Miranda Dickinson
Fünfzig Dinge, die du tun sollst, wenn ich tot bin
Roman
Aus dem Amerikanischen von Jutta Zniva
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
When I Fall In Love
Copyright © Miranda Dickinson 2012
erschienen bei: Avon Books, New York
Published by arrangement with Avon, an Imprint of HarperCollins Publishers, LLC
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner Gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: Any.way Grafikpartner, Hamburg
Redaktion: Christiane Branscheid
Titelabbildung: iStock
Autorenfoto: © Miranda Dickinson
ISBN 978-3-95649-519-9
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Entschuldigen Sie, Miss?“
Elsie Maynard schaute von ihrer zur Hälfte abgehakten Einkaufsliste auf. Vor ihr stand ein schwergewichtiger Mann vom Sicherheitsdienst und versperrte ihr den Weg. „Hallo. Tut mir leid, aber im Moment bin ich ein wenig in Eile. Wenn Sie also bitte …“
„Ich muss Sie leider bitten, mitzukommen.“
Gerade heute konnte sie so etwas gar nicht gebrauchen. Nicht nur, dass sie mit fünfundvierzig Minuten Verspätung in die Mittagspause gegangen war, weil ein ganz besonders penetranter Waffeltütenverkäufer sie aufgehalten hatte. Nein, obendrein war sie wegen ihrer endlos langen Einkaufsliste so in Eile gewesen, dass sie ohne Schirm losgelaufen war – gerade als der Himmel seine Schleusen öffnete. Und jetzt auch das noch …
„Ich sagte doch schon, ich habe keine Zeit für so was!“
Der massige Wachmann seufzte entnervt und packte sie mit seiner gewaltigen Pranke deutlich zu fest an der Schulter. „Ich muss darauf bestehen, Miss. Ich glaube, Sie haben Waren bei sich, die Sie nicht bezahlt haben. Wenn Sie mich also bitte zurück in den Laden begleiten?“
Wovon zum Teufel redete der Kerl eigentlich? Natürlich hatte sie bezahlt! Wofür hielt er sie denn? Allein schon der Gedanke machte Elsie wütend. Sie öffnete gerade den Mund, um zu protestieren, da mischte sich eine neue Stimme ein.
„Hey. Kann ich behilflich sein?“
Der Sprecher war jung, hatte dunkelbraune Haare und grüne Augen und konnte durchaus als gut aussehend bezeichnet werden. Seine ganze Erscheinung vermittelte den Eindruck, dass man es mit jemandem zu tun hatte, der alles absolut im Griff hatte: von seinem gepflegten Haarschnitt bis hin zu dem perfekt sitzenden Anzug und Mantel. Hinzu kam, dass er frustrierenderweise anscheinend immun gegen den strömenden Regen war, während Elsies dünne Arbeitsuniform und die Strumpfhose mittlerweile völlig durchweicht waren. Über seine Schulter hinweg erhaschte Elsie einen Blick auf eine blonde junge Frau in dem türkis-schwarzen Outfit einer Diner-Kellnerin der Fünfzigerjahre. Sie sah aus, als hätte man ihr gerade einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Elsie rutschte das Herz in die Hose, als ihr klar wurde, dass sie ihr eigenes Spiegelbild im Schaufenster des Ladens sah.
Das Lächeln von Mr Wasserdicht wäre ihr vermutlich willkommen gewesen, hätte sich ihr nicht der Verdacht aufgedrängt, dass er es genoss, wie sie da auf den Eingangsstufen der Drogerie an der Hauptstraße stand: tropfnass, durcheinander und mittlerweile zutiefst verlegen.
„Alles in Ordnung, danke. Es handelt sich nur um ein Missverständnis …“, setzte sie an, aber der menschgewordene Kilimandscharo, der sie aufgehalten hatte, beachtete sie schon gar nicht mehr, sondern versuchte sich der Solidarität des neu aufgetauchten männlichen Mitspielers in diesem Straßentheater zu versichern.
„Sie hat nicht bezahlt“, erklärte er und deutete mit einem seiner Wurstfinger auf die Hämorrhoidensalbe und das Ohrenschmalzlösemittel in Elsies Hand. „Und zwar das da.“
Um Himmels willen! In ihrem Zorn darüber, des Ladendiebstahls beschuldigt zu werden, hatte Elsie völlig vergessen, dass sie genau zwei der möglicherweise peinlichsten Dinge, die man sich nur vorstellen konnte, in der Hand hielt. Aber natürlich hatte sie dafür bezahlt! Oder etwa nicht?
Der junge Mann unterdrückte ein Lächeln, und Elsie spürte, wie sich ihr fast der Magen umdrehte, während ihr kalte Regentropfen in den Kragen liefen und über den Rücken rannen. „Ich bin sicher, das ist wirklich einfach nur ein kleines Missverständnis“, meinte er leutselig lächelnd zu dem kein bisschen lächelnden Hünen, der immer noch Elsies Schulter gepackt hielt. „Schauen Sie, hier haben Sie zwanzig Pfund. Mehr kann das doch nicht kosten, oder?“
Ganz kurz huschte ein milderer Ausdruck über die eiskalte Miene des Wachmanns. „Nun …“
Das Lächeln des jungen Mannes wurde breiter, kaum dass er spürte, wie sein Gegenspieler langsam einknickte. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie jeden Tag so etwas erleben, hmm? Leute, die in der Mittagspause schnell einkaufen, den Kopf aber im Büro gelassen haben. So viele verlockende Dinge in den Läden, und schon machen sie einen winzigen Fehler …“ Damit wandte er sich mit all seiner Aufrichtigkeit Elsie zu. Möglicherweise wollte er sie damit beruhigen, bewirkte aber genau das Gegenteil. „Ich meine, dieses Mädchen scheint doch sehr nett zu sein und nicht wirklich eine typische Ladendiebin, nicht wahr?“
Die Eiseskälte kroch wieder in das Gesicht des Hünen, während er sie musterte. „Es gibt solche und solche.“
„Oh, natürlich, Officer. Aber vertrauen Sie mir. In meinem Beruf habe ich täglich mit allen möglichen Verbrechern zu tun, und ich erkenne sie schon von Weitem. Die hier, Sir, gehört nicht dazu.“
Die hier? Obwohl der gut gekleidete Fremde neben ihr ganz offensichtlich nur helfen wollte, ging er mit dieser unpersönlichen Titulierung für Elsies Geschmack einen gewaltigen Schritt zu weit. „Nun mal ganz langsam …“
Er fiel ihr ins Wort, indem er mit herrischer Geste eine behandschuhte Hand hob. Dabei warf er ihr einen Blick zu, der ihr schreckliche Konsequenzen androhte für den Fall, dass sie seine Geste missachtete. Kochend vor Wut schaltete sie auf stur und funkelte ihn zornig an.
