Brenda Bowen
Sommertraum mit Aussicht
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Alice Jakubeit
FISCHER E-Books
Brenda Bowen, geboren in Philadelphia, aufgewachsen in England, ist Literaturagentin und Kinderbuchautorin. Sie lebt in New York und verbringt ihre Sommerurlaube auf einer Insel, die sehr viel Ähnlichkeit mit Little Lost Island hat.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
An einem drögen, nasskalten Frühlingstag entdecken Lottie Wilkes und Rose Arbuthnot gleichzeitig das Inserat für ein Ferienhaus in Maine am Schwarzen Brett der Vorschule. Spontan beschließen sie, es gemeinsam zu mieten, obwohl sich keine der beiden diesen Luxus leisten kann. Sie haben eine Auszeit so dringend nötig, dass sie das Risiko eingehen, sich mit zwei weiteren Gästen das Haus zu teilen. Was sie nicht ahnen: Der Vermieter des Hauses ist nicht nur an den Einnahmen aus der Sommervermietung interessiert.
Als die vier abgespannten New Yorkerinnen zu ihrer sommerlichen Auszeit in das riesige Cottage aufbrechen, rechnen sie mit Einsamkeit, Beschaulichkeit und Hummer. Stattdessen finden sie dort Spaß zur Cocktailstunde, unerwartete Gäste und – tja, Hummer. Und wahre Liebe.
Ein wunderbar unterhaltsamer Roman über die Magie eines Inselsommers, die Macht der Liebe und den Mut zur Veränderung.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die amerikanische Originalausgabe erschien
unter dem Titel ›Enchanted August‹ bei Viking Penguin, New York
Coypright © 2015 by Brenda Bowen
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung und -abbildung: bürosüd°, München
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403489-8
Für Michael
Als Lottie Wilkes am Morgen des 13. Juni die Augen aufschlug, beglückwünschte sie sich zur Vollendung des ersten Jahres ohne Sex mit ihrem Ehemann.
Ethan seufzte leise im Schlaf. Er drehte sich um und warf ihr dabei absichtslos einen Arm auf die Stirn. Ethan war so süß, wenn er schlief – die rührenden flachen Atemzüge, der vertraute feuchte Duft, das Zucken hinter den geäderten Lidern – Lottie konnte sich gar nicht sattsehen an ihm, so weich, so verletzlich. Er stöhnte.
Lottie wusste, dass es genau ein Jahr her war, weil ihr Mann und sie es vor genau einem Jahr – am Tag vor ihrem Hochzeitstag – tatsächlich einmal geschafft hatten, »ein bisschen Zeit in der Kiste einzuschieben«, wie er es immer genannt hatte. Lottie war sich bei dieser letzten Leibesübung ein wenig missachtet vorgekommen, so, als hätte sie auch irgendeine andere Frau sein können, daher hatte sie ihn gefragt: »Kannst du mich so küssen wie früher?«
»Herrgott, Lottie!«, hatte er erwidert und die Bettdecke zurückgeworfen. Kurz darauf war er aus der Wohnung gestürmt. Lottie hatte nicht daran gedacht, dass er es nicht mochte, wenn man ihn bat, etwas zu tun, und sich gelobt, dass es von nun an keinen Sex ohne Küsse mehr geben würde. Es war ihr gelungen, dieses Gelöbnis einzuhalten.
Ethan schlug die großen braunen Augen auf. »Hi, Mommy«, flüsterte er.
»Pst, Liebling«, sagte Lottie. »Weck Daddy nicht auf.«
Ethan wurde im September vier. Im Augenblick war er dreidreiviertel. Was Bruchzahlen anging, war er frühreif. Nicht frühreif war er hingegen, wenn es darum ging, im eigenen Bett zu schlafen.
»Na komm, Liebling«, flüsterte sie Ethan zu. »Wir stehen auf.«
Es war 5.42 Uhr morgens, und dieser 13. Juni war der siebte Morgen in Folge, den man besser verschlafen hätte. In acht Tagen begann offiziell der Sommer, aber es war grau, trist, nass und kalt; Landtiere blieben in ihrem Bau, Vögel in ihrem Nest, Fische dort, wo sie eben schliefen – in Riffen? Ethan machte das Wetter natürlich nichts aus. Man konnte sich darauf verlassen, dass er jeden Morgen zwischen 5.30 Uhr und 5.47 Uhr wach wurde, nachdem er – unter großem Geschrei und Protest – irgendwann gegen kurz vor Mitternacht ins Bett gegangen war. Und irgendwann zwischen 2.37 Uhr und 3.04 Uhr blindlings zu ihnen ins Bett gekrochen war. Ethan konnte allerdings auch jeden Nachmittag noch ein zweistündiges Nickerchen einlegen und tat es auch. Lottie und Jon konnten das nicht.
Schlafentzug ist das, was einen bei der Kindererziehung wirklich fertigmacht. Das Problem ist nicht, Zeit mit diesen kleinen Individuen zu verbringen, sie im Buggy durch die Gegend zu schieben oder ganz ernsthaft mit ihnen darüber zu diskutieren, ob Türklingeln Zauberei sind. Das alles ist großartig. Was einen fertigmacht, sind die zwei bis drei Stunden Schlaf pro Nacht, und zwar nicht nur alle Jubeljahre, sondern Nacht auf Nacht auf Tag auf Nacht. Der Sex war der Kollateralschaden. Und ganz ehrlich: Ohne ihn war Lotties Leben einfacher. Sie hatte auch weniger Wäsche.
Lottie ging mit Ethan ins Bad. Er war stolz auf seine Trainingswindeln, aber doch nicht so stolz, dass er sie nicht kurz vor Tagesanbruch vollmachte.
»Braver Junge!«, lobte Lottie Ethan begeistert, als er aufrecht vor dem Töpfchen stand und nichts hervorbrachte. »Guter Versuch!«
Sie vergötterte ihn, und nicht nur, weil sie sich so ähnelten: lockige Elfen mit großen Augen. Sie war überwältigt von dem Wortschatz in diesem kleinen Kopf. Sie war sprachlos über die Zielstrebigkeit seines kräftigen Körpers. Sie staunte jedes Mal, wenn er eine neue Idee formulierte.
»Frühstück, Mommy!«, sagte Ethan an diesem Morgen, und Lottie war hingerissen, wie jeden Morgen.
Und wie jeden Morgen vergingen die ersten Stunden in einem Wirbel aus Bananen und Instantbrei, ihrem Lieblingsradiosender und Eisenbahnvideos auf YouTube. Jon stand wie jeden Morgen um 7.15 Uhr auf, zog seinen Anzug Marke »aufstrebender Anwalt« sowie ein Hemd frisch aus der Reinigung an und gab ihnen beiden auf dem Weg zur Tür einen Kuss auf die Wange.
»Bis später, kleiner Mann«, sagte er zu Ethan. »Alles Gute zum Fast-Hochzeitstag, Schatz«, fügte er, schon im Hinausgehen, hinzu, wie um zu demonstrieren, dass er auch daran dachte. Aber nicht in dem Maße, als dass er etwas deswegen unternehmen wollte. »Ich komme eher spät nach Hause.«
Was auch immer das heißen mochte.
