Andreas Straub
Inside Aldi & Co.
Rowohlt E-Book
Andreas Straub, Jahrgang 1984, Diplom-Betriebswirt, war nach seinem Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre in Kopenhagen und Stuttgart von 2007 bis 2011 zunächst als Trainee und dann als Manager für Aldi Süd tätig. Er arbeitet heute als Berater und freier Autor.
Andreas Straub deckt in diesem Buch auf: Mit Frischhaltefolie wurden Auszubildende im Aldi-Zentrallager an einen Pfosten gefesselt, um sie zu disziplinieren. Was ist los im deutschen Einzelhandel? Nach seinem Bestseller «Aldi - Einfach billig» über Arbeitsdruck, Einschüchterungen, Willkür und Kontrollwut bei Aldi erreichten Straub Hunderte von Insider-Berichten - weit über den Discounter hinaus. Vielen davon ging der Autor für dieses Buch gründlich nach - und stieß «inside Aldi» auf entwürdigende Zustände, die zeigen, dass sich an dem Klima, welches sie möglich macht, kaum etwas geändert hat: Mobbing mit Ratten, eine getürkte Aldi-Wette bei «Wetten, dass …?», Psychoterror gegen Mitarbeiter, die einfach nur ihre verbrieften Rechte wahrnehmen wollen.
Anderswo sieht es - bis auf wenige Ausnahmen - oft nicht besser aus, wie vielsagende Blicke in das Innenleben von Edeka, Netto, dm, Lidl und weiteren Ketten zeigen. Anders aber ist: Die Betroffenen schweigen nicht mehr dazu.
Dieses Buch ist eine um acht Kapitel erweiterte Neuausgabe des Rowohlt E-Book Only «Inside Aldi. Tricksen, Vertuschen, Weitermachen».
Dies ist eine erweiterte Fassung des Rowohlt E-Book Only «Inside Aldi» (ISBN 978-3-644-50031-0).
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2013
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Lektorat Frank Strickstrock
Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München
(Foto: Thorsten Wulff)
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
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ISBN Printausgabe 978-3-499-63056-9 (1. Auflage 2013)
ISBN E-Book 978-3-644-52221-3
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-52221-3
oder «So läuft der Laden»
Wenn ich mich heute mit den Machern im Einzelhandel, allen voran mit den Führenden bei Aldi, beschäftige und einige neue Berichte veröffentliche, die manchem vielleicht dennoch bekannt vorkommen mögen, weiß ich deutlich mehr als noch vor zwei Jahren – als ich begann, meine persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Dieser erste ausführliche Bericht wurde zu einem Buch: Aldi. Einfach billig. Das wiederum wurde zu einem Bestseller, der bundesweit Wellen schlug und Berichterstattung in zahlreichen Medien nach sich zog.
Nun folgt also ein knappes Buch, das sich viele Leser gewünscht haben. Es beleuchtet weitere, bislang unbekannte Aspekte und erzählt neue, teils schockierende Geschichten aus dem deutschen Handel. Dabei wurde und werde ich von zahlreichen Informanten unterstützt, die mir ihre eigenen Erlebnisse schilderten oder relevante Unterlagen zur Verfügung stellten. Ihnen gebührt, neben der Rowohlt-Justitiarin Cordula Pröscher und den Verlagsanwälten von Damm & Mann (Medienrecht, Hamburg) sowie meinen Rechtsanwälten Winfried Seibert (Medienrecht, Köln) und Michael Steibli (Arbeits- und Sozialrecht, Tübingen) großer Dank für ihre Unterstützung. Alle Statements und Zitate in diesem Buch sind sorgsam ausgewählt und so weit wie möglich gegenrecherchiert. Die Aussagen sind von mir nur um der Lesbarkeit willen leicht redaktionell bearbeitet worden, ohne aber die Originaltöne gravierend zu ändern, damit sie authentisch bleiben.
Auch wenn man, wie zum Ausgang dieses Buches, über den Aldi-Tellerrand und auch den des Einzelhandels hinausblickt, finde ich bedauerliche Parallelen und Tendenzen, die unübersehbar sind. Sie zeigen, dass die Discounter-Prinzipien weit verbreitet sind:
Maxime: kassieren, was geht.
