kosten und Mühen gescheut, um US-Kunden an Land zu ziehen und ihre illegalen Geschäfte zu verschleiern. Kundenberater reisten als Touristen getarnt in die USA ein und mischten sich unter die reichen Gäste bei Profi-Tennisspielen, Polo-Turnieren oder Promi-Veranstaltungen. Auf Schulungen in der Schweiz wurden die Banker für die heikle Mission vorbereitet, lernten wie sie einer Entdeckung entgehen können, indem sie ihre Laptops verschlüsseln, Codewörter verwenden und ihre Hotels mehrfach wechseln. Flexibilität war eine wichtige Tugend. Auf besonderen Kundenwunsch hin schmuggelte ein Banker sogar Diamanten in einer Zahnpastatube über den großen Teich. Diese und weitere Details kamen 2009 und 2014 ans Licht, als die USA ihre Ermittlungen gegen UBS und Credit Suisse gegen milliardenschwere Geldauflagen einstellten.[6]
Steuerflucht ist spätestens seit 2013 in aller Munde und scheint für ständig neue Schlagzeilen zu sorgen. Nachdem 2014 vom Prozess gegen Uli Hoeneß und von Luxemburg-Leaks geprägt war, startete auch das Jahr 2015 mit neuen Enthüllungen, dieses Mal um das Vermögensverwaltungsgeschäft der britischen Megabank HSBC. Die Empörung wich zusehends der Betroffenheit, als die deutsche Gesellschaft im Spiegel ihrer Talkshows erkannte, dass keine gesellschaftliche oder politische Gruppe ohne Makel davonzukommen schien. Wer schließlich hätte gedacht, dass außer der Nationalität noch anderes Alice Schwarzer mit Uli Hoeneß verbindet?
Also versprachen Politiker Abhilfe und handelten. Zuletzt ließ Wolfgang Schäuble im Oktober 2014 verlauten: «Das Bankgeheimnis in seiner alten Form hat ausgedient.»[7] Anlass dafür war die Unterzeichnung des Abkommens zum automatischen Informationsaustausch, bei dem sich Steuerbehörden grenzüberschreitend Bankkontendaten zusenden. Vertreter von 50 Staaten wurden dafür in Berlin erwartet. Die Welt sollte sehen: Dieses Problem nehmen wir ernst, und wir sind auf dem besten Weg es zu lösen. Was Schäuble nicht erwähnte: Die USA verweigern bisher die Teilnahme an dem Datenabgleich und die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network hat über 30 Schlupflöcher des neuen Abkommens aufgedeckt. Banken auf den Bahamas und in der Schweiz brüsten sich damit, dass es ihnen mit diesem Abkommen gelungen sei, die Welt einmal mehr an der Nase herumzuführen und passen ihre Strategie zur Schwarzgeldverwaltung entsprechend an.[8] Zur Erinnerung: Die G20-Staaten erklärten beim Londoner Gipfel im Jahr 2009 schon einmal, dass die «Ära des Bankgeheimnisses» vorüber sei. Ein Déjà-vu?
Alle Welt spricht heute davon, dass die Zeiten sich geändert hätten. Steuerhinterziehung wird nicht mehr als Kavaliersdelikt behandelt, und wer bei Sinnen ist, hat, so möchte man meinen, längst mit seinen Schwarzgeldkonten Schluss gemacht. Die Mehreinnahmen und die Welle von Selbstanzeigen im Gefolge der Steuer-CDs werden jedenfalls ins Feld geführt, um zu zeigen, dass sich Steuerhinterziehung nicht mehr lohnt. Begibt man sich auf Faktensuche, dann wird allerdings schnell deutlich, wie dünn die gesicherte Datengrundlage über Ausmaß und Wirkung der CD-Ankäufe und Selbstanzeigen ist. Es gibt noch nicht einmal eine Aufschlüsselung der Selbstanzeigen in jene mit direktem Bezug zu den Daten-CDs und anderen. Eine offizielle Auskunft des Bundesfinanzministeriums spricht für das Jahr 2013 von 18.032 aufgrund erfolgreicher Selbstanzeigen eingestellter Strafverfahren – andere Daten über die Selbstanzeigen lägen dort nicht vor. Die Deutsche Presseagentur dagegen meldet für dasselbe Jahr ca. 24.000 Selbstanzeigen.[9]
Über die Mehreinnahmen herrscht noch größere Verwirrung. Nirgends werden statistische Datenreihen und deren Berechnungsmethode offengelegt. So ist unklar, inwiefern die direkten Nachzahlungen aus Fällen von Daten-CDs mit den Nachzahlungen aller Selbstanzeigen pauschal in einen Topf geworfen werden, oder ob Selbstanzeigen mit Auslandsbezug von denen ohne unterschieden werden können.[10] Während die Welt am Sonntag nach einer Umfrage bei Landesfinanzministerien auf «steuerliche Mehreinnahmen» von 4,3 Mrd. Euro zwischen dem Frühjahr 2010 und dem 30. April 2014 kommt, spricht der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, im Februar 2014 von knapp 3 Mrd. Euro Steuermehreinnahmen «seit 2010», einmal mit der Einschränkung, dass es sich um Selbstanzeigen mit Auslandsbezug handele, ein anderes Mal ohne. Achim Doerfer, Autor von «Die Steuervermeider» schätzt dagegen, dass die «Summe der erlangten Nachzahlungen […] möglicherweise bei um die 10 Milliarden Euro» läge.[11]
Wirft man einen Blick in die vorhandenen statistischen Bruchstücke, dann lassen sich kaum Anhaltspunkte für ein Ende der Steuerhinterziehung finden. So wurde nicht erfasst, in welcher Höhe Auslandsvermögen aufgrund der diversen Selbstanzeigen und Daten-CDs in die Steuerehrlichkeit zurückgekehrt sind. Eine extrem konservative Studie aus dem Jahr 2010 spricht allein in der Schweiz von Schwarzgeldanlagen aus Deutschland in Höhe von 131 Mrd. Euro, andere gehen von dem Doppelten aus.[12] Nimmt man die Geldverstecke in anderen Steueroasen dazu, dann wird das volle Ausmaß der Ignoranz offensichtlich: Es ist völlig unklar, ob die inzwischen deklarierten Auslandsvermögen überhaupt einen nennenswerten Anteil der ausländischen Schwarzgelder ausmachen. Mehr noch, für die Frage scheint sich kaum jemand zu interessieren.
