Yael Hedaya
Eden
Roman
Aus dem Hebräischen von
Ruth Achlama
Die Originalausgabe erschien 2005
bei Am Oved Publishers Ltd., Tel Aviv
Copyright © 2005 by Yael Hedaya
Die deutsche Erstausgabe
erschien 2008 im Diogenes Verlag
Umschlagillustration: Henri Matisse,
›Citrons et saxifrages‹, 1943
Copyright © 2013 ProLitteris, Zürich;
Succession H. Matisse, Paris;
Museum Sammlung Rosengart, Luzern
Für Noa und Itamar
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 2013
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 24038 2 (1. Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60376 7
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] Erster Teil
»Es gibt keinerlei Verzweiflung auf der Welt.«
Rabbi Nachman von Brazlaw
(Aufkleber auf einem weißen Mitsubishi Galant)
[7] Dafna
Was also ist der Augenblick? Wie sieht er aus? Was ist seine Gestalt, und wann tritt er ein, dieser Augenblick, der kein Augenblick und doch alles ist, und warum entschlüpft er ihr ein ums andere Mal?
Denn zu sagen, ›der Augenblick, in dem Leben entsteht‹, hört sich banal an, zu mickrig für den Augenblick, für die Worte, die ihn zu schildern versuchen, und so gar nicht präzise, und zu sagen ›das Zusammentreffen von Sperma und Eizelle‹ klingt bescheuert, publizistisch, so ähnlich wie die Pressemitteilungen, die sie täglich verfasste (ein historisches, spannendes, seltenes, einmaliges Treffen), und auch unrichtig – schließlich hatten die Laborangestellten mit eigenen Augen Elis Millionen von Samenzellen gehorsam und vielleicht schon lustlos auf ihre Eizellen zuschwimmen sehen, die wie mikroskopische Autos in den Plastikschälchen geparkt standen, nur darauf warteten, dass einer hereinstürzte, sie startete und auf eine wunderbare Fahrt mitnahm.
Und doch war bisher nichts geschehen, und selbst die Enttäuschung hatte aus ihrer Sicht kaum noch Bedeutung, und das nicht etwa, weil sie sich daran gewöhnt hätte: Jedesmal ist man von neuem enttäuscht, sagte die Schwester, wenn sie ihr telefonisch die Ergebnisse durchgab und Dafna langsam und beherrscht okay sagen hörte. Eigentlich eher [8] ein gehauchtes, nicht wirklich ausgesprochenes Okay, denn ihr Herz sagte niemals, dass das in Ordnung sei, nie und nimmer. Aber die Lungen füllten sich automatisch mit Luft, um das Weinen wegzudrücken. Nein, da irrte die Schwester, man ist nicht von neuem enttäuscht: Die Enttäuschung stülpt sich wie ein weiteres Stockwerk auf ein Großprojekt, bei dem unklar ist, wann es abgeschlossen sein wird, ein Gebäude, dessen Gerüste aus Hoffnungen schon abgebaut sind und das von Monat zu Monat einem Wohnblock ähnlicher wird, einem Betonungeheuer, dessen Arme zugebaute Loggien, auf Gemeinschaftshöfe vorspringende Küchen, den Erdgeschosswohnungen als Kinderzimmer angegliederte Schuppen waren. Oder die Schwester sagte, kommt schon in Ordnung, Dafna, auch dir wird es am Ende geschehen, und das Wort »dir« kratzte tiefer als die Enttäuschung, mehr als das Wort »Ende«, und was dann? Was würde am Ende geschehen? Sie wusste nicht mehr, ob dieses Etwas, das so gar nicht geschah, tatsächlich alles, was bisher nicht in Ordnung war, in Ordnung bringen, ihr Leben neu starten würde, aber das scherte sie nicht, nein, es sollte bloß endlich geschehen, und sei es nur, damit sie ein für allemal wüsste, ob er recht hatte, dieser Staat, der sich dauernd irrte, der Staat, für dessen Frieden und Wohlergehen sie arbeitete, obwohl es eindeutig keinen Sinn mehr hatte – ob er wenigstens eines machen konnte, dieser hoffnungslose Staat, und das richtig und massenweise: nämlich Kinder.
Sie stand in der Küche und wartete, dass das Wasser im Kessel kochte, damit sie sich ihren Morgentrunk machen konnte, eigens für sie zusammengestellt von dem Experten für chinesische Medizin, dem sie zwar auch nicht mehr [9] vertraute, aber noch nicht genug Zweifel entgegenbrachte, um ihn ebenfalls von der Liste der Alternativtherapeuten zu streichen, die sie in den letzten Jahren aufgesucht hatte. Von der Liste derer, die ihr sagten, ihre Gebärmutter sei zu kalt, und derer, die sie im Gegenteil mit einem glühenden Ofen verglichen, derer, die ihre Milz als Unglücksherd ausmachten oder ihren Nieren die Schuld zuschoben oder sagten, bei ihr sei alles in Ordnung, völlig in Ordnung, und dann ihre Eierstöcke mit Nüssen oder Knollen gleichsetzten und ihre Eileiter mit Lilien oder so was Ähnlichem. Und speziell erinnerte sie sich an jene Heilerin aus Ramat Gan, die gefragt hatte, ob sie diese »Trompeten« spielen höre: Hör mal, hatte sie gesagt, horchst du hin? Und Dafna, noch verstört ob des jähen Übergangs von Botanik zu Blasinstrumenten, hörte gar nichts. Wie ein Schofarhorn in der Synagoge, hatte die magere, flachbrüstige Frau gesagt, während sie ihr die eine kühle Hand auf den Bauch und die andere wie ein Hörrohr ans Ohr hielt, und obwohl das Fenster im Raum geschlossen war, hörte sie draußen einen Bus ächzend von der Haltestelle abfahren, womit er möglicherweise seine Meinung über diese Heilerin kundtat.
Und vielleicht war es auch Mitleid, das sie bewog, bei dem chinesischen Arzt zu bleiben, dessen Praxis etwas Armseliges und Altmodisches an sich hatte und der sie nicht aufforderte, zu horchen oder zu phantasieren oder zu glauben, sondern sie schlichtweg bat, die Zunge zu zeigen, und sobald sie es tat, meinte sie, allen die Zunge herauszustrecken, den Heilern und den chinesischen Ärzten und den Heilpraktikern, ihnen allen. Und auch Eli, der unten im Café wartete, einen doppelten Espresso schlürfte – der sein [10] erstklassiges Spermiogramm kein bisschen beeinträchtigen würde, ebenso wenig wie die fünf Zigaretten, die er täglich rauchte – und nebenher irgendeine Akte durchging oder einen Referendar am Handy abkanzelte, darauf wartete, dass sie ihren Besuch beim Guru vom Dienst beendete. Und doch trank sie jetzt schon sechs Monate jeden Morgen diesen Lügentrank, und immer noch: nichts, gar nichts.
