Gene Kerrigan
Kriminalroman
Aus dem Englischen
von Andrea Stumpf
Polar Verlag
Copyright © Gene Kerrigan 2009
Translated from the English language: Dark Times In The City
First Published by Harvill Secker
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2015
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf
© 2015 Polar Verlag GmbH Hamburg
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner
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des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Der Abdruck des Nachworts erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Marcus Müntefering.
Lektorat: Len Wanner
Umschlaggestaltung: Detlef Kellermann, Robert Neth
Autorenfoto: Derek Speirs
Satz: Andre Mannchen
Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign
Print ISBN: 978-3-945133-27-9
E-Book ISBN: 978-3-945133-28-6
www.polar-verlag.de
In memory of
Bridget Kerrigan an Eileen Kerrigan
and Larry McDonagh
and Thomas Daly
This is the dark time, my love.
It is the season of oppression, dark metal, and tears.
It is the festival of guns.
– Martin Carter
»Bitte, tun Sie ihm nichts«, sagte der verängstigte Mann. »Er ist doch noch ein Kind.«
»Die hier wird’s sein«, sagte der Gangster. Er hielt eine kleine, abgeflachte Patrone in die Höhe, das Flurlicht fing sich in der glänzenden Messinghülse.
»Es war nicht seine Schuld«, sagte der Mann.
Der Gangster beugte sich vor, sein Gesicht nur Zentimeter entfernt. In seiner Stimme schwang Ärger mit.
»Was denn, Alter, soll ich das Geld vielleicht abschreiben?«
»Er hat nicht so viel.«
»Dann geben Sie’s ihm.«
»So viel Geld hab ich nicht.«
»Das hat jeder. Verkaufen Sie was.«
»Warten Sie –«
»Ihr Problem, nicht meins.« Der Gangster ließ die Patrone in die Tasche seines Hugo-Boss-Jacketts gleiten und wollte sich schon umdrehen.
»Bitte.«
»So sind die Regeln nun mal.«
»Ich werd alles verkaufen, was ich habe.«
»Na also.«
»Aber es wird –«
»Er hat bis Ende der Woche.«
Von hier oben auf den Dubliner Hügeln glänzten die Lichter der Stadt wie unzählige, achtlos in eine flache Schale gestreute glitzernde Sandkörner. Hier und da ergab das Geglitzer auch Muster – Zusammenballungen weißsilbriger Lichter, Ansammlungen hoher Gebäude, Kräne mit roten Warnleuchten an der Spitze, orangefarbene Straßenlampen, die in geschwungenen Linien in die Vororte führten oder anzeigten, wo die Küstenstraße das schwarze Meer auf Abstand hielt. Darüber bewegten sich die Lichter von Flugzeugen auf ihrer unsichtbaren Bahn zum Flughafen. Der Himmel war klar, der Mond fast voll, die Luft schneidend kalt.
Die beiden Männer, der eine knapp sechzig, der andere Anfang zwanzig, blieben am Rand des dichten Waldes stehen und sahen auf ihre Stadt hinunter. Eine Menge Lichter, eine Menge Leute. Eine halbe Million in der Stadt selbst, eine weitere halbe Million im Umland. Und alle, jeder Einzelne von ihnen, wollte bestimmte Sachen, brauchte bestimmte Sachen. Einiges von dem, was die Leute wollten, konnte nicht legal beschafft werden – für anderes wollten sie ungern den Ladenpreis bezahlen. Es waren viele Reiche darunter, und Reichtum ließ sich verteilen. Man musste nur zugreifen.
Weihnachten stand vor der Tür und einige Kräne waren mit bunten Lichtern geschmückt. Früher hatte es unter den Politikern und anderen Meinungsmachern der Stadt zum guten Ton gehört, mit den vielen Kränen, die die Dubliner Silhouette zierten, zu prahlen. Man empfand Nationalstolz für die Kräne und sprach über sie mit derselben Achtung wie die alten Leute, wenn sie an die toten Nationalhelden erinnerten.
Gab nicht mehr viel, mit dem man prahlen konnte.
»Was meinen Sie?«, sagte der Jüngere. »Passt das hier?«
Der Ältere wandte den Blick von dem Lichtermeer ab. Er knipste die kleine Taschenlampe an und führte den jungen Mann zwanzig Meter weit in den Wald zu einer kleinen Lichtung. Dort bohrte er versuchsweise seinen Absatz in den Boden.
»Hart«, sagte er.
»Klar, jetzt im Winter.«
»Muss ja nicht tief sein.« Er deutete auf die Lichtung. »Wirst du die Stelle wiederfinden?«
»Keine Sorge.« Der jüngere Mann steckte die Hände unter die Achseln. »Scheiße, ist das kalt.«
Der ältere Mann klopfte mit dem Fuß auf den Boden. »Was Besseres haben wir nicht.« Er grinste. »Aber egal«, sagte er, »es müssen ja nicht wir graben.«
Auf dem Rückweg zum Auto lauschte der ältere Mann auf das An- und Abschwellen einer fernen Sirene aus der unter ihnen liegenden Stadt. Polizei, Notarzt oder Feuerwehr – da hatte jemand ein Problem.
So spät am Abend war in diesem Abschnitt der Straße nur noch der Pub geöffnet. Nicht ganz in der Mitte einer Ladenzeile zwischen einem Blumenladen und dem Friseur gelegen, verlieh er der Straße mit seinem warmen Licht selbst an einem kalten Winterabend etwas Einladendes. Es gab zwei Eingangstüren, die eine führte in den Tresenbereich, die andere in den Gastraum mit den Tischen. Die hohen kleinen Fenster waren vergittert. Die Fassade war kürzlich in einem gebrochenen Weiß gestrichen worden. Das oben an der Mauer angebrachte blaue Neonzeichen zeigte ohne künstlerische Ambitionen den Umriss eines Papageis. Der Pub hieß Blue Parrot. Besitzer und Betreiber war ein Mann namens Novak.
Der Blue Parrot war ein stinknormaler Pub. Die Jugend fuhr zum größten Teil ins Zentrum oder ging in einen der Pubs mit Unterhaltungsprogramm. Novak hielt nichts von Quizabenden, Konzerten, Comedy-Nights oder DJs. Zu ihm kamen die Leute, um etwas zu trinken und etwas Gesellschaft zu haben.
Auf der anderen Straßenseite standen Reihenhäuser mit gepflegten Vorgärten. Ganz Glencara und andere städtische Sozialsiedlungen in Dublin, wie Finglas, Cabra West, Drimnagh, Crumlin, Ballyfermot, waren nach demselben 08/15-Bauplan errichtet worden. Mittlerweile erkannte man die kleinen, schmalen Häuser kaum wieder. Viele Fassaden waren farbig verkleidet oder auf andere Weise verschönert worden – Säulen, die die Haustüren flankierten, oder geflieste Dächlein über den Fenstern.
Vom anderen Ende der Straße näherte sich ein Motorrad dem Pub. Abseits der Hauptstraßen war der Verkehr in der Siedlung spärlich, aber der Motorradfahrer hatte es nicht eilig und fuhr in gemächlichem Tempo über die Straßenschwellen, mit denen Raser gezügelt werden sollten.
