Wie der Pfeil in den Apfel kam
Friedrich Schiller gehört noch immer zu den populärsten und meistgespielten deutschen Dramatikern. Torsten Körners Nacherzählungen der acht wichtigsten Dramen Schillers zeigen seine Figuren als Menschen aus Fleisch und Blut, die getrieben sind von Leidenschaften, Ehrgeiz und geheimen Wünschen und deren Konflikte oft moderner nicht sein könnten.
Torsten Körner erfüllt die »ollen Klassiker« mit neuem Leben, indem er sie respektvoll, gleichwohl zupackend aufbereitet. NORDWEST RADIO
Kaum ein deutscher Dichter wurde so populär, so häufig gespielt, gefeiert, politisch instrumentalisiert, kurz hat die deutsche Kultur so sehr beeinflußt und zu ihrer Identität beigetragen wie Friedrich Schiller. Torsten Körner hat sich von der Weltbedeutung des Dichters, dessen Verse vielfach zu »geflügelten Worten« wurden, nicht abschrecken lassen. Seine Nacherzählungen der acht wichtigsten Dramen sind pointiert, frisch, originell und ganz und gar unverstaubt. Entstanden sind unterhaltsame Hör- und Denkspiele, die in ihrer knappen Form die Dramatik und Modernität Schillers spürbar werden lassen. Sie zeigen seine Figuren als Menschen aus Fleisch und Blut – getrieben von Leidenschaften, Ehrgeiz, dunklen Träumen und geheimen Wünschen, hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Neigung, Freiheitsdurst und Anpassung.
Schiller für Eilige
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Vorrede
Die Räuber
Die Verschwörung des Fiesko zu Genua
Kabale und Liebe
Don Karlos
Wallenstein
Die Piccolomini
Wallensteins Tod
Maria Stuart
Die Jungfrau von Orleans
Wilhelm Tell
Anhang
Es ist ein Meer auszutrinken
Lebensdaten
Geflügelte Worte und berühmte Zitate
Zum Lesen
Und Weiterlesen
Über Torsten Körner
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
Schiller quält. Mußten Sie in der Schule jemals Schillers berüchtigte Balladen Die Glocke oder Die Bürgschaft auswendig lernen oder den Wilhelm Tell lesen? Ich mußte. Warum eigentlich? Schiller war lästig, langweilig, unangenehm. Damals. Schiller war lange tot und roch irgendwie nach Erwachsenenwelt, Museum und Kreide. Als wir den Tell in der 9. Klasse lasen, sah selbst unser Lehrer unglücklich aus, wahrscheinlich, so dachten wir, haben ihn der Lehrplan oder der Direktor gezwungen, den Tell zu behandeln.
In meinem Hamburger Leseheft, Nr. 7, Wilhelm Tell, aus dem Jahr 1979 finden sich deutliche Spuren meiner damaligen Ablehnung. Auf dem Umschlag eine Zeichnung. Da steht stolz, männlich, vollbärtig der Tell vor schneebedeckten Bergen wie ein Denkmal und neben ihm sein kleiner Sohn, barfuß, im Lederröckchen, sieht bewundernd zum Helden-Papa hinauf. Mit kindlich-trotziger Schrift habe ich We don’t need no education darunter geschrieben. Das war damals eine legendäre und in der Schule vielfach zitierte Liedzeile des Hits Another brick in the wall von Pink Floyd, ein depressives Lied, das sein Pop-Pathos gegen die Schule als Erziehungskäfig richtete.
Schiller war, so empfand ich es als vierzehnjähriger Junge, ein Schülererziehungsinstrument, ein Stock, mit dem man uns disziplinierte. Schiller war ein Teil jener Bildung, die man instinktiv ablehnte, weil sie vorgeschrieben war, weil sie schon immer da war, irgendwie klassisch, alt und gediegen, weil sie im Bücherregal oder in der Aktentasche des Lehrers zu Hause war. Da gehörte Schiller hin, nicht in unsere Köpfe, nicht in unsere Welt.
Quält Schiller? Mich nicht mehr. Im Gegenteil. Er fasziniert, unterhält, informiert, er bildet, ja, auch das, mitunter verstört er, oder aber er schockiert. Seine Dramen – und nur von ihnen soll hier die Rede sein – sind eine Welt für sich, die man mit Gewinn gegen die Welt hält, seine Dramen sind Welt- und Lebensmodelle, die eben voller Welt und Leben sind, seine Dramen sind von sprachlicher Schönheit und Kraft, sie sind brauchbar für jeden Tag, die Gegenwart, für die Welt von heute.