Jetzt dachte sie, am liebsten würde sie eine winzige Videokamera in ihren Leib einsetzen, auf dass sie durch die Körperhöhlen wandere, jede Ecke auskundschafte, um die Kurven flutsche und an den klebrigen Wänden ihrer Gebärmutter andocke, die vielleicht nicht klebrig genug waren, und womöglich lag darin das Problem: Embryos rutschten daran ab, wie Bergsteiger von glatter Felswand in den Tod stürzten – eine Kamera, die alles aufnehmen und die Bilder auf einen Riesenbildschirm übertragen würde, so einer wie die an den verstopften Kreuzungen, die die Fahrer mit stumm wechselnden Werbespots hypnotisierten. Ja wie gern würde sie einen solchen Bildschirm in der Küche installieren und den ganzen Tag den Clip ihres Leibes angucken, ihn vor- und zurückspulen, anhalten, jedes Einzelbild, jeden Blickwinkel studieren, und vor allem den Augenblick, in dem sich die Dinge entschieden, diesen undefinierbaren Moment, den bewussten Augenblick, der sie schon seit sieben Jahren um den Verstand brachte.
Denn zu sagen ›der Augenblick der Empfängnis‹ wäre simpel und falsch, schließlich konnten sich in ihrer Gebärmutter schon Dutzende, womöglich Hunderte von Keimbläschen eingenistet haben. In ihrer Jugend hatte sie sich nicht in Acht genommen. Als junges Mädchen nannten ihre [11] Freundinnen sie verantwortungslos, die Jungs, mit denen sie schlief, sagten ihr: »Du spielst mit dem Feuer«, und kamen trotzdem drinnen. Und ausgerechnet bei der Heirat hatte sie angefangen, Verhütungsmittel zu benutzen, was ihr heute lächerlich, geradezu beleidigend vorkam. Und jetzt meinte sie, das, was ihr damals wie eine Herausforderung des Schicksals erschienen war, sei Hellsicht gewesen, eine Vorahnung des Schicksals, das letzten Endes mehr sie herausforderte als umgekehrt. Und vielleicht, dachte sie, als sie das Wasser in das Duralex-Glas goss, das sie unter allen Gläsern im Haus zu ihrem Glücksglas erkoren hatte und stur durch kein anderes ersetzen wollte, obwohl es nach der letzten In-vitro-Fertilisation, im Mai, enttäuscht hatte und schon ganz milchig geworden war, vielleicht hatte ihre Gebärmutter Hunderte von Keimbläschen aufgenommen, doch irgendwas (aber was denn bloß? Was konnte das sein?) hatte diese bewogen, es sich im letzten Moment vor dem Anwachsen anders zu überlegen, den Schleudersitz auszulösen und abzuspringen. Treulose Zellhaufen, die lieber Fallschirme als Eihäute ausbildeten, Zellen, die sich während ihres Teilungsprozesses zerstritten oder denen die Herberge, in der sie gelandet waren, nicht zusagte – nein, ihnen gefiel das Zimmer nicht, das sie bekommen hatten, es war ihnen zu kalt oder zu heiß – all diese Einzelheiten wusste sie. Sehr gut wusste sie alles, was mit der mechanischen Seite, dem hormonalen Umfeld, zusammenhing, kannte auch die Statistiken über Frauen ihres Alters, aber dieser Augenblick – und sie wusste ja, es ging nicht um einen Augenblick, wie sie ihn kannte, zumal in den letzten sieben Jahren auch die Zeit einen grundlegenden Wandel [12] erfahren hatte –, dieser Augenblick blieb mysteriös und schwer greifbar und kritisch, ein himmlischer Augenblick, hatte sie anfangs gedacht, aber in letzter Zeit fand sie ihn durchaus irdisch, unterirdisch und dunkel: ein Augenblick aus einer anderen Welt, und auf klare und verletzende Weise nicht von ihrer Welt.
Und als sie jetzt zuschaute, wie die Mischung aus zerstoßenen Blättern und Wurzeln und wer weiß was sonst noch den Teelöffel umwirbelte und das Wasser mit einem widerlich und verheißungsvoll erdigen Grünbraun einfärbte, fand sie, das Verletzendste sei vielleicht gar nicht ihre unerklärliche Unfruchtbarkeit, sondern die unerklärliche, sagenhafte Fruchtbarkeit der anderen – und diese Trennwand, dieser zugezogene Vorhang zwischen ihnen und ihr, wie bei der First Class im Flugzeug, nur dass hier nicht Rang und Stand den Unterschied machten, sondern etwas Unklares, Schicksal oder Glück und die Tatsache, dass irgendwer die Rollen in diesem Stück spielen musste, in dieser Tragödie namens Statistik, auf diesem Flug, der niemals landete.
Sie stützte sich auf die Arbeitsfläche und blickte durchs Fenster auf den rückwärtigen Hof, den man noch nicht richtig sehen, nur in Umrissen erkennen konnte, betrachtete die Jasmin- und Hibiskussträucher, die Heckenkirsche und den Echten Oleander. Wenn wir Kinder haben, müssen wir die Oleanderbüsche rausreißen, denn sie sind giftig, hatte Eli jüngst gesagt, und sein »Wenn«, das früher mal ein »Sobald« gewesen war, hatte ihr mehr Angst eingejagt als der Gedanke, ihr gemeinsames Kind könnte ein Blatt oder eine Blume in den Mund stecken. Sie blickte auf die Lebensbaumzypressen, schwarze Klumpen, die wie schlafende [13] Tiere aussahen, und den Rasen, der im Halogenweiß, das aus dem Küchenfenster sickerte, feucht schimmerte.
Bald würde das Licht des anbrechenden Tages das düstere Geviert in einen kompletten Hof verwandeln: Phosphorgrüner Rasen grenzte an eine Veranda, gepflastert mit Wildgestein, das gezähmt aussah, fern von Steinsein und Wildheit war, und darauf standen die Gartenmöbel aus Eichenholz, ein komplettes Set, neuntausendfünfhundertdreißig Schekel – eigenartig, dass sie gerade diese Summe noch erinnerte, wo sie doch ein Vermögen für dieses Haus ausgegeben hatten –, und die hochwertige Grillanlage. Und dann war da natürlich der Steingarten, Elis ganzer Stolz, aus Bachkieseln, in der Mitte ein kleines Becken, von bläulichen Unterwasserscheinwerfern ausgeleuchtet, mit echtem Plätschern, das sich wie Plätschern vom Band anhörte, durchzogen von gleichgültigen Goldfischen, die ihre Aufgabe als Zierfische erfüllten. Und die Sträucher würden gleich derart zurechtgestutzt und gezähmt aussehen, sobald die Endoktobersonne über dem Hof aufstieg – dem Garten, würde Eli sie korrigieren, dem Garten –, und wenn die letzten Flicken Dunkelheit sich auflösten, würde sie denken, was sie jeden Morgen beim Hinausblicken dachte: dass es auf der ganzen Welt keine hässlichere Schönheit gab.
