Lisa Randall
Dunkle Materie und Dinosaurier
Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
FISCHER E-Books
Lisa Randall ist führende theoretische Physikerin und Expertin für Teilchenphysik, Stringtheorie und Kosmologie. Sie arbeitet an einem der zwei konkurrierenden Modelle der Stringtheorie und versucht, damit das Gefüge der Realität zu erklären. Sie war die erste Frau in der Fakultät für Physik von Princeton und die erste theoretische Physikerin am MIT sowie in Harvard. Ihre Arbeiten finden enorme Beachtung und zählen in ihrem Fachgebiet weltweit zu den am meisten zitierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de.
Die Natur der Dunklen Materie gehört zu den spannendsten Fragen der Kosmologie. Die Bestsellerautorin und Harvard-Professorin Lisa Randall nimmt uns mit auf eine Reise in die Welt der Physik und hilft uns zu verstehen, welche Rolle die Dunkle Materie bei der Entstehung unserer Galaxie, unseres Sonnensystems und sogar des Lebens selbst gespielt hat. Eindrucksvoll zeigt sie, wie die Wissenschaft neue Konzepte und Erklärungen für dieses weithin unbekannte Phänomen entwickelt, und verwebt geschickt die Geschichte des Kosmos mit unserer eigenen. Ein Buch, das ein völlig neues Licht auf die tiefen Verbindungen wirft, die unsere Welt so maßgeblich mitgeprägt haben, und uns die außerordentliche Schönheit zeigt, die selbst den alltäglichsten Dingen innewohnt.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Dark Matter and the Dinosaurs: The Astounding Interconnectedness of the Universe« im Verlag Ecco, einem Imprint von HarperCollins, New York
© Lisa Randall 2015
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Coverabbildung: nach einer Idee von James Jones
Covergestalter: Gundula Hißmann und Andreas Heilmann, Hamburg
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403025-8
Um genau zu sein, wurden schwarze Löcher als mögliche Kandidaten für dunkle Materie vorgeschlagen – auf dieses Thema werden wir später zurückkommen. Die Einschränkungen der Beobachtungsmöglichkeiten und theoretische Überlegungen machen ein solches Szenario aber heute sehr unwahrscheinlich.
Zugegeben: Diese Analogie hat ihre Grenzen. Im Gegensatz zu verärgerten Bürgern begünstigen schwere Elemente keine weitere Instabilität, nachdem sie sich einmal im Universum verteilt haben. Noch besser ist, dass sie darüber hinaus zur Bildung von Sternsystemen und sogar von Leben beitragen.
In Wirklichkeit wird dieses Bild, das früher allgemein anerkannt war, mittlerweile von Experten in Frage gestellt. Einerseits passen die Voraussagen für die Spektren und Lichtkurven explodierender Weißer Zwerge gut zu den Beobachtungen. Andererseits hat noch nie jemand den erwarteten zweiten Begleitstern von Weißen Zwergen gesehen. Deshalb vermuten Astronomen, in Wirklichkeit könne die Verschmelzung zweier Weißer Zwerge zur Explosion führen. Manche Daten stützen diese Schlussfolgerung – die meisten davon stehen im Zusammenhang mit der Messung des Zeitunterschiedes zwischen der Entstehung des Doppelsterns und seiner Explosion –, aber im Einzelnen sind auch die Voraussagen über das Szenario, in dem ein einzelner Weißer Zwerg explodiert, noch nicht bestätigt. Die Frage ist also bisher nicht geklärt.
Temperaturunterschiede in Kelvin sind mit denen in Grad Celsius identisch, aber die tiefstmögliche Temperatur der Kelvin-Skala ist 0, während sie auf der Celsius-Skala bei –273,15 Grad liegt.
Man sollte anmerken, dass dunkel hier die übliche Bedeutung von »Licht absorbierend« hat. Es handelt sich nicht um »dunkle Materie«.