Ich änderte meine Meinung über Schiller während des Studiums. In meiner theaterwissenschaftlichen Magisterarbeit verglich ich Don-Karlos-Inszenierungen, die in der Weimarer Republik entstanden, mit solchen, die im Dritten Reich gezeigt wurden. Wie reagierte das Publikum im Dritten Reich auf Marquis Posas Auseinandersetzung mit dem König, in der er dem Tyrannen das berühmte »Geben sie Gedankenfreiheit« entgegenschleudert? Wie wurde das Freiheitspathos des Stücks in einer Diktatur inszeniert, und wie reagierten die Kritiker darauf? Unzweifelhaft, das Stück besaß einen politischen Kern, der in Hitlers Staat störte, der brisant war. Oft klatschte das Publikum minutenlang Beifall, wenn der Marquis die bekannten Worte sagte, eine offenkundige Demonstration gegen das Regime. Und in einigen Kritiken dieser Zeit hört man nicht nur diesen Beifall, man entdeckt auch einen abtrünnigen Kritikergeist zwischen den Zeilen, einen erschlichenen Freiraum in der ansonsten zugesperrten, gemaßregelten und gelenkten Öffentlichkeit dieser Jahre.
Noch spannender, aber auch irritierender war die Entdeckung, daß einige Nationalsozialisten Schiller zum Vorläufer Hitlers machen wollten, während ihn andere wiederum als »Staatsfeind« betrachteten. Ja, Hitler selbst veranlaßte 1941, daß der Wilhelm Tell auf deutschen Bühnen nicht mehr gespielt und in der Schule nicht mehr behandelt werden durfte. Ganz so langweilig und klassisch angestaubt konnte der Tell also nicht sein. Ging es doch um den Freiheitskampf eines Volkes und um die Frage, wann Aufstände und Attentate gegen Gewaltherrscher erlaubt sind und wie sie der Einzelne vor seinem Gewissen verantwortet. Das sind anhaltend aktuelle Fragen.
Man hat Schiller oft vorgeworfen, seine Sprache sei zu pathetisch, die Figuren seien zu künstlich und ihre Gedanken zu idealistisch. Liest man die Texte jedoch genauer, entdeckt man hinter dem Pathos, hinter den hohen Tönen ganz andere Klänge. Schillers Figurenkosmos ist eine Welt, in der die Zerbrochenen, die Gescheiterten und Unglücklichen zu Hause sind. Hinter großen Worten stecken oft nur Jämmerlichkeit und nackte Verzweiflung. Da wimmelt es von scheiternden Machtmenschen, von Träumern, die sich an ihren Träumen verbrennen, von Einsamen, die immer einsamer werden, von Liebenden, die einander tragisch mißverstehen, von wendehälsischen Karrieristen, Zynikern, Opportunisten und tückischen Intriganten. Für sie alle wird die Sprachmacht, die der Autor seinen Helden leiht, zum Überlebenswerkzeug, zum rettenden Seil, mit dem sie den drohenden Sturz verhindern wollen. Das Tragische aber ist, daß Schillers Figuren oft gerade von dieser Sprachgewalt in den Abgrund gerissen werden. Maria Stuart siegt rhetorisch über Elisabeth und besiegelt damit ihren Tod, Marquis Posa rührt den Tyrannen Philipp mit seinen einfühlsamen Worten und sät zugleich ein tödliches Mißverständnis, das ihn, aber auch seinen Freund Karlos vernichten wird.
