Über dieses Buch:
Maya träumt gern und sie liebt Bücher. Mit ihrer besten Freundin Valentina betreibt sie eine kleine altmodische Buchhandlung mitten in Heidelberg. Und ihre Kunden lieben sie, denn sie hat eine Gabe: Sie kann Bücher und Menschen auf besondere Weise zusammenbringen und findet für jede Lebenssituation die richtige Geschichte. Nur in der Liebe tut sie sich schwer – weder für sie noch für ihre Freundin ist ein Traummann in Sicht. Als aus der Buchhandlung ein Souvenirshop gemacht werden soll, gerät ihre kleine, verträumte Welt jäh ins Schwanken. Doch bald ist Weihnachten, das Fest der Liebe – und der kleinen und großen Wunder. Man muss nur dran glauben …
Über die Autorin:
Christine Weiner, geb. 1960, ist systemische Supervisorin, Coach und Beraterin. Sie begleitet seit 15 Jahren Talente, die Karriere machen wollen und Unternehmen, die ihre Rahmenbedingungen optimieren möchten. Sie ist Autorin vieler erfolgreicher Bücher. Christine Weiner lebt und arbeitet in Mannheim – wenn sie nicht gerade in Wien zu Hause ist.
Die Autorin im Internet: www.goernerweiner.de
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Neuausgabe November 2015
Copyright © der Originalausgabe Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2009
Copyright © der vorliegenden Ausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/egg design
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3- 95824-431-3
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Christine Weiner
Manchmal geschieht ein Wunder
Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
dotbooks.
Für Marlen
Das Blech war heiß und es duftete süß. Reihe um Reihe goldgelbe Herzen, Engel, kleine Schweine, Tannenbäumchen. Maya besah sich mit staunenden Augen ihre eigene Bäckerei. Erst im dritten Anlauf waren die Plätzchen geraten! Keines von ihnen war angeklebt, und keine Ecke brach ab, als Maya Stück für Stück vom Blech ablöste. »Siehst du!«, sagte sie zu Max, ihrem Dackel, »man muss einfach dran bleiben. Mut haben.« Sie blickte sich in der Küche um. »Auch dann, wenn es erst einmal nicht nach einem Erfolg aussieht.«
In einer vollen Schüssel am Tischrand konnte man die vorangegangenen Backversuche begutachten: demolierte Sterne, verbrannte Schweine, Giraffen mit geknickten Hälsen, überzuckerte Glocken und verklebte Tannenbäume. Die erste Produktion der Weihnachtsbäckerei hatte Maya sogar komplett zerbröseln müssen. Im Hinterhof zankten sich nun die Spatzen um die Krümel.
Auch das zweite Blech war ein Desaster gewesen. Diesmal waren die Plätzchen zwar durchgebacken, hatten aber die Farbe von dunklem Schokoladengebäck. Die Sache war nur die, dass Maya gar keine Schokolade im Teig verwendet hatte. Nicht einen Streusel! Dieses Blech hatte Maya nahezu vollständig im Abfalleimer entsorgt.
Doch jetzt war Maya das Plätzchenwunder geglückt. »Alle guten Dinge sind drei«, murmelte sie und zog die dicken Handschuhe aus, die sie an Stelle von richtigen Topflappen benutzte. Es waren Gartenhandschuhe, die ihren Weg irgendwann einmal von einem Baumarkt in Mayas Küche gefunden hatten. Maya war erfinderisch, wenn es darum ging, den Dingen eine neue Aufgabe zu geben. Am liebsten waren ihr die Gegenstände, die scheinbar ohne Sinn waren und irgendwie unnütz oder überflüssig schienen. So wurden Wäscheklammern in Haarschmuck verwandelt und Haargummis als Lesezeichen eingesetzt, indem sie Maya über die gelesenen Seiten eines Buches spannte. Die Knöpfe ihrer Kommode waren alte, in der Mitte durchgesägte Holzspulen für Zwirn, und ihre alten Kerzenreste hatte Maya eingeschmolzen und daraus eine Büste geformt.
