Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Chemische Bindung in Festkörpern
1.1 Anziehende und abstoßende Kräfte
1.2 Ionische Bindung (Ionenbindung)
1.3 Kovalente Bindung (Atombindung)
1.4 Metallbindung
1.5 Wasserstoffbrückenbindung
1.6 van-der-Waals-Bindung
1.7 Diskussion und Aufgaben
2 Kristallstrukturen
2.1 Allgemeine Beschreibung von Kristallstrukturen
2.2 Einige wichtige Kristallstrukturen
2.3 Methoden zur Bestimmung der Kristallstruktur
2.4 Diskussion und Aufgaben
3 Mechanische Eigenschaften
3.1 Elastische Verformung
3.2 Plastische Verformung
3.3 Diskussion und Aufgaben
4 Thermische Eigenschaften des Gitters
4.1 Gitterschwingungen
4.2 Wärmekapazität des Gitters
4.3 Wärmeleitfähigkeit
4.4 Wärmeausdehnung
4.5 Allotrope Phasenübergänge und Schmelzen
4.6 Diskussion und Aufgaben
5 Elektrische Eigenschaften von Metallen: Klassische Betrachtungsweise
5.1 Die Grundannahmen des Drude-Modells
5.2 Ergebnisse aus dem Drude-Modell
5.3 Schwächen des Drude-Modells
5.4 Diskussion und Aufgaben
6 Elektronische Eigenschaften von Metallen: Quantenmechanische Betrachtungsweise
6.1 Das Konzept der Energiebänder
6.2 Das Modell der freien Elektronen
6.3 Die allgemeine Form der Elektronenzustände
6.4 Das Modell der nahezu freien Elektronen
6.5 Energiebänder in realen Festkörpern
6.6 Transporteigenschaften
6.7 Kurze Zusammenfassung einiger Schlüsselkonzepte
6.8 Diskussion und Aufgaben
7 Halbleiter
7.1 Intrinsische Halbleiter
7.2 Dotierte Halbleiter
7.3 Leitfähigkeit von Halbleitern
7.4 Halbleiterbauelemente
7.5 Diskussion und Aufgaben
8 Magnetismus
8.1 Makroskopische Beschreibung
8.2 Magnetische Effekte in Atomen
8.3 Schwacher Magnetismus in Festkörpern
8.4 Magnetische Ordnung
8.5 Diskussion und Aufgaben
9 Dielektrika
9.1 Makroskopische Beschreibung
9.2 Mikroskopische Polarisation
9.3 Das lokale Feld
9.4 Frequenzabhängigkeit der Dielktrizitätskonstante
9.5 Andere Effekte
9.6 Diskussion und Aufgaben
10 Supraleitung
10.1 Experimentelle Grundlagen
10.2 Einige theoretische Aspekte
10.3 Experimente zur Messung der Lücke
10.4 Kohärenz des supraleitenden Zustands
10.5 Supraleiter vom Typ I und Typ II
10.6 Hochtemperatursupraleitung
10.7 Zusammenfassende Bemerkungen
10.8 Diskussion und Aufgaben
11 Endliche Festkörper und Nanostrukturen
11.1 Quantenbeschränkung
11.2 Oberflächen und Grenzflächen
11.3 Magnetismus auf der Nanoskala
11.4 Diskussion und Aufgaben
A Anhang
A.1 Explizite Formen der Vektoroperationen
A.2 Mikroskopische Form der Maxwell’schen Gleichungen
A.3 Die Maxwell’schen Gleichungen in Materie
Literaturnachweis
Weiterführende Literatur
Physikalische Konstanten und Energieäquivalente
Stichwortverzeichnis
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Callister, W.D., Rethwisch, D.G.
Materialwissenschaften und Werkstofftechnik
Eine Einführung
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Wolf, E.L.
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Autor
Dr. Philip Hofmann
Institute for Storage Ring Facilities, U
Nicander Road 66
L18 1HZ Liverpool
United Kingdom
Übersetzung:
Micaela Krieger- Hauwede
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Print ISBN: 978-3-527-41226-6
ePDF ISBN: 978-3-527-67463-3
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Vorwort
Dieses Buch hat sich aus einer Vorlesung über Festkörperphysik heraus entwickelt, die sich an Physikstudenten im dritten Studienjahr richtete. Aber auch für Studenten verwandter Studienrichtungen wie der Chemie oder der Ingenieurwissenschaften sollte dieses Buch nützlich sein. Anliegen dieses Buches ist es, auf Bachelor-Niveau einen Überblick über das gesamte Fachgebiet zu geben, ohne zu stark ins Detail zu gehen. So liegt der Schwerpunkt dieses Buches hauptsächlich auf einer didaktisch anspruchsvollen Darstellung des Stoffes und weniger auf trockenen mathematischen Herleitungen oder Vollständigkeit. Der Leser, der sich tiefgründiger mit dem Thema befassen möchte, sei auf die vielen ausgezeichneten weiterführenden Bücher über Festkörperphysik verwiesen, von denen einige im Anhang aufgeführt sind.
Um diesem Buch folgen zu können, sollten Sie eine Grundvorlesung in Physik besucht haben sowie einige Grundkenntnisse in Chemie, Quantenmechanik und statistischer Physik besitzen. Von Vorteil wären auch Kenntnisse in klassischer Elektrodynamik, auch wenn diese nicht unbedingt notwendig sind.
Es seien nun ein paar Worte darüber gesagt, wie dieses Buch zu handhaben ist: Zu jedem Kapitel gibt es eine Reihe von „Diskussionsfragen“ und Aufgaben. Anhand der Fragen können Sie selbst einschätzen, wie gut sie das Thema wirklich verstanden haben. Einige Fragen lassen sich nur mit dem Wissen aus nachfolgenden Kapiteln beantworten. Diese Fragen sind mit einem Stern gekennzeichnet. Manche Aufgaben sind insofern eine Herausforderung, als dass sie mathematisch oder/und inhaltlich anspruchsvoller sind. Auch diese Aufgaben sind mit einem Stern gekennzeichnet. Nicht alle Informationen, die Sie zur Lösung der Aufgaben benötigen, finden Sie hier in diesem Buch. Standardwerte, wie die Dichte von Gold oder die relative Atommasse von Kupfer, schlagen Sie bitte in den ausgezeichneten, im Internet verfügbaren Übersichten nach. Etliche nützliche Quellen für Dozenten, darunter Gleichungen, Vorlesungsvorschläge und die Lösungen zu den Aufgaben in diesem Buch finden Sie auf den Internetseiten des Verlages. Weiterführende Informationen, wie eine aktuelle Liste empfehlenswerter Internetseiten, finden Sie auf meiner Homepage.