Schillers Figuren ziehen uns auch heute noch an, weil sie beginnen, ihre Individualität zu entdecken, weil sie ihr Ich laut gegen das Wir, gegen das Gesetz, die Pflicht, die Sitten, gegen Gott, die Väter und die Politik hinausschreien und behaupten müssen. Franz und Karl Moor sind solche verzweifelten Sucher, ebenso Ferdinand und Luise in Kabale und Liebe oder Thekla und Max Piccolomini im Wallenstein. Ja, diese Figuren ahnen, daß mit ihnen das bis heute anhaltende Drama der Selbstverwirklichung beginnt, denn die Freiheit, nach der sie sich sehnen, findet in Schillers Dramen nie eine konkrete Gestalt, nie einen Ort, eine klar umrissene Vorstellung, geschweige denn einen Weg in ihre lebbare Gegenwart. Die Jagd nach Identität, das wissen diese Figuren bereits, wird niemals enden. Die Tür zum Glück öffnet sich ihnen nur für einen Augenblick, und dieser Blick muß reichen, um dem Tod die Stirn zu bieten. »Ein Augenblick, gelebt im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt«, weiß Don Karlos, und sein Freund Posa ergänzt: »Der Augenblick ist kostbar wie das Leben eines Menschen!«
Vieles läßt sich über Schillers große Helden sagen, über Wallenstein, über Franz und Karl Moor oder über den Tell. Aber genauso interessant sind häufig die Nebenfiguren, die Schiller im Schatten der Protagonisten keineswegs vernachlässigt. Etwa der Staatssekretär Wilhelm Davison in Maria Stuart. Er ist erst kurze Zeit im Amt, hofft auf eine Karriere und ist noch kaum vertraut mit den Winkelzügen der Politik. Die Königin Elisabeth macht ihn zum Sündenbock. Ihm schiebt sie die Verantwortung für die Hinrichtung ihrer Rivalin Maria Stuart zu. Ihr Image bleibt sauber, der Staatssekretär ist für die manipulierte Öffentlichkeit der Henker. Davison wehrt sich verzweifelt gegen diese Rolle und muß doch gehorchen. Die Not dieses Mannes und Elisabeths politische Winkelzüge hat Schiller meisterhaft porträtiert. Oder betrachten wir Hedwig, Tells Frau. Die Klage dieser überaus vernünftigen Frau über einen Mann, der immerzu den Abenteurer und Retter spielen muß, wirft einen tiefen Schatten auf das Bild des Helden Tell, das Schiller allerdings auch mit kräftigem Pinsel gestaltet.
Wer will, kann in Schillers Dramen aber auch den Dichter selbst entdecken oder genauer gesagt, seine Suche nach sich selbst. Manche Kritiker haben ihm vorgeworfen, er selbst sei in seinen Stücken abwesend, seine Subjektivität nicht auffindbar. Tatsächlich hat Schiller sich, so scheint es, in seinen Dramen emotional weit mehr verausgabt als im Leben. Mit jedem seiner Stücke entwarf Schiller ein neues Bild von sich, erprobte eine neue Rolle. Mit den Räubern schrieb er sich seinen ganzen Haß, seine Wut und seine Angst von der Seele, er wurde gleichsam zum Seelenarzt und Therapeuten seiner selbst und damit zum Star. In seinem zweiten Stück Die Verschwörung des Fiesko zu Genua versucht sich Schiller als Psychologe, der die Machtlust seines Helden seziert und damit als Dramatiker selbst hoch hinaus will, mit Kabale und Liebe wird der Dichter zum Rebellen, der die Korruption, die Gewalt und die Unfreiheit des Absolutismus anprangert, im Don Karlos zeigt er sich als pathetischer Theatraliker, politischer Visionär und als Bürger eines kommenden Jahrhunderts, den Wallenstein und Maria Stuart geht er als melancholischer Historiker an, der die Sehnsucht nach Größe, auch seine eigene, produktiv in Frage stellt, mit der Jungfrau von Orleans versucht er sich als Anwalt der Poesie, und der Wilhelm Tell ist die Arbeit eines genialen Rhetorikers und Literaturstrategen, mit dem Ziel, das größtmögliche Publikum zu erobern.
Mit jedem neuen Stück, das Schiller schrieb, machte er sich auf die Suche nach einer Idee der eigenen Existenz. Er suchte sicherlich Größe, Ruhm und Wirkungsmacht, aber er suchte eben auch eine Identität, die nicht nur im Beifall Halt fand. Er litt an seiner Zeit und schilderte dieses Leiden in seinen Helden. Diese verborgene Biographie, dieses geheime Selbstporträt und dieser große Hunger nach Freiheit und Glück gehören zum Aufregendsten, was man im Werk Friedrich Schillers entdecken kann.
Als der letzte Vorhang fiel, glich das Theater einem Irrenhaus. Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Fäuste wurden geballt, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zum Ausgang, man pfiff, schrie, warf die Arme empor, verdrehte die Augen, jubelte, verdammte. Die Sensation war perfekt und auch der Skandal. Am Abend des 13. Januar 1782 gingen im Mannheimer Nationaltheater zum ersten Mal die Räuber über die Bühne.
