Die Briefe der Manns
Ein Familienporträt
Herausgegeben von Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein
FISCHER E-Books
Tilmann Lahme studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Kiel und Bern. Er war Redakteur im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und lehrt heute Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg. 2015 erschien sein Buch ›Die Manns. Geschichte einer Familie‹.
Holger Pils ist Geschäftsführer der Stiftung Lyrik Kabinett in München und war von 2009 bis 2014 Leiter des Buddenbrookhauses in Lübeck.
Kerstin Klein war Mitarbeiterin und Kuratorin am Buddenbrookhaus in Lübeck und arbeitet derzeit als Projektleiterin der geplanten Ausstellung ›Frauen schreiben Reformationsgeschichte‹ für die Nordkirche in Kiel.
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Zärtlich umgarnend, frech zugespitzt und maßlos übertrieben, Tratsch und lebenswichtige Ereignisse mitteilend: die Vielfalt der Tonlage in den Briefen von Katia und Thomas Mann mit ihren sechs Kindern ist grenzenlos. Nachdem Tilmann Lahme in seiner Familienbiographie noch einmal die besondere Bedeutung der Manns ins Zentrum gerückt hat, legt er nun zusammen mit Holger Pils und Kerstin Klein ein Sammlung von Briefen vor, die einen ganz unverstellten, intimen und oft überraschenden Einblick in den Familienbetrieb bietet und gleichzeitig individuelle Porträts der einzelnen Briefeschreiber darstellt.
Die Herausgeber haben sämtliche erreichbaren Briefe der Familie gesichtet und eine repräsentative Auswahl getroffen, wobei mehr als die Hälfte der ca. 200 Briefe in diesem Band zum ersten Mal gedruckt wird. Die umsichtige Kommentierung und ausgewählte Familienfotos runden den Briefband ab und machen ihn zu einem kostbaren Familienalbum der Manns.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
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ISBN 978-3-10-403734-9
Glücksburg, 26. Juli 1919
Liebe Eri!
Für Dein forsches Briefchen danke ich Dir recht vielmals. Es hat mir großen Spaß gemacht. Hoffentlich ist eure Fahrt nach Starnberg recht schön verlaufen und ist niemand dabei in den Graben gefallen, denn dabei verletzt man sich leicht das Höschen, wie es auch mir einmal geschah. Aber vor dem Ausflug war ja noch Mieleins Geburtstag, über den ich von den Buben gewiß noch einiges erfahre. Aber daß Du schreibst, »leider« werde Tante Lula kommen, hat mich doch stutzen lassen. Eine so feine Dame, noch feiner, als das Pielein selbst, und Du sagst »leider« dazu? – Das achthändige Arcissi-Konzert hätte ich wohl gern gehört. – Wäret ihr doch alle hier, ihr würdet tanzen und jubilieren von wegen des vielen, vielen guten Essens! Gestern Abend gab es wieder so herrliches festes norddeutsches Rührei und Bratkartoffeln, die von Butter glänzten. Nachher noch kalten Aufschnitt von der besten Sorte. Es ist als wie im himmlischen Paradiese. Und vorher war ich schon in Herrn Schellongs Obstgarten gewesen und hatte von Büschen und Bäumen gegessen soviel mein Herz begehrte: Rote, schwarze und gelbe Johannisbeeren, Kirschen und Himbeeren, so groß wie Gartenerdbeeren. Aber nun schließe ich, sonst läuft Dir das Mäunchen über. Der Moni schreibe ich noch extra und besonders.
Sei nur der Mama recht dienlich und nützlich!