Vor dem Pub angekommen stieg zuerst der Beifahrer ab. Er holte etwas aus der Satteltasche. Am Eingang blieb er stehen und winkte dem Fahrer ungeduldig zu.
Als der Mann mit dem schwarzen Motorradhelm in den Pub trat, glitt Danny Calaghan von seinem Barhocker und sah sich nach etwas um, das er als Waffe benutzen könnte. Seine Hand packte das Einzige, was in Reichweite war – sein halb leeres Bierglas.
Nach ein paar Schritten blieb der Schütze stehen. Der Helm verbarg den größten Teil des Gesichts, und seine Blicke hinter dem offenen Spalt glitten von Tisch zu Tisch. In der locker hängenden Rechten hielt er eine Waffe. Hinter ihm trat der zweite Mann mit einem identischen Motorradhelm ein, eine abgesägte Schrotflinte im Arm. Beide Männer trugen dunkelblaue Overalls.
Die meisten Gäste saßen an den Tischen und in den Sitznischen entlang der Wände, eine Handvoll hockte oder stand am Tresen.
Der erste Bewaffnete entdeckte die Zielperson und bewegte sich auf sie zu.
Mittlerweile wussten die meisten, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, was kommen würde. Die Motorradhelme, der zur Deckung abgestellte zweite Bewaffnete, das entschlossene Zugehen auf das vorgesehene Opfer – mit diesem Prozedere war man in den letzten Jahren so vertraut geworden wie mit der Schrittfolge vom Riverdance.
Die Panik in Danny Callaghans Brust ließ nach.
Ich bin nicht gemeint.
Er lockerte den Griff um das Bierglas und steckte die Hand in die Tasche, um ihr Zittern zu unterdrücken. Der erste Bewaffnete ging auf eine Nische neben dem großen Kamin zu, wo drei bleich gewordene Männer aufstanden.
Der Mann in der Mitte – klein, mittleren Alters, graue Haare – hieß Walter Bennett. Während seine Begleiter verängstigt und erstaunt wirkten, zeichnete sich auf Walters eingefallenem Gesicht das nackte Grauen ab.
Danny Callaghan ertastete das Taschenmesser in seiner Hosentasche. Es war eine kleine Zange daran, ein Schraubenzieher, ein Flaschenöffner und eine fünf Zentimeter lange Klinge. Als Waffe war es völlig unbrauchbar, er hielt es trotzdem fest. Mit dem Fingernagel versuchte er, die Klinge herauszuziehen.
Nur zur Sicherheit.
Es waren weniger als zehn Sekunden vergangen und mittlerweile wusste selbst der Begriffsstutzigste im Blue Parrot, was vor sich ging.
Das fünftklassige Fußballspiel auf dem Sportkanal lärmte weiter vor sich hin, aber die meisten Gäste waren verstummt und gaben höchstens einen gepressten Fluch von sich oder holten hörbar Luft.
Einige wandten das Gesicht ab, zogen den Kopf ein oder duckten sich. Andere starrten mit offenem Mund hinüber, um sich nichts entgehen zu lassen.
»He, kommt schon, haut ab.«
Novak, der Wirt, stand mit eingezogenem Bauch hinter dem Tresen und streckte dem Mann mit der Pistole die offene Hand entgegen. Der Mann, inzwischen schon fast an der Nische, ignorierte ihn.
Walter suchte quer durch den Raum den Blick Callaghans.
»Hilf mir, Danny!«
Zwei Schritte von ihm entfernt hob der Mann die Waffe, zielte auf Walters Stirn, hielt einen Moment inne, dann drückte er ab.
Nicht einmal ein Klicken.
Nichts.
Kein Geräusch, kein Rückstoß, kein Rauchwölkchen. Nur eine nicht funktionierende Waffe.
Der Schütze duckte sich, als Novak eine Ginflasche warf, und in dem Moment setzte sich Walter in Bewegung. Er stemmte sich mit dem einen Fuß auf die Sitzfläche des Stuhls hinter ihm, mit dem anderen vorne auf die Tischplatte, und der Tisch rutschte weg, Gläser fielen um, dann ein Satz und Walter rannte los.
Der Schütze drehte sich um, ging mit ausgestrecktem Arm in die Hocke, die Pistole auf den Flüchtenden gerichtet. Dem wilden Geschrei der Gäste folgte der laute, trockene Knall der feuernden Waffe.
Walter, unverletzt, kam auf Callaghan zu.
»Hilf mir, Danny!«
Walter packte mit einer Hand Callaghan am Kragen und blieb kurz stehen, dann war er vorbei, drehte hektisch den Kopf auf der Suche nach einem Weg nach draußen.
»Danny!«
Scheiße, was zum Teufel soll ich denn seiner Meinung nach machen?
Callaghan ließ sein Taschenmesser los und nahm die Hand aus der Tasche.
Walter wandte sich den Klos zu, aber selbst in seiner Panik wusste er, dass sie nicht mehr als ein stilleres Örtchen zum Sterben waren. Keine Zeit, um an dem Tresen vorbei zum Durchgang in den anderen Gastraum zu kommen. Er drehte sich dem näher kommenden Schützen zu und kauerte sich halb abgewendet hin, als würde es helfen, sich kleinzumachen.
Der Schütze grunzte Callaghan im Vorbeigehen eine Warnung zu, richtete seine Pistole auf Walter, und Callaghan hob den Barhocker und ließ ihn auf seinen Rücken krachen. Der Schütze ging zu Boden, die Waffe rutschte aus seiner Hand und er kippte zur Seite. Callaghan stürzte sich auf ihn und nagelte ihn mit dem Knie auf dem Boden fest.
Walter kam und trat dem Schützen mit voller Wucht in die Rippen. Dann bückte er sich, schnappte die kleine graue Pistole, aber bevor er etwas damit anstellen konnte, umklammerte Callaghans Linke die Hand, in der Walter die Pistole hielt. Mit der anderen löste Callaghan die Finger von der Waffe und sah sich um.
Alle hatten sich unter den Tischen verkrochen.
Nur Novak war hinter dem Tresen hervorgekommen und stand mit dem Rücken zu Callaghan, eine Hand erhoben, dem Mann mit der Schrotflinte an der Eingangstür entgegengestreckt, in der anderen Hand einen Hammer. Der Mann schwenkte die Schrotflinte hin und her, scharrte nervös mit den Füßen.
»Jemand verletzt?«, rief Novak.
Schweigen.
»Lass ihn los!«, brüllte der Mann mit der Schrotflinte.
Novak senkte den Hammer, seine Stimme unnatürlich ruhig. »Es ist vorbei, okay? Immer mit der Ruhe.«
Callaghan beugte sich vor, packte den Overall des hingestreckten Schützen am Kragen und zog den Mann hoch. Er war schwer, aber Callaghan riss ihn hoch. Er hörte ein befriedigendes Stöhnen, als er ihm den Arm hinter dem Rücken nach oben bog, und ein Quieken, als er den Mann um den Tresen herum Richtung Eingangstür stieß. Der Schütze stolperte, seine Sicht durch den Helm behindert.