Lottie und Ethan machten sich für die Vorschule fertig. Vier Stunden pro Tag und siebenundzwanzigtausend Dollar pro Jahr. Dieser Gedanke schoss Lottie jeden Morgen durch den Kopf, wenn sie den Buggy den Hügel hinauf zur Happy-Circle-Friends-Vorschule schob. Siebenundzwanzigtausend Dollar pro Jahr, die sie nicht verdiente, aber Jon schon, und die sie beide nicht darauf verwenden konnten, Jons Studiendarlehen abzuzahlen. Dabei war der Happy Circle die billige Variante.
An diesem Morgen erschienen ihr die siebenundzwanzigtausend Dollar noch unverhältnismäßiger als sonst. Es wäre so viel einfacher gewesen, ihn zu Hause auf die Schule vorzubereiten. Der eigenartig warme Regen ergoss sich wie aus Eimern vom bleigrauen Himmel. Lottie hatte keine Gummistiefel – oder zumindest konnte sie sie auf dem Weg zur Tür wieder einmal nicht finden –, und ihre Füße würden klatschnass sein, bevor sie die Third Avenue erreichten. Ethan trat gegen die Plastikabdeckung seines Buggys. Er genoss seine Macht über die Regentropfen, die er aus dem Inneren seines Kokons heraus zu Rinnsalen lenkte.
Tropfnasse Buggys verstopften den Eingangsbereich der ehemaligen Kirche, in der sowohl Happy Circle Friends als auch dessen schickerer Rivale President Pre beheimatet waren. Lotties violette Leggings waren vom Knie bis zum Saum durchnässt. Die meisten Happy-Circle-Mütter waren nicht ihre Freundinnen, aber Lottie bemühte sich, zu allen nett zu sein. Sie hatte ein freundliches Naturell. Ihre Haare waren so nass, dass sie sich wie ein Hund schütteln und Ethan nassspritzen konnte – er fand das toll –, als sie sich von ihm verabschiedete.
»Braver Junge, Mommy«, sagte Ethan und tätschelte sie wie einen Hundewelpen. »Geh jetzt.« Sobald er am Legotisch saß, wollte er sie nicht mehr um sich haben. »Bis nachher, Ethie-Liebling!«, sagt Lottie, und selbst sie wusste, dass sie ihn nicht mehr lange so nennen durfte. Sie wappnete sich für den Regen draußen und schlängelte sich zwischen den durchweichten aufgemotzten Maclaren-Buggys hindurch.
Jetzt hatte der Himmel wirklich seine Schleusen geöffnet. War das etwa Hagel? Seit Mitte Mai regnete es quasi ununterbrochen. Natürlich würden sie sich bald nach ein wenig kühlem Regen sehnen, wenn erst die sengende Augusthitze einsetzte. Lottie zupfte ihren Regenmantel zurecht und steckte die Hände in die Taschen. Vielleicht würde ein großer Latte mit fettarmer Milch helfen.
Als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr etwas ins Auge: ein neuer Aushang am altmodischen Anschlagbrett an der Eingangstür. Zwischen »Unser geliebtes Kindermädchen geht« und »Stillberatung. Über den Schmerz zum Milchfluss« hing ein Zettel, auf dem stand:
Hopewell Cottage
Little Lost Island, Maine
Hübsches altes Ferienhäuschen auf einer kleinen Insel zu vermieten.
Quellwasser, Blaubeeren, Meerglas
August
Unversehens hörte Lottie gleich hinter sich jemanden nach Luft schnappen.
»Ist es wegen des Ferienhäuschens?«, fragte sie, ohne überhaupt zu wissen, wen.
»Wie bitte?«
»Haben Sie wegen dieses Aushangs nach Luft geschnappt?« Sie drehte sich um und erblickte eine andere Mutter – so anders als sie selbst! Sie war der hochgewachsene, skandinavische Typ mit eckigem Gesicht und ganz hellen blauen Augen. Dies war eine President-Pre-Mutter – eine illustre President-Pre-Mutter: Rose Arbuthnot, ein echtes Genie.
Die Frau faltete hastig einen Brief zusammen, der, wie Lottie sah, den Briefkopf von President Pre trug. Sie hatte gehört, dass President Pre den Eltern ständig Briefe schickte – E-Mails genügten denen nicht. President Pre war elitär.
»Little Lost Island«, sagte Rose, nicht nur an sich selbst gerichtet. Eine kleine verlorene Insel.
Rose Arbuthnot war mit einem Schriftsteller verheiratet, mit Fred Arbuthnot (sie hatte seinen Namen angenommen), der in ganz Park Slope bekannt war, weil er einer der beiden Anwohner war, die einen MacArthur-Genie-Preis gewonnen hatten. Er war das Genie, nicht Rose. Lottie erinnerte sich, dass er auch ein Genie darin war, Kunst aus Fundstücken zu schaffen, ein Hospiz zu führen und Wandteppiche aus Hanf zu weben, den er in den Yachthäfen von City Island sammelte. Oder so. Alles, was er anpackte, gelang ihm. Momentan arbeitete er wohl an einem bedeutenden Roman, aber der war jedenfalls noch nicht erschienen. Trotzdem wurde Großes von ihm erwartet.
Und dennoch stand Rose, deren Gesicht aus nächster Nähe noch blasser aussah (ihre Wimpern waren tatsächlich durchscheinend), da und fixierte dieses Schreiben auf dem cremeweißen Blatt mit dem Briefkopf der Vorschule, als hinge ihr Schicksal davon ab.
»Hopewell«, wandte Lottie sich erneut an Rose. »Wir müssen da hin.«
»Rose? Sollen wir dann in mein Office gehen?«
Die wohlklingende Stimme von Patience – so der treffende Name der geduldigen Leiterin von President Pre – riss Rose aus ihren Gedanken. Sie war dankbar für die Störung; sie wollte hier weg, bevor diese andere Mutter sie noch einmal behelligen konnte. Rose kannte den Subtext jeder Gesprächseröffnung dieser Vorschuleltern. »Sind Bens Zähne alle da?« hieß: »Wann hört er endlich auf zu beißen?« »Beatrice und Benedick – was für tolle Namen« bedeutete: »Wow, ihr seid aber ziemlich aufgeblasen, sogar für Park Slope.« Und der Gipfel war: »Wie kommt Ihr Mann mit seinem Buch voran?«, was so viel bedeutete wie: »Wie in Gottes Namen könnt ihr so gut leben, obwohl keiner von euch Geld verdient?«
»Ja, natürlich«, sagte Rose. Sie wusste genau, warum Patience mit ihr sprechen wollte. Die Arbuthnot’sche Zuwendung bei der alljährlichen Spendenaktion für die Schule mochte, so ungeheuer großzügig sie auch gewesen war, dennoch für unzureichend befunden worden sein. Den Scheck hatten sie allerdings flugs eingelöst.