„Nun kommen Sie schon, zwanzig Pfund. Viel mehr können die Sachen doch nicht wert sein, oder?“, fuhr er völlig unbeeindruckt wieder an den Wachmann gewandt fort. „Ich komme auch mit in den Laden, um mir eine Quittung geben zu lassen. Das ist doch wirklich ein faires Angebot.“
Zu Elsies Überraschung zuckte der Hüne nur mit den Schultern und ließ sie endlich los. „Soll mir recht sein“, brummelte er, steckte die Zwanzig-Pfund-Note ein und wandte sich wieder dem Laden zu. „Aber sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie beim nächsten Mal ein bisschen besser achtgeben soll.“
„Wie bitte? Ich bin nicht seine Freun…“
„Aber natürlich. Warte bitte hier draußen, Liebling. Ich bin gleich zurück.“ Mit einem Lächeln, das jeder Zahnpastareklame zur Ehre gereicht hätte, zwinkerte er Elsie zu und folgte dem Wachmann in den Laden.
Fassungslos auf die fragwürdigen Artikel in ihrer Hand starrend, blieb Elsie wie angewurzelt stehen und versuchte zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Im einen Moment war sie auf der Suche nach Baby-Feuchttüchern und Mascara zwischen den Regalen der weitläufigen Drogerie Ecke North Street und Queen’s Road in Brighton umhergehuscht. Im nächsten Moment hatte ein Anruf ihres Vaters sie unterbrochen: Er hatte sie darum gebeten, ihm ein paar peinliche, aber für ihn notwendige Dinge mitzubringen … Vielleicht war sie in Gedanken wirklich woanders gewesen – zumal sie an diesem Morgen eine wichtige Entscheidung getroffen hatte –, aber dennoch war sie sicher, die Artikel bezahlt zu haben. Überhaupt, wer würde auch nur auf die Idee kommen, Hämorrhoidensalbe und Ohrenwachsentferner mitgehen zu lassen? Jedenfalls nicht Elsie Maynard, Assistentin der Geschäftsführerin im Sundae & Cher Eiscafé, aufrechte Bürgerin von Brighton und der letzte Mensch, der in Erwägung ziehen würde, einen Ladendiebstahl zu begehen. Selbst als Teenager hatte sie sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Ihre Angst davor, in Schwierigkeiten zu geraten, wurde nur noch verstärkt dadurch, dass sie miterlebte, welche Folgen die kleineren Fehltritte ihrer zwei älteren Schwestern hatten. Dabei war meistens zu viel Alkohol im Spiel gewesen, und mehr als einmal waren die beiden von einem Streifenwagen zu Hause abgeliefert worden.
„So, alles geregelt.“Der lächelnde Mann war zurück. Der Ausdruck auf seinem Gesicht zeugte von glühendem Triumph, den er vermutlich bezüglich seines ritterlichen Hilfsmanövers verspürte. Er reichte ihr eine Quittung. „Ein hektischer Tag, oder?“
„Ich habe dafür bezahlt“, beharrte Elsie. Die Ungerechtigkeit der Anschuldigung schmerzte immer noch.
„Haben Sie nicht. Aber jetzt ist alles in Ordnung. Ich habe das für Sie geregelt.“
Elsie drückte ihm die Quittung wieder in die Hand, fischte ihre Geldbörse aus ihrer durchfeuchteten Handtasche und blätterte ärgerlich die Quittungen darin durch. „Schauen Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich will auch nicht undankbar sein, aber dieser Kerl war im Irrtum. Ich erinnere mich genau, dass ich diese Dinge mit einer Zwanzig-Pfund-Note bezahlt habe. Das weiß ich, weil ich nur einen Zwanziger dabei hatte, den ich gerade aus dem Geldautomaten geholt habe. Wie Sie sehen, ist er nicht mehr … Oh …“ Das Herz sank ihr bis in die durchnässten Schuhe, als sie die zusammengefaltete Zwanzig-Pfund-Note in ihrer Börse entdeckte. Sie steckte genau da, wohin sie sie gesteckt hatte, nachdem sie am Geldautomaten gewesen und bevor sie die Drogerie betreten hatte.
Die Stimme des jungen Mannes wurde weicher. „Ganz ehrlich, es ist alles in Ordnung. So was kommt in den besten Familien vor.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Torin. Torin Stewart.“
Immer noch unter Schock angesichts der Erkenntnis, unabsichtlich ein Bagatelldelikt begangen zu haben, ergriff Elsie die angebotene Hand. „Elsie Maynard.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Elsie Maynard“, erwiderte Torin grinsend. „Andere Umstände wären mir natürlich lieber gewesen, aber ich bin froh, dass ich helfen konnte. Also, wie wäre es mit einem Kaffee? Sie sehen aus, als könnten Sie einen brauchen, und sie müssten nicht länger im Regen herumstehen.“
Zutiefst beschämt und von dem dringenden Bedürfnis getrieben, sich aus der peinlichen Situation zu befreien, drückte Elsie ihm ihre Zwanzig-Pfund-Note in die Hand und wandte sich ab. „Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich gehen …“
„Hey, warum die Eile?“
„Ich habe Mittagspause. Genauer gesagt, ich hatte Mittagspause. Bis vor etwa zwanzig Minuten“, gab Elsie zurück. Sie hoffte, dass das Tempo, das sie anschlug, ihn davon abhalten würde, ihr die Straße entlang zu folgen.
Zu ihrem Leidwesen ließ Torin sich nicht so einfach abwimmeln. „Ach, kommen Sie schon. Ich habe Ihnen gerade das Leben gerettet. Damit dürfte ich doch wenigstens Anspruch darauf erworben haben, einen Kaffee mit Ihnen zu trinken? Wenn Sie knapp bei Kasse sind, zahle ich natürlich …“
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Blut rauschte in Elsies Ohren, als sie sich abrupt zu ihm umwandte. „Wie bitte? Ich habe genug Geld. Welchen Teil von ‚ich muss jetzt wirklich gehen‘ haben Sie nicht verstanden? Ich komme zu spät zur Arbeit, ich bin völlig durchnässt von diesem saublöden Regen, und – das können Sie mir glauben – jetzt mit Ihnen irgendwohin zu gehen, dazu habe ich nun wirklich absolut keine Lust. Ich habe Ihnen Ihre Auslagen bezahlt. Ich schulde Ihnen also nichts.“
„Ist das der Dank, den Sie für all Ihre Retter übrighaben?“ Das belustigte Glitzern in seinen Augen ließ erneut die Wut in Elsie hochkochen.
„Wofür halten Sie sich eigentlich? Für Lancelot? Und wann hören Sie endlich auf, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen? Ich kann durchaus auf mich selbst aufpassen, wissen Sie. Ich bin keine Jungfrau in Nöten, die sich von einem großen starken Helden retten lassen muss. Auch ohne Ihre Hilfe hätte ich die Sache klären können. Ich wäre zurechtgekommen. Also vielen Dank, dass Sie mir zur Seite gesprungen sind, aber nötig war das ganz und gar nicht.“
Torin blieb wie angewurzelt stehen, was Elsie einen kurzen Moment der Befriedigung verschaffte, während sie sich von ihm entfernte. Na schön, er hatte geholfen, sie aus dem stahlharten Griff des Wachmanns zu befreien, aber musste er so darauf herumreiten? Oder gar versuchen, sie deswegen quasi zu erpressen, mit ihm Kaffeetrinken zu gehen? Also ehrlich, das war mehr als dreist!