Ich möchte mich bei den Menschen bedanken, die mich durch zahlreiche Diskussionen, Anregungen und Vorschläge unterstützt haben. Besonders erwähnen möchte ich meine Fachkollegen Arne Nylandsted Larsen, Ivan Steensgaard, Maria Fuglsang Jensen, Justin Wells sowie viele andere Seminarleiter und Studenten, die an der Vorbereitung und Durchführung der Vorlesung in Åarhus beteiligt waren.
In diesem Kapitel befassen wir uns mit verschiedenen Mechanismen, die zu einer Bindung zwischen Atomen führen, sodass daraus ein Festkörper entsteht. Dabei werden wir verschiedene Fälle betrachten: ionische Bindung (Ionenbindung), kovalente Bindung (Atombindung) und metallische Bindung (Metallbindung). Im Kopf sollten Sie aber immer behalten, dass diese Bindungstypen nur idealisierte Grenzfälle sind. Oft begegnen uns gemischte Bindungen, wie eine Kombination aus metallischer und kovalenter Bindung bei den Übergangsmetallen.
Wie in der herkömmlichen Chemie sind nur eine begrenzte Anzahl aller Elektronen am Aufbau der Bindung beteiligt. Diese sogenannten Valenzelektronen sind die Elektronen, die sich in den äußeren Schalen (bzw. der äußersten Schale) eines Atoms befinden. Die Elektronen in den inneren Schalen sind so eng an den Kern gebunden, dass sie die Anwesenheit anderer Atome in ihrer Umgebung gar nicht spüren.
Damit in einem Festkörper oder in einem Molekül eine Bindung aufgebaut werden kann, müssen zwei verschiedene Kräfte wirken. Eine anziehende Kraft ist für jede Bindung notwendig. Verschiedene Arten von Anziehungskräften werden wir gleich diskutieren. Es muss aber auch eine abstoßende Kraft wirken, die verhindert, dass sich die Atome zu nahe kommen. Ein möglicher Ausdruck für ein zwischenatomares Potential ist daher
(1.1)
mit n > m, d. h. für kurze Abstände muss der abstoßende Teil vorherrschen (manchmal wird das auch durch die Annahme eines exponentiell fallenden abstoßenden Potentials erreicht). Ein solches Potential und die zugehörige Kraft sind in Abbildung 1.1 dargestellt. Hinter der starken Abstoßung für kleine Abstände steckt das Pauli-Prinzip. Wenn sich die Elektronenwolken zweier Atome stark überlappen, müssen sich die Wellenfunktionen so ändern, dass sie orthogonal zueinander sind, denn das Pauli-Prinzip verbietet, dass sich mehr als zwei Elektronen in demselben Quantenzustand befinden. Die Orthogonalisierung kostet viel Energie, daher die starke Abstoßung.
Bei der Ionenbindung findet ein Elektronentransfer von einem elektropositiven Atom zu einem elektronegativen Atom statt. Die Bindungskraft ist die Coulomb-Anziehung zwischen den beiden resultierenden Ionen. Die Ionisation der beiden Atome kostet üblicherweise etwas Energie. Bei NaCl ist die Ionisationsenergie von Na gleich 5,1 eV, die Elektronenaffinität von Cl ist aber nur 3,6 eV. Für die Bildung eines Ionenpaares müssen daher insgesamt 5,1 − 3,6 = 1,5 eV aufgebracht werden. Der Energiegewinn ergibt sich aus dem Coulomb-Potential. Für ein einzelnes Na-Ion und ein einzelnes Cl-Ion in einem Abstand von a = 0,28 nm ist das Coulomb-Potential −e2/4πε0a gleich 5,1 eV.
Gleich werden wir auch Potentialenergien für komplizierte Strukturen untersuchen. Dabei ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Energiebeiträgen zu unterscheiden: Die Kohäsionsenergie ist die Differenz zwischen der Energie eines Festkörpers und der Energie seiner einzelnen Atome. Bei einem Festkörper mit Ionenbindung lässt sich die Energie aus der Gitterenergie, also dem elektrostatischen Energiegewinn beim Zusammenbau des Gitters, sowie aus der Ionisationsenergie und der Elektronenaffinität der Atome berechnen.
Die kovalente Bindung beruht darauf, dass sich zwei verschiedene Atome tatsächlich ein Elektron teilen. Der einfachste Fall ist der eines Wasserstoffmoleküls, den wir gleich quantitativ diskutieren. Bei Festkörpern findet man die kovalente Bindung oft bei Elementen mit einer im Wesentlichen halb gefüllten äußeren Schale. Ein berühmtes Beispiel ist Kohlenstoff, der als Diamant oder als Graphit vorkommt. Es gibt aber auch komplexe Moleküle mit kovalenter Bindung, wie Buckminster-Fullerene C60 oder Kohlenstoffnanoröhren. Die kovalenten Bindungen im Diamanten sind aus einer Linearkombination des 2s-Orbitals und dreier 2p-Orbitale konstruiert. Aus dieser Linearkombination ergeben sich vier sogenannte sp3-Orbitale, die in einer tetraedrischen Konfiguration aus den Kohlenstoffatomen herausragen. Im Graphit wird das 2s-Orbital mit nur zwei 2p-Orbitalen kombiniert. Daraus ergeben sich drei sp2-Orbitale, die alle in einer Ebene liegen und miteinander Winkel von 120° einschließen, sowie ein p-Orbital, das senkrecht zu dieser Ebene orientiert ist. Schon diese Linearkombination von Orbitalen offenbart ein wichtiges Merkmal der kovalenten Bindung: Sie ist stark gerichtet. Außerdem ist sie sehr stabil, denn die Bindungsenergien liegen im Bereich von einigen Elektronenvolt.