Die andere Mutter wandte sich ihr zu und reichte ihr die Hand. Von den Ärmeln ihres Regenmantels tropfte es auf Rose’ Handgelenk. Sie hatte beneidenswerte lockige dunkle Haare und ein ausdrucksstarkes Gesicht. Harpo Marx’ kleine Schwester. »Ich bin Ethans Mom, vom Happy Circle«, sagte sie. Diese Frau sah sie voller Mitgefühl, wenn nicht gar Solidarität, an, auch wenn Rose sich diese unvermutete Freundlichkeit nicht recht erklären konnte. Es war schwer, ihr zu widerstehen. Rose tat es dennoch. »Ich muss weg«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte die Frau. »Ich finde, wir sollten beide wegfahren. Auf diese Insel.«
»Was?«, fragte Rose.
»Ich bin Lottie Wilkes, Ethans Mom«, stellte die Frau sich noch einmal vor und sprach diesmal besonders deutlich, als ob Rose des Englischen nicht mächtig wäre. »Und ich finde, wir sollten versuchen, nach Hopewell Island zu fahren. Weil wir beide Abstand brauchen.«
»Es heißt Little Lost Island. Und Hopewell Cottage.« Rose war eine gewissenhafte Leserin. »Aber ich brauche keinen Abstand.«
»Rose?« Das war Patience.
»Ich muss gehen.« Sie folgte Patience über den schmalen Korridor, der mit fröhlicher Kunst, aufmunternden Schildern und Desinfektionsmittelspendern dekoriert war. Fred und sie hatten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit die Zwillinge hier aufgenommen wurden. Selbst mit einem MacArthur-Genie-Preis hatte die Aufnahme auf des Messers Schneide gestanden, zumal es zwei Kinder waren. Doch jetzt, wo Bea und Ben hier waren, hatten sie ausgesorgt bis zur Universität. Das sagten jedenfalls alle. Rose seufzte und hoffte, Patience bekam es nicht mit.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Patience. Rose setzte sich. Patience eröffnete die Unterhaltung mit einem Plausch über das bevorstehende Sommerprogramm der Vorschule und dessen Vorzüge, die Rose bereits bekannt waren; die Zwillinge waren schon angemeldet. Dann plauderte Patience über das lausige Wetter, Urlaubspläne und die Politik der Lebensmittelkooperative von Park Slope. Rose kannte Patience gut genug, um zu merken, dass diese Gesprächsphase sie weichkochen sollte.
»Es tut mir leid, dass Fred nicht dabei sein kann«, sagte Rose. Sosehr ihr diese Vorschule gefiel, sowenig hatte sie für Patience’ übergriffige Art übrig. »Diese Frau würde noch in einem Schlachthof Geld wittern«, hatte Fred gesagt, als sie gestern Abend Patience’ Nachricht in Bens Buggy entdeckt hatten, in der diese sie bat, sie in ihrem »Office« aufzusuchen.
»Opferst du dich diesmal?«, hatte er gefragt. Rose fand, dass sie sich ziemlich oft opferte, besonders wenn es um die Zwillinge ging. Glücklicherweise ahnte Patience nicht, wie vermögend die Arbuthnots genau waren, sonst würde sie ihnen keine Ruhe lassen, ehe sie den ersten Spatenstich für ein neues Gebäude tun konnte. Der Tonfall dieser Nachricht war allerdings ein wenig anders als sonst, also hatte Patience womöglich neue Informationen.
»Mir auch. Aber Sie wissen sicher, warum wir Sie hergebeten haben«, entgegnete Patience.
Rose nickte. »Ich glaube schon.«
Patience verschränkte die Arme, sah ihr in die Augen, schüttelte den Kopf und sagte: »Wir sind sehr besorgt wegen Ben.« Sie sah Rose unverwandt an und wartete. Bloß worauf?
»Was meinen Sie damit, Sie sind besorgt wegen Ben?«
»Wir haben Ben sehr gern hier im President Pre. Er hat einen wachen, kreativen Verstand und einen sehr freien Geist. Aber das Schuljahr ist beinahe um. Und es stellt nach wie vor eine Herausforderung für ihn dar, sich einzufügen.« Rose war sprachlos. Patience schüttelte erneut den Kopf, und jede Hin- und Herbewegung drückte irgendein Bedauern aus. »Wir haben den Eindruck, dass er vielleicht besondere Bedürfnisse hat. Er ist ein wunderbarer Junge, aber wir fragen uns, ob er vielleicht mehr Unterstützung benötigt, die er anderswo bekommen könnte.«
Die Worte trafen Rose wie eine Faust in den Magen. Was sagte Patience da? Rose hörte kaum hin, während Patience von exzellenten Psychiatern und höchst empfehlenswerten Therapien erzählte, die Bens Entwicklung fördern könnten.
»Ich kann verstehen, dass Sie ihn vielleicht nicht von seiner Zwillingsschwester trennen wollen, aber wir haben den Eindruck, es könnte das Beste sein sowohl für Bea« – Pause, bedeutsame Pause – »als auch für Ben.«
Wovon redete die? Die Zwillinge trennen? Sie waren beinahe eine einzige Person. Sie wollten nicht getrennt sein! Sie hatten sich umarmt gehalten, als man sie per Kaiserschnitt auf die Welt geholt hatte. Wenn sie nicht per Kaiserschnitt entbunden hätte, hätte Ben sich vielleicht anders entwickelt. Besser. Ihre Gedanken überschlugen sich. Er wird von der Vorschule geschmissen?
Wo war Fred? Er würde diese Frau in der Luft zerreißen.
Zum Abschied brachte Patience noch eine Spitze unter. »Ben kann gerne an unserem Sommerprogramm teilnehmen, das größtenteils nicht-schulisch ist.« Nicht-schulisch! »Aber im Herbst … Das verstehen Sie sicher. Möglicherweise passt es einfach nicht. Falls bis dahin allerdings die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet sind, könnten wir selbstverständlich abwarten, wie er sich entwickelt. Das erste Halbjahr über vielleicht.«
Das war’s. Unterredung vorbei. Patience stand auf und schüttelte Rose die Hand. Rose konnte selbst nicht fassen, dass sie ihr das gestattete. Ich will dich töten, dachte sie. Du solltest nie auch nur in die Nähe eines meiner Kinder kommen. Ich hasse dich. Du bist ein Ungeheuer.
Die Buggys standen wie eine Barrikade aus SUVs vor der Tür. Rose schob sich zwischen ihnen hindurch und brachte dabei mit voller Absicht die ach so sorgfältig austarierte Hierarchie durcheinander, die bestimmte, welcher Buggy wo stehen durfte, weil alles in Park Slope auf irgendeiner beschissenen selbstgerechten moralischen Ordnung beruhte.
Sie wappnete sich für den Regen, der jetzt in Strömen fiel, und rief unter einem schützenden Vordach Fred an. Es roch nach Katzenpisse. Es kostete sie ihre ganze Kraft, sich nicht zu übergeben. Er nahm sofort ab, obwohl er es hasste, wenn man ihn anrief, während er schrieb. »Wie ist es gelaufen?«
Rose erzählte es ihm. Doch während sie sprach, verschob der Gegenstand ihres Zorns sich unwillkürlich. »Warum warst du nicht dabei? Du hättest dabei sein sollen.« Ich gebe Fred die Schuld, dachte sie. Stopp.