„Un-glaub-lich!“, rief er ihr nach.
Elsie stöhnte auf, eilte aber weiter, wich dem mittäglichen Einkaufsverkehr aus und eilte durch den unablässig strömenden Märzregen. Gibt dieser Kerl eigentlich nie auf?
„Ich dachte, Sie könnten meine Hilfe brauchen“, fuhr Torin fort, als er Elsie eingeholt hatte und sie nebeneinander die Straße entlanghasteten. „Und ich habe nichts weiter getan, als zu versuchen, Sie aus einer peinlichen Situation zu befreien und möglicherweise eine Anzeige zu verhindern. Ich muss ein Narr gewesen sein!“
„Sie sagen es“, murmelte Elsie und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er endlich begriff und sie in Ruhe ließ.
„Wenn das keine Undankbarkeit ist! Manche Frauen würden erkennen, dass ich einfach nur ritterlich gehandelt habe.“
„Und manche Frauen würden Sie für einen erbärmlichen Mann auf einem Egotrip halten, der unbedingt seine Überlegenheit beweisen muss. ‚Warte hier draußen, Liebling …‘ Als wäre ich ein dümmliches Flittchen! Chauvinismus hat nichts mit Ritterlichkeit zu tun.“
„Oh, es war also Bevormundung, den Wachmann davon abzuhalten, Sie vor halb Brighton zurück in den Laden zu zerren, richtig?“
Natürlich nicht. Aber Elsie war müde, beschämt, bis auf die Knochen durchweicht und absolut nicht in der Stimmung, diesem lästigen Mann gegenüber, dem der Regen anscheinend immer noch nichts anzuhaben vermochte, klein beizugeben. „Es tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Zeit dafür.“
„Zeit wofür? Sich sagen zu lassen, wie unangemessen Sie sich verhalten?“
Elsie lachte völlig humorlos auf, während sie eine ungünstig aufgestellte Werbetafel für ein Café umkurvte. „Oh, natürlich, ich verhalte mich unangemessen …“
„Ja, natürlich. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Wachmann Sie ganz bestimmt nicht einfach hätte gehen lassen?“
„Woher wollen Sie das wissen? Das können Sie gar nicht wissen!“
Er hielt mit ihr Schritt, sein Gesicht lief rot an, als er sich zu ihr hinüberbeugte. „Das war für jedermann offensichtlich! Man musste doch nur das Leuchten in seinen Augen sehen, um zu erkennen, dass er an Ihnen ein Exempel statuieren wollte. Er hätte möglicherweise die Polizei gerufen, Sie wären angeklagt worden, hätten Strafe zahlen müssen … vielleicht wären Sie anschließend sogar vorbestraft gewesen?“
Elsie blieb abrupt stehen und wandte sich ihm zu. „Okay, das reicht jetzt! Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe heute wichtigere Dinge im Kopf, als darüber nachzudenken, ob ich ins Vorstrafenregister eingetragen worden wäre oder nicht, wenn Sie nicht eingegriffen hätten. Ich habe mich bei Ihnen bedankt, habe Ihnen Ihre Auslagen bezahlt. Was also können Sie jetzt noch von mir wollen?“
Schwer atmend hob Torin beide Hände. „Nichts. Ganz offensichtlich gar nichts.“ Dann trat er sehr zu Elsies Überraschung einen Schritt zurück, verzichtete auf weitere schlagfertige Erwiderungen, drehte sich um und verschwand in der Menge.
Wenn sie nicht die aufrichtige Enttäuschung in seinen Augen gesehen hätte, hätte Elsie die ganze Sache einfach verdrängt. Aber dieser unerwartete Einblick sorgte dafür, dass ihr Gewissen es endlich schaffte, ihre Scham zu übertönen. Sie blinzelte die Regentropfen fort, die ihr aus dem Pony tropften und blieb wie angewurzelt zwischen den hin und her hastenden Einkäufern stehen, während die Ereignisse der letzten zehn Minuten sich wieder und wieder vor ihrem inneren Auge abspielten.
Erst das hartnäckige Läuten ihres Handys holte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück.
„Hallo? Oh, hallo, Dad. Ja, ich habe deine Sachen besorgt. Nach der Arbeit bringe ich sie dir vorbei.“
Nach einem letzten Blick die Straße entlang schüttelte Elsie die nagenden Zweifel ab.
Ein Spinner, sagte sie sich. Ganz eindeutig ein Spinner.
Als Elsie später an diesem Tag ihren Wagen vor dem dreigeschossigen Stadthaus ihres Vaters parkte, hingen dicke graue Wolken am Himmel über Brighton und ließen ihre Regenfracht auf die Straßen der Küstenstadt herniederprasseln. Auf dem Sprint vom Auto zum Haus hatte sie versucht, sich mit ihrer Handtasche über dem Kopf vor dem Wolkenbruch zu schützen. Trotzdem war sie erneut völlig durchnässt, als sie die rot gestrichene Haustür mit den Buntglasfenstern erreichte.
Über der Tür klimperte ein kleines Windspiel, und in der Luft hing der berauschende Duft von angewärmtem Patschuli-Öl und Nag-Champa-Räucherstäbchen. Schon beim Eintreten übten diese vertrauten Gerüche eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Sie wandte sich dem indischen Perlenschnurvorhang zu, der im Zugang zur Küche hing. Schon vor vielen Jahren war sie aus diesem Haus ausgezogen, aber immer noch fühlte sie sich hier daheim.
Jim Maynard strahlte, als Elsie die Küche betrat. Er hatte bereits seinen seriösen Geschäftsanzug gegen sein geliebtes nepalesisch gestreiftes Patchworkhemd sowie eine unförmige Cargo-Hose und leuchtend orange Doc-Martens-Stiefel ausgetauscht. Elsie erwiderte sein Lächeln. So mochte sie ihren Vater am liebsten – in seiner legeren Alltagskleidung und mit seinem heißgeliebten goldenen Ohrring am Ohrläppchen. Diese Version seiner selbst entsprach sehr viel mehr seinem wahren Ich als der hochangesehene Geschäftsmann von Brighton, den er spielte, seitdem er das Möbelgeschäft seines Vaters übernommen hatte, der sich auf Stilmöbel spezialisiert hatte.
