Amy Morin
13 Dinge, die mental starke Menschen NICHT tun
An alle, die sich heute besser fühlen möchten als gestern
Aus dem Amerikanischen von Isabel Gräfin Bülow
FISCHER E-Books
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Dieses Buch macht Sie stark! Und das sofort!
Depression und Burnout sind für Amy Morin keine Fremdworte: Auf den Tag genau drei Jahre, nachdem sie ihre Mutter verloren hatte, starb ihr Mann ganz plötzlich an einem Herzinfarkt. Morin wurde mit nur 26 Jahren Witwe und musste selbst lernen, nach diesen schweren Schicksalsschlägen zu mentaler Stärke zu finden. Sie nutzte den Umbruch zum Neuanfang.
Die Psychotherapeutin und Sozialpädagogin Amy Morin weiß: Wir alle sind nur so gut, wie unsere schlechtesten Angewohnheiten es zulassen. Sie sind wie eine schwere Last, sie behindern, ermüden und frustrieren. Sie halten uns davon ab, unser Potential voll auszunutzen, sie führen zu Depression und Burnout.
Unsere mentale Stärke und Resilienz steigern wir, indem wir negative Verhaltens- und Denkmuster ablegen, wie z.B. in Selbstmitleid zu versinken, sofortige Erfolge zu erwarten oder das Alleinsein zu fürchten. Freuen wir uns stattdessen auf Veränderungen, besiegen wir unsere Ängste, werden wir glücklich und erfolgreich!
Der erste Ratgeber mit einem ganz neuen Ansatz zur Verbesserung der mentalen Stärke und der Resilienz: mitreißend, effektiv und überzeugend!
Covergestaltung: bürosüd°, München
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel
›13 Things Mentally Strong People Don't Do‹
bei HarperCollins Publishers, New York
© 2014 by Amy Morin
All rights reserved.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403285-6
An alle, die sich heute besser fühlen möchten als gestern.
Als ich dreiundzwanzig Jahre alt war, verstarb meine Mutter ganz plötzlich an einem Gehirnaneurysma. Sie war bis zu jenem Tag eine gesunde, engagierte und lebenslustige Frau gewesen, die das Leben in vollen Zügen genoss. Noch am Abend vor ihrem Tod hatten wir uns in einer Sporthalle verabredet, um uns ein Basketballturnier einer lokalen Highschool anzusehen. Sie hatte gelacht und war wie immer gesprächig und lebensfroh gewesen. Aber keine vierundzwanzig Stunden später war sie tot. Der Verlust meiner Mutter erschütterte mich zutiefst. Ich wusste nicht, wie ich ohne ihren Rat, ihr Lachen und ihre Zuneigung zurechtkommen sollte.
Damals arbeitete ich als Therapeutin in einer Nervenheilanstalt und musste mir einige Wochen freinehmen, um meinen Verlust zu verarbeiten. Es war unmöglich, anderen Menschen zu helfen, wenn ich selbst nicht produktiv mit meinen Gefühlen umgehen konnte. Ohne meine Mutter klarzukommen war ein Prozess. Es war nicht einfach für mich, aber ich habe mich sehr bemüht, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Als Therapeutin wusste ich, dass Zeit eben nicht alle Wunden heilt. Es kommt darauf an, wie wir mit dem Leid umgehen. Nur davon hängt es ab, wie schnell oder wie langsam wir ein schlimmes Ereignis verarbeiten. Ich wusste, dass Trauerarbeit meinen Schmerz lindern würde. Daher gab ich mir die Zeit, traurig zu sein, wütend zu werden und mich dem Verlust meiner Mutter hinzugeben. Aber ich vermisste sie nicht nur, ich war auch traurig darüber, dass sie bei wichtigen zukünftigen Ereignissen nicht dabei sein konnte und dass sie ihren Ruhestand als Großmutter nicht genießen konnte. Meine Familie, meine Freunde und mein Gottvertrauen halfen mir, wieder ruhiger zu werden. Das Leben ging weiter, und irgendwann habe ich es geschafft, an meine Mutter zu denken und dabei zu lächeln.
Einige Jahre später, kurz vor dem dritten Todestag meiner Mutter, überlegten mein Mann Lincoln und ich, wie wir diesen Tag ihr zu Ehren am besten feiern sollten. Freunde hatten uns an jenem Samstag zu einem Basketballspiel eingeladen. Per Zufall fand das Spiel in derselben Sporthalle statt wie damals. Lincoln und ich sprachen darüber, wie es wohl sein würde, diese Halle wieder zu betreten.