Als sie so dastand, vorgebeugt, die Arme auf die Arbeitsfläche gestützt, in einem Nachthemd, das einstmals – vor Dutzenden von Spritzen in Po und Bauch, etlichen Inseminationen, vier In-vitro-Fertilisationen und wer weiß wie vielen Gläsern chinesischen Schlicks und Akupunkturen und positivem Denken – ein Häschenmuster gehabt hatte, fand sie, dass sie alt aussah, dass sie ihrer Mutter ähnelte, auf [14] deren Grundstück sie dieses neue Haus anstelle ihres alten errichtet hatten. Es sei ohnehin einsturzgefährdet, hatte Eli ihren Vorschlag abgewiesen, es lieber zu renovieren als abzureißen. Mit unheimlicher Leichtigkeit war das einfache Siedlungshaus im Stil der frühen Fünfziger eingestürzt, und sogar der Bauunternehmer, der schon so einige Häuser im Leben abgerissen hatte, lobte das Gebäude, das so bereitwillig kapitulierte, die Berührung des Bulldozers nur als ein Kitzeln zu empfinden schien, ehe es mit schallendem Gelächter und wirbelnden Staubwolken in sich zusammenfiel. Jener Bauunternehmer, mit dem sie sich später zerstritten und vor Gericht auseinandergesetzt hatten, erinnerte sie äußerlich an ihren stattlichen Vater, dessen Körperbau sie geerbt hatte, ein Gulliver mit einem Busch roten Kraushaars auf dem Kopf – »der brennende Dornbusch« hatte Eli den Bauleiter liebevoll genannt, ehe er ihn später als »dieser Scheißkerl« betitelte –, und er knabberte auch nervös an der Unterlippe, wie es ihr Vater getan hatte, wenn er angespannt oder nachdenklich war, ihr Vater, der so gern auf dem Dorf hatte leben wollen.
Ein paar Wochen nachdem ihre Eltern mit den drei Kindern, der achtjährigen Irit, der drei Jahre jüngeren Dafna und dem zwei Monate alten kleinen Gadi, aus Petach Tikwa in den Moschaw übersiedelt waren, war ihr Vater im Schlaf einem Herzstillstand erlegen.
Sie erinnerte sich an jenen Schabbatmorgen, an dem sie vom Wimmern ihrer Mutter aufwachte, die plötzlich im Unterrock im Haus herumlief, was sie sonst nie tat. Dafna und ihre Schwester fanden das lustig, wurden jedoch samt Baby Gadi mit Milchfläschchen umgehend zur Nachbarin, [15] der Witwe Sonja Baruch, geschickt. Und erst nach dem Frühstück, als die Mutter mit rotverquollenen Augen wiederkam, im Flur mit Sonja tuschelte, die Schwestern die beiden schniefen hörten und Sonja, in die Küche zurückgekehrt, ihnen erklärte, dass sie bis zum Abend dableiben müssten, während draußen im Garten schon Leute zusam-menliefen, erst da begriffen sie, dass etwas Schreckliches geschehen war.
Auch Eli hatte, wie ihr Vater, aufs Dorf ziehen wollen. Lange war er ruhelos in ihrer Dachwohnung in Nord-Tel Aviv herumgetigert, hatte geklagt, er bekäme keine Luft, er ersticke, verbringe zu viele Stunden im Büro, in Büros überhaupt, in Gerichtsgebäuden, beim Gerichtsvollzieher, in Haftanstalten und wo sonst nicht noch alles, und er müsse, wenigstens an den Wochenenden, ein bisschen Gartenarbeit verrichten. Ja, hatte er gesagt, du kannst ruhig lachen, aber ich hab eine Riesenlust auf Gartenarbeit – und wer pflegte dann letzten Endes ihre zweitausend Quadratmeter? Bobo, der Thailänder. Das gehöre zur Krise um die Vierzig, hatte ihre Freundin Micky ihr wiederholt gesagt. Ihr Mann, Eran, sei auch manchmal auf solche Ideen gekommen, aber die habe sie umgehend gekappt, habe sie wie dörfliche Unkräuter aus ihrem Stadtgrundstück gezupft.
Tatsächlich war auch ihr Vater einundvierzig gewesen, als er ihrer Mutter von der einmaligen Gelegenheit, spottbillig ein Haus mit drei Zimmern in Eden zu erwerben, berichtete. Wo liegt das denn? fragte ihre Mutter, und er erklärte, nicht weit, und sie müssten nicht mal ihre Wohnung in Petach Tikwa verkaufen, würden nach und nach das Haus renovieren, und du wirst sehen, Lea, dass ich recht habe, es [16] wird ein Garten Eden für die Mädchen werden. Doch nach seinem Tod blieb das Haus genau so, wie er es gekauft hatte, und der verheißene Garten verharrte im Bereich der Idee: ein Stück Rasen, der seit eh und je da gewesen war und den sie und Irit, und später Gadi, gehorsam zweimal die Woche sprengten, ein Rasen, der jeden Winter in Schlaf versank, so dass es aussah, als werde er endlich absterben, und dann im Frühling doch wieder zum Leben erwachte – dieser Rasen, dachte sie, war eine gilbende und grimmige Sehnsucht nach ihrem Vater, der ihnen die Verheißung eines anderen Lebens und so viel Arbeit hinterlassen hatte.
Als ihre Mutter vor fünf Jahren starb, hatten Irit und Gadi dem Vorschlag zugestimmt, sich den Verkaufserlös aus der Wohnung in Petach Tikwa, die noch vor dem großen Preissturz zum Spitzenpreis wegging, zu teilen und Dafna das Haus im Moschaw zu überlassen, von dem damals noch kein Mensch ahnte, dass er sich in knapp zwei Jahren zu einem der teuersten Moschawim im ganzen Land entwickeln würde. Wir haben ein gutes Geschäft gemacht, meinte Eli, der seinerzeit behauptet hatte, sie ließe sich von ihren Geschwistern übers Ohr hauen. Ich hab mich gewaltig geirrt, sagte er jedes Mal, wenn sie ihn an seine früheren Vorwürfe erinnerte, sie sei ja dumm, auf ihren Anteil an der Wohnung in Petach Tikwa zu verzichten und sich mit einem baufälligen Haus zu begnügen, das zwar auf zweitausend Quadratmetern stehe, aber wer brauche schon zweitausend Quadratmeter in dieser Lage!
Ende der neunziger Jahre verwandelte sich Eden, bis dahin ein landwirtschaftlicher Moschaw, von Einwanderern aus Polen und Ungarn Anfang der fünfziger Jahre [17] gegründet, in eine der gefragtesten Lokalitäten in der Landesmitte. Junge Familien, vornehmlich aus Tel Aviv und Petach Tikwa, erwarben zu Spottpreisen ganze Landwirtschaften, um sie mit Häusern zu bebauen, die aussahen, als wären sie allesamt von ein und demselben Architekten entworfen: ein- oder zweistöckige Gebäude in Pastellfarben – Zitronengelb, Rosa, Hellblau oder Pistaziengrün – mit großen Fenstern in rauchfarbenen Baustahlrahmen und mit Flachdächern, die in ihrer Bescheidenheit den grasbewachsenen Ziegeldächern der alten Häuser Hohn zu sprechen schienen. Diese verschwanden nach und nach mit ihren Eigentümern, die starben oder in die Nähe ihrer in Städte oder Vororte übersiedelten Kinder zogen. Doch es gab auch ein paar Ortsfeste: einige alte Paare, ein Witwer und vor allem Witwen, die ihren Häusern immer ähnlicher wurden – das Gegenteil von Pastellfarben, geometrisch und gestylt – und mitsamt ihren baufälligen Häusern in eigenartigem Kontrast zu ihrem Land standen, das Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts schon Millionen wert war.