Dein
Pielein
[Oberstdorf, Stillachhaus], 19. September 1920
Lieber: Will nur gleich Dein L.[iebes] vom 17. d.M. beantworten, wobei es mich nur wundert, daß Du da noch nicht im Besitz meines letzten warest. Kam wohl den nächsten Morgen. Heute ist ja, nach einer schönen sommerlichen Woche und einer unheimlichen Föhnglut gestern am späten Abend, nun ein abscheulicher nasser Sonntag und der kalte Regen strömt gleichmäßig von morgens an. Die meisten Gäste machen auch von ihrer sonntäglichen Freiheit Gebrauch die Nachmittagsliegekur wegzulassen, aber ich liege mit zwei Kameelen und zwei Sweatern ja ganz behäglich, nur die Finger neigen schon etwas zur Klammheit. Also von der Sensation, die Greto so witzig schildert, habe ich denn doch nicht das Geringste bemerkt. Die Gesellschaft macht mir im ganzen einen recht stumpfsinnigen und höchst uninteressanten Eindruck, und ich habe meinem neulichen Briefe in dieser Hinsicht wohl kaum Positives beizufügen. Von Zauberbergreizen ist garnichts zu spüren, es fehlt eben die pikante Todesingredienz. Die Damen überwiegen bei Weitem, einige junge Mädchen mit leichten Lungen-Sachen (Hilus-Drüsen zumeist), und auch viele Verheiratete, junge und ältere, auch meistens mit leichten Lungenaffektionen, aber auch Magen- und Nervenleiden, die meistens einen trostlos gelangweilten Eindruck machen, und die Herrenwelt ist gänzlich irrelevant. Bis jetzt saß ich neben einer ganz sympathischen, sehr wohlmeinenden Frau Major Tappe (offenbar sehr r.[eich], eine rheinische Industriellentochter, überhaupt scheinen alle r. und das Geld spielt gar keine Rolle), die sich immer ordentlich Mühe gab, sich litterarisch mit mir zu unterhalten. Sie hat eben mit viel Wohlgefallen K.[önigliche] H.[oheit] gelesen, und die Imma, das ist doch wirklich eine kleine Persönlichkeit, aber den Untertan hat sie dreimal gelesen aus Pflichtgefühl, aber sie konnte doch nicht hinter seine Reize kommen und vieles nicht verstehen, die Arme. Übrigens habe ich heute Nacht so lebhaft vom Heinrizi geträumt, er sprach so überlegen und erbittert über Dich, daß ich ganz irre wurde. Henriette Leonie war auch dabei, kaum größer wie Waddie, aber nicht nur dem Vater sprechend ähnlich, sondern mit genau solchem Spitzbart wie er. Schrecklich war es. – Jeden Samstag wird ja das ganze Sanatorium umgesetzt, und jetzt sitze ich neben der kleinen Frau Schilling, Frau Arnoldi’s Schwester, die sich sehr an mich attachieren zu wollen scheint und auch ganz nett ist, aber ein bißchen gar zu dalbrig, aber das ist auch wohl so ziemlich die einzige, die in Frage kommt, ich vermisse das jüdische Element von Pension Böld. Abgefiebert habe ich so ziemlich, wenn auch noch nicht zuverlässig. Ich hatte es ja auch in Oberammergau, und die Temperatur war sicher wieder – trotz Müller – nur eine Begleiterscheinung der Bronchitis. Freitag habe ich mich wieder bei Saathoff vorgestellt, und er meinte nun auch, daß ich, wenn ich so fortmache, mit sechs Wochen auskommen würde. Behorcht hat er mich nicht, aber der Katarrh ist offenbar weg. Ich habe auch drei Pfund zugenommen, das ist doch alles möglich, und so glänzend ist die Verpflegung nicht einmal wie mir erst schien, d.h. es wechselt. Jetzt ist er auf 8 bis 10 Tage verreist, aber sein Assistent wird es gerade so können. »Ärzte sind …«, man weiß ja. – Mit der Schweizer Reise bin ich sehr einverstanden, ich wünsche es Dir ja schon lange, daß Du etwas hinaus kommst. Wenn Du wirklich 300 Fr. pro Abend bekommst, so könnte es ja sogar wirtschaftlich ganz lohnend sein, weil bei der jetzigen Valuta (10!) Du sonst zu viel zusetzen müßtest. – Schade, daß ich den guten Paten garnicht sehe. Bleibt Bötticher in München? – Danke auch für die Drucksachen. Ich bin nicht für Schrenk-Notzing, und es scheint mir auch so schrecklich langweilig. Kaukesielter hat mit seiner Ansicht über den Bolschewismus als etwas spezifisch Russisches ja nicht so Unrecht. – A.[lte] F.[ay]’s sind nun also in Venedig. Der ausgebrannte Kater genießt es gewiß garnicht.