Ein sehr lehrreiches Beispiel für eine kovalente Bindung ist das Wasserstoffmolekül H2, für das wir die Lösung hier skizzieren. Wir werden so weit ins Detail gehen, wie für die nachfolgenden Kapitel notwendig. Wir gehen von zwei Wasserstoffatomen aus, deren Kerne sich bei RA und RB befinden, ihr Abstand sei |RB − RA| = R. Natürlich kennen wir die Lösung der Schrödinger-Gleichung für jedes der beiden Atome. Diese Grundzustands-Wellenfunktionen wollen wir mit ΨA und ΨB bezeichnen. Den Hamilton-Operator des Wasserstoffmoleküls können wir dann als
(1.2)
schreiben. Dabei sind r1 und r2 die Koordinaten der Elektronen, die zum Kern A bzw. zum Kern B gehören. Die ersten beiden Terme beschreiben die kinetische Energie der beiden Elektronen. Die Operatoren und wirken nur auf die Koordinaten r1 bzw. r2. Der elektrostatische Term beschreibt die Abstoßung zwischen den beiden Kernen und die Abstoßung zwischen den beiden Elektronen sowie die Anziehung zwischen den Elektronen und den Kernen.
Die Lösung dieses Problems ist nicht einfach. Ohne die elektrostatische Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen würde sie sich stark vereinfachen, denn dann ließe sich der Hamilton-Operator als zweiteilige Summe schreiben mit jeweils einem Term pro Elektron. Die Lösung der zugehörigen Schrödinger-Gleichung wäre dann ein Produkt der beiden Einteilchen-Wellenfunktionen zu den beiden einzelnen Hamilton-Operatoren. Die Zweiteilchen-Wellenfunktion hätte dann die Form Ψ(r1, r2) = ΨA(r1)ΨB (r2). Allerdings ist dies nicht ganz richtig, weil eine solche Wellenfunktion nicht mit dem Pauli-Prinzip vereinbar ist. Elektronen sind Fermionen. Also muss die Gesamtwellenfunktion bezüglich eines Austauschs der Teilchen antisymmetrisch sein – eine Forderung, die diese einfache Produkt-Wellenfunktion nicht erfüllt.
Die Gesamtwellenfunktion setzt sich aus einem räumlichen Teil und einem Spinteil zusammen. Daher gibt es für die Konstruktion einer antisymmetrischen Wellenfunktion zwei Möglichkeiten. Wir können entweder einen symmetrischen räumlichen Teil und einen antisymmetrischen Spinteil verwenden oder einen antisymmetrischen räumlichen Teil und einen symmetrischen Spinteil. Die räumliche Wellenfunktion können wir also folgendermaßen konstruieren:
(1.3)
(1.4)
Das Pluszeichen in (1.3) liefert eine symmetrische räumliche Wellenfunktion für eine antisymmetrische Spinwellenfunktion mit Gesamtspin gleich null (den sogenannten Singulett-Zustand); das Minuszeichen liefert eine antisymmetrische räumliche Wellenfunktion für eine symmetrische Spinwellenfunktion mit dem Gesamtspin gleich 1 (den sogenannten Triplett-Zustand).
Die antisymmetrische Wellenfunktion (1.4) verschwindet für r1 = r2, die beiden Elektronen können sich also nicht gleichzeitig am selben Ort befinden. Dies führt zu einer Verringerung der Elektronendichte zwischen den Kernen und somit zu einem Antibindungszustand. Im symmetrischen Fall haben die Elektronen dagegen entgegengesetzte Spins und können sich gleichzeitig am selben Ort befinden, was zu einer Ladungshäufung zwischen den Kernen und somit zu einem Bindungszustand führt (vgl. Abbildung 1.2).
Eine Methode zur näherungsweisen Berechnung der Eigenwerte von (1.2) wurde im Jahr 1927 von W. Heitler und F. London vorgeschlagen. Die Idee ist, die bekannten 1s-Einteilchen-Wellenfunktionen für atomaren Wasserstoff ΨA und ΨB zu verwenden und daraus eine Zweielektronen-Wellenfunktion Ψ(r1, r2) zu bilden, die entweder durch (1.3) oder durch (1.4) gegeben ist. Eine obere Grenze für die Eigenwerte zur Grundzustandsenergie können wir dann durch
(1.5)
berechnen.
Die Rechnung ist recht länglich, und wir lassen sie daher hier weg. Die Grundzustandsenergien, die sich daraus für den Singulett- und den Triplett-Zustand ergeben, lassen sich in der Form
(1.6)
(1.7)
schreiben. Dabei ist E0 die Grundzustandsenergie für ein Wasserstoffatom, die hier zweimal vorkommt, weil wir von zwei Atomen ausgegangen sind. Die Energien ∆E↑↑ und ∆E↑↓ sind ebenfalls in Abbildung 1.2 dargestellt. Die Energie ∆E↑↑ ist immer größer als null und führt zu keiner chemischen Bindung. Die Energie ∆E↑↓ hat jedoch ein Minimum, das kleiner als null ist, und zwar bei ungefähr dem Eineinhalbfachen des Bohr-Radius. Das ist der Bindungszustand.
Für große Abstände zwischen den Kernen lassen sich die Gleichungen (1.6) und (1.7) weiter vereinfachen:
(1.8)
Die Energieänderung bei einer Bindung hat also zwei Teile. Einer der beiden Teile hängt von den gegenseitigen Spinorientierungen der Elektronen ab (±X), der andere nicht (C). Die Energiedifferenz zwischen diesen beiden Zuständen ist 2X, also das Doppelte der sogenannten Austauschenergie X. Im Fall des Wasserstoffmoleküls ist die Austauschenergie immer negativ.