Mitarbeiter: ausbeuten, mobben, aussortieren.
Lieferanten: drücken, schikanieren, austauschen.
Verantwortung: abwälzen, Risiken auslagern.
Öffentlichkeit: tricksen, vertuschen, weitermachen.
Ergebnis: Profit ganz oben, Mensch ganz unten.
So läuft «der Laden» vielerorts in einer Marktwirtschaft, die sich noch immer «sozial» nennt. Wenn mir entgegnet wird, die in diesem Buch beschriebenen Methoden verstießen gegen gar kein Gesetz, bin ich mir darüber einerseits nicht in jedem Fall sicher und verweise andererseits auf das alleroberste, in Artikel 1 unserer Verfassung verankerte Grundrecht: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Trotz der ernsten Themen haben sich auch unterhaltsame und skurrile Geschichten in dieses Buch eingeschlichen. Ich gebe zu, das war Absicht. Ich wünsche eine interessante Lektüre!
Andreas Straub
oder «Ich habe Ähnliches erlebt»
«Hallo, Herr Straub (oder darf ich ‹Herr Kollege› sagen?), schön, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, meine Memoiren aufzuschreiben! Auch wenn unser Werdegang in einzelnen Details eine leicht andere Färbung hat (bei mir fand der Gurken-Trick der Einarbeitungsfiliale stattdessen mit Fusilli statt), habe ich mich beim Lesen Ihres Buchs an zahllose Situationen meiner eigenen Tätigkeit erinnert gefühlt – bis hin zum Feuerlöscher. Unglaublich. Für diese Akribie und den humorvollen Schreibstil vielen herzlichen Dank!»
Ein ehemaliger Bereichsleiter im Juni 2012
«In drei Jahren hatte meine Tochter vier Filialleiter und fünf Bereichsleiter. Sie hat so gut wie gar nichts gelernt, meistens nur Kasse und Ware gemacht. Nur die Berufsschule war ganz okay. Sie wollte etwas lernen, aber ständig wurde sie vertröstet. Mit einer Aussage zur Übernahme hielten sie ihr Filialleiter und ihr Bereichsleiter, der ständig wechselte, ständig hin. Erst wenige Tage vor Ausbildungsende wurde ihr mitgeteilt, dass sie nicht übernommen werde. Ich versuchte, mit denen zu sprechen, aber wurde eiskalt abgekanzelt.»
Der Vater einer Auszubildenden aus Köln im Mai 2012
«Zu mir hieß es: ‹Sie sind zu fett.› Das sagte die Bereichsleiterin genau so zu mir. ‹Nehmen Sie erst mal ab, dann finden Sie auch einen Job›, sagte sie. Hier gebe es für mich keine Zukunft.»
Ein Azubi aus Frankfurt im Juli 2012
«Selten las ich ein Buch schneller durch als dieses. Selten habe ich mich so amüsiert und so laut gelacht beim Lesen eines Buchs. Amüsiert auf Ihre Kosten und Ihr Leiden während Ihrer Aldi-Zeit. Sie haben mich ‹rausgenommen›, wo ich noch nicht mal bei Aldi ‹drin› war.»
Ein Kunde im Dezember 2012
«Ich werde nicht mehr bei Aldi einkaufen, bis dieser Laden seine Firmenpolitik geändert hat.»
Mehrere Kunden
«Auch bei uns war miese Stimmung. Ich kann das System aus Angst und Mobbing bei Aldi nur bestätigen. Wir Bereichsleiter wurden vom Verkaufsleiter als fauler, freizeitorientierter Sauhaufen bezeichnet und alle auf die gleiche ‹asoziale› Art entsorgt. Ich habe lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen, da mir die tägliche Arbeit mit dem Filialpersonal Spaß gemacht hat. Bei Aldi habe ich Durchhaltevermögen, Führungsverantwortung in jungen Jahren und effektives Arbeiten gelernt.»