Auch der viel beschworene Sinneswandel darf ob der Zahlen bezweifelt werden. Reue jedenfalls scheint oft nicht der ausschlaggebende Grund für die Selbstanzeigen gewesen zu sein. Sie stiegen jeweils unmittelbar nach Bekanntgabe des Erwerbs von Daten-CDs an, etwa als 2007 die Liechtensteiner LGT-Daten vom BND angekauft wurden oder als im Februar 2008 das Haus von Klaus Zumwinkel, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, durchsucht wurde. Als bekannt wurde, dass 2010 weitere Steuer-CDs angekauft wurden, schoss die Anzahl der Selbstanzeigen erneut in die Höhe. In den Folgejahren 2011 und 2012 aber brachen sie ein bzw. stagnierten (je nach Datenquelle). Erst im Jahr 2013 stiegen sie wieder deutlich an und erreichten 2014 ihren absoluten Höhepunkt.*
Der Rückgang bei den Selbstanzeigen 2010/11 ist das Ergebnis der Verhandlungen über das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz. Hinterzieher wie etwa Hoeneß warteten in aller Seelenruhe ab, ob ihnen die Taube auf dem Dach schön angerichtet mit Silberbesteck serviert würde, bevor sie sich mit dem Spatz in der Hand begnügten. Als im September 2012 das Steuerabkommen in einem wahren Politkrimi im Bundesrat abgelehnt wurde[13] und in den Monaten darauf deutlich wurde, dass es keine Neuverhandlungen geben würde, schnellten die Selbstanzeigen 2013 wieder in die Höhe. Im Jahr 2014 war der maßgebliche Grund für die neuerliche Explosion der Selbstanzeigen die Torschlusspanik vor Jahreswechsel, denn die Große Koalition hatte mit Wirkung ab 1. Januar 2015 eine Verschärfung – sprich Verteuerung – des Ablasshandels beschlossen.
Besonders bei Fällen mit großen Vermögen scheint es in den einzigen Jahren mit Datengrundlage (2012 und 2013) kaum zu Selbstanzeigen gekommen zu sein. Denn ausgehend vom Strafzuschlag, den Selbstanzeiger bei einer hinterzogenen Summe von über 50.000 Euro seit 2011 bezahlen mussten, lässt sich auf die gesamte hinterzogene Steuerschuld dieser besonders schweren Fälle schließen. Teilt man den als Strafzuschlag ausgewiesenen Betrag durch die Anzahl der Fälle lässt sich die jeweils hinterzogene Summe hochrechnen, die zwischen 188.000 und 233.000 Euro pro Fall liegt. Damit wird deutlich, dass vor allem kleine und mittlere Fische ins Netz der Selbstanzeige gegangen sind.[14] Die Zahlen sprechen also für eine breite Amnestie kleiner Steuerhinterzieher durch die Hintertür der Selbstanzeige, während die großen Fische weiterhin munter von einer Steueroase zur nächsten schwimmen.
Das Problem ist älter, hartnäckiger und tiefer verwurzelt, als die Politik uns weismachen möchte. Wie der BND 2007, so bemühten sich deutsche Fahnder schon vor der Machtergreifung Hitlers an Schweizer Kontendaten deutscher Steuerflüchtlinge zu kommen. Da die Schweiz als einziges Land Europas während der 1920er Jahre keine Kapitalkontrollen eingeführt hatte, florierte das Geschäft mit den Auslandsvermögen bald prächtig. Als dann der Börsencrash vom Schwarzen Freitag 1929 die Volkswirtschaften Europas in eine tiefe Krise stürzte, wurde das Klima für die Schweizer Banken rauer. Schon 1931 erließen deutsche Beamte eine Verordnung, um die Steuerflucht durch Liechtensteiner Stiftungen, die 1926 eingeführt wurden, einzudämmen.[15] In diesem Kontext wurden ab Oktober 1931 deutsche Fahnder bzw. Agenten mehrfach dabei erwischt, wie sie versuchten, über Schweizer Bankangestellte an Daten deutscher Auslandskonten zu kommen.[16]
Aber besonders die französischen Fahnder setzten den Schweizer Banken zu. Am 27. Oktober 1932 durchsuchten Ermittler die Pariser Geschäftsräume der Basler Handelsbank, damals eine der acht großen Schweizer Geldhäuser. Bald darauf wurden die Pariser Räumlichkeiten einer anderen Großbank, der Banque d’Escompte Suisse, sowie einer Genfer Privatbank durchsucht. So wurden Beweise für andauernde Steuerstraftaten vermögender Franzosen in enormem Ausmaß gefunden, darunter Senatoren, Generäle, Bischöfe, Ex-Minister sowie Großindustrielle wie die Familie Peugeot.