Novaks Stimme klang gepresst. »Nur die Ruhe, niemandem ist was passiert.«
Callaghan trat neben Novak, den Schützen hielt er vor sich. Der Mann mit der Schrotflinte stand vier Meter entfernt. »Keine Dummheiten, okay«, sagte Callaghan. »Sobald du dich verzogen hast, lassen wir ihn gehen.«
Der Mann mit der Schrotflinte zögerte. Callaghan deutete mit der Pistole auf ihn und sagte: »Die lässt du da und dann machst du dich davon.«
Der Möchtegernkiller legte die Schrotflinte auf den Boden und machte rückwärts ein paar Schritte, drückte die Tür auf. Dann rief er noch »Komm, Karl, komm schon!« und war weg.
Callaghan griff nach vorne und zog dem Schützen den Helm ab. Karl war um die zwanzig, stämmig, klein, Stoppelkopf, spärlicher Bartwuchs über der zitternden Lippe. Callaghan hielt den Arm des Mannes fest umklammert, spürte dessen Kraft.
»Schwirr ab, Karl – wenn du hier noch mal auftauchst, kriegst du einen Tritt in deinen pickeligen Arsch.«
Er stieß den Schützen nach vorne, presste ihn gegen die Eingangstür und trat sie auf. Draußen saß der zweite Mann auf dem Motorrad, aus dem eine Abgaswolke strömte, und sein Kumpel sprang auf den Sozius. Das laute Aufheulen, mit dem die beiden losfuhren, sollte wahrscheinlich aggressiv klingen, hatte aber eher etwas von einem beleidigten Jaulen.
Novak stand neben Callaghan und sah zu, wie das Motorrad auf das Ende der Straße zuraste. »Oh Mann«, sagte er.
Callaghan nickte. »Oh Mann.«
In der Ferne fuhr das Motorrad durch den orangefarbenen Lichtkegel einer Straßenlampe, dann sprang es über eine Schwelle, die der Fahrer übersehen hatte, und schlingerte kurz. Mit quietschenden Reifen bog die Maschine scharf in eine Nebenstraße ab. Innerhalb von Sekunden war das Motorengeräusch verklungen.
Novak keuchte, als wäre er ein paar Mal um den Block gerannt. »Was für eine Scheißstadt.«
»Kennst du die beiden?«, fragte Callaghan.
Novak schüttelte den Kopf. »Irgendeiner wird es den Bullen sagen – ich werd’s wohl melden müssen.« Er hob eine Augenbraue. »Warst du heute Abend da?«
Callaghan sah ihn nur an.
»Dann gehst du wohl besser«, sagte Novak. Er warf einen Blick auf die Schrotflinte an seiner Seite. »Was soll ich damit machen?«
»Gib’s in die Tombola.«
Callaghan hielt die Pistole mit dem Saum seines braunen Wildlederblousons und wischte sie mit seinem schwarzen T-Shirt ab. Er hielt sie Novak hin. »Und die kannst du gleich dazutun.«
»Bei dem Wirbel, den die Bullen veranstalten werden, kann ich den Laden gleich ein paar Tage dichtmachen«, sagte Novak.
Walter Bennett hetzte aus dem Pub an Novak vorbei und fiel in den unbeholfenen Trab eines Mannes, der es nicht gewöhnt war, zu laufen.
Novak und Callaghan sahen ihm hinterher. Novak schnaubte und sagte: »Gern geschehen, Walter.«
Die ganzen zehn Minuten, die Danny Callaghan zu Fuß nach Hause brauchte, verfluchte er sich, nur um nicht nachzudenken.
Du Vollidiot.
Genau so passiert es – nur eine falsche Entscheidung –
Er fluchte erneut, bis er merkte, dass er laut gesprochen hatte. »Du Vollidiot.«
Niemand war da, der ihn hätte hören können. Die Luft war so kalt, dass er seinen Atem sehen konnte, und die Straße lag verlassen da. Callaghan war groß, gebaut wie jemand, der sich den Lebensunterhalt mit seiner Hände Arbeit verdiente. Er hatte etwas Unfertiges an sich. Sein altmodischer Haarschnitt, hinten und an den Seiten kurz, hätte von einem drittklassigen Friseur stammen können, der es eilig gehabt hatte. Die grauen Strähnen ließen ihn älter als zweiunddreißig wirken.
Der hellblaue Ford Fiesta wurde vom Röhren des hochgetunten Motors angekündigt. Der Rennfahrernachwuchs hielt abrupt an der vor Callaghan liegenden T-Kreuzung Verdunkelte Scheiben, blaue Zusatzleuchten, die vom Asphalt unter dem Fahrgestell reflektiert wurden, und wummernde Hip-Hop-Beats, die das ganze Auto zum Pochen zu bringen schienen. Trotz der Kälte war das Fahrerfenster ganz heruntergelassen. Das hatte nichts mit Sauerstoffmangel zu tun, sondern nur mit Jugend und Image und dem Willen, die ganze Welt an der Lieblingsmusik teilhaben zu lassen. Callaghan erinnerte sich an das Gefühl.
Der junge Mann war wahrscheinlich auf dem Heimweg von seinem lausig bezahlten Job in irgendeiner Klitsche, deren Chef noch nicht einmal nach seinem Nachnamen gefragt hatte. In seiner Fantasie war er dagegen gerade auf dem Weg, sich hier in der Gegend zwei Kilo Koks zu organisieren, bevor er es sich von zwei Weibern besorgen ließ, und jeden Scheißer, der ihm dazwischenfunken sollte, plattzumachen. Er drückte das Gaspedal durch, beugte sich vor, sah nach links, bog rechts ab und raste mit quietschenden, beinahe das Aufheulen des Motors übertönenden Reifen davon.
Das erste Mal hatte Callaghan mit fünfzehn hinter dem Steuer eines geklauten Lexus diesen Rausch empfunden. Fünfzehn und unsterblich, fünfzehn und in der Gewissheit, dass er der geborene Fahrer war, dass es ihn nie aus der Kurve tragen würde. Und so war es auch, bis er sich zwei Jahre später in der sternförmigen Straßenanlage von Marino verfranzte, verfolgt von einem Streifenwagen, zu schnell um eine Ecke bog und sich um einen Laternenpfahl wickelte. Als das Notarztteam ihn aus dem Autowrack zog, lächelte er, immer noch im Rausch.
Bei der Erinnerung erschauerte Callaghan. Diese Mischung aus Testosteron, Arroganz, Mut und Dummheit konnte nur die Zeit heilen.
Er ging durch einen schmalen Durchgang auf eine fünf Hektar große, überwucherte Wiese. Daraus ließe sich ein hübscher kleiner Park machen, aber dafür war kein Geld da, also geschah es nicht. Die Wiese war bucklig und löchrig. Stellenweise war der geteerte Weg, der hindurchführte, mit Glasscherben übersät.
Wer wollte Walter Bennett umbringen?
Bei einem einzelnen Bewaffneten könnte es sich um eine persönliche Abrechnung handeln. Zwei dagegen – Angreifer und Rückendeckung –, das roch nach Drogengang, die ein Problem aus der Welt schaffen wollte.