Ein ehemaliger Bezirksleiter über seine Erfahrungen aus den frühen 90er Jahren
«Das Kassenpersonal ist sowieso schon komplett in Teilzeit beschäftigt. Aber seit neuestem gibt es nur noch 10- bis 18-Stunden-Verträge. Wie soll jemand davon leben? Die Neuen verdienen deutlich weniger als wir mit den Altverträgen. Und sie sind natürlich nur befristet eingestellt. Manchmal müssen sie dann 40 Stunden die Woche arbeiten, wie soll das gehen? Bei uns herrscht dauerhafter Personalmangel.»
Eine Verkäuferin bei Aldi Süd im November 2012
«Ein stellvertretender Filialleiter, ganz frisch von der Ausbildung übernommen, ein sympathischer Kerl, wurde bei uns entlassen. Er hatte einer Stammkundin, die das Bargeld vergessen hatte, den Einkauf mitgegeben und einen Zettel in den Tresor gelegt. Sie brachte das Geld am nächsten Tag. Aber das ist verboten. Nur Ware gegen Geld.»
Zwei aktuell bei Aldi Süd beschäftigte stellvertretende Filialleiter im September 2012
«Auf eine Kollegin von uns sind momentan, im Juni 2012, zwei Detektive angesetzt. Sie dürften uns das eigentlich nicht sagen, aber sie haben privat mit uns gequatscht. Seit über einem Jahr werden ihr ständig Fallen gestellt. Ein Geldbeutel wurde ausgelegt und die Kassen manipuliert. Aber sie klaut nie etwas. Man will sie loswerden. Angeblich haben einmal fünf Euro bei einer Kollegin im Geldbeutel gefehlt, seitdem ist die Frau im Verdacht.»
Eine aktuell bei Aldi Süd beschäftigte Verkäuferin im November 2012
«Mir gefallen an Aldi mein pünktliches Gehalt und mein Team. Was mir überhaupt nicht gefällt: die viele unbezahlte Arbeit, die Überstunden, die der Bezirksleiter voraussetzt, ohne mich vorher gefragt zu haben. Eine Frechheit! Die Arbeit wird stetig mehr, erst kam Leergut, dann Frischfleisch, mittlerweile auch noch Backen, und am besten wäre es, wenn man das alles noch in der Freizeit macht, ohne Bezahlung.
Es gibt exakt einen Schlüssel pro Filiale, das heißt, wer spät die Filialleitung hat, muss am nächsten Tag wieder aufschließen. Dadurch kann die gesetzliche Ruhezeit nie eingehalten werden. Und das ist auch noch in den Arbeitsplänen schriftlich festgehalten!
Viele Mitarbeiter werden zum Beispiel aufgefordert, Obst oder Gemüse, Brot oder Zigaretten bei Fehlbestellungen aus einem anderen Laden mit dem Privat-PKW zu holen, auf private Kosten natürlich, wenn du da mal was entgegenbringst, stehst du gleich auf der schwarzen Liste, ebenso bei Krankheiten. Da wird man vom Bezirksleiter angerufen und gefragt, ob man nicht trotzdem ein paar Stunden zur Inventur kommen kann. Und unseren Lehrlingen wurde regelrecht aufgelauert, zu Hause, um zu gucken, ob die auch wirklich krank sind. Das fing erst ganz harmlos mit Telefongesprächen an, und im nächsten Moment kam einer vorbei.
Ein Mitarbeiter in unserem Laden machte eine schlüpfrige Bemerkung über eine Kollegin, die neu war, und das wurde ganz übel hochgespielt, da wurden wir alle zu befragt, und ich meinte, ich kenne ihn und nehme das nicht ernst und man kann ja schließlich aus einer Mücke auch einen Elefanten machen. Aber da wurde ganz großes Kino draus gemacht, und er wurde entlassen; er hat natürlich selbst gekündigt. Ja, nee: is klar! Der Betriebsrat meinte, er konnte nichts mehr machen.