Ähnliche Überlegungen werden wir im Kapitel über den Magnetismus anstellen. Das der magnetischen Ordnung zugrundeliegende Prinzip ähnelt sehr stark der hier vorliegenden Situation. Die Gesamtenergie eines Elektronensystems hängt über die Austauschenergie von den gegenseitigen Spinorientierungen der Elektronen ab, und deshalb wird eine besonders geordnete Spinkonfiguration bevorzugt. Bei zwei Elektronen ist der „magnetische“ Charakter einfach durch das Vorzeichen von X gegeben. Hat X ein negatives Vorzeichen, so ist die Kopplung mit zwei entgegengesetzten Spins bevorzugt (das ist der antiferromagnetische Fall). Ist das Vorzeichen von X dagegen positiv, ergibt sich eine Situation, in der für parallel ausgerichtete Spins die niedrigste Energie erreicht wird (das ist der ferromagnetische Fall).
Bei Metallen sind die äußeren Valenzelektronen von den Ionenrümpfen getrennt. Anders als bei Festkörpern mit Ionenbindung gibt es aber keine elektronegativen Ionen, die diese Elektronen binden könnten. Deshalb können sich die Elektronen zwischen den verbliebenen Ionenrümpfen frei bewegen. Diese delokalisierten Valenzelektronen leiten den elektrischen Strom, weshalb man sie oft auch als Leitungselektronen bezeichnet. Es ist zu erwarten, dass sich Metalle aus Elementen bilden, bei denen die Energiekosten zur Freisetzung von Außenelektronen nicht zu hoch sind. Trotzdem kostet diese Freisetzung immer etwas Energie, die von der Bindung mehr als kompensiert werden muss. Den Energiegewinn aus einer Bindung in einem intuitiven Bild zu erklären, ist schwierig, wir können aber zumindest versuchen, ihn uns plausibel zu machen. Letztlich muss die Bindung auf eine Art Energieverringerung zurückzuführen sein.
Ein sich verringernder Energiebeitrag ist die kinetische Energie der Leitungselektronen. Um uns das klar zu machen, betrachten wir den Anteil der kinetischen Energie in einem Hamilton-Operator. Ein Matrixelement 〈Ψ|T |Ψ〉 misst die kinetische Energie eines Teilchens. Dabei ist TΨ proportional zur zweiten räumlichen Ableitung der Wellenfunktion, also der Krümmung. Die Krümmung der Wellenfunktion ist bei einem Elektron, das an einem Atom lokalisiert ist, wesentlich größer als bei einem nahezu freien Elektron in einem Metall, und genau daraus ergibt sich der Energiegewinn.
Der andere Beitrag zur Elektronenenergie ist die potentielle Energie. Man sollte annehmen, dass das mittlere elektrostatische Potential jedes Einzelelektrons in einem Festkörper nahezu null ist, weil es (fast) genauso viele andere Elektronen wie Ionen mit derselben Ladungsmenge gibt. Das stellt sich allerdings als Irrtum heraus. In Wirklichkeit sehen die Elektronen ein anziehendes Potential. Der Grund dafür hängt teilweise wieder mit dem Pauli-Prinzip zusammen, das – grob gesprochen – verbietet, dass sich zwei Elektronen mit derselben Spinrichtung am selben Ort befinden, und deshalb gehen die Elektronen einander „aus dem Weg“. Zusätzlich gibt es auch noch eine direkte Coulomb-Wechselwirkung zwischen den Elektronen, die dazu führt, dass sich die Elektronen meiden. Detailliert werden wir darauf eingehen, wenn wir uns mit dem Magnetismus beschäftigen.
Typischerweise ist die Metallbindung schwächer als die kovalente oder ionische Bindung. Die Bindungsenergie beträgt bis zu einigen Elektronenvolt pro Atom. Stärkere Bindungen findet man bei Übergangsmetallen, d. h. Metallen, die sowohl s- als auch p-Leitungselektronen und teilweise gefüllte d-Schalen besitzen. Zurückführen lässt sich dies auf das Vorliegen einer gemischten Bindung. Die s- und p-Elektronen werden zu delokalisierten metallischen Leitungselektronen, während die d-Elektronen lokalisiertere Bindungen vom kovalenten Typ eingehen.
Wasserstoffatome haben nur ein Elektron und können genau eine kovalente Bindung eingehen. Wird die Bindung zu einem stark elektronegativen Atom (wie F oder O) aufgebaut, ist das Elektron hauptsächlich in der Nähe dieses Atoms lokalisiert, und der Wasserstoffkern wirkt als eine isolierte positive (Teil-) Ladung. Aufgrund der geringen Größe kann diese positive Ladungsdichte beachtlich sein. So kann sie negative (Teil-) Ladungen in anderen Molekülen anziehen, um eine elektrostatische Bindung aufzubauen. Diese Art von Bindung nennt man Wasserstoffbrückenbindung. In der Regel ist sie ziemlich schwach, aber in einigen Fällen kann die Kohäsionsenergie bis zu einigen Hundert meV pro Atom betragen. Sie ist für die zwischenmolekulare Wechselwirkung in Wassereis verantwortlich und für die Bindung der DNA-Doppelhelix.
Der Begriff van-der-Waals-Bindung bezeichnet einen schwachen, rein quantenmechanischen Effekt. Die Elektronenwolke um ein Atom oder ein Molekül hat keine statische Ladungsverteilung, sondern eine Verteilung, die quantenmechanischen Fluktuationen unterliegt. Bei einem einfachen Atom mit einer abgeschlossenen Schale kann man die Ladungsverteilung als ein fluktuierendes Dipolmoment betrachten. Dieses Dipolmoment kann andere benachbarte Atome polarisieren, und die Wechselwirkung zwischen den beiden benachbarten Dipolen reduziert die Gesamtenergie, d. h., dies kann zu einer Bindung führen. Diese Art von Bindung gibt es bei jedem Festkörper, aber sie ist viel schwächer als eine ionische, kovalente oder metallische Bindung. Typische Bindungsenergien liegen im meV-Bereich, und daher lässt sich die van-der-Waals-Bindung nur bei Festkörpern beobachten, die kein anderes Bindungsverhalten zeigen. Das betrifft beispielsweise Edelgase. Reine van-der-Waals-Kristalle können nur bei sehr tiefen Temperaturen existieren.