Wir beschlossen, dass dieser Tag doch ein wunderbarer Anlass sei, uns an sie zu erinnern. Immerhin hatten wir damals einen schönen Abend miteinander verbracht, gelacht und uns über vieles ausgetauscht. Alles in allem war es ein gelungener Abend gewesen. Meine Mutter hatte die Vermutung geäußert, dass meine Schwester ihren damaligen Freund später heiraten würde, und damit lag sie genau richtig.
Und so trafen Lincoln und ich uns mit unseren Freunden in der Sporthalle. Wir wussten, dass meine Mutter dies gutgeheißen hätte. Es war schön, wieder dort zu sein, und ich fühlte mich gut. Aber gerade als ich tief durchatmen wollte und Erleichterung darüber verspürte, wie ich mit dem Tod meiner Mutter zu leben gelernt hatte, brach alles wieder in sich zusammen.
Als wir nach dem Spiel wieder zu Hause waren, klagte Lincoln über Rückenschmerzen. Er hatte sich bei einem Autounfall ein paar Jahre zuvor einige Rippen gebrochen, so dass ihm diese Schmerzen nicht fremd waren. Aber nach einigen Minuten brach er zusammen. Ich rief einen Krankenwagen, der kurz darauf eintraf und ihn ins Krankenhaus brachte.
Am gleichen Wochenende, an dem wir den dritten Todestag meiner Mutter begingen, wurde ich Witwe. Alles erschien sinnlos. Lincoln war erst sechsundzwanzig Jahre alt und hatte nie Herzprobleme gehabt. Wie konnte er gerade noch lebendig sein und kurz danach tot? Den Tod meiner Mutter hatte ich noch nicht richtig verarbeitet und musste mir darüber hinaus nun mein Leben ohne Lincoln einrichten. Ich war am Ende und wusste nicht mehr weiter.
Den Tod des eigenen Ehepartners zu erleben ist eine surreale Erfahrung. In einer Zeit, in der ich psychisch nicht in der Lage war, Entscheidungen zu fällen, mussten dennoch viele getroffen werden. In nur wenigen Stunden musste ich mich um die Beerdigung kümmern und den Nachruf verfassen. Ich hatte gar keine Zeit, das Ausmaß der Tragödie wirklich zu begreifen. Es war alles viel zu überwältigend.
Ich hatte das Glück, viele Menschen an meiner Seite zu wissen, die mich trösteten. Trauerarbeit ist zwar ein individueller Prozess, aber Freunde und Familie halfen mir sehr dabei. Es gab Zeiten, in denen es leichter war, und andere, in denen es wieder schlimmer wurde. Immer wenn ich dachte, es ginge mir besser, warf mich meine Trauer wieder emotional zurück. Trauern ist körperlich und emotional sehr anstrengend.
Es gab so vieles, was mich traurig stimmte. Ich trauerte mit der Familie meines Mannes, weil ich wusste, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Ich war niedergeschlagen, weil Lincoln so vieles nicht mehr erleben durfte. Und ich war betrübt darüber, dass wir nichts mehr gemeinsam unternehmen konnten, ganz zu schweigen davon, wie sehr ich ihn vermisste.
Ich blieb der Arbeit so lange fern, wie ich nur konnte. Im Nachhinein vergingen die nun folgenden Monate wie in einem einzigen Nebel, in dem ich vorsichtig versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber ich konnte ja nicht immer zu Hause bleiben. Ich hatte jetzt nur noch mein Einkommen und musste wieder Geld verdienen.
Nach einigen Monaten rief mich mein Vorgesetzter an und fragte, wann ich wieder arbeiten käme. Meinen Patienten war gesagt worden, dass ich in absehbarer Zeit nicht wieder zur Arbeit käme, da ich mich um einen Familiennotfall kümmern müsse. Wir hatten keinen Zeitpunkt festgelegt, da wir nicht wussten, wie schnell es mir wieder bessergehen würde. Aber jetzt wollten sie eine Antwort von mir. Es ging mir definitiv nicht »besser«, aber ich musste wieder arbeiten gehen.