Trotzdem, es war kaum zu glauben, dass Walter Bennett sich so weit nach oben gearbeitet haben sollte. Callaghan hatte ihn während seines letzten Jahrs im Knast kennengelernt, als Walter wegen Einbruchs in ein Autohaus zu fünf Monaten verknackt worden war. Seit Callaghans Entlassung waren sie sich immer mal wieder über den Weg gelaufen und einmal waren sie etwas trinken gegangen. Walters Lebenslauf wies wegen seiner Gefängnisaufenthalte mehrere Lücken auf, und sein alterndes Gesicht trug den chronisch missgünstigen Ausdruck des Versagers. Callaghan konnte sich nicht vorstellen, warum ein solcher Kleinganove ins Visier von ein paar Schwerbewaffneten kommen sollte, und es war ihm eigentlich auch egal.
Du Vollidiot.
Egal in welchen Mist Walter verstrickt war, bei so einem war nichts anderes zu erwarten, aber Callaghan hätte es besser wissen müssen. Wenn irgendwelche schweren Jungs Walter umbringen wollten, aus welchem Grund auch immer, dann würde er sterben. Sich in so was einzumischen war unsinnig.
Soweit die Logik, aber Logik und Impulsivität schlossen sich aus. Novak hatte sich aus einem Impuls heraus eingemischt, er wollte seinen Pub und seine Gäste verteidigen. Und Callaghan hatte sich aus dem Impuls heraus eingemischt, seinem Freund Novak helfen zu wollen.
Ungefähr in der Mitte der Wiese war eine mit Büschen bewachsene Erhebung, hinter der sich ein städtischer Lagerschuppen befand. Als Callaghan näher kam, traten drei Jugendliche in szenegerechten Hoodies hinter den Büschen hervor. Einer von ihnen entdeckte Callaghan und nickte. Callaghan erwiderte das Nicken. Der Junge – er hieß Oliver – wohnte zusammen mit seinem Großvater zwei Stockwerke über Callaghan. Sie hatten sich bei Callaghans Einzug auf dem Treppenabsatz im ersten Stock kennengelernt. Callaghan hatte sein Gepäck die Treppe hochgeschleppt und geflucht, als ihm eine sperrige Reisetasche von der Schulter gerutscht war. In dieser Gegend ließ man besser kein Gepäckstück unbewacht auf der Straße stehen, während man den Rest nach oben trug. Oliver kam gerade die Treppe hinunter, blieb stehen, nickte und nahm ihm einen seiner beiden Koffer ab. »Scheißlift«, sagte er, »gibt alle zwei Wochen den Geist auf. Und dann brauchen sie Tage, bis sie ihn wieder zum Laufen bringen.«
Er trug den Koffer zu Callaghans Wohnung hinauf. Er sagte, dass er zwei Stockwerke darüber wohnte, dann nickte er Callaghan zu, der sich bedankte, und machte sich pfeifend auf den Weg nach unten. Er schien keine feste Arbeit zu haben und trieb sich meistens im Viertel herum. Ein paarmal sah Danny ihn in Novaks Pub. Es stimmte, was er über den Lift gesagt hatte.
Oliver und seine Freunde aus der Nachbarschaft hatten in den Büschen auf der Wiese ein Lager mit Flaschen angelegt, mit denen sie sich im Lauf des Tages im Supermarkt eingedeckt hatten. Die Büsche waren vom Wohnblock aus einsehbar und bisher war offenbar noch niemand so dumm gewesen und hatte versucht, sie zu beklauen. Am späteren Abend kamen die Kids dann, hockten sich in einer Kuhle zusammen, machten ein Feuer, um sich warmzuhalten, und tranken Cider und Bier.
In der Wohnung goss sich Callaghan einen Scotch ein. Der fünfstöckige Wohnblock wurde von seinen Bewohnern Hive genannt – Bienenstock. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert. In das Schlafzimmer von Callaghans Wohnung im dritten Stock passten gerade einmal ein Bett und ein Kleiderschrank. Der Raum, der als Wohnzimmer, Esszimmer und Küche diente, war kaum größer.
Nachdem er eine Weile an seinem Whiskey genippt hatte, stellte Callaghan fest, dass er ihm nicht schmeckte. Er schüttete den Rest in die Spüle.
Du Vollidiot.
Er schaltete den Boiler an, aber es würde eine Ewigkeit dauern, bis die Heizkörper etwas gegen die eisige Luft ausrichteten. Er vergrub die Hände in den Jackentaschen und zog die Schultern gegen die Kälte hoch. In einer der Taschen entdeckte er das Taschenmesser, zog es hervor und klappte die Klinge heraus. Er benutzte es beinahe täglich, aber für einen Kampf taugte es wahrscheinlich nicht mehr als ein Spielzeugmesser.
Welcher Trottel tritt mit einem Barhocker gegen eine Pistole und eine Schrotflinte an?
Dumm.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, so früh nach Hause zu gehen. Er wollte allein sein, aber in der Wohnung gab es nichts, um sich abzulenken, und die Gedanken, die er bislang unter Kontrolle hatte halten können, schwirrten ihm durch den Kopf und setzten sich kurz fest, lange genug jedenfalls, um alles andere zu verdrängen.
Gerade noch lebst du. Und dann – Callaghan wusste, dass die arktische Kälte, die ihm über die Kopfhaut kroch, nichts mit der Temperatur in der Wohnung zu tun hatte.
Der Polizist wusste, dass Novak log, und Novak war es egal.
»Natürlich kennen Sie ihn.«
»Wenn ich ihn kennen würde, würde ich Ihnen das sagen.«
»Zwei Ihrer Gäste haben ausgesagt, dass der Mann, auf den sie es abgesehen hatten, Stammgast ist. Ein gewisser Walter.«
»Nein, tut mir leid, sagt mir nichts.«
Die paar Gäste, die bei der Ankunft der Polizei noch im Pub gewesen waren, hatte man schon befragt. Nachdem die Polizei auch die beiden Barmänner vernommen und ihnen erlaubt hatte, zu gehen, hatte Novak die Kasse gemacht und das Geld in den Safe gelegt.
»Machen Sie das Ding aus«, sagte der Polizist.
Im Fernseher oben an der Wand beugte sich ein glatzköpfiger Mann mit durchfurchtem Gesicht und hochgezogenen Augenbrauen in die Kamera. Er schlug zur Bekräftigung seiner Rede bei jedem dritten oder vierten Wort mit der Faust in die Hand und erklärte, dass ein zu drastisches Vorgehen gegen die Erderwärmung Gift für die Wirtschaft wäre. »Ich halt mich gern auf dem Laufenden«, sagte Novak zu dem Polizisten.
Drei weitere Polizisten waren im Pub, zwei von ihnen untersuchten das Einschussloch in der Holzverkleidung der hinteren Wand. Der dritte hatte die Schrotflinte und die Pistole in Beweismitteltüten gesteckt und saß jetzt mit dem Handy am Ohr an einem Tisch und führte ein lebhaftes Gespräch mit seiner Frau.
»Wie lang dauert das noch?«, fragte Novak.
»Kommt ganz drauf an.«
Der Polizist hatte sich als Sergeant Wyndham vorgestellt. Ein großer Mann, größer als Novak, eher so wie Callaghan. Während Callaghan allerdings schlank war, spannte sich der Neunzig-Zentimeter-Gürtel des Sergeants unter dessen Bauch. Er hatte sein Notizbuch aufgeklappt, als er sich Novak zugewandt hatte, die Seite war noch unbeschrieben.