Die internationale Kommission für Stratigraphie (ICS), die für die Benennung dieser Zeiträume zuständig ist, wollte auch die vierte Unterteilung, das Quartär, aufgeben – aber dagegen protestierte die Internationale Union für Quartärforschung. Also führte die ICS den Begriff 2009 wieder ein. Das Tertiär hat weniger energische Anhänger und ist kein offizieller Begriff mehr; deshalb trat auch K-Pg an die Stelle von K-T.
Genaugenommen bestanden auch Beschränkungen für präzise Messungen anderer Prozesse, aber diese wurden in den Präsentationen, die ausschließlich von der direkten Suche nach dem Higgs-Boson handelten, in der Regel übergangen.
Manche Teilchen der dunklen Materie sind ihre eigenen Antiteilchen; in diesem Fall können sie sich mit anderen, ähnlichen Teilchen annihilieren.
Teilchenphysiker bedienen sich meist der Energieeinheit Elektronenvolt (eV). 1 Kiloelektronenvolt (keV) sind 1000 eV, und 1 Gigaelektronenvolt (GeV) – die Einheit, die in Diskussionen über die heutigen Hochenergie-Teilchenbeschleuniger häufig vorkommt – sind eine Milliarde eV.
Martha Stewart ist eine US-amerikanische Medienunternehmerin und Fernsehköchin (Anm. d. Übers.).
»Dunkle Materie« und »Dinosaurier« – diese Wörter hört man kaum einmal in einem Atemzug, außer vielleicht auf dem Spielplatz, in einem Club für Fantasyspiele oder in einem noch nicht erschienenen Spielberg-Film. Dunkle Materie ist ein schwer fassbarer Stoff im Universum, der wie gewöhnliche Materie durch Gravitation interagiert, aber Licht weder aussendet noch absorbiert. Astronomen können den Einfluss ihrer Schwerkraft nachweisen, aber sehen können sie sie nicht. Dinosaurier dagegen … Ich glaube nicht, dass ich die Dinosaurier erklären muss. Sie waren in der Zeit vor 231 bis 66 Millionen Jahren die Herrscher unter den landlebenden Wirbeltieren.
Zwar sind sowohl dunkle Materie als auch Dinosaurier unabhängig voneinander faszinierend, aber man könnte mit Fug und Recht annehmen, dass die noch nie gesehene physikalische Substanz und das beliebte biologische Sinnbild nicht das Geringste miteinander zu tun haben. Das wäre auch durchaus denkbar. Aber das Universum ist definitionsgemäß ein Ganzes, und im Prinzip stehen alle seine Bestandteile untereinander in Wechselbeziehung. Das vorliegende Buch untersucht ein spekulatives Szenario: Meine Mitarbeiter und ich vermuten, dass die dunkle Materie letztlich (und indirekt) die Ursache für das Aussterben der Dinosaurier war.
Paläontologen, Geologen und Physiker konnten nachweisen, dass vor 66 Millionen Jahren ein Himmelskörper mit einem Durchmesser von mindestens zehn Kilometern aus dem Weltraum auf die Erde stürzte und sowohl die landlebenden Dinosaurier als auch drei Viertel aller anderen biologischen Arten auslöschte. Bei dem Himmelskörper dürfte es sich um einen Kometen aus den Außenbezirken des Sonnensystems gehandelt haben, aber warum er von seiner nur schwach an die Sonne gebundenen und dennoch stabilen Umlaufbahn abwich, weiß niemand.
Irgendwann durchlief die Sonne die mittlere Ebene der Milchstraße, jenes Streifens aus Sternen und hellem Staub, den man in klaren Nächten am Himmel beobachten kann. Dabei traf das Sonnensystem nach unserer Vermutung auf eine Scheibe aus dunkler Materie, die einen weit entfernten Himmelskörper aus seiner Bahn warf und damit den katastrophalen Einschlag in Gang setzte. In unserer galaktischen Nachbarschaft umgibt uns eine Riesenmenge an dunkler Materie als riesige, glatte, diffuse Wolke.