„Sieh an, meine allerliebste jüngste Tochter!“, rief er und zog sie in eine seiner berühmten väterlichen Umarmungen, die ihr heute noch willkommener war als sonst. „Hattest du einen angenehmen Tag, Elsie?“
Elsie öffnete eine bunt emaillierte Teedose und hängte zwei Ingwer-Zimt-Teebeutel in eine handbemalte eisvogelblaue Teekanne, die Jim von seiner mittleren Tochter Guin geschenkt bekommen hatte, als sie vor Jahren ihre Töpferei in Shoreham-by-Sea eröffnete. „Einen grässlichen Tag, um ehrlich zu sein.“ Sie lächelte ihren Vater an. „Aber jetzt, wo ich hier bin, fühle ich mich gleich viel besser.“
„Das freut mich, mein Schatz. Ich wusste doch, dass wir heute das Patschuli-Öl brauchen. Setz dich, atme durch und vertrau dich deinem alten Vater an.“ Jim nahm den pfeifenden Kessel vom Gasherd und brühte den Tee auf. „Was ist passiert?“
„Oh, eigentlich gar nichts. Ich hatte heute Mittag nur eine kleine Tortur zu überstehen.“
Ihr Vater war drauf und dran, weiter nachzubohren, als die Küchentür aufgerissen wurde und ein mehrstimmiges „Ladendiebin!“ die Küche erfüllte, gefolgt von lautem Gelächter.
Elsie stöhnte, als sich ihre zwei Schwestern rufend und lachend auf sie stürzten und ihr die Haare zerzausten. Manchmal war es ziemlich ätzend, seinen Schwestern so nahe zu stehen (und ihnen immer alles gleich brühwarm per SMS zu erzählen, was im Laufe des Tages passierte) …
„Unsere kleine Schwester, die Ladendiebin!“, lachte Daisy Maynard, warf die perfekt gestylten blonden Haare zurück, klatschte fröhlich in die schmalen Hände und freute sich diebisch, dass ihre Schwester sich vor Verlegenheit wand. „Ich bin so stolz auf dich!“
„Eigentlich wollten wir dir auf dem Weg hierher im Kostümladen eine coole Tasche und eine Maske besorgen, aber Junior hat beschlossen, Ärger zu machen“, fügte Guin hinzu und klopfte sich leicht auf ihren mächtig runden Bauch. „Der scheint jetzt schon auf deiner Seite zu stehen, Els.“
Trotz ihrer Verlegenheit musste Elsie grinsen und beugte sich vor, um den beachtlichen Babybauch ihrer Schwester zu streicheln. „Du hast Geschmack, Kleiner. Halt dich einfach nur an Tante Elsie, und du bleibst einigermaßen normal.“
„Obwohl sie dich für ihr Verbrechersyndikat rekrutieren wird, ehe du merkst, wie dir geschieht“, fügte Daisy hinzu, und erneut kugelten sie und Guin sich vor Lachen.
„Was redet ihr andauernd von Verbrechen?“ Jim schaute fragend von einer Tochter zur anderen. Er konnte ihrem Gespräch nicht folgen. Nachdem ihre Mutter sich von der Familie getrennt hatte, hatte Jim die Rolle des alleinigen Schiedsrichters im Wirbelsturm der Maynard-Schwestern übernommen und wunderte sich immer noch oft über ihre scheinbar endlose Energie und das halsbrecherische Tempo ihrer Unterhaltungen.
„Unsere kleine Schwester wäre heute beinah wegen eines Ladendiebstahls verhaftet worden“, erklärte Guin und ließ sich stöhnend auf einen Stuhl am Küchentisch sinken. In ihren blauen Augen blitzte der Schalk, während sie ein Haarband von ihrem Handgelenk abstreifte und ihre blonden Locken zu einem losen Knoten im Nacken zusammendrehte. „Wer hätte das gedacht, hmm? Ausgerechnet unsere kreuzbrave Elsie ist eine Meisterverbrecherin.“
„Es handelte sich um ein Missverständnis“, widersprach Elsie. „Ich bin mit der Situation fertiggeworden.“
„Tatsächlich? Du bist damit fertiggeworden?“, fragte Daisy, die Brauen hochgezogen.
„Ja“, gab Elsie fest zurück und wünschte sich erneut, sie hätte die beiden am Nachmittag nicht so umfassend mit einer ganzen Reihe von SMS über das Geschehen informiert. „Mir ging unheimlich viel durch den Kopf, und ich hatte ehrlich geglaubt, ich hätte bezahlt. Schließlich kam dann aber heraus, dass ich das irgendwie versäumt hatte.“
„Oh.“ Jim verteilte Becher mit Tee. Er wusste offensichtlich nicht, wie er auf diese Eröffnung reagieren sollte. „Tja, man lernt nie aus, nicht wahr?“
Von plötzlicher Dankbarkeit und Liebe zu ihrem Vater erfüllt, drückte Elsie ihm die Hand, als sie den Teebecher entgegennahm. „Richtig. Du siehst also, Dad, jetzt ist alles in Ordnung.“
„Freut mich zu hören. Anderes Thema. Ich habe gestern Abend gebacken. Besteht eine klitzekleine Chance, dass ich euch zu einem Stück Bananen-Walnuss-Brot überreden kann?“
Dieser Vorschlag löste allgemeine Begeisterung aus, und Jim öffnete hocherfreut eine alte Pralinendose von Cadbury Roses, um seine neueste kulinarische Kreation zu servieren. Während er und Guin miteinander plauderten, griff Daisy nach Elsies Hand und zog ihre Schwester in den kleinen Flur hinter der Küche.
„Also?“, fragte sie, verschränkte die schlanken Arme vor der Brust und musterte Elsie mit dem klassischen Verhörblick der älteren Schwester.