»Du hast gesagt, es ist okay, wenn du allein hingehst.«
»Er manipuliert uns, Fred, schon mit drei.« O Gott! Jetzt Ben! »Wir hätten mehr tun müssen, als er noch kleiner war. Wenn er die Beherrschung verliert, ist es schwer. Es ist auch schwer für Bea. Er braucht eine festere Hand.« War seine Schwester schon ein Opfer? Leistete sie selbst Bens Verhalten Vorschub? Zu Hause war Ben ein Plagegeist. Manchmal. Wie musste er dann erst in der Vorschule sein?
»Glaubst du, in der Schule ist er schlimmer?«, fragte Fred.
»Was meinst du mit schlimmer?«, fragte Rose zurück. Wenn Fred das sagte, war es Verrat. »Willst du etwa sagen, er sei schlimm? Willst du sagen, dein dreijähriger Sohn braucht Medikamente?«
»Rose, ich glaube, Dreijährigen geben sie gar keine Medikamente.«
Der Regen war so laut, dass sie schreien musste, um sich selbst hören zu können. »Sie hat gesagt, sie tun es wohl! Sie kennt exzellente Psychopharmakologen! Willst du das etwa für ihn? Im Moment will ich ihn nicht mal mehr im Sommerprogramm haben.«
»Und was willst du dann diesen Sommer mit ihm machen?«, fragte Fred.
»Was ich mit ihm machen will?«
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Rosie, wir können diese Unterhaltung nicht am Telefon führen«, sagte Fred schließlich. »Komm nach Hause. Dann reden wir.«
Sie wollte nicht nach Hause gehen. Sie wollte Fred nicht sehen, und sie wollte nicht reden. Mit schnellen, vehementen Schritten lief sie durch den strömenden Regen. Warum konnte Ben kein unkompliziertes Kind sein? Rose war ein unkompliziertes Kind gewesen, hatte ihre Mutter immer gesagt. Bea war ein unkompliziertes Kind. Die Lehrer sagten, sie sei ein Sonnenschein. Sogar Patience war mit Bea zufrieden. Ihr blödes Pferdegesicht hatte aufgeleuchtet, als sie Beas Namen erwähnt hatte. Was war bloß schiefgelaufen bei Ben? Sie hätte noch ein Jahr länger bei ihm zu Hause bleiben und nicht so früh wieder arbeiten gehen sollen. Ihr Gehalt als Lehrbeauftragte fiel in ihrer Haushaltskasse praktisch nicht ins Gewicht; es war mehr als entbehrlich. War das Genie-Gen etwa nur bei Fred ausgeprägt und bei Ben nicht? Warum konnte Ben nicht einfach ein normales Kind sein?
Du lieber Gott. Auf wessen Seite stand sie eigentlich?
Sie bog um eine Ecke und erblickte hinter dem beschlagenen Fenster von Maisie’s Coffees & Teas diese kleine Frau, Ethans Mutter. Unwillkürlich trat Rose durch die Glastür ein und schlängelte sich an feuchten Pullovern und nassen Windjacken vorbei, den Geruch angebrannten Kaffees in der Nase. Ethans Mutter sah sie mit ihren großen braunen Augen an und war nicht im Geringsten überrascht.
»Kann ich mir dieses Haus in Maine bitte einfach nur mal ansehen?«, sagte Rose. »Lottie?«
Und Lottie schob wortlos einen dampfenden Latte über den Tisch, half ihr aus der tropfnassen Jacke, und drehte ihren Tablet-PC so, dass sie beide auf den Bildschirm sehen konnten. Schweigend saßen sie beieinander, während Rose bei Google Maps nach Little Lost Island suchte und der Regen gegen die Scheiben schlug.
Als Rose nach Hause kam, hoffte sie auf eine Menge Mitgefühl von Fred. Sie rief zu ihm nach oben: »Bist du da? Kannst du eine Minute Pause machen? Es war wirklich schlimm bei Patience.«
Sie ging nach oben. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand offen. Er schrieb nicht, sondern hatte den Kopfhörer aufgesetzt und schaute ein Video an. Soweit Rose sehen konnte, war da eine Menge nackter Haut.
Er fuhr zusammen und drehte sich um. Der Kopfhörer rutschte ihm vom Kopf. »Ertappt«, sagte er.
»Du siehst dir einen Porno an, nachdem dein Sohn von der Vorschule geflogen ist?« Ihr Blut geriet in Wallung. Kampf oder Flucht.
»Er ist nicht von der Vorschule geflogen, Rose. Und es ist kein Porno. Es ist ein Spielfilm. Schau.«
Sie wollte nicht hinschauen. »Ich bin gerade total fertiggemacht worden, Fred.« Sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht zu schlagen, und das kostete sie solche Kraft, dass sie bebte. »Und du siehst dir Spielfilme an.«
»Ich dachte, du wolltest direkt nach Hause kommen. Wo warst du?«
Hinterher wusste Rose nicht, ob es daran lag, dass das Gespräch über die Vorschule schon so unschön begonnen hatte; oder dass Fred seine Arbeit mehr liebte als sie; oder dass Bens Verhalten plötzlich schlimmer geworden war; oder dass Patience sie glauben gemacht hatte, sie seien kein glückliches Paar. Jedenfalls waren sie bald keines mehr. Aber Ende der Woche erschien Rose die Idee, die ihr bei Maisie’s gekommen war, nämlich dass sie alle zusammen nach Hopewell Cottage reisen könnten, abwegig. Ende des Monats schlief Fred schon in seinem Arbeitszimmer auf der Couch. Und in den ersten schwülen Julitagen kamen sie überein, dass Rose ihre Arbeitsstelle aufgeben und die Kinder bis September zu Hause betreuen würde, obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als erschöpft in Freds Arme zu sinken und zu hören, wie er sie Rosie nannte und sagte, gemeinsam würden sie schon eine Lösung finden. Sie würde auf ihre freie Zeit im Juli verzichten, damit er sein neues Buch beenden konnte. Im August konnte sie dann tun, was sie wollte. Sie brauche ein wenig Abstand von allem, sagte er ihr. Sie brauche Zeit zum Nachdenken.
Rose fand die Telefonnummer von Ethans Mutter in ihrem Telefon.
Meinen Sie, wir könnten immer noch hinfahren?
Lottie simste zurück: Ich glaube schon.
Es war eigenartig, dachte Robert SanSouci, welche Wirkung sein kleiner Aushang auf die Menschen hatte. Er hatte das Familiensommerhaus niemals über einen Makler angeboten – so etwas tat man nicht auf Little Lost Island. Er vermietete das Haus niemals an Freunde. Er ließ es einfach darauf ankommen und sorgte dafür, dass der Aushang an einem Ort hing, wo diejenigen, die es am dringendsten nötig hatten, ihn sehen würden. Roberts Aushangregel.
»Diese Wirkung hat es auf die Menschen«, sagte er, und die Frau vor ihm in der City Bakery drehte sich zu ihm um. »Ich habe nicht Sie gemeint«, sagte er entschuldigend.
Im Lauf der Jahre hatte er die Erfahrung gemacht, dass nur die Familien oder Paare oder Frauen – eigentlich hauptsächlich Frauen –, für die am meisten auf dem Spiel stand, den Schritt wagten, Hopewell Cottage für einen Monat zu mieten.
