Iny Lorentz
Die Liebe der Wanderapothekerin 6
Tengenreuth
Knaur e-books
Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb begeisterte. Mit »Die Wanderhure« gelang ihnen der Durchbruch; der Roman erreichte ein Millionenpublikum. Seither folgt Bestseller auf Bestseller. Die Romane von Iny Lorentz wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen ihrer »Wanderhuren«-Romane, der »Pilgerin« und zuletzt »Das goldene Ufer« haben Millionen Fernsehzuschauer begeistert. Im Frühjahr 2014 bekam Iny Lorentz für ihre besonderen Verdienste im Bereich des historischen Romans den »Ehrenhomerpreis« verliehen. Die Bühnenfassung der »Wanderhure« in Bad Hersfeld hat im Sommer 2014 Tausende von Besuchern begeistert und war ein Riesenerfolg.
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© 2016 der E-Book-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
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Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic®, München
ISBN 978-3-426-44034-6
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Hyazinth von Tengenreuth blickte über den Wald, dessen mächtige Stämme an einem anderen Ort bares Geld bedeutet hätten. In dieser Einsamkeit aber war es unmöglich, die Bäume zu schlagen und dorthin zu schaffen, wo sie gebraucht wurden. Der Gedanke, dass ihm von den Besitzungen seiner Familie nur dieses alte Schloss und der nutzlose Wald geblieben waren, brannte wie Feuer in ihm und übertraf mittlerweile sogar die Trauer um seine Gemahlin und seine Kinder. Die sind bei Gott, hatte ihm sein früherer Schwager Thannegg erklärt, als er diesen auf stetes Drängen hin in seinem Jagdgebiet Grimmwald aufgesucht hatte. Damals war er für dessen Ratschläge noch nicht offen gewesen. Nun fand er jedoch selbst, dass er bald eine zweite Ehe eingehen musste, wenn das Geschlecht derer von Tengenreuth nicht mit ihm enden sollte. Vorher aber wollte er diejenigen vernichten, die ihm seine Güter genommen hatten und seitdem von ihrem Raub profitierten.
»Zwei der Hauptschurken sind tot. Bei Mahlstett aber hast du bisher versagt«, schalt er seinen Vertrauten Ludwig.
Dieser nickte mit verkniffener Miene. »Es wird schwer werden, Mahlstett zu töten. Ich würde gerne wieder einen Buckelapotheker nehmen, denn dann würden sie im ganzen Reich als mörderische Scharlatane gelten.«
»Es reicht, dass wir Just für Engstlers Tod verantwortlich machen konnten. Mehr Strafe braucht es nicht!«
Tengenreuths Tonfall verriet deutlich, dass er mit den Laboranten und Buckelapothekern aus den Schwarzburger Fürstentümern abgeschlossen hatte. Da Ludwig den Arzneien, die Rumold und Tobias Just herstellten, Schuld am Tod seiner Frau und seines Sohnes gab, gefiel ihm die Haltung seines Herrn ganz und gar nicht. Tengenreuth mochte seine Familie vergessen haben, aber ihn schmerzte der Verlust noch immer tief, und sein Rachedurst war noch lange nicht gestillt. Gegen Mahlstett empfand er jedoch keinen Hass.
»Du hast Engstler und Schüttensee der Gerechtigkeit zuführen können. Es wird dir auch bei Mahlstett gelingen«, erklärte Tengenreuth seinem Vertrauten.
Ludwig zog eine Grimasse, denn er konnte sich nicht so recht über das Lob freuen. Im Grunde war der Anschlag kinderleicht gewesen. Er hatte durch Zufall vor ein paar Jahren ein Gespräch zwischen Armin Gögel und dem alten Heinz belauschen können, bei dem jeder der beiden damit angegeben hatte, welch hohe Herrschaften ihre Arzneien kaufen würden. Dabei waren auch die Namen Engstler und Schüttensee gefallen. Nicht lange danach hatte er sich als Wanderhändler verkleidet, das Vertrauen der beiden erschlichen und genug erfahren, um seinen Plan in die Tat umsetzen zu können.
Doch was hatte es ihm gebracht?, fragte er sich. Sein Herr besaß nicht einmal genug Geld, um standesgemäß aufzutreten, geschweige denn, ihm eine Belohnung zahlen zu können. Zwar galt er bei den wenigen Bediensteten im Schloss als Tengenreuths rechte Hand, doch Geld erhielt er nur, wenn es galt, dessen Feinden zu schaden.