Als die Bodenpreise ihren Höhenflug begannen und die eingesessenen Hausbesitzer, und speziell deren Söhne, ihre ökonomische Unschuld verloren, kamen die Reichen. In den letzten Jahren waren neben den alten Häusern und ihren pastellfarbenen Nachbarn ein paar riesige Anwesen entstanden, dem Auge verborgen hinter hohen Mauern mit automatischen Toren, die die Zufahrt zu Doppel- oder Dreiergaragen freigaben, Anwesen, die gerade wegen ihrer versteckten Lage ins Auge stachen, stilles Grauen verbreiteten und topographische Kontrolle anzeigten, wie Löwen, die sich gähnend mitten in einer Zebraherde niedergelassen hatten.…[18] Aber man konnte sie schwerlich hassen. Sie zu hassen, dachte Dafna, wäre eine Art Eigentor. Seit die reichen Villenbesitzer in Eden Grundstücke erwarben, ließen sie ihre Beziehungen spielen. Innerhalb von zwei Jahren hatte man die Kanalisation im Moschaw rundum erneuert, Straßenlaternen an bisher dunklen Stellen aufgestellt, die Hauptstraße neu asphaltiert, und der Kreisverwaltung war, aus dem Nichts, ein großzügiges Budget zur Renovierung der alten Gebäude im benachbarten Moschaw Gané Zur zugegangen, wo sich die Kindergärten befanden. Diese Reichen zu hassen, dachte Dafna, wenn Eli eine spitze Bemerkung darüber machte oder wenn sie mit dem Auto an den Mauern und Toren vorbeifuhr, die, wenn sie sich auftaten, um einen Wagen rein- oder rauszulassen, ihr einen flüchtigen, fast pornographischen Blick in die Toskana, nach Südfrankreich oder, falls es sich um das Anwesen eines der großen Hightech-Firmenbosse handelte, nach Connecticut gewährten, diese Villenbesitzer zu hassen, dachte sie, wäre einfach kindisch.
So gliederte sich der Moschaw im Jahr 2003 schon in drei klare Schichten – die Oberschicht, die Mittelschicht und die Alten, die wiederum Untergruppen bildeten: einmal diejenigen, die weiter an ihrer Scholle festhielten, teils zum Missvergnügen ihrer Söhne, denen das Erbe schon in den Fingern juckte; dann diejenigen, die wegziehen wollten, die Verhandlungen aber ihren Kindern überließen, die nicht nur dafür sorgten, dass keiner ihre gutgläubigen Eltern übervorteilte, sondern gelegentlich derart hohe Preise für das abrissreife Haus nebst Grundstück verlangten, dass die Eltern notgedrungen weiter in Eden wohnen blieben, da ihre [19] Häuser keine Abnehmer fanden; und es gab die besonders verletzliche dritte Gruppe – diejenigen, die keine Nachkommen hatten, die sie gegen Übernahmelustige abgeschirmt hätten. Und einmal, kurz nachdem sie nach Eden übersiedelt waren, sagte Eli, er hätte eine Projektidee: Warum solle er diese Alten nicht vertreten und gegen einen bescheidenen Anteil am Verkaufserlös dafür sorgen, dass keiner sie beschiss? Sie hoffe, er scherze, hatte sie erwidert, worauf er sagte, eigentlich nicht, aber ich schließe, das gefällt dir nicht.
Nein, sagte sie, das gefiele ihr nicht. Und als er sich nach dem Warum erkundigte, fragte sie erneut, ob er scherze oder ob sie es ihm wirklich erst erklären müsse, und er sagte ja, das müsse sie. Weil das dreckig ist, sagte sie, es ist ein dreckiger Einfall, diese Menschen auszunutzen. Und er fragte, ob sie ein begrenztes Ausnutzen nicht besser fände, eigentlich gar kein Ausnutzen, meinte er, warum Ausnutzen sagen, wo es um Vermittlung gehe, ja mehr noch: um Schutz – oder Protektion, gab sie zurück, und er war eingeschnappt: Also wirklich, Dafna, wenn er ihnen nicht beispränge, würden die Käufer sie doch mit Sicherheit überfahren. Sagen wir mal, ich bin wie der Sohn, den sie nicht haben. Einige haben ja Söhne in den Kriegen oder durch Unfälle oder Krankheiten verloren, waren also mal Eltern, und ein Sohn bekommt doch auch was von seinen Eltern, oder? Hast du dieses Haus etwa nicht durch Erbschaft erhalten? Und er erinnerte sie daran, dass er selbst noch nie was geerbt hatte, die Wohnung seines Vaters in Nachlaot sei ja gegen das sogenannte Schlüsselgeld gemietet gewesen und bei seinem Tod sofort an die Eigentümer zurückgefallen, und alles, was er persönlich je besessen habe – die Hälfte der [20] Wohnung, die sie bei der Heirat in Tel Aviv gekauft hatten –, sei mit Arbeit und Schweiß erworben worden. Ja, aber ohne meine Erbschaft wärst du überhaupt nicht hierhergekommen, in das Dorf, von dem du immer geträumt hast, sagte sie und fragte, wie viel er ihnen denn abnehmen wolle, gesetzt den Fall, jemand wäre dumm genug, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ein bis zwei Prozent, wie ein Makler, antwortete er. Sei doch nicht so naiv, Dafna, auch Rechtsanwälte, die sich um Immobiliengeschäfte kümmern, berechnen ansehnliche Summen für nichts, bloß um im Büro zu sitzen und einen Vertrag aufzusetzen, und ehrlich gesagt, habe er es letzthin ziemlich satt, ewig Strafsachen zu bearbeiten, nicht dass es nichts einbrächte, aber manchmal sei er neidisch auf einige Kollegen, die ein Vermögen machten, ohne einen Fuß aus der Kanzlei zu setzen. Er arbeite, und wie er arbeite, reiße sich den Arsch auf, also was macht’s dir aus, wenn ich mich ein bisschen umhöre, mal sehe, ob überhaupt Nachfrage für solche Dienste besteht, was sagst du?
Und sie sagte: Nein.
Denn sie dachte an Menschen wie ihre Mutter. Wäre sie nicht gestorben, ehe die Grundstückspreise in Eden in die Höhe schnellten, und hätte sie nicht drei Kinder gehabt, die sie im Notfall, der allerdings nie eintrat, geschützt hätten, speziell Kinder wie Irit, ihre ältere Schwester, die im Gegensatz zu ihr selbst und zu Gadi durchaus Geschäftssinn besaß, hätte sie leicht eines von Elis Opfern werden können. Es erschreckte sie, wie leicht sie sich ihren Mann als Altenfänger vorstellen konnte. Und sie dachte an Leute wie Sonja Baruch, was los wäre, wenn diese alleinstehende Frau noch [21] lebte. Ihr Haus hatte nach ihrem Tod jahrelang leer gestanden, da keine Erben vorhanden waren, und an Samstagen schwärmten ganze Familien an und parkten vor dem Zaun, hinter dem das Haus sich wie schutzsuchend im hohen Gras und Dorngestrüpp versteckte. Es war zum Anziehungspunkt für allerlei potentielle Käufer geworden, die durch Flüsterpropaganda von dem verlassenen Objekt auf einem Grundstück von fast fünftausend Quadratmetern erfuhren. Ja, was für ein Glück, dass Eli und sie damals noch nicht hier wohnten und sie nicht mit eigenen Augen den stummen Kampf um dieses Haus mit ansehen musste, die Autos, die es umkreisten wie Haie, irrsinnig vom Geruch der verwundeten, isolierten Immobilie, bis das Haus schließlich dem Fiskus verfiel, der es flugs einem Ehepaar aus Ra’anana, Schuki und Iris, verkaufte, die ihre Nachbarn wurden und später prahlten, das Geschäft ihres Lebens gemacht zu haben, als sie 1998 für zweihundertsechzigtausend Dollar das Grundstück erwarben, das heute über eine Million wert war.