»Sie haben hier kaum Laufkundschaft. Dieser Walter kommt zwei-, dreimal die Woche und Sie wollen ihn nicht kennen?«
»Wie schon gesagt, den Namen hör ich das erste Mal.«
Im Grunde war es egal. Nachdem sie Walters Namen hatten, würden sie ihn auch finden. Sie würden Danny Callaghans Namen herauskriegen und auch ihn finden. Aber Novak hatte seine Prinzipien. Sobald ein Mann in seiner Position anfing, mit den Bullen zu reden, würden sie ständig angetanzt kommen. Über kurz oder lang würden sie Hinweise zu jedem seiner Gäste erwarten, dessen gesellschaftliches Engagement ihnen nicht gefiel. Und jedes Mal, wenn jemand aus dem Viertel vom Pfad der Tugend abwiche, stünde die Polizei bei ihm auf der Matte, und schon hätte Novak einen Ruf weg, der nicht gut für seine Kniescheiben wäre.
»Der Mann, der den Mord verhindert hat – ich hab gehört, dass Sie sich mit ihm unterhalten haben, bevor das Ganze losging.«
»Ich bin zu allen meinen Gästen freundlich. Dieser Mann – ich bin nicht dazu gekommen, ihn nach seinem Namen zu fragen.«
Novaks Gesicht war genauso ausdruckslos wie seine Stimme, die grauen Stoppeln auf seinen Hängebacken stachen gegen seinen kahlrasierten Schädel ab. Er verzog keine Miene und versuchte gar nicht, seinen Lügen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
»Und die Bewaffneten – haben Sie einen von denen erkannt, einen Namen aufgeschnappt?«
Einer der Gäste hatte während der Befragung erklärt, ein Angreifer habe den anderen beim Namen genannt, er habe ihn aber nicht richtig mitgekriegt, es sei alles so schnell gegangen.
»Ich hatte genug damit zu tun, die Leute zu beruhigen«, sagte Novak.
»Die Waffen.« Der Polizist deutete auf die beiden Beweismitteltüten auf den Tresen, in denen die Schrotflinte und die Pistole lagen. »Ihre Fingerabdrücke sind vermutlich darauf zu finden. Hat sie sonst noch jemand angefasst?«
»Es war alles ein bisschen hektisch. Ich hab mir keine Notizen gemacht.«
»Ich rate Ihnen, sich die Polizei nicht zum Feind zu machen.«
Novak richtete sich auf und sah dem Polizisten in die Augen. »Ich wollte gerade Kaffee kochen. Wollen Sie und Ihre Kollegen auch einen?«
Wyndham sagte einen Moment lang nichts, so als hätte er keine Lust, auf das Friedensangebot einzugehen. Dann seufzte er. »Warum nicht?«
So wie die Frau an der Rezeption des schäbigen kleinen Hotels ihn anlächelte, wusste Karl Prowse sofort, dass sie scharf auf ihn war. Sie war Ende dreißig, beinahe zwanzig Jahre älter als er, aber er hätte nichts dagegen gehabt. Das lag nicht an den blondierten Haaren oder dem engen violetten Kleid, es war der unverfrorene Blick, mit dem sie ihn musterte, so als würde sie sich vorstellen, wie er sich zwischen ihren gespreizten Schenkeln anfühlte. Er spielte noch ein bisschen mit dem Gedanken, während sie der Nutte an Karls Seite zunickte. Die Nutte hatte ein Arrangement mit dem Hotel und das Zimmer war in dem Preis, den sie Karl genannt hatte, inbegriffen. Als sie Arm in Arm die Treppe hochgingen, warf Karl einen Blick zurück. Die Frau an der Rezeption war schon wieder in ihre Zeitschrift vertieft.
Karl erinnerte sich an einen Film im Fernsehen, in dem es darum ging, dass eine Begegnung mit dem Tod den Sexualtrieb anstachelt. So war es bei ihm auch. Sobald Angst und Spannung nachlassen, fließen die Säfte wieder und man hat das Bedürfnis, sich ins Leben zu stürzen, konkret: zu ficken. Er spürte immer noch das Adrenalin.
Vorhin in dem beschissenen Pub, als die Sache aus dem Ruder lief, gab es nur einen Moment, in dem Karl Prowse Angst hatte. Sonst hatte er die Lage die ganze Zeit im Griff gehabt. Selbst als sich dieser Scheißkerl einmischte und ihn was Hartes am Rücken erwischte und er zu Boden ging und ihm die Waffe aus der Hand rutschte, hatte er die Sache eigentlich im Griff. Wenn er auf dem Boden auftraf, würde er sich einfach herumrollen und mit der Waffe in der Hand wieder aufspringen. Und selbst als dieser Scheißkerl sich auf ihn stürzte und Karl mit dem Knie festnagelte, hätte er damit fertigwerden können. Er schätzte Gewichte, Hebel und Kräfte ab, spannte seine Muskeln an – und dann sah er aus dem Augenwinkel eine Hand, die nach unten griff und die Waffe nahm, und er spürte, wie er innerlich gefror. Es war Walter, dieses Stück Scheiße, wegen dem er hergekommen war, um ihn alle zu machen, es war seine Hand, die sich um die Waffe schloss. Karl wusste, dass er durch nichts verhindern konnte, dass ihm in den nächsten Sekunden ein Loch in den Kopf gepustet werden würde. Und auch wenn sein Körper in diesen Sekunden das Gewicht des Kerls, der ihn am Boden hielt, abzuschütteln versuchte, sein Kopf hatte schon akzeptiert, dass er sterben würde, und war plötzlich völlig leer. Dann sah er, wie der Scheißkerl, der sich eingemischt hatte, Walter die Waffe abnahm, ihm einfach die Pistole aus den Fingern schälte, und an die Stelle seiner Angst trat Wut.
Scheiße, wo bleibst du?
Eigentlich hätte Robbies Schrotflinte die Sache längst bereinigt haben sollen. Der Depp hätte ein Haufen Brei sein sollen. Und Walter – sobald Walter nach der Pistole griff, hätte sein Blut an den Wänden kleben müssen.
Wo bleibst du?
Der Depp zog Karl auf die Füße und bog seinen Arm hinterm Rücken nach oben. Karl kam ins Straucheln, aber der Schmerz war ihm egal – er war viel zu sauer, weil er sich hatte übertölpeln lassen.
»Lass ihn los!«
Robbie, dieser Spacko, hielt die Schrotflinte so, als hätte er Angst, sie würde ihm in den Händen explodieren.
»Es ist vorbei, okay? Immer mit der Ruhe.«
Der Typ von hinter dem Tresen, er versuchte, alle zu beruhigen.
Wir haben’s versaut. Kompletto.
Fürs Erste.
Dann sagte der Typ, der Karl festhielt, dieser Depp, zu Robbie, dass er keine Dummheiten machen sollte, und dann nahm er Karl den Helm ab und stieß ihn gegen die Tür und das Ganze war fast vorbei, bis Robbie, der Spacko, etwas dermaßen Blödes machte, dass man es kaum glauben konnte.