Behalte mich lieb
Deine getreue Häsin.
Oberstdorf, [Stillachhaus], 26. September 1920
Liebe Erika:
Du schreibst mir, trotz wiederholter Anfragen, noch immer nicht, si les couvertures et les robes dans l’armoire du second etage ont été endommageés par les mottes. Auch nicht, ob tu souffre encore du rhume de cerveau. Wenn Du keine Zeit hast, soll Golo es mir mitteilen.
Und soweit, liebes Elein, schönen Dank für Deinen Brief. Du solltest übrigens wirklich immer beim Beantworten meinen Brief dabei haben, damit Du nichts vergißt. Das Gebäck kam wohlbehalten an, und, wenn auch nicht ganz so vorzüglich wie das letzte, war es doch immer noch sehr eßenswert. Frau Hensel, eine sehr verwöhnte, reiche junge Frau (hat ein Zimmer mit Bad à 80 M täglich und 8 Hüte hat sie mitnehmen wollen!) war sogar direkt begeistert davon. Was das Samtbarrett betrifft, so liegt es meines Wissens im mittleren Spiegelschrank auf dem oberen Brett, sonst eventuell ebendaselbst in einem der beiden anderen. Hälst Du es für denkbar, daß Offi die Umarbeitung übernimmt, weil es doch von Onkel Erik stammt? Vielleicht könntest Du es auf taktvolle Weise herausbringen, sie kommen ja jedenfalls in den nächsten Tagen zurück. Dann mußt Du sie auch nach der Marmeladenadresse fragen, die ich nicht mehr genau weiß, und dann kann Frau Dr. Thomas Mann ja gleich einen 25 ℔ Kübel Zwetschgen-Marmelade (Sorte III) (oder wolltet Ihr lieber Reineclauden-Marmelade?) und einen 10 ℔ Eimer Erdbeer-Marmelade (Sorte II) umgehend senden lassen. Sie schicken dann [die] Rechnung mit Zahlkarte, welche nach Eintreffen der Ware beglichen wird.
Daß der Aissi soviel rauschend Klavier spielt, will mir garnicht gefallen. Sage ihm nur, ich sei aufs äußerste dagegen, und hätte ihn doch so dringend aufgefordert, lieber mehr Zeit auf die alten Sprachen zu verwenden.
Nun will ich noch wegen des Mädchenwechsels einiges schreiben. Also Sophie muß sich von der Milchfrau ihre Milchkarte geben lassen, von Breit, Vogl, Bertl ihre Käse-, Spezerei-, Lebensmittel-, Eier-, Fettkarte-Karten holen, ferner kriegt sie ihre Auslandslebensmittelkarte mit, und ihre Fleischstammkarten (ich glaube die liegt unten in der Küchenschublade.) Alle diese Karten muß das neue Mädchen mitbringen (wenn sie aus München kommt) sowie einen Abmeldeschein von ihrer Schule. Sie muß zunächst bei unserem Freund dem Polizeikommissar an- und Sophie gleichzeitig abgemeldet werden. (Formular, für Sophie schon ausgestellt, bekanntlich im Schreibtisch) hierauf muß sie mit der polizeilichen Anmeldung und ihrem Abmeldeschein von ihrer vorigen Schule auf der unseren gemeldet werden. Ihre Karten kommen zu unseren entsprechenden Lieferanten, für Spezereien wird man ein oder zweimal auf dem Lebensmittelamt Zwischenmarken nehmen müssen, aber Du mußt sie auch gleich bei Vogl eintragen lassen, damit wir möglichst bald von da bekommen. Vom 1. Oktober wird sie ihren Zucker wohl mitbringen, den sie dann unter Abzug der 150 g abgeben muß, eventuell, wenn sie hat auch Einmachzucker. Daß mir Sophie ihren Einmachzucker bezahlt, die Verfluchte. Dann muß in einem Kouvert an die Krankenkasse Sophie ab- und die Neue angemeldet werden (Formular für Sophie schon ausgefüllt, bekanntlich im Schreibtisch), vergiß ja nicht, das Formular auch zu unterschreiben. Lohn gebe ich gewöhnlich 10 M weniger an, das nehme ich noch so aufs Abendessen, aber es ist ziemlich gleichgültig. Ferner schreibst Du volle Verköstigung, Wohnung etc. Sophie bekommt also ihre Steuerkarte, Buch, Invalidenkarte (wo Du die fehlenden Marken noch einklebst) mit, dasselbe läßt du Dir von der Neuen einhändigen. Lohn bekommt sie 55 M, Elise u. Muhme 60, Eva 65.