Die Schweizer Bankenwelt schäumte, und ihre Reaktion war gut vorbereitet. Sie pochte lange vor der Verfolgung jüdischer Vermögen auf eine Verschärfung des Bankgeheimnisses, die das Schweizer Parlament im November 1934 auch verabschiedete. So wurde die Weitergabe von Bankdaten selbst an Schweizer Behörden zum Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft ermitteln musste.[17] Ganz ähnlich wie damals reagieren die Schweizer Banken auch heute auf die Fortschritte bei der Finanztransparenz mit einer Verschärfung der Strafbestimmungen bei Bruch des Bankgeheimnisses. Die 1934 eingeführte Gefängnisstrafe wurde schon zum 1. Januar 2009 auf drei Jahre erhöht.[18] Eine 2010 gestartete Gesetzesinitiative zur weiteren Verschärfung der Strafen wurde im September 2014 im Schweizer Nationalrat mit 126 zu 57 Stimmen angenommen. Demnach drohen Hinweisgebern, die sich dafür finanziell entschädigen lassen, künftig fünf statt drei Jahre Gefängnis. Auch Dritte, die entwendete Schweizer Bankdaten nutzen, haben neuerdings drei oder fünf Jahre Gefängnis zu erwarten.[19] Wenn Daten ins Ausland angeboten werden, gilt ein Bruch des Bankgeheimnisses strafrechtlich als Wirtschaftsspionage. Damit fällt das Delikt in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft und genießt den gleichen Stellenwert bei der Strafverfolgung wie Terrorismus oder Geldwäsche.[20]
Auch auf der Ebene der Europäischen Union zeichnet sich eine Verschärfung der Geheimhaltungsbestimmungen ab. Seit Ende November 2013 berät die EU über einen Richtlinienvorschlag für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der es in sich hat. Zivilgesellschaftliche Gruppen warnen eindringlich davor, dass «beinahe alles» als Geschäftsgeheimnis behandelt werden könnte. Gerade Journalisten und Hinweisgeber hinter künftigen Steuerskandalen würden großen zusätzlichen Risiken und Strafen ausgesetzt.[21] Diese Maßnahmen dürften nicht dazu beitragen, Whistleblowern, die Straftaten großen Ausmaßes aufdecken wollen, das Leben leichter zu machen. Déjà-vu Nummer zwei?
Warum also reden wir im Jahr 2015 noch über die gleichen Probleme, die schon fast ein Jahrhundert lang für öffentliche Debatten sorgen? Man sollte meinen, dass die Politik Probleme in den Griff bekommt, wenn sie denn wirklich möchte. Doch schon bei der Frage, welche Länder Steueroasen seien, gehen die Meinungen weit auseinander.
Die Weltöffentlichkeit blickte Anfang April 2009 gespannt nach London. Noch kein Jahr war vergangen, seitdem die westlichen Regierungen überstürzt die globale Finanzkrise hatten eindämmen müssen. Nun tagten in London die G20-Nationen, ein loser Verbund aus der EU und den 19 einflussreichsten Staaten der Welt. Die Öffentlichkeit erwartete entschlossene Reformen an den Wurzeln der Krise. Die Passagen zu Steueroasen waren bis zuletzt in der Schwebe, und es war noch nicht einmal ausgemacht, ob eine «schwarze Liste» der OECD (ein Zusammenschluss der Regierungen der 34 reichsten Staaten der Welt) zustande kommen würde. Die Präsidenten Frankreichs und Chinas stritten verbissen darüber, auf welchen Teil der dreigeteilten schwarz-grau-weißen Liste Hong Kong und Macau gesetzt würden.
Unter der Vermittlung von US-Präsident Obama einigten sich die Streithähne auf einen Kompromiss. Die beiden Sonderverwaltungszonen Chinas wurden in eine Fußnote zu China gesteckt, das selbst auf der weißen Liste stand. Damit entgingen sie knapp der namentlichen Nennung auf der grauen Liste, auf der sich zahlreiche andere Länder oder Gebiete tummelten. Die schwarze Liste mit ursprünglich vier Staaten jedoch war innerhalb einer Woche leer – alle hatten schleunigst das erforderliche Lippenbekenntnis für mehr Steuerkooperation abgegeben. Dank der chinesischen Unterhändler nahmen die G20 die Liste obendrein nur «zur Kenntnis» statt sie zu bekräftigen – in der Welt internationaler Diplomatie ein wichtiges Detail.[22]
Dabei scheint es doch ganz einfach: Steueroasen sind die palmgesäumten Inseln und abgelegenen Alpentäler, in denen Agenten, Mafiosi und manche Wirtschaftsgröße ihre Gelder verstecken. James Bond und Co. bedienten sich der spektakulären Landschaft vor Ort und halfen dem Klischee, sich tief in die kollektive Wahrnehmung einzubrennen: Steueroasen, das sind die anderen.
Tatsächlich herrscht international kein Konsens darüber, welche Länder als Steueroasen zu bezeichnen sind. Das Wort ist inzwischen weitgehend aus der internationalen Diplomatie und Rechtsprechung verbannt worden. Niemand möchte heute mehr als Steueroase gelten. Selbst Beamte und Politiker aus Staaten wie Jersey, Singapur, Isle of Man, Bermuda oder Panama werden nicht müde abzustreiten, dass ihre Länder Steueroasen seien. Stattdessen sprechen beispielsweise OECD und G20 heute davon, inwieweit Länder den «internationalen Standard» zum Informationsaustausch anerkannt und umgesetzt haben. Der jüngste und letzte Versuch einer internationalen Organisation, die Frage zu klären, wie Steueroasen definiert und identifiziert werden können, ist in einem Bericht der OECD aus dem Jahr 1998 zu begutachten. Dort wurden grob vier Kriterien als für Steueroasen kennzeichnend ausgemacht: keine oder geringe Steuern, kein effektiver Informationsaustausch, wenig Transparenz im juristisch-administrativen Bereich sowie keine substantiellen wirtschaftlichen Aktivitäten vor Ort.[23]
Auf dieser Grundlage wurden im Jahr 2000 in einem weiteren Bericht der OECD 35 Länder als Steueroasen identifiziert.[24] Länder wie die Schweiz, Luxemburg, Singapur oder Hong Kong fehlten jedoch auf dieser Liste, obgleich es auch damals wenig Zweifel an deren blühendem Geschäftsmodell mit der Steuerflucht geben konnte. Aus Protest schlossen sich viele der gebrandmarkten Steueroasen zusammen und hielten der OECD medienwirksam deren Heuchelei vor. Die Schweiz, Luxemburg und Österreich waren unter den damaligen OECD-Mitgliedern und hatten aufgrund des Konsensprinzips bei den Abstimmungen ein Wörtchen mitzureden. Von einem Kartell der OECD-Staaten gegen Konkurrenten im Steueroasenmetier war die Rede.