Ekelhaft, der Gedanke, dass der Ort, an dem sie aufgewachsen war, dessen geheime Schönheit sie gerade in dem üppigen, ungestümen Wildwuchs der Pflanzen sah, die zwischen den Häusern wucherten, sie trennten, aber gewissermaßen auch mit grünem Kleber verbanden, dass dieser Ort, an dem sie ihre zwar beschissene, aber doch eigene Kindheit verbracht hatte, sich in einen Immobilienzirkus verwandelte. Als verhökere man mit den Grundstücken und Häusern auch diese Kindheit, das Verstecken in Büschen und hohen Wildgräsern, das Stromern in Zitrushainen und Obstgärten, jene fernen Tage kleiner Einsamkeit und großer Pläne.
[22] Jede Stelle, die mal irgendwas versinnbildlicht hatte, wurde zerstört und so erst recht zum Symbol, zum Sehnsuchtsobjekt, und als sie Anfang des Sommers 2000 mit Eli wieder herzog, fand sich in Eden kaum noch was von früher, abgesehen von dem Lebensmittelladen, der noch an dem gepflasterten Platz in der Ortsmitte aushielt, obwohl außer den Alten kein Mensch mehr dort einkaufte. Berge von Pappkartons und Getränkekästen flankierten den Eingang, neben einem öffentlichen Fernsprecher, der wie ein Museumsstück wirkte, denn wer außer den thailändischen Arbeitern benutzte ihn schon noch?
Nein, sie hatte nicht hierher zurückkehren wollen, aber Eli war stur geblieben. Und nicht nur seinetwegen, hatte er erklärt, nicht nur wegen des Engegefühls, das er in Tel Aviv verspüre – und er wundere sich, dass sie das nicht empfinde, wie könne das sein? –, sondern auch, weil Kinder viel gesünder auf dem Land aufwüchsen. Denk an die Zukunft, meinte er, und sie dachte, da mochte was dran sein, und obwohl sie schon damals Schwierigkeiten hatten und im Begriff standen, von ihrem Frauenarzt zu einem Reproduktionsmediziner überzuwechseln, war sie nicht auf die Idee gekommen, dass sie fünf Jahre später immer noch kinderlos sein würden und auch Eden nicht mehr so wie früher wäre.
Das war es, was sie schmerzte, versuchte sie ihm zu erklären, wohl wissend, dass die Worte vergeblich waren, und doch: Gab es nicht möglicherweise eine Parallele zwischen dem, was Eden, und dem, was dem Staat passierte, und auch, dachte sie manchmal, aber das wagte sie schon nicht mehr laut auszusprechen, zu dem, was ihr selbst geschah: unkontrollierte Gewichtszunahme infolge der Hormone, [23] gelegentliche Fressanfälle, aber drinnen nichts. Nichts wuchs in ihrem Innern heran.
Nein, sie wollte nicht, dass Eli sich umhörte, sagte jedoch, wie sie ihn kenne, habe er es sicher schon hinter ihrem Rücken getan, worauf er heftig widersprach: Seit wann würde er denn Dinge hinter ihrem Rücken regeln – dein Rücken ist doch ohnehin zu breit, als dass ich hinter ihm was mauscheln könnte. Und das war eigentlich ein Kompliment, denn gerade das liebte er ja so an ihr, sagte er immer, deshalb habe er sich in sie verliebt, wegen ihrer Stärke, ihrem Idealismus, weil sie sich noch eingehend dafür interessierte, was in diesem Land vorging. Im Vergleich zu wem? wollte sie wissen. Im Vergleich zu mir, zugegeben, lautete die Antwort. Es sei nicht, dass es ihn nicht interessiere, erklärte er, er glaube bloß, es sei ohnehin alles verloren, Engagement bringe heutzutage keinem mehr was.
Und was ihr letzten Endes nachging, sie störte und an ihr nagte, war nicht sein Zynismus, seine Trägheit als Staatsbürger, wie sie es im Stillen nannte, sondern gerade diese Sache mit dem Rücken. Sie war nie eine schmale Frau gewesen, war immer schon breit, vor allem im Rücken- und Schulterbereich, wie eine olympische Schwimmerin, pflegte Eli liebevoll zu sagen, aber jetzt, drei Jahre nach der Übersiedlung nach Eden, hatte sie weitere acht Kilo zugenommen, und die schienen sich allesamt auf ihrem Rücken abgelagert zu haben.
Nach der Erbteilung zwischen ihr und ihren Geschwistern hatten Eli und sie das Haus in Eden an ein junges Paar mit Baby vermietet, das nach einer langen Indienreise Ruhe suchte. Sie waren angenehme Mieter, die keinerlei [24] Reparaturen verlangten und nichts als defekt meldeten, aber als sie zwei Jahre später auszogen, berichteten die Nachbarn, die Sonja Baruchs Haus gekauft hatten, ihre Mieter seien ein ziemlicher Störfaktor gewesen mit ihren Trance- und Drogenpartys und auch, weil sie streunende Hunde gefüttert hatten, die noch auf der Straße herumliefen, als ihre Wohltäter längst weg waren.
Eine rechte Plage, sagte Schuki, der neue Nachbar, Inhaber einer Wachgesellschaft, der sie eines Nachmittags am Lenkrad seines Pageros betont freundlich ansprach, als sie sich gerade ihr inzwischen geräumtes Haus ansehen wollten.