In diesem Buch werden wir es vorwiegend mit perfekt kristallinen Festkörpern zu tun haben, bei denen die Atome in einem perfekten Gitter angeordnet sind, d. h. ohne Defekte, Verunreinigungen und Ränder. Es stellt sich heraus, dass es uns die perfekte Periodizität und Translationsinvarianz erlaubt, trotz der überaus vielen (≈ NA) beteiligten Teilchen sehr gute Modelle für den Festkörperzustand zu entwickeln. Man könnte meinen, dass solche perfekten Kristalle für echte Stoffe nicht besonders relevant sind, doch das ist ein Irrtum. Tatsächlich setzen sich viele Festkörper aus kleinen Kristallkörnern zusammen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Körner dreidimensional sind, ist die Anzahl der Atome an der Korngrenze im Vergleich zur Anzahl der Atome im Korn sehr klein. Bei einer Korngröße in der Größenordnung von 10003 Atomabständen bilden nur 0,1 % der Atome die Korngrenze, der übrige Teil befindet sich in einer perfekt kristallinen Umgebung. Es gibt jedoch einige Festkörper, die nicht kristallin sind. Man nennt sie amorphe Festkörper. Charakterisiert wird der amorphe Zustand durch das Fehlen einer langreichweitigen Ordnung. Zwischen den Atomen gibt es jedoch eine gewisse kurzreichweitige Ordnung.
Dieses Kapitel untergliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil definieren wir einige mathematische Grundkonzepte, die wir zur Beschreibung von Kristallen benötigen. Wir halten die Darstellung einfach und verwenden zur Illustration überwiegend zweidimensionale Beispiele. Im zweiten Teil diskutieren wir übliche Kristallstrukturen. Abschließend kommen wir zu einer etwas detaillierteren Diskussion der Röntgenbeugung, denn sie ist eine weit verbreitete Methode, selbst in der Mikrobiologie und der Nanotechnologie, und sie wird Ihnen vermutlich noch sehr oft begegnen.
Unsere Beschreibung von Kristallen beginnt mit der mathematischen Definition des Gitters. Ein Gitter ist eine Menge von Punkten, die in regelmäßigen Abständen angeordnet sind. Die Orte dieser Punkte sind durch Vielfache von erzeugenden Vektoren bestimmt. Die Definition eines Punktegitters Rmn durch zwei Vektoren a1 und a2 würde in zwei Dimensionen
(2.1)
lauten. Dabei sind n und m ganze Zahlen. In drei Dimensionen wäre die Definition
(2.2)
Ein solches Punktegitter nennt man Bravais-Gitter. Die Anzahl der möglichen Bravais-Gitter, die sich in ihrer Symmetrie unterscheiden, ist in zwei Dimensionen auf 5 und in drei Dimensionen auf 14 beschränkt. Ein Beispiel eines zweidimensionalen Gitters zeigt Abbildung 2.1. Die Längen der Vektoren a1 und a2 bezeichnet man oft als Gitterparameter.
Nachdem wir nun das Gitter definiert haben, wenden wir uns der Definition der primitiven Elementarzelle zu. Das ist ein Volumen im Raum, das nach der Verschiebung durch alle Vektoren des Bravais-Gitters den Raum ohne Überschneidungen und ohne Leerstellen ausfüllt. Die primitive Elementarzelle eines Gitters enthält nur einen Gitterpunkt. Es lassen sich auch nicht-primitive Elementarzellen definieren, die mehrere Gitterpunkte enthalten. Diese füllen den Raum ohne Leerstellen aus, wenn man sie um eine Teilmenge der Braivais-Gittervektoren verschiebt. Mögliche Elementarzellen in einem zweidimensionalen rechteckigen Braivais-Gitter sind in Abbildung 2.2 dargestellt. Aus der Abbildung geht klar hervor, dass man eine nicht-primitive Elementarzelle um ein Vielfaches eines (oder zweier) Gittervektoren verschieben muss, um den Raum ohne Leerstellen oder Überschneidungen zu füllen. Eine spezielle Wahl der primitiven Elementarzelle ist die Wigner-Seitz-Zelle, die ebenfalls in Abbildung 2.2 zu sehen ist. Dabei handelt es sich um das Gebiet im Raum, das einem gegebenen Gitterpunkt näher ist als jedem anderen Punkt.
Die letzte Definition, die wir zur Beschreibung eines echten Kristalls benötigen, ist die einer Basis. Die Basis ist das, was wir an die Gitterpunkte „setzen“, also die Bausteine des realen Kristalls. Die Basis kann aus einem oder mehreren Atomen bestehen. Sie kann sogar aus komplexen Molekülen bestehen, was bei Proteinkristallen der Fall ist. Abbildung 2.3 veranschaulicht verschiedene Fälle.
Zum Abschluss sei noch eine Bemerkung zum Thema Symmetrie erlaubt. Bisher haben wir in unserer Beschreibung nur die Translationssymmetrie diskutiert. In einem realen Kristall gibt es aber auch Punktsymmetrie. Vergleichen Sie dazu in Abbildung 2.3 die Strukturen in der Mitte und ganz unten. Die mittlere Struktur besitzt eine Reihe von Symmetrieelementen, welche die untere Struktur nicht hat. Das sind beispielsweise Spiegelachsen, eine Rotationsachse und das Vorliegen von Inversionssymmetrie. Die Kenntnis solcher Symmetrien kann bei der Beschreibung von Kristalleigenschaften sehr nützlich sein.
Nach dieser ziemlich formalen Betrachtung wollen wir uns eine Reihe von häufig vorkommenden Kristallstrukturen ansehen. Teilweise werden wir auch eine Verbindung zum vorigen Kapitel herstellen können. Wir werden versuchen zu verstehen, warum eine bestimmte Bindungsart eine bestimmte Struktur bevorzugt.
Die in Abbildung 2.4a dargestellte primitiv kubische Struktur ist zwar nicht sehr häufig, aber ein wichtiger Ausgangspunkt für viele andere Strukturen. Der Grund, weshalb diese Struktur nicht häufig vorkommt, ist ihre Offenheit, d. h. es gibt viele Lücken, wenn wir uns die Ionen als Kugeln vorstellen. In Metallen spielt die gerichtete Bindung keine Rolle, und die Atome bevorzugen deshalb dichter gepackte Strukturen. Bei kovalenten Festkörpern spielt die gerichtete Bindung schon eine Rolle, aber sechs Bindungen an demselben Atom in einer oktaedrischen Konfiguration sind bei elementaren Festkörpern nicht üblich.