Die dunkle Materie des Typs, der den Untergang der Dinosaurier einleitete, wäre dann ganz anders verteilt gewesen als der größte Teil der schwer fassbaren dunklen Materie im Universum. Diese besondere dunkle Materie hätte die Wolke unversehrt gelassen, aber ihre ganz andersartigen Interaktionen hätten dazu geführt, dass sie zu einer Scheibe kondensierte – und zwar genau in der Mittelebene der Milchstraße. Diese schmale Region könnte so dicht sein, dass sie einen ungewöhnlich starken Gravitationseffekt ausübt, wenn die Sonne auf ihrer Umlaufbahn in der Galaxis auf und ab schwankt, während sie die Region durchquert. Ihre Gravitation könnte so stark sein, dass sie Kometen an den Rändern des Sonnensystem aus der Bahn wirft; die konkurrierende Schwerkraft der Sonne würde dann nicht ausreichen, um sie zurückzuholen. Solche vagabundierenden Kometen werden aus dem Sonnensystem ausgestoßen oder – folgenschwerer – in die inneren Bereiche des Sonnensystems umgeleitet. Dort besteht die Möglichkeit, dass sie die Erde treffen.
Eines möchte ich von vornherein klarstellen: Ich weiß nicht, ob die Idee stimmt. Nur dunkle Materie eines unerwarteten Typs könnte einen messbaren Einfluss auf Lebewesen ausüben (die, hm, genau genommen nicht mehr am Leben sind). Das vorliegende Buch erzählt die Geschichte unserer unkonventionellen Vermutungen über genau eine solche überraschend einflussreiche dunkle Materie.
Aber so provokativ unsere spekulativen Gedanken auch sein mögen, sie stehen nicht allein im Mittelpunkt des Buches. Mindestens ebenso wichtig wie die Geschichte des dinosauriertötenden Kometen sind die Zusammenhänge und wissenschaftlichen Befunde, zu denen sie gehört. Das schließt auch den weit besser gefestigten kosmologischen Rahmen und die Erforschung des Sonnensystems ein. Ich empfinde es als großes Glück, dass die Themen, mit denen ich mich beschäftige, meine Gedanken häufig in Richtung der großen Fragen lenken: Woraus besteht die Materie? Was ist das Wesen von Raum und Zeit? Und wie hat sich alles im Universum zu der Welt entwickelt, die wir heute sehen? Auch darüber möchte ich in diesem Buch eine Menge mitteilen.
Der Weg, auf den mich die hier beschriebenen Forschungsarbeiten führten, wurde für mich zum Anlass, umfassender über Kosmologie, Astrophysik, Geologie und sogar Biologie nachzudenken. Das Schwergewicht lag immer noch auf den Grundlagen der Physik. Aber nachdem ich mich während meines ganzen Lebens mit eher konventioneller Teilchenphysik beschäftigt hatte – das heißt mit der Erforschung der Bausteine vertrauter Materie, beispielsweise des Papiers oder Bildschirms, auf dem man dies lesen kann –, war es eine willkommene Abwechslung, zu dem vorzustoßen, was man über die dunkle Welt weiß – oder bald wissen wird; außerdem interessierte mich, welche Folgerungen sich aus den grundlegenden physikalischen Prozessen für das Sonnensystem und die Erde ergeben.
Dunkle Materie und Dinosaurier: Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums beschreibt, was wir heute über das Universum, die Milchstraße und das Sonnensystem wissen, und welche Voraussetzungen für eine bewohnbare Zone und das Leben auf der Erde gegeben sein müssen. Ich werde nicht nur die dunkle Materie und den Kosmos erklären, sondern mich auch mit Kometen, Asteroiden und dem Leben – seiner Entstehung und seinem Verschwinden – beschäftigen. Besonders werde ich mich dabei auf den Himmelskörper konzentrieren, der auf die Erde stürzte und die landlebenden Dinosaurier auslöschte – und auch eine Menge anderer Lebensformen. Ich will etwas über die vielen unglaublichen Zusammenhänge mitteilen, die uns überhaupt erst so weit gebracht haben, dass wir begreifen können, was sich heute abspielt. Wenn wir über unseren Planeten nachdenken, möchten wir auch besser verstehen, in welchem Zusammenhang er sich entwickelt hat.