Die Kehrtwende der Bush-Administration bremste die OECD-Initiative 2001 endgültig aus. Es gab keine Unterstützung aus Washington mehr für die harte Linie gegen den Unterbietungswettlauf. Libertäre Denkfabriken stießen bei Präsident Bush mit ihrer positiven Bewertung von Steuersenkungsspiralen auf offene Ohren. Fortan begannen die USA, ihre eigene Steueroasenpolitik auszubauen, und die Steueroasen außerhalb der OECD wurden mit an den Verhandlungstisch gebeten. Nun durften die kleinen Inselstaaten dabei mitreden, welche Länder in Zukunft als Steueroasen zu ächten wären. Im Ergebnis wurde ein schwacher internationaler Standard entwickelt, der es ausländischen Steuerbehörden zumindest in Einzelfällen erlauben sollte, Nachfragen trotz Bankgeheimnis zu stellen. Nur wer diesen Minimalstandard noch Anfang April 2009 ausdrücklich ablehnte, sollte auf die schwarze Liste gesetzt werden. Der Rest ist Geschichte.
Eine weitere Schwierigkeit gesellt sich hinzu: Was ist überhaupt unter einem «Land» oder «Staat» zu verstehen, die eine Steueroase sein können? Denn viele der karibischen Inseln sind keine vollständig souveränen Staaten oder Länder, sondern stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu politischen Großmächten. Oft Überbleibsel der Kolonialgeschichte fristen viele Inseln ein Dasein im Schatten ihrer alten Kolonialherren. Die britischen Überseegebiete, zu denen etwa die Kaiman Inseln oder die Britischen Jungferninseln zählen, haben zum Beispiel keine Befugnis, außenpolitische Entscheidungen alleine zu treffen. In anderen Bereichen können sie zwar formaljuristisch eigenständig Gesetze erlassen, praktisch aber nur so lange, wie London diese – zumindest stillschweigend – billigt.[25] Statt von Staaten oder Ländern zu sprechen, wäre es darum zutreffender den Begriff «Jurisdiktion» zu verwenden, der den Wirkungsraum einer Rechtsprechungskompetenz umschreibt.
Doch schon lange vor der oben skizzierten Episode aus dem Jahr 2009 gab es massenhaft Wissenschaftler und internationale Organisationen, die Steueroasen untersucht haben und damit verbundene Probleme angehen wollten. Angefangen mit der Liste des International Bureau of Fiscal Documentation des Jahres 1977[26] bis zu einem Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds 2007[27] gab es mindestens elf unterschiedliche Listen von Steueroasen, Offshore-Finanzzentren oder Geldwäsche-Zentren.
«Steueroasen» nach dem Grad der Übereinstimmung verschiedener Listen
Wie man anhand der Zusammenstellung sieht, weichen die Listen deutlich voneinander ab. Von insgesamt 91 Ländern werden lediglich sieben von allen elf Listen als Steueroasen eingestuft. An der Steueroasenqualität der Bahamas, Bermudas, der Kaiman Inseln, Guernseys, Jerseys, Maltas und Panamas gibt es keine Zweifel. Die übrigen Länder hingegen sind umstrittener.
Allen voran diplomatische Gremien wie etwa die OECD oder die Geldwäsche-Bekämpfungsorganisation FATF (Financial Action Task Force) vermeiden heute den Begriff der Steueroase. Das trifft auch zu für das eigens zur Überprüfung des steuerlichen OECD-Mindeststandards ins Leben gerufene Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes (im Folgenden kurz: Global Forum). Diese sprachliche Enthaltsamkeit hindert jedoch Medien und Zivilgesellschaft nicht daran, weniger diplomatisch zu sein und die Sache beim Namen zu nennen. Die OECD, die FATF und das Global Forum wissen um das Spiel mit der Zweideutigkeit. Indem sie Ergebnisse von Länderevaluationen etwa über die Umsetzung von Mindeststandards in Form von Tabellen oder Listen veröffentlichen, können Länder subtil an den Pranger gestellt werden – auch ganz ohne das Tabuwort Steueroase. Medien wissen dann trotzdem genau, worum es geht. Das Drohpotential wirkt insofern, als es sich heute kein Land mehr erlauben kann, dem Mindeststandard nicht wenigstens durch Lippenbekenntnisse Respekt zu zollen. Was wirklich vor Ort in der Steueroase geschieht, und wie erfolgreich diese Initiativen sind, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt.
Was verbindet den Chef der britischen Großbank HSBC, Stuart Gulliver, mit dem Siemens-Schmiergeldskandal, Kokainschmugglern, Robert Mugabe, Muammar Gaddafi oder Syriens Diktator Assad? Dieselbe global agierende Anwaltsfirma mit Hauptsitz in Panama hat ihnen allen geholfen, anonyme Briefkastenfirmen für ihre diskreten Geschäfte zu gründen. Stuart Gulliver wollte seinem Konto bei der Schweizer HSBC-Privatbank so noch einen zusätzlichen Mantel der Verschwiegenheit überwerfen.
