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Monika Buttler

Bei Lesung Mord

Copyright der eBook-Ausgabe © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Originalausgabe ©2002 by Hamburger Abendblatt in der Reihe Schwarze Hefte, herausgegeben von Volker Albers

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © Andreas Dahlmeier 

ISBN: 978-3-942822-71-8

Bei Lesung Mord ist der fünfte Band der Krimireihe hey! shorties. Jeder Folge ist inhaltlich in sich abgeschlossen. Eine Auflistung der bereits erschienenen Titel befindet sich am Ende dieses eBooks.

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Bei Lesung Mord

»L'argent c'est moi!« – Einer Monarchin gleich herrscht Margarete Kröger mit Macht und Mammon über die Hamburger Literaturszene. Ihr Gebaren ist allerdings alles andere als majestätisch. Bald schon ist eine Revolution im Gange, und der Sturz der Mäzenin nur noch eine Frage der Zeit.
Wenn die Grande Dame der Hamburger Kulturszene zu einem ihrer berühmt-berüchtigten Literatursalons lädt, weiß jeder Gast, was zu erwarten ist: alles, nur keine Langeweile. Ob Intrigen, Klüngel oder zur Schau gestellte Eitelkeiten – der Hofstaat Margarete Krögers steht dem echter Königshäuser in nichts nach.
Konsequenterweise gibt die Monarchin das Zepter erst ab, als sie im Lesekreis ihrer Höflinge formvollendet, gleichwohl höchst unfreiwillig, aus dem Leben scheidet. Ein Mord unter Literaturfreunden? Wohl eher Feinden … und davon gibt es mehr als genug …

Sie hielt sich prinzipiell für unsterblich, und deshalb wäre Margarete Kröger auch mehr als schockiert gewesen, wenn sie hätte mit ansehen müssen, wie sie genau drei Stunden nach dem Beginn ihres Jour fixe ihr Harvestehuder Patrizierhaus als Leiche verließ. Und dann noch auf diese unwürdige Art: im senkrecht stehenden Sarg, eingezwängt im Fahrstuhl mit den beiden Sargträgern, die vom vierten Stock mit ihr abwärts sausten.

Aber jetzt hatte sich die große alte Dame – und Größe war hier auch physisch zu nehmen – erst auf ihre Récamiere zurückgezogen. Im türkisfarbenen samtenen Hauskleid und wie immer mit dem unentbehrlichen Turban, heute ebenfalls in Türkis. Der Turban war ihr Markenzeichen geworden, so kannte man die Sechsundsiebzigjährige in der Hamburger Literaturszene, wenn auch das Wort »Markenzeichen« zu der fernen Zeit, aus der sie stammte, nicht so ganz passte.

Margarete Kröger hatte die langen, schlanken Beine unter sich gezogen, neben ihr dampfte in einer Meißener Tasse der Tee.

Sie schaute zu dem riesigen Ölbild hinüber, als hätte sie ihrem Papa heute etwas ganz Besonderes zu sagen. Der Maler Broder Brodersen hatte ihn wirklich gut getroffen: Ihr Vater, der große Hamburger Reeder, blickte mit festem Blick und verschränkten Armen auf ein Schiff, das gerade die Elbe hinauffuhr. Auf ein Schiff seiner eigenen Flotte, durfte man vermuten, deren legendäre Größe nur noch von seinem Reichtum übertroffen wurde.

Ja, es war angenehm und ganz natürlich, dass er ihr, seiner einzigen Tochter, dieses unerschöpfliche Vermögen hinterlassen hatte. Sie trug ihre ererbte Hakennase hoch, mindestens so hoch wie ihr Vater auf dem goldgerahmten Prachtgemälde. Hatte sie nicht allen Grund dazu? Seit langem kümmerte sie sich nun schon um diese armen Würstchen, diese mittellosen Autorinnen und Autoren. Vom Alter ermüdet und vom Leben vergessen die einen, jünger und noch von hoffnungsvollem Ehrgeiz beseelt die andern. Manchmal war es schon abstoßend, wie sie alle an ihr klebten und ständig nur von Geld sprachen. Dabei ging es doch um Literatur, um hohe Literatur sogar, um Geistesgaben, die wie kostbare Perlen in einer Auster zu entdecken waren und die sie, die große Mäzenin, zum Ruhm der Hansestadt mit dem Margarete-Kröger-Preis für immer bewahren würde. Aber sie alle gierten wohl doch nur nach dem Preisgeld – zehntausend Euro immerhin warf sie jährlich aus. Margarete Kröger seufzte. Erneut – bestimmt schon zum zehnten Mal heute – griff sie nach dem dickbändigen Buch, das vor ihr auf dem Mahagonitisch lag. Sie strich sanft über den Einband, man hätte es fast ein Streicheln nennen können, wenn so etwas Zärtliches bei ihrem herben Charakter möglich gewesen wäre. Ach, Papa, dass du das nicht mehr erleben konntest, jetzt könntest du noch stolzer auf mich sein, sagten ihre Gedanken zu dem Bild hinüber. Doch der alte Herr reagierte nicht, sondern blickte weiter unbewegt auf sein großes weißes Schiff. »Matjes und Matrosenkleid« stand auf dem Einband, aus dem Hintergrund hob sich ein prächtiges helles Säulenhaus hervor. Ihr erstes Buch! Natürlich hätte sie als hoch geachtete Mentorin der Stadt, als literarische Adoptivmutter so bekannter Autorinnen wie Elke Harms und Arnhild Sonntag das gar nicht nötig gehabt. Aber es war einfach der finale Kick, die längst fällige Krönung einer Kaiserin im Land der unbegrenzten Eitelkeiten.