Genauso wie damals bei meiner Mutter, musste ich mich meiner Trauer unmittelbar stellen. Ich konnte sie nicht ignorieren oder einfach wegschieben. Ich musste den Schmerz ertragen, mich gleichzeitig heilen und mich nicht meinen negativen Gefühlen hingeben. Es wäre sehr einfach gewesen, mich selbst zu bemitleiden und gedanklich in der Vergangenheit zu leben. Aber ich wusste auch, dass das nicht gesund wäre. Ich musste mich bewusst dafür entscheiden, den langen Weg, der vor mir lag, alleine zu gehen und mir ein neues Leben aufzubauen.
Ich musste darüber nachdenken, ob die Ziele, die Lincoln und ich hatten, in Zukunft immer noch meine Ziele wären. Einige Jahre lang waren wir Pflegeeltern gewesen und hatten uns dafür entschieden, irgendwann ein Kind zu adoptieren. Aber wollte ich das als Single immer noch? Ich blieb in den darauffolgenden Jahren weiterhin Pflegemutter, meistens in Notfällen und an Wochenenden. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich ohne Lincoln ein Kind adoptieren wollte.
Ich musste mir auch neue Ziele setzen. Ich beschloss, mich umzusehen und neue Sachen auszuprobieren. Ich machte meinen Motorradführerschein und kaufte mir ein Motorrad. Auch begann ich zu schreiben. Zuerst war es nur ein Hobby, aber dann wurde ein Halbtagsjob daraus. Ich musste auch neue Kontakte und Freundschaften knüpfen und überlegen, welche der Freunde Lincolns wohl meine blieben und welche Beziehung ich weiterhin zu seiner Familie hätte. Glücklicherweise blieben mir die meisten seiner Freunde erhalten, und seine Familie blieb weiterhin Teil meiner Familie.
Ungefähr vier Jahre später hatte ich das Glück, mich neu zu verlieben. Oder vielleicht sollte ich sagen, die Liebe fand mich. Ich hatte mich schon an das Leben als Single gewöhnt. Aber das veränderte sich alles, als ich anfing, mit Steve auszugehen. Wir kannten uns schon seit vielen Jahren, und ganz langsam wurde aus unserer Freundschaft eine Beziehung. Irgendwann begannen wir, über unsere Zukunft zu reden. Obwohl ich gedacht hatte, nie wieder heiraten zu wollen, schien mir Steve doch genau der Richtige zu sein.
Meine Freunde waren begeistert, dass ich wieder heiratete. Ich wollte aber keine traditionelle Hochzeit oder einen Empfang, der so ähnlich war wie der bei meiner Hochzeit mit Lincoln. Also fuhren wir nach Las Vegas. Es wurde für alle ein fröhliches, harmonisches und glückliches Fest.
Als wir ein Jahr verheiratet waren, entschieden wir uns, das Haus, in dem Lincoln und ich gelebt hatten, zu verkaufen und in einer anderen Stadt ein neues zu kaufen. Einerseits wohnten wir dort in der Nähe meiner Schwester und meiner Nichten, und andererseits gab es uns die Möglichkeit, neu anzufangen. Ich fand Arbeit in einer sehr geschäftigen medizinischen Praxis, und wir sahen der Zukunft zuversichtlich und glücklich entgegen. Gerade, als unser Leben bergauf ging, nahm unser Weg hin zum Glück wieder eine Abzweigung. Steves Vater war an Krebs erkrankt.
Diese Neuigkeit war wie ein Schlag vor den Kopf. Rob war so ein lebensfroher Mensch. Er war jemand, der Kindern Geld hinter dem Ohr hervorzauberte und immer lustige Geschichten erzählte. Obwohl er in Minnesota lebte und wir in Maine, sahen wir ihn regelmäßig. Seitdem er im Ruhestand war, besuchte er uns oft wochenlang, und ich witzelte, er sei unser liebster Hausgast, obwohl er unser einziger war.
In Bezug auf meine schriftstellerischen Ambitionen war er mein größter Fan. Alles, was ich schrieb, korrigierte er, egal ob es ein Artikel über Erziehung war oder etwas Psychologisches. Oft rief er mich auch an und gab mir Ideen zu Geschichten oder machte mir Vorschläge.
Obwohl Rob zweiundsiebzig Jahre alt war, war er zu jung, um so krank zu sein. Noch im Sommer zuvor hatte er Motorradausflüge gemacht, war auf dem Lake Superior gesegelt und mit seinem offenen Cabriolet durch die Landschaft gefahren. Aber jetzt war er zu krank dazu, und die Aussage der Ärzte war eindeutig: Sein Zustand würde sich nur noch verschlechtern.