Sie plauderten im Stehen mit ihm, entschuldigten sich wegen der Unannehmlichkeiten, die sie ihm unwissentlich bereitet hatten. Warum habt ihr uns nicht angerufen, wir hätten doch was unternommen, mit ihnen gesprochen, sie rausgeworfen, was weiß ich? fragte Eli, ich bin ja schließlich Anwalt. Die hätten was erleben können. Wollten wir eigentlich sogar, sagte der Nachbar, aber ich weiß nicht, jedes Mal beruhigte sich das wieder etwas, und wir beschlossen, es sein zu lassen, aber wenn sie nicht ausgezogen wären, diese Hillbillys, hättest du schon noch von uns gehört, das schwör ich dir. Wir waren damals auch mit der Renovierung beschäftigt, wohnten also einen Teil der Zeit gar nicht hier, erst vor einem Jahr sind wir hergezogen. Ein hübsches Haus habt ihr euch gebaut, sagte Eli, obwohl es hässlich war, und fragte, woher sie zugezogen seien. Aus Ra’anana, antwortete der Mann, da hatten wir auch ein Eigenheim, aber nicht so eins wie dieses, kommt rein, seht euch die Bude an, aber Dafna sagte, ein andermal. Also ihr werdet hier wohnen? fragte er, und Eli sagte, [25] wahrscheinlich ja, und blickte Dafna an. Lohnt sich, solltet ihr, sagte der Nachbar, eine Lebensqualität ist das hier, keine Frage. Übrigens, ich bin Schuki, er streckte die Hand aus. Eli, sagte Eli, und das ist Dafna, und sie sagte, sehr angenehm. Eine Frau in Trainingsanzug und Joggingschuhen kam dazu. Das ist meine Frau, sagte Schuki, das ist Iris, Iris, das sind die Eigentümer der Lehmhütte, und Iris sagte: endlich, endlich! Also was, wollt ihr hier bauen? Renovieren, erwiderte Dafna, wahrscheinlich, und Iris verzog das Gesicht und sagte: Spinnt ihr? Reißt lieber ab, und zieht neu hoch, wir hatten einen phantastischen Bauleiter, falls ihr den wollt, und wir haben auch ein junges Architektenpaar an der Hand, frisch von der Bezalel-Akademie, also ziemlich billig, und die sind ja so was von begabt, keine Frage, sollte man gleich buchen, ehe sie das Höhensteuer kriegen, habt ihr Lust, euch das Haus anzugucken? Eli blickte Dafna an, die sagte, ein andermal gern, sie müssten bald zurück nach Tel Aviv. Dann lauf ich mal, sagte Iris, und Schuki fragte, ob sie was aus dem Hypermarkt brauche, und sie sagte, nein – habt ihr Kinder? fragte Iris, und sie sagten beide unisono nein, noch nicht, und ihr? Einen Sohn, antwortete Iris, drei Jahre alt, er ist jetzt im Taekwondokurs. Kurs? fragte Dafna, gibt’s hier Kurse? Seit wann das? Was ist denn mit dir los, sagte Iris und begann schon auf der Stelle zu laufen, um keine Zeit zu vergeuden, und wie’s hier Kurse gibt, keine Frage, na, kommt auf einen Sprung rein, wenn ihr das nächste Mal angondelt, dann bringen wir euch auf den neusten Stand. Letztes Jahr hat man hier auch ein Schwimmbad gebaut, das wisst ihr sicher. Nein, erwiderte Dafna, ein Schwimmbad? Was denn, fragte Schuki, hat man [26] euch vom Gemeinderat nicht aufgefordert, die Gebühr zu entrichten? Und Eli schüttelte verneinend den Kopf. Sicher kriegt ihr noch eine Rechnung, da verlasst euch drauf, meinte Schuki, also schaut wirklich mal bei uns rein, dann erzählen wir euch alles. Machen wir, versprach Eli. Prima, sagte Schuki und pumpte das Gaspedal, hast du einen Schreiber? Notier dir die Telefonnummer, und Eli fragte Dafna, ob sie einen Kugelschreiber hätte, aber ehe sie noch in der Handtasche kramen konnte, zog Schuki schon einen aus der Tasche neben sich und schrieb die Privatnummer auf seine Geschäftskarte. Eure Büros sind also in Holon? fragte Eli nach einem Blick auf die Karte, das ist so eine Geschichte morgens mit den Staus, nicht wahr? Na ja, erklärte Schuki, wenn man vor halb sieben losfährt, geht’s noch, eine Minute später ist es eine Katastrophe, und Eli sagte, dann schauen wir wirklich mal einen Schabbat bei euch rein. Schabbat passt gut, bestätigte Schuki, kommt auf jeden Fall, wir machen Brunch. Iris hat hier in der Gegend einen Laden aufgetan, der echte Bagels bäckt, wie in Amerika, und er verabschiedete sich von beiden mit Handschlag.
Sie machten eine Runde durch das verlassene Haus, taxierten die Schäden, das Potential, betasteten vorsichtig Tür- und Fensterrahmen, traten auf die Fliesen, die zum Teil schwarz verfärbt, zum Teil gesprungen oder wackelig waren und ein mürbes Klingeln hören ließen – abreißen, Dafna, befand Eli, geht nicht anders, und sie nickte. Schau dir diese Fläche an, sagte er, als sie inmitten hüfthoher Disteln auf dem riesigen Privatgrundstück hinter dem Haus standen. Boah, du hast das Geschäft deines Lebens gemacht, meinte er, blickte zum Horizont, über die Zitrushaine, die [27] sich hinter ihrem Besitz erstreckten, bis hin zu dem etwas seltsamen Wäldchen jenseits davon, musterte das Haus von Schuki und Iris zur Linken. Wir könnten einen Pool im Garten bauen, weißt du? Seine Augen funkelten auf einmal. Falls wir Geld übrig behalten. Werden wir aber nicht, befand Dafna. Ich weiß, ich weiß, muss ja nicht gleich sein, aber das ist doch super, nein? Dieser Gedanke? Begreifst du, was für Ausmaße das hier sind? Begreifst du das?
Aber der Gedanke an einen Pool machte sie traurig, weckte die dornige Erinnerung an endlose Sommer mit ihrer verwitweten Mutter, eingequetscht zwischen der pubertierenden Schwester und dem asthmatischen kleinen Bruder. Fast jeden Morgen der großen Ferien marschierten sie zu viert zu der einzigen Bushaltestelle im Moschaw, so nicht jemand mit einem Fahrzeug vorbeikam und sie nach Petach Tikwa mitnahm, wo sie den lieben langen Tag im öffentlichen Freibad unterm Sonnenschirm schwitzten.
Mutter, Irit und sie hassten das Schwimmbad, aber Gadi brauchte Bewegung, hatte der Hausarzt, Dr. Mosche, verordnet, dessen Praxis sie alle ein bis zwei Monate aufsuchten. Möglichst viel Sport, empfahl der Arzt, den Irit und Dafna nicht mochten, weil er ihnen dauernd zuzwinkerte und das Stethoskop zu lange auf ihre knospenden Brüste legte, wenn er sie gleich mit untersuchte, weil die Mutter meinte, wenn wir schon mal da sind, untersuchen Sie vielleicht auch die Mädchen. Und einmal, sie war damals elf Jahre alt, bat er alle, den Raum zu verlassen, da er Dafna ein paar Fragen in »weiblichen« Angelegenheiten stellen wolle. Warum dann nicht auch Irit? wollte sie wissen. Doch der Arzt, der immer etwas Angst hatte vor Irit, die ihm frech [28] kam und einmal, als sie noch klein war, gesagt hatte, er hätte Mundgeruch, erwiderte, Irit sei schon groß und bräuchte das nicht, aber Dafna befinde sich in einem heiklen Alter, und ihre Mutter, bei der Dafna einen Anflug von Unbehagen oder Sorge zu erkennen meinte, sagte, gut, in Ordnung, dann warten wir draußen auf euch.
Er zerrte seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch hervor und setzte sich ihr gegenüber, auf Kniefühlung, fragte, wie es in der Schule sei und wie es ihr gehe. Sie murmelte, alles in Ordnung, und ihre Augen schweiften über die Wände, verharrten auf Bildern von lächelnden Babys und ihrem Lieblingsposter mit den drei rötlichen Cockerspanielwelpen, die sich in einem Weidenkörbchen drängelten. Das höre ich gern, sagte er und fragte, ob sie wisse, wie Kinder zur Welt kämen.