Er bestand auf einer persönlichen Begegnung, er vermietete nur für einen ganzen Monat, und er verlangte einen irrsinnig hohen Preis. Es funktionierte: Mit diesem System hatte er bisher immer Mieter gefunden, die des Hauses würdig waren. Die meisten fanden es hinreißend, wenn auch nicht so, wie es ihm vorschwebte. Nun würde er gleich Rose Arbuthnot kennenlernen. Allein der Name klang, als gehörte er auf diese Insel. Er ging mit seinem Kaffee hinüber zu einer der unbequemen Polsterbänke und setzte sich an einen winzigen Tisch. Von hier aus hatte er die Tür im Blick und konnte raten, wer sie war. Eigentlich hätte er gern ein Brezel-Croissant – die Spezialität der City Bakery – gegessen, doch dann hatte er hinterher immer den Bart voller Krümel. Manche Frauen mochten keine Bärte.
Dass er ein Haus in Maine besaß, wusste kaum jemand. Es war ja auch verrückt, das Klischee vom unverhofften Erbe schlechthin: Vor nunmehr etwa zehn Jahren hatte er einen Anruf von einem Notar in Pittsburgh erhalten. Eine betagte Cousine war »verschieden«, und ihre Hinterlassenschaft hatte in einem Ferienhäuschen in Maine und gerade genügend Geld bestanden, um davon etwa zehn Jahre lang die Unterhaltskosten zu bestreiten. Damals war Robert noch auf dem College gewesen und hatte sich das Haus in den ersten zwei Jahren nicht einmal angesehen. Als er dann endlich dorthin gefahren war – fünfhundert Meilen bis zur verwinkelten Halbinsel Big Lost Island, dann von dort aus einen Katzensprung übers Meer und zuletzt einen anstrengenden Hügel hinauf bis zum Haus selbst –, da war er überwältigt gewesen. Wie betäubt. Er war außerhalb von Chapel Hill geboren und aufgewachsen; er stellte sich unter einem Cottage – einem Ferienhäuschen – genau dasselbe vor wie alle: ein gemütliches Häuschen mit einem Kamin, einem winzigen Zwergenschlafzimmer und einem Strohdach. Dass es mit dem Strohdach nichts werden würde, war ihm vorher klar gewesen, aber dieses Haus? Das war ja ein Schloss. Es war riesig und – man konnte es nicht anders sagen – prachtvoll. Außerdem wirkte es, als würde es bei der nächsten steifen Brise davonfliegen.
Die drei Frauen, die nun in einem Schwall feuchter Luft die City Bakery betraten, waren nass, wirkten aber zufrieden mit sich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine von ihnen Rose Arbuthnot war. Keine dieser Frauen hätte ihm gesimst: Sagen Sie mir, was ich tun muss.
»Ah, das ist sie«, sagte Robert, erneut zu sich selbst. Er wusste, dass er richtiglag, als eine Frau, die überhaupt nicht wie eine Rose aussah, die Tür öffnete und mit ihren hellen Augen das Lokal absuchte. Sie sah aus wie ein Gemälde. Doch welches? Ihr Blick fiel auf ihn, und er nickte. Sie war die Eine. Sie musste es sein.
Die Frau kam zu ihm herüber. »Mr SanSouci?«
»Robert«, erwiderte er und reichte ihr die Hand. Sie hatte einen festen Händedruck, worüber er froh war. Ihre Hände waren trocken und warm. Sie schien ein paar Jahre älter als er zu sein. Die Fältchen um ihre Augen gefielen ihm.
»Setzen Sie sich doch«, sagte er, »und ich hole Ihnen etwas zu trinken. Kaffee? Cappuccino?«
»Ein Cappuccino wäre schön«, sagte Rose.
Erst als er mit ihrem Cappuccino zurückkehrte, wurde ihm klar, an welches Gemälde sie ihn erinnerte. Sie war die Frau in Andrew Wyeths Gemälden – nicht die berühmte im Kornfeld, die das Haus betrachtete; die andere. Die athletische Blonde mit den hellen Augen, die so häufig nackt gemalt war. Er errötete. Wenn es je ein Zeichen gegeben hatte, dass jemand nach Hopewell Cottage gehörte, dann dies. »Fährt Ihr Mann mit? Ihre Familie, meine ich?« Taktlos, so taktlos! »Verzeihung.« Robert fragte sich, ob sie geschieden, lesbisch oder ein ausgehungerter Single war so wie er. »Sie können mitnehmen, wen Sie wollen. Das ist die Hopewell-Regel. Willkommen ist jeder, der meines Cottage bedarf.« Er spürte, dass sie seinen Gebrauch des Verbs bedürfen zu schätzen wusste, und hoffte, der Genitiv sei korrekt.
»Ich miete das Haus zusammen mit einer Freundin – einer Bekannten – Lottie Wilkes«, erklärte Rose. »Vielleicht kennen Sie sie von Happy Circle Friends.«
»Happy Circle Friends?«
»Oder irgendwo anders aus Park Slope? Oder vom President Pre?«
»Ach, der Aushang«, sagte Robert. »Ich habe die Leute, die das Haus letztes Jahr gemietet hatten, gebeten, dieses Jahr einen Aushang in Brooklyn für mich zu machen.« Sie lächelte, fiel ihm auf. »Ich habe einen ganzen Stapel dieser Karten. Der Wortlaut ist seit vielen Jahren derselbe.«
»Lost Island«, sagte sie.
Er zögerte, sie zu berichtigen.
»Verzeihung, Little Lost Island«, sagte sie. »Die Leute vom letzten Jahr …« Robert erkannte, dass sie einen Vorbehalt hatte. »Sie wollten nicht wieder hin?«
Jeder wollte noch einmal nach Hopewell. Aber bisher hatte Robert jeden Sommer neue Mieter gehabt. Als hoffnungslos verträumter, dummer Romantiker, der er nun einmal war, wartete er auf die eine Mieterin, die sich bei ihrer Rückkehr aus Maine in ihn verliebt haben würde; eine Frau, mit der er sein ganzes Leben dort würde verbringen wollen. Er war sich ziemlich sicher, dass er sie gerade gefunden hatte.
»Ähm, Mr SanSouci?«
»Robert, bitte.« Er mochte, dass sie so förmlich war. Das war selten. »Ich möchte Hopewell Cottage mit allen teilen, die seiner bedürfen.«
Rose Arbuthnots Wangen nahmen einen ganz hellen Rosaton an.