Als ich mich erstmals näher mit den Konzepten beschäftigte, die den Gedanken in diesem Buch zugrunde liegen, war ich von Ehrfurcht ergriffen und bezaubert – und zwar nicht nur wegen unserer derzeitigen Kenntnisse über unsere lokale, solare, galaktische und universelle Umwelt, sondern weil wir von unserem zufälligen kleinen Ausguck hier auf der Erde aus noch so viel mehr verstehen wollen. Ebenso war ich überwältigt von den vielen Zusammenhängen zwischen Phänomenen, die letztlich unser Dasein möglich machen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich vertrete keine religiöse Sichtweise. Ich empfinde keine Notwendigkeit, all dem Sinn oder Bedeutung beizulegen. Aber wenn wir allmählich die ungeheure Weite des Universums und die Vergangenheit verstehen und letztlich begreifen, wie alles zusammenpasst, kann ich mich dennoch nicht eines Gefühls erwehren, das man oft als religiös bezeichnet. Das bietet uns allen eine gewisse Perspektive, wenn wir es mit den Torheiten des Alltagslebens zu tun haben.
Diese neueren Forschungsarbeiten haben sogar dazu geführt, dass ich die Welt und die vielen Teile des Universums, die die Erde einschließlich unserer selbst hervorgebracht haben, mit anderen Augen sehe. Ich bin in Queens aufgewachsen und habe die beeindruckenden Bauten von New York gesehen, aber über die Natur wusste ich nicht viel. Das wenige, was ich von ihr zu sehen bekam, waren angelegte Parks und Rasenflächen; von der Form, die sie hatte, bevor die Menschen kamen, war kaum noch etwas erhalten. Wenn man aber an einem Strand entlanggeht, spaziert man über kleingemahlene Lebewesen – oder zumindest über ihre Schutzgehäuse. Auch die Bestandteile der Kalksteinklippen, die man am Meer oder in ländlichen Gebieten vielleicht sieht, waren einstmals – vor Jahrmillionen – lebende Organismen. Berge steigen durch die Kollision tektonischer Platten in die Höhe, und das geschmolzene Magma, das ihre Bewegungen antreibt, entsteht durch radioaktives Material, das in der Nähe des Erdkerns begraben liegt. Unsere Energie stammt aus den nuklearen Prozessen in der Sonne – aber seit diese urtümlichen Kernreaktionen stattgefunden haben, wurde sie umgewandelt und auf andere Weise gespeichert. Viele Ressourcen, die wir nutzen, sind schwere Elemente; sie kamen aus dem Weltraum und wurden von Asteroiden oder Kometen auf der Erdoberfläche abgelagert. Auch manche Aminosäuren stammen von Meteoroiden, die damit vielleicht das Leben – oder den Keim des Lebens – auf die Erde brachten. Und bevor all das geschah, stürzte die dunkle Materie zusammen und bildete Klumpen, deren Gravitation immer mehr Materie anzog, bis sie sich am Ende in Galaxien, Galaxienhaufen und Sterne wie unsere Sonne verwandelte. Die gewöhnliche Materie, so wichtig sie für uns auch ist, erzählt uns nicht die ganze Geschichte.
Wir erleben zwar vielleicht die Illusion einer in sich geschlossenen Umwelt, aber jeden Tag bei Sonnenaufgang und jede Nacht, wenn der Mond und die viel weiter entfernten Sterne ins Blickfeld rücken, werden wir daran erinnert, dass unser Planet nicht allein ist. Sterne und Sternennebel sind ein weiterer Beleg dafür, dass wir in einer Galaxis zu Hause sind, die sich in einem noch weitaus größeren Universum befindet. Wir kreisen in einem Sonnensystem, und auch hier erinnern uns die Jahreszeiten an unsere Orientierung und unseren Ort darin. Schon unsere Zeitmessung in Tagen und Jahren macht deutlich, wie wichtig unsere Umgebung ist.