Maya war wirklich kreativ, wenn sie es sich erlaubte. Aber oft genug dachte sie einfach zu viel nach. Dann stand sie da, hielt den Kopf schief und schob die Ideen, Argumente und Gründe von einer Ecke ihres Gehirns in die andere. Wenn sie nachdachte, dann wurde sie still und bedächtig. Sie blieb einfach stehen, stierte Löcher in die Luft und ging nicht nur einen, sondern gleich drei Schritte langsamer. War sie mit anderen Menschen zusammen, dann wurden diese ungeduldig. »Nun sag doch!«, quengelten sie und stupsten Maya an. »Träum doch nicht! Sag doch endlich was!«
Eigentlich war Maya zu langsam für diese Welt. Da war es schon egal, ob sie nachdachte oder nicht, und es war auch egal, ob sie beim Nachdenken daheim oder im Buchladen war.
Viel mehr Orte gab es nicht, an denen sich Maya aufhielt, und es mangelte ihr dabei an nichts. Solange ein paar Bücher um sie herum standen, fühlte sich Maya daheim. Ganz egal wo sie war. In ihrer Wohnung fanden sich Bücherstapel in jedem Zimmer. Auf dem Teppich lagen aufgeschlagene Exemplare, im Bett kleine Gedichtbände, und ihr Bad hatte sie mit Romananfängen tapeziert. Wenn Maya bummeln ging, dann verschwand sie in den Läden, die auch Bücher hatten. Buchstaben gaben ihr Halt und wiesen ihr wie Laternen den Weg. Maya war vernarrt in die Welt der Buchstaben und Worte. Deswegen hatte sie zu Hause nicht nur eines, sondern fünf große Buchregale und in der Heidelberger Innenstadt, gemeinsam mit ihrer Kollegin Valentina, eine kleine Buchhandlung.
Schon als Kind hatte Maya am liebsten in ihrem Kinderzimmer gesessen und gelesen. Andere Mädchen wünschten sich rosa Schleifchen zum Geburtstag, Maya einen Ausflug in die Stadtbücherei. Es hatte sie damals nicht weiter gekümmert, dass sie keine Geschwister, keine Freunde hatte und ihre Eltern beide berufstätig waren. Sie las Romane für Kinder, Pünktchen und Anton oder Der kleine Nick, und stellte sich vor, selbst eine Heldin dieser Abenteuer zu sein. Buchstaben waren ein Zauber, der sie davontragen konnte. Worte retteten Maya aus trüben Gedanken, befreiten sie aus grauen Klassenzimmern und verliehen ihr Flügel, die es ihr ermöglichten, sich über Streit und Hänseleien zu erheben. »Kannst du nicht wie andere Kinder sein?«, fragten die Eltern. Nein, Maya konnte nicht.
Maya wusste schon früh, dass sie ihr Leben Büchern widmen würde. Sie würde später Bücher nicht nur lesen, sondern auch sammeln und verkaufen. In ihrem Laden würde es die Geschichten geben, die Menschen glücklich machten! Und genauso war es später auch gekommen. Kaum hatte Maya die Schule abgeschlossen, fand sie auch schon Valentina und mit ihr einen Laden. Seine Lage war in der Innenstadt, nahe am Neckar, in der unteren Etage eines winkligen alten Hauses, das von einem schiefen Dach gehalten und kleinen Fenstern geziert war. Vor vielen Jahren war der Laden ein Milchgeschäft gewesen. Heute kauften die Menschen ihre Milch in Tüten, und deswegen hatte Herr Minges, der Besitzer, zugestimmt, dass nun eckige Bücher anstelle von runden Käselaiben im Schaufenster lagen.
Jeden Morgen, wenn Maya die Bücher vorfand, die im Morgengrauen geliefert worden waren, war es für sie ein Fest; egal, ob gerade Weihnachten, Ostern oder später Sommer war. Mit zarter Hand befreite sie Buch um Buch aus der Lieferkiste, war glücklich, wenn es in ein Regal gehörte oder fühlte einen verfrühten Abschiedsschmerz, wenn es von einem Kunden vorbestellt worden war und somit schon allzu bald ihren Laden wieder verlassen würde.