»Komm, Karl, komm schon!«
Keine Namen.
Das war die Regel Nr. 1 bei solchen Jobs – egal was passiert, man nennt keine Namen.
Wie arschblöd kann man eigentlich sein?
Karl fickte die Nutte, bohrte die Finger in ihre Hüften, und die Stöße drückten ihr Gesicht ins Kissen und brachten das Bett zum Quietschen. Sie keuchte und stöhnte, als sei sie vertraglich dazu verpflichtet, und nach einer Weile erinnerte sich Karl, dass er sie schon einmal gehabt hatte. Er schloss die Augen. Er dachte an die Frau an der Rezeption.
Karl hatte später, als sie sich aus dem Staub gemacht hatten, nichts zu Robbie über den Scheiß, den er angerichtet hatte, gesagt. Hätte keinen Sinn gehabt.
»Tut mir leid, Karl –«
Robbie Nugent war ein guter Junge – sie kannten sich seit der Grundschule, und Karl hatte ihn Lar Mackendrick empfohlen. War vielleicht ein Fehler gewesen. Es war Karls große Chance – vielleicht hätte er einen mit mehr Eiern in der Hose nennen sollen, als Lar Mackendrick ihn nach jemandem fragte, der was draufhätte. Aber Robbie war nun mal ein Kumpel – nicht gerade helle, aber ein Kumpel.
Karl fluchte, sagte der Nutte, sie solle still sein, dann beugte er sich vor und kam grunzend, die Lippen auf ihren Rücken gepresst, ihren Geruch tief einatmend.
Als sie sich aus dem Staub gemacht hatten, hatte Karl in einer sicheren Wohnung seine Klamotten gewechselt und Robbie gesagt, er solle dort bleiben, dann war er mit einem Taxi die paar Kilometer ins Stadtzentrum gefahren. In einem Pub ganz in Grau und Chrom mit einer riesigen Neonblüte hinter der Bar fand er ein Telefon.
»Ist schiefgegangen.«
»Warum?«
»So ein Klugscheißer hat sich eingemischt.«
»Und?«
»Wir haben die Aktion abgebrochen. Nach Lage der Dinge schien’s uns das Schlauste.«
»Und?«
Karl merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Etwas in seiner Stimme hatte Lar Mackendrick verraten, dass das noch nicht alles war. Einen Auftrag zu vergeigen, war schlimm genug. Ohne Pistole und Schrotflinte wiederzukommen – Scheiße. Karl schaffte es nicht, die Ängstlichkeit in seiner Stimme zu unterdrücken. »Wir haben unser Werkzeug dalassen müssen.«
Lar schwieg.
»Ich erklär’s, wenn wir uns sehen«, sagte Karl.
Lar legte schweigend auf.
Karl klaubte in dem schäbigen kleinen Hotel seine Jeans vom Boden auf, bezahlte die Nutte und sagte ihr, sie solle sich verziehen. Nachdem er eine Stunde vor sich hin gedöst hatte, war er hungrig, stand auf, zog sich an und ging nach unten. Hinter der Rezeption saß ein Schlitzauge mit Vorbiss. Karl fand einen Pub, trank ein Bier und aß ein Sandwich, und als er fertig war, ging er heim. Sergeant Wyndham konnte aus dem Hintergrund Gelächter hören. Beim Chief Superintendent schien eine Party zu sein. Der Chief Super sagte gerade: »Sie glauben also nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt?«
Vier tote Gangmitglieder in weniger als zwei Wochen, allesamt öffentliche Hinrichtungen. Schießt du einem meiner Leute ein Loch in den Kopf, schlag ich einem von deinen den Schädel ein. Keiner der Morde war in Glencara passiert. Wenn die Sache in Novaks Pub damit zu tun hatte, könnte das bedeuten, dass die Fehde sich über die Innenstadt hinaus ausbreitete.
»Sieht nicht danach aus. Wir kennen den Vornamen – Walter –, damit werden wir ihn aufspüren. Ein Mann mittleren Alters, stammt aus der Gegend, klingt nicht nach einer großen Nummer.«
»Also was Persönliches.«
»Kann sein, dass sich herausstellt, er hat das Kind von jemandem begrapscht oder ihm den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt.«
Der Chief Super klang erleichtert. »Dann ist es vielleicht vorbei. Zwei Tote auf jeder Seite. Könnte sein, dass sie das Kriegsbeil begraben.«
»Möglich.«
»Glauben Sie nicht?«
»Ich hoffe das Beste und rechne mit dem Schlimmsten.«
»Na dann Prost.«
Danny Callaghan schlüpfte unter die kalte Bettdecke, das Kissen roch nach seinem Schweiß. Seit zwei Wochen hatte er nichts mehr zum Waschen gebracht. Seit mehr als einem Monat hatte er keine Frau mehr hier gehabt. Es dauerte, bis er das Kissen beiseite geräumt und eine übrige Decke aufgestöbert hatte, die er als Kissenersatz benutzen konnte.
Genau so passiert es – nur eine falsche Entscheidung –
Als er zu dem Schluss kam, dass sich die Gedanken nicht mehr abstellen ließen, drehte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke.
Ein kleiner Fehler.
Wenn der Barhocker von der Schulter des Mannes – Karls – abgeglitten und er auf den Füßen geblieben wäre, statt zu Boden zu gehen, und die Waffe festgehalten hätte, dann hätte Callaghan eine Kugel in die Brust verpasst bekommen und eine in den Kopf und er wäre auf dem Boden von Novaks Pub gelegen.
Genauso gut hätte es sein können, dass der Manndecker für den Schützen kein solcher Lahmarsch gewesen und sofort reingekommen wäre und die Schrotflinte nicht mehr als drei Handbreit von Callaghans Kopf entfernt abgefeuert hätte.
Aus, Schluss, vorbei.
Und mit Callaghans zweiunddreißig Jahren hätte das bedeutet, dass etwa fünfzig Jahre seines Leben von einem Moment auf den anderen das Klo runtergespült worden wären.
Du Vollidiot.
Sterben sollte etwas Großes sein. Es sollte eine Vorwarnung geben, ein bisschen Zeit, um noch mal Luft zu holen und sich die Bedeutung des Augenblicks klarzumachen. Es sollte um etwas mehr gehen als einen Loser wie Walter Bennett.
Seit Danny Callaghan vor zehn Jahren einen Mann getötet hatte, hatte es keinen Tag gegeben, an dem er nicht darüber nachgedacht hatte. Reue und die ständige Angst vor der möglichen Rache bildeten ein unangenehmes Gespann. Als er den Mann mit Helm in den Blue Parrot kommen sah, eine Waffe in der Hand –
Callaghan stieß die Bettdecke weg und ließ sich von der Luft kühlen. Die Kälte riss ihn sofort aus seinen Gedanken. Von der Straße, drei Stockwerke unter ihm, waren Beschimpfungen zu hören. Callaghan lauschte den Stimmen, die ihn einen Moment seine Dummheit vergessen ließen. Die Männerstimme rief wieder und wieder »Immer!«. Dann verstummte das Gebrüll und man hörte eine Frau weinen. Eine Zeit lang drangen die Stimmen noch hoch, die eine bellend, die andere winselnd, bis sie in der Ferne verklangen.