Aber damit brauchte sie Elsie nicht zu kommen. Im Laufe der Jahre war sie Daisys Einschüchterungsversuchen unzählige Male erfolgreich begegnet, und sie würde sich nicht ausgerechnet heute von ihr kleinkriegen lassen. „Also was?“
„Du weißt, was, Elsie Maynard. Warum hast du den Typen nicht erwähnt?“
Elsie zuckte die Achseln. „Das braucht Dad nicht zu wissen.“
„Wie kommst du denn darauf? Dieser gut aussehende Fremde hat dich davor bewahrt, verhaftet zu werden, verdammt noch mal!“
„Schhh! Red doch bitte leiser … Ich habe übrigens nie behauptet, dass er gut aussieht.“
In einen scharfen Flüsterton verfallend, musterte Daisy ihre Schwester kritisch. „Das sehe ich anders. Davon abgesehen, warum regst du dich überhaupt so auf? Weißt du, es ist doch nichts dabei zuzugeben, dass du Hilfe gebraucht hast. Hilfe zu brauchen ist kein Makel. Das bedeutet doch nicht, dass du nicht zurechtkommst oder so …“
Elsie hatte genug gehört. „Lass gut sein, Dais! Lass uns einfach … für eine Weile das Thema wechseln.“
Daisy gab nach und legte ihrer Schwester einen Arm um die Schulter. „Na gut, Süße. Es tut mir leid. Also, war er attraktiv?“
„Daisy!“
„Ach, komm schon, Elsie, lass mich nicht neugierig sterben!“
„Ich schätze ja. Auf nervige, wasserfeste Weise. So genau habe ich nun auch wieder nicht hingeschaut.“
Ein undefinierbarer Ausdruck huschte über Daisys Gesicht. „Gut. Das ist gut.“
Später, als die Maynards alle zusammen im großen Esszimmer im ersten Stock am Esstisch saßen und eine Gemüse-Tajine mit Tabouleh und Perlcouscous aßen (eins von Jims ganz besonderen Lieblingsgerichten), beschloss Elsie die Entscheidung zu verkünden, die sie in Gedanken so beschäftigt hatte, dass sie um die Mittagszeit versehentlich zur Ladendiebin geworden war. Schon seit einer Woche ging ihr diese Sache permanent durch den Kopf. Genau genommen, seitdem sie sich dazu durchgerungen hatte, nach achtzehnmonatiger Wartezeit endlich die kleine satinbespannte Pralinenschachtel neben ihrem Bett zu öffnen. Heute Morgen hatte sie die Entscheidung getroffen: Es wurde Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, zu neuen Ufern aufzubrechen …
„Also, hört alle mal her. Ich bin froh, dass ihr alle hier seid – und schon sitzt –, denn ich habe euch etwas zu sagen.“ Sie lächelte, als sie die angespannten Gesichter ihrer Lieben sah. „Keine Angst, es handelt sich um gute Nachrichten. Glaube ich jedenfalls.“ Sie atmete tief durch, um sich selbst zu beruhigen. „Ich habe beschlossen, wieder mit Männern auszugehen.“
„Oh, Els …“ Guin lief rot an, und sie brach zur großen Belustigung ihrer Schwestern in Tränen aus. Seit sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, hatte sich die normalerweise so pragmatische mittlere Maynard-Schwester in ein emotionales Wrack verwandelt, das über alles und nichts in unkontrollierbares Schluchzen verfiel, ob es nun um irgendwelche Lieder im Autoradio, Fernsehwerbung für Hunde- und Katzenfutter oder Sofas ging. Lachend über ihre eigene emotionale Labilität, nahm sie die Schachtel Papiertaschentücher entgegen, die ihr Vater immer für solche Gelegenheiten bereithielt, und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Junge, ich bin ja so eine Heulsuse! Ich hoffe nur, dass diese ständige Flennerei mein Baby nicht traumatisiert. Dabei freue ich mich doch einfach nur so sehr für dich, Liebes.“
Jim beugte sich über den Tisch und griff nach Elsies Hand. „Mein tapferes Mädchen. Und es geht dir auch wirklich gut dabei?“
Elsie spürte, dass sie zitterte, aber sie wusste dennoch: Ja, es ging ihr gut dabei. „Ich habe tierische Angst – ich meine, ich habe keine Ahnung, wie ich dabei vorgehen soll oder wie man das heute überhaupt anstellt –, aber es fühlt sich richtig an.“
„Wir helfen dir“, sagte Daisy und nickte heftig. Dieser Vorschlag machte Elsie allerdings eher noch mehr Angst. Daisy bildete sich nämlich ein, für jeden den richtigen Partner finden zu können, obwohl etliche ihrer Kuppelversuche im Freundeskreis zu grässlichen Verabredungen und bitteren Trennungen geführt hatten. Andererseits, so nahm Elsie ihre Schwester in Schutz, wie sollte eine Frau, die so mühelos wunderschön war wie Daisy Maynard, erfolgreich Karriere gemacht und seit Ewigkeiten einen wohlhabenden Projektentwickler zum Freund hatte, auch Ahnung davon haben, welche Gefahren das Ausgehen mit Männern mit sich bringen konnte?
„Versprich mir eins, Liebling: Halte dich von diesen grässlichen Internet-Partnersuchen fern“, warf Jim ein. Seine drei Töchter reagierten schockiert. „Nein, ich meine das ernst. Ich habe mich letztes Jahr auf zwei Online-Dating-Plattformen registriert, und meine Erfahrungen waren äußerst enttäuschend.“
Die unerwartete Eröffnung, dass Jim heimlich Online-Dating betrieben hatte, lenkte das Gespräch kurzfristig in eine andere Richtung. Das gab Elsie eine kurze Verschnaufpause, um ein wenig zu entspannen, während ihre Schwestern ungläubig nachhakten. Nachdem sie eine ganze Woche davor gebangt hatte, ihrer Familie zu erzählen, was sie vorhatte, empfand sie jetzt einen seltsamen inneren Frieden. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen, und diese Entscheidung war eine wichtige.
Ich liebe dich, weil du mutig und stark bist und immer weißt, was du tust.
Kuss.
Das war die erste Botschaft in dem Stapel Papierzettel, der fein säuberlich in der ehemaligen Pralinenschachtel verstaut war. Sie stand auf dem Zettel, der Punkt 50 auf ihrer Liste enthielt:
50. Die Botschaften in der Schachtel lesen – und zwar alle.
Achtzehn Monate hatte Elsie gebraucht, um sich dazu durchzuringen, die Schachtel zu öffnen. Irgendwie hatte der Gedanke an all die ungelesenen Mitteilungen etwas seltsam Tröstliches. Als sie am vergangenen Montag beschlossen hatte, auch die vorletzte Sache auf der Liste abzuhaken, fühlte sie sich, als wäre sie mit einem alten Freund wiedervereint worden. Und sobald sie die erste Nachricht gelesen hatte, wusste Elsie, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war. Die Nachricht machte hundertprozentig Sinn – und sie wusste sofort, was sie zu tun hatte.
„Wow“, stieß Cher Pettinger aus, die Eignerin von Sundae & Cher, als Elsie ihr eine Woche nach dem Zwischenfall mit dem Ladendiebstahl erzählte, was sie beschlossen hatte. „Und du bist sicher, dass du bereit bist, dich wieder in diese haiverseuchten Gewässer zu stürzen?“
„Tja, wenn du es so ausdrückst, wie könnte ich da widerstehen?“
„Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint.“ Cher schüttelte den Kopf und brachte damit ihre toupierte Bienenkorbfrisur im Stil der Sechziger heftig ins Schwanken. „Es ist nur so, weißt du, wenn du schon drei Scheidungen hinter dir hast so wie ich, dann wird der ganze Zirkus ums Ausgehen mit Männern eher zu einer Übung, wie man am besten Volltrotteln aus dem Weg geht, als alles andere.“
Elsie lächelte ihre Chefin an, während ihr wieder einmal bewusst wurde, wie sehr der Mangel an Erfolg bei Verabredungen mit Männern im Gegensatz zu der selbstbewussten Persönlichkeit der Mittvierzigerin stand, die von Kopf bis Fuß in Vintage-Klamotten von Dior gekleidet war. „Ich behalte das im Hinterkopf. Wie läuft es mit deiner neuesten Flamme?“
Cher verzog das Gesicht zu einer Grimasse und stellte einen Behälter frisch zubereitete Eiscreme der Hausmarke Apfel-Zimt-Muskat in die gläserne Auslagevitrine. „Das sah alles so vielversprechend aus, bis mir klar wurde, dass er noch bei seiner Mutter wohnt. Zweiundvierzig Jahre alt – und schläft noch in einem Zimmer mit He-Man-Tapeten an der Wand.“
„Ich werd’ verrückt!“
„Glaub mir, Kleines, das ist der reinste Dschungel da draußen. Aber du kennst mich ja: stets optimistisch und abenteuerlustig.“
Cher Pettingers Beziehungsgeschichte las sich wie ein abschreckender Roman über die Gefahren der Partnersuche. Dreimal verheiratet und geschieden, hatte sie es mit einer ganzen Reihe hoffnungsloser Fälle zu tun bekommen. Das begann beim Eigentümer des örtlichen Spielsalons, der eine seltsame Vorliebe für lebensgroße Puppen hegte. Dann ging es weiter mit dem jugendlichen Immobilienmakler, der davon überzeugt war, dass das MI5 ihn überwachte, bis hin zu dem alternden Schürzenjäger von Hotelier, der sich als notorischer Bigamist entpuppt hatte. Aber Cher war absolut engagiert bei ihrer Partnersuche und stürzte sich trotz allem immer wieder mutig in den Dschungel voller Trottel, um ihre wahre Liebe zu finden.