»Du überlegst dir wohl bereits, wie du Mahlstett töten kannst?«, fragte Tengenreuth, da ihm sein Diener zu lange schwieg.
»Jawohl, Herr, das tue ich«, log Ludwig.
Da es niemanden mehr gab, den er für den Mord an Mahlstett benutzen konnte, würde er diese Tat selbst durchführen müssen. Bei dem Gedanken, daraufhin gefangen und verurteilt zu werden, schauderte es ihn. Ein Blick auf seinen Herrn verriet ihm jedoch, dass dieser bereit war, ihn für seine Rache zu opfern.
Aber es ist nicht meine Rache!, durchfuhr es Ludwig. Was nützt es mir, wenn Mahlstett tot ist und ich an einem Galgen baumle? Er gab sich selbst die Antwort: Gar nichts!
Selbst die Vorstellung, im Himmel mit seiner Frau und seinem Sohn vereint zu sein, hatte nichts Tröstliches an sich. Diese Gedanken musste er jedoch vor Tengenreuth verbergen. Er verneigte sich daher und tat so, als wolle er dessen Befehle wortgetreu ausführen. »Ich werde ein wenig Geld brauchen, gnädiger Herr.«
Tengenreuth nickte und öffnete seine Schatulle. Als er eine Handvoll Taler herausnahm, sah er bereits einen guten Teil des Bildes, das auf den Boden im Innern des Kastens gemalt worden war. Da sein Besitz keinerlei Einnahmen abwarf, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als nach Kassel zu reisen und dort um eine reiche Witwe oder Erbin zu freien. Mit dem Vermögen dieser Frau, so schwor er sich, würde er Rodenburg nach Mahlstetts Tod erwerben. Die Vorstellung, Geld für etwas zahlen zu müssen, das nach Sitte und Brauch eigentlich ihm gehörte, tat ihm in der Seele weh. Aber er kannte Landgraf Karl gut genug, um zu wissen, dass dieser ihm Rodenburg nicht ohne den Erhalt einer gewissen Summe überlassen würde. Also brauchte er Geld, und das bekam er nur, wenn er reich heiratete.
»Mahlstett muss sterben!«, sagte er zu seinem Vertrauten. »Das ist noch wichtiger als der Tod der beiden anderen Schurken. Diese haben Märzweil verkauft, Mahlstett hingegen hat Rodenburg behalten. Nur sein Tod gibt mir die Möglichkeit, diese Herrschaft zurückzugewinnen.«
»Jawohl, gnädiger Herr!« Ludwig verbeugte sich erneut, um zu verhindern, dass Tengenreuth sein Gesicht sehen konnte. Noch wusste sein Herr nicht, dass das Schloss abgebrannt war, und von ihm würde er es auch nicht erfahren.
»Wie du Mahlstett tötest, bleibt dir überlassen, sei es durch eine Kugel oder einen Stich. Mit Gift wirst du ihm wohl kaum schaden können, denn er dürfte mittlerweile seine Speisen vorkosten lassen«, fuhr Tengenreuth fort.
»Ich werde schon einen Weg finden«, antwortete Ludwig zögernd.
Noch fühlte er eine gewisse Treue zu seinem Herrn, die ihn zwingen wollte, dessen Anweisung zu befolgen. Bevor er sich jedoch Mahlstett zuwandte, wollte er Gewissheit haben, dass Tobias Just in Rübenheim hingerichtet worden war und dessen Familie den Brandanschlag nicht überlebt hatte.
Tengenreuth schickte Ludwig noch am selben Tag fort und befahl seinen restlichen Dienern, alles für seine Abreise nach Kassel vorzubereiten. Auch wenn seine Mittel erschöpft waren, so reichte sein Name aus, um am Hofe des Landgrafen in Kassel Aufnahme zu finden. Während er sich seine nächsten Schritte überlegte und dabei fand, dass er sich zu lange seiner Trauer hingegeben hatte, wanderte Ludwig auf Schusters Rappen durch den schier endlosen Wald, der Schloss Tengenreuth umgab.