Callaghan nahm sein Nokia vom Nachttisch. Er öffnete die Kontaktliste und scrollte durch die Namen. Bei Hannahs Namen hielt er inne und starrte darauf. Geistesabwesend fuhr er mit dem Daumen über den Knopf in der Mitte. Als die Displaybeleuchtung schwächer wurde, legte er das Handy weg. Nach einer Weile zog er die Decke zurück und rollte sich zur Seite, wartete, dass sich die Hitze wieder unter der Decke staute.
Seine Hand lag auf dem Kissen, Zentimeter von seinem Gesicht. In dem schwachen Licht vom Fenster starrte er auf seine Finger und stellte sich vor, wie sie aussähen, wenn es anders gekommen wäre. Dann würde er jetzt in einer Blutlache auf dem Boden von Novaks Pub liegen. Ein Polizist, vielleicht ein Arzt, der auf etwas starrte, was einmal Callaghan gewesen war. Seine Hand keine Hand mehr, sondern kaltes Fleisch, in dem nicht mehr Leben steckte als in einem liegen gebliebenen Handschuh.
Callaghan bewegte seine Finger.
Er schloss die Augen, und als der Schlaf sich über ihn senkte, hieß er ihn willkommen und ließ sich von ihm davontreiben. Zu dem fernen Geräusch von Musik und Lachen wachte er auf. Es war noch dunkel und die Geräusche kamen aus einer anderen Wohnung. Er sah auf seine Uhr – noch nicht ganz Mitternacht. Nagender Hunger erinnerte ihn daran, dass er nicht gegessen hatte, aber er hatte keine Lust, sich anzuziehen und hinauszugehen. Gleich darauf kroch er aus dem Bett, ging auf das winzige Klo und leerte seine Blase. Dann stand er am Schlafzimmerfenster und sah auf die Wiese vor dem Hive. Ein Feuer brannte in der Kuhle, in der die Jugendlichen aus der Nachbarschaft tranken, zehn, zwölf an der Zahl. Einer von ihnen tanzte schwankend und mit ausgebreiteten Armen um das Feuer.
Das kleine Arschloch hätte schon längst hier sein müssen, wenn er den Anweisungen gefolgt wäre. Detective Garda Templeton-Smith sah zur Tür des Pubs, dann wieder auf den Kaffee vor ihm auf dem Tresen. Normalerweise war Walter ja ganz vernünftig, aber die Panik, die Templeton-Smith in seiner Stimme gehört hatte, könnte ihn dazu gebracht haben, sich irgendwo zu verkriechen.
»Beruhigen Sie sich. Ausflippen bringt nichts.«
»’s waren zwei! Zwei! Mit Knarren! Scheiße!«
Es dauerte eine Weile, bis Garda Templeton-Smith aus Walter die Geschichte von den beiden Männern herausgeholt hatte, dass die Pistole beim ersten Mal nicht funktioniert und der Schütze ihn dann verfehlt hatte und dass Walter das Durcheinander genutzt hatte, um abzuhauen.
»Was zum Teufel werden Sie dagegen tun?«
»Jetzt erst mal langsam.«
»Sie haben leicht reden – was werden Sie dagegen tun, dass die mich umnieten?«
Garda Templeton-Smith nannte einen Pub im Süden des Stadtzentrums. »Sobald Sie aufgelegt haben, machen Sie sich auf den Weg. Wir treffen uns dort.«
Walters Stimme stieg um eine Oktave. »Ich geh nicht in diesen beschissenen Laden!«
»In zwanzig Minuten bin ich an der Bar und warte dort. Nehmen Sie ein Taxi – Sie sollten auch nicht viel länger brauchen.«
»Bringen Sie mich irgendwohin, wo ich sicher bin?«
»Das werden wir bereden.«
»Ich werd ’n paar Sachen brauchen. Ich kann nicht einfach –«
»Gehen Sie nicht nach Hause – gehen Sie direkt in den Pub.«
»Okay.«
Das war vor anderthalb Stunden. Und immer noch keine Spur von Walter.
Die Wände des Pubs waren bedeckt mit Fußballdevotionalien. Programmhefte und Fotos und Trikots und signierte Bälle, dazu das Ölbild von einer Mannschaft mit Pokal, ein riesiges Foto des Pubbesitzers, der seine Arme um die Schultern von zwei grinsenden Sporthelden legt. Der Pub war gut besucht, hauptsächlich von Männern. Garda Templeton-Smith trank zwei Mineralwasser, bevor er zu Kaffee wechselte.
Es war natürlich möglich, dass Walter von den Leuten, die ihn umbringen wollten, auf dem Weg zum Pub abgefangen worden war. Aber wenn er seinen Anweisungen gefolgt war, war das unwahrscheinlich. In einem Taxi wäre Walter praktisch unsichtbar. Und kein Mensch würde ihn in einem Pub dieser Art und so weit von seinem angestammten Revier entfernt vermuten.
Der Mann hinter dem Tresen schenkte gerade nach, als Garda Templeton-Smith Walter reinkommen sah. Der Polizist sagte: »Noch eine Tasse, bitte.«
Walter wartete, bis der Barmann sich wieder entfernt hatte. »Hier gehen doch nur Schwuchteln her.«
»Die alle Herzklopfen gekriegt haben, als Sie reinkamen.«
»Sehr witzig. Ich fass hier jedenfalls nichts an.«
Garda Templeton-Smith nippte an seinem Kaffee und sagte: »Hatten Sie irgendeine Warnung erhalten?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, dass sie einfach in den Pub gekommen sind und mit ihren Kanonen rumgefuchtelt haben.«
»In den letzten Tagen hat also niemand etwas zu Ihnen gesagt? Etwas, das Sie irritiert hat? Sich vielleicht seltsam verhalten – als Sie kamen, verstummt ist oder was in der Art?«
Walter starrte zwei Männer an, die ein Stück weiter an der Bar standen und sich leise unterhielten, die Köpfe zueinander geneigt. »Nein, da war nichts«, sagte er.
»Haben Sie irgendjemanden verärgert – sich was unter den Nagel gerissen, die Freundin ausgespannt?«
»So was mach ich nicht«, sagte Walter.
»Schulden Sie jemand was, den Anteil aus einem Bruch?«
»Nein, da ist nichts.«
Garda Templeton-Smith ließ sich Schritt für Schritt noch mal den Mordanschlag erzählen.
»Sind Sie sicher, dass Sie keins der Gesichter gesehen und keinen Namen aufgeschnappt haben?«
Walter schüttelte den Kopf.