Elsie mochte ihre Chefin sehr, trotz Chers berüchtigten trockenen Humors, der ihr in North Laine einen furchterregenden Ruf eingetragen hatte. Sie war keck, selbstbewusst und ging unerschrocken durchs Leben. Und in Elsie hatte sie eine Gleichgesinnte gefunden. Cher hatte von ihrer schrulligen Tante Lucy „Skyflower“ Pettinger ein veganes Hippie-Café in der farbenfrohen Gardner Street geerbt. Gemeinsam mit Elsie hatte sie es in den letzten drei Jahren in ein Eiscafé im Retro-Stil verwandelt. Inzwischen war es bei den Bewohnern von Brighton unheimlich beliebt und zu jeder Jahreszeit gut besucht.
Sundae & Cher war vollgestopft mit Erinnerungsstücken an die Fünfziger- und Sechzigerjahre. An der Wand hinter der grünen Glastheke hingen goldgerahmte Fotos von Elvis und Frankie Valli. Der Fußboden war schwarz-weiß im Schachbrettmuster gekachelt und die Tische mit Decken im gleichen Muster verziert. In einer Ecke stand eine nachgebaute Wurlitzer Jukebox und die mit rotem Leder bezogenen Stühle aus glänzendem Chrom vollendeten das Bild. So strahlte das Café altmodischen Chic aus und wirkte zugleich modern und cool. Elsie genoss immer wieder den Gesichtsausdruck der Leute, wenn sie zum ersten Mal das Café betraten. Das Entscheidende war aber natürlich, dass das Eis, das sie hier verkauften, ausschließlich hausgemacht war. Es wurde in der Kellerküche zubereitet, in der eine große Eismaschine und ein gewaltiger Gefrierschrank standen. Das bedeutete nämlich, dass Sundae & Cher Geschmackssorten anbieten konnten, die niemand sonst in Brighton im Angebot hatte. Außerdem änderten sie regelmäßig ihr Angebot und entwickelten neue Sorten, um ihre enthusiastischen Kunden bei der Stange zu halten. Von Popcorn über Ahornsirup-Banane bis hin zu so etwas Ausgefallenem wie Blauschimmelkäse mit Walnuss und Tomaten-Basilikum-Oliven-Eis, die einzigartigen Sorten, die Sundae & Cher anbot, waren ein beliebtes Gesprächsthema in der bekannten Küstenstadt. Wenn man dann noch die mühelos entspannte und fröhliche Atmosphäre im Eiscafé mit in Betracht zog, konnte man leicht verstehen, warum Sundae & Cher so perfekt in die farbenfrohe und unkonventionelle Gardner Street passte.
Cher war völlig besessen von der Mode der Fünfziger und Sechziger. Stolz trug sie Vintage-Stücke, die sie in einer der Nostalgie-Boutiquen in den Straßen des berühmten Einkaufsviertels von Brighton aufgestöbert hatte. Auch ihr Zuhause kam einer Kultstätte für Retro-Kitsch gleich. Wo sie ging und stand, ließ sich nicht übersehen, wie sehr sie diese Dinge liebte.
Von daher wirkte sie absolut glaubwürdig, wenn sie hinter dem Glastresen von Sundae & Cher stand – und Elsie genauso in ihrer kurzärmeligen schwarzen Bluse mit dem weißen Kragen und den weißen Manschetten, dem türkisfarbenen Tellerrock aus Satin und der weißen Rüschenschürze. Es machte Spaß, sich so für die Arbeit zurechtzumachen, und obwohl die Tage lang und anstrengend waren, stand Elsie mit Begeisterung hinter Chers nostalgischer Geschäftsidee. Es war, als hätte Chers herausragender Tatendrang Besitz von Inventar und Einrichtung des Eiscafés ergriffen: Alles strahlte Optimismus und Freude aus, und das war Elsie in den vergangenen achtzehn Monaten eine wertvolle Hilfe gewesen.
Heute war sie sich ihrer Entscheidung sicherer als je zuvor, während sie farbenfrohe Kugeln hausgemachter Eiscreme in tiefblaue Glaseisbecher drapierte.
„Also, soll ich mich für dich umsehen?“, fragte Cher und dekorierte nebenher die Eisbecher mit schokoladengefüllten Waffelröllchen. „Ich glaube nämlich, ein paar passende Herren zu kennen. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass du nicht auch auf eigene Faust jemanden finden könntest, verstehst du? Aber ein bisschen Hilfe kann nie schaden.“
Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann mittleren Alters hüpfte über die schwarz-weißen Bodenfliesen auf sie zu. „Guten Morgen, die Damen!“
„Und da ist auch schon der Erste“, meinte Cher augenzwinkernd. „Dennis, mein Schatz. Wie geht es unserem morgendlichen Lieblingskunden?“
Röte überzog die Wangen des Angesprochenen. „Sehr gut, wie immer, wenn ich dich sehe, meine Liebe.“
Cher gab sich schüchtern und klimperte mit ihren falschen Wimpern. „Was für ein Charmeur! Also, womit kann ich dich heute in Versuchung führen?“
Sein Blick huschte gierig über die vor ihm liegenden mächtigen Eisberge in allen Regenbogenfarben (und vielleicht auch ganz nebenbei etwas eingehender über Chers ebenso mächtigen Busen). „Ach, die Qual der Wahl. Ich glaube, ich nehme etwas von euren fantastischen Frühstücksbackwaren. Schließlich ist es noch sehr früh am Morgen.“
„Gute Wahl. Und was dazu, Dennis?“
Elsie kannte das Drehbuch für diese Unterhaltung in- und auswendig. Jeden Montag- und Donnerstagmorgen, immer genau um neun Uhr, kam Dennis Keith auf dem Weg in das kleine Buchhaltungsbüro, in dem er arbeitete, bei Sundae & Cher vorbei. Was er eigentlich wollte, waren drei Kugeln Eis zu seinem Frühstücks-Schokocroissant, aber sein Sinn für britische Korrektheit und sein Gewissen ließen niemals zu, dass er diesen Wunsch direkt äußerte. Stattdessen begann jedes Mal ein gut einstudiertes Schachern, nur damit er sich hinterher damit beruhigen konnte, gar nicht gierig gewesen zu sein, sondern einfach nur Cher einen Gefallen getan zu haben, indem er auf ihren Vorschlag einging. Schließlich konnte er doch nicht einfach ihre Gefühle verletzen, indem er das angebotene Eis ausschlug.