Ein Jahr zuvor war das Stück veröffentlicht worden und hatte sofort wilde Gerüchte provoziert. Der Dichter, so erzählte man sich, würde Mord und Totschlag predigen, Gewalt verherrlichen, er verachte jede Ordnung, und seine Helden seien gewissenlose Bestien. Niemals zuvor habe man ein so brutales und rohes Stück gelesen, und vielleicht, empörten sich einige, sei es besser, den Verfasser ins Gefängnis zu werfen. Wie ein Lauffeuer hatte sich deshalb die Nachricht verbreitet, der junge Dichter wolle der Uraufführung seines Stückes höchstpersönlich beiwohnen. Die Neugier, ihn und das skandalöse Stück zu sehen, war so groß, daß zahlreiche Besucher an der Kasse abgewiesen werden mußten; das Theater war schließlich hoffnungslos überfüllt. Unterdessen hatte der berüchtigte Dramenschreiber Friedrich Schiller seinen Logenplatz eingenommen und wartete nervös auf den Beginn der Vorstellung. Endlich löschte man die Lichter, die unheilvolle Geschichte nahm ihren Lauf.
Der Schauplatz befindet sich in Deutschland, um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Maximilian, der regierende Graf von Moor, ist kein glücklicher Mann. Er ist alt, schwach, und die Zukunft seines Hauses ist ungewiß. Maximilian hat zwei Söhne, die ungleicher nicht sein könnten. Karl, sein erstgeborener Sohn, soll die Träume und Hoffnungen des Vaters verwirklichen. Die Natur hat ihn verwöhnt, er ist kraftvoll, talentiert, schön, ein Draufgänger, ein Abenteurertyp, zwar leichtsinnig und großmäulig, aber dennoch gutherzig. Sein Bruder Franz jedoch, der zweitgeborene Sohn des Grafen, verkörpert das genaue Gegenteil. Mit seinen hervorquellenden Augen, der käsigen Nase und dem jämmerlich schiefen Mund kann man ihn nur äußerst häßlich nennen. Hinter dieser Fratze verbirgt sich jedoch ein scharfer, verschlagener Verstand, der darunter leidet, in einen so unschönen Körper eingesperrt zu sein. Neidzerfressen wartet Franz auf die Gelegenheit, Karl zu verderben, ihm seine glanzvollen Aussichten zu zerstören.
Doch so unterschiedlich die Brüder äußerlich auch sind, hier der strahlende Held, dort die Karikatur eines Menschen, innerlich sind sie einander so fremd nicht. Beide wollen hoch hinaus, Karriere machen, beide rebellieren gegen die bestehende Ordnung, beide hungern danach, ihr Ich hemmungslos auszuleben.
Eines Tages, wieder einmal wartet der alte Graf sehnsüchtig auf Nachrichten von seinem Liebling Karl, der in Leipzig studiert, beginnt Franz, seine teuflische Intrige zu spinnen. Mit gefälschten Briefen überzeugt er den Vater davon, daß aus dem Studenten Karl ein verkommener Verbrecher geworden ist, der wegen hoher Schulden, Vergewaltigung und Mord überall gesucht wird. Die Nachricht schockiert den alten Moor, auch das gehört zum Plan von Franz. Er will die Psyche des Vaters brechen, seinen Geist ruinieren, um ihn so körperlich zu zerstören. Sein Ziel ist klar: Er will den Vater töten und seinen erstgeborenen Bruder beseitigen, um alle Macht an sich zu reißen: »Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, daß ich nicht Herr bin.« Ganz nebenbei will er auch noch Amalia, die Braut seines Bruders, für sich gewinnen, wenn es sein muß mit Gewalt. Franz hat keine Skrupel, über Leichen zu gehen.
Während Franz am Untergang seines verhaßten Bruders Karl arbeitet, sitzt dieser, der mit seinen Freunden aus der Stadt geflohen ist, in einer finsteren Kneipe und hofft auf ein versöhnliches Zeichen seines Vaters. Zwar hat er einige wilde ausgelassene Studentenstreiche verübt, ein Verbrecher aber ist er sicher nicht. Deshalb hat er an den alten Moor geschrieben, ihn reumütig um Vergebung und die Erlaubnis gebeten, nach Hause zurückkehren zu dürfen. Wie groß ist da seine Enttäuschung, als stattdessen ein Brief seines Bruders eintrifft, der ihm mitteilt, daß ihn der Vater wegen seiner Verbrechen verstößt und ihm niemals verzeihen wird.