Ich muss als Springer in verschiedene Filialen. Wenn ich bis 14 Uhr arbeiten muss, werde ich nicht abgerechnet und muss so lange auf die Filialleiterin warten, bis sie mich ‹rausholt›. Das ist dann mal 15 Uhr 30 oder 16 Uhr, ohne mich vorher zu fragen. Ohne Bezahlung, ist da gang und gäbe. Einmal meldete ich die Kasse ab, klingelte und stellte mich vor die Bürotür, da kam sie und hat mich angeschrien, was ich mir einbilde. Ich sagte, ich könnte nicht länger bleiben, der Kindergarten schließe gleich, und ich müsse mein Kind abholen, da ist die völlig durchgedreht. Kurz darauf musste ich ständig in andere Filialen, und auch sonntags zum Einräumen eines neuen Marktes wurde ich eingeteilt. Das alles, ohne vorher gefragt zu werden. Das ist echt hart: Da arbeitest du locker 40 Stunden die Woche und hast deine 800 Euro netto. Ein riesengroßer Unterschied zwischen Ost und West, aber leider können sie dort so verfahren, da sägt ja ständig jemand an deinem Stuhl.
Regelmäßig gibt es Taschenkontrollen. Unser Bezirksleiter verließ vor einiger Zeit mit Burnout das Aldi-Unternehmen, und die Filialleiterin durfte auch gehen.»
Eine aktuell bei Aldi Nord beschäftigte Verkäuferin im Februar 2013
«Am Mittwoch, den 5. 11. 2008 reinigten Mitarbeiter der Firma T. die Fläche unter den Tiefkühltruhen. Der Filialleiter bemerkte noch vor Ladenöffnung, dass in einer Tiefkühltruhe eine offene Packung Eisfackeln lag. Als der Filialleiter diese Packung vernichten wollte, sagte ein Mitarbeiter der Reinigungsfirma, dass dies seine Packung sei, und meinte lächelnd: ‹Die gehen ja auf Kosten des Hauses.› Mindestens ein Eis aus dieser Verpackung fehlte bereits. Der Filialleiter forderte den Mitarbeiter der Firma T. auf, den Artikel zu bezahlen. Dieser Mitarbeiter bezahlte seine Packung Eisfackeln dann an der Kasse bei der Tagesvertretung. Dabei fiel der Tagesvertretung auf, dass ein weiterer Mitarbeiter der Firma T. eine bereits halb getrunkene Flasche Limonade bei ihr bezahlte.»
Aktenvermerk von Aldi an die Firma T. GmbH am 6. 11. 2008
«Wie telefonisch besprochen die Namen der am Vorfall Beteiligten. Seit dem 7. 11. 2008 sind sie nicht mehr in unserer Firma beschäftigt. Wir missbilligen das Verhalten unserer ehemaligen Mitarbeiter sehr und werden alles unternehmen, um derartige Vorfälle in Zukunft auszuschalten.»
Antwort des Geschäftsführers der Reinigungsfirma T. an Aldi am 7. 11. 2008
«Bei unserem ‹Abschlussgespräch› im Januar 2004 sagten Sie mir die Ausstellung eines ‹sehr guten Zeugnisses› zu. Ihre Bedingung war eine ordentliche Kündigung meinerseits. Auf die Art und Weise, wie ich von der Firma Aldi (ohne Grund oder gar Abmahnung!) zu dieser Kündigung genötigt wurde, will ich nicht weiter eingehen. Nach meinem heutigen Wissensstand war mein Zugeständnis voreilig und unüberlegt. Heute würde ich anders handeln …»
Auszug aus einem Brief eines Ex-Mitarbeiters von Aldi Süd an seine Personalvorgesetzte
«Im September 2012 brachte mein Regionalverkaufsleiter mich erfolgreich aus dem Gleichgewicht. Mein Versuch nach sieben Monaten einer Wiedereingliederung schien erst erfolgreich, doch dann ging es auch mir wie bereits meinen drei anderen Kollegen aus unserem Bereich: Wir wurden ‹entsorgt›. Ich finde es wirklich gut, dass Sie so an die Öffentlichkeit gehen. Schade ist nur, dass wir Idioten nicht vors Gericht ziehen, weil es ja nicht zu beweisen ist und es ja keiner glaubt, weil bisher niemand an die Öffentlichkeit damit gegangen ist.»