»Soll ich wirklich nach Mahlstett suchen?«, fragte er sich unterwegs. »Wer weiß, wo der sich verkrochen hat!«
Einige Schritte weiter blieb er stehen und drehte sich in die Richtung, in der er das Schloss wusste. »Ist Tengenreuth überhaupt noch meiner Treue wert? Ihn kümmert der Tod von Weib und Kindern nicht mehr. Er will nach Kassel an den Hof, um dort sein altes Leben wieder aufzunehmen. Vielleicht geht er noch einmal auf Freiersfüßen. Ein adeliger Herr wie er findet leicht eine Braut. Doch für mich gibt es keine Frau mehr, die meiner Ulla auch nur im Geringsten gleicht. Sie war so lieb, so sanft und …«
Die Stimme versagte ihm, und er brach in Tränen aus. Wenige Augenblicke später veränderte sich seine Miene und machte einem Ausdruck grenzenlosen Hasses Platz. Der Auftrag seines Herrn konnte warten. Ob Mahlstett in einigen Tagen oder mehreren Wochen starb, blieb sich gleich. Vielleicht fand er in dieser Zeit sogar eine Möglichkeit, seine Tat so zu vollbringen, dass er mit heiler Haut davonkommen konnte.
Wollte er Mahlstett überhaupt töten?, fragte Ludwig sich. Immerhin war dieser ein Feind seines Herrn und nicht der seine. Andererseits spürte er die Verlockung, den anderen auf eine Weise zu Tode zu bringen, bei der er ungeschoren davonkam. Drei Menschen hatte er bereits mit eigener Hand getötet, den Buckelapotheker Heinz und die sächsischen Schurken August und Karl. Ihnen hatte er Gift beigebracht. Also würde er auch Mahlstett töten können.
»Ich tue es, Tengenreuth, aber nicht für dich!«, rief er höhnisch.
Im nächsten Augenblick erstarb Ludwigs Lachen. War nicht sein Herr der eigentliche Schuldige am Tod seiner Frau und seines Sohnes?, fragte er sich. Hätte dieser seiner Gemahlin nicht erlaubt, die verderbliche Arznei des Buckelapothekers zu verwenden, wären alle am Leben geblieben. Das hatte ihm Tengenreuths damaliger Leibarzt erklärt. Ludwig erinnerte sich gut an Doktor Capracolonus. Der Mann hatte genau gewusst, welche Arznei den Kranken hätte helfen können. Doch die Gräfin hatte sich geweigert, dieses Mittel zu sich zu nehmen, und auch seine Ulla dazu gezwungen, darauf zu verzichten.
»Auf nach Königsee! Ich will die niedergebrannten Mauern von Justs Haus sehen und hören, dass alle, die darin lebten, ein Opfer der Flammen geworden sind.«
Mit diesen Worten wandte Ludwig sich am nächsten Wegkreuz nach Südosten. Da ihn sein Hass antrieb, legte er weite Wegstrecken zurück. Gelegentlich fand er einen Fuhrmann, der ihn mitnahm, und erreichte auf diese Weise bald Erfurt. Als er den Gasthof betrat, in dem er übernachten wollte, sah er an einem der Tische einen Mann in der Tracht der schwarzburgischen Wanderapotheker sitzen.
Mit einem lange eingeübten Lächeln trat Ludwig an den Tisch. »Ist es erlaubt, Platz zu nehmen?«, fragte er.
Der Buckelapotheker, ein Mann mittleren Alters, blickte mit fröhlicher Miene auf. »Der Tisch und die Stühle gehören immer noch dem Wirt, und seine Gäste können sich hinsetzen, wo sie wollen.«
»Hab Dank!« Ludwig klang etwas schnappig und schalt sich deswegen. »Kommst du von Königsee oder kehrst du dorthin zurück?«, fragte er.
»Weder noch«, antwortete sein Gegenüber. »Ich bin Matthias Brombach aus Oberweißbach, wenn dir das was sagt.«
»Das liegt nicht weit von Königsee entfernt«, sagte Ludwig.
»Da hast du recht. Man braucht keinen Tagesmarsch, um es zu erreichen. Aber du kennst dich in meiner Gegend gut aus. Das tut nicht jeder.«
»Bin halt mal vor einiger Zeit dort durchgewandert«, erklärte Ludwig.