Dieses Mal begegnete ich dem Tod anders. Der Tod meiner Mutter und auch der von Lincoln waren ganz plötzlich und unerwartet gekommen. Dieses Mal war ich vorgewarnt. Aber genau das machte mir Angst.
Mir fiel auf, dass ich oft dachte Jetzt passiert es mir schon wieder. Ich wollte aber nicht wieder so einen schlimmen Verlust erleben. Es war einfach unfair. Ich kannte so viele junge Leute in meinem Alter, die noch niemanden in ihrem Leben verloren hatten. Warum musste ich so viele geliebte Menschen verlieren? Ich saß am Tisch und dachte darüber nach, wie ungerecht das Leben war und wie schwer es noch sein würde und wie gerne ich wollte, dass alles anders war.
Ich wusste auch, dass ich mich diesen Gedanken nicht hingeben durfte. Ich hatte das alles schon zweimal mitgemacht. Wenn ich jetzt weiter darüber nachdachte, dass es allen anderen besserging als mir, oder wenn ich mir einredete, dass ich keinen weiteren Verlust mehr verkraftete, würde das nichts bringen. Stattdessen würde es mich zeitlich zurückwerfen und mich davon abhalten, mich der Realität zu stellen.
Zu dem Zeitpunkt begann meine Arbeit an den ›13 Dingen, die mental starke Menschen nicht tun‹.
Gegen diese dreizehn Dinge hatte ich intensiv angekämpft, um meine Trauer zu überwinden. Sie waren es gewesen, die mich davon abgehalten hatten, dass ich mich besserfühlte. Sie durften nicht stärker sein als ich.
Ich versuchte, diese Punkte auch an meine Patienten zu vermitteln. Sie aufzuschreiben half mir, auf dem für mich richtigen Kurs zu bleiben. Sie erinnerten mich daran, dass ich mental stark sein konnte. Stark deshalb, weil Rob einige Wochen, nachdem ich sie zu Papier gebracht hatte, verstarb.
Psychotherapeuten helfen gewöhnlich anderen Menschen dabei, wieder stark zu sein, und geben ihnen Tipps, wie sie sich verhalten sollen und was sie tun können, um sich zu verändern. Als ich aber meine Liste der mentalen Stärken aufschrieb, entschied ich, gewisse Dinge nicht mehr zu tun, die mir schon in Fleisch und Blut übergegangen waren. Mich dafür zu entscheiden, was ich nicht mehr tun wollte, war genau das Richtige. Liebe Gewohnheiten sind wichtig, aber oft sind es unsere schlechten Eigenschaften, die uns davon abhalten, unser Potential voll auszunutzen. Auch wenn man viele gute Gewohnheiten hat, ist es schwer, seine Ziele zu erreichen, wenn man die schlechten gleichermaßen beibehält. Man ist nur so gut, wie die schlechtesten Angewohnheiten es zulassen. Sie sind wie eine schwere Bürde, die man mit sich herumträgt. Sie behindern, ermüden und frustrieren.
Stellen Sie sich einen Mann vor, der jeden Tag ins Fitnessstudio geht und dort zwei Stunden lang trainiert. Penibel schreibt er seine Übungen auf, um seine Fortschritte festzuhalten. Nach sechs Monaten hat er kaum eine Veränderung an sich bemerkt. Er ist frustriert, dass er nicht abgenommen und keine Muskeln aufgebaut hat. Er teilt seiner Familie und seinen Freunden mit, dass es keinen Sinn hat, dort hinzugehen, dass er nicht besser aussieht als vorher und sich auch nicht gesünder fühlt, obwohl er doch so regelmäßig trainiert. Was er nicht erzählt, ist, dass er sich jeden Tag auf dem Nachhauseweg etwas gönnt. Nach all dem Training hat er Hunger und sagt sich: »Ich habe so hart gearbeitet. Jetzt verdiene ich eine Belohnung!« Deshalb isst er jeden Tag auf dem Nachhauseweg ein Dutzend Donuts.
Wahnsinn, nicht wahr? Aber dieses Verhalten legen wir alle an den Tag. Wir arbeiten hart an einer Verbesserung und sabotieren gleichzeitig unsere Mühen.