Die Firmen werden von Offshore-Dienstleister Mossack Fonseca am Fließband gegründet. Egal ob in Panama, auf den Seychellen oder den Britischen Jungferninseln – Mossack Fonseca ist ein Offshore-Anbieter mit Ablegern in 33 Ländern. Als Zwischenhändler kaufen Banken, Vermögensverwalter und Anwälte solche Blanko-Firmen auf Halde. Beißt dann einer ihrer Kunden an und erwirbt eine Briefkastenfirma, übernimmt die Bank die restlichen Formalitäten. Zur Wahrung der Anonymität werden bei Gründung durch Mossack Fonseca meist gleich Scheindirektoren miternannt, die auf dem Papier mit Vollmachten ausgestattet sind, um alle Geschäfte zu tätigen. Diese stellen eine Blanko-Vollmacht für den eigentlichen Kunden aus, in die der Zwischenhändler später nur noch den wirtschaftlich Berechtigten – den eigentlichen Eigentümer der Firma – eintragen muss. Um die 1000 US-Dollar nimmt die Mossack Fonseca bei Einzelgründungen plus ein paar Hundert für die Scheindirektoren. Für jedes Jahr der Firmenexistenz fallen nochmal Gebühren an. Weil der Konkurrenzkampf zwischen den Offshore-Anbietern härter geworden ist, kann man solche Firmen anderswo auch schon ab 500 US-Dollar bekommen.
In der Masse fällt einiges ab. Allein der Deutsche Jürgen Mossack, der die Firma 1977 in Panama gegründet hat, fungierte bis heute als Direktor von über 1300 Firmen. Leticia Montoya, die fleißigste der gut ein Dutzend Scheindirektoren in Mossacks Kanzlei, kommt auf Posten in über 10.000 aktiven oder schon wieder aufgelösten Firmen.[28] Allein in Panama gibt es noch zahlreiche weitere solcher Anbieter. Insgesamt waren 2014 wohl um die 266.000 Aktiengesellschaften in Panama registriert, GmbHs und Privatstiftungen kommen hinzu. Die Gesamtzahl wurde im Jahr 2010 auf 400.000 geschätzt. Allein zwischen 2007 und 2009 kamen über 100.000 neue Registereinträge solcher Rechtspersonen in Panama hinzu. Auch Panamas Banken konnten trotz Finanzkrise zwischen 2007 und 2011 die verwalteten Vermögen um 80 % erhöhen, 8,5 Mrd. US-Dollar kamen allein in den zwölf Monaten von Oktober 2010 bis Oktober 2011 hinzu.[29] Panama boomt.
Alle Steueroasen leben von einer einheimischen Finanzindustrie, die grenzüberschreitendes Kapital verwaltet. Das Geld kleidet sich in tausend verschiedene Gewänder, kommt in Form von Bankeinlagen oder Versicherungspolicen, gehüllt in Rechtspersonen wie Briefkastenfirmen oder Stiftungen, sowie als Anlage bei Geldmarkt- und Hedge Fonds, den Ozeanriesen im Offshore-Meer. Je mehr ausländische Unternehmen, Sparer und Investoren die Steueroase nutzen, umso besser funktioniert ihr Geschäftsmodell. In der Regel verfolgen Steueroasen deshalb das Ziel, möglichst viel Geld und Rechtspersonen aus dem Ausland anzulocken.
Wenn ausländische Anleger zum Beispiel ihre Ersparnisse bei Banken in einer Steueroase einzahlen, dann verdient die Bank daran meist in Form von «großzügigen» Kontoführungsgebühren sowie durch die Zinsmarge zwischen Einlagen und Kreditgeschäft. Auch wenn sowohl der Sparer als auch der Kreditnehmer der Steueroasen-Bank normalerweise im Ausland leben, verdient die Bank an diesem Geschäft. Dadurch können Arbeitsplätze in der Steueroase entstehen. Und obwohl die Banken auf ihre Gewinne in der Steueroase keine oder kaum Steuern bezahlen müssen, zahlen zumindest die Bankangestellten entweder Einkommenssteuer, Umsatzsteuer oder andere Steuern, etwa auf den Immobilienbesitz oder Zölle auf importierte Lebensmittel und andere Waren. Somit verdient indirekt auch die Verwaltung – der «Staat» der Steueroase – an ausländischen Geldern mit. Im Prinzip trifft dieses Kalkül für alle Steueroasen zu, auch wenn es nicht immer um Bankeinlagen geht.
Die Steueroase muss also Anreize schaffen, damit ausländische Geschäftsleute und Sparer ihre Gelder in die Steueroase bringen. Dies erreicht sie, indem etwa auf Kapitalerträge wie Zinsen oder Dividenden keine Steuern erhoben werden, oder indem sogar grundsätzlich keine Ertragssteuern erhoben werden. Die britischen Überseegebiete Bahamas, Bermuda sowie die Kaiman und Britischen Jungferninseln sind klassische «Nullsteueroasen» – es gibt dort keine Einkommenssteuer. Deshalb sind auch Bankeinlagen steuerfrei. Andere klassische Steueroasen wie Panama, die Schweiz, Jersey oder Luxemburg haben zwar formal eine Einkommenssteuer, bieten aber Ausnahmen und Sonderregeln an, so dass im Ergebnis ebenfalls eine Nullsteuer stehen kann – etwa auf Zinsen aus Bankeinlagen oder auf alle im Ausland erzielten Erträge.