Die Leute aus dem Viertel besuchten Maya gerne und lauschten ihr, wenn sie von Romanhelden, Herzeleid und dem besonderen Humor eines Krimis erzählte. Die Kunden waren verzückt darüber, wie Maya sich über ein Buch beugte und in einer Geschichte verschwand. Ihre Locken hingen ihr dann über das Gesicht, und ihre Augen wanderten an den Zeilen entlang, um dann wieder ihre Zuhörer anzusehen und weiter zu erzählen. Wenn Maya so aus einem Buch Passagen vorlas oder darüber sprach, wurde es gekauft, selbst dann, wenn es anfänglich ein wenig teuer erschienen war.
Maya hatte einen besonderen Instinkt, wollte man ein Buch verschenken und wusste nicht wirklich, was für eines. Sie benötigte für ihre Empfehlungen nur wenige persönliche Details, wie Alter, Wohnort, Hobbys und ob der zu Beschenkende eher offen, sensibel oder zurückhaltend war. Nach kurzem Nachdenken ging sie zu einem der Regale, griff hinein und kam mit einem passenden Exemplar zurück.
»Das ist genau richtig!«, sagte sie. »Es gibt keine bessere Geschichte, die Sie wählen könnten, denn sie handelt von ...«, und flugs machte Maya einem das Buch so richtig schmackhaft; wenn man Glück hatte, gab es noch eine Tasse Kaffee dazu. »Aber das Ende verrate ich Ihnen nicht«, schmunzelte Maya irgendwann, meist genau zu dem Zeitpunkt, in dem man richtig an ihren Lippen hing und nicht abwarten konnte, wie die Geschichte weiterging. »Das bleibt mein Geheimnis und das des Buches! Wenn Sie wissen möchten, wie es weiter geht, dann müssen Sie es selbst lesen!«
Die Kunden kauften die Bücher für Tante Josefine oder Onkel Theo und nahmen sich schon an der Kasse vor, die Tante oder den Onkel zu fragen, ob sie später das Buch einmal ausleihen dürften. Spätestens nachdem es gelesen war! Was hoffentlich nicht zu lange dauern würde ...
Kam ein Mensch, der traurig war, einen bestimmten Trost brauchte, waren es oft kleine, unscheinbare Bändchen, die Maya aus dem Regal zog. »Es sieht vielleicht nicht aufregend aus«, meinte sie und strich dem Buch ein wenig über den Einband und seine Seiten, »aber wissen Sie, das Buch wird Sie trösten und Ihre Seele heilen.«
Die Kunden spürten, dass es Maya ernst mit ihren Empfehlungen war, dass sie die Bücher liebte und sie sie alle gelesen hatte. Die Kinderbücher, die frisch aufgelegten Krimis, die Romane, die Geschichten aus Afrika, die Dramen, die in Hamburg und anderswo spielten, und die Lebensgeschichten berühmter und nicht berühmter Menschen. Immer wieder kamen ihre Kunden zurück, um nach neuen Tipps zu fragen. Sie setzten sich auf das alte Sofa, das in einer Ecke des Verkaufsraums zum Verweilen einlud, tranken Kaffee, blätterten in Büchern und sahen sich um.
»Hier ist es so schön kuschelig!«, staunten sie und wussten nicht, dass das nichts mit den schönen Regalen und der Dekoration zu tun hatte, sondern allein mit den Büchern. Bücher wärmen. In ihrer Nähe fühlt man sich geborgen und gut aufgehoben – und wenn es dann noch ein schönes Sofa gibt, etwas zu trinken und zu essen und möglicherweise einen netten Menschen, der für Fragen greifbar ist, aber nicht stört, dann ist das Glück nahezu perfekt.
Maya las im Laden und daheim. Wenn man abends durch das Fenster ihres Wohnzimmers schaute, konnte man sie auf ihrem Sofa sitzen sehen, eingekuschelt in eine weiche rote Decke, Max zu Füßen, auf dem Tisch eine dampfende Teekanne und ein Buch auf den angewinkelten Knien. Sie schmunzelte manchmal oder lachte leise los, und wenn die Nachbarn die Ohren spitzten, dann konnten sie dies hören. Wie auch die leise Musik, die aus ihrem alten Kofferradio kam. Das Radio hatte Maya von ihrem Opa geerbt; noch konnte, weder wollte sie sich davon trennen, obwohl es längst moderne CD-Player oder iPods gab. Aber die knisterten nicht so schön, und man konnte sich auch nicht minutenlang damit beschäftigen, einen Sender sauber einzustellen.