Ein Filialleiter im Januar 2013
«Als Bereichsleiter war ich an der osteuropäischen Expansion beteiligt. Ich erinnere mich noch, wie ich während der Einarbeitung in der ersten Filialzeit (quasi Aushilfe) von der Filialleiterin angewiesen wurde, die TK-Zelle im Lager von oben zu putzen und zu polieren!
Wie gesagt, ich verstehe Sie sehr gut! Nach zwei Jahren hatte ich die Nase auch voll.»
Ein ehemaliger Manager im August 2012
«Ich habe Ähnliches erlebt – doch war ich deutlich älter als Sie und insofern spielte mir meine Lebenserfahrung und meine fachliche Sicherheit in die Karten. Heute bin ich erfolgreicher Berater und sogar bei meinem früheren Arbeitgeber mit neuer Geschäftsführung wieder auf dem Zettel.
Es war mir im Grunde klar, dass ein System wie Aldi nur funktionieren kann, wenn mit harten Bandagen und Ellenbogen gekämpft wird. Ich gebe aber gerne zu, dass mich dennoch gewisse Passagen Ihres Buchs geschockt haben. Wie kann man so sein? Warum verkaufen Menschen ihre Seele, um selbst besser dazustehen? Ich weiß es nicht.
Denn die ganzen Geschäftsführer, Verkaufsleiter, Prokuristen, Bereichsleiter und vielleicht auch die Filialleiter verkaufen sich, um eigene Vorteile in den Fokus ihres Tuns zu stellen. Es ist ihnen egal, dass das ‹Fußvolk› dabei zwangsläufig auf der Strecke bleibt.»
Ein Leser im Juli 2012
«Im Frühjahr bekam ich einen Bereich mit vielen ‹Altlasten›. Ich hatte die Aufgabe, die ‹Altlasten› zu ‹entsorgen›, an die sich noch kein Vorgänger von mir gewagt hatte.
Aus Loyalität zur Firma führte ich das alles aus, mit allen unangenehmen und negativen Seiten, die das mit sich brachte. Zwangsläufig schaffte ich mir dadurch viele Feinde, nämlich viele entlassene Mitarbeiter. Der Rest hatte dafür großen Respekt vor meiner Courage und Durchsetzungsfähigkeit. Auch meine sonstige Arbeit gab keinen Anlass zu Beanstandungen. Ich lebte für die Firma Aldi, richtete mein Privatleben an der Firma aus und nahm Arbeitszeiten zwischen 60 und 70 Stunden pro Woche gerne in Kauf. Niemals beklagte ich mich, ich hatte eine Herausforderung, und mir machte die Arbeit, trotz allem Negativen, auch Spaß. Ich habe und hätte fast alles gemacht, um die Firma zufrieden zu stellen.
Nun ist mein Bereich aufgeräumt, vielleicht habe ich zu viel ‹Blut an den Händen›. Plötzlich musste ich selbst mein Handy und mein Auto abgeben, ich erhielt aus total fadenscheinigen Gründen die Kündigung.»
Eine Bereichsleiterin im Juni 2012
«Der anfangs erwähnte Eindruck des Mitarbeiters als Kostenfaktor verstärkte sich zunehmend und fand seinen Höhepunkt mit der Erwähnung des Personals, dass Azubis zunächst nur mit ‹halber Leistung› in den Arbeitsstunden der Mitarbeiter einkalkuliert werden. Dieser Vorteil der Azubis wird jedoch nicht dazu verwendet, zeitintensivere Betreuung zu gewährleisten, sondern lediglich, um die am Monatsende so wichtige Leistungskennzahl der Filiale zu erreichen. Mir ist bewusst, dass diese Absurdität dem enormen Wettbewerbsdruck im Lebensmitteleinzelhandel geschuldet ist, das ändert jedoch nichts an den vorhandenen Missständen.»