»Es ist nicht ganz einfach, dorthin zu kommen«, fuhr er fort. »Sie können nach Bangor fliegen und ein Auto mieten. Oder Sie fahren die I-95 bis zur Route 1 und dann auf der 286, bis Sie durch Ellsworth durch sind. Danach kommt noch eine ziemlich kurvige Straße bis zum Anleger. Folgen Sie nicht dem GPS, sonst landen Sie auf der Lost Road in Dorset. Wir lassen ein Boot am Anleger für unsere Gäste.«
»Wie liebenswürdig von Ihnen, uns Gäste zu nennen«, sagte Rose, »obwohl wir mieten. Ich hoffe, Sie schreiben uns das alles auf.«
»Natürlich«, erwiderte Robert. »Und Gäste ist ein viel netteres Wort als Mieter.« Rose lächelte, während sie von ihrem Cappuccino trank. Sie hatte ein zurückhaltendes Lächeln, was ihm gefiel. »Der Motor ist manchmal ein bisschen störrisch«, fuhr er fort, »aber der Whaler sollte Sie wohlbehalten rüber auf die Insel bringen. Mittlerweile findet er den Weg schon ganz allein.« Er lachte kurz auf, um sie zu beruhigen. »Oder Sie können die Fähre nehmen, wenn Sie vor sechs ankommen.«
»Bekommen wir so das Auto auf die Insel?«
»Keine Autos auf der Insel«, sagte Robert, »nur der Laster des Inselverwalters und der neue Rasenmäher.« Er war entzückt darüber, dass sie erfreut und nicht verstimmt wirkte.
»Also gehört es uns?«, fragte Rose. »Hopewell Cottage gehört uns?«
»Es gehört Ihnen«, bestätigte Robert. »Und Ihrer Freundin.«
Rose schüttelte den Kopf, als fiele ihr gerade noch etwas ein. »Lottie würde gern wissen«, sagte Rose, »ob es auch ein zweiwöchiger Aufenthalt sein könnte.«
Robert schwankte kurz. Ein Monatsaufenthalt war die Regel, und der Preis war der Preis. Es war ihm sehr unangenehm, so viel Geld für das Haus zu verlangen, aber nur so konnte er es sich weiterhin leisten, nun da Cousine Joans Geld aufgebraucht war. Eine Augustvermietung alle ein, zwei Jahre bedeutete, dass Robert seine Mietwohnung auf der East Seventeenth Street halten, weiterhin seinem unlukrativen Beruf als Interpret alter Musik nachgehen (keine große Nachfrage nach Lautenspielern, doch als Gitarrist schlug er sich so durch) und die Unterhaltskosten von Hopewell Cottage bestreiten konnte. Offen gesagt verschlang das Haus Unsummen. Aber er konnte einmal im Jahr, im Juli, selbst dorthin fahren, und er wusste, dass er genug einnahm, um es noch eine Weile zu halten. Wenn er am langen Wochenende nicht auf einer Hochzeit spielen müsste, wäre er jetzt dort.
Aber vielleicht war Rose, obwohl sie einem Gemälde von Andrew Wyeth entsprungen zu sein schien, doch nicht die Richtige für Hopewell Cottage. »Wenn Sie meinen, dass es doch nicht ganz passt, kann ich …«
Sie unterbrach ihn mitten im Satz. Er hatte einen wunden Punkt getroffen. Hoffentlich hatte er sie jetzt nicht abgeschreckt. »Nein, wir nehmen es. Ich stelle Ihnen jetzt gleich einen Scheck aus.« Sie sah in ihren Lederrucksack und holte ihr Scheckbuch hervor. Robert war überrascht, dass sie es gleich mitgebracht hatte.
»Sie könnten mir jetzt ein Drittel geben und den Rest Ende des Monats oder sogar erst im August«, schlug er vor.
Sie riss den Scheck heraus und reichte ihn ihm mit schwungvoller Gebärde. »Bitte«, sagte sie. »Es gehört uns. Wir sind genau die Richtigen dafür.«
Erst als sie längst fort und Robert wieder zu Hause war und sich bereitmachte, die Dowland-Gaillarde zu üben, sah er, dass der Scheck über die Gesamtsumme ausgestellt war.
Er war entzückt – nun konnte er seine Miete ein weiteres Jahr lang bezahlen, vielleicht sogar eine Anzahlung auf eine Theorbe leisten –, doch nicht völlig überrascht. Während Robert über Rose’ klare, helle Augen sinnierte, nahm er seine Lieblingslaute zur Hand. Er hielt sie im Arm und zupfte einen arpeggierten Akkord. »Hopewell Cottage wirkt seine Wunder«, flüsterte er, »auf unergründlichen Wegen.«
»Wir haben nur zwei zur Auswahl?«, fragte Rose. »Jede eine?«
Rose’ große Geste in der City Bakery hatte ihr Konto praktisch leergefegt. Sie wollte diesen Urlaub mit ihrem eigenen Geld finanzieren, doch damit kam sie nicht allzu weit. Sie hatten beschlossen, zwei weitere verzweifelte Frauen zu suchen, denn dann musste jede nur ein Viertel der Mietsumme aufbringen, was bedeutete, sie könnten es sich alle leisten. (Lottie besaß ein Tafelpapier, und Rose hatte ihr von Börsenmaklern erzählt.) Sie stimmten überein, dass sie sich an Roberts Aushangregel halten mussten. Hopewell Cottage: Wenn du dorthin musst, dann kommst du dorthin.
»Ich weiß«, sagte Lottie. Mittlerweile bestellte sie doppelte Lattes. Sie sah täglich nach dem Wert ihrer Aktie, und heute Morgen war er erneut um vier Cent gestiegen. »Vielleicht sollten wir noch eine Woche warten. Eigentlich hätten wir haufenweise Leute zur Auswahl haben müssen.«
»Mir erscheint es auch seltsam«, sagte Rose. »Und Caroline Dester würde doch wohl nicht auf einen Aushang in einem Fitnessstudio antworten. Selbst wenn es in Tribeca ist.«
Rose hatte ihren Aushang in der Saftbar eines Equinox-Studios auf der Duane Street deponiert. Sie war nach Manhattan gefahren, um in einem neuen Kinderbuchladen ein bestelltes Buch über frühkindliche Dekodierungsstörungen abzuholen. Unterwegs war sie an dem Fitnessstudio vorbeigekommen, als der Rekordjuniregen gerade an den beschlagenen Scheiben herabströmte. Das Studio hatte natürlich nicht einmal ein Anschlagbrett, daher hatte sie die Karte in der Saftbar auf einen Tisch gelegt und war wieder gegangen. Alle diese übertrieben gelenkigen, durchtrainierten Körper: Sie gehörte nicht mehr dorthin.
Lotties Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Aber warum hast du den Aushang dort gemacht? Ich bin bloß neugierig.«
»Die Frauen im Equinox – die sahen alle so abgemagert aus«, erklärte Rose. Sie erinnerte sich an den Anblick der dünnen Frauenkörper. »Vielleicht braucht eine von ihnen eine kleine verlorene Insel.«
»Meiner ist mir aus der Hand geflogen.«
»Was ist dir aus der Hand geflogen?«
»Mein Aushang. Die Karte mit dem Hopewell-Aufruf. Sie ist mir aus der Hand geflogen, also habe ich mich eigentlich nicht an Roberts Aushangregel gehalten.«
»So bist du an diese Beverly Fisher gekommen? Ich dachte, du hättest den Aushang im Garamond Club gemacht.«
»Ich wollte ihn in der Lebensmittelkooperative von Park Slope aufhängen, weil da immer alle über alles streiten. Aber auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch ist er mir irgendwie aus der Hand geflogen – das Gespräch wurde übrigens abgesagt, Gott sei Dank, denn wenn ich den Job bekommen hätte, hätte ich ihn auch annehmen müssen, und dann hätte ich Hopewell absagen müssen« – sie erschauerte tatsächlich –, »und jemand hat die Karte aufgehoben und mir gemailt. Beverly Fisher, Garamond Club.«
Sie googelten den Namen. Viel fanden sie nicht – ein paar Beverly Fishers bei Facebook, von denen keine in Frage zu kommen schien.