Unter den Forschungsergebnissen und der Lektüre, die zu diesem Buch geführt haben, ragen vor allem vier faszinierende Erkenntnisse heraus, die ich mitteilen möchte. Am meisten liegt mir die befriedigende Erkenntnis am Herzen, dass die Einzelteile des Universums auf so bemerkenswerte, ganz unterschiedliche Weise in Verbindung stehen. Auf der grundsätzlichsten Ebene lautet die große Lektion: Die Physik der Elementarteilchen, die Physik des Kosmos und die Biologie des Lebendigen sind miteinander verknüpft – und zwar nicht in irgendeinem esoterischen Sinn, sondern auf eine bemerkenswerte Weise, die zu verstehen sich lohnt.
Die Erde wird ständig von Material aus dem Weltraum getroffen. Und doch ist unser Planet mit seiner Umgebung durch eine Hassliebe verbunden. Von einem Teil dessen, was um ihn herum vorgeht, profitiert er, vieles kann aber auch tödlich sein. Die Position der Erde macht die richtige Temperatur möglich; die äußeren Planeten lenken die meisten ankommenden Asteroiden und Kometen ab, bevor sie die Erde treffen können; die Entfernung zwischen Mond und Erde stabilisiert unsere Umlaufbahn so weit, dass größere Temperaturschwankungen vermieden werden; und das äußere Sonnensystem schirmt uns gegen gefährliche kosmische Strahlung ab. Meteoroide, die auf unseren Planeten gestürzt sind, dürften Ressourcen mitgebracht haben, die für das Leben unentbehrlich sind, sie hatten auf die Wege des Lebendigen aber auch schädliche Auswirkungen. Ein solcher Himmelskörper verursachte vor 66 Millionen Jahren ein verheerendes Massenaussterben. Er fegte die landbewohnenden Dinosaurier hinweg, ebnete aber auch den Weg für die Entwicklung der größeren Säugetiere einschließlich unserer selbst.
Ebenso eindrucksvoll ist der zweite Punkt: Viele wissenschaftliche Entwicklungen, von denen hier die Rede sein wird, sind noch ganz neu. Diese Aussage hätten die Menschen vielleicht zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte machen können, aber das mindert ihren Wahrheitsgehalt nicht: Wir haben unsere Kenntnisse in den letzten [setzen Sie hier eine vom Zusammenhang abhängige Zahl hin] Jahren ungeheuer erweitert. Für die Forschungsarbeiten, die ich beschreiben möchte, liegt die Zahl bei unter 50. Als ich selbst forschte und von den Arbeiten anderer las, war ich immer wieder verblüfft darüber, wie neu und zutiefst revolutionär viele Entdeckungen der jüngeren Zeit waren. Immer wieder zeigten sich Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit der Menschen: Wissenschaftler bemühten sich darum, sich mit den oftmals überraschenden, immer aber unterhaltsamen und manchmal auch beängstigenden Dingen anzufreunden, die wir über die Welt in Erfahrung gebracht haben. Die in diesem Buch präsentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Teil einer größeren Geschichte – sie ist 13,8 oder 4,6 Milliarden Jahre lang, je nachdem, ob man sich auf das Universum oder das Sonnensystem konzentriert. Und doch ist die Geschichte der Menschen, die solche Ideen ans Licht gebracht haben, kaum mehr als ein Jahrhundert alt.
Die Dinosaurier starben vor 66 Millionen Jahren aus, aber wie das geschah, fanden Paläontologen und Geologen erst in den 1970er und 1980er Jahren heraus. Nachdem die entscheidenden Gedanken auf dem Tisch lagen, dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis die Gemeinde der Wissenschaftler sie vollständig bewertet hatte. Dieser zeitliche Ablauf war kein reiner Zufall. Der Zusammenhang zwischen dem Aussterben und einem Objekt aus dem Weltraum wurde glaubwürdiger, als Astronauten auf dem Mond gelandet waren und Krater aus der Nähe gesehen hatten – denn nun verfügten sie über detaillierte Belege für die Dynamik des Sonnensystems.