Die dreizehn Dinge nicht zu tun lässt Sie Ihre Trauer nicht überwinden. Sie nicht mehr zu tun wird Ihnen aber dabei helfen, die mentale Stärke zu entwickeln, die Sie benötigen, um sich den kleinen und großen Problemen Ihres Lebens zu stellen. Egal, welche Ziele Sie haben, Sie können Ihr Potential nur erreichen, wenn Sie sich mental stark fühlen.
Es ist nicht so, dass manche Menschen mental stark sind und andere mental schwach. Wir sind alle bis zu einem gewissen Grad mental stark, aber wir können uns auch alle noch verbessern. Mentale Stärke zu entwickeln heißt, zu lernen, mit seinen Gefühlen besser umzugehen, seine Gedanken besser zu strukturieren und sich positiv zu verhalten, egal wie die Lebensumstände gerade sind.
Genauso wie manche Menschen physische Stärke leichter entwickeln als andere, scheint es, dass es manchen leichter fällt, mentale Stärke aufzubauen. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
Vererbung – Gene sind dafür verantwortlich, ob man zum Beispiel dazu neigt, unter Stimmungsschwankungen zu leiden.
Persönlichkeit – Manche Menschen haben Charakterzüge, die ihnen helfen, realistischer zu denken und von Natur aus positiver zu sein.
Erfahrungen – Lebenserfahrungen nehmen Einfluss darauf, wie man über sich selbst, über andere Menschen und die Welt im Allgemeinen denkt.
Manche dieser Faktoren kann man nicht beeinflussen. Man kann eine schwierige Kindheit nicht einfach so auslöschen. Man kann eine genetische Prädisposition für ADHS nicht ignorieren. Aber das heißt nicht, dass man seine mentale Stärke nicht steigern kann. Jeder hat die Fähigkeit, mentale Stärke aufzubauen, wenn er Zeit und Energie in die Übungen dieses Buches steckt.
Stellen Sie sich einen Mann vor, der in Gesellschaft nervös ist. Um seine Angst zu minimieren, fängt er erst gar keine Unterhaltung mit seinen Kollegen an. Je weniger er aber mit ihnen spricht, desto weniger sprechen sie mit ihm. Immer wenn er in die Kantine geht oder an Leuten auf dem Gang vorbeiläuft und keiner mit ihm spricht, denkt er Es liegt an meiner Unbeholfenheit. Je mehr er darüber nachdenkt, wie schwer es ihm fällt, soziale Kontakte aufzubauen, desto nervöser wird er, und am Ende spricht er niemanden an. So wie seine Angst wächst auch sein Wunsch, seinen Kollegen aus dem Weg zu gehen, was in einem ewigen Teufelskreis endet.
Um zu verstehen, was es heißt, mental stark zu sein, muss man lernen, dass Gedanken, Verhalten und Gefühle miteinander verbunden sind. Dies führt oft zu einer Abwärtsspirale, wie das vorherige Beispiel zeigt. Deshalb ist zum Aufbau mentaler Stärke eine dreistufige Vorgehensweise nötig:
Gedanken – Man muss irrationale Gedanken als solche identifizieren und sie mit rationalen ersetzen.
Verhalten – Man muss sich, egal wie die Umstände auch sein mögen, positiv verhalten.
Gefühle – Man muss lernen, seine Gefühle zu kontrollieren, damit man nicht von ihnen beherrscht wird.
Wir hören es immer wieder: »Denke positiv.« Aber Optimismus alleine reicht nicht, um sein volles Potential auszuschöpfen.
Ich habe fürchterliche Angst vor Schlangen. Dennoch ist meine Furcht vollkommen irrational. Bei uns gibt es keine einzige giftige Schlange. Ich sehe Schlangen noch nicht einmal sehr oft, aber wenn ich sie sehe, bekomme ich Herzklopfen und möchte am liebsten so schnell ich kann weglaufen. Für gewöhnlich bin ich in der Lage, meine Panik mit rationalen Gedanken zu kontrollieren, denn ich sage mir, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben. Ich kann in sicherer Entfernung an einer Schlange vorbeigehen. Aber sie aufzuheben oder zu streicheln ist mir nicht möglich.
Wir treffen unsere besten Entscheidungen, wenn unsere Gefühle und unsere Ratio in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Denken Sie einmal darüber nach, wie Sie sich verhalten, wenn Sie wirklich wütend sind. Höchstwahrscheinlich sagen und tun Sie Dinge, die Sie später bereuen, da Sie sich von Ihren Gefühlen und nicht von Ihrem Verstand haben leiten lassen. Aber sich nur auf den Verstand zu verlassen ist bei Entscheidungen auch nicht gut. Wir sind eben alle nur Menschen und keine Roboter. Unser Herz und unser Kopf müssen zusammenarbeiten.