»Mein Mann kennt eine Frau, die im Garamond ist«, erzählte Rose. Sie wollte Lottie nicht sagen, dass es eine aus dem MacArthur-Genie-Kreis war. »Ich schicke ihr eine SMS.«
Die Antwort kam fast unverzüglich.
BF – ja, war 30 Jahre inoffiziell Mrs Samuel Gorsch, aber sehr pst. Hat vor kurzem Gorschs sämtliche Musikrechte geerbt, ist jetzt also stinkreich, aber man würde nie darauf kommen. Harmlos, kennt jeden am Broadway. Könnte eine lustige Dinnerbegleitung sein. Warum?
Rose antwortete rasch. »Beverly könnte eine hervorragende Ergänzung sein«, sagte sie dann.
»Beverly könnte eine griesgrämige alte Dame sein.«
»Sie klingt geheimnisvoll«, sagte Rose. »Und mit Caroline Dester haben wir dann eine richtig interessante Truppe.«
»Aber ich glaube nicht, dass das die echte Caroline Dester ist«, sagte Lottie. »Ich meine, kann schon sein, dass sie in Tribeca lebt, aber warum sollte sie in einem Studio trainieren, wo die Leute sie sehen können?«
»Wir haben ihre Telefonnummer aufgrund der SMS.« Beide blickten auf Rose’ Handy.
»Sie schreibt, wir sollen sie anrufen«, sagte Lottie.
Rose wählte die Nummer. Es erschien ihr furchtbar anmaßend, Caroline Dester anzurufen. Sie war der amerikanische Traum – eine langbeinige Schönheit aus einer alten New Yorker Familie und jetzt eines dieser jungen Hollywood-Gesichter, die man überall sah. »Ich dachte, sie wäre abgetaucht nach den Oscars«, sagte Rose. Es musste eine andere Caroline Dester sein. »Es läutet«, sagte Rose. Sie stellten auf Lautsprecher um.
Sogar über den blechernen Lautsprecher von Rose’ reichlich antiquiertem Handy erkannten sie diese kehlige, hinreißende Stimme beim ersten Hallo.
»Oh, hallo, spreche ich mit Caroline Dester?«, fragte Rose, zögerlicher als beabsichtigt. »Hier spricht Rose Arbuthnot.« Ehe Caroline auflegen konnte, fügte Rose hinzu: »Sie haben auf unseren kleinen Aushang geantwortet.« Warum die Verniedlichung?
»Ach, Hopewell Cottage.« Dieses Timbre. »Ja, ich würde gern dorthin fahren.«
Hinterher konnte Rose sich nicht einmal mehr genau daran erinnern, was noch gesagt worden war. Caroline Dester musste nach Little Lost Island, und sie konnten doch Caroline Dester nicht abweisen.
»Sie wird es uns kaputtmachen«, sagte Rose, nachdem sie das Gespräch beendet hatte. Sie sah es schon vor sich: die Insel von Paparazzi überrannt, ihre Fotos auf irgendeiner Promi-Website. »Wir fahren doch dahin, um mal von allem wegzukommen.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach Lottie, »dass sie es uns kaputtmacht, meine ich. Sie will genauso von allem weg wie wir. Jeder will etwas von Caroline Dester«, fügte sie hinzu. »Nur wir nicht.«
Es stimmte, dass jeder etwas von Caroline Dester wollte. Schon als sie noch ein Baby gewesen war. Sie war das Graff-Schmuck-Baby in deren erstem und berühmtestem Werbespot für konfliktfreie Diamanten gewesen. Als sie als Kind die Hauptrolle in einem Remake von Kleines Mädchen, großes Herz, das man getrost vergessen konnte, gespielt hatte, hatte A.O. Scott sie »fast so schön wie Elizabeth Taylor« genannt. Sie hatte ein paar relativ unerquickliche Jahre auf dem St.-Andrew’s-Internat in Delaware verbracht, wohin man sie geschickt hatte, damit sie sich mit anderen reichen Kindern anfreundete und im SAT-Test so gut abschnitt, dass sie an der Brown University angenommen wurde. Dort hatte sie es eineinhalb Jahre ausgehalten. Dann hatte sie die Hauptrolle in einem Film von Richard Linklater bekommen, der zu seinem größten kommerziellen Erfolg geworden war und allein in den USA 408 Millionen Dollar eingespielt hatte.
Das war der erste Oscar, den sie nicht gewonnen hatte.
Caroline sah in den Spiegel. Sie besaß die Art von Gesicht, das in jedem Licht gut aussieht, aus jeder Perspektive. Mit graziöser Hand strich sie sich eine kaskadenartig fallende Locke ihrer von Natur aus mit hellen Strähnchen durchsetzten Haare aus den türkisfarbenen Augen. Ich hasse meine Nagelbetten, dachte sie.
Die Kamera, die ein unvorteilhaftes Bild von Caroline Dester erzeugen könnte, war noch nicht erfunden. Ihre Haut strahlte förmlich, wie es auch Jean Harlows Haut getan haben soll. Ihr Körper war dank jahrelangem Personal Training und schlichtweg guter Veranlagung geschmeidig und grazil. Sie hatte sich noch nie liften lassen, und dabei war sie bereits siebenundzwanzig. Sie war in Bestform – gewesen, bis vergangenen Februar.
Als man sie zum ersten Mal durch die Fallen einer Oscar-Kampagne geschleust hatte, war das aufregend und ein Riesenspaß gewesen. Sie hatte nicht gewinnen sollen, und sie hatte auch nicht gewonnen. Doch diesmal war sie die Favoritin gewesen. Sie hatte den Oscar unbedingt gewollt. Im Vorfeld hatte sie überall abgeräumt: Sie hatte den SAG Award und den Golden Globe erhalten. Und dann hatte sie bei der Oscar-Verleihung völlig die Fassung verloren. Immer wieder hatte sie sich ihre Demütigung auf YouTube angesehen und damit zu den vier Millionen Aufrufen allein in den ersten zwei Tagen beigetragen. »Und der Oscar geht an …« Der abgehalfterte fahrige Altpromi, der den Namen nicht vorlesen konnte oder wollte, nachdem er unbeholfen den Umschlag geöffnet hatte … Julianne Moore, die charmant zu ihm lief und ihm eine Lesebrille reichte … Der Altpromi, der die Karte mit diesem Grinsen im Gesicht las, dann in die Kamera blickte und sagte: »Caroline?«
Wieder krampfte sich ihr der Magen zusammen, als sie nun daran dachte. Am Abend der Preisverleihung hatte sie sich erhoben und dabei daran gedacht, ihr Kleid zu raffen, damit sie nicht auf den Saum trat. »Nein, es ist Charlize! Entschuldige, Darling! Der Oscar geht an Charlize …« Caroline umarmte weiter die Leute, bis ihr Produzent ihr befahl, damit aufzuhören. Da verzog ihr Gesicht sich zu einer Grimasse, und dann wollten die Tränen gar nicht mehr versiegen. Sie konnte sich nicht zusammenreißen. Sie flennte während Charlize’ gesamter schöner, theatralischer Dankesrede. Es war ganz großes Kino, und der Hashtag #heulsusecaroline entwickelte sich innerhalb einer Nanosekunde zu einem Hit im Internet. Ein paar Leuten tat sie leid; die meisten zerrissen sie in der Luft. Jetzt war sie wie Sally Field, nur umgekehrt: Sally hatte die Statuette wenigstens mit nach Hause nehmen können.