In den letzten 50 Jahren haben bedeutende Fortschritte in Teilchenphysik und Kosmologie zum Standardmodell geführt, das die Grundbausteine der Materie so beschreibt, wie wir sie heute verstehen. Auch die Menge dunkler Materie und dunkler Energie im Universum wurde erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dingfest gemacht. Unsere Kenntnisse über das Sonnensystem haben sich in dem gleichen Zeitraum ebenfalls verändert. Und erst in den 1990er Jahren entdeckten Wissenschaftler die Objekte des Kuiper-Gürtels in der Nachbarschaft des Pluto, womit gezeigt war, dass der Pluto die Sonne nicht allein umkreist. Die Zahl der Planeten wurde vermindert – aber nur, weil die wissenschaftlichen Kenntnisse, die manch einer vielleicht auf der Oberschule erworben hat, heute reichhaltiger und komplexer sind.
Im Mittelpunkt der dritten wichtigen Lektion steht die Geschwindigkeit des Wandels. Natürliche Selektion ermöglicht Anpassung, wenn die Arten genügend Zeit für die Evolution haben. Aber eine solche Anpassung kommt mit radikalen Veränderungen nicht zurecht – dazu ist sie viel zu langsam. Die Dinosaurier waren nicht in der Lage, sich darauf vorzubereiten, dass ein zehn Kilometer großer Meteoroid die Erde trifft. Sie konnten sich nicht anpassen. Für diejenigen unter ihnen, die an Land festsaßen und so groß waren, dass sie sich nicht eingraben konnten, gab es keinen Ausweg.
Wenn neue Gedanken oder technische Möglichkeiten aufkommen, spielen auch Diskussionen über katastrophale oder allmähliche Veränderungen eine große Rolle. Der Schlüssel zum Verständnis der meisten neuen Überlegungen – ob in der Wissenschaft oder anderswo – ist das Tempo der von ihnen beschriebenen Prozesse. Ich höre häufig, bestimmte Entwicklungen, zum Beispiel die Genforschung oder die Fortschritte, die aus dem Internet erwachsen, seien von beispielloser Dramatik. Aber das stimmt nicht ganz. Die verbesserten Kenntnisse über Krankheiten oder über den Blutkreislauf reichen Jahrhunderte weit zurück und brachten einen mindestens ebenso tiefgreifenden Wandel mit sich wie heute die Genetik. Die Einführung der Schriftsprache und später der Druckerpresse hatte großen Einfluss darauf, wie Menschen ihr Wissen erwarben und wie sie dachten – und dieser Wandel war mindestens ebenso bedeutsam wie der, den das Internet ausgelöst hat.
Wie bei diesen Entwicklungen, so ist die Geschwindigkeit auch für den derzeitigen Wandel ein wichtiger Faktor – und dieses Thema ist nicht nur für wissenschaftliche Prozesse von Bedeutung, sondern ebenso für den Wandel in Umwelt und Gesellschaft. Der Tod durch einen Meteoroiden braucht uns zwar heute wahrscheinlich keine größeren Sorgen zu machen, aber der ständig beschleunigte Wandel in der Umwelt und beim Artensterben ist durchaus besorgniserregend – und seine Auswirkungen könnten in vielerlei Hinsicht vergleichbar sein. Es ist das vielleicht gar nicht so versteckte Ziel dieses Buches, die verblüffende Geschichte darüber, wie wir bis hierher gekommen sind, besser zu verstehen; und sie soll uns ermutigen, diese Erkenntnisse klug zu nutzen.