»Dann sollten Sie abhauen.«
»Wie bitte, was reden Sie da für einen Scheiß?«
»Die Stadt ist nicht sicher für Sie. Irgendjemand muss Wind davon bekommen haben, dass wir in Kontakt sind. Wahrscheinlich waren Sie unvorsichtig.«
»Und mehr fällt Ihnen nicht ein – alles hinschmeißen und verduften?«
»Sie können auch bleiben und es drauf ankommen lassen, liegt ganz bei Ihnen.«
»Was sind – Sie haben doch so Zeugenschutzprogramme, Häuser, wo –«
»Sie sind kein Zeuge, Walter, Sie sind Informant. Und jetzt, wo Sie aufgeflogen sind, sind Sie Ex-Informant.«
»Das ist doch Scheiße.«
Templeton-Smith lächelte. »Wenn Sie’s blöd anstellen, sind Sie bald ein toter Ex-Informant.«
Walters Gesichtsausdruck wechselte zwischen Ärger und Panik. »Ich kann nicht nach Hause, ich brauch irgendeinen Unterschlupf.«
Templeton-Smith nahm einen Umschlag aus seiner Innentasche. Er gab ihn Walter, der einen Blick hineinwarf und ihn auf den Tresen schmiss. »Das ist ja nicht mal – was soll der Scheiß, dafür krieg ich in Dublin nicht mal was Ordentliches zu essen. Wie soll ich davon leben?«
»Ex-Informanten haben bei uns keine Rentenansprüche.«
Einer der beiden Männer weiter hinten am Tresen drehte sich zu ihnen um. Walter starrte ihn an, bis er sich wieder wegdrehte.
»Was soll ich denn tun? Wohin soll ich denn?«
»Sie schaffen das schon, Walter. Sie sind doch geschickt.«
Walter schnaubte verächtlich. »Das wird sich rumsprechen – wie Sie Leute behandeln, die für Sie arbeiten –«
»Wollen Sie mir drohen, Walter?«
»Ich sag ja nur.«
Garda Templeton-Smith nickte. Er beugte sich vor. »Meinen Sie wirklich, dass Sie es mit mir aufnehmen können?«
Walter saß nur da.
Informanten sind generell etwas kurzsichtig. Sie lassen sich anwerben, weil sie nach einem schnellen Ausweg suchen – wie Walter, der von Templeton-Smith in einem BMW X3 erwischt wurde, den er für eine Northside-Gang geklaut hatte.
»Auf keinen Fall – auf gar keinen Fall«, hatte Walter gesagt, als Templeton-Smith ihm das erste Mal den Vorschlag unterbreitet hatte.
»Wie Sie meinen«, hatte Templeton-Smith gesagt. »Die meisten Richter stehen eher auf der Seite von den Leuten, denen man ihren BMW gestohlen hat. Hier geht’s nicht um ein, zwei Monate, die Sie es sich auf Kosten des Steuerzahlers bequem machen. Ich würd mal sagen, drei Jahre Minimum. Haben Sie drei Jahre zu verschenken, Walter?«
Nach zehn Minuten hatte er ihn so weit. Walter sagte, dass die Leute, die den BMW X3 bei ihm bestellt hatten, tabu seien, wogegen nichts einzuwenden war. »Und ich werd gegen niemand aussagen«, was zu erwarten gewesen war.
Garda Templeton-Smith ließ ihm den BMW durchgehen und Walter fing an, bröckchenweise Informationen zu liefern. Bislang nur Kinkerlitzchen, aber das hätte nicht so bleiben müssen. Sieben Wochen waren ein bisschen kurz, das war einfach Pech.
Wer?
Einer der Kollegen wahrscheinlich. In diesen sieben Wochen hatte Garda Templeton-Smith Walter nur einmal in einem Pub getroffen. Einmal in der Woche hatte er ihn angerufen. Hätte eigentlich sicher sein sollen, aber wer wusste das schon. Jemand sah oder hörte zufällig was, erzählte es herum. Wäre nicht das erste Mal.
Walter tippte mit dem Finger auf den Umschlag. »Sie haben doch mehr als die paar Kröten. Bitte.«
»Ich muss los.« Garda Templeton-Smith stand auf und legte einen Zehner auf den Tresen. »Trinken Sie einen auf mich.«
Walter schüttelte den Kopf. Er nahm den Umschlag. »Lieber bin ich tot, als mich erwischen zu lassen, wie ich in so ’nem Pub was trinke.«
»Wie Sie meinen, so als Mann von Format.«
Walter versuchte es ein letztes Mal. »He, Mann, Sie müssen doch mehr für mich machen können – wenn schon nicht mehr Geld drin ist, dann wenigstens irgendein Unterschlupf –«
»Ich bin Polizist, Walter, kein Kindermädchen.«
»Es ist Ihnen egal, oder? Es ist Ihnen egal, was ich jetzt mache.«
Garda Templeton-Smith überlegte kurz, dann nickte er. »Ja, das ist mir scheißegal.«
Danny Callaghan steckte den Wasserkessel ein, schaltete ihn an und nahm einen Becher. Als er nach dem Löffel griff, stieß er mit der Hand an das Glas mit dem Kaffeepulver. Es fiel zu Boden und Callaghan fluchte laut.
Der Tag geht ja gut los.
Nachdem er den Kaffee und die Scherben aufgekehrt hatte, spülte er das Glas, aus dem er den Orangensaft getrunken hatte, und die Schüssel, aus der er sein Mikrowellen-Porridge gegessen hatte. Zusammen mit dem unbenutzten Kaffeebecher stellte er sie ins Regal. Eine Schüssel, ein Glas, ein Becher – und im Schrank ein Teller –, die er alle am Tag seines Einzugs bei Tesco gekauft hatte. Er spülte die beiden Löffel. Das hatte er sich im Gefängnis angewöhnt, es hatte aber auch mit seinem allgemeinen Bedürfnis nach Ordnung zu tun. In einer kleinen Wohnung konnte man es nur aushalten, wenn man nichts rumstehen ließ.
Callaghan machte sich auf den Weg in das kleine Einkaufszentrum. Er kam an einer ehemaligen Tankstelle mit Laden vorbei, in dem sich früher die Leute aus der Nachbarschaft mit dem Nötigsten versorgen konnten. Als Callaghan hierher gezogen war, war der Laden schon von einem Bauunternehmen aufgekauft und geschlossen worden. Es sollte ein weiterer Wohnblock mit Ladenlokalen entstehen, aber das Projekt wurde aufgegeben, als der Immobilienmarkt zusammenbrach. Jetzt gab es überhaupt keinen Laden mehr, und solange der Bauunternehmer auf einen neuen Aufschwung wartete, würde auch kein neuer kommen. Die Tankstelle verfiel langsam, die Zapfsäulen waren demoliert worden und die Autowaschanlage wurde von Teenagern genutzt, die zehn Minuten ungestört fummeln wollten.
Callaghan brauchte zwanzig Minuten bis ins Einkaufszentrum. Er kaufte zwei Zeitungen, dann ging er in das Café und setzte sich mit einem schwarzen Kaffee ans Fenster. Um diese Zeit war noch nicht viel los in den Läden. Hauptsächlich alte Leute und junge Frauen mit Kinderwagen.
Eine Schüssel, ein Glas, ein Becher. In den sieben Monaten, die er jetzt auf freiem Fuß war, hatte sich in seinem Leben fast nichts getan, er machte nichts, was über die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse hinausging. Während der acht Jahre im Gefängnis wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass das Leben draußen genauso beschränkt und eintönig sein könnte.
»Du musst dein Leben in die Hand nehmen«, sagte Novak. »Wenn du es nicht tust, wird es jemand anderes tun.« Und dann bot Novak ihm einen Job als Fahrer an. »Bis du wieder in der Spur bist.«