Sie hätte sich ja eine Papiertüte über den Kopf gestülpt, doch damit hätte sie erst recht die Aufmerksamkeit der Presse auf sich gezogen. Stattdessen hatte sie sich im Haus ihrer Mutter verkrochen und beschlossen, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen. Ende Juni war sie so weit gewesen, dass sie das Universum um ein Zeichen gebeten hatte. Dann hatte sie ganz buchstäblich eines gefunden: auf einem Tisch in der Saftbar, in die sie sich vor dem Regen geflüchtet hatte. Sie würde als ganz normaler Mensch in dieses Haus in Maine reisen. Das würde ihr erster Auftritt als ganz normaler Mensch – nein, ihre erste echte Handlung als ganz normaler Mensch – seit der frühen Kindheit sein. Es war anstrengend, sie selbst zu sein.
Lottie war diejenige, die sich mit Beverly Fisher in Verbindung setzte, um zu erfahren, ob sie wirklich mit nach Little Lost Island käme. Anscheinend hielt Beverly Fisher nichts vom Telefon, denn sie beantwortete keine SMS, nahm keine Anrufe entgegen und einen Anrufbeantworter hatte sie auch nicht. Lottie schickte ihr ein paar E-Mails, ehe sie schließlich eine Antwort erhielt:
Sehr geehrte Ms Wilkes,
ich werde bis Ende Juli nicht in der Stadt sein; im August werde ich mich in Maine zu Ihnen gesellen. Ich habe die Unterkunft geprüft, und sie scheint mir zufriedenstellend, wobei ich zu den Blaubeeren und so weiter nicht viel sagen kann, da ich farbenblind bin.
Mein Wunsch ist es, ungestört zu sein und einen Monat in vollständiger Ruhe zu genießen. Fühlen Sie sich nicht genötigt, mich zu unterhalten. Ich hatte genügend Unterhaltung für zwei Leben.
Nach einigen Schwierigkeiten ist es mir gelungen, die erforderliche Summe auf das Konto zu überweisen, das Sie mir genannt haben. Ich freue mich darauf, Sie dort zu sehen, wenn auch nur in kleinen Dosen.
Mit freundlichen Grüßen
Beverly Fisher
Beverly hatte das Geld in der Tat auf Rose’ Konto überwiesen (was Lottie ein wenig mehr Zeit verschaffte; sie hatte sich bisher noch nicht von ihrem Tafelpapier trennen können). Rose fand das offenbar vertrauenerweckend. Lottie gefiel die Formulierung mit der Unterhaltung, die für zwei Leben genügte. Und so war Beverly die Vierte in ihrem Bunde. Die letzte verlorene Seele für Little Lost Island.
Die Fahrt nach Maine dauerte länger, als sie gedacht hatten. In einem Anfall von Neuengland-Begeisterung hatten Lottie und Rose einen Subaru gemietet, doch als Rose nun über die Interstate 95 nordwärts durch endloses Grau donnerte, hatte sie das Gefühl, die gemeinsame Anreise sei eine schlechte Idee gewesen.
Die Grenze nach Maine hatten sie schon vor Stunden passiert. Sie hatte nachgelesen, was man im August in Maine erwarten durfte – gutes Wetter und weniger Insekten –, aber wie groß konnte dieser Bundesstaat sein? Lottie war auf den letzten fünfzig Meilen gnädigerweise still gewesen – sie hatte Ethans Einschlafmusik aufgelegt, und die war tatsächlich ziemlich wohltuend –, und so hatte Rose Zeit zum Nachdenken.
Sie dachte natürlich an die Zwillinge. Was hatte sie derart falsch gemacht? Im ersten Jahr war sie eine Art Milchkuh gewesen, die abpumpte und auspresste, wenn sie die beiden nicht gerade an sich hängen gehabt hatte. Sie liebte ihre beiden Kleinen inbrünstig, natürlich, aber sie hatten sie in jeder Hinsicht ausgesaugt. Jetzt war sie Hausfrau und Mutter mit einer unveröffentlichten Dissertation über Lyrik, einem Ehemann, der auf der Couch schlief, und einem Problemkind, von dem niemand wusste, was man mit ihm machen sollte, am allerwenigsten sie selbst.
»Nicht weinen, Rose«, sagte Lottie. »Diese Musik macht jeden traurig.«
Als sie endlich auf der Route 1 waren, wurde es langsam dunkel. Ob es daran lag, dass Regen aufzog, oder daran, dass es schon so spät war, wusste Rose nicht zu sagen. Sie hatten die Fahrtzeit drastisch unterschätzt. Während sie an den abgelebten Firmen vorbeifuhren, die die Straße säumten, erschien Maine ihr nicht sonderlich attraktiv. Der Himmel wirkte bedrohlich und wie zerschlagen. Trotz der Klimaanlage roch es nach Ozon. Rose’ Fahrkünste waren ohnehin ein wenig eingerostet (die ersten dreihundert Meilen war Lottie gefahren), und wenn es jetzt noch anfing zu regnen und die Straßen rutschig wurden und es dunkel wurde … Sie mochte gar nicht darüber nachdenken. Ein Blitz zuckte vor ihr über den Himmel. »Wie weit kann es denn noch sein?« Lottie sah in ihre Wegbeschreibung, die im schwächer werdenden Licht schwer zu entziffern war. Robert SanSouci hatte ihnen keinen Gefallen getan, indem er das Ganze mit der Hand auf Florpostpapier geschrieben und ihnen mit der Schneckenpost geschickt hatte. Warum konnten sie nicht einfach dem GPS folgen, sobald sie von der Route 1 herunter waren? Lag das Haus so abgeschieden? War das Ganze ein ausgeklügelter Trick?
»Robert schreibt, die Abfahrt für die 286 kommt jetzt gleich«, sagte Lottie, als ob Robert ein enger Freund wäre. »Noch ein Stück auf der Route 1, dann ein paar Meilen über kurvige Straßen, durch West Dorset und dann Dorset und dann Dorset Harbor – jede Menge Dorsets –, und dann über eine Brücke nach Big Lost Island. Dann eine kurze Bootsfahrt von Big Lost nach Little Lost Island, und wir sind da.«
»Falls wir nicht in Stephen-King-Country landen«, versetzte Rose.
»Wäre zumindest eine neue Erfahrung«, sagte Lottie. »Ich bin froh, dass wir den anderen gesagt haben, sie könnten erst morgen kommen. So haben wir das Haus für uns. Ich möchte im runden Teil schlafen.«