Das wisse sie, gab sie zur Antwort und dachte, damit sei die Angelegenheit erledigt und nun könne sie gehen. Freut mich zu hören, sagte er, dann erklärst du mir vielleicht mal, wie, damit wir sehen, ob du es wirklich weißt und man dir keine Märchen erzählt hat. Sie verzog das Gesicht und sagte, sie wisse es und fertig, löste ihre Augen von der Wand und bohrte sie in den PVC-Boden. Du bist ein bezauberndes Mädchen, sagte er, weißt du das? Du bist ein ganz besonderes und empfindsames Mädchen, nicht wie deine Schwester, die ein bisschen frech ist. Und sie hob den Blick und schaute ihm in die Augen, merkte zum ersten Mal, dass sie gar nicht braun, wie sie immer gedacht, sondern grün waren, und auf dem einen Lid wuchs ein durchsichtiges Korn, das aussah wie die winzigen Schnecken, die manchmal an Gräsern klebten. Du hast Ähnlichkeit mit deinem Vater, er [29] ruhe in Frieden, fuhr er fort und sagte, es sei schade um ihn, den Ärmsten, schade um diesen wunderbaren Mann, der so plötzlich habe sterben müssen. Er habe ihn zwar nur ein- oder zweimal getroffen, als Mama und er zuerst mit dem kleinen Bruder gekommen seien, aber es sei gleich klar gewesen, dass es sich bei ihm um einen hervorragenden Menschen handelte, und als er Dafnas Tränen rinnen sah, die sie keineswegs wegen des heimgegangenen Vaters vergoss, sondern weil die Mutter, die hinter der Tür jetzt hörbar den im Wartezimmer herumtollenden Bruder tadelte, sie hier im Stich gelassen hatte – als der Arzt ihre Tränen bemerkte, schloss er sie in die Arme, drückte sie an seine Brust, flüsterte ihr zu, weine nur, Liebes, weine, und da sprang sie auf, stieß ihn weg und rannte zur Tür, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Draußen fragte die Mutter, ob sie sich in dem Spielzeuggeschäft an der Bushaltestelle was kaufen wolle, vielleicht die große Sprechpuppe, die sie sich letztes Mal gewünscht hatte, und Dafna erwiderte, das war vor einem Jahr. Na und? meinte ihre Mutter. Was macht das? Und sie sagte, sie wolle die Puppe nicht mehr. Dann was anderes, schlug die Mutter vor, die sehr wohl wusste, dass sie ihre mittlere Tochter entschädigen musste, aber nicht genau wusste, wofür.
Kurz vor ihrem Tod hatte sie Dafna von ihren drei Abtreibungen erzählt, der ersten, zwei Monate nach Irits Geburt, und der zweiten und dritten – zweimal nacheinander in einem halben Jahr, prahlte sie – etwa ein Jahr bevor sie, Dafna, geboren wurde. Und als sie ihre Mutter auf dem Sterbebett mit diesen heimlichen Abtreibungen angeben hörte, kam ihr in den Sinn, dass sie selbst womöglich nur [30] deshalb zur Welt gekommen war, weil ihre Mutter seinerzeit vor einer weiteren Abtreibung Angst gehabt hatte. Gadi jedoch, und das war kein Geheimnis, ihre Mutter sagte es all die Jahre mit Stolz – mit bewusstem, dachte Dafna plötzlich, sicher kränkte sie ihre beiden Töchter mit Freuden –, Gadi haben wir bekommen, weil wir endlich einen Sohn haben wollten.
Sie erinnerte sich an eines ihrer letzten Gespräche, auf dem Balkon des Hauses (das seinerzeit noch keinen Vorgarten und keinen angelegten Hinterhof und keine Sträucher oder Hecken und keine Veranda hatte). Ihre Mutter saß schief auf dem alten Sessel, der früher mal den Katzen gehört hatte, die sie und ihre Geschwister gehalten hatten. Ihr Inneres war bereits vom Darmkrebs zerfressen, man konnte nur noch abwarten, und ihre Mutter wusste, auch ohne dass man es ihr extra erzählen musste, von Dafnas Versuchen, schwanger zu werden. Mit Nostalgie dachte sie jetzt an jene Tage, obwohl ihre Mutter damals im Sterben lag und die Pflege ihr überlassen blieb, da Irit sich strengstens schonen musste, um die Schwangerschaft mit ihrem zweiten Sohn zu halten, und Gadi mit seiner kriselnden Ehe beschäftigt war. Sie dachte trotz allem mit Sehnsucht an jene grauenhafte Zeit, weil Eli und sie noch am Anfang des Weges standen und damals, vor fünf Jahren, überhaupt nicht ahnten, dass bei ihnen etwas nicht in Ordnung, sogar völlig merkwürdig sein könnte, und ein langer Pfad der Enttäuschungen vor ihnen lag, auf dem sie gerade den ersten Schritt taten.
Es war ein Septemberabend, kühler als im israelischen Herbst zu erwarten, und das Wetter erinnerte ihre Mutter [31] an ihre einzige Auslandsreise, zehn Jahre zuvor mit einer Reisegesellschaft. Sie wollten damals die bunten Herbstbäume in New England sehen (sie bemühte sich, »New England« ohne israelischen Akzent auszusprechen), und es war dort so kalt, »wie jetzt«, sagte sie und bat Dafna, ihr von drinnen den naturweißen Pullover zu holen, den mit den Zöpfen, den sie wegen der Kälte in New England im Touristenladen irgendeines Küstenstädtchens gekauft und seither nicht mehr getragen hatte, weil er für Israel zu warm und derb war, vor allem aber, weil sie darin lächerlich aussah, wie ein norwegischer Fischer oder so was, meinte sie. Aber jetzt wollte sie ihn haben, weil ihr wirklich kalt sei »wie in New England«, und Dafna dachte, es war weniger die Kälte als das Vergnügen, immer wieder diese Worte zu sagen. Und als sie den Pullover gebracht hatte und ihrer Mutter, die kaum noch die Arme heben konnte, hineingeholfen hatte, kuschelte ihre Mutter sich ein, strich mit den Fingern über die dicken Längszöpfe, fixierte mit den Augen einen fernen Punkt auf dem siechen Rasen und sagte: Nicht alle sind dafür bestimmt, Kinder zu gebären.
Und als Dafna sie anblickte, wie sie in ihrem Katzensessel geduckt dasaß, beinah verschwunden in dem Norwegerpullover, nur noch Haut und Knochen, aber der Bauch aufgedunsen, als gehe es nicht um Krebs, sondern um eine weitere ungewollte Schwangerschaft, erwiderte die Mutter ihren Blick und sagte: Das ist keine Tragödie, Dafna, wirklich keine Tragödie.