Dennoch gibt es eine vierte wichtige Lektion: Wir besitzen bemerkenswerte wissenschaftliche Erkenntnisse über die oftmals verborgenen Elemente unserer Welt und ihre Entwicklung – und darüber, inwieweit wir überhaupt darauf hoffen können, das Universum zu verstehen. Viele Menschen sind von der Idee eines Multiversums fasziniert – von anderen Universen, die außerhalb unserer Reichweite liegen. Mindestens ebenso faszinierend sind aber die vielen – sowohl biologischen als auch physikalischen – verborgenen Welten, bei denen wir eine Chance haben, sie zu erkunden und mehr über sie in Erfahrung zu bringen. In Dunkle Materie und Dinosaurier: Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums möchte ich vermitteln, wie anregend es sein kann, über das nachzudenken, was wir wissen – und über die Dinge, die wir voraussichtlich oder möglicherweise in Zukunft wissen werden.
Dieses Buch beginnt mit der Kosmologie – der Wissenschaft vom Universum und seiner Entwicklung bis zum gegenwärtigen Zustand. Im ersten Teil präsentiere ich die Urknalltheorie, die kosmologische Inflation und die Zusammensetzung des Universums. In diesem Abschnitt wird auch erläutert, was dunkle Materie ist, warum wir so genau wissen, dass es sie gibt, und warum sie für den Aufbau des Universums von so großer Bedeutung ist.
Dunkle Materie macht 85 Prozent der Materie im Universum aus; die gewöhnliche Materie – wie sie beispielsweise in Sternen, Gasen und Menschen enthalten ist – stellt dagegen nur 15 Prozent. Dennoch beschäftigen sich die Menschen vor allem mit der Existenz und Bedeutung der gewöhnlichen Materie – die, das muss man gerechterweise sagen –, viel stärkere Wechselbeziehungen eingeht.
Aber wie bei den Menschen, so ist es auch hier nicht sinnvoll, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf den kleinen Bruchteil zu konzentrieren, der überproportional viel Einfluss hat. Die beherrschenden 15 Prozent der Materie – der Anteil, den wir sehen und fühlen können – sind nur ein Teil der Geschichte. Ich werde die unentbehrliche Funktion der dunklen Materie im Universum erläutern: Unentbehrlich war sie für die Entstehung der Galaxien und Galaxienhaufen, die in der Frühzeit des Universums aus dem formlosen kosmischen Plasma hervorgegangen sind, und unentbehrlich ist sie auch heute für die Aufrechterhaltung der Stabilität dieser Strukturen.
Im zweiten Teil des Buches konzentrieren wir uns auf das Sonnensystem. Dieses allein könnte natürlich das Thema für ein ganzes Buch abgeben, wenn nicht sogar für eine Enzyklopädie. Deshalb beschränke ich mich auf die Bestandteile, die für die Dinosaurier von Bedeutung gewesen sein könnten – auf Meteoroiden, Asteroiden und Kometen. In diesem Teil wird erläutert, welche Objekte bekanntermaßen die Erde getroffen haben und mit was für Treffern wir für die Zukunft rechnen können. Außerdem wird von den spärlichen, aber nicht von vornherein haltlosen Belegen für Aussterbeereignisse und Meteoroideneinschläge die Rede sein, die in regelmäßigen Abständen von rund 30 Millionen Jahren stattgefunden haben. Dieser Abschnitt behandelt auch die Entstehung des Lebens sowie seine Zerstörung – wir verschaffen uns einen Überblick darüber, was über die fünf großen Ereignisse des Massenaussterbens bekannt ist, darunter auch das verheerende Ereignis, das die Dinosaurier hinwegfegte.
Der dritte und letzte Teil des Buches führt die Gedanken aus den ersten beiden Teilen zusammen und beginnt mit den Modellen für dunkle Materie. Er erläutert die eher vertrauten Überlegungen zu der Frage, was dunkle Materie sein könnte, und neuere Vermutungen über ihre Wechselwirkungen, die ich zuvor bereits erwähnt habe.
Vorerst brauchen wir nur zu wissen, dass dunkle und gewöhnliche Materie durch Gravitation in Wechselwirkung treten. Im Allgemeinen ist die Gravitation so schwach, dass wir ihren Einfluss nur wahrnehmen, wenn es sich um gewaltige Massen handelt – beispielsweise die von Erde und Sonne; und selbst diese Effekte sind nicht sonderlich stark: Wir können eine Büronadel mit einem winzigen Magneten hochheben, womit wir erfolgreich gegen den Gravitationseinfluss der ganzen Erde antreten.