Karl ist verzweifelt und empört. Seine Situation erscheint ihm ausweglos, von einer Sekunde zur anderen hat er seinen Vater, seine Braut und die Heimat verloren. Nur deshalb läßt er sich auf jene Idee ein, die sein verschlagener Freund Spiegelberg ausgeheckt hat. Er akzeptiert, daß seine Kumpane eine Räuberbande gründen und ihn zum Hauptmann wählen. Diese Rolle als Außenseiter und Rebell kommt Karl gerade recht. Sein Selbstmitleid schlägt um in Zorn und Rachegefühle, er ist zum Äußersten bereit: »Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, daß mir jemals etwas teuer war!« Das ist das zerstörerische, selbstzerstörerische Programm, das Karl und seine Freunde durch einen Schwur bekräftigen. Sie schwören einander Treue bis in den Tod.
Nachdem der aalglatte Franz seinen Vater auf derart gemeine Weise betrogen hat, will er nun Amalia für sich gewinnen. Zuerst denunziert er Karl bei ihr, dann verteidigt er ihn plötzlich und bietet sich Amalia als treuer Helfer und Anwalt seines Bruders an. Amalia aber erkennt, daß Franz bloß ein verschlagener Schmierenkomödiant ist und wehrt ihn entschieden ab: »Ich verachte dich, geh! Geh, Verräter.«
Da Amalia großen Einfluß auf den alten Moor besitzt, muß Franz nun fürchten, daß sie ihn überzeugt, dem geliebten Sohn zu verzeihen. Sofort verstärkt Franz seinen Psychoterror, um den Vater schneller ins Grab zu bringen. Er macht den Bastard Hermann zu seinem Komplizen, er besticht ihn und gewinnt ihn schließlich für seinen raffinierten Plan: Hermann soll sich verkleidet als Fremder ausgeben, der dem Grafen ein Schauermärchen auftischt. Er erzählt dem alten Moor, er habe Karl im Krieg kennengelernt und sei Zeuge seines ruhmvollen Todes gewesen. Ja, es sei ganz offensichtlich, so Hermann, Karl habe selbstmörderisch den Tod gesucht, da der eigene Vater ihn verstoßen und ihm verboten habe, jemals nach Hause zurückzukehren.
Der alte Moor ist außer sich, am ganzen Körper zitternd ruft er: »Mein Fluch hat ihn in den Tod gejagt!« Nun scheint sich Franz’ perfide Idee zu erfüllen. Der Vater verflucht sich selbst und auch seinen Sohn Franz, den schlechten Ratgeber: »Scheusal, Scheusal, schaff mir meinen Sohn wieder!« Er will Franz die Kehle zudrücken, doch der schleudert den kraftlosen Greis in die Ecke. Amalia versucht zwar, Maximilian Moor zu trösten, doch als sie ihm aus der Bibel vorliest, fühlt er sich erst recht an Karl erinnert. Er fällt, vollkommen erschüttert und kraftlos, in eine totenähnliche Starre. Entsetzt läuft Amalia davon und schreit: »Tot! Alles tot!« Nun glaubt sich Franz am Ziel, denn alle Macht gehört jetzt ihm. Was aber, wenn der Alte gar nicht tot ist? Franz zögert nicht lange und läßt seinen eigenen Vater in eine finstere Gruft werfen, wo er qualvoll verhungern soll.
Karl hat inzwischen als Räuberhauptmann Karriere gemacht und Schuld auf sich geladen. Seine Bande ist gefürchtet, und auf seinen Kopf wurde eine hohe Belohnung ausgesetzt. Doch Karl hat sich über seine Rolle als edler Rächer und Außenseiter selbst betrogen. Banditen besitzen keine weißen Westen, Robin Hood, den edlen Anwalt der Witwen und Waisen, hat es nur als Romanhelden gegeben. Während Karl nur die Mächtigen und Ungerechten strafen will, macht die Mordgier seiner Männer vor niemandem halt. Vor allem der gierige Spiegelberg brüstet sich mit immer neuen Gewalttaten. Als Karls Freund Roller in Gefangenschaft gerät und ihm der Galgen droht, läßt der Hauptmann kurzerhand die Stadt stürmen und rettet den Kumpan vor dem Henker. Doch die Befreiungsaktion wird unversehens zum Blutbad. Die entfesselten Räuber steigern sich in einen entsetzlichen Zerstörungsrausch, selbst junge Mütter und ihre Säuglinge werden gnadenlos abgeschlachtet. Zuletzt ist die Stadt dem Erdboden gleichgemacht, und annähernd hundert unschuldige Einwohner waren rücksichtslos getötet worden.