Die Packungsdichte der kubischen Struktur verbessert sich bei den kubisch innenzentrierten (bcc) und den kubisch flächenzentrierten (fcc) Strukturen, die ebenfalls in Abbildung 2.4 dargestellt sind. Tatsächlich hat die fcc-Struktur für Kugeln die größtmögliche Packungsdichte, wie wir später sehen werden. Diese beiden Strukturen sind sehr weit verbreitet: 17 Elemente kristallieren in der bcc-Struktur und 24 Elemente in der fcc-Struktur. Bedenken Sie, dass nur bei der primitiv kubischen Struktur der Würfel identisch mit dem Bravais-Gitter ist. Bei den bcc- und den fcc-Gittern ist der Würfel zwar auch eine Elementarzelle, aber nicht die primitive.
Wichtig sind auch kubische Strukturen mit einer komplexeren Basis, die nicht nur aus einem Atom besteht. Abbildung 2.5 zeigt die Strukturen von CsCl und NaCl, die beide kubisch sind und eine Basis aus zwei Atomen haben.
Aus der Kenntnis der Kristallstruktur von NaCl heraus können wir nun den elektrostatischen Beitrag zur Kristallbindung berechnen, d. h. die in Kapitel 1 diskutierte Gitterenergie. Dass der elektrostatische Energiegewinn für die Bindung eines Ionenpaares gleich 5,1 eV ist, hatten wir bereits ausgerechnet. Was ist nun der Energiegewinn für das in Abbildung 2.5 dargestellt Kristallgitter? Um diesen Energiegewinn zu berechnen, betrachten wir ein Na-Ion in der Mitte des Würfels. Um dieses Ion befinden sich in einem Abstand von a = 0,28 nm sechs Cl-Ionen. Sie verringern die Energie um −6e2/4πε0a. In einem Abstand von befinden sich 12 weitere Na-Ionen, durch die sich eine Energiezunahme von ergibt. Dann folgen 8 Cl-Ionen, durch die sich die Energie wiederum verringert. Schließlich konvergiert diese Reihe, und der Gesamtenergiegewinn ist
(2.3)
Dabei ist Md die sogenannte Madelung-Konstante. Sie hängt vom Strukturtyp ab. Um die Gitterenergie pro Mol zu berechnen, müssen wir diesen Energiegewinn mit der Avogadro-Konstante NA multiplizieren. Außerdem müssen wir das Ergebnis mit 2 multiplizieren, um die Tatsache zu berücksichtigen, dass es sowohl Na- als auch Cl-Ionen in dem Festkörper gibt. Gleichzeitig müssen wir das Ergebnis aber durch 2 dividieren, um bei der Berechnung der Gitterenergie Bindungen nicht doppelt zu berücksichtigen. Damit ist die Gitterenergie für 1 Mol NaCl also einfach −NA1,748e2/4πε0a. Die tatsächliche Gitterenergie ist aufgrund des abstoßenden Teils des Potentials etwas geringer, wie im vorherigen Kapitel diskutiert. Bedenken Sie, dass Md größer als 1 ist, sodass die Gitterenergie des Festkörpers größer ist als die eines isolierten Ionenpaares. Dies liegt natürlich auf der Hand, denn Ihr Salzstreuer enthält kleine Kristalle und kein molekulares Pulver. Zur Berechnung der Madelung-Konstante Md verweisen wir auf Aufgabe 2.5).
Viele Metalle bevorzugen strukturelle Anordnungen, bei denen die Atome so dicht wie möglich gepackt sind. Warum ist das so? Erstens hat die Metallbindung keine bevorzugte Richtung. Zweitens stellen die am dichtesten gepackten Strukturen den größtmöglichen Überlapp zwischen den Valenzorbitalen der Atome sicher, was die Delokalisierung der Elektronen und damit auch den kinetischen Energiegewinn maximiert.
In zwei Dimensionen ist die dichteste Packung von Ionen (d. h. Kugeln) die hexagonale Struktur, die in Abbildung 2.6 auf der linken Seite dargestellt ist. Um daraus eine dreidimensionale Struktur zu erzeugen, fügt man eine zweite, am dichtesten gepackte Ebene hinzu, wie in der Mitte von Abbildung 2.6 dargestellt. Für das Hinzufügen einer dritten Ebene gibt es nun zwei Möglichkeiten. Man kann entweder die Atome auf die „Löcher“ genau über die Atome der ersten Ebene legen, oder man kann sie in die anderen „Löcher“ legen. Auf diese Weise kann man zwei verschiedene Kristallstrukturen erzeugen. Im ersten Fall erhält man eine ABABAB... Stapelfolge, im zweiten Fall ist es eine ABCABCABC... Stapelfolge. Die Packungsdichte ist in beiden Strukturen gleich groß, die Kugeln füllen das Gesamtvolumen zu 74 %. Die erste Struktur nennt man hexagonal-dichteste Kugelpackung (hcp). Bei der zweiten Struktur handelt es sich um die fcc-Struktur, die wir bereits kennen. Eine alternative Darstellung der hcp-Struktur finden Sie in Abbildung 2.14 auf Seite 27. Die fcc- und hcp-Struktur ist bei elementaren Metallen sehr weit verbreitet: 36 Elemente kristallieren in einer hcp-Struktur und 24 Elemente kristallieren in einer fcc-Struktur.
Wie bereits erwähnt, maximieren diese Strukturen auch die Anzahl der nächsten Nachbarn eines gegebenen Atoms. Das ist die sogenannte Koordinationszahl. Sowohl für das fcc-Gitter als auch für das hcp-Gitter ist die Koordinationszahl 12.