„Ich überlege, ob ich eine Kugel von eurem exzellenten gelato zum Frühstück nehmen könnte?“
„Aber natürlich, mein Lieber. Welche Sorte soll es denn sein?“
Dennis gab sich schrecklich unentschlossen, hüpfte nach links und rechts, während er die Auswahl begutachtete. „Vanille – nein, halt – Mango-Ingwer sieht ganz besonders einladend aus … Aber dann ist da noch Schokoladen-Sternenstaub … oh, oh, diese Qual der Wahl!“
Cher lehnte sich gerade so weit über die Theke, dass sie kurz seinen Blick von der Eiscreme ablenkte. „Dennis, du weißt, dass ich beleidigt bin, wenn du nicht alle drei Sorten probierst …“
Mission erfüllt. Seine Augen funkelten, während er so tat, als sei er überrascht. „Ernstlich? Nun, in dem Fall kann ich natürlich schlecht Nein sagen.“
Als er glücklich an einen der Tische entschwand, wirbelte Cher ihren Eisportionierer um ihre Finger wie ein Scharfschütze des Wilden Westens seinen Revolver. „Siehst du? Kenne ich mich mit Männern aus oder nicht?“
Elsie grinste und griff nach einer Speisekarte, die über und über mit rosa Haftnotizzetteln beklebt war. „Daran habe ich nie gezweifelt. Denkst du wieder darüber nach, die Speisekarten neu zu gestalten?“
Cher reichte ihr eine Tasse Tee. „Nicht die Karten. Die Karte.“
„Wie bitte?“
„Ich habe mir überlegt, dass wir etwas Neues wagen könnten. Versuchen könnten, unser Angebot ein bisschen zu erweitern. Jetzt, wo es auf Ostern zugeht, scheint mir die Zeit gekommen, eine Art Frühjahrsputz zu veranstalten.“
Elsie schaute sich die schriftlichen Anmerkungen auf den rosa Haftnotizen an. „Mir gefällt die Idee, Porridge und Pfannkuchen zum Frühstück anzubieten. Schließlich steht nicht jeder schon am frühen Morgen auf Eis so wie Dennis.“
„Ich habe unsere Freunde bei Cupcake Genie um ein paar saisonale Spezialitäten für uns gebeten, und in einige ihrer Ideen kann ich unsere Eiscremesorten mit einbinden“, fuhr Cher fort. Ihre Augen funkelten vor Begeisterung. „Und dann wäre da noch was …“ Sie eilte in die Küche hinter der Theke, kam kurz darauf mit einer weiß bereiften Tupperdose zurück, öffnete den Deckel, löffelte ein wenig zart-fliederfarbenes Eis heraus und reichte es Elsie. „Probier mal.“
Der Geschmack war unglaublich – ein Aroma von zerdrückten Veilchen- und Rosenblüten. „Wow, das ist umwerfend.“
„Biologisch und kuhmilchfrei“, strahlte Cher. „Ich habe dafür Mandelmilch benutzt. Das funktioniert mit all unseren Geschmacksrichtungen, und wir haben damit etwas, was niemand sonst in Brighton anbietet. Außerdem habe ich eine Crêpe-Pfanne bestellt. Dann können wir frisch zubereitete Crêpes mit Eis, frischem Obst und nahezu jedem unserer Toppings anbieten. Das wird toll aussehen, und im Café wird es nach heißen Crêpes duften! Wenn das gut läuft, wer weiß? Hausgemachte Waffeln, Eis zum Mitnehmen, noch ein paar mehr Sorten von deinen fantastischen Cookies – alles ist möglich.“
„Klingt ganz so, als hättest du dir das alles sehr gründlich überlegt. Und wann willst du all diese Änderungen an der Speisekarte vornehmen?“, fragte Elsie.
„Vorläufig noch lange nicht. Ich arbeite zurzeit daran, alle meine Ideen zu bündeln. Außerdem möchte ich auch von dir Vorschläge hören. Dies muss ein gemeinsames Projekt werden, einverstanden?“ Sie schaute hinüber in die Ecke des Cafés, in der Dennis selig in seinem Frühstück schwelgte, ohne von Schuldgefühlen geplagt zu werden. „Wenn doch nur alle unsere Gäste so leicht zufriedenzustellen wären wie Dennis, hmm?“
Elsie grinste. „Vielleicht sollten wir ihn zu unserem Chefberater für die Speisekarte machen.“
„Du machst Witze! Dann würden wir ihn ja nie mehr loswerden!“
„Stimmt auch wieder.“ Elsie legte die Speisekarte zurück auf den Tresen. „Neues wagen ist also das Motto.“
Das Zwinkern, mit dem Cher sie bedachte, war ausgesprochen unflätig. „In jeder nur denkbaren Hinsicht, Mädchen.“
Am Samstagmorgen traf Elsie sich mit Daisy zum Frühstück im Driftwood Café am Strand nahe des Brighton Marine Palace and Pier. Wie immer wirkte Daisy, als wäre sie von einem Team aus Kosmetikern und Modeschöpfern eingekleidet und hergerichtet worden. Ihre schlichte weiße Bluse war makellos glatt und passte elegant zur dunklen eng anliegenden Jeans und den Halbschuhen. Ein breiter Paschminaschal aus Seide vervollständigte ihr Outfit. Elsie hatte ihre älteste Schwester schon immer bewundert und sich in ihrer frühen Teenagerzeit lange bemüht, Daisys Stil nachzuahmen. Mit sechzehn entdeckte sie dann die abgedrehten Modeboutiquen in North Laine und fand mit deren Hilfe ihren eigenen Stil. Heute trug sie ein niedliches, mit Kirschmuster bedrucktes Kleidchen über lose sitzenden Jeans, dazu ihre heiß geliebten roten Converse-Sportschuhe und einen hellgrünen Cardigan, um sich vor der kühlen Meeresbrise zu schützen. Ein scharlachrotes Band hielt ihre Haare in einem Pferdeschwanz zusammen. Gut zehn Zentimeter kleiner als ihre Schwester, sah Elsie ihr dennoch überraschend ähnlich. Sie beide kamen nach ihrer schon lange abwesenden Mutter mit ihren hohen Wangenknochen und den großen indigoblauen Augen. Ihre Schwester Guin hingegen war ein Abbild ihres Vaters: groß, athletischer Körperbau und dichtes, welliges blondes Haar, um das ihre Schwestern sie glühend beneideten, denn Locken kannten deren völlig glatte Strähnen nicht einmal vom Hörensagen.