Nein, Maya war kein modernes Mädchen, aber Maya wollte das auch nicht sein. Männer kamen und sprachen sie an, sie schickten ihr Grüße oder winkten ihr zu, aber Maya war zu scheu, um es überhaupt zu bemerken. Das macht nichts, dachte sich Maya. Solange sie Bücher, Max, den Laden, ihre Kollegin Valentina und die Kunden hatte, war die Welt für sie in Ordnung.
»Das Leben kann nicht schöner sein!«, sagte sie dann und hörte für einen Moment mit dem Lesen auf. Fast nicht schöner ... Maya wusste, dass sie da etwas vergaß. Da sie aber vermutete, dass der Liebesengel Amor sie übersehen hatte, schob sie all ihre Sehnsüchte weit weg oder machte das Fenster auf, damit ihr Herzklopfen Flügel bekommen konnte.
Mayas Tage verliefen stets gleich. Morgens ging sie in den Laden und traf auf Valentina, verbrachte dort den Tag – und abends ging sie wieder nach Hause. An Fasching dekorierte sie die Buchregale mit Luftschlangen, an Ostern versteckte sie Nester mit Eiern im Verkaufsraum und an Weihnachten gab es bunte Lichterketten. Das Leben war für Maya vorhersehbar, und das war beruhigend. Nur sehr, sehr wenige Männer hatten es in all den Jahren berührt. Flirts, die Stippvisiten glichen. Für Maya waren verlässliche Gefühle ein Geschenk, das anderen Menschen oder Romanfiguren vorbehalten war. Sich selbst nahm sie dabei wie einen Zaungast wahr, und wenn jemand ihr tiefe Blicke schickte, sah sie sich lediglich um und vermutete ein Versehen. Wenn ein gut aussehender Mann den Laden betrat, dann fixierte Maya beim Kassieren angestrengt die Tastatur und wagte nicht aufzublicken. Nur kein Risiko eingehen, dachte sie sich.
Im Plätzchenbacken war sie viel mutiger und ausdauernder. Plätzchen belogen oder betrogen einen auch nicht. Sie brachen einem nicht das Herz, waren nicht kalt, nicht herablassend und auch nicht zynisch. All das hatte Maya bislang in der Liebe erlebt. Sie hatte offenbar immer nach den falschen Zutaten gegriffen und die falsche Temperatur im Ofen eingestellt. So konnte das nichts werden, das wusste sie. Aber ... Sie wusste keine wirkliche Lösung. Warum schrieb nicht endlich jemand ein Backbuch für die Liebe? Eines, das in Rezepten erklärt, wie man es schafft, dass die Liebe ein wohlgeformter Kuchen wird und nicht ein zusammengefallenes Soufflé?
Maya hatte aufgegeben oder wie sie es sagte:
»Ich mache eine Pause und sehe Valentina beim Verlieben zu. Vielleicht kann ich ja etwas lernen.«
Und sie las Liebesromane, die vom Glück erzählten. Ging die Geschichte traurig aus, legte Maya das Buch auf den Stapel der nicht zu empfehlenden Bücher. Es sei denn, die Protagonisten waren auf eine andere Weise glücklich geworden oder es gab einen Ausblick auf eine neue Liebe. Maya war streng, was die Romane betraf, die Leser glücklich machen sollten. Wenn sie sich die Gesichter der Menschen betrachtete, die zu ihr in den Laden kamen, wusste sie, dass es von diesen hellen, freundlichen Romanen noch immer viel zu wenige gab. Trotz voller Buchregale. Traurige Menschen brauchen Zuspruch. Von Büchern und Menschen.
Deswegen stand Maya jetzt in der Küche und versuchte sich im Plätzchenbacken. Sie hatte den Küchenschrank nach brauchbaren Zutaten durchforstet und sogar genügend davon gefunden. »Ich werde sie den Kunden schenken«, freute sich Maya. Valentina kam auf solche Ideen nicht. Die kümmerte sich um Blumen und dass genug Papier vorhanden war, um gekaufte Bücher hübsch zu verpacken. Plätzchen waren für sie ganz nett, schmeckten und waren ansonsten ohne weitere Bedeutung.