Ein Praktikant in seiner schriftlichen Kündigung im Jahr 2011
«Ich bin ein türkischstämmiger Ex-Mitarbeiter. Ich habe einen rabattierten Artikel selbst gekauft, aber vorher extra noch bei einer Kollegin nachgefragt. Die ausländerfeindliche Bereichsleiterin nutzte diese Gelegenheit, mich, den ‹Kümmel›, loszuwerden. Sie kündigte mir fristlos. Ich war aber vor dem Arbeitsgericht, und Aldi musste richtig fett zahlen!»
Ein ehemaliger Mitarbeiter aus Bayern im August 2012
«Viele hier haben Ihr Buch bestellt, auch jede Abteilung hat ein eigenes Exemplar. Beide Geschäftsführer auf unserer Etage haben (wie ich auch) gestern bei offener Bürotür den ganzen Tag Ihr Buch gelesen. Ein ehemaliger Kollege hat mir berichtet, dass der Geschäftsführer von E. gestern zu einer Filialeröffnung später kam, weil er bis vier Uhr nachts noch gelesen hat. Sie sehen also, die Resonanz ist groß.»
Aus der Aldi-Süd-Zentrale im Mai 2012
«Im Rahmen meines Studiums zum Groß- und Außenhandelskaufmann war ich im Februar 2013 mit meinem Studiengang Gast bei Aldi in der Logistikabteilung. Wir nahmen alle im provisorisch eingerichteten Pausenraum der Lagerarbeiter Platz und wurden feierlich von dem Geschäftsführer, der Prokuristin Logistik und diversen Bereichsleitern begrüßt. Die Vorstellung begann mit einem ‹Kurzporträt› von Aldi Süd des Geschäftsführers, das einer Propagandavorstellung glich. Das Gelächter der Studenten war unüberhörbar. Beispielsweise pries er als Philosophie an, dass das Wohl der Mitarbeiter im Vordergrund stehe. Wenige Minuten später erklärte er dann plötzlich, man ‹könne es nicht akzeptieren, wenn eine Mitarbeiterin morgens wegen der Krankheit ihres Sohnes zu spät komme oder gedanklich nicht voll bei der Sache sei›.
Highlight des Vortrages war jedoch die Aussage des Geschäftsführers, dass Eier von freilaufenden Hühnern zwar vom Kunden gewünscht werden, jedoch in seinen Augen ‹völliger Quatsch› seien, da Hühner ‹die dümmsten aller Tiere› seien und ‹sich selbst in großen Arealen freiwillig übereinanderstapeln›.
Anschließend wurden wir von der ca. 30-jährigen Prokuristin Logistik begrüßt. Sie gackerte uns dann ihre Bilderbuch-Aldi-Karriere vor.»
Ein Student der EUFH im Februar 2013
oder «Skrupellose Praktiken»
«Aldi. Einfach billig» erschien im Mai 2012. Das Medieninteresse war schon davor groß. Der Spiegel nahm das Buch zum Anlass, sich näher mit Aldi zu beschäftigen, und brachte am 30. April 2012 die elfseitige Titelgeschichte «Ausgepackt – Aldi-Insider über die skrupellosen Praktiken ihres Konzerns» heraus. Der Bericht des Nachrichtenmagazins bestätigte viele meiner Erfahrungen und Informationen. Das Magazin hatte ausführlich recherchiert und dabei mit Betroffenen, aber auch mit hochrangigen Insidern gesprochen, darunter ein ehemaliger Einkäufer, ein Jurist und auch eine Kassiererin. Aus der «Tiefpreis-Religion», folgerte der Spiegel, resultiere ein Konzern, der Lieferanten gängele und Kunden wie Mitarbeiter überwache. Die Unternehmenskultur trage sogar paranoide Züge.
Für einen Eklat sorgte ein Ring kameraaffiner Filialleiter aus dem Großraum Frankfurt. Die Männer bedienten gerne ihren Joystick und zoomten mit Überwachungskameras offenbar bei leicht bekleideten Kundinnen auf Brüste und Pos. Was sie für ansehnlich und bewahrenswert hielten, brannten sie auf CD