Die dunkle Materie dürfte aber auch noch anderen Kräften unterworfen sein. Unser neues Modell stellt die Annahme – und das Vorurteil – in Frage, wonach die uns vertraute Materie wegen der Kräfte, durch die sie interagiert – Elektromagnetismus, schwache und starke Kernkraft –, etwas Besonderes ist. Diese Kräfte der herkömmlichen Materie sind weitaus stärker als die Gravitation und bilden die Grundlage für viele interessante Eigenschaften unserer Welt. Aber was wäre, wenn auch ein Teil der dunklen Materie neben der Gravitation anderen einflussreichen Interaktionen unterläge? Wenn es so ist, könnten die Kräfte der dunklen Materie zu dramatischen Indizien für Zusammenhänge zwischen der elementaren Materie und makroskopischen Phänomenen werden, die noch tiefer gehen als die vielen, die wir bereits kennen.
Im Prinzip könnten zwar alle Dinge im Universum untereinander in Wechselbeziehung treten, die meisten derartigen Interaktionen sind aber so klein, dass man sie nicht ohne weiteres wahrnehmen kann. Beobachten können wir nur Dinge, die uns auf nachweisbare Weise betreffen. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, das nur winzige Effekte ausübt oder erlebt, kann es unmittelbar vor unserer Nase liegen und doch unserer Aufmerksamkeit entgehen. Das ist vermutlich der Grund, warum die einzelnen Teilchen der dunklen Materie sich bisher einer Entdeckung entzogen haben – und das, obwohl sie uns vermutlich überall umgeben.
Der dritte Teil des Buches zeigt, wie weiter gefasste Gedanken über die dunkle Materie – die Frage, warum das dunkle Universum so einfach sein soll, wo unseres doch so kompliziert ist – uns dazu veranlassen, über neue Möglichkeiten nachzudenken. Vielleicht erlebt ein Teil der dunklen Materie ihre eigene Kraft – ein dunkles Licht, wenn man so will. Wenn der größte Teil der dunklen Materie in der Regel in die relativ einflusslosen 85 Prozent abgeschoben wird, könnte man auf den Gedanken kommen, dass der neu vorgeschlagene Typ der dunklen Materie eine aufwärts orientierte mittlere Kategorie darstellt – mit Interaktionen, die denen der bekannten Materie ähneln. Die zusätzlichen Wechselwirkungen könnten Auswirkungen auf den Aufbau der Galaxis haben und die Möglichkeit schaffen, dass dieser Teil der dunklen Materie die Bewegungen der Sterne und anderer Objekte im Bereich der gewöhnlichen Materie beeinflusst.
In den kommenden fünf Jahren wird man mit Satelliten die Form, die Zusammensetzung und die Eigenschaften unserer Galaxis detaillierter vermessen als je zuvor. Daraus werden wir viel über unsere galaktische Umgebung erfahren, und wir können prüfen, ob unsere Vermutung stimmt. Solche Folgerungen, die sich beobachten lassen, machen die dunkle Materie und unser Modell zu legitimen wissenschaftlichen Überlegungen, die weiterzuverfolgen sich lohnt – und das, obwohl die dunkle Materie kein Baustein von dir und mir ist. Zu den Folgen könnten auch die Einschläge von Meteoroiden gehören – und einer davon könnte das Bindeglied zwischen der dunklen Materie und dem Verschwinden der Dinosaurier sein, auf das der Titel des Buches anspielt.
Die Hintergründe und Konzepte, die solche Phänomene verbinden, verschaffen uns ein weit gefasstes, dreidimensionales Bild des Universums. Mit diesem Buch verfolge ich das Ziel, solche Ideen weiterzugeben und jeden dazu zu ermutigen, selbst den bemerkenswerten Reichtum unserer Welt zu erkunden, wertzuschätzen und zu stärken.