»Hast es dir gut gemerkt.«
Ludwig rettete sich in ein Lachen. »Das mag sein. Aber sag, was gibt es Neues in deiner Gegend? Ich will nämlich wieder hin.«
»Nach Oberweißbach?«
»Nein«, sagte Ludwig kopfschüttelnd, »nach Königsee. Leben die Laboranten dort alle immer noch herrlich und in Freuden?«
»Da unser Fürst eine sehr offene Hand hat, was die Steuern betrifft, ist es mit der Herrlichkeit und der Freude nicht weit her«, antwortete Brombach.
»Und sonst?«, fragte Ludwig angespannt. Ein Brand wie der in Justs Haus musste in der ganzen Umgebung bekannt geworden sein.
»Sonst hat sich nicht viel getan. Im Frühjahr und auch in den ersten Sommertagen hatten einige Buckelapotheker aus meiner Heimat und den anderen Orten Schwierigkeiten, da man sie nicht mehr in Gegenden ließ, die sie vorher jahrelang ohne Klagen bereisen konnten. Ich musste meine Strecke sogar abbrechen und nach Hause zurückkehren. Mittlerweile aber hat sich die Lage beruhigt, und wir können unserer gewohnten Wege gehen. Ich bin daher aufgebrochen, um bis in den Herbst hinein so viel von meiner Strecke zu schaffen, wie es mir möglich ist.«
»Ihr Buckelapotheker könnt also wieder wandern und euer Zeug verkaufen?« Ludwig ärgerte sich darüber, denn dies hieß, dass Kasimir Fabel, den er angestachelt hatte, den Laboranten aus den Schwarzburger Fürstentümern und ihren Buckelapothekern Konkurrenz zu machen, versagt hatte.
»Ja, das dürfen wir«, sagte Brombach verwundert über Ludwigs barschen Tonfall.
»Dann hat wohl auch Rumold Just seine Buckelapotheker wieder losgeschickt?«, fragte Ludwig lauernd und hoffte, die Nachricht von dessen Tod zu hören.
Stattdessen nickte Matthias Brombach eifrig. »Ja, das hat er! Es heißt, er habe unseren neuen Fürsten dazu bewogen, sich für uns Arzneihändler zu verwenden. Bin ihm auch dankbar dafür, denn wenn ich alles, was ich bei mir habe, verkaufen kann, müssen mein Weib, die Kinder und ich im Winter nicht hungern.«
Für Ludwig war es ein Schlag ins Gesicht. Er konnte gerade noch verhindern, den anderen zu fragen, wie Just den Brand seines Hauses hatte überleben können.
»Just geht es also gut?«, fragte er stattdessen.
»Warum soll es ihm nicht gutgehen?«, antwortete Matthias Brombach ungehalten. »Immerhin ist sein Sohn, der irgendwo im Hannoverschen gefangen gehalten wurde, wieder freigekommen, und er kann mehr Buckelapotheker auf Wanderschaft schicken als je zuvor.«
»Tobias Just ist frei?« Für Ludwig war dies die nächste schlechte Nachricht. Er war sich sicher gewesen, dass Emanuel Engstlers hochnäsige Tochter den angeblichen Mörder ihres Vaters hinrichten lassen würde. Ich hätte den Kerl selbst umbringen sollen, fuhr es ihm durch den Kopf.
»Weißt du was? Ich setze mich an einen anderen Tisch. Mir gefällt nicht, was du sagst, und vor allem, wie du es sagst!« Mit diesen Worten nahm Matthias Brombach seinen Bierkrug und stand auf.
Ludwig war nicht in der Lage, darauf zu antworten. In seinem Kopf hallte der Gedanke wider, dass es ihm nicht gelungen war, seine Frau und seinen Sohn zu rächen.
»Daran ist nur Tengenreuth schuld!«, murmelte er vor sich hin. »Hätte ich, wie ich es wollte, Just und dessen Familie ins Visier nehmen können, wären sie längst tot. Doch ich musste unbedingt Engstler und Schüttensee umbringen. Mein Herr hat sich dadurch an den beiden gerächt, doch mir ist die Rache versagt geblieben. Das wird sich nun ändern!«
Ludwig beschloss, nach Königsee weiterzureisen und dort auf eine günstige Gelegenheit zu lauern, um Just und dessen Familie so viel Schaden zufügen zu können, dass es ihn zufriedenstellte.
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