Viele meiner Patienten stellen ihre Fähigkeit in Frage, ihre Gedanken, ihre Emotionen und ihr Verhalten kontrollieren zu können. »Ich kann einfach nichts dafür, wie ich empfinde«, so ihre Meinung, oder: »Ich kann meine negativen Gedanken nicht einfach verdrängen.« »Mir fehlt es an Motivation, das zu tun, was ich erreichen möchte.« Mit mehr mentaler Stärke ist dies möglich.
Es gibt viele Fehlinformationen und Missverständnisse darüber, was mentale Stärke bedeutet. Die folgenden Punkte treffen auf jeden Fall zu:
Mental stark sein heißt nicht, dass man sich tough geben muss. Man muss nicht zum Roboter werden oder sich eine harte Schale zulegen, wenn man mental stark sein möchte. Es geht darum, sich entsprechend seinen Wertvorstellungen zu verhalten.
Mental stark sein heißt nicht, dass man keine Gefühle zeigen darf. Seine mentale Stärke zu steigern bedeutet nicht, seine Gefühle zu unterdrücken, aber man sollte sich ihrer sehr bewusst sein. Stattdessen sollte man verstehen, wie Gefühle Gedanken und Verhalten beeinflussen können.
Man muss nicht wie eine Maschine funktionieren, um mental stark zu sein. Mentale Stärke heißt nicht, seinen Körper an seine Grenzen zu bringen, nur um sich zu beweisen, dass man Schmerz aushalten kann. Es geht darum, die eigenen Gedanken und Gefühle gut genug zu verstehen, damit man in der Lage ist, darüber zu entscheiden, wann man ihnen folgt und wann nicht.
Mental stark zu sein heißt nicht, dass man alles im Alleingang machen muss. Mental stark sein heißt nicht, dass man von keinem Menschen oder keiner »höheren Macht« Hilfe in Anspruch nehmen muss. Zuzugeben, dass man nicht auf alles Antworten hat, um Hilfe zu bitten, wenn man sie braucht, und anzuerkennen, dass man auch durch Gottvertrauen zu mehr Stärke finden kann, zeigt, dass man den Wunsch hat, stärker zu werden.
Mental stark zu sein heißt nicht, immer positiv zu denken. Immer nur positiv zu denken kann genauso schädlich sein wie negatives Denken. Mental stark zu sein bedeutet, rational und realistisch zu denken.
Mentale Stärke zu entwickeln heißt nicht, dem Glück hinterherzujagen. Mental stark zu sein wird Ihnen aber helfen, zufriedener im Leben zu sein. Es geht nicht darum, jeden Morgen wach zu werden und sich zu zwingen, glücklich zu sein. Stattdessen geht es darum, die Entscheidungen zu treffen, die Sie Ihr ganzes Potential entfalten lassen.
Mentale Stärke ist nicht der neueste psychologische Trend. Genauso wie es in der Fitnesswelt immer neue Modediäten und Fitnesstrends gibt, gibt es in der Psychologie viele Abhandlungen darüber, wie man das Beste aus sich herausholt. Mentale Stärke ist jedoch keine Modeerscheinung. In der Psychologie gibt es schon seit den sechziger Jahren das Bestreben, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gedanken, ihre Gefühle und ihr Verhalten zu verändern.
Mentale Stärke ist nicht gleichbedeutend mit mentaler Gesundheit. Während im Gesundheitswesen mentale Gesundheit mentaler Krankheit gegenübergestellt wird, verhält es sich bei mentaler Stärke anders. Genauso wie zum Beispiel Diabetiker, obwohl sie krank sind, mental stark sein können, können auch depressive Menschen, Menschen mit Angstneurosen oder anderen psychischen Problemen stark sein. Physisch krank zu sein heißt nicht, dass man schlechte Gewohnheiten aufrechterhalten muss. Man ist immer noch frei zu entscheiden, gesund zu leben. Es bedarf vielleicht mehr Arbeit, einer intensiveren Fokussierung und mehr Einsatz, aber es ist auf jeden Fall möglich.