Wenn die Koordinationszahl so wichtig ist, warum kristallieren nicht alle Metalle in einer fcc- oder hcp-Struktur? – Das ist eine offene Frage. Es lässt sich mit einfachen Argumenten nicht vorhersagen, welche Struktur ein gegebenes Element tatsächlich annimmt. Wir können jedoch einige Faktoren zusammentragen, die eine Rolle spielen. Nicht optimal gepackte Strukturen, wie die bcc-Struktur, haben eine niedrigere Koordinationszahl, bringen aber die zweitnächsten Nachbarn näher an ein gegebenes Ion als die dichtesten Kugelpackungen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass die Bindung insbesondere bei den Übergangsmetallen nicht ganz so einfach ist. Bei den Übergangsmetallen wird die Bindung nämlich nicht nur durch die delokalisierten s-und p-Valenzelektronen aufgebaut, wie es bei den einfachen Metallen der Fall ist, sondern auch von den lokalisierteren d-Elektronen. Die Bindung durch diese Elektronen ist gerichteter, sodass man die Bindung bei Übergangsmetallen als die Summe aus einer Metallbindung durch die s- und p-Elektronen und einer kovalenten Bindung durch die d-Elektronen betrachten kann.
Auch die Strukturen vieler Festkörper mit Ionenbindung kann man in gewisser Weise als „am dichtesten gepackt“ ansehen. Man kann zu diesen Strukturen kommen, indem man die Ionen als harte Kugeln betrachtet, die so dicht wie möglich gepackt werden sollen. Die Art der Struktur, die man so erhält, hängt von der Größendifferenz der Ionen ab; den Unterschied zwischen den Strukturen von CsCl und NaCl kann man beispielsweise durch die Größendifferenz der Cs- und Na-Ionen erklären.
Bei kovalenten Strukturen spielen die Bindungslänge und die Richtung eine weitaus größere Rolle als die Packungsdichte. Prominente Beispiele für kovalente Strukturen sind Graphit und Diamant. Sie sind in Abbildung 2.7 dargestellt. Graphit hat drei nächste Nachbarn in den Graphenschichten, aus denen sich die Struktur zusammensetzt. Die Bindungen dieser Atome schließen einen Winkel von 120° ein, und wir haben ein eindeutiges Beispiel für eine sp2-Hybridisierung. Im Diamantgitter haben die Kohlenstoffatome vier nächste Nachbarn in einer tetraedrischen Konfiguration, wie man sie für Bindungen vom sp3-Typ erwartet. Interessanterweise kann man die Diamantstruktur auch als ein fcc-Gitter mit einer Basis aus zwei Atomen beschreiben.
Die Diamantstruktur findet man auch bei Si und Ge. Viele andere isoelektronische Stoffe (also Stoffe mit derselben Gesamtzahl von Valenzelektronen), wie SiC, GaAs und InP kristallieren ebenfalls in einer diamantartigen Struktur, wobei jedoch jedes Element auf einem anderen fcc-Teilgitter angeordnet ist.
Nachdem wir verschiedene Kristallstrukturen beschrieben haben, stellt sich natürlich nun die Frage, wie man diese Strukturen überhaupt bestimmt. Die weitaus bedeutendste Methode ist die Röntgenbeugung. Tatsächlich geht die Bedeutung dieser Methode weit über die Festkörperphysik hinaus, da sie inzwischen auch ein wichtiges Werkzeug für solche Fachgebiete wie die strukturelle Biologie geworden ist. Wenn Sie dort die Struktur eines gegebenen Proteins bestimmen wollen, können Sie versuchen, das Protein zu kristallieren, und dann die leistungsstarke Methode der Röntgenbeugung zur Strukturbestimmung verwenden. Die Röntgenbeugung werden wir außerdem zum Anlass nehmen, um unsere formale Beschreibung der Strukturen etwas zu erweitern.
Röntgenstrahlen wechselwirken nur ziemlich schwach mit Materie. Bei der Beschreibung der Röntgenbeugung können wir uns deshalb auf eine einzelne Streuung beschränken, d. h. annehmen, dass einfallende Röntgenstrahlen nicht mehr als ein Mal gestreut werden. Das ist die kinematische Näherung; sie vereinfacht die Dinge wesentlich. Wir werden sie in der Betrachtung hier verwenden. Außerdem werden wir annehmen, dass sich die Röntgenquelle und der Detektor sehr weit von der Probe entfernt befinden, sodass wir die eintretenden und austretenden Wellen als ebene Wellen behandeln können. Die Röntgenbeugung an Kristallen wurde 1912 von M. von Laue entdeckt und beschrieben. Im Jahr 1913 stellten W. L. Bragg und W. H. Bragg eine alternative Beschreibung vor, die beträchtlich einfacher ist und uns hier als Ausgangspunkt dient.
Die Braggs behandelten das Problem einfach als Spiegelung der eintretenden Röntgenstrahlen an flachen Kristallebenen. Diese Ebenen konnten beispielsweise die Ebenen der dichtesten Kugelpackungen der fcc- und hcp-Kristalle sein oder die sich abwechselnden Cs- und Cl-Ebenen der CsCl-Struktur. Auf den ersten Blick scheint diese Betrachtungsweise physikalisch kaum gerechtfertigt zu sein, weil die Kristallebenen für Röntgenstrahlen mit einer Wellenlänge in der Größenordnung des Abstands zwischen den Atomen zweifellos nicht „flach“ sind. Trotzdem ist die Beschreibung äußerst erfolgreich, und wir werden später sehen, dass die Betrachtungsweise der Braggs in Wirklichkeit ein Spezialfall der komplexeren Beschreibung der Röntgenbeugung von Laue ist.
Abbildung 2.8 veranschaulicht die geometrischen Betrachtungen, die der Bragg-Beschreibung zugrunde liegen. Ein kollimiertes Strahlenbündel monochromatischer Röntgenstrahlen trifft den Kristall. Die Intensität der gebeugten Röntgenstrahlen wird in der Spiegelrichtung gemessen. Einfalls- und Ausfallswinkel sind θ = 90° − Θ. Für eine konstruktive Interferenz muss die Weglängendifferenz zwischen Röntgenstrahlen, die von einer Ebene und der nächsten Ebene reflektiert werden, ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge λ sein. In der Abbildung bedeutet das 2AB = nλ. Dabei ist AB der Abstand zwischen den Punkten A und B, und n ist eine natürliche Zahl. Andererseits gilt sin θ = AB/d, sodass sich die Bragg-Bedingung
(2.4)
ergibt. Ist diese Bedingung für eine Ebene und die darunterliegende Ebene erfüllt, so ist sie offensichtlich auch für eine beliebige Zahl von Ebenen mit einem identischen Abstand erfüllt. In der Realität dringen die Röntgenstrahlen sehr tief in den Kristall ein, sodass tausende von Ebenen zur Beugungsintensität beitragen. Dies führt zu sehr scharfen Maxima in der Beugungsintensität, vergleichbar der Situation bei einem optischen Bildraster mit vielen Linien. Die Bragg-Bedingung kann offensichtlich nur für λ < 2d erfüllt sein, die Röntgenstrahlen müssen also eine Wellenlänge haben, die etwas kürzer als der Gitterabstand ist.