Natürlich würde sie mit ihrem Werk über ihre Kindheit an der Elbchaussee nicht zu Bestseller-Ehren kommen. Aber war es nicht schon schmeichelhaft genug, wie die Hamburger Verleger sie bedrängt hatten, dieses Buch endlich zu schreiben? Sie hatte sich dann für den Hansa-Verlag entschieden, einen Verlag, der einem Freund ihres Vaters gehörte. Der hatte sich auch diesen angeblich werbewirksamen Titel ausgedacht, obwohl sie Matjes im Säulenhaus an der Elbchaussee nie gegessen hatten. Aber wie auch immer: Ihr erstes Buch würde, zusammen mit dem Margarete-Kröger-Preis, ihr Renommee im Olymp des literarischen Ruhms endgültig festigen. Dass ihr erstes Buch zugleich auch ihr letztes sein würde, das konnte Margarete die Große natürlich nicht ahnen. Aber jetzt musste man das brillante Werk erst mal richtig unters Volk bringen. Deshalb fand sie es durchaus angebracht, es wie in einem Schaufenster hinter die Heckscheibe ihres Wagens zu legen und auch gleich ein Exemplar bei ihrem Friseur zu deponieren. Der Friseur, ein ehemaliger Klempner, würde es zwar kaum kaufen, aber die Kundschaft, wer weiß …

Margarete Kröger hob den Kopf. Auf dem Flur drehte sich ein Schlüssel im Schloss, dann klopfte es. Waltraud »Trude« Kaminski, ihre Freundin, stand vor ihr: graue, strähnige Haare als Pagenkopf, trübe, wässrige Augen und eine kurze, dicke Birnen-Figur, bei der man sich nie erinnern konnte, wie sie eigentlich bekleidet war. Einst hatten Margarete und Waltraud nicht nur ihre literarischen Ambitionen, sondern auch das Bett miteinander geteilt. Aber das hatte zumindest Margarete längst vergessen. Liane Degenhardt hieß jetzt der Stern ihrer späten Nächte, eine vierundfünfzigjährige Schriftstellerin, die es inzwischen zu einem beständigen, wenn auch lediglich lokalen Ruhm gebracht hatte.

»Du kommst spät, meine Liebe!«

»Ja, ich hatte noch eine Menge Lebensmittel zu besorgen.«

»Ah, essen, immer nur essen. Du solltest lieber mal abnehmen.«

Trude überhörte die Stichelei. »Und dann alles hochschleppen, ich hab schließlich keinen Fahrstuhl so wie du.«

»Meine Güte, du bist doch erst sechsundsechzig, was brauchst du da einen Fahrstuhl?« Auf Margaretes Zügen breitete sich eine gereizte Langeweile aus. »Also, jetzt schenk mir mal einen Wodka ein, du kannst dir auch einen nehmen.«

»Nein danke.« Trude ging in die Küche und kam mit einem Glas Wodka, wie üblich aufgemischt mit Grapefruit-Saft, zurück. Mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck reichte sie es zur Récamiere hinüber.

Margarete nahm drei Riesenschlucke von ihrem gewohnten Drink.

»Also, Trude, wie weit bist du nun mit den Vorbereitungen? Ich erwarte, dass es keinerlei Pannen gibt.«

»Nun, ich dachte, wir würden erst mal über mein Geld …«

»Blödsinn! Geld, ich höre immer nur Geld! Das hat doch nun wirklich Zeit. Wenn man bedenkt, dass du sowieso mein halbes Erbe bekommst! Was seid ihr bloß alle geschmacklos!«

Trude duckte sich.

»Ich meinte nur …«

»Schon gut, schon gut. Du bist also mit allem fertig. Oder?« Das »Oder« hing wie eine Drohung im Raum.

»Fast, Maggie, fast. Ich hatte nur solche Schmerzen in den letzten Tagen, du weißt ja, meine Hüfte …«

»Nein! Nicht schon wieder Krankheiten!« Laut landete Margaretes Glas auf dem Mahagonitisch. »Davon will ich nichts hören. Ein intelligenter Mensch ist nicht krank!«

Margarete Kröger ließ sich von ihren engsten schriftstellemden Vasallen gern »Maggie« nennen. Der Haudegen-Charme, der an eine gewisse britische Lady erinnerte, gefiel ihr, jedoch durfte man aus dieser vertraulichen Anrede keineswegs irgendwelche Vorrechte ableiten.

»Ja, also, ich habe bis jetzt …« In aller Ausführlichkeit wollte Trude nun den Stand der Vorbereitungen für den Jour fixe erläutern, aber Margarete stoppte sie.

»Regel das und lass mich jetzt allein.«

Während Trude hinausschlich, erledigte Margarete mit ein paar schnellen Zügen den restlichen Wodka. Dann nahm sie aus ihrem Art-déco-Etui eine Zigarette, steckte sie in eine imponierend lange Filterspitze und wandte sich ihrer Post zu. Ah, schon wieder eine Todesanzeige. Wen hatte es denn diesmal erwischt? Elsa Fischer war hingeschieden, die Intima ihrer schärfsten Rivalin. Das Schoßkind von Frau Dr. Müller-Landwehr, die mit ihrem läppischen »Hamburger Autorenclub« ihr, einer Margarete Kröger, doch tatsächlich Konkurrenz machen wollte. Sie warf die Anzeige in den Papierkorb. Nein, auch zu dieser Beerdigung würde sie nicht gehen. Sie ging nie zu Beerdigungen. Da hielt sie es ganz mit ihrem geliebten Goethe.

Maria