Es ist einfach, sich mental stark zu fühlen, wenn im Leben alles gut läuft. Manchmal gibt es aber eben auch Probleme, der Verlust der Arbeit, eine Naturkatastrophe, eine Krankheit in der Familie oder der Tod eines geliebten Menschen. Wenn man mental stark ist, kann man sich den Herausforderungen des Lebens besser stellen. Die Vorteile, seine mentale Stärke zu steigern, sind:
Erhöhte Stressresistenz – Mentale Stärke hilft einem im täglichen Leben, nicht nur in einer Krise. Sie werden besser und effizienter mit Problemen umgehen können und letztendlich Ihren Stresslevel senken.
Erhöhte Lebenszufriedenheit – So wie Ihre mentale Stärke, wird auch Ihr Vertrauen zu sich selbst wachsen. Sie werden nach Ihren Wertvorstellungen leben. Das wird Ihnen ein Gefühl von Zufriedenheit geben, und Sie werden erkennen, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist.
Erhöhte Leistungssteigerung – Ob Sie nun eine bessere Mutter, ein besserer Vater sein, Ihre Arbeitsproduktivität erhöhen oder Ihre sportlichen Leistungen verbessern wollen: Mentale Stärke wird Ihnen helfen, Ihr Potential voll auszuschöpfen.
Ein Buch zu lesen macht aus Ihnen noch keinen Schriftsteller. Athleten werden nicht zu Profis, wenn sie nur über ihren Sport lesen, und ein guter Musiker kann sich nicht verbessern, wenn er anderen nur zuhört. Sie alle müssen selbst trainieren und üben.
Selbstmitleid ist das destruktivste aller nichtpharmazeutischen Mittel; es macht süchtig, vorübergehend glücklich und entfremdet das Opfer von der Realität.
John Gardner
In den Wochen nach Jacks Unfall hörte seine Mutter nicht auf, über den »schrecklichen Unfall« zu reden. Jeden Tag erzählte sie die Geschichte, wie Jack sich beide Beine dabei gebrochen hatte, als er von einem Schulbus angefahren worden war. Sie fühlte sich schuldig, weil sie nicht da gewesen war, um ihn zu beschützen. Ihn wochenlang hilflos im Rollstuhl sitzen zu sehen, konnte sie kaum ertragen.
Obwohl die Ärzte ihr versichert hatten, dass er sich vollständig regenerieren würde, erinnerte sie Jack ständig daran, dass seine Beine vielleicht nie mehr ganz heilen würden. Sie wollte, im Fall von Komplikationen, dass er sich bewusstmachte, dass er vielleicht nie wieder rennen oder Fußball spielen könne.
Obwohl die Ärzte ihn wieder zur Schule schicken wollten, entschieden seine Eltern, dass seine Mutter ihren Job kündigte, um ihn für den Rest des Schuljahres zu Hause zu unterrichten. Sie glaubten, dass es zu viele negative Erinnerungen in ihm wecken würde, jeden Tag wieder in den Schulbus zu steigen. Sie wollten auch nicht, dass er den anderen Kindern vom Rollstuhl aus beim Spielen in den Pausen zuschauen musste. Sie hofften, dass Jack sich zu Hause physisch und psychisch schneller erholte.
Normalerweise erledigte Jack morgens seine Schularbeiten und schaute am Nachmittag und Abend fern oder spielte Computerspiele. Nach einigen Wochen bemerkten seine Eltern, dass sich seine Stimmung veränderte. Für gewöhnlich ein fröhliches und aufgewecktes Kind, war er jetzt leicht reizbar und traurig. Seine Eltern glaubten, der Unfall hätte ihn mehr traumatisiert, als sie ursprünglich angenommen hatten. Sie schickten ihn zur Therapie, weil sie hofften, dass diese Jacks seelische Wunden heilen könnte.
Jacks Eltern brachten ihn zu einer bekannten Kinderpsychologin mit Traumata-Erfahrung. Die Therapeutin hatte zuvor ein Arztschreiben von Jacks Kinderarzt erhalten und wusste daher über die Umstände Bescheid.
Als Jacks Eltern den Rollstuhl in ihr Büro schoben, schaute er nur auf den Boden. Seine Mutter erzählte: »Wir machen seit seinem Unfall eine so schreckliche Zeit durch. Es zerstört unser Leben und hat Jack nur emotionale Probleme gebracht. Er ist nicht mehr derselbe kleine Junge wie vorher.«
Zur Verwunderung der Mutter reagierte die Psychologin nicht mit Mitleid. Stattdessen sagte sie begeistert: »Ich habe mich so darauf gefreut, dich kennenzulernen, Jack! Ich habe noch nie ein Kind getroffen, das einen Schulbus bezwungen hat. Erzähl mal, wie hast du das geschafft?« Zum ersten Mal seit dem Unfall lächelte Jack.