Und die Arbeitseinteilung: morgens um 7 soll sie anfangen: Dich frisieren? Frühstück bringen, Badewasser bringen. Spätestens um acht Buben-Schlafzimmer und Spielzimmer, Vorplatz, obere Treppe abkehren, obere Diele, Kinder, Moni und gnädiges Fräulein Zimmer, Badzimmer. Die Böden werden abgekehrt und feuchtgewischt, ferner Staubwischen und die Matratzen der Betten täglich umkehren. Um 10, ½ 11 ist sie meiner Ansicht nach leicht fertig. Die Treppe und Anrichte muß sie gleichfalls zusammenkehren. Hierauf gönnt sie sich eine Frühstückspause. Dann spült sie das Frühstücksgeschirr und räumt es auf, bürstet die Kleider und räumt sie gleich in die Schränke, und näht bis Mittag oder macht sich sonst nützlich. Nach Tisch spült sie mit der Eva zusammen ab und trocknet, dann wieder Nähen oder Bügeln, Gänge machen etc. Eure Stiefel soll sie regelmäßig vor dem Abendessen putzen, Ihr müsst sie aber auch rechtzeitig ausziehen, und mit den wollenen Kleidern abwechseln, damit sie sie in Stand halten kann. Nach dem Abendbrot hilft sie wieder der Eva spülen. Freitag muß sie regelmäßig Kinderwäsche waschen, die sie Montag bügelt (Küchenwäsche alle vierzehn Tage). Samstag gründlich rein machen. Ermahne sie nur gleich zu größter Sparsamkeit mit Licht und Gas, sorgfältigem Schließen der Türen (vor allem Hintertreppe und Garten), und sorgfältiger Behandlung der Putzlumpen, die sie auch flicken muß.
Das wäre so ziemlich das Wesentliche. Hat Elise entstaubt? Alle Zimmer sollen entstaubt werden, aber immer nur so lange es hell ist. Und Sophie soll alles noch ordentlich sauber machen, ehe sie weggeht, damit die Neue keinen zu schlechten Eindruck bekommt. Daß das Leintuch wieder da ist, ist ja in der Tat eine Freude, auf die ich nicht gerechnet hatte. Seid mir auch alle recht ordentlich, besonders die Buben, und die Badewanne sollen sie vor allem etwas sauber halten, und die Kisetten.
Genug für heute: ein langer, langweiliger Brief. Grüße Pielein, und ich hätte seit fünf Tagen nichts von ihm gehört.
Dich umarmt
Das Mielein
Was ist eigentlich mit der Massenbachin?
Und: Geht zur Gräfin!!!
[Oberstdorf], Stillachhaus, 2. Oktober 1920
Lieber: Das war ja ein reicher Segen gestern Abend: Dein Brief mit Mönchen-Einlage, Deine Karten, und schon ein Brief von der braven, genesenen Eri. Aber doch wohl bedauerlich, diese gesundheitlichen Zwischenfälle, besonders Eris Anfälligkeit bekümmert mich. Und was soll man bloß mit ihr machen, nachdem Nado, dem ich schon, seit er so eisern auf der doch offenbar gänzlich erfolgslosen Behandlung meines Katarrhs bestand, nicht mehr recht vertraute, sich so völlig blamiert hat. Wenn man nur einen verständigen Arzt wüßte. Heijermanns scheint sich diesmal ja besser bewährt zu haben, aber ganz der Wahre ist er doch auch nicht. Wenn ich wieder da bin, müssen doch noch irgendwelche Schritte gegen den chronischen Schnupfen des Kindes unternommen werden. Sie wird ihn schon noch einmal los werden wie das Gölchen seine Flechte. Dein Anfall ist hoffentlich auch gänzlich überwunden. Die Rheinreise mit ihren zehn Städten wird ja auch recht strapaziös werden, wenn auch wirtschaftlich, trotz der zehn Prozent, recht lohnend. Hoffentlich nimmt es Dich nicht zu sehr mit.