Neben Sparguthaben oder Geldverwaltung werfen auch andere Geschäftszweige ähnliche Gebühren und Erträge für die Steueroase ab. Die Gründung und Verwaltung von Briefkastenfirmen etwa ist nicht nur in Panama ein florierendes Geschäft. Es hat auf den Britischen Jungferninseln gigantische Ausmaße angenommen. Im März 2013 waren dort über 482.000 Firmen registriert[30] – bei einer Bevölkerung von gerade einmal 31.000 Menschen. Das Prinzip dahinter ist simpel und ähnelt der Masche bei den Bankguthaben: Zur Gründung des Unternehmens verlangt das (behördlich geführte) Unternehmensregister eine Gebühr. Auch in den Folgejahren wird eine Gebühr fällig. Hinzu kommen Kommissionen und Gebühren für die Anwaltskanzleien, Steuerberatungsbüros oder Unternehmensberatungen, die sich um die Erledigung des Papierkrams kümmern. Gegen weitere Gebühren können Extra-Services gebucht werden: etwa die Eröffnung eines Bankkontos, Anwälte als dienstbare Unternehmensvorstände und Strohmänner oder «gereifte» Unternehmen aus dem Regal, die auf dem Papier bereits seit vielen Jahren existieren und nur «aktiviert» werden müssen. Der Vorteil für die Briefkastenfirma: Sie zahlt keine oder sehr niedrige Ertragssteuern. Vor allem aber bleiben die wirklichen Wirtschaftsakteure verborgen. Die Verwaltung der Steueroase wiederum profitiert von den Gebühren, die an das Register gezahlt werden, sowie indirekt durch die Geschäfte und Gewinne, die Anwälte und Berater mit den ausländischen Kunden machen.
Natürlich machen diese Briefkastenfirmen keine Geschäfte in der Steueroase selbst. Oftmals dürfen sie das per Gesetz noch nicht einmal. Die Geschäftsaktivität wird nur auf dem Papier in der Steueroase verbucht. In den Jahresabschlüssen von Briefkastenfirmen findet man dann auf den ersten Blick ganz gewöhnliche Gewinne und Verluste. Die zugrundeliegenden Geschäfte aber finden anderswo statt – was und wo genau, das ist aus Sicht der Finanzindustrie und Finanzaufsicht der Steueroase zunächst einmal von nachrangigem Interesse. Hauptsache ist, dass der Rubel rollt.
Ähnliches gilt für die Bankeinlagen. Die Gelder stammen aus Geschäften, die mit der Steueroase nur auf dem Papier etwas zu tun haben: etwa Ersparnisse oder Erbschaften aus einem Industrie- oder Entwicklungsland, Gewinne aus Aktiengeschäften oder aus fingierten Beratungsverträgen, oder aus den schwarzen Kassen kleiner Unternehmen, die einen Teil des Umsatzes ohne eine Rechnung gemacht haben. Diese Gelder werden von den Steueroasen-Banken entgegengenommen, aber letztlich nicht in der Steueroase selbst angelegt, sondern nur dort verbucht. Stattdessen geben die Banken dann Kredite an Kunden in Industrienationen oder Schwellenländern aus oder investieren dort in Aktien, Anleihen oder komplexere Finanzprodukte. Wie man bei der Pleite Zyperns gut beobachten konnte: In der Steueroase selbst bleibt das Geld nicht. Die Gelder der Investoren aus dem osteuropäischen Raum und Russland hatten die zypriotischen Banken zu großen Teilen in griechischen Staatsanleihen investiert. Wenn Griechenland zahlungsunfähig wird, dann überträgt sich die Krise auf Zyperns Banken, und diese Banken reichen die Verluste an die Bankkunden der Steueroase in Russland und Osteuropa weiter.
Diese Episode verdeutlicht, warum es für Steueroasen nicht ausreicht, nur auf niedrige Steuern zu setzen. Die Reputation ist für kleine Steueroasen das A und O. Denn was nutzen dem ausländischen Investor niedrige Steuersätze, wenn er am Ende sein gesamtes Vermögen nie wiedersieht? Um Gelder anzulocken ist der Eindruck der Seriosität entscheidend und muss um jeden Preis gewahrt bleiben. Denn in der Steueroasenwelt spricht sich jeder Fehler sofort herum. Heerscharen hochbezahlter Anwälte, Bankiers und Wirtschaftsprüfer stehen bei der Konkurrenz in den Startlöchern, um sich das abwandernde Kundengeschäft einer in schlechtes Licht geratenen Steueroase einzuverleiben. Die Zypern-Pleite stellt in diesem Sinne den Super-GAU für einen Finanzplatz dar. Die Fassade der Seriosität und Zahlungskraft muss aufrechterhalten werden – koste es, was es wolle.
Zum Erreichen dieser Ziele arbeitet die Finanz- und Beratungsindustrie oft Hand in Hand mit der örtlichen Regierung und Verwaltung. Auch weil die Regierungen kleiner Steueroasen im Vergleich zu globalen Finanzkonzernen Winzlinge sind, können Banken und Co. dort faktisch maßgeschneiderte Gesetze zu ihren Gunsten durchsetzen. Manche Beobachter sprechen von «gekaperter Staatlichkeit» durch private Interessengruppen oder gar von einer «Mafia in Nadelstreifen». Hinzu kommt, dass Medien in Steueroasen die Interessen der Finanzindustrie oft als identisch mit den Interessen der gesamten Bevölkerung darstellen. Was gut für die Banken sei, diene auch dem Otto Normalverbraucher.