Karl möchte sich nach dieser Gewaltorgie am liebsten in die Erde verkriechen, sein Gewissen quält ihn: »Pfui über den Kindermord! Den Weibermord! Den Krankenmord!« Innerlich sagt er sich von seiner Bande los, er erkennt, daß er die Verantwortung für ihr Treiben trägt. Doch gerade in dem Augenblick als er fliehen will, wird er aufgehalten. Schüsse fallen, Rufe dringen durch den dunklen Wald, man hört Reiter. Die Räuber sind umstellt, ihre Verfolger haben sie mit erdrückender Übermacht eingekreist. An Flucht ist jetzt nicht mehr zu denken, die Räuber erwarten von ihrem Hauptmann, daß er in diesem Augenblick höchster Gefahr die Rolle des Anführers übernimmt. Karl ist zum Kampf entschlossen.
Da nähert sich ein Priester als Abgesandter der Obrigkeit den Räubern und will sie zur Aufgabe überreden. Doch Karl tritt ihm stolz und trotzig entgegen und bekennt, ohne zu zögern, daß er aus Idealismus mordet. Obwohl er erkannt hat, daß seine Rolle als edler Räuber und Rächer unhaltbar ist, reizt es ihn, gegen diesen selbstgerechten Vertreter der Autorität aufzubegehren. Er brüstet sich mit dem Mord an verkommenen Politikern und Herrschern und wirft dem Priester und seiner Kirche Falschheit, Geiz und Völkermord vor. Daraufhin versucht der Priester, seine letzte Trumpfkarte auszuspielen. Er bietet allen Räubern Freiheit und Vergebung an, wenn sie im Gegenzug ihren unbelehrbaren Hauptmann ausliefern. Mit dieser Forderung stößt er jedoch ins Leere. Karl, der ohnehin das Räuberleben aufgeben wollte, bietet sich freiwillig für die anderen als Opfer an. Doch Roller und Schweizer, jene beiden Räuber, die Karl am nächsten stehen, fordern die anderen auf, ihren Hauptmann zu retten. Die anderen Räuber lassen sich von ihrem Vorbild und ihrer Treue mitreißen: »Rettet, rettet den Hauptmann!« Und obwohl die kaum hundert Räuber weit über tausend bewaffnete Männer gegen sich haben, gelingt es ihnen, sich durchzuschlagen und zu entkommen. Nur Roller verliert sein Leben in der Schlacht.
Franz spielt unterdessen auf dem Schloß den Alleinherrscher und bedrängt die trauernde Amalia gewaltsam. Die ist jedoch nicht gewillt, das wehrlose Opferlamm zu sein und schlägt den gierigen Angreifer mit dem Degen in der Hand in die Flucht. Kaum hat sie sich von der Attacke erholt, als sich der von seinem Gewissen gequälte Hermann herandrängt und ihr gesteht, daß weder Karl noch sein Vater tot ist. Das Lügengebäude sei das Werk von Franz.
Während also die Geschichte für die liebende Amalia eine überraschende Wendung nimmt, suhlt sich ihr Held in Sentimentalität und Selbstmitleid. Am liebsten würde Karl in den Bauch der Mutter zurückkriechen, ein schuldloses, unbeflecktes Baby sein. Aus dieser Stimmung reißt ihn erst ein junger Mann, der sich den Räubern anschließen will. Er heißt Kosinsky und hat ein ähnliches Schicksal wie Karl zu verkraften, auch ihm wurde eine Braut geraubt, die den Namen Amalia trug. Tief bewegt ergreift Karl wieder die verlorengegangene Initiative und befiehlt seinen Männern, mit ihm in die Heimat zu reiten. Er muß Amalia sehen und mit ihr sprechen. Gibt es Hoffnung?