Um aber noch auf die erste Hälfte Deines Briefes zurückzukommen, so ist das doch alles garnicht so. Ich erwarte alle Briefe von zuhause mit großer Ungeduld und lese jeden mehrfach, sodaß ich den Inhalt ganz aufnehme (habe ja freilich auch Zeit dazu) und wenn ich dann schreibe, so stellt sich ganz selbstverständlich eine gewisse Anknüpfung an den empfangenen Brief ein. Eventuell kann man ja auch, wenn man ihn nur flüchtig gelesen, den Brief vorm Schreiben noch einmal überlesen, auch dann kommt ganz unwillkürlich ein gewisses Eingehen darauf. Ist einem auch dieses zu zeitraubend, dann fehlt das eben, und ich bekomme den Eindruck, als ob meine Briefe, als Lebenszeichen natürlich notwendig und erwünscht, doch in Bezug auf ihren Inhalt, nachdem der wesentliche, daß es mir gut geht, ja immer einmal feststeht, einigermaßen gleichgültig wären, und als ob Deine Gedanken, nachdem Du einmal weißt, daß alles hier seinen ordnungsgemäßen Gang geht, sich nicht eben viel mit mir und meiner augenblicklichen Daseinsform beschäftigten. Mit Rekapitulation und Diplomatie hat das nichts zu tun. Und ich bin doch nicht so albern, zu wünschen, daß Du mir beständig oder überhaupt schreiben sollst, wie sehr ich Euch fehle. Es muß mich natürlich freuen und beruhigen, wenn ich sehe, daß es eine Weile auch ganz ordentlich ohne mich geht. Aber manchmal scheint es mir, als ob es genau so gut, oder vielleicht sogar noch ein bißchen besser ginge. Und das erschüttert mich natürlich einigermaßen. Ich habe hier so viel Zeit zum Nachdenken, und da denke ich doch manchmal, daß ich mein Leben nicht ganz richtig eingestellt habe, und daß es nicht gut war, es so ausschließlich auf Dich und die Kinder zu stellen. Aber nun schon genug, und übergenug davon!
Dem Aufenthalt hier habe ich Unrecht getan, insofern, als ich vorige Woche nun doch wieder zwei Pfund zugenommen habe. Im ganzen jetzt schon sechs, und ich sehe wohl nicht nur etwas voller, sondern schon ordentlich beleibt aus. Aber vom gesundheitlichen Standpunkt ist es ja sehr zu begrüßen. Die letzten drei Tage hatten wir nun auch schönes Herbstsommerwetter, und ich war viel unterwegs, in Damengesellschaft, weil es mir alleine allzu einsam ist, ich würde es sonst bei weitem vorziehen. Könntest Du mir in Deinem nächsten Brief für Frau Hänsel ein Autogramm mitschicken, ich konnte es ihr nicht gut abschlagen. Dagegen das Exemplar von Herrn u. Hund, worum ich Dich vor einiger Zeit bat, brauche ich nicht, ich fände es doch zuviel der Ehre für Frau Schilling.
Um Geld muß ich Dich leider auch bitten. Ich denke, am besten läßt Du gleich zweitausend schicken, wenn ich, wie ich bestimmt beabsichtige, nur noch vierzehn Tage hier bleibe, werde ich ja nicht mehr soviel brauchen, aber für alle Fälle ist es doch sicherer ein bißchen in Reserve zu haben.