Steueroasen benötigen neben einer guten Reputation und Steuerfreiheit jedoch noch eine dritte, wesentliche Zutat, um ausländische Gelder und Kunden anzulocken. Denn diese wünschen vor allem eines: Diskretion und Verschwiegenheit. Die Geheimhaltung ist vielleicht das wichtigste Kriterium einer Steueroase – noch wichtiger als die Steuerfreiheit. Denn auch wenn Banken in Steueroasen um die Gelder ausländischer Kunden kreativ werben, bleibt deren Steuerpflicht im Heimatland bestehen. Die Bankmitarbeiter oder den Gesetzgeber in der Steueroase interessiert das vordergründig nicht. Die Erfüllung der Steuergesetze obliegt nicht diesen, sondern natürlich dem ausländischen Kunden. Zumindest stillschweigend aber wissen alle Beteiligten, dass es sich bei den Anlagen oft um Schwarzgeld handelt.
Wenn nun ein potentieller Kunde mit zu vielen Fragen zur Herkunft seines Vermögens oder seiner Identität konfrontiert wird, kann es leicht passieren, dass er sich eine andere Bank oder Steueroase sucht. Für manche Kunden etwa scheiden solche Steueroasen aus, in denen Briefkastenfirmen verpflichtend im Unternehmensregister detaillierte Informationen über deren Eigentümer oder Vorstände veröffentlichen müssen. Genauso unerwünscht ist es, dass die Steueroase mit irgendeinem ausländischen Finanzamt im engen Informationsaustausch steht. Denn eine solche Zusammenarbeit könnte das heimische Finanzamt dazu verleiten, unbequeme Fragen über das Bankkonto in der Steueroase oder die Briefkastenfirma zu stellen.
Streng genommen sind also niedrige Steuern an und für sich nicht das Problem an Steueroasen. Denn wenn transparent wäre, wer dort auf dem Papier Geschäfte bucht, Konten führt und Briefkastenfirmen besitzt, dann könnte das zuständige Heimatfinanzamt ganz bequem die eigenen Steuerregeln anwenden. Die niedrigen oder Nullsteuersätze in Steueroasen könnten dann bei der Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens im Heimatland schlicht ignoriert und das Einkommen aus der Steueroase voll versteuert werden. Um dies zu verhindern und Geheimhaltung zu gewährleisten, haben Steueroasen das Bankgeheimnis entwickelt. Deshalb ist es zum Beispiel für das deutsche Finanzamt extrem schwierig, aus Steueroasen relevante und gerichtsfeste Informationen über heimische Bürger und Unternehmen zu erhalten.
Der Kern des Problems mit Steueroasen ist also deren Verschwiegenheit. Nur weil Steueroasen perfekt ausgeklügelte Mechanismen zur Tarnung von Vermögen und Geschäften anbieten, «lohnt» es sich für Betrüger, dort auf dem Papier wirtschaftlich aktiv zu werden. Steueroasen haben das Metier der Diskretion vervollkommnet. Auf den Kaiman Inseln beispielsweise wird mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren jeder bedroht, der es wagt nach vertraulichen Informationen lediglich zu fragen.[31] Gleichzeitig schlägt jede «legale» Suchanfrage im Unternehmensregister von Kaiman mit über 30 US-Dollar zu Buche. Der Gegenwert ist dagegen äußerst dürftig: lediglich Name, Rechtsform und Registernummer des Unternehmens, Gründungsdatum und registrierte Anschrift des Briefkastens lassen sich daraus entnehmen.
Fassen wir zusammen: Steueroasen verfolgen das Ziel, Gelder und Briefkastenfirmen auswärtiger Kunden durch heimische Wirtschaftsakteure verwalten zu lassen und bedienen sich dabei immer der Geheimhaltung. Die Geheimhaltung ist deshalb so wichtig, weil die hofierten Gäste vor allem kommen, um Regeln und Gesetzen an ihren Wohnorten zu entgehen. Andere Facetten spielen jedoch meist auch eine Rolle – wie die geringe oder laxe Besteuerung und Regulierung in der Steueroase selbst. Weil Geheimhaltung so entscheidend ist für das Geschäftsmodell von Steueroasen, scheinen die Begriffe «Schattenfinanzplatz» oder «Verdunkelungsoase» den Kern des Problems besser zu treffen.[32] Die Geheimhaltung lockt nicht nur Steuerflüchtlinge an, sondern ebenso Gelder aus Drogenhandel, Bestechungszahlungen, illegalem Waffen-, Tropenholz- und Diamantenhandel, Menschen-, Kinder- und Organhandel sowie verschiedensten Aspekten der Wirtschaftskriminalität. Auch Terroristen und ihre Geldgeber nutzen gerne verschwiegene Finanzplätze. Die Swiss-Leaks Enthüllungen vom Februar 2015 um die HSBC-Privatbank veranschaulichten dies eindrücklich. Und das Ausmaß der in den Steueroasen versteckten Vermögen ist immens. Eine Studie des Tax Justice Network aus dem Jahr 2012 schätzte die undeklarierten Offshore-Finanzvermögen auf weltweit 21–32 Billionen US-Dollar im Jahr 2010.[33] Die daraus entstehenden jährlichen Einnahmeverluste für die öffentlichen Haushalte weltweit belaufen sich auf 190–280 Mrd. US-Dollar. Berücksichtigt man, dass das private Finanzvermögen weltweit auf etwa 122 Billionen Euro (2010) geschätzt wird, offenbart sich die gigantische Dimension des in den Steueroasen versteckten Reichtums.[34]
Lohnt sich das Steueroasensystem denn wenigstens für die Steueroasen selbst oder profitieren am Ende ausschließlich die skrupellosen Steuervermeider, Kriminellen und Terroristen, die deren Dienste gerne in Anspruch nehmen? Auf den ersten Blick scheint der Aufbau einer blühenden Finanzoase für strukturschwache Länder eine gute Idee zu sein. Der Flugverkehr nimmt zu, es siedeln sich Banken und Beratungsgesellschaften an. Die Schattenseiten machen auf den zweiten Blick jedoch nicht selten einen Strich durch die Rechnung. Denn oft fliegen die heißersehnten auswärtigen Gäste ihre hochbezahlten Finanzjongleure und Freiberufler gleich mit ein. Darüber hinaus entstehen Arbeitsplätze vielleicht in der Gastronomie und bei einfachen Dienstleistungen (Frisöre, Putzkräfte) sowie vorübergehend im Immobiliensektor. Andererseits steigen durch den Zuzug hochbezahlter Experten die Lebenshaltungskosten der Durchschnittsbevölkerung vor Ort massiv an. Gerade im Immobiliensektor pendeln sich die Preise oft noch über jenen mancher Metropolen ein.