Aber damit beging sie einen Fehler. Nicht in dem, was sie sagte, sondern weil es mehr oder weniger ihre letzten Worte waren und Worte, die auf dem Sterbebett gesprochen [32] werden, einen Stachel mit Widerhaken besitzen, der tief in die Haut eindringt und sein Gift mit verzögerter und daher nachhaltiger Wirkung ins Blut abgibt. Es war nicht, was sie sagte, so beleidigend und empörend es auch sein mochte, sondern die Tatsache, dass sie sie hatte trösten wollen und es auch diesmal, wie tausendmal zuvor, nicht geschafft hatte. Nach ihrem Tod machte der Ärger einem Gefühl des Versagens Platz, und darauf folgten unweigerlich Trauer und Sehnsucht und danach das Schuldgefühl. Egal, was sie gesagt hätte, dachte Dafna jedes Mal, wenn sie sich dieses Gespräch wieder in Erinnerung rief, alles und jedes hätte ihr dieses Tattoo der Trauer eingeritzt. Und auf einmal erfasste sie, dass der Sterbende mit seinen letzten Worten den Hinterbliebenen erledigt, und schwor sich, ihren eigenen Kindern diese Erfahrung zu ersparen, während ihres Siechtums strikt beim Smalltalk zu bleiben, Wetter, Essen, Einkäufe, Politik vielleicht, um sie so vor einer zufälligen, aber ewig quälenden Pointe zu schützen.
Sie hörte Eli im Schlafzimmer furzen und den elektrischen Rollladen summend hochgehen und fragte sich, ob Eli wohl daran dachte, dass sie heute Abend bei Irit und Menni zum Geburtstagsessen für ihren Großen, Lior, eingeladen waren. Irit hatte Lior und Assaf. Gadi, seit zwei Jahren geschieden, hatte Hila und Gaja. Und seine zweite Frau, Anat, die zwei Jahre älter war als sie, erwartete auch schon ein Kind. Anfangs hatte sie sich bemüht, Gadis zweite Frau ins Herz zu schließen, denn Sarit, Mutter seiner beiden Töchter, hatte ihm ja Leid zugefügt. Sie durfte sie nicht als Gadis zweite Frau betrachten, nahm sie sich immer wieder vor, wenn sie an die zierliche, fast filigrane [33] Betriebswirtin dachte, und es war ihr tatsächlich gelungen, sie bei sich Anat zu nennen, einfach Anat, sie sogar zu mögen – bis sie schwanger wurde, was nach ihrer Berechnung noch vor der Hochzeit passiert sein musste, und vielleicht hatten sie überhaupt deswegen geheiratet und sie war, als man in der Familie ihren neununddreißigsten Geburtstag feierte, schon schwanger gewesen. Wenn sie diese Party später wieder im Geist abspulte, hielt sie den Film dort an, wo Anat den eigens für sie gekauften Sekt ablehnte, das Glas sanft und diskret zurückwies. Und als sie kurz darauf Hand in Hand offiziell bekanntgaben, »wir sind schwanger«, wurde Anat in ihren Augen wieder Gadis zweite Frau.
Gestern hatte sie bei ihr angerufen, um sich zu erkundigen, ob die Befunde der Fruchtwasserspiegelung schon da seien. Irit hatte ihr erzählt, dass sie sie hatten machen lassen, während Gadi und Anat ihr nichts davon sagen wollten, um ihr nicht etwa weh zu tun. Ja, antwortete Anat mit einer Stimme, die sich ebenfalls schwanger anhörte, Sonntag hätten sie die Befunde bekommen, es sei Gott sei Dank alles in Ordnung, und es würde tatsächlich ein Mädchen. Bei der vorigen Ultraschalluntersuchung sei der Arzt sich ja noch nicht sicher gewesen, habe sie sogar ein wenig geängstigt mit seiner Erklärung, »vielleicht ist es ein Junge mit einem sehr kleinen Piller«, aber nein, es wird ein Mädchen, und es ist alles in Ordnung, und noch mal, Gott sei Dank. Dann kannst du ja jetzt endlich anfangen, diese Schwangerschaft zu genießen, sagte Dafna. Meinst du? fragte Anat. Ja, da sei sie sicher, bestätigte Dafna, und viel Glück auch, und eine dicke Umarmung für sie und Gadi und die Kleine im Bauch, worauf Anat hörbar überrascht und auch etwas [34] erleichtert erwiderte, wow, gleichfalls, Dafna, das heißt eine dicke Umarmung, und danke, und ich denk ja dauernd so an dich, irgendwie, ich weiß nicht, ob das jetzt hierher gehört, aber ich weiß, dass ihr’s versucht, Gadi hat’s mir erzählt. Ja, ich weiß, sagte Dafna, aber lass mal jetzt, ich bin einfach so froh, dass alles in Ordnung ist mit dem Fruchtwasser. Anat seufzte, du ahnst ja gar nicht, in welcher Angst wir geschwebt haben, kannst dir das gar nicht vorstellen, ich dachte schon, ich würde allein davon eine Fehlgeburt bekommen. Wieso das denn?, gab Dafna zurück und meinte schon selbst ein paarmal Gott sei Dank gesagt zu haben, ehe sie das Gespräch beendete. Danach blieb sie auf ihrem Gartenstuhl sitzen und starrte auf die Zitrushaine und das dürftige Gehölz dahinter, bis das schnurlose Telefon auf ihrem Schoß klingelte und Eli mitteilte, dass er sich verspäten werde, und fragte, ob sie in Ordnung sei, sie höre sich etwas seltsam an. Sie sei in Ordnung, antwortete sie und harrte dort aus, bis es dunkel wurde.
Und heute Abend, dachte sie, würde Anat zu Liors Geburtstagsessen kommen, mit einer tiefen Glasschüssel voll Schokoladenmousse, wie versprochen, und mit ihrem Bauch, von dem Irit berichtete, er sei kompakt und sehe aus wie ein kleiner Basketball, doch ansonsten habe sie kein Gramm zugenommen. Anat würde neben Gadi sitzen, dessen Sommersprossen, die in der Pubertät verblasst waren, jetzt mit seinem neuen Glück wieder aufzublühen schienen. Und auf dem Sofa von Irit und Menni würde Anat vielleicht an die neue weiße Couch denken, die sie kürzlich bei Ikea gekauft hatten. Wie lange das Baby wohl brauchen würde, um sie kaputtzukriegen? Das würde ihr einen Stich [35] versetzen, und um den Gedanken zu verscheuchen, würde sie die eine Hand auf ihren Bauch und die andere auf die Hand von Gadi legen, der wirklich glücklich aussah, mit den Sommersprossen und dem sofazerstörenden Töchterchen, und sie würden laut überlegen, ohne sich einen Dreck um den bösen Blick zu kümmern, der ihnen bisher den Mund versiegelt hatte, ob man sie nun Or oder Aja oder vielleicht Alma mit Alef geschrieben nennen sollte, denn das traditionelle Alma mit Ajin geschrieben erinnerte Gadi an den Kaugummi, und Eli würde sagen, Alma mit Alef, den Namen solltet ihr nehmen, Alma ist richtig sexy, und sie würde ihn hassen, denn Alma mit Alef hatten sie für ihre Tochter ausgesucht, und Jonathan, falls es ein Junge würde. Was hatte es zu bedeuten, dass er zugunsten anderer so leichthin auf den Namen verzichtete, auf den sie sich in jahrelangen Bemühungen geeinigt hatten? War das etwa so wie mit den Oleanderbüschen?
[36] gewesen war: ein beschissener, zynischer, syrischer Rechtsanwalt, so bezeichnete er sich manchmal – wann hatten sie das letzte Mal miteinander geschlafen?