Auf das physiologische Kapitel bin ich auch sehr gespannt. Der Oheim wird es wohl schwerlich billigen, aber das ist kein Einwand in meinen Augen. Ich finde Bertram nutzt die Zeit recht schlecht, das ist ja eine ewige Wanderschaft!
Lebwohl
Deine Häsin.
[München], 12. Februar [1921]
L.[iebes] R.[eh]:
Da haben wir also umsonst gedringdrahtet: aber wenn Du schon nicht die Bürger an die Wahlurnen gerufen hast, dann suche doch wenigstens nicht ihr Konkurrenz [zu] machen. Überlege nur noch einmal, ob es mit der Abreise Sonntag nach der Vorlesung möglich ist. Noch könntest Du ja kürzlich den Schlafwagen für Montag bestellen, aber vielleicht läßt es sich doch machen. – Coburg liegt ja nun auch schon wieder hinter Dir. Am Ende war es bei Colmers gar nicht besonders: sie ist ja wohl ziemlich gräulich und wie Kohn sich entziffert hat, weiß ich auch nicht. Na, nun hast Du ja Deine l.[iebe] Grete! – Bei uns ist es ja nun recht still, und das ist ganz gut, denn ich habe im Haus vielerlei zu tun. Heute war ich auch mit Eri auf dem Gymnasium, wo der alte verknöcherte Direktor wieder eingetroffen ist, der sich wieder über die Maßen widerwärtig und lustspielmäßig benahm: da war keine Rede von Geistesheroen, und großväterlichen Geheimräten, und unerbittlich bestand er darauf, sie müsse noch das ganze Schuljahr Privatunterricht haben: was ja sowohl hinsichtlich der Kosten als auch der Baroninen-Witwe-Lebensweise höchst ärgerlich ist. Moni lebt ja auch noch immer so, da sie gestern wieder 38 maß, bei allerbestem Wohlsein. Um sich die Zeit zu vertreiben, malte sie dem Bibi einen schwarzen Schnurr- und Knebelbart nebst dicken senkrechten Stirnfalten, kleidete ihn in einen langen Loden-Mantel nebst grünem Hütchen und gab ihm einen Krückstock an den Arm: er sah, mit mißmutiger Miene, unbeschreiblich komisch aus, besonders als Moni ihn vor den Spiegel führte, und er von der Seite sein Spiegelbild äußerst mißtrauisch besah. Unsern Hochzeitstag habe ich treu mit den Kindern bei Rotweinpunsch gefeiert, ich Gutes! – Das Wetter ist ja recht winterlich, und Du kannst den Pelz diesmal gewiß gut brauchen. Hast Du Dich auch nicht im Auto erkältet, mein alter Peter! – Cousine Jane hat sich verlobt! Die übrige Post schicke ich doch nach.
Nun, schon auf baldiges.
H.
Timmendorferstrand, 12. August 1921
Liebe Eri, lieber Eissi, lieber Golo, liebe Moni, liebe Mädi, lieber Bibi!
So lustig ist es hier, wie umstehend zu sehen. Wir denken oft, daß es euch großen Spaß machen würde, besonders gestern, bei ziemlich starker Brandung wäre das Baden etwas für euch gewesen. Aber eisig würdet ihr das Wasser finden gegen das Starnberger. Wenn die Großen schon fort sind, sollen die Kleinen ihnen diese Karte nur nachschicken. Seid alle brav und froh.
Euer Pielein, der auch Frl. Thea grüßen läßt.
Auch vom Mielein alles Gute. Daß es täglich Schlagrahm gibt, verschwieg das Pielein!
Herzlichste Grüße! Bald in München. Pate Bertram.
ABB. 1 Thomas Manns Postkarte an die Kinder vom 12. August 1921
[Bergschule Hochwaldhausen, 6. Juni 1922]
Lieber Zauberer!