Außerdem sind die Steuern für jene Menschen, die in klassischen Steueroasen tatsächlich leben, Kinder großziehen und dort auch ihren Lebensabend verbringen wollen, oft ähnlich hoch wie in Industriestaaten. Weil die Löhne jedoch nur in der importierten Finanzenklave hoch genug sind, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu decken, müssen viele einkommensschwache Menschen wegziehen oder haben letztlich einen geringeren Lebensstandard als in Ländern mit kleinerem Finanzsektor.[35] Tatsächlich profitiert unter dem Strich oft nur ein kleiner Teil der Bevölkerung vom Prinzip Steueroase. Die Gans, die vermeintlich goldene Eier legt, entpuppt sich bald als Kuckuck, der alle anderen Wirtschaftssektoren erdrückt und die Steuerlast auf die lokale Bevölkerung abwälzt.
Politisch neigen die Regime von hartgesottenen Steueroasen zudem oft zur Repression kritischer Stimmen, um die alles überragende Reputation nicht zu gefährden. Das Gemeinwohl wird mit jenem der Finanzindustrie gleichgesetzt. Angesichts dieser bedrohlichen Auswirkungen eines übergroßen Finanzsektors sprechen manche Beobachter vom «Finanzfluch», der infolge der Steueroasenstrategie die Entwicklung eines Landes behindert.[36]
Auf der Yacht wird demokratisch entschieden, wohin die nächste Reise gehen soll. Die MS The World ist ein Luxusschiff der Superklasse. Sie gehört anteilig 200 extrem vermögenden Personen, die ihrem Heimatland den Rücken gekehrt und sich für eine der 165 Wohnungen auf dem Schiff entschieden haben. Nachdem seit 2006 für einige Jahre alles ausverkauft war, stehen im März 2015 einige der Wohnungen wieder zum Verkauf. Diskretion über die Identität der Bewohner ist oberstes Gebot. Die Betreiber verraten nur, dass die meisten aus Nordamerika und Europa kommen, aus 19 Staaten insgesamt. Das Durchschnittsalter von 64 Jahren deutet auf eine gewisse Vergreisung bei den ewigen Kreuzfahrern hin.
Ein hübscher Nebeneffekt für die Bewohner ist, dass Einkommenssteuern bei geschickter Planung nicht mehr anfallen. Die unbeschränkte Steuerpflicht greift nämlich in den meisten Staaten nur für Personen, die sich dort mehr als die Hälfte des Jahres, mindestens 183 Tage, aufhalten. Ist man nirgendwo länger als ein paar Wochen am Stück, dann erhebt kein Staat einen Steueranspruch.[37] Vor zwei Jahren wurde potentiellen Kaufinteressenten in den Werbematerialien noch nahe gelegt, sich mit einem Steuerberater über das Thema «Wohnsitz» zu unterhalten – dieser Hinweis fehlt im Februar 2015 jedenfalls in jenen Broschüren, die online zugänglich sind. Die Bewohner können jederzeit über das Internet ihre Geschäfte weiterführen, auch Videokonferenzen seien vom Schiff aus kein Problem, so die Werbebroschüre. Abwechslung ist für seefahrende Multimillionäre in Sicht: 2016 soll die Utopia vom Stapel gelassen werden, eine noch größere Yacht, die Platz für 199 Wohnungen und ein Hotel mit 175 Betten haben soll.[38] Die geplante Preisspanne der Wohnungen liegt zwischen 3,9 und 30 Mio. US-Dollar.
Das mag ein Extrembeispiel für den steuerlichen Abschied der obersten Einkommensschichten aus der Gemeinschaft mit Normalsterblichen sein. Dennoch veranschaulicht es, wie vielfältig die Möglichkeiten Steuern zu sparen am oberen Ende der Einkommens- und Vermögensskala inzwischen geworden sind. Nach Oliver Wendell Holmes, ehemals Richter am Obersten Gerichtshof in den USA, sind Steuern bekanntlich der Preis, den wir für eine zivilisierte Gesellschaft zahlen.[39] In Demokratien streiten und einigen sich die Bürger darüber, welche gesellschaftlichen Aufgaben gemeinschaftlich-kooperativ durch staatliche Instanzen übernommen und welche anderen Bereiche hingegen marktwirtschaftlich organisiert werden sollen. Zur Finanzierung gemeinschaftlicher Aufgaben wie etwa Infrastruktur und Verkehr (öffentlicher Nahverkehr, Schienenverkehr, Gehwege, Fahrradwege, Straßen), Bildung (Kindergärten, Schulen, Universitäten), Sicherheit (Polizei, Rechtssystem) oder Gesundheit werden Ressourcen benötigt, die in Form von Steuern[40] von der ganzen Gesellschaft bereitgestellt werden.
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