»Wir können doch welche kaufen!«, hatte sie am Telefon gesagt, als ihr Maya von ihrer Idee erzählte. »Die sind billiger und schmecken mindestens genauso gut.« Das war ein Hieb gegen Maya, aber Maya hatte ihn nicht bemerkt. Wieder einmal hatte sie vor sich hin geträumt und während des Telefongesprächs die Tage bis Weihnachten gezählt. Es dauerte nicht mehr lang! »Maya!«, protestierte Valentina am anderen Ende der Leitung. »Bist du noch da?«
Natürlich war Maya noch da. Wo sollte sie denn sein? Sie dachte nur nach und malte sich aus, wie sie den Laden weihnachtlich dekorieren würde. Ein paar Zweige hatte sie bereits von der Tanne vor ihrem Wohnhaus abgeschnitten. Die Kerzen gezählt, die vom Vorjahr übrig geblieben waren, die Lichterkette vom Speicher geholt, die kleinen Holzfigürchen abgestaubt, die Messinganhänger poliert. Maya liebte Weihnachten. Der Laden war dann ständig voll, und die Kunden, die kamen, suchten noch häufiger Mayas Empfehlungen als sonst. Und das tat sie so richtig gerne, denn den Sommer über hatte Maya Früchte gesammelt, das bedeutete: gelesen.
Bald würden die Geschichten, die Poesie und die Bildbände Freundinnen, Verliebte, Schwiegermütter, Großtanten, Väter und Gattinnen glücklich machen. Kinder, die in den Laden kamen, wühlten in der Lesekiste und besahen mit glänzenden Augen die Bilderbücher, die zunehmend von Rudolf, dem Rentier, Weihnachtswünschen, dem Christkind und weihnachtlicher Fröhlichkeit erzählten.
»Dieses Jahr bleibt der Schnee ganz sicher liegen«, sagte Maya und sah aus dem Fenster. Aber Valentina hatte bereits aufgelegt. Ein leises Tut-Tut-Tut summte in Mayas Ohr. Sie öffnete das Fenster und beugte sich hinaus: Weiße Berge säumten die Gehwege. Überall hingen Eiszapfen. Und die Worte der Menschen, die sich vor dem Ladenfenster unterhielten, wurden in kleine Dampfwölkchen verwandelt. »Wie lustig das aussieht, findest du nicht auch?«, fragte sie sich selbst.
Maya war nicht verrückt. Sie sprach nur einfach gern mit sich selbst. Mit irgendjemand musste Maya ja schließlich reden. Zumindest an den Wochenenden, denn da war sie mit Max alleine. Wenn jemand anrief, dann hatte der bald genug von dem Gespräch, denn Maya war immer nur mit halben Gedanken dabei. »Maya«, flüsterte ihr Schutzengel ihr manchmal zu, »wach auf und antworte! Die Menschen warten nicht so gern!«
Ihre letzte traurige Liebe lag erst wenige Monate zurück. Maya hatte sich danach gut zugeredet und versucht, immer seltener daran zu denken. Konrad war, wie er es beschrieben hatte, in Mayas Wohnung die Decke förmlich auf den Kopf gefallen. In einem großen Streit hatte er ihr gesagt, dass Maya ihm nicht das gäbe, was er sich von einem Mädchen wünschte. »Flucht«, hatte er gesagt, »es ist keine Trennung, sondern eine Rettung für mich.«
Maya hatte die Worte nicht ganz verstanden, aber begriffen, dass seine »Flucht« etwas mit der Verschrobenheit zu tun hatte, die wohl auch ihre Eltern meinten, wenn sie von ihr sprachen. Sie akzeptierte, dass Konrad sich ein modernes Mädchen als Freundin wünschte. Eine, mit der er sich in Clubs und Bars zeigen konnte und die frech und sexy gekleidet war. Eine Frau, die für Schmuck und Kleidung ihr Geld ausgab und nicht nur für Bücher und Lesezeichen.