In den nächsten Wochen arbeitete Jack daran, sein eigenes Buch zu schreiben. Er nannte es ›Wie man einen Schulbus bezwingt‹. Er erzählte darin, wie er es geschafft hatte, mit ein paar Knochenbrüchen davonzukommen. Trotz ein paar übertriebener Details stimmten die Fakten – er hatte überlebt, weil er ein starker Junge war. Am Ende des Buches malte Jack ein Selbstporträt. Es zeigte ihn mit einem Supermanumhang im Rollstuhl sitzend.
Die Therapeutin bezog Jacks Eltern in die Therapie mit ein. Sie half ihnen zu erkennen, wie glücklich sie sich schätzen konnten, dass Jack nur mit ein paar Knochenbrüchen davongekommen war. Sie ermutigte sie, ihren Sohn nicht zu bemitleiden. Sie empfahl ihnen, Jack als mutigen und mental starken Jungen zu betrachten, der in der Lage war, mit großen Widrigkeiten klarzukommen. Auch wenn seine Beine nicht mehr ganz heilen würden, wollte sie, dass sie sich darauf konzentrierten, was Jack im Leben noch alles erreichen könne und nicht, wovon ihn seine Behinderung möglicherweise abhielte.
Beide, Eltern und Therapeutin, arbeiteten mit den Lehrern zusammen, um Jacks Rückkehr in die Schule vorzubereiten. Zusätzlich zu der speziellen Behandlung, die ihm zuteilwerden musste, da er immer noch im Rollstuhl saß, wollten sie, dass weder die Kinder noch die Lehrer ihn bemitleideten. Sie schlugen vor, dass er seinen Mitschülern sein selbstgeschriebenes Buch zeigte, um ihnen deutlich zu machen, dass es keinen Grund dafür gab, ihn zu bemitleiden.
Wir alle erleben Schmerz und Trauer in unserem Leben. Und obwohl Traurigkeit eine normale und gesunde Empfindung ist, ist es selbstzerstörerisch, wenn wir zu lange leiden und unglücklich sind. Treffen die folgenden Punkte auf Sie zu?
Sie meinen, dass Ihre Probleme größer sind als die anderer Menschen.
Sie meinen, nur Sie werden vom Unglück verfolgt.
Sie meinen, dass Sie mehr Probleme als andere Menschen haben.
Sie sind sich ziemlich sicher, dass keiner wirklich versteht, wie schwer Ihr Leben ist.
Manchmal gehen Sie extra nicht unter Menschen oder irgendwelchen Freizeitaktivitäten nach, weil Sie zu Hause über Ihre Probleme nachdenken wollen.
Sie erzählen Menschen eher, was schlecht als was gut gelaufen ist.
Sie beschweren sich oft über Dinge, die Sie als ungerecht empfinden.
Manchmal müssen Sie lange darüber nachdenken, um irgendetwas zu finden, wofür Sie dankbar sein können.
Sie meinen, andere haben es leichter im Leben.
Manchmal meinen Sie, die ganze Welt ist gegen Sie.
Erkennen Sie sich in einigen Beispielen wieder? Sie können in Selbstmitleid verfallen, wenn sich Ihre Gedanken und Ihr Verhalten nicht verändern. Sie haben die Kontrolle darüber. Auch wenn Sie Ihre Lebensumstände vielleicht nicht verändern können, so können Sie doch Ihre Einstellung hierzu ändern.
Wenn Selbstmitleid so destruktiv ist, warum versinken wir darin? Und warum ist es manchmal so einfach und fast tröstlich, sich seinem Selbstmitleid hinzugeben? Mitleid war ein Schutzmechanismus für Jacks Eltern, um ihren Sohn vor zukünftigen Gefahren zu schützen. Sie hatten sich auf das konzentriert, was er nicht mehr konnte, um ihn vor weiteren potentiellen Problemen zu bewahren.
Verständlicherweise sorgten sie sich mehr denn je um seine Sicherheit. Sie wollten ihn ständig um sich haben. Und sie wollten ihn vor emotionalen Reaktionen schützen, wenn er wieder einen Schulbus betreten musste. Es konnte nicht lange dauern, bis ihr Mitleid bei Jack Selbstmitleid auslöste.