Die Vormittagssonne wärmte die Terrasse des Cafés, während Daisy Tee aus einer skurrilen getupften Teekanne in zwei übergroße Tassen goss.
„Ich hoffe, dir ist aufgefallen, dass ich mir das erste Mal seit fünf Monaten an einem Samstag freigenommen habe“, erklärte Daisy und schob eine der Tassen über die Mosaiktischplatte zu ihrer Schwester hinüber. „Du solltest dich sehr geehrt fühlen.“
„Das tue ich.“
„Gut.“ Daisy rührte ihren Tee um und behielt Elsie dabei genau im Auge. „Und? Wie geht es dir mit allem so? Das ist eine ernst gemeinte Frage, Els. Ich erwarte also, dass du mir nichts vorspielst, so wie du es Dad und Guin gegenüber getan hast.“
„Mir geht es gut. Nun schau mich nicht so an. Mir geht es wirklich und ganz ehrlich gut.“
Daisy war mit dieser Antwort keineswegs zufrieden. „Dann erklär mir doch – denn ich bin mir nicht sicher, dass ich es verstehe –, was dich dazu bewogen hat, wieder mit Männern ausgehen zu wollen?“
„Ich habe angefangen, die Nachrichten in der Schachtel zu lesen.“
Klappernd fiel Daisys Teelöffel auf die Untertasse. „Oh. Wow!“
„Ja, ich weiß. Und es fühlt sich gut an. Als wäre der richtige Zeitpunkt gekommen, weißt du? Heute Morgen habe ich die zweite Botschaft gelesen, und sie passt genial. Schau …“ Damit zog sie einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Geldbörse und schob ihn über den Tisch.
Ich liebe dich, weil du furchtlos bist und nie Angst davor hast, etwas Neues zu beginnen.
Kuss.
Für jemanden, der dafür berühmt war, seine Gefühle bestens unter Kontrolle zu haben, sah Daisy verflixt danach aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Der Zettel zitterte leicht in ihren Fingern, während sie die Botschaft las, und sie schwieg eine ganze Weile. „Was für eine schöne Aussage …“
„Wenn auch nicht sonderlich überraschend.“
„Nein, das wohl nicht.“ Daisy reichte Elsie den Zettel zurück. „Ich weiß, das klingt jetzt reichlich seltsam, wenn man alles bedenkt, aber du hast wirklich unglaubliches Glück. André hat in all der Zeit, die ich ihn kenne, noch nie so etwas zu mir gesagt.“
„Würdest du dir denn wünschen, dass er es täte?“
„Oh, ich weiß nicht. Manchmal denke ich, es wäre ganz nett, mal zu hören, was er für mich empfindet, aber dann wieder sage ich mir einfach, dass wir zu den Paaren gehören, bei denen das nicht so läuft. Es ist ja auch nicht das, was wirklich wichtig ist.“ Damit wischte sie das Thema mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite, als wäre es eine lästige Fliege. „Und? Was wirst du mit dieser Botschaft anfangen?“
„Ich muss etwas Neues beginnen.“
„Zum Beispiel?“
Elsie sog tief die salzige Luft ein, die von den in der Ferne auf den steinigen Strand brandenden Wellen aufstieg. Über ihnen kreiste ein kreischendes Pärchen Möwen. „Ich habe keine Ahnung. Aber ich glaube, wenn ich etwas Neues beginne, könnte mir das helfen, mich wieder als eigenständige Person zu betrachten. Verstehst du?“
„Du bist eine eigenständige Person …“, setzte Daisy zum Protest an.
„Ja, das weiß ich doch. Aber vor mir liegt jetzt dieses ganze unerwartete Leben, und ich sollte mir darüber klar werden, was ich damit anfangen will. Ich muss einfach dahinterkommen, was als Nächstes geschieht.“
Daisy schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich erstaunlich. Wie du mit alledem fertiggeworden bist … also, ich halte das für fantastisch.“ Verlegen über ihren eigenen Gefühlsausbruch redete sie rasch weiter. „Hast du schon darüber nachgedacht, was du gern tun würdest?“
„Ein wenig. Bisher ist mir aber nur eine Sache eingefallen, die nicht wirklich etwas Neues ist.“
„Schieß los.“
Aufregung bemächtigte sich ihrer, und sie fuhr fort. „Schön. Erinnerst du dich noch, wie wir als Kinder immer diese grässlichen Musikshows für Dad aufgeführt haben?“
„Sonntagnachmittags! Das hatte ich ganz vergessen!“ Daisy klatschte in die Hände und lachte so laut, dass ein vorbeieilender Kellner fast sein Tablett hätte fallen lassen.
Um Elsies achten Geburtstag herum wurden die Sonntagnachmittage im Haus der Maynards zu Musikspektakeln. Daisy, die damals zwölf war, hatte sich gerade einem Kindertheaterclub angeschlossen, der zur örtlichen Methodistenkirche gehörte. Sie war fest davon überzeugt, ihr sei es bestimmt, eines Tages im Rampenlicht des West End zu stehen. Wie bei fast allem, was in ihrer Kindheit geschah, waren die Produktionen der Maynard-Schwestern von Daisy angestiftet. Sie dienten ihr vor allem als Mittel, ihre eigenen Schauspielkünste vorzuführen, und ihre beiden Schwestern bekamen die Nebenrollen aufs Auge gedrückt. Nicht, dass es ihnen etwas ausgemacht hätte. Sie beide liebten und bewunderten ihre selbstbewusste, willensstarke Schwester. Woche um Woche wurde das Sonntagstheater noch enthusiastischer und kunstreicher. Elsie und Guin führten nach und nach Kostüme ein, wackeläugige Sockenpuppen und schließlich auch Musik. Als Elsie zwölf war, war sie auf den Posten des Musikdirektors aufgestiegen. Dann spielte sie auf dem permanent verstimmten Klavier im Esszimmer, während ihre Schwestern tanzten und sich maßlos theatralisch durch langatmige selbst geschriebene Produktionen schauspielerten.
„Armer Dad“, lachte Daisy. „Kaum zu glauben, dass er das tatsächlich Woche für Woche über sich ergehen lassen hat.“
„Als Publikum war er aber großartig. Jeden Sonntag stehende Ovationen, weißt du noch?“, meinte Elsie grinsend.
„Wie könnte ich das je vergessen? Du denkst aber nicht daran, die Sonntagsspektakel wieder aufleben zu lassen?“
„Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob Brighton für so experimentelles Theater bereit ist. Aber ich dachte, ich könnte mich vielleicht einer Theater- oder Musiktheatergruppe anschließen. An Musicals hätte ich wirklich großen Spaß – obwohl meine alten Stimmbänder schon seit Jahren nicht mehr gefordert wurden. Außerdem wäre es gut, neue Leute kennenzulernen, mal wieder rauszukommen. Mit irgendetwas muss ich anfangen, und wenn ich etwas tue, das mir Spaß macht, scheint mir das ein guter Anfang zu sein. Selbst wenn meine Stimme nach all den Jahren ziemlich zu wünschen übrig lässt.“