Meinen allerschönsten Glückwunsch zum Geburtstag. Wundre Dich nicht, wenn der Briefchen klein und häßlich wird: ich schreibe auf der Bahnfahrt nach Frankfurt. Denn wir sind mit einigen »Bergkindern« nach dorthin über Pfingsten abgereist. Die allgemeine Tour ist doch abgesagt worden und jetzt hat Steche uns erlaubt das zu machen. Wir werden 2 Tage dort bleiben und bei der Großmutter vom dicken Wandervogel wohnen. Vielleicht lassen wir uns hinreißen und besuchen kurzer Hand Liefmanns, von wegen irgend einer Mahlzeit oder so. Kann ma sagen, daß es frech ist? – Ja von hier wäre in so fern Gutes zu melden, als K[laus] und ich neulich eine umfassende Aussprache mit Steche hatten und wir uns recht gut mit ihm verstanden. Außerdem war heute Schlußschulgemeinde (ja, wir sind tatsächlich schon sechs Wochen hier!) und auch die hat recht erfreuliche Erfolge für uns gezeitigt.
So sind wir zum Beispiel im Latein Mahrs Lichtblick in seiner ganzen Lehrtätigkeit und ich nicht minder der von Ackermann in Mathematik. Nicht verschweigen kann ich nun zwar, daß der Gent den Klaus im Laufe der Unterhaltung von neulich einmal »übertünchten Greis« genannt hat. Sähr drohlig! – Es ist so schade, daß wir zu Deinem Wiegenfeste nicht in München sind. Hier haben fast alle ihre Elterlein in Frankfurt und die Angesehenen, zu denen wir uns doch wohl rechnen dürfen, erhalten ab und zu Erlaubnis zu Geburtstagen u. dgl. nach Haus zu fahren. Wir Armen! – Ob der Ofei Dir wohl Wein geschenkt hat? Bitte sei nicht pikabel, wenn ich jetzt aufhöre, aber es schottert fast so »gottsjämmerlich«, wie das Leichlein aussieht.
Viele Grüße
Erika
Bitte sage dem Mielein Folgendes: Der Alex Leroi, der mich, Gott strafe England, abgöttisch liebt, möchte gern im Sommer eine 8tägige Tour mit uns und noch einem machen und zwar auf seinem kleinen Motorboot auf irgend einem stillen Fluß. Nun möchte ich das aber keinesfalls, eben wegen Alex. Ich kenne das schon von Karl Geffcken her und, kurzum es paßt mir nicht. Nun bitte ich das Mielein sehr, daß sie aus irgend einem triftigen Grund (gefährlich wäre es leider gar nicht) die Sache verbietet. Und so, daß ich es ihm vorlesen kann.
Nochmals herzlichst
E.
[Bergschule Hochwaldhausen, 17. Juni 1922]
Liebes Pielein.
Vielen Dank für Deinen Brief, der uns einerseits erfreute, Eris traurige Pikiertheit aber (schon durch Mieleins Brief erzeugt) noch erhöhen mußte. Ihr habt ja nun wohl Eris Brief; ich hoffe, Ihr findet sie durch ihn gerechtfertigt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das, was sie schrieb, zu bestätigen. Daß sie nämlich in der Tat alles so objektiv als irgend möglich und durchaus nicht diplomatisch vorbrachte und daß sie eine direkte Bitte um Abkürzung des Aufenthaltes nicht etwa aus Raffinement, sondern weil sie diese Entscheidung rein Euch überlassen wollte und sie sich auch wirklich so arg unwohl nicht fühlt, nicht aussprach. Ich dagegen möchte diese Bitte aussprechen, wie auch Mieleins Erkundigungen ausfallen mögen. Unser Aufenthalt hier ist weniger traurig für uns, als vollkommen zwecklos. Ich will nicht behaupten, daß die Schule hier in ihrem Wert auf Minus steht, sondern vollkommen auf Null. Daher die Massenflucht. Jeder schiebt andere Gründe vor; der eine lernt zu wenig für’s Abitur, dem anderen ist zu wenig Zucht da und dem dritten zuviel. In Wirklichkeit ist es auf ein Versagen der Schule zurückzuführen (über das Steche sich doch wohl auch im Klaren ist). Äußere Dinge kommen hinzu. Im Oberkurs (also unter denen, die uns geistig einigermaßen nahe stehen) sind überhaupt außer mir nur 2 Jungen; ich glaube 9 oder 10goldigerKraft