Die Bragg-Bedingung funktioniert nicht nur für eine spezielle Art von Gitterebenen in einem Kristall wie den hexagonalen Ebenen in einem hcp-Kristall, sondern für alle möglichen parallelen Ebenen in einer Struktur. Deshalb führen wir eine stringentere Definition des Begriffs „Gitterebene“ ein. Und zwar können wir die Gitterebene als eine Ebene definieren, die mindestens drei nicht kolineare Punkte eines gegebenen Bravais-Gitters enthält. Enthält sie drei dieser Punkte, so enthält sie aufgrund der Translationssymmetrie sogar unendlich viele. Beispiele für Gitterebenen in einer primitiv kubischen Struktur sind in Abbildung 2.9 auf der nächsten Seite dargestellt.
Die Gitterebenen können wir durch eine Menge von drei ganzen Zahlen charakterisieren. Das sind die sogenannten Miller’schen Indizes. Sie lassen sich in drei Schritten bestimmen:
Mithilfe einer solchen Menge ganzer Zahlen können wir dann eine gegebene Gitterebene beschreiben. Später werden wir auf eine andere und elegantere Definition der Miller’schen Indizes stoßen.
In der Praxis sind die Maxima bei der Röntgenbeugung so scharf, dass es schwierig ist, die Probe so auszurichten und zu bewegen, dass die einfallenden und reflektierten Röntgenstrahlen mit der Oberflächennormalen in einer Ebene liegen. Dieses Problem lässt sich auf elegante Weise umgehen, indem man eine Pulverprobe aus kleinen Kristalliten anstelle eines einzelnen Kristalls verwendetet. Dies stellt nicht nur die korrekte Orientierung wenigstens einiger Kristallite sicher, sodass sich für eine bestimmte Menge von Kristallebenen eine konstruktive Interferenz ergibt, sondern es ergibt sich automatisch das Interferenzmuster für alle möglichen Kristallebenen.
Die Bragg-Theorie der Röntgenbeugung ist nützlich, wenn es darum geht, die Abstände zwischen Gitterebenen in einem Kristall zu bestimmen. Aber sie hat ihre Grenzen. Am wesentlichsten ist, dass sie keine Informationen darüber liefert, woraus das Gitter tatsächlich besteht. Sie liefert also keine Informationen über die Basis. Außerdem ist die Annahme, dass Röntgenstrahlen an den Ebenen reflektiert werden, physikalisch etwas bedenklich. Daher diskutieren wir nun eine allgemeinere Beschreibung der Röntgenbeugung, die auf M. von Laue zurückgeht.
Hinter der Röntgenstreuung verbirgt sich demnach der physikalische Prozess, dass das elektromagnetische Feld der Röntgenstrahlung die Elektronen des Stoffes zu Schwingungen anregt, die dieselbe Frequenz haben wie das Feld. Die schwingenden Elektronen emittieren darauf neue Röntgenstrahlen, die dann ein Interferenzmuster bilden. Für die nachfolgende Diskussion ist es jedoch nur wichtig, dass die Röntgenstrahlen an etwas gestreut werden, woran ist unwichtig.
Als äußerst nützlich zur Beschreibung der elektromagnetischen Röntgenwellen erweist sich die komplexe Schreibweise. Für das elektrische Feld lässt sich eine allgemeine ebene Welle als
(2.5)
schreiben. Der Wellenvektor k zeigt in die Ausbreitungsrichtung der Welle. Er hat die Länge 2π/λ mit der Wellenlänge λ. Per Konvention erhält man das physikalische elektrische Feld aus dem Realteil des komplexen Feldes, und die Intensität der Welle ergibt sich aus
(2.6)
Betrachten wir nun die in Abbildung 2.10 dargestellte Situation. Die Quelle der Röntgenstrahlen befindet sich weit von der Probe entfernt am Ort R, sodass sich die bei der Probe ankommende Röntgenwelle als ebene Welle beschreiben lässt. Das elektrische Feld in einem Punkt r zur Zeit t lässt sich damit als
(2.7)
schreiben. Bevor wir gleich weitermachen, lassen wir noch die Amplitude E0 in diesem Ausdruck weg, weil es uns nur um relative Phasenänderungen geht. Das Feld im Punkt r ist dann
(2.8)
Von einem kleinen Volumenelement dV bei r gehen gestreute Wellen in alle Richtungen aus. Die interessante Richtung ist die Richtung auf den Detektor zu, der sich am Ort R′ befinden soll, und zwar in einer Richtung mit einem zweiten Wellenvektor k′. Wir nehmen an, dass die Amplitude der in diese Richtung gestreuten Welle proportional zu dem einfallenden Feld (2.8) ist sowie zu einem Faktor, der die Streuwahrscheinlichkeit beschreibt. Das soll die lokale Elektronenladungsdichte ρ(r) sein:
(2.9)
Wieder haben wir angenommen, dass sich der Detektor sehr weit von der Probe entfernt befindet, sodass die gestreute Welle am Detektor als eine ebene Welle geschrieben werden kann. Setzen wir nun (2.8) ein, so erhalten wir für das Feld am Detektor
(2.10)
Schließlich können wir das Gesamtwellenfeld am Detektor berechnen, indem wir über das gesamte Volumen des Kristalls V integrieren. Da sich der Detektor weit von der Probe entfernt befindet, ist der Wellenvektor k′ für alle Punkte in der Probe im wesentlichen gleich. Das Ergebnis ist
(2.11)